T 0989/03 (Hochdosierte Thioctsäure-Tabletten/MEDA PHARMA) 23-10-2007
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Tabletten, Granulate und Pellets mit hohem Gehalt an Wirkstoffen für hochkonzentrierte, feste Darreichungsformen
Ratiopharm GmbH
Verla-Pharm Arzneimittelfabrik
Alfred E. Tiefenbacher (GmbH & Co.)
Stada R & D GmbH
Verspätet eingereichte Hilfsanträge I und IV-VI nicht zugelassen
Hauptantrag und Hilfsanträge II und III: Änderungen nicht gewährbar - beanspruchtes Verfahren nicht aus der ursprünglichen Anmeldung herleitbar
I. Auf die Patentanmeldung Nr. 93 102 525.8 wurde das europäische Patent Nr. 0 560 092 mit 13 Ansprüchen erteilt. Davon waren die Ansprüche 1 bis 3, 4 bis 6 und 11 als unabhängige Produktansprüche und Ansprüche 7 und 13 als unabhängige Verfahrensansprüche abgefasst.
Ansprüche 1 und 13 des erteilten Patents hatten folgenden Wortlaut (Hervorhebung hinzugefügt):
"1. Arzneimittelformulierung in Form von Tabletten, Granulaten oder Pellets enthaltend Thioctsäure (alpha-Liponsäure) oder Flupirtinmaleat, dadurch gekennzeichnet, daß der Wirkstoffgehalt mehr als 45 Gewichts% beträgt.
13. Verfahren zur Herstellung von Granulat oder Pellets, dadurch gekennzeichnet, daß der Wirkstoff oder das Gemisch aus Wirkstoff und einem oder mehreren Bindemitteln mit mehr als 30 Gewichts% Wasser, bezogen auf die eingesetzte Menge an Feststoffen, mit den hierfür üblichen Methoden unter maximalem Energieeintrag der hierfür üblicherweise vorgesehenen Geräte granuliert oder pelletiert wird und das erhaltene Granulat oder die Pellets gegebenenfalls zu Tabletten weiterverarbeitet werden."
II. Gegen das erteilte Patent haben die Einsprechenden (Beschwerdegegnerinnen) jeweils Einspruch eingelegt und diesen mit mangelnder Neuheit und fehlender erfinderischen Tätigkeit begründet (Artikel 100(a) EPÜ).
III. Die folgenden Entgegenhaltungen wurden unter anderem im Einspruchsverfahren und im anschließenden Beschwerdeverfahren genannt:
(2) EP-A-0 427 247
(4) DE-A-40 35 456
(22) DE-A-41 22 166
IV. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das Patent gemäß Artikel 102(1),(3) EPÜ zu widerrufen.
Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass der Gegenstand des Haupt- und Hilfsantrags nicht gegen Artikel 123(2) und (3) EPÜ verstößt.
Bezüglich der Frage der Neuheit stellte die Einspruchsabteilung fest, dass die Dokumente (2) und (4) durch die Höhe der darin offenbarten Wirkstoffgehalte auch ohne explizite Angabe zum Gesamtgewicht implizit Tabletten mit mehr als 45 Gew.-% Thioctsäure offenbarten und für den Gegenstand des Haupt- und Hilfsantrags neuheitsschädlich seien.
Bei der Analyse der erfinderischen Tätigkeit ging die Einspruchsabteilung von Dokument (4) als nächstliegendem Stand der Technik aus und sah die zu lösende Aufgabe in der Bereitstellung von Formulierungen mit hohem Anteil an Wirkstoffen wie der Thioctsäure.
Nach Meinung der Einspruchsabteilung seien hochkonzentrierte (mehr als 45 Gew.-%) Thioctsäure enthaltende Tabletten schon allein aufgrund der Lehre der Dokumente (2) und (4) nahegelegt und zugänglich gemacht worden, besonders unter Berücksichtigung der dem Fachmann bekannten konventionellen Verfahren zum Feuchtgranulieren.
V. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) legte gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung Beschwerde ein und reichte eine Beschwerdebegründung sowie geänderte Hilfsanträge ein.
VI. In dem der Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügten Bescheid vom 7. Mai 2007 hat die Kammer den Parteien mitgeteilt, dass der Hauptantrag und einer der Hilfsanträge auf Grund der Regel 57(a) EPÜ als nicht zulässig zu betrachten seien. Zudem wurde auf mögliche Mängel der damals vorliegenden Anträge hinsichtlich der Artikel 123(2), 123(3) und 84 EPÜ hingewiesen.
VII. Daraufhin reichte die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 20. September 2007 einen geänderten Hauptantrag und geänderte Hilfsanträge I bis III ein, die die vorhergehenden Anträge ersetzen sollten, wobei der einzige Anspruch gemäß Hilfsantrag III wie folgt lautete (Hervorhebung hinzugefügt):
"1. Verfahren zur Herstellung der Arzneimittelformulierung in Form von Tabletten, enthaltend Thioctsäure (alpha-Liponsäure) oder Flupirtinmaleat mit einem Wirkstoffgehalt an Thioctsäure oder Flupirtinmaleat von mehr als 45 Gew.-%, dadurch gekennzeichnet, dass der Wirkstoff oder ein Gemisch aus Wirkstoff und einem oder mehreren Bindemitteln mit mehr als 30 Gew.-% Wasser, bezogen auf die eingesetzte Menge an Feststoffen, mit den hierfür üblichen Methoden unter maximalem Energieeintrag der hierfür üblicherweise vorgesehenen Geräte granuliert oder pelletiert wird und das erhaltene Granulat oder die Pellets zu Tabletten weiterverarbeitet werden."
VIII. Am 23. Oktober 2007 hat eine mündliche Verhandlung stattgefunden, an der die Beschwerdegegnerin IV (Einsprechende IV), wie schriftlich angekündigt, nicht teilgenommen hat.
Zu Beginn der mündlichen Verhandlung reichte die Beschwerdeführerin drei weitere Hilfsanträge IV bis VI ein, die ebenfalls jeweils auf einem einzigen Verfahrensanspruch beruhten. Zusätzlich legte sie einen im Wortlaut leicht veränderten Hauptantrag vor.
Bei der in der mündlichen Verhandlung geführten Diskussion bezüglich der Zulässigkeit aller verspätet eingereichten Anträge äußerte die Kammer Zweifel an der Zulässigkeit des mit Schreiben vom 20. September 2007 vorgelegten Hilfsantrags I. Daraufhin reichte die Beschwerdeführerin einen neuen Hilfsantrag I ein.
Die zugelassen Anträge wurden sodann im Hinblick auf die Artikel 123(2) und 54(1),(2) EPÜ erörtert. Im weiteren Verlauf der mündlichen Verhandlung ersetzte die Beschwerdeführerin den bisherigen Hauptantrag und die bisherigen Hilfsanträge II und III durch einen neuen Hauptantrag und neue Hilfsanträge II und III.
IX. Die Ansprüche 1 und 4 des Hauptantrags lauten wie folgt (Hervorhebung hinzugefügt):
"1. Arzneimittelformulierung in Form von Tabletten, enthaltend Thioctsäure (alpha-Liponsäure), dadurch gekennzeichnet, dass der Wirkstoffgehalt an Thioctsäure mehr als 45 Gew.-% beträgt.
4. Verfahren zur Herstellung der Arzneimittelformulierung nach einem der Ansprüche 1 bis 3, dadurch gekennzeichnet, dass der Wirkstoff oder ein Gemisch aus Wirkstoff und einem oder mehreren Bindemitteln mit mehr als 30 Gew.-% Wasser, bezogen auf die eingesetzte Menge an Feststoffen, mit den hierfür üblichen Methoden unter maximalem Energieeintrag der hierfür üblicherweise vorgesehenen Geräte granuliert oder pelletiert wird und das erhaltene Granulat oder die Pellets zu Tabletten weiterverarbeitet werden."
