T 0269/09 03-02-2012
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Druckluftaufbereitungsgerät
Befugnis zur Prüfung eines neuen Einspruchsgrunds (nein)
Erfinderische Tätigkeit (bejaht)
I. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) hat am 27. Januar 2009 gegen die am 11. Dezember 2008 zur Post gegebene Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, mit der das Patent EP 1 464 557 in geändertem Umfang aufrechterhalten wurde, Beschwerde eingelegt und gleichzeitig die Beschwerdegebühr entrichtet. Die schriftliche Begründung ist am 28. Januar 2009 eingegangen.
II. Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass die vorgebrachten Einspruchsgründe der Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang unter Berücksichtigung der im Einspruchsverfahren vorgenommenen Änderungen nicht entgegenstehen.
Als Stand der Technik hat sie insbesondere folgende Entgegenhaltungen berücksichtigt
E2: WO-A-03/008250,
E4: DE-A-198 35 638,
E6: DE-C-196 38 226,
E7: EP-A-1 004 495,
welche auch von der Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerdebegründung herangezogen wurden.
III. Am 3. Februar 2012 wurde vor der Beschwerdekammer mündlich verhandelt.
Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des europäischen Patents in geänderter Fassung auf der Grundlage folgender Unterlagen:
- Ansprüche 1 bis 9 gemäß Antrag, eingereicht in der mündlichen Verhandlung vom 3. Februar 2012;
- Beschreibungsseiten 2 bis 7 eingereicht in der mündlichen Verhandlung vom 3. Februar 2012;
- Figuren wie erteilt.
IV. Unter Verwendung der von der Einspruchsabteilung vorgeschlagenen Merkmalsgliederung lautet der Wortlaut des unabhängigen Anspruchs 1 gemäß diesem Antrag wie folgt:
a) Druckluftaufbereitungsgerät mit
b) einem Eingangsanschluss (2) für eine von einem Kompressor (3) herangeführte Leitung (4),
c) einem Druckregler (15) für den vom Kompressor (3) zu den Kreisen gelieferten Druck,
d) einem mehrere Drucksicherungsventile (9) aufweisenden Mehrkreisschutzventil,
e) mehreren Ausgangsanschlüssen (12) zu den einzelnen Kreisen (1, II, usw.)
f) einschließlich eines Feststellbremsanschlusses (22) für eine zu Feststellbremszylindern (24) führende Leitung (23),
g) und mit einer Steuerelektronik (19),
h) wobei das Druckluftaufbereitungsgerät eine Ventilanordnung (26) zum gesteuerten Belüften und Absperren des Feststellbremsanschlusses (22) infolge eines von der Steuerelektronik (19) generierten Signals aufweist, dadurch gekennzeichnet,
i) dass die Ventilanordnung (26) auch zum Entlüften des Feststellbremsanschlusses (22) infolge eines von der Steuerelektronik (19) generierten Signals ausgebildet ist
j) und dass die Steuerelektronik (19) einen elektrischen Eingangsanschluss (35) für ein Steuersignal aufweist,
k) wobei zwischen der Ventilanordnung (26) und dem Feststellbremsanschluss (22) ein Drucksensor (32) angeschlossen ist, dessen Signal der Steuerelektronik (19) zugeführt wird.
