T 0571/09 20-01-2011
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Horizontale Werkzeugmaschine mit zwei vertikalen miteinander verbundenen Rahmen
Zulassung neuen Standes der Technik - nein
Neuheit und erfinderische Tätigkeit - ja
Rückzahlung der Beschwerdegebühr - nein
Befassung der Großen Beschwerdekammer - nein
I. Auf die am 26. Juni 2004 eingereichte europäische Patentanmeldung Nr. 04015054.2 wurde das europäische Patent Nr. 1 609 562 erteilt.
Anspruch 1 lautet:
"Werkzeugmaschine (1), die einen ersten vertikalen Rahmen (2) mit mindestens einer horizontal oder raumschräg angeordneten Arbeitsspindel (3) und einen zweiten vertikalen Rahmen (4) mit einer Werkstückhalterung (5) aufweist, wobei die beiden Rahmen (2, 4) unterhalb und oberhalb der mindestens einen Arbeitsspindel (3) miteinander verbunden sind, dadurch gekennzeichnet, dass am ersten Rahmen (2) mehrere stationäre Arbeitsspindeln (3) nebeneinander vorgesehen sind und dass die Werkstückhalterung (5) an einer in X-, Y- und Z-Richtung verfahrbaren Schlitteneinheit (7), welche am zweiten vertikalen Rahmen (4) vorgesehen ist, schwenkbar um eine in X-Richtung verlaufende horizontale Achse (A) gelagert ist."
II. Gegen das erteilte Patent wurde, gestützt auf die Einspruchsgründe des Artikels 100 a) EPÜ 1973, Einspruch eingelegt und der Widerruf des Patents beantragt.
Mit ihrer am 6. Februar 2009 zur Post gegebenen Entscheidung hat die Einspruchsabteilung den Einspruch zurückgewiesen.
III. Gegen diese Entscheidung legte die Beschwerdeführerin (Einsprechende) am 5. März 2009 Beschwerde ein und bezahlte am gleichen Tag die Beschwerdegebühr.
Mit ihrer am 16. Juni 2009 beim Europäischen Patentamt eingegangenen Beschwerdebegründung machte sie einen Verstoß gegen Artikel 113 EPÜ (rechtliches Gehör) geltend, beantragte die Rückzahlung der Beschwerdegebühr und die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung sowie die Rückverweisung an die erste Instanz. Hilfsweise verfolgte sie ihren Antrag auf Widerruf des Patents mangels erfinderischer Tätigkeit weiter.
IV. Die Beschwerdekammer teilte in ihrem Bescheid als Anlage zur Ladung für die mündliche Verhandlung ihre vorläufige Meinung mit, wonach sie keinen Verstoß gegen Artikel 113 EPÜ 1973 sehe. Es sei auch nicht erkennbar, dass sich die Einspruchsabteilung nicht auf Gründe gestützt habe, zu denen sich die Beschwerdeführerin nicht äußern konnte.
Da die Neuheit nicht bestritten und zur erfinderischen Tätigkeit im Wesentlichen das Vorbringen aus dem Einspruchsverfahren wiederholt worden sei, sehe sie keinen Anlass, die angefochtene Entscheidung abzuändern.
V. Mit Schreiben vom 7. Januar 2010 hatte die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) die Zurückweisung der Beschwerde beantragt, hilfsweise die Aufrechterhaltung des Patents gemäß Hilfsantrag aus dem Einspruchsverfahren vom 17. Dezember 2008. Mit Schreiben vom 9. Dezember 2010 teilte sie mit, dass an der anberaumten mündlichen Verhandlung seitens der Patentinhaberin niemand teilnehmen werde.
VI. Mit Schreiben vom 20. Dezember 2010 hielt die Beschwerdeführerin alle Anträge aufrecht, reichte zum Nachweis des allgemeinen Bekantseins von Mehrspindel-Werkzeugmaschinen vier weitere Dokumente E4 bis E7 ein und kündigte die Anwesenheit von zwei Experten auf Seiten der Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung an.
