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T 0797/11 (Optimierung von Prozessabläufen/VOLKSWAGEN) 23-05-2017
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VERFAHREN ZUR PLANUNG VON PROZESSABLÄUFEN
Erfinderische Tätigkeit - Mischung technischer und nichttechnischer Merkmale
Erfinderische Tätigkeit - Planung von Prozessabläufen (nein
Erfinderische Tätigkeit - betriebswirtschaftliches Optimierungsproblem)
Erfinderische Tätigkeit - Prozessablauf zugänglich zu machen (nein
Erfinderische Tätigkeit - allgemeines Fachwissen)
I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung, die am 12. November 2010 zur Post gegeben wurde und mit der die europäische Patentanmeldung Nr. 02777136.9 mangels erfinderischer Tätigkeit gemäß Artikel 56 EPÜ zurückgewiesen wurde.
II. Die Kammer hat in einem Bescheid vom 22. Februar 2017 zur mündlichen Verhandlung geladen und ihre vorläufige Meinung zu der Beschwerde dargelegt. Dabei wurde in Reaktion auf die Argumentation der Beschwerdeführerin exemplarisch auf die Veröffentlichung D1 (Gabler-Wirtschafts-Lexikon, 13. Auflage, ISBN 3-409-30346-4, S. 1524 und 1525) verwiesen, welche gemäß Artikel 114(1) EPÜ von Amts wegen in das Verfahren eingeführt wurde. Es wurden Einwände wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit erhoben und die Gründe dafür dargelegt.
III. Mit Schreiben vom 19. Mai 2017 reichte die Beschwerdeführerin einen Hilfsantrag 1 ein.
IV. Am 23. Mai 2017 fand eine mündliche Verhandlung statt, in deren Verlauf alle vorgetragenen Argumente diskutiert wurden.
V. Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und ein Patent zu erteilen auf der Grundlage des Hauptantrags eingereicht mit Schreiben vom 23. August 2010 vor der Prüfungsabteilung oder des Hilfsantrags 1 eingereicht mit Schreiben vom 19. Mai 2017.
VI. Der unabhängige Anspruch 1 gemäß dem Hauptantrag lautet:
1. Verfahren zur Planung von Prozessabläufen,
a) bei dem in zumindest einer Datenbank (4) eine Vielzahl verschiedener Prozessdaten (2) gespeichert werden,
b) bei dem die gespeicherten Prozessdaten (2) über ein Datennetz von zumindest einem Arbeitsplatzrechner abgerufen werden,
c) bei dem gespeicherte Prozessdaten mit Hilfe des Arbeitsplatzrechners miteinander kombinierbar und vergleichbar gemacht werden,
d) bei dem die gespeicherten Prozessdaten (2) jeweils Prozessgruppen (2a, 2b, 2c, 2d, 2e) zugeordnet werden,
e) bei dem die gespeicherten Prozessdaten über ein Datennetz (4) an eine Auswerteeinheit (6) übermittelt werden,
f) bei dem die Auswerteeinheit (6) in einem iterativen Prozess einen Vergleich aller möglichen Kombinationen von Prozessdaten (2) aus den einzelnen Prozessgruppen (2a, 2b, 2c, 2d, 2e) durchführt und auf diese Weise einen optimalen Prozessablauf ermittelt,
g) bei dem der optimale Prozessablauf in der Datenbank (4) gespeichert wird und
h) bei dem der optimale Prozessablauf über das Datennetz (5) von einer Vielzahl von räumlich getrennten Arbeitsplatzrechner [sic] abgerufen wird und als Basis für Arbeitsabläufe auf den Arbeitsplatzrechnern angezeigt wird.
Der unabhängige Anspruch 1 gemäß dem Hilfsantrag 1 weist folgendes weitere Merkmal auf:
i) wenn während einer Implementierung in einem Produktionsstandort ein Fehler in der Prozessablaufplanung festgestellt wird, ein ausgewählter Prozess iterativ durch Vergleich mit einem realen Prozess optimiert wird, und dieser optimierte Prozess in der Datenbank (4) gespeichert wird, woraufhin der optimierte Prozess für weitere Planungen allen angeschlossenen Arbeitsplatzrechnern zur Verfügung steht.
