Informationen
Diese Entscheidung ist nur auf Englisch verfügbar.
T 1130/09 (Phosphazenhaltige mikrostrukturierte Substrate/CELONOVA BIOSCIENCES) 05-05-2011
Download und weitere Informationen:
Polyphosphazen-haltige Substrate mit mikrostrukturierter Oberfläche
I. Die am 22. Dezember 2008 eingegangene Beschwerde richtet sich gegen die am 21. Oktober 2008 zur Post gegebene Entscheidung der Prüfungsabteilung, mit welcher die europäische Patentanmeldung Nr. 04 020 856.3 mit der Veröffentlichungsnummer EP-A-1 488 817 aufgrund mangelnder Neuheit zurückgewiesen wurde.
Der der Entscheidung zugrunde liegende ursprüngliche Anspruch 1 des Hauptantrages hat den folgenden Wortlaut:
"1. Substrat mit einer mikrostrukturierten Oberfläche, welche mindestens teilweise ein biokompatibles Polymer mit der folgenden allgemeinen Formel (I)
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
umfaßt, wobei n für 2 bis ? steht, R**(1) bis R**(6) gleich oder unterschiedlich sind und einen Alkoxy- Alkylsulfonyl, Dialkylamino- oder Aryloxyrest oder einen Heterocycloalkyl- oder Heteroarylrest mit Stickstoff als Heteroatom bedeuten, und wobei die Oberflächenstrukturen eine Größenordnung im Bereich von 10 nm bis 100 mym aufweisen."
II. Die Prüfungsabteilung stellte in der angefochtenen Entscheidung fest, dass die für die Streitanmeldung beanspruchte Priorität nicht gültig sei, da das Prioritätsdokument DE 101 00 961.5 das Merkmal "wobei die Oberflächenstrukturen eine Größenordnung im Bereich von 10 nm bis 100 mym aufweisen" nicht offenbare. Der Gegenstand des unabhängigen Anspruchs 1 gemäß des damals geltenden Haupt- und Hilfsantrages sei von der Druckschrift
(2) WO-A-01/80919
neuheitsschädlich vorweggenommen, da diese Druckschrift bereits Substrate offenbare, die mit einem Polyphosphazen gemäß Anspruch 1 der Streitanmeldung beschichtet seien und die eine mikrostrukturierte Oberfläche mit Strukturen im Bereich von Nanometern oder Mikrometern aufwiesen. Der beanspruchte Bereich stelle zwar nach den Kriterien für Auswahlerfindungen eine enge und weit vom offenbarten Bereich entfernt liegende Auswahl dar, sei aber mangels eines für diesen Bereich nachgewiesenen unerwarteten Effektes nicht als zielgerichtet anzusehen.
III. Der Beschwerdeführer hat vorgetragen, dass es sich bei der in Druckschrift (2) zitierten Passage nicht um die Offenbarung eines breiteren Bereichs der Größenordnung der Oberflächenstrukturen handele, sondern vielmehr um einen Hinweis darauf, dass die Oberflächenstrukturen hinsichtlich ihrer Größe keinen Einschränkungen unterliegen. Insbesondere sei kein definierter Größenbereich angegeben, aus dem der anspruchsgemäße Bereich von 10 nm bis 100 mym ausgewählt worden sei. Deshalb seien die Kriterien für Auswahlerfindungen aus einem größeren offenbarten Bereich hier nicht anzuwenden. Da auch die weiteren im Verfahren befindlichen Druckschriften keinen der nunmehr beanspruchten Stoffe offenbarten, sei die Neuheit des Gegenstandes des ursprünglichen Anspruchs 1 anzuerkennen.
IV. Die zusammen mit der Beschwerdebegründung vom 2. März 2009 eingereichten Hilfsanträge 1 bis 3 hat der Beschwerdeführer während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer am 5. Mai 2011 zurückgezogen.
V. Der Beschwerdeführer hat beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Angelegenheit an die Erstinstanz zur weiteren Prüfung auf Basis seines Hauptantrages (d.h. der ursprünglichen Ansprüche 1 bis 5) zurückzuverweisen.
VI. Am Ende der mündlichen Verhandlung wurde die Entscheidung der Kammer verkündet.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
Hauptantrag
2. Priorität (Art. 88 EPÜ)
Als Prioritätstag beansprucht die Streitanmeldung den 11. Januar 2001, basierend auf dem Prioritätsdokument DE 101 00 961.5. Wie bereits in der angefochtenen Entscheidung ausgeführt, offenbart dieses Dokument nicht, dass "die Oberflächenstrukturen eine Größenordnung im Bereich von 10 nm bis 100 mym aufweisen." Damit ist die für Anspruch 1 der Streitanmeldung beanspruchte Priorität vom 11. Januar 2001 nicht gültig, mit der Folge, dass als Anmeldedatum der 11. Januar 2002 gilt. Folglich stellt die am 01. November 2001 veröffentlichte Druckschrift (2) Stand der Technik im Sinne von Artikel 54(2) EPÜ dar.
3. Neuheit(Artikel 54 EPÜ)
3.1 Der Gegenstand des Anspruchs 1 betrifft ein Substrat mit einer mikrostrukturierten Oberfläche, welche mindestens teilweise ein biokompatibles Polymer, nämlich ein Polyphosphazen der allgemeinen Formel (I) umfasst und welche Oberflächenstrukturen in einer Größenordnung im Bereich von 10 nm bis 100 mym aufweist (siehe Paragraph I supra).
