T 2528/11 29-11-2016
Download und weitere Informationen:
VERFAHREN ZUR HERSTELLUNG VON PRIMÄREN AMINEN DURCH HYDRIERUNG VON NITRILEN
Ausreichende Offenbarung - Ausführbarkeit (ja)
Erfinderische Tätigkeit - nicht naheliegende Alternative
I. Die Beschwerde der Beschwerdeführerin (Einsprechende) richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit welcher der Einspruch gegen das europäische Patent Nr. 1 480 942 zurückgewiesen wurde. Der Wortlaut der unabhängigen Ansprüche 1 und 11, auf denen die angefochtene Entscheidung beruht, lautete wie folgt:
"1. Verfahren zur Herstellung eines primären Amins durch Hydrierung von Nitrilen, bei dem man ein Reaktionsgemisch, das
(a) mindestens ein Nitril,
(b) Wasserstoff,
(c) gegebenenfalls Ammoniak und
(d) mindestens einen, durch Adsorption eines Alkalimetallcarbonats oder Alkalimetallhydrogencarbonats ex situ modifizierten, Cobalt- oder Nickelkatalysator enthält, welcher Alkalimetallcarbonat oder -hydrogencarbonat in einer Menge von 2 bis 12 Gew.-% enthält, umsetzt."
"11. Modifizierter Cobalt- oder Nickelkatalysator, erhältlich durch Adsorption eines Alkalimetallcarbonats oder Alkalimetallhydrogencarbonats in einer Menge von 2 bis 12 Gew.-% auf einen üblichen Cobalt- oder Nickelkatalysator."
Im Einspruchsverfahren war das Patent in seinem gesamten Umfang wegen mangelnder Ausführbarkeit (Artikel 100 b) EPÜ), sowie mangelnder erfinderischer Tätigkeit (Artikel 100 a) EPÜ), angegriffen worden. Im Einspruchsverfahren wurden inter alia folgende Dokumente herangezogen:
(5) GB-A-1 164 354,
(7) EP-A1-0 913 388 und
(16) M. Kalina, I. Pashek, Kinetika i Kataliz, 10, 574, 1969 in seiner englischen Übersetzung.
In der angefochtenen Entscheidung stellte die Einspruchsabteilung fest, dass der Gegenstand der Ansprüche 1 und 11 ausführbar sei. Ausgehend von den Druckschriften (5) oder (7) als nächstliegendem Stand der Technik habe das streitpatentgemäße Verfahren nicht nahegelegen.
III. Die Beschwerdeführerin hat schriftlich einen Einwand bezüglich mangelnder Offenbarung im Sinne von Artikel 83 EPÜ vorgetragen. Insbesondere sei dem Fachmann weder aus seinem Fachwissen, noch aus dem Streitpatent eine Methode bekannt gewesen, mit Hilfe derer die auf dem Katalysator adsorbierte Menge an Alkalimetallcarbonat oder Alkalimetallhydrogencarbonat bestimmt werden könne. In Bezug auf die erfinderische Tätigkeit ging die Beschwerdeführerin von den Druckschriften (5), (7) oder (16) aus. Das Verfahren des Streitpatentes ergebe sich entweder aus diesen Druckschriften zusammen mit dem allgemeinen Fachwissen des Fachmannes oder durch eine Kombination dieser Druckschriften untereinander.
IV. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) widersprach dem Einwand der mangelnden Ausführbarkeit und brachte vor, dass es ausgehend von den Druckschriften (5) oder (7) nicht nahegelegen habe, den Hydrierungskatalysator ex situ durch Adsorption von 2 bis 12 Gew.-% Alkalimetallcarbonat oder Alkalimetallhydrogencarbonat zu modifizieren.
V. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patentes.
Die Beschwerdegegnerin beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.
VI. Mit Schriftsatz vom 23. November 2016 teilte die Beschwerdeführerin der Kammer mit, dass sie an der für den 29. November 2016 anberaumten mündlichen Verhandlung der Kammer voraussichtlich nicht teilnehmen werde.
