T 0224/13 22-01-2016
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PNEUMATISCHES MODUL
Änderungen - zulässig (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
I. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) hat Beschwerde gegen die am 13. November 2012 zur Post gegebene Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung über die Aufrechterhaltung des europäischen Patents Nr. 2 059 423 in geändertem Umfang eingelegt.
II. Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass der Gegenstand des geänderten Anspruchs 1 gemäß dem in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung eingereichten Hilfsantrag 4 erfinderisch sei ausgehend von Figur 1 des Streitpatents als nächstliegendem Stand der Technik in Kombination mit der Entgegenhaltung:
H10: US 5,553,928.
Auch ausgehend von H10 als nächstliegendem Stand der Technik wurde das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit in Kombination mit den folgenden Dokumenten bestätigt:
D1: EP 1 361 132 A1;
D2: DE 195 15 895 A1;
D3: EP 0 976 635 A2.
III. Die Beschwerdeführerin argumentierte in ihrer Beschwerdebegründung mangelnde erfinderische Tätigkeit ausgehend von dem im Streitpatent in Figur 1 gezeigten nächstliegenden Stand der Technik sowie ausgehend von H10 und verwies zusätzlich auf folgende Dokumente:
D4: WO 03/008249 A2;
H1: DE 103 14 642 B3;
H3: VDI-Berichte Nr. 1504, 1999, S. 161-173: ECAM ein elektronisches Luftmanagementsystem für Nutzfahrzeuge 1999
H4: US 6,247,764 B1;
H9: DE 103 14 643 B4;
H10: US 5,553,928;
H11: US 5,577,814;
H14: Vorankündigung: "Haldex auf der 61. IAA Nutzfahrzeuge in Hannover 21.-28. September 2006, Weyersheim (Strasbourg), 5. Juli 2006.
IV. Am 22. Januar 2016 wurde vor der Beschwerdekammer mündlich verhandelt.
Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.
V. Anspruch 1 gemäß dem vorliegenden Antrag mit der in der Beschwerdebegründung verwendeten Merkmalsgliederung lautet wie folgt (hinzugefügte Merkmale gegenüber den erteilten Ansprüchen 1 und 2 sind von der Kammer durch Unterstreichungen gekennzeichnet, Streichungen durch Durchstreichen):
a) Pneumatisches Modul für ein mit Druckluft gebremstes Fahrzeug, insbesondere für ein Anhängefahrzeug, wobei das Fahrzeug mindestens einen Vorratsdruckbehälter (5, 10) für Druckluft, eine pneumatische Bremsanlage (6, 7, 11) und eine Luftfederungsanlage mit Tragbälgen (21) aufweist,
dadurch gekennzeichnet, dass
b) in dem pneumatischen Modul (23) ein Überströmventil (9) integriert ist, welches bei einem Druckverlust in der Luftfederungsanlage den Druck in der Bremsanlage sichert, und
c) in dem pneumatischen Modul (23) ein Überlastschutzventil (12), welches die Bremsanlage vor einer Überbeanspruchung und die Radbremsen vor einer Zerstörung durch eine Kraftaddition von Kombibremszylindern (7) der Bremsanlage schützt, integriert ist [deleted: sind] und
d) in dem pneumatischen Modul (23) die Druckverteilung für die Luftfederungsanlage integriert ist.
