T 0319/05 26-06-2007
Download und weitere Informationen:
Anordnung zur Signalübertragung zwischen einer Geberstelle und einer Empfangsstelle
Endress + Hauser GmbH + Co.KG
Endress + Hauser (Deutschland) Holding GmbH
Zulässigkeit des neuen Hauptantrags (nein)
Unzulässige Erweiterung - Hilfsantrag (ja)
Offenbarung der Erfindung - (nein)
I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung über die Aufrechterhaltung des europäischen Patents Nr. 0 883 097 in geändertem Umfang.
II. In der angefochtenen Entscheidung wird u.a. festgestellt, dass das Streitpatent die Erfindung so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen kann, und die im geänderten Anspruch 1 hinzugefügte Serienschaltung von dem Abwärts-Schaltregler (36) und der steuerbare Stromquelle (32) ursprünglich offenbart ist. Als Stand der Technik wird u.a. das Dokument:
D2: DE-A-39 34 007
berücksichtigt.
III. Mit Schreiben vom 26. September 2006 wurden die Parteien zur mündlichen Verhandlung geladen. In einer Anlage zur Ladung wurde eine vorläufige Stellungnahme der Kammer zum aufrechterhaltenen Patent (seinerzeit dem geltenden Antrag des Beschwerdegegners) abgegeben. Es wurde den Verfahrensbeteiligten u.a. mitgeteilt, dass ein im Anspruch 1 hinzugefügtes Merkmal, nämlich "ein Regler, dessen Eingänge in Serie zu der Stromquelle angeordnet sind", über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehen könnte, und dass die Erfindung, insbesondere die im geänderten Anspruch 1 genannte Spannungsquelle, möglicherweise nicht so vollständig offenbart wäre, dass ein Fachmann sie ausführen könnte. Die Parteien wurden aufgefordert, etwaige neue Eingaben mindestens einen Monat vor der mündlichen Verhandlung vorzulegen.
IV. Während der mündliche Verhandlung vor der Kammer, die am 26. Juni 2007 stattfand, wurde von der Beschwerdegegnerin ein Anspruch 1 eines neuen Hauptantrags überreicht.
V. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.
VI. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte, das Patent auf der Grundlage des in der mündlichen Verhandlung eingereichten Hauptantrags aufrechtzuerhalten; hilfsweise, die Beschwerde zurückzuweisen.
VII. Anspruch 1 gemäß dem Hauptantrag der Beschwerdegegnerin lautet wie folgt:
"Anordnung zur Signalübertragung zwischen einer Geberstelle (10) und einer Empfangsstelle (12), die miteinander durch eine Zweidrahtleitung (14) verbunden sind, über die ein zwischen zwei Grenzwerten veränderlicher analoger Signalstrom (IS) übertragen wird, der einen in der Geberstelle (10) von einem Sensor (16) erfassten Messwert repräsentiert und den für den Betrieb der Geberstelle (10) erforderlichen Versorgungsstrom bildet, wobei die Geberstelle (10) eine Schaltung (36) aufweist, die eine konstante Betriebsspannung für die Geberstelle (10) erzeugt und wobei in der Geberstelle (10) eine steuerbare Stromquelle (32) vorgesehen ist, die den über die Zweidrahtleitung (14) fließenden Strom in Abhängigkeit von dem Messwert bestimmt, wobei die die Betriebsspannung für die Geberstelle (10) erzeugende Schaltung (36) ein Abwärts-Schaltregler ist, und wobei in der Geberstelle (10) eine Spannungsquelle (34) vorgesehen ist, deren Ausgangsspannung die Eingangsspannung des Abwärts-Schaltregelers (36) bildet, dadurch gekennzeichnet,
dass es sich bei der Spannungsquelle (34) um eine steuerbare Spannungsquelle (34) handelt, deren Ausgangsspannung sich entgegengesetzt zum Signalstrom ändert."
VIII. Anspruch 1 gemäß dem Hilfsantrag, d.h. Anspruch 1 in der durch die Einspruchsabteilung gebilligten Fassung des Patents, unterscheidet sich vom Anspruch 1 des Hauptantrags lediglich durch die Einfügung von "dessen Eingänge in Serie zu der Stromquelle (32) angeordnet sind" zwischen "wobei die die Betriebsspannung für die Geberstelle (10) erzeugende Schaltung (36) ein Abwärts-Schaltregler ist," und "und wobei in der Geberstelle (10) eine Spannungsquelle (34) vorgesehen ist".