Die unabhängigen Ansprüche 1 und 2 des Hilfsantrags I lauten wie folgt (Hervorhebung hinzugefügt):
"1. Arzneimittelformulierung in Form von Tabletten, enthaltend Thioctsäure (alpha-Liponsäure) oder Flupirtinmaleat und zumindest ein Bindemittel, dadurch gekennzeichnet, dass der Wirkstoffgehalt an Thioctsäure oder Flupirtinmaleat mehr als 45 Gew.-% beträgt.
2. Arzneimittelformulierung in Form von Tabletten, enthaltend neben einem Bindemittel Thioctsäure (alpha-Liponsäure) oder Flupirtinmaleat und zumindest ein Bindemittel, dadurch gekennzeichnet, dass der Wirkstoffgehalt an Thioctsäure oder Flupirtinmaleat mehr als 75 Gew.-% beträgt."
Anspruch 3 des Hilfsantrags I unterscheidet sich vom Anspruch 2 lediglich dadurch, dass "75 Gew.-%" durch "85 Gew.-%" ersetzt wurde.
Anspruch 1 gemäß dem Hilfsantrag II unterscheidet sich vom Anspruch 1 des Hauptantrags dadurch, dass das Merkmal "45 Gew.-%" durch "85 Gew.-%" ersetzt wurde. Anspruch 2 des Hilfsantrags II entspricht bis auf den entsprechend geänderten Rückbezug dem Wortlaut des Anspruchs 4 gemäß Hauptantrag.
Der einzige Anspruch des Hilfsantrags III ist ein Verfahrensanspruch und entspricht Anspruch 4 des Hauptantrags, wobei zusätzlich die Definition der Arzneimittelformulierung aus Anspruch 1 des Hauptantrags aufgenommen wurde, d.h. dieser Antrag unterscheidet sich von dem mit dem Brief von 20. September 2007 eingereichten Hilfsantrag III (vgl. obigen Punkt VII) nur durch die Streichung des Merkmals "oder Flupirtinmaleat".
Hilfsantrag IV unterscheidet sich von dem mit dem Brief von 20. September 2007 eingereichten Hilfsantrag III (vgl. obigen Punkt VII) dadurch, dass im kennzeichnenden Teil des Anspruchs "der Wirkstoff oder" gestrichen worden ist.
Hilfsantrag V unterscheidet sich von Hilfsantrag IV dadurch, dass die Optionen "oder pelletiert" und "oder die Pellets" gestrichen worden sind.
Hilfsantrag VI unterscheidet sich von Hilfsantrag V durch die Streichung des Merkmals "oder Flupirtinmaleat".
X. Die Argumente der Beschwerdeführerin, soweit sie für die vorliegende Entscheidung relevant sind, können wie folgt zusammengefasst werden:
Zur Frage der Zulässigkeit der zu Beginn der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsanträge IV bis VI vertritt die Beschwerdeführerin die Meinung, dass diese als bona fide Versuch anzusehen seien, den von der Kammer im Ladungsbescheid geäußerten Bedenken Rechnung zu tragen. Im Übrigen bewegten sich die Änderungen im Rahmen der erteilten Ansprüche und schafften daher keine überraschende Sachlage. Der Grund für die späte Vorlage der Anträge liege darin, dass erst bei der erneuten gründlichen Einsicht der Akte vor der mündlichen Verhandlung ein Änderungsbedarf erkennbar geworden sei. Unter diesen Umständen sollte der Beschwerdeführerin die Möglichkeit eingeräumt werden, ihr Patent zu verteidigen und Änderungen vorzunehmen.
