T 1502/05 15-03-2007
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Weisse, biaxial orientierte Polyesterfolie
Hauptantrag: Klarheit, Neuheit, erfinderische Tätigkeit (ja)
Änderungen: Korrektur nach Regel 88 im Rahmen von Art. 123(2) zulässig
I. Die Beschwerde der Anmelderin Mitsubishi Polyester Film GmbH richtet sich gegen die am 3. Juni 2005 mündlich verkündete und am 29. Juni 2005 schriftlich ergangene Entscheidung der Prüfungsabteilung, die am 17. Juli 2001 eingereichte Europäische Patentanmeldung 01 116 684.0 mit der Veröffentlichungsnummer EP-A 1 176 004 und dem Titel "Weiße, biaxial orientierte Polyesterfolie" zurückzuweisen.
II. Der Entscheidung lagen die Ansprüche 1 bis 7 gemäß Hauptantrag, eingereicht in der mündlichen Verhandlung vom 3. Juni 2005, und die Ansprüche 1 bis 9 gemäß Hilfsantrag, eingereicht mit Schreiben vom 13. Oktober 2003, zugrunde.
Die Ansprüche 1 und 7 gemäß Hauptantrag lauteten:
"1. Weiße, biaxial orientierte Polyesterfolie mit mindestens einer Basisschicht B, die dadurch gekennzeichnet ist, daß
der R-Wert < als 45 daN/mm**(2) und
das emax-Verhältnis < als 2,5 ist und
dass die Gesamtdicke der Polyesterfolie 10 bis 150 mym beträgt und daß sie Füllstoffe in einer Konzentration von mehr als 3 Gew.-%, bezogen auf die Masse der Basisschicht der Folie, enthält."
"7. Verwendung der Folie nach Anspruch 1 als Deckelfolie."
Die Ansprüche 2 bis 6 waren direkt oder indirekt vom Anspruch 1 abhängig.
Die Ansprüche 1 und 9 gemäß Hilfsantrag lauteten:
"1. Weiße, biaxial orientierte Polyesterfolie mit mindestens einer Basisschicht B, die dadurch gekennzeichnet ist, daß
der R-Wert links und rechts < als 45 daN/mm**(2) und
das emax-Verhältnis < als 2,5 ist."
"9. Verwendung einer Folie nach Anspruch 1 als Deckelfolie."
Die Ansprüche 2 bis 8 waren direkt oder indirekt vom Anspruch 1 abhängig.
III. Die Zurückweisung wurde im wesentlichen damit begründet, dass die Ansprüche gemäß Haupt- und Hilfsantrag nicht klar seien und ihr Gegenstand nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.
Die Prüfungsabteilung sah einen wesentlichen Klarheitsmangel darin, dass ein allgemein akzeptierter Standard (gemäß ISO, DIN oder ASTM), insbesondere im Hinblick auf die Konditionierung der Proben hinsichtlich Temperatur und Feuchte, für die Messung der anspruchsgemäßen R-Werte und emax-Verhältnisse fehle.
So sehe Teil I der ISO 527 vor, den Messergebnissen einen Hinweis auf allgemein oder durch Übereinkunft festgelegte Bedingungen der Konditionierung der Proben hinzuzufügen. Da ein solcher Hinweis für die Bestimmung der anspruchsgemäß wesentlichen Parameter "R-Wert" und "emax-Verhältnis" fehle, mangele es den Ansprüchen an Eindeutigkeit im Hinblick auf den zu schützenden Gegenstand.
Für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit wurde die Druckschrift D5 (US-A 5 776 592) als nächstliegender Stand der Technik angesehen.
Die Prüfungsabteilung argumentierte, dass sich D5 mit der erfindungsgemäßen Problematik der Bereitstellung von Polyesterfolien als Deckelfolien für Jogurtbecher befasse und auch bestimmte Folieneigenschaften wie Zugfestigkeit und Reißdehnung als maßgebend für ihre Brauchbarkeit zu diesem Zweck ansehe. Diese Eigenschaften lägen auch den anspruchsgemäßen R-Werten und emax-Verhältnissen zugrunde.
Da sowohl in D5 als auch gemäß der Lehre der Anmeldung die Zug- und Dehnungseigenschaften der Folien im 45º Winkel zur Maschinenrichtung gemessen würden, bestehe ein direkter Zusammenhang zwischen den in D5 genannten Zugfestigkeiten in Längsrichtung (MDTS) und Diagonalrichtung (TS45) und den in den Ansprüchen der Anmeldung genannten Parametern.