IX. Die Beschwerdeführerin argumentierte im wesentlichen wie folgt:
Der neue Hauptantrag der Beschwerdegegnerin sei erst während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer überreicht worden. In dem Ladungsbescheid sei mitgeteilt worden, dass das im aufrechterhaltenen Anspruch 1 hinzugefügte Merkmal unzulässig sei, und eine Frist auf einen Monat vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung festgesetzt worden sei, um neue Eingaben vorzulegen. Der neue Hauptantrag, der ohne triftige Gründe nach diesem Zeitpunkt eingereicht worden sei, sei als verspätet zurückzuweisen. Der durch Streichung eines einschränkenden Anspruchsmerkmals geänderte Anspruch 1 gemäß dem Hauptantrag müsse auch zurückgewiesen werden, weil die Einsprechende und alleinige Beschwerdeführerin, sollte dem Antrag entsprechen werden, schlechtergestellt wäre, als wenn sie keine Beschwerde eingelegt hätte.
Eine Serienschaltung von der Stromquelle 32 und dem Schaltregler 36 sei in der ursprünglich eingereichten Patentanmeldung nicht offenbart. Damit zwei Elemente eine Serienschaltung darstellten, müsse durch beide Elemente der gleiche Strom fließen, was bei den in den Figuren 1 und 3 des Streitpatents dargestellten Anordnungen nicht der Fall sei. Sowohl bei der Anordnung nach Figur 1 als auch bei der Anordnung nach Figur 3 seien die Spannungsquelle 34 und der Abwärts-Schaltregler 36 parallel geschaltet und die Parallel-schaltung dieser beiden Elemente sei in Serie zu der Stromquelle angeordnet. Daher gehe der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß dem Hilfsantrag über den Inhalt der dem Patent zugrundeliegenden Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus.
Ein konkretes Schaltungsbeispiel für die Spannungsquelle 34 sei im Streitpatent nicht angegeben. Die Spannungsquelle 34, die die verfügbare Leistung am Schaltregler erhöhen solle, müsse die dazu nötige Energie aber irgendwoher beziehen. Da die Geberstelle keine Energiequelle enthalte, sei die Spannungsquelle 18 in der Empfangsstelle die einzige Energiequelle. Es sei aber nicht offenbart, wie die Spannungsquelle 34 diese Energie aus der Empfangsstelle entnehmen könne. Ein Fachmann mit durchschnittlichem Können könne aber, ohne selbst erfinderisch tätig zu werden, mit der Offenbarung des Streitpatents die Spannungsquelle 34 nicht verwirklichen. Die Erfordernisse des Artikels 83 EPÜ seien daher nicht erfüllt.
X. Die Beschwerdegegnerin argumentierte im wesentlichen wie folgt:
Der neue Hauptantrag sei nicht als verspätet anzusehen, weil ein neuer Vertreter erst kürzlich den Fall übernommen habe und es nicht möglich gewesen sei, den Anspruch 1 gemäß dem neuen Hauptantrag vor Ablauf der anberaumten Frist einzureichen.
Das im dem aufrechterhaltenen Streitpatent aufgenommene Merkmal sei in der angefochtenen Entscheidung von der Einspruchsabteilung als gewährbar erachtet worden. Wenn das hinzugefügte Merkmal jetzt im Beschwerdeverfahren als unzulässig betrachtet werde, sollte der Patentinhaberin die Möglichkeit gegeben werden, dieses Merkmal zu streichen, um den Widerruf des Patents zu vermeiden. Es wäre unbillig, dem Patentinhaber nicht die Gelegenheit zu geben, die Folgen einer Fehleinschätzung der Einspruchsabteilung zu korrigieren.
Die Serienschaltung von dem Schaltregler 36 und der steuerbaren Stromquelle 32 sei in den Figuren 1 und 3 des Streitpatents offenbart. Die Spannungsquelle 34 werde so angesteuert, dass normalerweise der gesamte von der Stromquelle 32 gelieferte Signalstrom Is über den Schaltregler 36 fließe. Dies sei für den Fachmann nachvollziehbar, so dass eine Serienschaltung von der Stromquelle und dem Schaltregler vorliege. Diese Serienschaltung sei ein Merkmal, das keine Rolle für die Beurteilung der Neuheit und erfinderischen Tätigkeit spiele. Die Hinzufügung dieses Merkmals im erteilten Anspruch 1 sei daher nicht als eine unzulässige Erweiterung des Gegenstands des Streitpatents anzusehen.