Die Beschwerdeführerin begründete die an Hilfsantrag I vorgenommenen Ergänzungen damit, dass sie als unmittelbare Reaktion auf erstmalig in der Verhandlung von der Kammer geäußerte Bedenken bezüglich der Zulässigkeit dieses Antrags erfolgten.
Die Beschwerdeführerin fügte hinzu, dass es nicht zu beanstanden sei, dass sie in der mündlichen Verhandlung einen neuen Hauptantrag und neue Hilfsanträge II und III eingereicht habe, da die Streichung des Merkmals "oder Flupirtinmaleat" aus allen Ansprüchen als Reaktion auf das erstmalig im Beschwerdeverfahren angesprochene Dokument (22) erfolgt sei.
Bezüglich der Basis für die Verfahrensansprüche gemäß dem Hauptantrag (Anspruch 4) und den Hilfsanträgen II und III (Anspruch 2 bzw. 1) wies die Beschwerdeführerin auf den erteilten Anspruch 13 hin, wobei zusätzlich durch Rückbezug auf die Produktansprüche die hergestellten Arzneimittelformulierungen auf Tabletten enthaltend Thioctsäure eingeschränkt worden seien.
Die Beschwerdeführerin vertrat weiter die Meinung, dass die Herstellung von Tabletten bereits im erteilten Anspruch 13 offenbart sei, da dieser Anspruch sich auf ein "Verfahren zur Herstellung von Granulat oder Pellets" richtete, wobei diese "gegebenenfalls zu Tabletten weiterverarbeitet werden". Obwohl der erteilte Anspruch 13 nicht auf einen bestimmten Wirkstoff bezogen sei, würde der fachmännische Leser verstehen, dass das darin beschriebene Verfahren auch zur Herstellung der in den Ansprüchen 1 bis 3 offenbarten Arzneimittelformulierungen geeignet sei.
Ferner führte die Beschwerdeführerin aus, dass die Verfahrensansprüche gemäß dem Hauptantrag und den Hilfsanträgen II und III auch durch die ursprünglich eingereichte Beschreibung gestützt seien. Insbesondere sei auf Seite 5 in Zusammenhang mit bestimmten Wirkstoffen (3. Absatz) die Herstellung von Arzneimittelformulierungen enthaltend mindestens 45, 75 bzw. 85 Gew.-% Wirkstoff unter Verwendung von mindestens 30 Gew.-% Wasser oder wässrige Bindemittellösungen offenbart (4. Absatz). Diese Offenbarung spiegele die in dem erteilten Anspruch 13 definierten Merkmale wider.
XI. Die bei der mündlichen Verhandlung anwesenden Beschwerdegegnerinnen I, II und V (Einsprechende I, II und V) haben diesem Vorbringen widersprochen:
Es sei nicht ersichtlich, warum die Einführung von weiteren auf Verfahrensansprüchen basierten Hilfsanträgen IV bis VI in einem solch späten Verfahrensstadium gerechtfertigt sei.
Der in der mündlichen Verhandlung eingereichte Hilfsantrag I sei auch nicht zulässig, da durch die eingeführten Änderungen die Beanstandung der Kammer bezüglich des unterschiedlichen Wortlauts der Ansprüche 1 bis 3 nicht behoben wurde.
Die Beschwerdegegnerinnen erhoben auch Einwände unter Artikel 123(2) EPÜ bezüglich der Verfahrensansprüche gemäß dem Hauptantrag und den Hilfsanträgen II und III.
Die Beschwerdegegnerinnen wiesen darauf hin, dass der von der Beschwerdeführerin genannte Anspruch 13 ein nicht auf bestimmte Wirkstoffe beschränktes Verfahren offenbare. In den nun beanspruchten Verfahren wurden spezifische Arzneimittelformulierungen in Form von Tabletten, die den spezifischen Wirkstoff Thioctsäure enthielten, hergestellt. Diese Kombination sei der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung nicht unmittelbar und eindeutig zu entnehmen. Insbesondere enthalte Anspruch 7, der sich eindeutig auf Ansprüche 1 bis 3 rückbeziehe, Verfahrensmerkmale, wie zum Beispiel einen Trocknungsschritt, die in den Verfahrensansprüchen gemäß dem Hauptantrag und den Hilfsanträgen II und III fehlten.