VII. Am 20. Januar 2011 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer in Abwesenheit der Beschwerdegegnerin statt. Folgende im Einspruchsverfahren zitierte Entgegenhaltungen waren in der Beschwerdebegründung wieder aufgegriffen worden:
E1: EP-A-0 816 012
E2: Heinz Tschätsch: Werkzeugmaschinen, Carl Hanser Verlag München Wien, 8. Aufl., S. 226, Bild 16.12
E3: US-B-6 273 653.
Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents Nr. 1 609 562 sowie die Rückzahlung der Beschwerdegebühr.
Weiter beantragte sie, die Große Beschwerdekammer mit den folgenden in der Verhandlung vor der Kammer eingereichten Fragen zu befassen:
"Liegt eine Verletzung des Anspruchs auf ausreichendes rechtliches Gehör vor, wenn die per Fax eingereichte Stellungnahme der Patentinhaberin vom 17.12.2008 mit Hilfsanträgen der Einsprechenden mit Schriftsatz vom 23.12.2008 per Einschreiben am 02.01.2009 zugestellt (Regel 126 (2)) wurde und die Entscheidung der Einspruchsabteilung bereits am 02.02.2009 zur Postabfertigung gegeben wurde, das heißt vor Ablauf einer nur einmonatigen Frist?
Eine nur einmonatige Frist ist aber hier eindeutig zu gering. Die Zeit zwischen dem 24.12. und dem 7.1. ist stets eine allgemeine Urlaubssaison, so dass erst nach dem 7.1. mit der Bearbeitung begonnen werden konnte. Weiterhin handelt es sich um einen komplexeren Gegenstand mit zusätzlichen Hilfsanträgen, bei dem als Minimalfrist mindestens zwei Monate Wartezeit angemessen gewesen wären. ("Rechtsprechung" 2010, T263/93)
Liegt eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör vor, wenn sich die Entscheidung auf Gründe stützt, zu denen die Einsprechende nicht vorab gehört wurde und Fragen aufwirft ("nicht klar"), die von der Einsprechenden erstinstanzlich auf Rückfrage hätten geklärt werden können?"
VIII. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Auf den Einspruch der Beschwerdeführerin vom 11. September 2009 habe die Beschwerdegegnerin mit Erwiderungsschreiben vom 17. Dezember 2009 reagiert, welches der Beschwerdeführerin mit Kurzmitteilung des Europäischen Patentamts vom 23. Dezember 2009 am 24. Dezember 2009 zur Kenntnis gebracht wurde. Der vorher per Telefax übermittelte Erwiderungsschriftsatz sei unleserlich gewesen. Es sei bekannt, dass in der Weihnachtszeit bis zum 6. Januar 2009 die Geschäftstätigkeit weitgehend ruhe, so dass eine Bearbeitung der Erwiderung erst ab 7. Januar 2009 möglich war.
Die auf den 6. Februar 2009 datierte Entscheidung der Einspruchsabteilung sei bereits am 2. Februar 2009 zur Poststelle des Europäischen Patentamts gegeben worden. Ein so knapp bemessener Zeitraum zur Stellungnahme sei unüblich und nach den Umständen zu kurz (T263/93), so dass die Beschwerdeführerin von der Entscheidung über die Zurückweisung des Einspruch überrascht worden sei. Ihr sei somit die Möglichkeit versagt worden, sich zur Einspruchserwiderung zu äußern, was eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör bedeute.
Aus der Einspruchsentscheidung gehe nämlich klar hervor, dass der Einspruchsschriftsatz ergänzungsbedürftig war, denn in der Begründung der Einspruchsabteilung werde u.a. ausgeführt, dass die Einsprechende nicht erkläre, welche Aufgabe der Fachmann lösen solle, um die Werkzeugmaschine von E1 mit Merkmalen aus E2 zu kombinieren ("problem solution approach"). Es werde weiterhin gesagt, dass nicht klar sei, wie der Fachmann ausgehend von E3 zum Merkmal der stationären Arbeitsspindeln gelangen solle. Da hier offensichtlich noch Aufklärungsbedarf bestanden habe, sei die Sache nicht entscheidungsreif gewesen. Der Einsprechenden hätte Gelegenheit gegeben werden müssen, diese Fragen zu klären, bevor die Einspruchsabteilung ihre Entscheidung getroffen habe. Die Begründung der Einspruchsabteilung sei außerdem unvollständig und stütze sich auf Gründe, die von der Patentinhaberin nicht problematisiert worden seien und zu denen die Einsprechende nicht habe Stellung nehmen können. Die Verletzung des Grundsatzes einer offenen und fairen Verfahrensdurchführung rechtfertige die Rückzahlung der Beschwerdegebühr.