Aktive Zenerdioden seien zum Anmeldezeitpunkt des Streitpatents bekannt gewesen. Der Fachmann wisse auch, wie eine steuerbare Spannungsquelle gemäß Anspruch 1 des Patents, deren Ausgangsspannung sich entgegengesetzt zum Signalstrom ändert, zu verwirklichen sei. Zum Beispiel sei in dem in der Patentanmeldung genannten Dokument D2 eine Schaltung mit einer solchen steuerbaren Spannungsquelle offenbart. Die im Anspruch 1 angegebene Erfindung sei daher so deutlich and vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen könne.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
Hauptantrag der Beschwerdegegnerin - Zulässigkeit
2. Der Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag unterscheidet sich vom Anspruch 1 des von der Einspruchsabteilung aufrechterhalten Patents durch das Streichen des Merkmals "dessen Eingänge in Serie zu der Stromquelle (32) angeordnet sind" und wurde erst in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer eingereicht. Er ist aus zwei Gründen nicht zulässig:
3. Grundsätzlich kann eine Beschwerde nicht dazu führen, dass die Beschwerdeführerin im Ergebnis schlechter dasteht, als sie stünde, wenn sie die Beschwerde nicht eingelegt hätte (Verbot der reformatio in peius; vgl. G 9/92 und G 4/93, ABl. 1994, 875). Da die Patentinhaberin keine Beschwerde eingelegt hat, ist sie folglich darauf beschränkt, das Patent in der von der Einspruchsabteilung aufrechterhaltenen Fassung zu verteidigen. Eine eng begrenzte Ausnahme hat die Grosse Beschwerdekammer lediglich für Fälle zugelassen, in denen die Einspruchsabteilung eine unzulässige Änderung gebilligt hat (G 1/99, ABl.2001, 381). In diesen Fällen kann als letztes Mittel eine unzulässige Änderung gestrichen werden, wenn nur so das Patent zu retten ist und die Streichung nicht gegen Artikel 123 (3) EPÜ verstößt. Die Einspruchsabteilung hat zwar im vorliegenden Fall eine unzulässige Änderung gebilligt (siehe Absatz 5.2 infra); dieses Problem könnte jedoch hier durch die Aufnahme zusätzlicher offenbarter Merkmale in den Anspruch 1 gelöst werden, die den Schutzbereich des Patents beschränken würden. Es verbleibt daher auch unter Berücksichtigung der in der Entscheidung G 1/99 aufgestellten Grundsätze dabei, dass das Merkmal nicht gestrichen werden darf.
4. Die Beschwerdeführerin hat schon in der Beschwerdebegründung von Juli 2005 (dort Teil VIII) argumentiert, dass die Aufnahme des oben genannten Merkmals gegen Artikel 123 (2) EPÜ verstoßen habe. Auch die Kammer hat in ihrem der Ladung beigefügten Bescheid vom September 2006 darauf hingewiesen. Auch wenn man die Vorlage eines neuen Hauptantrags als eine Reaktion auf den Bescheid der Kammer ansehen kann, hätte die Patentinhaberin rund acht Monate Zeit gehabt, um geänderte Anträge rechzeitig d.h. spätestens einen Monat vor der mündlichen Verhandlung, einzureichen. Soweit sich die Patentinhaberin zur Entschuldigung der verspäteten Vorlage auf interne Organisationsprobleme in der Firma beruft, kann sie damit nicht gehört werden. Grundsätzlich muss jede Partei sicherstellen, dass ihre interne Organisation funktioniert. Besondere Gründe, die ausnahmsweise eine andere Beurteilung rechtfertigen könnten, hat die Patentinhaberin nicht dargetan.
Hilfsantrag der Beschwerdegegnerin - Unzulässige Erweiterung
5. Anspruch 1 des Hilfsantrags, d.h. Anspruch 1 in der von der Einspruchsabteilung aufrechterhaltenen Fassung des Patents, enthält folgendes, in keinem der erteilten Ansprüche aufgeführtes Merkmal: "dessen Eingänge in Serie zu der Stromquelle (32) angeordnet sind". In der Beschwerdebegründung hat die Beschwerdeführerin u.a. geltend gemacht, dass die Aufnahme des o.g. Merkmals in dem Anspruch 1 des Streitpatents eine unter Artikel 123(2) EPÜ unzulässige Abweichung des in der ursprünglich eingereichten Anmeldung offenbarten Gegenstandes ist.