XII. Der Beschwerdeführer (Patentinhaber) beantragte die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent auf der Grundlage des in der mündlichen Verhandlung eingereichten Hauptantrags oder auf der Grundlage eines der in der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsanträge II und III aufrechtzuerhalten.
Die Beschwerdegegner (Einsprechende 1, 2 und 5) beantragten, die Beschwerde zurückzuweisen.
Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende 4) hatte schriftlich beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Zulässigkeit der Anträge
2.1 Es steht der Beschwerdeführerin (d.h. der Patentinhaberin) in dem Beschwerdeverfahren grundsätzlich frei, geänderte Anspruchsätze vorzulegen. Allerdings ist das Einspruchsbeschwerdeverfahren ein mehrseitiges Verfahren, in dem der fairen und gleichen Behandlung aller Beteiligten eine zentrale Bedeutung zukommt. Daher steht es im Ermessen der Kammer, Änderungen des Vorbringens eines Beteiligten nach Einreichung seiner Beschwerdebegründung oder Erwiderung zuzulassen und zu berücksichtigen (vgl. Verfahrensordnung der Beschwerdekammern, Artikel 10b(1) (ABl. EPA 3/2003, S. 93 bis 94)).
Die Ausübung dieses Ermessens setzt eine Abwägung der Gesamtumstände des Falles voraus. Dabei sind strengere Maßstäbe anzulegen, je später Anträge eingeführt werden. Es ist unter anderem zu berücksichtigen, ob ein früheres Vorbringen möglich gewesen wäre und, wenn ja, ob ein triftiger Grund für das späte Einreichen vorliegt. Ferner können verspätet eingereichte Anspruchsätze unberücksichtigt bleiben, wenn sie nicht eindeutig gewährbar sind.
Zusätzlich darf im vorliegenden Fall nicht außer acht gelassen werden, dass Beschwerdegegnerin IV bei der mündlichen Verhandlung nicht anwesend war und deswegen nicht die Gelegenheit gehabt hat, sich zu den in der mündlichen Verhandlung eingereichten Anträgen zu äußern.
2.2 Die im Hauptantrag und in den Hilfsanträgen II und III vom 20. September 2007 vorgenommenen Änderungen erfolgten als klare und sachdienliche Reaktion auf den der Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügten Bescheid.
Zusätzlich wurde in den entsprechenden, während der mündlichen Verhandlung eingereichten Hauptantrag und Hilfsanträge II und III die Variante "oder Flupirtinmaleat" gestrichen. Diese eindeutige Einschränkung wurde durch die Erörterung der Frage der Neuheit in Bezug auf das Dokument (22) während der mündlichen Verhandlung veranlasst. Obwohl dieses Dokument im Einspruchsverfahren bereits von der Einsprechenden IV eingeführt worden war, wurde es erst nach der Einreichung der geänderten Anträge mit dem Brief von 20. September 2007 wieder relevant. Daher wurde es erst während der mündlichen Verhandlung auf Anfrage der Kammer erörtert.
Der Hauptantrag und die Hilfsanträge II und III, die in der mündlichen Verhandlung eingereicht wurden, sind daher zulässig.