V. Zur Stützung ihres Antrags brachte die Beschwerdeführerin im Wesentlichen Folgendes vor:
Die im Anspruch 1 während des Einspruchsverfahrens vorgenommenen Änderungen seien nicht zulässig, weil sie den Anforderungen des EPÜ nicht genügen. Insbesondere die Hinzufügung im Merkmal c) des Anspruchs 1 "Druckregler (15) für den vom Kompressor (3) zu den Kreisen gelieferten Druck" sei unklar (Artikel 84 EPÜ) und gehe aus den ursprünglich eingereichten Unterlagen nicht hervor (Artikel 123 (2) EPÜ). Durch diese Hinzufügung gehe nicht eindeutig hervor, wie der Druck geregelt werde und es sei auch nicht klar, welche Kreise hiermit gemeint seien, da die Kreise im vorstehenden Teil des Anspruchs 1 nicht definiert worden seien. Der Ausdruck "Druckregler für den vom Kompressor zu den Kreisen gelieferten Druck" sei in der ursprünglich eingereichten Fassung nicht explizit auffindbar. Auch aus den ursprünglich eingereichten Zeichnungen sei kein "Druckregler für den vom Kompressor zu den Kreisen gelieferten Druck" isoliert zu entnehmen, d.h. ohne dass nähere wesentliche, mit der Funktionalität der Druckregelung eng verknüpfte Elemente des in den Zeichnungen der Anmeldung offenbarten Druckreglers näher präzisiert würden.
Zusätzlich verstoße Merkmal d), wonach das Druckluftaufbereitungsgerät mit einem mehrere Drucksicherungsventile aufweisenden Mehrkreisschutzventil ausgestattet sei, gegen die Bestimmungen des Artikels 123 (2) EPÜ, denn dieses Merkmal sei dem Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung nicht eindeutig zu entnehmen.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 ergebe sich für den Fachmann in naheliegender Weise aus der Zusammenschau der Entgegenhaltungen E2 mit E4, oder E2 mit E6, oder E2 mit E7. Gegenüber dem Druckluftbehandlungsgerät gemäß der Entgegenhaltung E2 unterscheide sich dasjenige des vorliegenden Anspruchs 1 lediglich durch das Merkmal k), wonach zwischen der Ventilanordnung und dem Feststellbremsanschluss ein Drucksensor angeschlossen sei, dessen Signal der Steuerelektronik zugeführt werde. Angesichts der im zweiten Absatz der Seite 15 offenbarten Lehre der Entgegenhaltung E2, wonach für einen automatischen Übergang von der Betriebsbremse zur Parkbremse beim Parken auf einem abschüssigem Grund bestimmte Informationen verwendet und zur Steuerelektronik gesendet werden könnten, entstehe für den Fachmann unter der Zielsetzung eines weichen Übergangs zwischen Betriebsbremse und Feststellbremse der Bedarf, die Druckverhältnisse im Feststellbremsanschluss zu messen und zu Steuerungszwecken der Feststellbremse an die Steuerelektronik zurückzuführen. Die Entgegenhaltungen E4 (vgl. Fig. 3: Drucksensor 8b), E6 (vgl. Fig. 2: Drucksensor 24") und E7 (Fig. Drucksensor P/V) zeigten, dass es vor dem Prioritätszeitranges des vorliegenden Patents bekannt gewesen sei, einen Drucksensor im Versorgungskreis der Feststellbremsanlage anzuschließen, dessen Signal der Steuerelektronik zugeführt werde. Beispielhaft könne hier die Entgegenhaltung E7 zitiert werden, welche explizit die Verwendung eines Drucksensors im Feststellbremskreis zeige (Spalte 5, Zeile 25).
VI. Zu dem Vorbringen der Beschwerdeführerin lassen sich die Gegenargumente der Beschwerdegegnerin, insofern sie für die vorliegende Entscheidung von Relevanz sind, wie folgt zusammenfassen:
Die im Einspruchsverfahren durchgeführten Änderungen (Merkmal c) des Anspruchs 1) erfüllten die Erfordernisse der Klarheit und des Artikels 123 (2) EPÜ.
Der unter Artikel 123 (2) EPÜ vorgebrachte Einwand zum Merkmal d) des Anspruchs 1 sei ein neuer Einspruchsgrund im Sinne der G 10/91, der nur mit der Zustimmung der Patentinhaberin geprüft werden könne. Der Überprüfung dieses Einwands durch die Kammer werde nicht zugestimmt.