VII. Die Beschwerdeführerin argumentierte im wesentlichen, dass, in der angefochtenen Entscheidung eine Zergliederung der Merkmale des beanspruchten Verfahrens erfolgt sei. Bei der beanspruchten Planung von Prozessabläufen handele es sich um eine technische Aufgabenstellung. Weiter sei eine anspruchsgemäße Datenumwandlung nicht lediglich betriebswirtschaftlich orientiert, sondern umfasse auch technische Größen. Die Beschwerdeführerin verwies diesbezüglich auf die Entscheidung T 930/05. Vor allem sei der beanspruchte iterative Prozess zur Optimierung als zum technischen Charakter beitragend anzusehen.
VIII. Am Ende der mündlichen Verhandlung verkündete die Kammer ihre Entscheidung.
Zulässigkeit der Beschwerde
1. Die Beschwerde entspricht den Voraussetzungen der Artikel 106 bis 108 und Regel 99 EPÜ und ist daher zulässig.
Hauptantrag
Erfinderische Tätigkeit - Artikel 56 EPÜ
2. Die Kammer stimmt der angefochtenen Entscheidung zu, dass keine erfinderische Tätigkeit vorliegt. Insbesondere sieht die Kammer keine fehlerhafte Anwendung des Prüfungsansatzes nach T 641/00 (COMVIK). Eine von der Beschwerdeführerin bemängelte Zergliederung der Merkmale des beanspruchten Verfahrens vermag die Kammer nicht zu erkennen. Auch bleibt die Beschwerdeführerin detaillierte Argumente im Hinblick auf ein geltend gemachtes Zusammenspiel der Umsetzung der Verfahrensschritte auf Arbeitsplatzrechnern schuldig. Solche kombinatorischen technischen Effekte vermag die Kammer anhand der Offenbarung in den Anmeldungsunterlagen auch nicht zu erkennen.
3. Nach Ansicht der Kammer handelt es sich beim Gattungsbegriff des unabhängigen Anspruchs 1, einem Verfahren zur Planung von Prozessabläufen, um eine Aufgabenstellung aus dem betriebswirtschaftlichen Bereich. Die Bereitstellung eines solchen Verfahrens wird daher nicht als technische Aufgabe angesehen, sondern im Rahmen einer reinen Planung als eine administrative Maßnahme. Dies gilt insbesondere, weil anspruchsgemäß keine spezifischen technischen Problemstellungen in Verbindung mit Fertigungsabläufen oder Maschinensteuerung erkennbar sind. Vielmehr handelt es sich um ein betriebswirtschaftliches Optimierungsproblem. Unter Verwendung bekannter Optimierungsalgorithmen und Optimierungsansätze soll vor allem die Datenmenge beherrscht werden. Hierzu wird vorgeschlagen, sich die Möglichkeiten der Computertechnik zu Nutze zu machen. Da die Daten für eine Vielzahl verteilter Orte benötigt werden bzw. daher stammen, kommt ein vernetztes Rechnersystem zum Einsatz.
3.1 Die Kammer stimmt der angefochtenen Entscheidung zu, dass die Unterscheidungsmerkmale a), b), c), e), g) und h) von Anspruch 1 zwar technischen Charakter aufweisen, jedoch nicht über den naheliegenden Einsatz eines fachnotorischen vernetzten Rechnersystems hinausgehen.
3.2 Merkmal c) spezifiziert, dass Prozessdaten miteinander kombinierbar und vergleichbar gemacht werden. Nähere Details dazu wie kombiniert oder verglichen wird und wie die Prozessdaten genau aussehen, ist weder beansprucht noch offenbart. Die von der Beschwerdeführerin angeführte Datenumwandlung ist nicht genauer spezifiziert. Die Beschwerdeführerin hat in der mündlichen Verhandlung argumentiert, diese Datenumwandlung sei nicht lediglich betriebswirtschaftlich orientiert, sondern umfasse auch technische Größen.
Die von der Beschwerdeführerin geltend gemachten angeblichen technischen Erwägungen vermag die Kammer in diesem Zusammenhang nicht zu erkennen. Weder ist eine technische Arbeitsweise der Auswerteeinheit in Anspruch 1 näher spezifiziert, noch der Inhalt der Prozessdaten.