VII. In Abwesenheit der Beschwerdeführerin wurde am Ende der mündlichen Verhandlung vor der Kammer die Entscheidung verkündet.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Artikel 83 EPÜ
2.1 Die Beschwerdeführerin hatte gerügt, dass das Streitpatent keine ausreichenden Informationen enthalte, die dem Fachmann die Ausführung des in den Ansprüchen 1 und 11 beanspruchten Gegenstandes im gesamten beanspruchten Bereich ermöglichten. Auch sei nicht erkennbar, worauf sich die Mengenangabe von 2 bis 12 Gew.-% Alkalimetallcarbonat oder -hydrogencarbonat beziehe. Das Streitpatent nenne keine Methode, mithilfe derer der Fachmann den Gehalt an adsorbiertem Alkalimetallcarbonat oder Alkalimetallhydrogencarbonat des modifizierten Katalysators feststellen könne. Daher sei die Beschwerdegegnerin beweispflichtig für die Behauptung, dass es im allgemeinen Fachwissen des Fachmanns läge, den Gehalt an Alkalimetallcarbonat oder Alkalimetallhydrogencarbonat festzustellen.
2.2 Gemäß Artikel 83 EPÜ ist die Erfindung so deutlich und vollständig zu offenbaren, dass ein Fachmann sie ausführen kann. Nach der Rechtsprechung der Beschwerdekammern ist diese Vorschrift so zu verstehen, dass der im Anspruch definierte Gegenstand anhand der Lehre der Patentschrift und unter Mithilfe des allgemeinen Fachwissens ohne unzumutbaren Aufwand, wozu auch die Durchführung üblicher Versuche gehört, vollständig, d.h. innerhalb des gesamten beanspruchten Bereiches, ausführbar sein muss (siehe auch T 409/91, ABl. EPA 1994, 653, Punkt 3.5 der Entscheidungsgründe; T 435/91, ABl. EPA 1995, 188, Punkt 2.2.1 der Entscheidungsgründe).
2.3 Im vorliegenden Fall ist das Verfahren gemäß Anspruch 1 u.a. dadurch gekennzeichnet, dass es ,,(d) mindestens einen, durch Adsorption eines Alkalimetallcarbonats oder Alkalimetallhydrogencarbonats ex situ modifizierten, Cobalt- oder Nickelkatalysator enthält, welcher Alkalimetallcarbonat oder -hydrogencarbonat in einer Menge von 2 bis 12 Gew.-% enthält".
Diesem Wortlaut entnimmt der Fachmann in eindeutiger Weise, dass der Cobalt- oder Nickelkatalysator vor seiner Verwendung in dem beanspruchten Hydrierverfahren modifiziert wird, wobei die Modifizierung durch Adsorption von Alkalimetallcarbonat oder Alkalimetallhydrogencarbonat erfolgt, so dass der modifizierte Katalysator das Alkalimetallcarbonat oder Alkalimetallhydrogencarbonat in einer Menge von 2 bis 12 Gew.-% enthält. Der Fachmann wird dabei die adsorbierte Menge als diejenige Menge verstehen, die nach der Modifizierung auf oder an dem Katalysator verbleibt. Die Mengenangabe von 2 bis 12 Gew.-% bezieht sich im Anspruch eindeutig auf den modifizierten Cobalt- oder Nickelkatalysator, bei dem es sich im normalen Verständnis des Fachmanns um den trockenen Katalysator handelt. Der Einwand der Beschwerdeführerin, dass nicht angegeben sei, worauf sich diese Mengenangabe beziehe, kann durch den Wortlaut des Anspruchs, der den beanspruchten Gegenstand definiert, nicht gestützt werden.
Darüber hinaus enthält das Streitpatent insgesamt 18 Beispiele, in denen die Herstellung des modifizierten Katalysators detailliert beschrieben ist. Aus den dort angegebenen Alkaligehalten kann der Fachmann die jeweils angelagerte Menge an Alkalimetallcarbonat oder Alkalimetallhydrogencarbonat bestimmen.
2.4 Die Beschwerdeführerin brachte vor, dass das Streitpatent keine Informationen zur Ausführung der Erfindung enthalte. Sie habe auch darauf hingewiesen, dass Alkalimetallcarbonate in wässriger Lösung zur Bildung von Hydrogencarbonat neigten, so dass die Menge an Alkalimetall nicht zwangsläufig der Menge an adsorbiertem Alkalimetallcarbonat entspreche. Unter Hinweis auf die Entscheidung T 63/06 argumentierte die Beschwerdeführerin, dass durch die vorgetragenen erheblichen Zweifel an der Ausführbarkeit seitens der Beschwerdeführerin nur eine schwache Vermutung der Rechtsgültigkeit bestehe. Daher sei eine Umkehr der Beweispflicht gerechtfertigt. Die Beweislast liege somit bei der Beschwerdegegnerin, die nachweisen müsse, dass die Menge an adsorbiertem Alkalimetallcarbonat oder Alkalimetallhydrogencarbonat bestimmt werden kann.