VI. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Die im Einspruchsverfahren vorgenommene Änderung verstoße gegen Artikel 123 (2) EPÜ. Gegenstand des geänderten Merkmals c) sei, dass das Überlastschutzventil zwei Funktionen erfülle, nämlich einerseits die Bremsanlage vor einer Überbeanspruchung zu schützen und andererseits die Radbremsen vor einer Zerstörung durch eine Kraftaddition von Kombibremszylindern der Bremsanlage. Dafür seien unterschiedliche Maßnahmen erforderlich, und zwar einerseits der Einsatz eines Druckreglers und/oder eines Druckbegrenzungsventils, andererseits der Einsatz eines Anti-Compound-Ventils, üblicherweise ein Wechselventil oder 3/2-Wegeventil. Die ursprünglichen Anmeldungsunterlagen offenbarten ausschließlich ein Überlastschutzventil, welches die Radbremsen vor Zerstörung durch eine Kraftaddition schütze und beispielsweise aus einem 3/2-Wegeventil bestehe (siehe Offenlegungsschrift Seite 4, zweiter Absatz). Ein Anti-Compound-Ventil sei auch an einer anderen Stelle anzuordnen als das Ventil zum Schutz der Bremsanlage gegenüber Überbeanspruchung, nämlich nicht zentral vor der Bremsanlage (Druckregler), und unterscheide sich von diesem hinsichtlich der konstruktiven Ausgestaltung (ein Wechselventil könne nicht als Druckbegrenzungsventil oder Druckregler eingesetzt werden). Durch Verwendung der Konjunktion "und" sei auch eine Interpretation denkbar, bei der das zweite Teilmerkmal eine Konkretisierung des ersten Teilmerkmals sei, so dass Merkmal c) zumindest nicht eindeutig sei.
Die Gewährleistung der unterschiedlichen Funktionen mittels eines einzigen Überlastschutzventils gemäß Merkmal c) mit unterschiedlichen Einbauorten des Überlastschutzventils für die einzelnen Funktionen und unterschiedlichen Ausgestaltungen des Überlastschutzventils für die beiden Funktionen sei auch für den Fachmann nicht so offenbart, dass der Fachmann diese Erfindung ausführen könne.
Figur 1 und 2 des Streitpatents zeigten in schematischer Darstellung nicht den zutreffenden Verlauf der Leitungen und den Ort der Anordnung der pneumatischen Bauelemente. Figur 1 zeige (Absatz [0011] des Streitpatents) einen Stand der Technik. Beim erfindungsgemäßen pneumatischen Modul gemäß Figur 2 des Streitpatents seien die Leitungsverbindungen nur entlang anderer Wege geführt, ohne das sich etwas in der Leitungsführung - bei den eingesetzten pneumatischen Bauelementen, Verzweigungen oder einzusetzenden Leitungen - geändert habe. Die Erfindung erschöpfe sich in der Integration bereits im Stand der Technik gemeinsam eingesetzter Bauelemente (gemäß Merkmal b), c) und d): Überströmventil, Überlastschutzventil, Druckverteilung) in ein pneumatisches Modul. T-Stücke (im Übrigen nicht Gegenstand von Anspruch 1) würden nicht eingespart, sondern allenfalls würden einige in das pneumatische Modul integriert. Es seien auch nicht ausschließlich Punkt-zu-Punkt-Verbindungen vorhanden. Bei Merkmal d) handele es sich um die Druckverteilung zu den pneumatischen Bauelementen, die den Druck für die Luftfederbälge bereitstellten, nicht zu einzelnen Luftfederbälgen. Eine derartige Integration sei für den Fachmann naheliegend (siehe auch T 37/12), der je nach den Anforderungen die pneumatischen Bauelemente einzeln ausbilden oder eine modulare Bauweise wählen würde. Davon sei im Normalfall auszugehen, es sei denn, gute Gründe oder Vorurteile sprächen für eine räumlich getrennte Anordnung, oder die Integration führe zu einer synergetische Wechselwirkung. Keiner dieser beiden Ausnahmefälle sei vorliegend gegeben.