Dem Fachmann sei daher die Tatsache geläufig, dass die R-Werte und emax-Verhältnisse in unmittelbarem Zusammenhang mit denjenigen Eigenschaften stehen, die für die Eignung der Folie als Deckelfolie maßgebend sind. Diese Grundvoraussetzungen seien für die transparenten Folien gemäß D5 und die weißen (pigmentierten) Folien gemäß der Anmeldung grundsätzlich gleich. Somit entnehme der Fachmann der Anmeldung allenfalls ein alternatives - jedoch nicht erfinderisches - Testverfahren zur Bestimmung der Brauchbarkeit der Polyesterfolien für Deckel von Jogurtbechern.
IV. Die Neuheit gegenüber D5 und den weiteren im Verfahren zitierten Druckschriften:
D1 WO-A 01/53397
D2 WO-A 01/53395
D3 EP-A 0 942 031
D4 EP-A 0 360 201
wobei D1 und D2 einen Stand der Technik nach Artikel 54 (3) EPÜ repräsentieren, wurde nicht beanstandet. Ebenso wurden D3 und D4 nicht zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit herangezogen.
V. In der mündlichen Verhandlung vom 3. Juni 2005 hatte die Anmelderin den Antrag gestellt, die Maßeinheit für den anspruchsgemäßen R-Wert von "daN/mm**(2)" (dekaNewton pro mm**(2)) im Rahmen einer Korrektur nach Regel 88 EPÜ in "N/mm**(2)" abzuändern. Laut Verhandlungsprotokoll war dies damit begründet worden, dass es sich bei der Einheit "daN/mm**(2)" um einen offensichtlichen Fehler handle. Der Fachmann wisse auch sofort, dass R-Werte von weißen biaxial orientierten Folien größenordnungsmäßig um eine Zehnerpotenz niedriger liegen müssen.
Dem Antrag war nicht stattgegeben worden, da nach Ansicht der Prüfungsabteilung nicht ausreichend belegt worden war, dass der Fehler offensichtlich sei und eindeutig erkennbar sei, dass nichts anderes als die vorgeschlagene Berichtigung beabsichtigt sein konnte.
VI. Die Beschwerde der Anmelderin (nachfolgend: Beschwerdeführerin) wurde am 30. Juli 2005 eingelegt. Mit der am 8. November 2005 eingereichten Beschwerdebegründung wurden vier neue Anspruchssätze gemäß Hauptantrag und den Hilfsanträgen 1 bis 3 vorgelegt. In den Ansprüchen 1 gemäß Hauptantrag und Hilfsantrag 2 war für den R-Wert der beanspruchten Folie die ursprünglich offenbarte Einheit "daN/mm**(2)" in "N/mm**(2)" geändert worden. Diese Änderung unterblieb jedoch in den Verwendungsansprüchen 7 beider Anträge.
Die Ansprüche 1 und 7 gemäß Hauptantrag lauteten nunmehr wie folgt:
"1. Weiße, biaxial orientierte Polyesterfolie mit einer Gesamtdicke von 10 bis 150 mym, mit mindestens einer Basisschicht B, die dadurch gekennzeichnet ist, daß sie Füllstoffe in einer Konzentration von mehr als 3 Gew.-%, bezogen auf die Masse der Basisschicht der Folie, enthält,
der R-Wert links und rechts < als 45 N/mm**(2) und
das emax-Verhältnis < als 2.5 ist."
"7. Verwendung einer weißen, biaxial orientierten Polyesterfolie mit mindestens einer Basisschicht B, wobei
der R-Wert links und rechts < als 45 daN/mm**(2) und
das emax-Verhältnis < als 2.5 ist,
als Deckelfolie."
Die Ansprüche 2 bis 6 blieben gegenüber den Ansprüchen 2 bis 6 des der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegenden Hauptantrags unverändert.
Da die Hilfsanträge 1 bis 3 für den Ausgang des Beschwerdeverfahrens keine Rolle spielen, wird darauf nicht näher eingegangen.
Bezüglich der Änderung der Einheit "daN/mm**(2)" in "N/mm**(2)" brachte die Beschwerdeführerin vor, dass der Fachmann sofort erkenne, dass Polyesterfolien für den vorgesehenen Einsatzzweck als Deckelfolien für Jogurtbecher niemals Zugspannungen in der Größenordnung um 40 daN/mm**(2) aufweisen könnten, da diese üblicherweise um den Faktor 10 niedriger lägen. Aus den Zahlenwerten in der Beschreibung und den Beispielen habe der Fachmann daher sofort erkennen können, dass entweder "N/mm**(2)" gemeint war oder das Dezimalkomma (4,0 daN/mm**(2) anstelle von 40 daN/mm**(2), Anmerkung der Kammer) vergessen worden sei. Die Voraussetzungen für eine Korrektur nach Regel 88 EPÜ seien daher gegeben.