Die beanspruchte Werkzeugmaschine beruhe nicht auf erfinderischer Tätigkeit, weil sie durch den vorgebrachten Stand der Technik nahegelegt sei. E1 sei von der Einspruchabteilung fehlerhaft interpretiert worden, denn dort werde dem Fachmann eine Bewegung der Werkstückhalterung in den drei Linearachsen (X-, Y-, Z-Achse) nahegelegt. Einzig verbleibendes Unterschiedsmerkmal seien am ersten Rahmen angeordnete mehrere Arbeitsspindeln.
Solche Mehrfachanordnungen von Arbeitsspindeln seien dem Fachmann am Anmeldetag jedoch bekannt gewesen, die alle den Zweck hatten, Zerspanzeiten zu minimieren, d.h. eine hohe Zerspanleistung bei hoher Genauigkeit zu erbringen. Zum Nachweis dieses allgemein bekannten Standes der Technik habe sie vier neue Dokumente aufgefunden, die ihr erst kürzlich bekannt worden seien. Bei den in den Prospektunterlagen E4 bis E7 gezeigten Werkzeugmaschinen werde das Werkstück in fünf Achsen bewegt und zur Bearbeitung an eine stationäre Mehrspindelanordnung gebracht, wodurch die dem Patent zugrundeliegende Aufgabe äquivalent gelöst werde. Durch die naheliegende Kombination von E1 mit diesem Stand der Technik gelange der Fachmann ohne erfinderische Tätigkeit zur beanspruchten Lösung.
IX. Die Beschwerdegegnerin hat sich im Beschwerdeverfahren zur Sache nicht geäußert und auf ihre Ausführungen im Einspruchsverfahren verwiesen.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Neue Entgegenhaltungen E4 bis E7 (Artikel 114 (2) EPÜ 1973)
2.1 Nach Artikel 114 (2) EPÜ 1973 braucht das Europäische Patentamt Tatsachen und Beweismittel, die von den Beteiligten verspätet vorgebracht werden, nicht zu berücksichtigen. Hierzu bestimmt Artikel 13 (1) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK), dass es im Ermessen der Kammer steht, Änderungen des Vorbringens eines Beteiligten nach Einreichung seiner Beschwerdebegründung oder Erwiderung zuzulassen und zu berücksichtigen. Bei der Ausübung des Ermessens werden insbesondere die Komplexität des neuen Vorbringens, der Stand des Verfahrens und die gebotene Verfahrensökonomie berücksichtigt. Bei der Änderung des Vorbringens des Einsprechenden ist die Relevanz eines neuen Dokuments für die Beurteilung der Rechtsbeständigkeit eines Europäischen Patents ein weiteres und sehr häufig entscheidendes Kriterium. Zusätzlich ist zu beachten, dass an sich bereits die Einspruchsschrift die Angabe der zur Begründung vorgebrachten Tatsachen und Beweismittel enthalten muss (Regel 55 c) EPÜ 1973; Regel 76 (2) (c) EPÜ). Im Verfahren vor den Beschwerdekammern werden nach ständiger Rechtsprechung neue Tatsachen und Beweismittel und diesbezügliche Argumente nur dann zugelassen, wenn die neuen Unterlegen prima facie insofern hochrelevant sind, als sie mit gutem Grund eine Änderung des Verfahrensausgangs erwarten lassen, also höchstwahrscheinlich der Aufrechterhaltung des europäischen Patents entgegenstehen.
2.1.1 Im vorliegenden Fall reichte die Beschwerdeführerin vier neue Entgegenhaltungen E4 bis E7 am 20. Dezember 2010 beim Europäischen Patentamt ein, genau einen Monat vor dem Tag der mündlichen Verhandlung und nachdem die Beschwerdegegnerin mit Schreiben vom 9. Dezember 2010, eingegangen im Europäischen Patentamt am 11. Dezember 2010, mitgeteilt hatte, dass sie nicht an der mündlichen Verhandlung teilnehmen werde.