Die von der Beschwerdeführerin herangeführte Kombinationen E2/E4, E2/E6 und E2/E7 führten nicht in naheliegender Weise zum Gegenstand des vorliegenden Anspruchs 1, der somit auf einer erfinderische Tätigkeit beruhe.
Die Merkmale c), d) und insbesondere das entscheidende Merkmal i) des Anspruchs 1 seien der Druckluftaufbereitungseinrichtung der Entgegenhaltung E2 nicht zu entnehmen. Die allgemeine Bezugnahme auf Dokumente des Standes der Technik auf der Seite 2, Zeilen 22-24 von E2 könne nicht als Offenbarung für die fehlenden Merkmale c) und d) gelten. Was das Merkmal i) anbetreffe, sei zu unterscheiden zwischen den Ventilen der Ventilanordnung, die der Versorgung der Feststellbremsanlage mit Druckluft dienten, und denjenigen, die der Entlüftung der Feststellbremszylindern dienten. In der Druckluftaufbereitungseinrichtung gemäß E2 seien nur Ventile offenbart, die der Versorgung der Feststellbremsanlage dienten und lediglich diese Art von Ventilen sei in dieser Einrichtung integriert und von der dortigen Steuereinheit 10 gesteuert. Die Ventile, die der Entlüftung der Feststellbremszylinder dienten, seien außerhalb dieser Einrichtung. Das als Beispiel für den Aufbau der Ventilanordnung in der Figur 3 von E2 gezeigte Ventil 27 weise nur zwei Stellungen auf, nämlich eine Sperrstellung und eine Durchgangstellung. Ein Entlüften der Feststellbremszylinder könne durch dieses Ventil nicht erreicht werden. Der Fachmann schließe daraus, dass die Feststellbremszylinder nicht direkt an den Ausgang des Ventils 27 angeschlossen werden könnten, sondern dass nachgeschaltete Betätigungselemente (in E2 als "actionneurs" genannt) vorgesehen sein müssten, die zum Entlüften der Feststellbremszylinder dienten. Da die Entgegenhaltung E2 das Merkmal i) nicht offenbare, könne auch eine Kombination der Entgegenhaltung E2 mit einer der Entgegenhaltungen E4, E6 oder E7 die beanspruchte Einrichtung nicht nahelegen.
Jedoch auch wenn die Kammer das Merkmal i) in der Entgegenhaltung E2 als gegeben ansehe, werde der Einsatz eines Drucksensor zwischen der Ventilanordnung und dem Feststellbremsanschluss durch die übrigen Entgegenhaltungen E4, E6, und E7 nicht nahegelegt.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Die Kammer hat in Ausübung ihres Ermessens gemäß Artikel 13 (1) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammer (VOBK, ABl. EPA 2007, 536) den in der mündlichen Verhandlung von der Beschwerdegegnerin eingereichten Antrag in das Verfahren zugelassen. Die Beschwerdeführerin hatte dagegen keine Einwände.
3. Zulässigkeit der Änderungen
3.1 Der vorliegende Anspruch 1 setzt sich aus den Merkmalen des von der Einspruchsabteilung in geänderter Fassung aufrechterhaltenen Anspruchs 1 mit den Merkmalen des erteilten abhängigen Anspruchs 4 zusammen.
3.2 Die Beschwerdeführerin hat ihre bereits in der Vorinstanz erhobenen Einwände in Hinblick auf die Zulässigkeit der im Einspruchsverfahren durchgeführten Änderungen aufrechterhalten. Insbesondere solle die Angabe im Merkmal c) des Anspruchs 1 "Druckregler (15) für den vom Kompressor (3) zu den Kreisen gelieferten Druck" unklar sein und aus den ursprünglich eingereichten Unterlagen nicht hervorgehen.