Der allgemeine Integrationsgedanke sei auch druckschriftlich bekannt. So erhalte der Fachmann aus D4, H3, H4, H1, H9, H10, H11 und H14 Anregungen für die Integration einzelner Bestandteile von Druckluftanlagen in ein pneumatisches Modul. D4 schlage zur Lösung der Leckageprobleme bei verteilter Anordnung pneumatischer Bauteile - mit einer Vielzahl pneumatischer Anschlüsse und Leitungsverbindungen - die Integration von Teilmodulen der Bremsanlage und der Luftfederungsanlage in ein Gesamtmodul mit gemeinsamem Gehäuse vor (siehe Seite 3, Zeilen 19 bis 24 sowie Seite 4, Zeile 28 bis Seite 5, Zeile 5). Vor dem Hintergrund der Kritik des Standes der Technik (Ausgestaltung der Druckluftanlage mit Einzelkomponenten, die zu einer Verbindung einer Vielzahl von Geräten mit erheblichem Montageaufwand, zu Anschlussfehlern, Luftverlust und Prüfaufwand führe) zeige auch H3 den Trend zur Nutzung pneumatischer Kompaktanlagen und zur Integration der erforderlichen Komponenten in ein einziges Modul (siehe Seite 161, dritter Absatz, sowie Seite 163). H4 beschreibe ebenfalls den Trend der Integration vielfältiger Bauelemente in ein einziges Gehäuse, um komplexe, kostspielige, schwer zu überprüfende, schwer zu wartende und zu installierende Druckluftanlagen zu vermeiden (Spalte 1, Zeile 63 bis Spalte 2, Zeile 6; Spalte 2, Zeilen 24 bis 32). Gemäß H4 hätten frühere Anstrengungen zur Integration nicht zu Bremssystemen geführt, welche erfolgreich die geltenden Anforderungen erfüllten, dies stelle in Figur 1 des Streitpatents aber kein Problem dar. H1 beschreibe die Integration eines Anti-Compound-Ventils in ein gemeinsames Modul. H9 offenbare die Zusammenfassung unterschiedlicher Teilmodule zu Gesamtmodulen (Figuren), wobei nicht nur Steuerelektroniken zusammengefasst, sondern auch pneumatische Komponenten der Druckluftaufbereitungseinrichtung und der Luftfederanlage mit synergetischem Effekt in einer Baueinheit integriert werden könnten. H10 betreffe die Reduzierung der Zahl separater Komponenten durch Einsatz mehrerer Ventilmodule in einem einzigen Ventilkörper (Spalte 2, Zeilen 12 bis 17 und 56 bis 65; auch H11, Spalte 2, Zeilen 7 bis 10). H14 erwähne die Integration bisher separat arbeitender Funktionen von Doppellöseventil, Notbremsfunktion und Überströmventil in ein einziges Modul (Seite 4/9). Mit diesem Integrationsgedanken gelange der Fachmann zwanglos ausgehend vom Stand der Technik gemäß Figur 1 des Streitpatents zur erfindungsgemäßen Ausgestaltung. Die Integration der einzelnen pneumatischen Bauelemente gemäß den Merkmalen b), c) und d) führe zu keinem synergetischen Effekt. Die Erhöhung der Kompaktheit insgesamt entspreche der Summe der Erhöhung der Kompaktheit für die einzelnen Integrationen.
Gemäß der angefochtenen Entscheidung erhalte der Fachmann ausgehend vom Stand der Technik gemäß Figur 1 des Streitpatents aus H10 die Anregung, ein Überströmventil 58 und ein Überlastschutzventil 88, 87 in einem Modul zusammenzufassen, was die Merkmale a) bis c) nahelege. Es liege dann im Rahmen des üblichen alltäglichen Handelns des Fachmannes, je nach gewünschter Leitungsführung die beiden T-Stücke unterhalb des Überströmventils in Figur 1 mit in das pneumatische Modul aufzunehmen oder außerhalb zu belassen. H9 offenbare sowohl eine Integration von Überströmventilen als auch der Druckverteilung für die Luftfederungsanlage und damit ein pneumatisches Modul mit den Merkmalen a), b) und d).