2.3 Zu Beginn der mündlichen Verhandlung hat die Kammer Bedenken bezüglich der Zulässigkeit des mit dem Brief vom 20. September 2007 eingereichten Hilfsantrags I geäußert. Die Gründe dafür waren, dass, obwohl die erteilten Ansprüche 1 bis 3 als unabhängige Ansprüche gefasst waren, sie sich tatsächlich nur durch die Höhe des angegebenen Wirkstoffgehalts unterschieden. Somit war der Gegenstand der Ansprüche 2 und 3 deutlich von dem des Anspruchs 1 umfasst. Dagegen wurden bei dem entsprechenden Anspruch 1 einerseits und bei den entsprechenden Ansprüchen 2 und 3 andererseits gemäß dem Hilfsantrag I unterschiedliche Merkmale eingeführt, nämlich, "und zumindest ein Bindemittel" bzw. "neben einem Bindemittel". Die Einfügung von derartigen Änderungen mit unterschiedlichem Wortlaut wird offensichtlich nicht durch Einspruchsgründe oder spätere formale Einwände gerechtfertigt.
Als Antwort auf diese Bedenken stellte die Beschwerdeführerin einen neuen Hilfsantrag I, wobei bei den Ansprüchen 2 und 3 der Ausdruck "und zumindest ein Bindemittel" eingefügt wurde (siehe unter dem obigen Punkt IX, hinzugefügter Wortlaut im Anspruch 2 kursiv gedruckt). Dabei wurde der Ausdruck "neben einem Bindemittel" allerdings nicht gestrichen, obwohl seitens der anwesenden Beschwerdegegnerinnen Zweifel daran geäußert wurden, dass die neu eingereichten Ansprüche als direkte Reaktion auf die vorangegangene Diskussion zu sehen waren.
Da die vorgenommen Änderungen offensichtlich nicht die obengenannten Bedenken beheben und zudem neue Fragen bezüglich Artikel 84 EPÜ aufwerfen, ist der während der mündlichen Verhandlung eingereichte Hilfsantrag I nicht zulässig.
2.4 Bei der Frage der Zulässigkeit der zu Beginn der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsanträge IV bis VI wurde folgendes in Erwägung gezogen:
Durch das Einreichen des neuen Hauptantrags und der neuen Hilfsanträge I bis III mit dem Brief vom 20. September 2007 hat die Beschwerdeführerin bereits von der Gelegenheit Gebrauch gemacht, auf den Ladungsbescheid zu reagieren. Insbesondere ist zu erwähnen, dass der Hilfsantrag III auf einem einzigen Anspruch, nämlich einem Verfahrensanspruch, beruhte (vgl. obigen Punkt VII).
Bei den Hilfsanträgen IV bis VI handelt es sich lediglich um Variationen des bereits im Verfahren befindlichen Hilfsantrags III (vgl. obigen Punkt IX).
Zudem hatte sich zwischen der Erwiderung der Beschwerdeführerin vom 20. September 2007 und der Einreichung der Hilfsanträge IV bis VI zu Beginn der mündlichen Verhandlung die Verfahrenssituation nicht geändert.
Es lag daher kein triftiger Grund für das späte Einreichen dieser neuen Anträge vor. Die Kammer hat deshalb die Hilfsanträge IV bis VI nicht ins Verfahren zugelassen.
3. Artikel 123(2) EPÜ
3.1 Verfahrensanspruch gemäß Hauptantrag
3.1.1 Anspruch 4 des Hauptantrags betrifft ein Verfahren zur Herstellung einer bestimmten thioctsäurehaltigen Arzneimittelformulierung gemäß Ansprüchen 1 bis 3 (vgl. oben Punkt IX).
Die ursprüngliche sowie auch die erteilte Anspruchsfassung enthalten keinen Anspruch, der wortwörtlich dem Anspruch 4 des Hauptantrags entspricht.
Es muss daher geprüft werden, ob das nun beanspruchte Verfahren unmittelbar und eindeutig aus der ursprünglich eingereichten Anmeldung ableitbar ist.
In der ursprünglichen Anspruchsfassung befinden sich zwei unabhängige Verfahrensansprüche, nämlich Ansprüche 7 und 13.