VII. Am 16. Januar 2007 erließ die Kammer einen Bescheid, in dem unter anderem beanstandet wurde, dass geeignete Beweismittel für das, was am Anmeldetag allgemeines Fachwissen war und dafür, dass dem Fachmann unmittelbar klar war, dass die in den ursprünglichen Unterlagen angegebenen R-Werte um den Faktor 10 niedriger sein müssen, im Sinne der Entscheidungen G 3/89 und G 11/91 derzeit nicht vorlägen. Die Einreichung geeigneter Beweismittel, rechtzeitig vor der anberaumten mündlichen Verhandlung, wurde anheim gestellt. Auf die ursprünglich offenbarte Gleichung zur Bestimmung der R-Werte über die Zugspannungen: R = 1/3x(sigma30% - sigma0.2%) als möglichen Ansatzpunkt für eine geeignete Beweisführung wurde hingewiesen.
VIII. In Beantwortung des Bescheids der Kammer legte die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 15. Februar 2007 zum Nachweis des allgemeinen Fachwissens Dokumente vor, die sich aus Patentliteratur, Lexikaexzerpten und einer Firmenbroschüre zusammensetzten.
Ferner wurde mit selbem Schreiben eine Erklärung von Frau Cynthia Bennett vom 15. Februar 2007 eingereicht.
IX. Die mündliche Verhandlung vor der Kammer fand am 15. März 2007 statt, in der zunächst die Klarheit der Ansprüche gemäß Hauptantrag diskutiert wurde. Daraufhin reichte die Beschwerdeführerin Ansprüche 1 bis 7 mit Änderungen in den Ansprüchen 1 und 7 als Basis für einen neuen Hauptantrag ein. Die geänderten Ansprüche 1 und 7 lauteten wie folgt:
"1. Weiße, biaxial orientierte Polyesterfolie mit einer Gesamtdicke von 10 bis 150 mym, mit mindestens einer Basisschicht B, die dadurch gekennzeichnet ist, daß
sie Füllstoffe in einer Konzentration von mehr als 3 Gew.-%, bezogen auf die Masse der Basisschicht der Folie, enthält,
der R-Wert links und rechts < als 45 N/mm**(2) und
das emax-Verhältnis < als 2.5 ist,
wobei der R-Wert = 1/3x(sigma30% - sigma0.2%) in N/mm**(2) und
sigma30% die Zugspannung in der Folie bei 30% Dehnung, gemessen unter 45º zur Maschinenrichtung (MD), einmal zur linken und einmal zur rechten Seite der MD-Richtung und
sigma0.2% die Zugspannung in der Folie bei 0.2% Dehnung, gemessen unter 45º zur Maschinenrichtung (MD), einmal zur linken und einmal zur rechten Seite der MD-Richtung und
das emax-Verhältnis = epsilonlinks/epsilonrechts oder epsilonrechts/epsilonlinks (wobei das Verhältnis definitionsgemäß immer >1 ist) und wobei
epsilonlinks die Reißdehnung der Folie unter 45º zur MD, links ist und
epsilonrechts die Reißdehnung der Folie unter 45º zur MD, rechts ist."
"7. Verwendung einer weißen, biaxial orientierten Polyesterfolie gemäß Anspruch 1 mit mindestens einer Basisschicht B, wobei
der R-Wert links und rechts < als 45 N/mm**(2) und
das emax-Verhältnis < als 2.5 ist,
als Deckelfolie."