Hinsichtlich des Angriffes der erfinderischen Tätigkeit ausgehend von H10 offenbare H10 die Merkmale a) bis c). Insbesondere sei in H10 mit dem Rückschlagventil 88 eine Anti-Compound-Funktion realisiert (siehe Spalte 5, Zeilen 54 ff.). Das federbelastete Rückschlagventil 58, habe, wie von der Einspruchsabteilung festgestellt, die Funktion eines Überströmventils (siehe Spalte 3, Zeile 11 ff.) wie auch in der DIN-Norm, und zwar ohne Rückströmung. Gegenstand des aufrechterhaltenen Anspruchs 1 sei nicht, dass das Überströmventil bei Druckverlust in der Luftfederungsanlage den Druck in der Bremsanlage sichern können müsse (siehe Punkt 6.4 der angefochtenen Entscheidung). Die zu lösende objektive technische Aufgabe sei darin zu sehen, den Integrationsgrad eines pneumatischen Moduls für ein mit Druckluft gebremstes Fahrzeug zu erhöhen bzw. das aus H10 bekannte Modul für die Druckluftversorgung einer Luftfederungsanlage anzupassen. D1 (wie auch D2, D3 und H9) zeige, dass eine Druckluftaufbereitungsanlage üblicherweise mit einem Rückschlagventil, hieran anschließender Zentralleitung und Verzweigung zu unterschiedlichen Kreisen - auch zum Luftfederkreis - über Überströmventile ausgebildet sei. H9 zeige ein Mehrkreisschutzventil 7 mit der Betriebsbremsanlage zugeordneten Überströmventilen (Absatz [0028]), wobei in Modul 37 in Figur 2 auch eine Druckluftverteilung für die zu den Luftfederbälgen führenden Leitungen integriert sei. Solle somit ein pneumatisches Modul gemäß H10 auch für eine Druckluftversorgung weiterer Kreise - hier der Luftfederungsanlage - genutzt werden, werde der Fachmann eine entsprechende Integration vornehmen und eine Verzweigung zur Luftfederungsanlage in Figur 2 von H10 zwischen dem Rückschlagventil 60 und dem Überströmventil 58 des Betriebsbremskreises anordnen. Zwar betreffe D1 die Luftaufbereitung für ein Zugfahrzeug, aber der Fachmann entnehme den Hinweis zur Verteilung der Druckluft einer Druckluftquelle - im Anhänger gebildet durch den Kupplungskopf anstelle eines Kompressors - zu den Verbrauchern. Die Aufteilung der Druckluft auf verschiedene Kreise sei eine sich dem Fachmann typischerweise stellende Aufgabe. Entgegen der Auffassung der Einspruchsabteilung müsse die in der Druckschrift formulierte Aufgabe nicht mit der formulierten objektiven technischen Aufgabe übereinstimmen. Entscheidend sei, ob der Fachmann auch die Druckverteilung für die Luftfederungsanlage integrieren würde.
VII. Das Vorbringen der Beschwerdegegnerin kann wie folgt zusammengefasst werden:
Das ergänzte Merkmal c) des Anspruchs 1 konkretisiere die im ursprünglichen Anspruch 1 bereits genannte Schutzfunktion des Überlastschutzventils weiter und beinhalte keine zweite, andere Funktion. Dies sei auch angesichts der ursprünglichen Beschreibung (Seite 4, zweiter Absatz) und der Darstellung des Überlastschutzventils 12 in den Zeichnungen klar. Es liege kein Verstoß gegen Artikel 123 (2) EPÜ und auch nicht hinsichtlich der ausführbaren Offenbarung vor.
Die Figur 1 des angegriffenen Patents sei nicht als Stand der Technik gemäß Artikel 54 (2) EPÜ zu berücksichtigen. Mit Absatz [0012] der Patentschrift sei kein vorveröffentlichter Stand der Technik im Sinne des EPÜ gemeint.
Figur 1 des angegriffenen Patents könne dem Fachmann keine Anregungen zu einem pneumatischen Modul gemäß Anspruch 1 geben. Der Fachmann würde nicht einfach irgendwelche Komponenten miteinander integrieren bzw. pauschal "integrieren", da dies wegen des komplexer werdenden Aufbaus nicht zwangsläufig mit Vorteilen verbunden sei. Gemäß Anspruch 1 werde nicht ein beliebiges pneumatisches Modul mit beliebigen, darin integrierten Komponenten beansprucht, sondern ein Modul geeignet für ein mit Druckluft gebremstes Fahrzeug, das zumindest auch eine Luftfederungsanlage aufweise. Der Erfindung liege die Aufgabe zugrunde, den Montageaufwand und die damit verbundenen Kosten zu verringern. Das erfindungsgemäße pneumatische Modul sei ein in technischer, praktischer und kommerzieller Hinsicht optimierter Gegenstand mit gutem Verhältnis zwischen Herstellungs- und Wartungskosten sowie einem Kundennutzen durch Reduktion des Montageaufwands, wozu keine Entgegenhaltung eine Anregung geben könne. Die Kriterien für das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit seien erfüllt, da man T-Stücke außerhalb des Moduls einspare und nur Punkt-zu-Punkt-Verbindungen zwischen dem pneumatischen Modul und angeschlossenen Bauteilen existierten. Dies habe als positiven Effekt eine einfachere Installation zur Folge.