Der ursprüngliche Anspruch 7 ist auf ein "Verfahren zur Herstellung einer Arzneimittelformulierung gemäß den Ansprüchen 1-6" gerichtet, wobei Ansprüche 1 bis 4 jeweils unter anderem thioctsäurehaltige Arzneimittelformulierungen offenbaren. Allerdings weicht der Gegenstand des ursprünglich eingereichten Anspruchs 7 bezüglich der Definition der Verfahrenschritte in mehrfacher Hinsicht von dem des Anspruchs 4 gemäß Hauptantrag ab.
Der ursprüngliche Anspruch 13 ist ein unabhängiger Anspruch, von dem keine weiteren Ansprüche abhängen. Zwar stimmen im ursprünglichen Anspruch 13 die Verfahrensschritte mit denen des Anspruchs 4 gemäß Hauptantrag überein, allerdings betrifft Anspruch 13 ganz allgemein ein "Verfahren zur Herstellung von Granulat oder Pellets", wobei "das erhaltene Granulat oder die Pellets gegebenenfalls zu Tabletten weiterverarbeitet werden". Vor allem fehlt in diesem Anspruch jegliche Bezugnahme auf bestimmte Wirkstoffe. Daher kann der Anspruch 13 nicht als eindeutige Basis für das nun beanspruchte Verfahren zur spezifischen Herstellung einer "Arzneimittelformulierung in Form von Tabletten enthaltend Thioctsäure" dienen.
Zusammenfassend wird daher festgestellt, dass das in dem Anspruch 4 gemäß Hauptantrag beanspruchte Verfahren den Ansprüchen in der ursprünglich eingereichten Fassung nicht unmittelbar und eindeutig zu entnehmen ist.
Damit stellt sich die Frage, ob die ursprüngliche Beschreibung als Basis für den Anspruch 4 gemäß dem Hauptantrag herangezogen werden kann.
In der ursprünglichen Beschreibung wird die zu lösende Aufgabe wie folgt definiert: "Formulierungen mit hohem Anteil an Wirkstoffen zur Verfügung zu stellen, die sich einwandfrei zu Tabletten verpressen lassen. Hierzu sind die preßtechnisch ungünstigen Eigenschaften beispielsweise der Thioctsäure, des Mesna oder des Flupirtins, die sich mit zunehmender Wirkstoffkonzentration immer stärker auswirken, zu neutralisieren" (Seite 4, letzter Absatz).
Nach Angaben auf Seite 5, erster Absatz, wird diese Aufgabe gelöst "durch eine besonders intensive Granulation der Wirkstoffe mit hohen Mengen an Bindemittellösungen oder durch Granulation einer Wirkstoff/Bindemittel-Mischung mit großen Mengen an Wasser" (Hervorhebung hinzugefügt).
Die einzusetzende Menge an Wasser wird auf der gleichen Seite in dem letzten Absatz wie folgt definiert (Hervorhebung hinzugefügt): "Bezogen auf die vorgelegte Feststoffmenge an Wirkstoff werden mindestens 30 Gewichts%, vorzugsweise 40 - 100 Gewichts%, insbesondere 50 - 70 Gewichts% Wasser oder wässrige Bindemittellösungen verwendet".
Diese Angabe stimmt mit der in Anspruch 4 gemäß Hauptantrag nicht überein. So wird im kennzeichnenden Teil dieses Anspruchs "der Wirkstoff oder ein Gemisch aus Wirkstoff und einem oder mehreren Bindemitteln mit mehr als 30 Gew.-% Wasser, bezogen auf die eingesetzte Menge an Feststoffen, granuliert oder pelletiert" (Hervorhebung hinzugefügt). Da Bindemittel bekanntlich auch Feststoffe sein können (vgl. ursprüngliche Beschreibung Seite 7, Zeilen 4 bis 5), ist die im Anspruch 4 angegebene Bezugsbasis für die einzusetzenden Mengen an Wasser mit der in der Beschreibung nicht identisch.