3.3 Für die Kammer sind diese Einwände nicht nachvollziehbar. Durch die Angabe, dass der Druckregler "für den vom Kompressor zu den Kreisen gelieferten Druck" vorgesehen ist, wird lediglich im Anspruch präzisiert, welcher Druck durch den Druckregler geregelt wird. Nach Auffassung der Kammer handelt es sich hiermit um eine Klarstellung, die für sich alleine stehen kann. Durch diese Angabe wird der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 weiter eingeschränkt und zwar auf ein Druckluftaufbereitungsgerät, das zweifelsohne in den ursprünglich eingereichten Anmeldungsunterlagen offenbart wurde (vgl. z.B. Figur 1 und die Absätze [0016] und [0017] der Anmeldung EP-A-1 464 557 in ihrer ursprünglich eingereichten Fassung).
3.4 In Laufe der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer hat die Beschwerdeführerin erstmals den Einwand der unzulässigen Erweiterung in Bezug auf das Merkmal d) des Anspruchs 1 angeführt, ein Merkmal, das jedoch bereits im erteilten Anspruch 1 enthalten war.
Deshalb handelt es sich nicht um einen Einwand nach Artikel 123 (2) EPÜ, sondern um einen Einwand gemäß Artikel 100 c) EPÜ 1973, d.h. um einen Einspruchsgrund. Dieser wurde im Einspruchsverfahren nicht erhoben, obwohl er im Hinblick auf den erteilten Anspruch 1 im gleichen Sinne auch schon dort hätte vorgebracht werden können, denn zwischen Merkmal d) und den übrigen zum erteilten Anspruch 1 hinzugefügten Merkmalen c) und k) besteht kein enger funktioneller oder struktureller Zusammenhang. Folglich bildet dieser Einwand einen neuen Einspruchsgrund im Sinne der Entscheidungen G 9/91 und G 10/91 (ABl. EPA 1993, 408 und 420). Nach diesen Entscheidungen hat die Beschwerdekammer keine Befugnis zur Prüfung eines neuen Einspruchsgrundes ohne Einverständnis der Patentinhaberin (siehe Nr. 18 der Einscheidungsgründe). Nachdem die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) im vorliegenden Fall ihr Einverständnis verweigert hat, ist die Kammer nicht befugt, diesem Einspruchsgrund nachzugehen.
3.5 Die Nummerierung und die Rückbeziehung der abhängigen Ansprüche sowie die Beschreibung wurden den durchgeführten Änderungen des Anspruchs 1 entsprechend angepasst.
4. Erfinderische Tätigkeit
4.1 Da die Neuheit nicht mehr zur Debatte steht, geht es vorliegend nur noch um die Frage, ob das beanspruchte Druckluftaufbereitungsgerät auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.
4.2 Der nächstliegende Stand der Technik wird durch die Entgegenhaltung E2 wiedergegeben.
4.3 Die Beschwerdegegnerin hat zum Merkmal i) vorgetragen, dass in dem Druckluftaufbereitungsgerät gemäß E2 nur Ventile offenbart seien, die der Versorgung der Feststellbremsanlage dienten, und lediglich diese Art von Ventilen (im Gegensatz zu Entlüftungsventilen) sei in diesem Gerät zusammengefasst.
4.3.1 Dieses Argument kann die Kammer nicht gelten lassen, denn es widerspricht dem Offenbarungsgehalt der Entgegenhaltung E2. In der Beschreibungseinleitung der Entgegenhaltung E2 (vgl. insbesondere Seiten 2-4 von E2), die den dort genannten Stand der Technik würdigt, wird erwähnt, dass es bisher üblich war, die Ventile, die der Druckluftaufbereitung und somit lediglich der Versorgung der Feststellbremsanlage ("système de frein de parc") dienen, in dem Druckluftaufbereitungsgerät ("dispositif de traitement d'air") anzuordnen (Seite 1, Zeilen 5 bis Seite 2, Zeile 28), wogegen die Ventile, die der Steuerung der Feststellbremsanlage dienen, in der Nähe des Fahrers angeordnet waren (Seite 2, Zeile 15-16).