X. Die mündlich und schriftlich vorgetragenen Argumente der Beschwerdeführerin zur Klarheit der Ansprüche, zur Änderung der Einheit "daN/mm**(2)" in "N/mm**(2)" und zur erfinderischen Tätigkeit gegenüber D5 lassen sich wie folgt zusammenfassen:
a) Klarheit - Artikel 84 EPÜ
Die Messung der anspruchsgemäßen Folienparameter sei unter Anwendung der DIN Norm für die Bestimmung von Zugeigenschaften von Kunststoffen erfolgt. Was die Konditionierung der Proben angehe, sei gemäß der ISO 527, Teil 1 ein Hinweis auf allgemein oder durch Übereinkunft festgelegte Bedingungen der Konditionierung der Proben nur dann vorgesehen, wenn dies von der internationalen Norm für den Werkstoff verlangt werde. Der Beschwerdeführerin sei jedoch ein solches Erfordernis für Polyesterfolien nicht bekannt. Vielmehr würden gemäß Punkt 2 der ISO 527, Teil 1, in Verbindung mit den Punkten 8 und 9 der ISO 527 für die Bestimmung der Zugeigenschaften die Normalklimate für Konditionierung und Prüfung gemäß ISO 291 gelten. Genau diese Bedingungen seien bei den Messungen eingehalten worden. Es mache auch keinen Sinn, Deckelfolien von Jogurtbechern unter extremen Bedingungen zu testen, wenn sie ihre praktische Brauchbarkeit bei Umgebungstemperaturen, bei denen Jogurtbecher vom Verbraucher geöffnet werden, unter Beweis stellen sollen. Messwertschwankungen im Bereich um Raumtemperatur seien zudem - wenn überhaupt feststellbar - von völlig untergeordneter Bedeutung.
Die Problematik der Konditionierung sei darüber hinaus für die Bestimmung des emax-Verhältnisses bedeutungslos, da es hierbei sich um ein Verhältnis von Zugkräften handle, und sich eventuelle Messwertabweichungen bei der Verhältnisbildung herauskürzten.
b) Änderungen - Artikel 123 (2)/Regel 88 EPÜ
Obwohl die mit Schreiben vom 15. Februar 2007 eingereichten Dokumente keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben, dokumentierten sie die volle Breite der biaxial orientierten Polyesterfolien und das Wissen des Fachmanns, in welcher Größenordnung sich Zugspannungen von handelsüblichen Polyesterfolien bewegten. Die Erklärung von Frau Bennet, einer Fachfrau auf dem Gebiet der Polyesterfolien, zeige, wie ein Fachmann die den R-Wert betreffenden Passagen der Anmeldung lese und dass er zu dem Schluss kommen musste, dass nichts anderes als "N/mm**(2)" gemeint sein konnte.
c) Erfinderische Tätigkeit - Artikel 56 EPÜ
Entgegen der Auffassung der Prüfungsabteilung bestehe die Aufgabe der Erfindung darin, weiße, pigmentierte Folien bereitzustellen, die sie gezielt für den Einsatz als Deckelfolien geeignet machten. Die Eignung der Folien werde dabei bestimmt durch eine verringerte Tendenz zum Einreißen und Delaminieren während des Abziehens der Deckelfolie vom Jogurtbecher im Winkel von 45º.
Zwar betreffe D5 ebenfalls Deckelfolien, die sich zum Verschließen von Jogurtbechern eigneten. Dabei müsse jedoch bedacht werden, es sich dabei um transparente Folien handle, so dass sich einige der in D5 angegebene Eignungstests, wie die Bestimmung der planaren Doppelbrechung DeltaP und der Kristallinität, bei weißen, nicht mehr transparenten, Folien gar nicht anwenden ließen.
Zudem stelle die Einarbeitung von Weißpigmenten in die erfindungsgemäßen Folien einen Eingriff in die mechanischen Eigenschaften der Folie dar, der eine Spezifizierung geeigneter erfindungsgemäßer weißer Deckelfolien durch die mechanischen Parameter der transparenten Folien gemäß D5 nicht zulasse. So seien die in D5 bestimmten mechanischen Folieneigenschaften nicht konsequent in 45º-Richtung bestimmt worden, sondern resultierten aus einer Überlagerung von zwei Zugspannungswerten (Summe aus Zugspannung in Maschinenrichtung, MDTS, und im 45º-Winkel zur Maschinenrichtung, TS45). Solche Werte seien jedoch zur Bestimmung der Delaminationskraft bei weißen Folien in 45º-Richtung unbrauchbar.
Es sei daher aus D5 nicht nahegelegt, dass weiße Folien dann als Deckelfolien geeignet sind, wenn ihr R-Wert und ihr emax-Verhältnis - wobei beide Parameter konsequent im Winkel von 45º zur Maschinenrichtung mittels Zugspannungs- beziehungsweise Reißdehnungsmessungen bestimmt würden - in den beanspruchten Wertebereichen von < 45 N/mm**(2) beziehungsweise < 2.5 liegen.