D4 betreffe eine Luftversorgungsanlage für Zugfahrzeuge, die an einem Kompressor angeschlossen werde. H3 betreffe, ebenso wie H1 und H9, die Druckluftversorgung im Zugfahrzeug und beschreibe ein zwischen Kompressor und Druckspeichern anzuordnendes Gerät. Bei H4 gehe es, wie bei H10 und H11, um ein ABS-System, das der Fachmann nicht für Verbesserungen an der Anlage gemäß Figur 1 heranziehen würde. H10 oder H11 zeigten keine Luftfederungsanlage. In H4 werde sogar angesprochen, dass frühere Integrationsbemühungen nicht zum Erfolg geführt hätten. H14 offenbare kein Überlastschutzventil und kein Überströmventil, welches bei einem Druckverlust in der Luftfederungsanlage den Druck in der Bremsanlage sichere. H14 beschreibe ein konkretes Gerät in Form des "trailer control module", das die Funktionen "Doppellöseventil, Notbremsfunktion, Überströmventil" vereine, und gebe keine Ansatzpunkte für einen "allgemeinen" Integrationsgedanken.
H10 gehe von der Betriebsbremsanlage eines Anhängefahrzeugs aus, während D1 bis D3 jeweils eine Druckluftversorgungseinrichtung für Zugfahrzeuge, also eine andere Anlage zeigten. Das Rückschlagventil 58 von H10 habe weder die Funktion eines Überströmventils noch die Funktion, bei einem Druckverlust in der Luftfederungsanlage den Druck in der Bremsanlage zu sichern, was eine mittelbare Beschreibung von körperlichen Merkmalen darstelle (d. h. es seien Anschlüsse für Betriebsbremse und Luftfederanlage vorgesehen). Es sei daher nicht mit dem Überströmventil gemäß Figur 1 vergleichbar. Der Ventilkörper eines Überströmventils werde, wie in D1 zu erkennen (und in D2 durch unterschiedliche Schaltsymbole für die Ventile symbolisiert), im Gegensatz zu einem Rückschlagventil von beiden Seiten mit Druck beaufschlagt, so dass von beiden Seiten her ein Öffnen erfolgen könne. Dies sei gewollt und ermögliche einen Ausgleich zwischen zwei Druckluftkreisen. In der angefochtenen Entscheidung seien Überströmventile ohne Rückströmung angesprochen, bei denen es sich um besondere Bauteile mit zusätzlich integriertem Rückschlagventil handele. Ausgehend von H10 sei eine Bremsanlage offenbart, und es gebe keine Anregung, im Modul gemäß Figur 2 von H10 Anschlüsse für eine Luftfederung vorzusehen. Auch H9 betreffe die Druckluftversorgung im Zugfahrzeug und insbesondere Mehrkreisschutzventile und die Zentralleitung sichernde Überströmventile. Bei H9 gehe es zudem um eine Elektronik-Integration und nicht um die Schaffung eines pneumatischen Moduls. Im Übrigen zeige Anspruch 1 von H9, dass eine Steuereinheit der Druckluftaufbereitungsanlage, die auch die Luftfederanlage steuere, als erfinderisch angesehen worden sei.
1. Zulässigkeit der Änderungen
1.1 Die Aufnahme der zusätzlichen funktionellen Angabe in Merkmal c) in Bezug auf das Überlastschutzventil ("und die Radbremsen vor einer Zerstörung durch eine Kraftaddition von Kombibremszylindern (7) der Bremsanlage") erfüllt die Erfordernisse des Artikels 123 (2) EPÜ.