2.1.2 Die Dokumente E4 bis E7 sind Prospektunterlagen, aus denen sogenannte "Inverskonzepte" hervorgehen, nach Angabe der Beschwerdeführerin Mehrspindel-Werkzeugmaschinen, bei denen das Werkstück in mehreren Hauptachsen bewegt und zum Werkzeug transportiert wird, um dort bearbeitet zu werden. Vorteil dieser Maschinen sind danach hohe Zerspanleistung, kurze Werkzeugwechselzeiten und optimale Spindelauswahl mit Minimierung der wirksamen Bearbeitungskräfte. Sie belegen - prima facie - die allgemeinen fachmännischen Kenntnisse, dass am Anmeldetag Mehrspindelmaschinen auch mit stationären Spindeln an sich bekannt waren.
2.1.3 Eine darüber hinausgehende, auf den ersten Blick erkennbare Bedeutung für die Rechtsbeständigkeit des europäischen Patents haben die Dokumente jedoch nicht. So weist keine der gezeigten Maschinen ein Rahmenkonzept mit einem ersten vertikalen Rahmen und einem zweiten vertikalen Rahmen auf, wie es die Werkzeugmaschine nach Anspruch 1 beansprucht. Damit fehlt diesem Stand der Technik die oben genannte Prima-facie-Relevanz für die Entscheidung über die Aufrechterhaltung des Patents. Die Dokumente E4-E7 können daher nicht zum Verfahren zugelassen werden.
3. Neuheit (Artikel 54 EPÜ 1973)
Die Neuheit der beanspruchten Werkzeugmaschine wurde seitens der Beschwerdeführerin nicht in Frage gestellt. Die Kammer kommt zu dem Ergebnis, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 neu ist, da keine der Entgegenhaltungen alle Lösungsmerkmale offenbart.
4. Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ 1973)
4.1 Nächstkommender Stand der Technik ist unbestritten das Dokument E1. Die dort in Figur 4 gezeigte Werkzeugmaschine umfasst einen ersten vertikalen Rahmen 5 mit einer horizontal angeordneten Arbeitsspindel (Antrieb 30) und einen zweiten vertikalen Rahmen 6 mit einer Werkstückhalterung 3, wobei die beiden Rahmen 5, 6 unterhalb und oberhalb der Arbeitsspindel miteinander verbunden sind.
4.2 Als Aufgabe ist im Patent angegeben, eine bekannte horizontale Werkzeugmaschine derart weiterzubilden, dass alternative Mittel zur relativen Bewegung des Werkstücks und der Arbeitsspindel geschaffen werden und eine 4-Achsen-Bearbeitung des Werkstücks ermöglicht wird.
Gelöst wird das technische Problem mit den Merkmalen des Anspruchs 1, insbesondere dadurch, dass am ersten Rahmen mehrere stationäre Arbeitsspindeln nebeneinander vorgesehen sind und dass die Werkstückhalterung an einer in X-, Y- und Z-Richtung verfahrbaren Schlitteneinheit, welche am zweiten vertikalen Rahmen vorgesehen ist, schwenkbar um eine in X-Richtung verlaufende horizontale Achse gelagert ist.
4.3 Nach Meinung der Beschwerdeführerin offenbart E1 bereits eine in X-, Y- und Z-Richtung verfahrbare Schlitteneinheit als Werkstückhalteeinrichtung. Hierzu beruft sie sich insbesondere auf zwei Textstellen, nämlich Spalte 4, Zeilen 26 bis 32, und Spalte 8, Zeilen 15 bis 19, wo es heißt:
Um die Steifigkeit der Maschine weiter zu verbessern, hat es sich als zweckmäßig erwiesen, diese so zu konstruieren, dass die Werkstückhalteeinrichtung mit zumindest einer der üblichen drei translatorischen bzw. linearen Bewegungsachsen der Maschine antreibbar ist.
und:
Entsprechend den jeweiligen Anforderungen können jedoch in anderen Ausführungsformen die Bewegungsachsen in nahezu beliebiger Weise auf die einzelnen Wandelemente und auf die Werkstück- und Werkzeughalteeinrichtungen verteilt werden.