Merkmal c) beansprucht lediglich auf einer Metaebene, dass Prozessdaten miteinander kombinierbar und vergleichbar gemacht werden. Die Beschwerdeführerin hat in der Beschwerdebegründung auf die Entscheidung T 930/05 verwiesen. Diese Entscheidung bringt unter anderem zum Ausdruck (siehe z.B. Punkt 4.5 der Entscheidungsgründe), dass die bloße Möglichkeit einer Verwendung technischer Mittel nicht ausreicht. Wenn der beanspruchte Gegenstand zwar mögliche technische Ausführungsformen umfasst, daneben jedoch auch als nicht-technisch im Sinne von Artikel 52(2) und (3) EPÜ anzusehende Implementierungen denkbar sind, so erlaubt ein Teilmerkmal auch eine nicht-technische Auslegung und wird nicht als technisches Merkmal angesehen (so auch T 619/02, Punkt 2.2 der Entscheidungsgründe und Leitsatz 2). Genau dies ist bei Anspruch 1 mit den beanspruchten Prozessdaten der Fall, denn diese können z.B. auch rein monetäre Größen darstellen. Solche abstrakten Prozessdaten, wie in Anspruch 1 spezifiziert, besitzen daher nicht das Potenzial als funktionale Daten im Sinne der Entscheidung T 1194/97 (Philips) und können somit selbst keinen erfinderischen technischen Beitrag leisten.
Die Kammer ordnet eine beanspruchte Datenumwandlung daher durchaus als Erfordernis des betriebswirtschaftlichen Optimierungsansatzes ein, welcher als administratives Konzept dem nicht-technischen Bereich des Anspruchsgegenstands zuzuordnen ist und daher bei der Prüfung auf erfinderische Tätigkeit nicht herangezogen wird.
Die Kammer ist daher der Auffassung, wie auch in T 930/05 angeführt (vgl. Punkt 4.6 der Entscheidungsgründe), dass mit der beanspruchten Erfindung gemäß Anspruch 1 eine Metaebene beschritten wird, die eher eine Sprache zur Beschreibung von Prozessabläufen als eine Beschreibung prozessimplementierender technischer Mittel zum Gegenstand hat. Dabei handelt es sich um eine vorgelagerte abstrakte Definition oder Modellierung von Informationen, die zwar eine regelgebundene Systemanalyse eines (unbestimmten) Prozesses einschließt, aber nicht auf die Lösung eines bestimmten technischen Problems gerichtet ist.
Die von der Beschwerdeführerin angeführten technischen Überlegungen bei der Implementierung dieser Verfahrensschritte, die über das notorische Fachwissen hinausgehen (vgl. Seite 4, erster Absatz der Beschwerdebegründung), wurden nicht näher erläutert. Solche sind in den Anmeldungsunterlagen auch nicht offenbart.
3.3 Hinsichtlich des Verfahrensmerkmals d), nämlich einer Gruppierung der nicht näher spezifizierten Prozessdaten, vertritt die Kammer die Auffassung, dass dies ebenfalls Bestandteil des betriebswirtschaftlichen Optimierungsansatzes ist, welcher als administratives Konzept dem nicht-technischen Bereich des Anspruchsgegenstands zuzuordnen ist und daher bei der Prüfung auf erfinderische Tätigkeit nicht herangezogen wird. Es gilt hier das bereits zu Merkmal c) Gesagte entsprechend.
3.4 Das Verfahrensmerkmal f), nämlich in einem iterativen Prozess einen Vergleich aller möglichen Kombinationen Prozessdaten zur Ermittlung eines optimalen Prozessablaufs vorzunehmen, sieht die Kammer ebenfalls im Bereich des betriebswirtschaftlichen Optimierungsansatzes. Eine Ermittlung eines optimalen Prozessablaufs liegt im Bereich des Artikel 52(2)(c) EPÜ, im konkreten Fall Algorithmen zur Optimierung oder heuristische Verfahren, welche somit per se nicht zum technischen Charakter beitragen. Exemplarisch wird auf D1 verwiesen, einen Auszug aus einem betriebswirtschaftlichen Lexikon. Hieraus geht hervor, dass unabhängig von einer technischen Implementierung auf einem Rechner, vor dem Prioritätstag in der betriebswirtschaftlichen Prozessplanung (als Beispiele sind eine Produktionsablaufplanung wie z.B. Reihen- und Werkstattfertigung genannt) heuristische Verfahren vor allem auch iterative Verfahren umfassten. Die Anmeldung offenbart keine technischen Details zur konkreten Ausgestaltung des iterativen Prozesses.