Gemäß Anspruch 1 in der ursprünglich eingereichten Fassung ist in dem pneumatischen Modul ein Überlastschutzventil integriert, "welches die Bremsanlage vor einer Überbeanspruchung schützt". Wird nun wie vorliegend eine weitere Schutzfunktion für das Überlastschutzventil in Anspruch 1 spezifiziert und mittels der Konjunktion "und" mit der ursprünglich offenbarten funktionellen Angabe einer Schutzfunktion verbunden, so ist dies nach Auffassung der Kammer nur so zu verstehen, dass beide Funktionen sich auf das Überlastschutzventil beziehen, welches als einziges strukturelles Bauteil in diesem Kontext in Anspruch 1 spezifiziert wird. Die in Anspruch 1 neu hinzugefügte Schutzfunktion stellt dabei eine Konkretisierung der zuvor im ursprünglich eingereichten und auch im erteilten Anspruch 1 enthaltenen allgemein formulierten Schutzfunktion dar. Dies ergibt sich auch aus den ursprünglich eingereichten Unterlagen zum Streitpatent, da im ursprünglich eingereichten Anspruch 1 (in dem die beanspruchte Erfindung möglichst allgemein formuliert werden soll) lediglich die allgemeine Formulierung enthalten und die spezifische Schutzfunktion dann für die konkreten Ausführungsbeispiele beschrieben ist.
Die Kammer kann der Beschwerdeführerin nicht darin folgen, dass zur Realisierung der beiden Funktionen unterschiedliche Maßnahmen, insbesondere Bauteile (Druckregler, Anti-Compound-Ventil) mit unterschiedlicher konstruktiver Ausgestaltung und Anordnung in Bezug auf die Bremsanlage erforderlich seien. Schützt ein Bauteil die Radbremsen vor einer Zerstörung durch eine Kraftaddition, also vor den Folgen einer erhöhten Beanspruchung der Radbremsen, so schützt dieses Bauteil auch die übergeordnete Bremsanlage vor einer Überbeanspruchung. Außerdem offenbaren die ursprünglichen Anmeldungsunterlagen, wie von der Beschwerdeführerin zugestanden, ausschließlich ein Überlastschutzventil zum Schutz der Radbremsen, so dass es keine Grundlage für ein Verständnis des Merkmals c) gibt, das unterschiedliche Bauteile voraussetzen würde.
1.2 Bei dem gebotenen Verständnis von Merkmal c), wie im vorherigen Abschnitt dargelegt, ist der Gegenstand von Anspruch 1 auch klar und eindeutig definiert, erfüllt also auch die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ.
2. Unzureichende Offenbarung
Der Einwand der Beschwerdeführerin zur unzureichenden Offenbarung beruht auf einem Verständnis des Überlastschutzventils gemäß Merkmal c), welches zur Gewährleistung der unterschiedlichen Funktionen unterschiedliche Einbauorte und unterschiedliche konstruktive Ausgestaltungen des Überlastschutzventils voraussetzt. Wie bereits vorstehend unter Punkt 1.1 ausgeführt, kann die Kammer dieser Interpretation der Beschwerdeführerin nicht folgen. Die Kammer stimmt vielmehr mit der Beschwerdegegnerin darin überein (siehe Beschwerdeerwiderung, Punkt 2.2), dass aufgrund der unzutreffenden technischen Begründung der Beschwerdeführerin kein Mangel hinsichtlich der ausführbaren Offenbarung vorliegt.
3. Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)
3.1 Der Gegenstand des Anspruchs 1 in der von der Einspruchsabteilung aufrechterhaltenen Fassung beruht auf einer erfinderischen Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ).
3.2 Ausgehend von Figur 1 des Streitpatents, welche gemäß Absatz [0011] des Streitpatents eine "Bremsanlage eines Anhängefahrzeugs gemäß dem Stand der Technik" zeigt, sind die pneumatischen Komponenten (Bauteile und Verrohrungen bzw. Leitungsverbindungen) des beanspruchten pneumatischen Moduls, d. h. ein Überströmventil, ein Überlastschutzventil und eine Druckverteilung für die Luftfederungsanlage, sowie deren Funktion im Sinne der Merkmale b) bis d) bekannt. Allerdings zeigt Figur 1 des Streitpatents einen Aufbau mit diskreten Komponenten und damit kein pneumatisches Modul, in dem diese Komponenten integriert sind.