Der vorangehende Satz lautet:
Hier ist die Werkzeughalteeinrichtung 2 in X- und Z-Richtung und die Werkstückhalteeinrichtung 3 in y Richtung verfahrbar.
4.4 All diese Anordnungen sind unter Beachtung der in E1 genanten Aufgabenstellung zu sehen, eine Werkzeugmaschine mit guten Steifigkeitseigenschaften anzugeben, die kompakter ausführbar ist.
Dementsprechend ist die erste Textstelle (Spalte 4, Zeilen 26 bis 32) so zu verstehen, dass zur Steifigkeitserhöhung die Werkstückhalteeinrichtung in wenigstens einer der drei Hauptachsen antreibbar ist. Es ist hieraus aber nicht entnehmbar, dass die Werkstückhalteeinrichtung in allen drei Hauptachsen antreibbar sein soll, denn das wäre jedenfalls nicht mit dem Streben nach erhöhter Steifigkeit des Maschinengestells vereinbar.
Die zweite Textstelle (Spalte 8, Zeilen 15 bis 19) besagt unter Berücksichtigung des einleitenden Satzes, dass die drei relativen Bewegungs-Hauptachsen zwischen Werkstück und Werkzeug "in nahezu beliebiger Weise" verteilt werden können, aber eben nicht, dass alle Bewegungen in X-, Y- und Z-Richtung von der Werkzeughalteeinrichtung ausgeführt werden sollen.
Somit offenbart E1 dem einschlägigen Fachmann keine Werkzeugmaschine, bei der die Werkstückhalterung an einer in X-, Y- und Z-Richtung verfahrbaren Schlitteneinheit am zweiten vertikalen Rahmen vorgesehen ist.
4.5 Aus der Verteilung der relativen Bewegungs-Hauptachsen zwischen Werkstück und Werkzeug "in nahezu beliebiger Weise" folgert der fachkundige Leser, dass in E1 die Arbeitsspindel neben dem Arbeitshub zumindest eine Bewegung in einer der Hauptachsen ausführt, denn durch diese Verteilung der Bewegungs-Hauptachsen soll ja die Verteilung der Bearbeitungskräfte auf die Rahmenelemente optimiert werden. Die Druckschrift enthält weder einen Hinweis noch eine Andeutung in der Richtung, die dort gezeigte Arbeitsspindel stationär arbeiten zu lassen. Noch weniger ist daher die Anordnung von mehreren stationären Arbeitsspindeln am ersten Rahmen nebeneinander aus ihrem Inhalt ableitbar. Die beanspruchte Lösung wird daher nicht durch E1 nahegelegt.
4.6 Zum Naheliegen einer Werkzeugmaschine mit mehreren, d.h. wenigstens zwei stationären Arbeitsspindeln berief sich die Beschwerdeführerin auf den allgemeinen Stand der Technik, wie in E4 bis E7 dargestellt. Sie führte dazu aus, dass bei solchen, dem Fachmann geläufigen Mehrspindelmaschinen die Bearbeitungskräfte zwischen den einzelnen Bearbeitungsspindeln und -schritten optimal verteilt werden können. Wenn jedoch diese Optimierung konsequent durchgeführt wird, ergibt sich für den Fachmann kein Anlass, für Maschinen, die nach dem sogenannten "Inverskonzept" arbeiten, eine Rahmenkonstruktion zu wählen, die für besonders hohe Bearbeitungskräfte geeignet ist. Tatsächlich zeigt auch keine der Prospektunterlagen nach E4 bis E7 eine derartige Konstruktion. Somit kann auch das durch diesen Stand der Technik dokumentierte allgemeine Fachwissen den Fachmann nicht zur beanspruchten Lösung führen. Der Gegenstand des Anspruchs 1 gilt daher als auf erfinderischer Tätigkeit beruhend.
4.7 Die Ansprüche 2 bis 8 enthalten weitere Ausgestaltungen der Erfindung nach Anspruch 1 und betreffen ebenfalls patentfähige Gegenstände.