Doch selbst wenn man einen solchen iterativen Prozess als zum technischen Charakter beitragend ansieht, so ist dies doch zumindest aus bekannten Optimierungsalgorithmen oder heuristischen Verfahren zur Produktionsablaufplanung nahegelegt (vgl. exemplarisch D1). Nähere Details zur Verwirklichung eines iterativen Ansatzes oder zu dessen Implementierung, die sich von bekannten Ansätzen abgrenzen könnten, bleibt die Anmeldung schuldig. So räumt die Beschwerdeführerin selbst ein (vgl. S. 6 der Beschwerdebegründung), dass technische Überlegungen, welche letztendlich zu einem geringeren Material- oder Energieeinsatz führen, nicht im Verfahrensmerkmal f) enthalten sind.
3.5 Die Optimierung des Prozessablaufs mit den zugehörigen Verfahrensschritten ist so abstrakt gehalten, dass damit auch wirtschaftliche und nicht zwangsläufig technische Ausführungen umfasst werden. Dadurch wird nach Auffassung der Kammer somit kein technischer Effekt erzielt und kein technisches Problem gelöst.
4. Anders sieht dies aus, soweit die Problemstellung betroffen ist, den ermittelten optimalen Prozessablauf an einer Vielzahl von räumlich getrennten Orten zugänglich zu machen. Als technische Aufgabe wird daher, wie in der angefochtenen Entscheidung, die Implementierung eines solchen Konzepts zur Prozessoptimierung angesehen, durch die dies gewährleistet ist.
4.1 Den nächstliegenden Stand der Technik stellt ein verteiltes Rechnersystem mit Clients, Server und Datenbank dar, wie es vor dem Prioritätstag fachnotorisch bekannt war. Das betriebswirtschaftliche und damit administrative Konzept wie es weiter oben dargestellt wurde, wird dabei zur Implementierung vorgegeben und leistet keinen erfinderischen technischen Beitrag.
4.2 Prozessdaten zentral zusammenzuführen (Merkmal e), Ergebnisse in einer Datenbank zu speichern (Merkmal g) und mit einer Vielzahl von räumlich getrennten Arbeitsplatzrechnern auszutauschen (Merkmal h) ist Sinn und Zweck eines jeden vernetzten Rechnersystems bzw. von Client-Server-Systemen. Diese Merkmale gehen nicht über den fachüblichen Einsatz solcher Systeme hinaus.
4.3 Die Implementierung auf einem solchen Rechnersystem wird daher als naheliegend angesehen, da keine technischen Hürden oder unerwartete technische Effekte erkennbar sind. Der Gegenstand von Anspruch 1 beruht daher nicht auf der erforderlichen erfinderischen Tätigkeit.
Hilfsantrag 1
5. Gemäß Merkmal i) wird ein weiterer iterativer Optimierungsschritt durchgeführt. Hierbei bleibt unklar, wie weitere Iterationen aussehen sollen, wenn bereits in Merkmal f) alle möglichen Kombinationen von Prozessdaten berücksichtigt wurden. Auch ist nicht eindeutig, welcher Prozess als "realer Prozess" anzusehen ist. So ist im Fall einer Planung für einen erstmals zu implementierenden Prozessablauf nicht klar, welcher Prozess für einen Vergleich herangezogen werden kann.
5.1 Doch unabhängig davon, gelten auch für diesen wiederholten Optimierungsschritt gemäß Merkmal i) von Anspruch 1 die obigen Ausführungen unter den Punkten 3.4 und 3.5, weshalb das zusätzliche Merkmal keine erfinderische Tätigkeit begründet.
5.2 Somit ist auch der Gegenstand von Anspruch 1 dieses Antrags nahegelegt.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.