XI. Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und ein Patent auf Basis der Ansprüche 1 bis 7 gemäß Hauptantrag vom 15. März 2007 zu erteilen.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Änderungen - Artikel 123 (2) EPÜ
2.1 Korrektur nach Regel 88 EPÜ
Die in die Ansprüchen 1 und 7 des Hauptantrags eingeführte Einheit "N/mm**(2)" für den R-Wert der Folie hat in den Ursprungsunterlagen keine Basis. Stattdessen findet man in den gesamten Unterlagen die Einheit "daN/mm**(2)" (dekaN/mm**(2)), das heißt jeder in den Ursprungsunterlagen genannte R-Wert ist um den Faktor 10 höher als es der entsprechende Wert unter Berücksichtigung der geänderten Einheit wäre.
Es ist daher zu untersuchen, ob die Einführung der Einheit "N/mm**(2)" anstelle von "daN/mm**(2)" und die damit einhergehende Erniedrigung der R-Werte um den Faktor 10 eine im Rahmen von Artikel 123 (2) EPÜ zulässige Änderung darstellt. Dies kann nur dann der Fall sein, wenn die Änderung im Rahmen von Regel 88 EPÜ das Erfordernis einer offensichtlichen Berichtigung erfüllt, das heißt, wenn sofort erkennbar ist, dass nichts anderes beabsichtigt sein konnte als das, was als Berichtigung vorgeschlagen wird. Der Fachmann musste also am Anmeldetag der Gesamtheit der Unterlagen unter Hinzuziehung seines Fachwissens objektiv und eindeutig entnehmen können, dass alle offenbarten R-Werte um den Faktor 10 niedriger sein müssen (G 3/89 und G 11/91, OJ 1993, 117 und OJ 1993, 125).
Da gemäß den Anmeldeunterlagen (Seite 17, Absatz 1) die R-Werte über die Messung von Zugspannungen der Folien bestimmt werden, ist zunächst das allgemeine Wissen des Fachmanns über die Größenordnung von Zugfestigkeiten gereckter Polyesterfolien zu ermitteln. Auf dieser Basis ist dann zu prüfen, ob für den Fachmann die Unrichtigkeit der in der Anmeldung offenbarten R-Werte offensichtlich war und ob die Anmeldeunterlagen Informationen enthalten, die den Fachmann eindeutig zu den berichtigten R-Werten führen.
a) Das allgemeine Fachwissen
Als Beleg für das Wissen des Fachmanns über die Größenordnung von Zugfestigkeiten wurden von der Anmelderin folgende Dokumente eingereicht:
K1 WO-A 01/53395, Seite 3, Absatz 4, Beispiele;
K2 WO-A 01/53397, Seite 2, letzter Absatz, Beispie-
le;
K3 EP-A 0 605 130, Seite 5, Zeile 46, Beispiele;
K4 US-A 5 776 592, Tabelle 3;
K5 EP-B 0 049 108, Seite 10, Tabelle IV; Seite 11,
Tabelle V;
K6 EP-B 0 581 970, Beispiele, Seiten 15-19,
Tabellen 1-5;
K7 US-A 6 855 758, Spalte 4, Zeilen 12-14, Beispie-
le, Tabellen 1-3;
K8 EP-B 0 386 707, Seite 9, Tabelle 1;
K9 EP-A 1 418 195, Paragraph [0045], Tabelle;
K10 EP-B 1 276 794, Paragraph [0014], Beispiele, Tabelle;
K11 Encyclopedia of Polymer Science and Engineering, vol. 12, 2nd Edition, pages 193-216;
K12 Ullmann's Encyclopedia of Industrial Chemistry, vol. A11, 5th Edition, pages 85-111;
K13 Hostaphan® Product Data Sheet Mitsubishi Polyester Film, 12/98.
Aus den angegebenen Fundstellen der Dokumente lässt sich - nach teilweiser Umrechung von anderen Einheiten (kg/mm**(2), psi; K3 - K6, K8, K13) in N/mm**(2) - ableiten, dass die Reißfestigkeiten beziehungsweise die maximalen Zugspannungswerte biaxial orientierter Polyesterfolien im Bereich zwischen 80 und 280 N/mm**(2) liegen.
Die Daten aus der Patentliteratur - soweit sie vorveröffentlicht ist (K3 - K8) - werden dabei von denen aus den Lexikaexzerpten/Produktblättern K11 - K13 gestützt, so dass es nach Überzeugung der Kammer am Anmeldetag allgemeines Fachwissen war, dass sich die Zugfestigkeitswerte von Polyesterfolien, ausgedrückt in N/mm**(2), im oberen zweistelligen oder im dreistelligen Bereich mit einem Maximum um 300 bewegen.