3.2 In der angefochtenen Entscheidung wurde in Bezug auf die Neuheit nur die Druckschrift (2) angezogen.
Druckschrift (2) offenbart ebenfalls ein Substrat, dessen Oberfläche mit einem Polyphosphazen entsprechend der Formel (I) gemäß Streitanmeldung beschichtet ist. Das Substrat kann auch mikrostrukturiert sein (Seite 8, Zeile 32 bis Seite 9, Zeile 4). Die einzige Offenbarung, welche sich auf die Strukturgrößen bezieht, findet sich in Druckschrift (2) auf Seite 9, Zeilen 5 bis 7 und lautet: "Bei den Strukturgrößen des Substrates ist man nicht festgelegt. So können Strukturen in der Größenordnung von Nanometern, Mikrometern oder noch größer oder kleiner hergestellt werden". Damit offenbart die Druckschrift (2) zwar keinen durch spezifische Ober- und Untergrenzen definierten Bereich, legt aber dennoch durch den Hinweis auf Strukturen in der Größenordnung von Nanometern oder Mikrometern, sowie durch die Bezeichnung der Substrate als mikrostrukturierte Substrate einen auf derartige Mikrostrukturen beschränkten Größenbereich fest.
In der angefochtenen Entscheidung wurde zur Beurteilung der Neuheit das Prinzip der Auswahlerfindung unter Anwendung der drei Kriterien, die in der Entscheidung T 198/84 (siehe ABl. EPA 1985, 209, Paragraph 7) entwickelt wurden, herangezogen. Dieses Prinzip ist anzuwenden, wenn die Auswahl eines engen Teilbereiches aus einem größeren Bereich erfolgt.
Die Passage auf Seite 9, Zeilen 5 bis 7 der Druckschrift (2) offenbart, dass die Strukturgrößen im Bereich von Nanometern oder Mikrometern liegen. Daher stellt der spezifische beanspruchte Bereich von 10 nm bis 100 mym, wie in der angefochtenen Entscheidung bereits festgestellt, eine enge Auswahl dar, die in Ermangelung von Beispielen in Druckschrift (2) auch als weit entfernt von den zentralen Ausführungsformen der Druckschrift (2) zu werten ist. Die ersten beiden Kriterien, wie in T 198/84 (loc. cit.) definiert, sind somit erfüllt. Das dritte Kriterium, wonach für einen engeren beanspruchten Bereich ein technischer Effekt nachzuweisen ist, muss für die Beurteilung der Neuheit jedoch außer Betracht bleiben, da die Neuheit und die erfinderische Tätigkeit zwei voneinander getrennte Erfordernisse der Patentierbarkeit darstellen. Ein technischer Effekt, der in dem engeren beanspruchten Bereich auftritt, begründet nicht die Neuheit eines an sich bereits neuen Zahlenbereichs, sondern gilt lediglich als Bestätigung für die bereits festgestellte Neuheit dieses engeren beanspruchten Zahlenbereichs. Die Frage, ob ein technischer Effekt vorhanden ist oder nicht, bleibt jedoch eine Frage der erfinderischen Tätigkeit (siehe T 1233/05, Paragraph 4.4; T 230/07, Paragraph 4.1.6; beide Entscheidungen nicht veröffentlicht im ABl. EPA).
Daher ist die Kammer der Auffassung, dass Druckschrift (2) für die Strukturgrößen den nunmehr beanspruchten definierten Bereich von 10 nm bis 100 mym nicht offenbart und der Gegenstand des ursprünglichen Anspruchs 1 im Sinne von Artikel 54 EPÜ neu gegenüber Druckschrift (2) ist.
Da der Gegenstand der abhängigen Ansprüche 2 bis 5 lediglich weitere Ausführungsformen des Gegenstandes des ursprünglichen Anspruchs 1 betrifft, ist deren Gegenstand ebenfalls neu gegenüber Druckschrift (2).
4. Zurückverweisung (Artikel 111 EPÜ)
Da das Streitpatent in der Fassung gemäß geltendem Hauptantrag einzig wegen mangelnder Neuheit gegenüber der Druckschrift (2) widerrufen worden ist, die Kammer indessen die Neuheit des Patentgegenstandes gegenüber dieser Entgegenhaltung festgestellt hat, ist die angefochtene Entscheidung aufzuheben. Gleichwohl hat die Kammer keine Entscheidung in der ganzen Angelegenheit getroffen, da die Prüfungsabteilung zu der Frage der erfinderischen Tätigkeit noch keine beschwerdefähige Entscheidung getroffen hat. Hierzu steht eine abschließende Prüfung der ersten Instanz noch aus. Die Kammer hält es daher nicht für angezeigt, an deren Statt diese Fragen zu entscheiden, um auch diesbezüglich dem Anmelder die Möglichkeit auf eine Beschwerde vor der zweiten Instanz zu erhalten. Unter diesen Umständen verweist die Kammer in Ausübung ihrer Befugnisse gemäß Artikel 111 (1) EPÜ die Angelegenheit zur weiteren Entscheidung an die Prüfungsabteilung zurück.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Erstinstanz zur weiteren Prüfung auf Basis des Hauptantrages (d.h. der ursprünglichen Ansprüche 1 bis 5) zurückverwiesen.