Zudem gibt es eine Diskrepanz in den Angaben zum Wirkstoffgehalt in der bei dem Verfahren erhaltenen Arzneimittelformulierung. So wird auf Seite 5 der ursprünglichen Beschreibung angegeben, dass: "Die erfindungsgemäßen Arzneimittelformulierungen enthalten zwischen 45 Gewichts% und 100 Gewichts% Wirkstoff, vorzugsweise zwischen 75 Gewichts% und 100 Gewichts% und besonders bevorzugt zwischen 85 Gewichts% und 100 Gewichts% Wirkstoff" (Hervorhebung hinzugefügt); dagegen beträgt in den Ansprüchen 1 bis 3 gemäß Hauptantrag, auf die Anspruch 4 rückbezogen ist, der Wirkstoffgehalt an Thioctsäure mehr als 45, 75 bzw. 85 Gew.-%.
In Anbetracht dieser unterschiedlichen Offenbarungen kann die Beschreibung in der ursprünglich eingereichten Fassung keine ausreichende Stütze für Anspruch 4 des Hauptantrags bieten.
Zusammenfassend wird daher festgestellt, dass der Gegenstand von Anspruch 4 gemäß dem Hauptantrag nicht unmittelbar und eindeutig aus den ursprünglich eingereichten Unterlagen hervorgeht.
Da über einen Antrag nur als Ganzes entschieden werden kann, ist der Hauptantrag somit insgesamt wegen Verstoß gegen Artikel 123(2) EPÜ nicht gewährbar.
3.1.2 Die Kammer kann sich den Argumenten der Beschwerdeführerin aus folgenden Gründen nicht anschließen:
Wie unter Punkt 3.1.1 schon dargelegt wurde, enthält der ursprünglich eingereichte Anspruchsatz zwei unabhängige Verfahrensansprüche 7 und 13, die unterschiedliche Verfahrensmerkmale enthalten. Dies spiegelt sich im übrigen auch in dem entsprechenden erteilten Anspruchsatz wider.
Wie bereits betont, ist der Anspruch 13 bezüglich der herzustellenden Produkte sehr allgemein abgefasst. Zudem ist dieser Anspruch nicht der einzige unabhängige Verfahrensanspruch. Unter diesen Umständen und in Anbetracht der Tatsache, dass der Anspruch 7 bereits explizit ein Verfahren zur Herstellung von bestimmten Arzneimittelformulierungen, enthaltend bestimmte Wirkstoffe, offenbart, ist für den Fachmann kein eindeutiger Bezug zwischen Verfahrensanspruch 13 und den Produktansprüchen 1 bis 3 zu erkennen.
Der Beschwerdeführerin kann daher nicht darin gefolgt werden, dass die nun beanspruchte Merkmalskombination gemäß Anspruch 4 den Ansprüchen in der ursprünglich eingereichten Fassung unmittelbar und eindeutig zu entnehmen ist.
Auch kann der Verweis der Beschwerdeführerin auf Seite 5 der ursprünglichen Beschreibung den Einwand unter Artikel 123(2) EPÜ nicht beseitigen, da, wie unter Punkt 3.1.1 schon erläutert wurde, die Angaben in der Beschreibung an dieser Stelle in mehrfacher Hinsicht von denen in dem Anspruch 4 des Hauptantrags abweichen.
3.2 Verfahrensansprüche gemäß Hilfsanträgen II und III
Die Begründung unter Punkt 3.1 gilt gleichermaßen für die Verfahrensansprüche 2 bzw. 1 gemäß den Hilfsanträgen II bzw. III, da diese jeweils alle die für die vorgebrachte Argumentation relevanten Merkmale des Anspruchs 4 gemäß Hauptantrag enthalten.
Folglich sind die Hilfsanträge II und III wegen Verstoßes gegen Artikel 123(2) EPÜ ebenfalls nicht gewährbar.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.