4.3.2 Der Fachmann auf dem Gebiet der Elektropneumatik von Nutzfahrzeugen, insbesondere Lastkraftwagen, weiß, dass Federspeicherbremsen nach dem "Fail-Safe"-Prinzip arbeiten, d. h. bei Ausfall des Betätigungsmediums (z. B. bei einem Leck in der Druckluftanlage) die Feststellbremse trotzdem wirkt. Letztere fungiert somit auch als Notbremse. Die Federspeicher drücken rein mechanisch mittels Federkraft die Feststellbremse in die Bremsstellung. Um die Feststellbremse zu lösen, muss eine Kraft gegen diese Federkraft aufgewendet werden, was vom Fachmann in bekannter Weise mittels Druckluft und einem Feststellbremszylinder ("actionneur du système de frein de parc") erreicht wird (E2: Seite 2, Zeilen 5-11; Seite 14, Zeilen 7-9). Durch Entlüften dieses Feststellbremszylinders wird die Feststellbremse automatisch eingelegt.
4.3.3 Der in der Entgegenhaltung E2 durchwegs offenbarte erfinderische Gedanke ist geradezu mit dem des vorliegenden Streitpatents vergleichbar, nämlich dass die Elektroventile, welche die pneumatischen Feststellbremszylinder steuern, zentral in dem Druckluftaufbereitungsgerät integriert werden (E2: Seite 5, Zeilen 7 bis 24 bzw. Anspruch 1). Sie sind nicht mehr an mehreren Stellen des Fahrzeugs (Fahrerkabine) verstreut, wie dies im Stand der Technik der Fall war.
Die gleiche zentrale Architektur wird für die Steuerung der pneumatischen Federung verwendet (Seite 6, Zeilen 8-24 bzw. Anspruch 3).
4.3.4 In der Entgegenhaltung E2 sind unter Verwendung einer einheitlichen Terminologie drei Ebenen in der Steuerungskette der Feststellbremsanlage erkennbar, nämlich die elektronische Steuereinheit ("unité de contrôle commande électronique"), die elektrischen Steuerventile ("composants électropneumatiques associés à la sortie d'air supplémentaire" bzw. "électrovalves"), und die Stellglieder ("actionneurs" bzw. "coussins de suspension") als letzte Ebene dieser Steuerkette. Aus dem zweiten Absatz der Seite 15 von E2 geht eindeutig hervor, dass entgegen der Auffassung der Beschwerdegegnerin das Druckluftaufbereitungsgerät gemäß der Entgegenhaltung E2 das Merkmal i) aufweist. Das dort erwähnte automatische Anziehen der Feststellbremse kann nur durch das Entlüften des Feststellbremszylinders der Feststellbremse erreicht werden und zwar, wie dort erwähnt, durch eine Steuerventilanordnung, die im Druckluftaufbereitungsgerät integriert ist.
4.3.5 Die Ansicht der Beschwerdegegnerin, dass die in E2 erwähnten Feststellbremszylinder nicht direkt an den Ausgang des Druckluftaufbereitungsgeräts von E2 angeschlossen werden könnten und dass nachgeschaltete Betätigungselemente (Elektroventile) für die Entlüftung der Feststellbremszylinder vorgesehen sein müssten, beruht auf einer besonders engen Auslegung der in E2 vorhandenen Begriffe "alimentation" bzw. "alimenter" und "actionneurs". Diese Auslegung widerspricht der Lehre der Entgegenhaltung E2.