5. Rückzahlung der Beschwerdegebühr
5.1 Ob auf den Fall Regel 67 EPÜ 1973 anwendbar ist (vgl. T 630/08) oder Regel 103 (1) (a) EPÜ (so T 616/08, Pt. 5 ff) kann für die Entscheidung dahinstehen, da für die Rückzahlung in beiden Vorschriften auf die Frage abgestellt wird, ob bei einer, wie hier allein wegen eines Verfahrensmangels zu unterstellenden erfolgreichen Beschwerde, die Rückzahlung der Billigkeit entspricht.
5.2 Die Beschwerdeführerin sieht einen Mangel im Verfahren vor der Einspruchsabteilung durch die Entscheidung über den Einspruch, ohne auf eine weitere klärende Stellungnahme der Beschwerdeführerin hinzuwirken oder zumindest einen angemessene Zeitraum von zwei Monaten ab Zustellung des Schriftsatzes der Gegenseite mit der Entscheidung zuzuwarten. Nach Art. 113 (1) EPÜ dürfen Entscheidungen des Europäischen Patentamts nur auf Gründe gestützt werden, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten. Dies verpflichtet das Europäische Patentamt zur Gewährung des rechtlichen Gehörs. Mit einer Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs kann nach allgemeiner Meinung geltend gemacht werden, dass die Einspruchsabteilung Vorbringen nicht zur Kenntnis genommen hat oder in ihrer Entscheidung nicht in Erwägung gezogen hat oder Erkenntnisse verwertet hat, zu denen ein Verfahrensbeteiligter nicht Stellung nehmen konnte.
5.3 Letzteres kann im Einzelfall zu Hinweispflichten führen, und zwar dann, wenn für die Partei nicht erkennbar ist, zu welchen Tatsachen noch vorzutragen ist, um einen erfolgreichen Verfahrensausgang zu erreichen. Diese Hinweispflichten sind je nach der Verfahrensart unterschiedlich. Im Einspruchs-Beschwerdeverfahren ist zu beachten, dass die Große Beschwerdekammer das der Erteilung nachgeschaltete Einspruchsverfahren im Rahmen des EPÜ grundsätzlich als streitiges Verfahren zwischen in der Regel gegenteilige Interessen vertretenden Parteien ansieht (vergleiche hierzu G 9/91, Ziffer 2. am Ende), was eine gesteigerte Eigenverantwortung der Parteien für die Vollständigkeit ihres Vortrags zur Folge hat. Eine Verpflichtung zum Hinweis mag sich bei offensichtlichen und leicht behebbaren Unvollständigkeiten ergeben. Für die Verständlichkeit des Vortrags zum Fehlen der materiellen Patentierungsvoraussetzungen ist die Einsprechende selbst verantwortlich.
5.4 Hier hat die Einspruchabteilung ausschließlich den Vortrag der Einsprechenden geprüft und nicht als schlüssig angesehen. Selbst wenn ihr dabei, wie es hier nicht der Fall ist, ein Fehler unterlaufen wäre, wäre dies kein Verfahrensfehler, sondern eine fehlerhafte Anwendung des materiellen Rechts. Der Einspruchsabteilung ist es insoweit nur verwehrt, Tatsachen zur Begründung heranzuziehen, zu denen sich die Einsprechende nicht hat äußern können. Dies hat sie jedoch nicht getan.
5.5 Ein Verfahrensbeteiligter kann auch dann nicht Stellung nehmen, wenn ihm hierfür nicht ausreichend Zeit gelassen wird. Die Beschwerdeführerin macht insoweit geltend, dass
- die Entscheidung der Einspruchsabteilung bereits am 02.02.2009 zur Postabfertigung gegeben wurde, obwohl des Schriftsatz der Patentinhaberin vom 17.12.2008 gemäß der Regel 126(2) EPÜ erst am 02.01.2009 als zugestellt gilt,
- die Zeit zwischen dem 24. Dezember und 7. Januar als allgemeine Urlaubssaison gelte und
- es sich bei den vorliegenden Anspruchssätzen insgesamt um einen komplexeren Gegenstand mit zusätzlichen Hilfsanträgen handelt, bei dem nach der Entscheidung der Beschwerdekammer mit dem Aktenzeichen T 263/93 eine Mimimalfrist von zwei Monaten bis zum Erlass der Entscheidung einzuhalten gewesen wäre.