Indessen ist festzustellen, dass der Gehalt an Alkalimetallcarbonat oder Alkalimetallhydrogencarbonat keinen unüblichen Parameter darstellt, dessen Messmethode im Detail angegeben werden muss. Darüber hinaus enthält das Streitpatent Informationen in Form von insgesamt 18 Beispielen, in denen die Herstellung des modifizierten Katalysators beschrieben ist. Die Behauptung der Beschwerdeführerin, dass die dort angegebene Menge an Alkalimetall möglicherweise nicht der Menge an Alkalimetallcarbonat oder Alkalimetallhydrogencarbonat entspreche, wurde jedoch nicht durch z.B. eigene Messungen belegt, was in diesem Fall jedoch angezeigt gewesen wäre. Daher trifft die in der Entscheidung T 63/06 beschriebene Fallgestaltung für den vorliegenden Fall nicht zu und eine Umkehr der Beweislast ist nicht gerechtfertigt. Somit kann dieses Argument der Beschwerdeführerin nicht durchgreifen.
2.5 Die Kammer ist daher der Auffassung, dass das Streitpatent ausreichende Informationen enthält, die dem Fachmann die Ausführung des in den Ansprüchen 1 und 11 definierten Gegenstandes erlauben. Die Erfordernisse des Artikels 83 EPÜ sind daher erfüllt.
3. Erfinderische Tätigkeit
3.1 Anspruch 1 des Streitpatentes betrifft ein Verfahren zur Herstellung von primären Aminen durch Hydrierung von Nitrilen. Ein derartiges Verfahren ist bereits in der Druckschrift (7) beschrieben. Die Beschwerdeführerin zog als möglichen nächstliegenden Stand der Technik auch noch die Druckschriften (5) und (16) heran.
3.1.1 Druckschrift (5) offenbart ein Verfahren zur Herstellung von primären Aminen durch Hydrierung von Nitrilen, wobei das Reaktionsgemisch mindestens ein Nitril, Wasserstoff, eine Base, Aluminiumoxid und einen Raney-Katalysator enthält (siehe Druckschrift (5), Seite 1, Zeilen 9 bis 27). Die Liste der als Base verwendeten Verbindungen enthält neben Lithiumhydroxid auch Natriumcarbonat und Kaliumcarbonat (Seite 2, Zeilen 76 bis 84).
3.1.2 Druckschrift (16) betrifft eine wissenschaftliche Studie, zur Untersuchung der unterschiedlichen katalytischen Eigenschaften von Nickel- und Kobaltkatalysatoren bei Reaktionen von Aminen (siehe Druckschrift (16), Abstract, Seite 469). Dabei wurde insbesondere die unterschiedliche Adsorption von primären und sekundären Aminen an Nickel- und Kobaltkatalysatoren, sowie mögliche Einflussfaktoren untersucht. Dabei zeigte sich auch, dass in Anwesenheit von Natriumcarbonat die Bildung von sekundären Aminen abnimmt (Seite 473, vorletzter Satz vor Table 4).
3.1.3 Druckschrift (7) offenbart ein Verfahren zur Herstellung von primären Aminen, bei dem ein Nitril mit Wasserstoff in Gegenwart eines modifizierten Kobaltkatalysators umgesetzt wird. Die Modifizierung des Katalysators erfolgt durch Behandlung mit einer katalytischen Menge an Lithiumhydroxid (siehe Druckschrift (7), Anspruch 1). Die Modifizierung mit Lithiumhydroxid erfolgt entweder ex situ vor der Hydrierung, oder das Lithiumhydroxid wird zur Reaktionslösung gegeben (Seite 2, Zeilen 54 bis 57). Dabei wird das Lithiumhydroxid vorzugsweise in einer Menge von 2 bis 30 mmol pro Gramm Katalysator eingesetzt (Seite 3, Zeile 40).