Die Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts haben in mehreren Entscheidungen darauf hingewiesen, dass ein Patentdokument sein eigenes Wörterbuch darstellen kann (vgl. z.B. T 1321/04 und T 500/01). Im Einklang mit diesem Grundsatz sind den umstrittenen Begriffen die Bedeutung zuzuweisen, die der Beschreibung der Entgegenhaltung E2 zu entnehmen sind. Im vorliegenden Fall ist auf der Grundlage von zahlreichen, diese Begriffe verwendenden Textstellen von E2 festzustellen (vgl. z.B. Seite 3, Zeile 10; Seite 5, Zeile 8; Seite 6, Zeilen 22-24; Seite 8, Zeilen 21-25; Seite 12, Zeile 8; Seite 14, Zeilen 6-8; Seite 15, Zeile 15 und Zeile 28; Seite 16, Zeilen 23-25; Seite 17, Zeile 4), dass der Ausdruck "sortie d'air supplémentaire destinée à l'alimentation " von E2 als allgemeine Leitung zur "Zuführung" von zu Verstellzwecken benötigter Energie zu verstehen ist, wobei die Verstellbewegungen als solche gegebenenfalls mit Energiezuführung aber auch ohne Energiezuführung seitens des Druckluftaufbereitungsgeräts verwirklicht werden können. Der Fachmann erkennt hier, dass ein Entlüften der Feststellbremszylinder ("actionneurs du système de frein de parc") sehr wohl über diese Leitung ("sortie d'air supplémentaire") erfolgen kann, wobei letztere sich passiv verhält, d.h. dass eine Zuführung von pneumatischer Energie seitens des Druckluftaufbereitungsgeräts bei der Entlüftungsphase nicht benötigt wird. Die beim Entlüften der Stellglieder entstehenden Luftmengen können durch den gedämpften Auslass des Druckluftaufbereitungsgeräts gemäß E2 entweichen (vgl. Figuren 1-2: "silencieux d'échappement 6").
4.3.6 Für ihre These, dass die Feststellbremszylinder nicht direkt an dem Druckluftaufbereitungsgerät von E2 angeschlossen werden könnten, hat sich die Beschwerdegegnerin zusätzlich auf das Ventil 27 in der Figur 3 von E2 mit der Begründung bezogen, dass dieses Ventil keine Entlüftungsschaltstellung aufweist.
Hierzu ist festzustellen, dass das Ventil 27 der Figur 3 in E2 lediglich als ein den Luftdruck übermittelndes Ventil ("pression délivrée par l'intermédiaire d'une électrovalve 27") beschrieben wird (vgl. Seite 14, Zeilen 10-12). Dies schließt keinesfalls aus, dass das vom Ventil 27 gespeiste Stellglied ("actionneur") auch über das Druckluftaufbereitungsgerät entlüftet werden kann.
4.4 Unbestritten ist zwischen den Parteien, dass das Druckluftaufbereitungsgerät des vorliegenden Anspruchs 1 sich vom Gegenstand der Entgegenhaltung E2 zumindest durch das Merkmal k) unterscheidet, wonach zwischen der Ventilanordnung und dem Feststellbremsanschluss einen Drucksensor angeschlossen ist, dessen Signal der Steuerelektronik zugeführt wird.
4.5 Mit dem Einsatz des Drucksensors gemäß Merkmal k) und der Ventilanordnung mit Entlüftungsfunktion gemäß Merkmal i) wird die Realisierung einer gestuften Hilfsbremse neben der üblichen Funktion einer Feststellbremse ermöglicht. Durch entsprechende Steuerung der Ventilanordnung aufgrund des Signals vom Drucksensor kann der Druck in der zu den Feststellbremszylindern führenden Leitung über die Steuerelektronik stufenlos eingestellt werden. Die dadurch geschaffene Hilfsbremse kann z.B. als Anfahrhilfe am Berg eingesetzt werden (vgl. Absätze [0010] und [0011] der Patentschrift).
4.6 Unter Berücksichtigung der durch dieses unterscheidende Merkmal erzielten Wirkungen ergibt sich als objektive technische Aufgabe die Schaffung neuer Steuerungsfunktionen durch das aus der Entgegenhaltung E2 bekannte Druckluftaufbereitungsgerät.