5.1 Ein Abwärts-Schaltregler, dessen Eingänge in Serie zu der Stromquelle angeordnet sind, ist nicht in der ursprünglich eingereichten Beschreibung offenbart. Aus den Figuren 1 und 3 der Patentanmeldung in Kombination mit der Beschreibung (veröffentliche Anmeldung, Spalte 3, Zeilen 19 bis 23; Spalte 4, Zeilen 24 bis 30) geht hervor, dass die Eingangsspannung für den Schaltregler von einer Spannungsquelle 34 geliefert wird, und dass diese Spannungsquelle, außer einer Steuerklemme nur zwei Klemmen aufweist, die mit den Eingängen des Schaltreglers verbunden sind. Der Signalstrom Is, der durch die steuerbare Stromquelle 32 eingestellt wird, wird an einem ersten Eingang des Schaltreglers 36 zugeführt, der mit einem ersten der zwei Klemmen der Spannungsquelle verbunden ist. Bei der Anordnung nach Figuren 1 und 3 ist somit eine Parallelschaltung der Spannungsquelle 34 und des Schaltreglers 36 in Serie zu der Stromquelle 32 dargestellt.
5.2 Außerdem wird aus der ursprünglich eingereichten Beschreibung nicht klar, wovon die Spannungsquelle, die keine eigene Energiequelle enthält, den für ihren Betrieb erforderlichen Versorgungsstrom bezieht. Weil es für die Spannungsquelle erforderlich ist, Strom mit den anderen Bauelementen der Geberstelle auszutauschen, kann der gesamte von der Stromquelle 32 gelieferte Signalstrom nicht über den Schaltregler fließen. Somit kann nicht der gleiche Strom durch die Stromquelle und den Schaltregler fließen. Es ergibt sich daher nicht aus der Anmeldung, dass die Stromquelle und der Schaltregler eine Serienschaltung darstellen. Darüber hinaus leistet das hinzugefügte Merkmal, das die beanspruchte Anordnung auf eine Längsregelung beschränkt, einen technischen Beitrag. Die Kammer kommt daher zu dem Schluss, dass Anspruch 1 gemäß dem Hilfsantrag über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht und somit gegen Artikel 123 (2) EPÜ verstößt.
6. Im übrigen sind nach Auffassung der Kammer die Erfordernisse des Artikels 83 EPÜ nicht erfüllt.
6.1 In dem Patent wird kein konkretes Ausführungsbeispiel der Spannungsquelle 34 angegeben. Insbesondere wird nicht dargestellt, wie die Ausgangsspannung der symbolisch angezeigten Spannungsquelle 34, d.h. die Eingangsspannung des Reglers 36, entgegengesetzt zum Signalstrom verändert wird, oder wie, zum Beispiel, diese Ausgangsspannung erhöht werden kann. Es ist im Streitpatent auch nicht konkret offenbart, woher die Spannungsquelle, die keine eigene Energiequelle enthält, die nötige Energie, die die verfügbare Eingangsleistung am Schaltregler 36 erhöhen sollte, und den für ihren Betrieb erforderlichen Versorgungsstrom bezieht.
6.2 Die Beschwerdegegnerin hat u.a. geltend gemacht, dass die in der Patentanmeldung genannte Druckschrift D2 dem fachmännischen Leser des Streitpatents zur Erläutern zur Verfügung stand und zur Deutlichkeit und Vollständigkeit dessen Offenbarung beitragen könnte (T 171/84, ABl. 1986, 95, Entscheidungsgründe 5).
6.3 Gemäß der im Streitpatent beschriebenen Erfindung wird die Spannungsquelle zum Zweck einer Optimierung der Leistung am Schaltregler gesteuert. Im Gegensatz dazu wird der in D2 gezeigte Ausgangstransistor 16 als steuerbare Stromquelle beschrieben, und wird dort nicht zum Zweck einer Leistungsoptimierung durch Verändern der Spannung einer Spannungsquelle gesteuert. Somit sieht die Kammer keinen Grund für den Fachmann, eine steuerbare Stromquelle gemäß D2 in Betracht zu ziehen, um die steuerbare Spannungsquelle gemäß dem Streitpatent auszuführen. Das Wissen des Fachmanns reicht daher nicht aus, um die im Streitpatent symbolisch angezeigte Spannungsquelle allein auf Grund der Offenbarung in dem Streitpatent und der im Patent genannten Dokumente ohne zusätzliche Angaben zu implementieren. Die Erfordernisse des Artikels 83 EPÜ sind nicht erfüllt.
7. Bei dieser Sachlage ist die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen. Eine Prüfung des von der Beschwerdeführerin geltend gemachten Einwands mangelnder erfinderischer Tätigkeit erübrigt sich.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.