5.6 Der Vortrag der Beschwerdeführerin belegt auch insoweit keine Verletzung des rechtlichen Gehörs. Der Schriftsatz der Patentinhaberin vom 17.12.2008 wurde am 22.12.2008 zur Post gegeben. Dieser Schriftsatz gilt am 01.01.2009 gemäß Regel 126 (1) EPÜ als zugestellt und da dies ein Tag ist, an dem eine Annahmestelle des Europäischen Patentamts nicht geöffnet ist (siehe Übersicht über die Tage, an denen die Annahmestellen des EPA und die nationalen Patentbehörden im Jahr 2009 geschlossen sind, ABl. EPA 1/2009, S. 71) am darauf folgendem Tag (Regel 134 (1) EPÜ), in diesem Fall am Freitag, dem 2. Januar 2009. Die Entscheidung trägt das Datum 06.02.2009 und auf Blatt 2 den Vermerk "zur Poststelle am 02.02.2009". Dies wirft Zweifel auf, ob die Entscheidung am 06.02.2009 oder tatsächlich bereits am 02.02.2009 getroffen wurde. Es kann für diese Entscheidung dahinstehen, ob das Entscheidungsdatum 06.02.2009 deshalb richtig ist, weil bis zu diesem Zeitpunkt der Versand der Entscheidung gegebenenfalls aufgehalten werden könnte, denn auch bei einer Entscheidung am 02.02.2009 ist das rechtliche Gehör der Beschwerdeführerin nicht verletzt. Das Schreiben der Patentinhaberin wurde der Beschwerdeführerin zur Kenntnisnahme übersandt. Es enthielt keine Aufforderung zur Stellungnahme. In einem solchen Fall musste die Beschwerdeführerin in Kürze mit einer Entscheidung rechnen, da diese Vorgehensweise nur so verstanden werden kann, dass die Sache aus Sicht der Einspruchsabteilung entscheidungsreif ist und der Vortrag der Patentinhaberin keine Rolle spielt, da andernfalls die Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden wäre. In einem solchen Fall liegt es an der Beschwerdeführerin, sich an die Einspruchsabteilung zu wenden und weiteren Sachvortrag entweder zu machen oder - ausnahmsweise - innerhalb einer angemessenen Frist anzukündigen. Die von der Einspruchsabteilung einzuhaltende Wartezeit orientiert sich ausschließlich an diesen Anforderungen. Dabei ist ein Monat - wie hier vorliegend (Zustellungsfiktion 02.01.2009 - frühester Entscheidungszeitpunkt 02.02.2009) sicher ausreichend. Es kommt - nach Auffassung der Kammer - bei dieser Sachlage auch nicht darauf an, ob der von der Einspruchsabteilung nicht berücksichtigte Vortrag der Patentinhaberin kompliziert ist. Sollte der Vortrag als kompliziert erkannt werden, wird ein umsichtiger Vertreter zumindest die Möglichkeit einer Stellungnahme von der Einspruchsabteilung erbitten. Hier kommt hinzu, dass der Sachvortrag aus Sicht der Kammer nicht als kompliziert angesehen wird. Zur Begründung der angeblichen Kompliziertheit ist auch nichts vorgetragen. Das Einreichen eines Hilfsantrag allein - ohne auf dessen Inhalt einzugehen, ist jedenfalls zum Beleg der Kompliziertheit nicht ausreichend.
5.7 Es ist auch unerheblich, dass die Zeit vom 24.12.2008 bis 06.01.2009 teilweise, nämlich ab dem 02.01.2009 in den Zeitraum zwischen Zustellung und Entscheidung fiel. In diesem liegt zwar ein zusätzlicher Feiertag am 06.01.2009. Es gibt aber keine Vorschrift und auch keinen von der Beschwerdeführerin belegten allgemein geltenden Grundsatz, dass die Werktage in diesem Zeitraum einen besonderen Status hätten. Der Zeitraum vom 23.12.2008, dem Tag des tatsächlichen Zugangs bis einschließlich 01.01.2009 liegt vor Eintritt der Zustellungsfiktion. Wird die Post an den letzten Werktagen eines Jahres und an den ersten Werktagen des Folgejahres nicht ausreichend kontrolliert, so geschieht diese Vorgehensweise auf Risiko der jeweiligen Partei. Da folglich kein Verfahrensmangel vorliegt, scheidet die Rückzahlung der Beschwerdegebühr schon aus diesem Grunde aus.