In der Erklärung von Frau Bennet vom 15. Februar 2007 (Punkte 11 und 13) wurde dargelegt und vom technischen Experten in der mündlichen Verhandlung bestätigt, dass die Einheit "daN/mm**(2)" im Stand der Technik zur Charakterisierung von Zugfestigkeiten unüblich sei. Im metrischen System würde stattdessen die Einheit "N/mm**(2)" verwendet, für die der Fachmann Werte von 200, 250 oder 280 für Zugfestigkeiten erwarten würde.
Diese Ausführungen sind mit dem in den obigen Dokumenten K3 - K13 dargelegten allgemeinen Fachwissen konsistent.
b) Die offensichtliche Unrichtigkeit der in den Anmeldeunterlagen offenbarten R-Werte
Der Fachmann erfährt aus der Anmeldung, dass die R-Werte über die Messung der Zugspannung der Folie bestimmt werden, wobei gemäß der Gleichung auf der Seite 17 der Ursprungsunterlagen:
R-Wert = 1/3x(sigma30% - sigma0.2%)
die Differenz aus der Zugspannung bei 30% Dehnung und der Zugspannung bei 0,2% Dehnung gebildet und der Differenzwert durch drei dividiert wird. Somit würde der Fachmann auf Basis seines allgemeinen Fachwissens erwarten, dass sich die R-Werte in einem Bereich von etwa einem Drittel der normalen Zugfestigkeitswerte von Polyesterfolien bewegen, also im zweistelligen Bereich - ausgedrückt in N/mm**(2).
Demgegenüber nennen die ursprünglichen Ansprüche 1 und 2 R-Werte von < 45 und < 42 daN/mm**(2) (entspricht <450 beziehungsweise 420 N/mm**(2)) und stützen damit die Werte von 39 und 38 daN/mm**(2) (390 und 380 N/mm**(2)) für die Filme gemäß den erfindungsgemäßen Beispielen 1 und 2 (siehe Tabelle 2). Da die R-Werte aber gemäß obiger Gleichung weniger als ein Drittel einer Differenz von Zugspannungswerten sein soll, ist dem Fachmann daher sofort klar, dass einem R-Wert um 400 N/mm**(2) unrealistisch hohe Zugspannungen von etwa 1200 N/mm**(2) zugrunde gelegt werden müssten, was dem zehnfachen eines gängigen Zugspannungswertes von 120 N/mm**(2) entspräche.
Ein um den Faktor 10 niedrigerer Zugspannungswert von 120 N/mm**(2) wäre jedoch eine realistische und mit dem Kenntnisstand des Fachmanns über Zugeigenschaften von Polyesterfolien zu vereinbarende Grundlage für R-Werte um 40 N/mm**(2).
c) Berichtigung der R-Werte
Aus a) und b) ergibt sich folgender Sachverhalt:
- Es ist Fachwissen, dass Zugspannungswerte von biaxial orientierten Polyesterfolien zwischen etwa 80 und 300 N/mm**(2) liegen. R-Werte liegen bei etwa einem Drittel der Zugspannungswerte.
- Die Einheit "daN/mm**(2)" für Zugspannungswerte ist unüblich. "N/mm**(2)" ist die übliche, im SI System verwendete Maßeinheit. Beide Einheiten unterscheiden sich um den Faktor 10.
- Um eine Zehnerpotenz unterscheiden sich auch die in den Anmeldeunterlagen offenbarten R-Werte um 40 daN/mm**(2) (400 N/mm**(2)) denen eine unrealistische Zugspannung von 1200 N/mm**(2) zugrunde liegt und die berichtigten R-Werte um 40 N/mm**(2), die aus einer realistischen und mit dem Fachwissen zu vereinbarenden Zugspannung von 120 N/mm**(2) resultieren.
Somit ist klar, dass in der vorliegenden Anmeldung ein offensichtlicher Irrtum in der Dezimalstelle vorliegt, den der Fachmann eindeutig erkennen und wie vorgeschlagen berichtigen würde.
Die Berichtigung von "daN/mm**(2)" in "N/mm**(2) stellt daher eine Änderung dar, die nicht über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Anmeldung hinausgeht.
2.2 Weitere Änderungen
Die weiteren Änderungen, insbesondere die Angabe der Konzentration der Füllstoffe und die Aufnahme der Messmethoden für den R-Wert und das emax-Verhältnis sind den Ursprungsunterlagen zu entnehmen (Seite 8, Zeilen 15 bis 18 sowie die Seiten 17 und 18).