4.7 Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin sieht die Kammer in der Textpassage auf Seite 15, Zeilen 4-11 von E2 keine Anregung für den Fachmann, eine Druckregulierung in der zu den Feststellbremszylindern führenden Leitung vorzunehmen, um weichere Schaltübergänge über die Steuerelektronik zu bewerkstelligen. Diese Textpassage erwähnt, dass durch die Integration der Parkbremssteuerung in das Druckluftaufbereitungsgerät andere Funktionen gewährleistet werden können, wie z.B. einen automatischen Übergang von der Betriebsbremse zur Parkbremse beim Parken auf abschüssigem Grund. Wenn der Fachmann in diesem Zusammenhang für einen weichen Übergang sorgen möchte, wird er erst an die Geschwindigkeit des Fahrzeugs als hilfreiche Größe denken (Betätigung der Parkbremse erst bei Stillstand des Fahrzeugs, was in der Zeile 10 der Seite 15 zwischen Klammern auch suggeriert wird). Dass hierbei die Druckverhältnisse zwischen Ventilanordnung und Feststellbremse gemessen werden könnten, wird in dieser Textstelle nicht nahegelegt. Nichts in E2 deutet darauf hin, dass die hier beschriebene Parkbremse eine andere Funktion erfüllen könnte, als die einer üblichen Parkbremse.
Auch durch Zusammenschau der Druckschrift E2 mit den Druckschriften E4, E6 und E7 erhält der Fachmann keine Anregung, den Druck in der Leitung zu den Feststellbremszylindern zu erfassen. Es ist zwar üblich, Drucksensoren in jedem einzelnen durch dem Mehrkreisschutzventil gesicherten Druckkreis anzuschließen, um den in dem jeweiligen Bremskreis herrschenden Druck aus Sicherheitsgründen zu überwachen. Betrachtet man den Druckkreis, an dem die Feststellbremsanlage angeschlossen ist, ist jedoch festzustellen, dass bei sämtlichen Ausführungsformen gemäß den Entgegenhaltungen E4 (Figur 3 und Spalte 5, Zeilen 60-64), E6 (vgl. Figuren: Handbremsventil 31) und E7 (vgl. Absatz[0029]) der diesem Druckkreis zugeordnete Drucksensor auf der der Feststellbremse abgewandten Seite (stromaufwärts) der Ventilanordnung angeordnet ist, die über ein Steuersignal des Fahrers das Entlüften der Feststellbremszylinder bewirkt (übliches Handbremsventil). Die Integration des Handbremsventils als Ventilanordnung im Druckluftaufbereitungsgerät gemäß der Lehre der Entgegenhaltung E2 würde daran nichts ändern.
Somit wird der Fachmann durch keine der von der Beschwerdeführerin zitierten Entgegenhaltungen E2, E4, E6 oder E7 angeregt, den an die Feststellbremszylinder direkt gelieferte Druck über einen Drucksensor zu erfassen.
4.8 Daraus folgt, dass der Gegenstand des vorliegenden Anspruchs 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht und somit die Erfordernisse des Artikels 56 EPÜ 1973 erfüllt.
4.9 Die Merkmale nach den abhängigen Ansprüchen 2 bis 9 beinhalten vorteilhafte Weiterbildungen des erfindungsgemäßen Gegenstandes und können daher ebenfalls bestehen bleiben.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz mit der Anordnung zurückverwiesen, das europäische Patent in geänderter Fassung auf der Grundlage folgender Unterlagen aufrechtzuerhalten:
- Ansprüche 1 bis 9 gemäß Antrag, eingereicht in der mündlichen Verhandlung vom 3. Februar 2012;
- Beschreibungsseiten 2 bis 7, eingereicht in der mündlichen Verhandlung vom 3. Februar 2012;
- Figuren wie erteilt.