3.1.4 Die Druckschrift (16) ist eine wissenschaftliche Studie, die nicht die Erhöhung der Selektivität des Hydrierverfahrens zum Ziel hat, so dass diese Druckschrift weiter vom beanspruchten Verfahren entfernt ist, als die Druckschriften (5) und (7), die beide die gleiche Zielsetzung wie das streitpatentgemäße Verfahren haben. Da jedoch von den letztgenannten beiden Druckschriften nur die Druckschrift (7) auch eine ex situ Modifizierung des Katalysators beschreibt, liegt diese Druckschrift dem streitpatentgemäßen Verfahren näher als Druckschrift (5).
3.1.5 Daher geht die Kammer im Folgenden von Druckschrift (7) als nächstliegendem Stand der Technik bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit aus.
3.2 Da keine direkten Vergleichsversuche zwischen dem Gegenstand des Anspruchs 1 mit dem Verfahren der Druckschrift (7) vorliegen, bestand die objektive technische Aufgabe, in Übereinstimmung mit der Einspruchsabteilung und mit beiden Parteien, lediglich in der Bereitstellung eines alternativen Verfahrens.
3.3 Als Lösung dieser Aufgabe bietet das Streitpatent das Verfahren gemäß Anspruch 1 an, welches dadurch gekennzeichnet ist, dass es einen durch Adsorption eines Alkalimetallcarbonates oder Alkalimetallhydrogen-carbonates modifizierten Cobalt- oder Nickelkatalysator enthält, welcher Alkalimetallcarbonat oder -hydrogencarbonat in einer Menge von 2 bis 12 Gew.-% enthält.
3.4 Es ist glaubhaft, dass die streitpatentgemäß angebotene Lösung eine erfolgreiche Alternative zu dem in Druckschrift (7) beschriebenen Verfahren darstellt.
3.5 Es bleibt daher zu untersuchen, ob es ausgehend von Druckschrift (7) nahegelegen hat, anstelle von Lithiumhydroxid die Modifizierung des Nickel- oder Kobaltkatalysators durch Adsorption von Alkalimetallcarbonat oder Alkalimetallhydrogencarbonat in einer Menge von 2 bis 12 Gew.-% vorzunehmen.
3.6 Druckschrift (7) lehrt die ex situ Modifizierung mit Lithiumhydroxid als gleichwertige Alternative zum in situ Zusatz von Lithiumhydroxid zur Reaktionslösung der Hydrierung. In Druckschrift (5) werden der Reaktionsmischung bei der Hydrierung in situ verschiedene Basen zugesetzt, wobei die Liste der möglichen Basen neben Lithiumhydroxid auch Natriumcarbonat und Kaliumcarbonat als alternative Basen nennt. Der Fachmann hätte jedoch diese Basen zunächst nur als Alternative zu Lithiumhydroxid für die in situ Verwendung in Erwägung gezogen. Um zum Gegenstand der Erfindung zu gelangen hätte der Fachmann jedoch noch einen weiteren Schritt unternehmen müssen, nämlich die Alkalimetallcarbonate nicht in situ, sondern ex situ zur Modifizierung des Katalysators einzusetzen. Dieser weitere Schritt hätte jedoch aus Druckschrift (5) nicht nahegelegen, sondern hätte sich nur durch rückschauende Betrachtung in Kenntnis der Erfindung ergeben.
3.7 Druckschrift (16) erwähnt zwar den positiven Einfluss von Natriumcarbonat auf die Selektivität der Herstellung von primären Aminen bei der Hydrierung von Nitrilen, ein Hinweis für den Fachmann, das Natriumcarbonat zur ex situ Modifizierung des Katalysators zu verwenden, ergibt sich aus dieser Druckschrift jedoch nicht.
3.8 Daher ist die Kammer der Auffassung, dass der Gegenstand der Ansprüche 1 und 11 des Streitpatentes auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne des Artikels 56 EPÜ beruht.
4. Die erfinderische Tätigkeit des in den abhängigen Ansprüchen 2 bis 10 und 12 beanspruchten Gegenstandes wird durch die erfinderische Tätigkeit, die dem Gegenstand der unabhängigen Ansprüche 1 und 11 zuerkannt wurde, getragen.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.