3. Klarheit - Artikel 84 EPÜ
Nach Aufnahme der Messverfahren für den R-Wert und das emax-Verhältnis in den Anspruch 1 und der Rückbeziehung des Anspruchs 7 auf den Anspruch 1 erfüllen die Ansprüche gemäß Hauptantrag die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ.
Was die von der Prüfungsabteilung beanstandeten fehlenden Angaben über die Konditionierung der Proben während der Messung der anspruchsgemäßen Parameter anbelangt, hat die Beschwerdeführerin überzeugend argumentiert (siehe Punkt X a)), dass dem Fachmann das Erfordernis, die Messungen der den Parametern zugrunde liegenden Zugspannungen unter normalen Klimabedingungen, bei denen die beanspruchten Folien auch benutzt werden, durchzuführen, unmittelbar klar war. Im Übrigen wurden, wie aus den Ursprungsunterlagen hervorgeht (Seite 17, Zeilen 1-5; Seite 18, Zeilen 1-3) für die Dehnungsmessungen übliche Zug-Dehnungsmessgeräte der Firma Zwick oder Instron verwendet und es ist davon auszugehen, dass der Fachmann mit dem Gebrauch dieser Geräte vertraut ist.
4. Neuheit
Die Neuheit der beanspruchten Folien wurde während des Prüfungsverfahrens und in der angefochtenen Entscheidung nicht mehr beanstandet, nachdem die Anmelderin mit Schreiben vom 13. Oktober 2003 (Seite 3) dargelegt hatte, dass D1 bis D4 keine weißen Folien mit den beanspruchten Parametern - weder explizit noch implizit - beschreiben.
Die Beschwerdeführerin hatte zudem in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer mit Verweis auf Seite 12 der Ursprungsunterlagen nochmals betont, dass es bei der Einhaltung der Parameter auf eine gewisse Ausgewogenheit der Strecktemperaturen und Streckverhältnisse in Längs- und Querrichtung in Verbindung mit der Optimierung der Anlagenparameter ankomme, auf die in D1 bis D4 nicht hingewiesen werde.
Die Kammer sieht keinen Anlass, die Ausführungen der Beschwerdeführerin und damit die Neuheit des beanspruchten Gegenstandes gegenüber D1 bis D4 in Zweifel zu ziehen.
Die Neuheit des beanspruchten Gegenstandes gegenüber D5 steht außer Zweifel, da es sich bei den Folien gemäß D5 um transparente Folien handelt, in denen der Füllstoffgehalt deutlich unter der anspruchsgemäßen Untergrenze von 3 Gew.-% liegt (D5, Spalte 4, Zeilen 31-42).
5. Erfinderische Tätigkeit
5.1 Der Anmeldungsgegenstand
Die Anmeldung betrifft weiße, pigmentierte, biaxial orientierte Polyesterfolien, die sich insbesondere als Deckelfolien für Jogurtbecher eignen. Gemäß Seite 3, Paragraph [0007] der A-Veröffentlichung EP 1 176 004 werden an Deckelfolien besondere Anforderungen gestellt: Sie sollen einerseits aus Kostengründen möglichst dünn sein, dürfen andererseits aber beim Abziehen des Deckels vom Jogurtbecher - das üblicherweise im Winkel von 45º relativ zur Maschinenrichtung bei der Herstellung und Bedruckung der Filmrollen erfolgt - weder einreißen noch delaminieren. Pigmentierte Folien neigen jedoch stärker zum Einreißen und Delaminieren als transparente Folien, da sich durch das Einarbeiten von Pigmenten Schwachstellen in der Folie bilden, an denen die Zerstörung des Deckels beim Abziehen vom Becher beginnt.
Gemäß Paragraph [0008] der A-Veröffentlichung zeichnen sich die erfindungsgemäßen weißen Folien durch gute Verarbeitbarkeit und gutes Abziehverhalten im 45º Winkel vom Becher ohne Delaminierung und Ein- beziehungsweise Weiterreißen sowie durch wirtschaftliche Herstellbarkeit aus.