6. Befassung der Großen Beschwerdekammer
6.1 Nach Artikel 112 (1) (a) EPÜ 1973 befasst die Beschwerdekammer, bei der ein Verfahren anhängig ist, die Große Beschwerdekammer von Amts wegen oder auf Antrag eines Beteiligten, wenn es dies zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsanwendung für erforderlich hält oder sich eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung stellt. Hinsichtlich der ersten Alternative der Befassungsmöglichkeit fehlt es bereits an der Voraussetzung einer uneinheitlichen Rechtsprechung. In der Entscheidung T 914/98 vertrat die Kammer die Auffassung, dass der Zeitraum von siebzehn Tagen, der zwischen dem Eingang der Erwiderung der Beschwerdegegner bei den Beschwerdeführern und der Abgabe der Entscheidung an die interne Poststelle des EPA verging, eindeutig zu kurz sei, als dass die Beschwerdeführer ausreichend Gelegenheit zu einer Stellungnahme gehabt hätten. Die Beschwerdeführer hätten angesichts der Rechtsprechung nicht damit rechnen können, dass eine Entscheidung so rasch ergeht. Welche Frist darüber hinaus zur Erwiderung ausreicht, ist eine Tatsachenfrage, die fallbezogen beantwortet werden muss; siehe hierzu Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 6. Auflage, VII.D.5.2.4. Es werden dort verschiedene Ansätze vertreten, nämlich dass eine angemessene Frist zur Stellungnahme in der Regel, d. h. bis auf Ausnahmefälle, nicht kürzer sein soll als die kürzest mögliche Stellungnahmefrist von zwei Monaten (Regel 132 (2) EPÜ), ganz unabhängig davon, ob die Handlung, die innerhalb dieser Frist vorgenommen werden muss, einfach ist oder sofort durchgeführt werden könnte (T 263/93) und dass bei einem ohne Fristsetzung lediglich zur Kenntnisnahme zugestellten Schreiben eine einmonatige Frist in der Regel noch ausreiche, auch in dieser Hinsicht den Erfordernissen des Art. 113 EPÜ zu entsprechen. In einem weiteren Fall, in dem schwierige technische Fragen geprüft werden mussten, wurde dagegen eine Frist von ca. einem Monat nicht für ausreichend gehalten, um der Beschwerdeführerin eine realistische Chance zu geben, der Einspruchsabteilung ihre Absicht einer Stellungnahme in der Sache anzukündigen und hierzu eine angemessene Frist zu beantragen, geschweige denn, um eine solche Stellungnahme einzureichen (so T 263/93). Dies sind jedoch alles Entscheidungen aufgrund unterschiedlicher tatsächlicher Bewertungen, die sich nicht abstrakt als Rechtsfrage beantworten lassen.
6.2 Da es sich nicht um eine Rechtsfrage handelt, liegen auch die Voraussetzungen der zweiten Alternative von Artikel 112 (1) (a) EPÜ 1973 nicht vor. Daneben ist zu beachten, dass selbst eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung eine Vorlage dann nicht erforderlich macht, wenn sie die Kammer ohne Zweifel selbst entscheiden kann (siehe hierzu Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 6. Auflage, VII.E.14.2.), denn die Auslegung des EPÜ ist vorrangig den Beschwerdekammern anvertraut (siehe G 3/08, dort Punkt 7.2.5, Amtsblatt EPA 1/2011, Seite 24). Die vorliegenden Fragen werfen keine Zweifel auf, sondern sind aus Sicht der Kammer eindeutig in der oben dargestellten Weise zu beantworten.
Eine Befassung der Großen Beschwerdekammer scheidet deshalb aus.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
2. Der Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird zurückgewiesen.
3. Der Antrag auf Befassung der Großen Beschwerdekammer wird zurückgewiesen.