5.2 Der nächstliegende Stand der Technik
Als geeigneter Ausgangspunkt für die Betrachtung der erfinderischen Tätigkeit ist die Druckschrift D5 anzusehen, da diese ebenfalls Polyesterfolien betrifft, die für Verschlüsse von Bechern für Nahrungsmittel, wie Jogurt, geeignet sind und beim Abziehen in 45º-Richtung nicht einreißen (Spalte 1, Zeilen 5 bis 31). Die Polyesterfolien gemäß D5 sind durch folgende Eigenschaften charakterisiert:
a) die Dicke von 5 bis 30 mym,
b) eine Kristallinität von > 50%;
c) eine planare Doppelbrechung DeltaP < 0.160;
d) die Summe aus der Zugfestigkeit in Maschinenrichtung und der niedrigeren von beiden Zugfestigkeiten im 45º Winkel zur Maschinenrichtung: (MDTS)+(TS45) < 392.4 N/mm**(2);
e) die Summe aus der Reißdehnung in Maschinenrichtung und der höheren der beiden Reißdehnungen im 45º Winkel zur Maschinenrichtung: (MDEB)+(EB45) > 290%;
(Anspruch 1).
Wie die Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerdebegründung (Seite 4) und in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat, sind einige der in D5 aufgeführten Folieneigenschaften wie die Kristallinität b) und die Doppelbrechung c) nur an transparenten Folien zu ermitteln. Zwar wird in D5 nirgends expressis verbis ausgesagt, dass die Folien transparent sind, jedoch sprechen für ihre Transparenz die Bestimmung von optischen Eigenschaften sowie der geringe Gehalt an Füllstoffen von 0.02 bis 1 Gew.-% (Spalte 4, Zeilen 41/42), auf den auch die Beschwerdeführerin in der Verhandlung hinwies.
5.3 Problemstellung und Lösung
Die beanspruchte Folie unterscheidet sich von der in D5 beschriebenen Folie dadurch, dass sie weiß ist und einen Füllstoffgehalt von mehr als 3 Gew.-%, bezogen auf die Masse der Basisschicht der Folie, enthält.
Das zu lösende Problem bestand daher darin, gezielt weiße, pigmentierte Folien mit Eigenschaften bereitzustellen, die sie als Deckelfolien geeignet machen, das heißt, die das Abziehen vom Becher im 45º Winkel gestatten, ohne dass die Folien einreißen oder delaminieren.
Die Lösung des Problems besteht darin, die weißen Folien mechanisch derart zu konfigurieren, dass der über die Messung der Zugspannung bei 30% und 0.2% Dehnung unter 45º zur Maschinenrichtung ermittelte R-Wert kleiner oder gleich 45 N/mm**(2) und das über die Reißdehnung unter 45º zur Maschinenrichtung ermittelte emax-Verhältnis kleiner oder gleich 2.5 ist.
Ein Vergleich der erfindungsgemäßen Folien gemäß den Beispielen 1 und 2 mit im beanspruchten Bereich liegenden R-Werten (39 und 38 N/mm**(2)) und emax-Verhältnissen (je 1,8) zeigt das verbesserte Abzieh- und Verarbeitungsverhalten gegenüber einer Folie mit Werten außerhalb des beanspruchten Bereichs (Vergleichsbeispiel 1: R-Wert 50 N/mm**(2), emax-Verhältnis 2,7).
5.4 Naheliegen
Obwohl auch D5 unter anderem mechanische Kriterien wie die Differenz der Reißwiderstandswerte in Diagonalrichtung nach Elmendorf (Spalte 2, Zeilen 53 bis 67) oder die Summe der Zugfestigkeit in Maschinenrichtung plus der Zugfestigkeit diagonal dazu (Anspruch 1) zur Bestimmung der Eignung der Folien als Deckelfolien heranzieht, enthält D5 an keiner Stelle eine Information, die den Fachmann veranlassen könnte, bei weißen Folien mechanische Eignungskriterien auszuwählen, die, anders als bei transparenten Folien, konsequent in 45º Richtung aus einer Differenz zweier Zugspannungen sowie einem Verhältniswert zweier Reißdehnungen bestimmt werden. Die Einhaltung der anspruchsgemäß definierten R-Werte und emax-Verhältnisse ist daher aus D5 nicht nahegelegt.
Da auch die Dokumente D3 und D4 zur Lösung der anmeldungsgemäß gestellten Aufgabe nichts beitragen können, beruht der beanspruchte Gegenstand auf einer erfinderischen Tätigkeit.
6. Aus den Punkten 2 bis 5 ergibt sich, dass die Ansprüche 1 und 7 und die vom Anspruch 1 abhängigen Ansprüche 2 bis 6 gemäß Hauptantrag gewährbar sind.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Sache wird an die Prüfungsabteilung zurückverwiesen mit der Auflage, ein Europäisches Patent zu erteilen mit den Ansprüchen 1 bis 7 gemäß Hauptantrag vom 15. März 2007, nach einer entsprechenden Anpassung der Beschreibung.