Der Beschwerdeführerin ist zwar zuzustimmen, dass die Integration der genannten Komponenten nicht notwendigerweise zu einer Änderung in der pneumatischen Verschaltung bzw. Leitungsführung führt. Allerdings ist es nach Auffassung der Kammer nicht naheliegend, einzeln angeordnete pneumatische Bauelemente in beliebiger Weise in ein gemeinsames Modul zu integrieren. Wie in Dokumente H4 angesprochen (siehe Spalte 2, Zeilen 1 bis 6), haben frühere Versuche zur Integration unterschiedlicher Ventilanforderungen in einem einzigen Modul oder Gehäuse nicht dazu geführt, dass die geltenden Anforderungen erfüllt werden konnten. Dabei bezieht sich H4 auf Ventile (siehe Spalte 1), die Schutzfunktionen gegen Druckverlust, ein Betätigen der Betriebsbremse sowie eine ABS-Funktion bereitstellen. Damit bestanden, entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin, durchaus gute Gründe oder Vorurteile gegen eine beliebige Integration von Ventilen in ein gemeinsames Modul. Vor diesem Hintergrund kann die Kammer nicht davon ausgehen, dass für den Bereich von Druckluftanlagen ein allgemeiner Integrationsgedanke vorauszusetzen ist, der die beanspruchte Integration von Überströmventil, Überlastschutzventil und Druckverteilung für die Luftfederungsanlage nahelegen könnte.
In der von der Beschwerdeführerin zitierten Entscheidung T 37/12 wird zwar die Anordnung von manuell und elektrisch betätigbaren Ventilen in einem gemeinsamen Gehäuse als naheliegend erachtet, allerdings werden auch die gegen ein solches Zusammenfassen sprechenden Widerstände sowie Vorteile und Nachteile diskutiert (siehe unter Punkt 1.3 der T 37/12). Der erfinderische Beitrag einer Integration von pneumatischen Komponenten ist nach Auffassung der Kammer also jeweils abhängig von den Gegebenheiten des konkreten Einzelfalls zu bewerten.
Auch die im Verfahren befindlichen Druckschriften können nach Auffassung der Kammer keinen allgemeinen Integrationsgedanken belegen, sondern zeigen jeweils spezifische Integrationslösungen für Druckluftanlagen:
Dokument D4 zeigt ein integriertes Modul zur Druckluftversorgung der Bremsanlage und (siehe Seite 5, Zeilen 1 bis 5) der Federbälge der Luftfederungsanlage. Damit mag zwar eine Integration von in der Druckluftversorgung angeordneten Überströmventilen und der Druckverteilung für die Luftfederungsanlage nahegelegt werden, jedoch nicht die Integration eines Überlastschutzventils zum Schutz von Kombibremszylindern vor einer Kraftaddition. Dies gilt gleichermaßen für die Offenbarung von H9. H3 beschreibt lediglich den Trend, die zwischen Kompressor und Druckspeichern benötigten Komponenten zu integrieren, enthält im Gegensatz zu D4 aber keinen Hinweis, dass auch die Druckverteilung für die Luftfederungsanlage zu integrieren ist. Auch H1 liefert diesbezüglich keine Anregung. H4 erwähnt einleitend, wie bereits weiter oben ausgeführt (siehe Spalte 2, Zeilen 1 bis 6), dass nicht jede Integration von Ventilen in ein gemeinsames Gehäuse erfolgreich bestehende Anforderungen erfüllt, und beschreibt dann eine spezifische Lösung für die Bremsanlage. Auch H10 und H11 gehen nicht auf die Integration der Druckverteilung für die Luftfederungsanlage ein. Schließlich beschreibt H14 lediglich eine konkrete Integration von Doppellöseventil, Notbremsfunktion und Überströmventil.
Damit beschreibt der von der Beschwerdeführerin angeführte Stand der Technik allenfalls die Integration von pneumatischen Komponenten, die entweder nur der Bremsanlage zuzuordnen sind, oder aber (D4 oder H9) eine integrierte Druckluftversorgung für die Bremsanlage und die Luftfederungsanlage ohne Überlastschutzventil im Sinne von Merkmal c). Die Kammer kann darin keinen Beleg für einen allgemeinen Integrationsgedanken wie von der Beschwerdeführerin behauptet erkennen.
3.3 Die Beschwerdeführerin sieht es ausgehend von dem in Figur 1 des Streitpatents dargestellten Stand der Technik angesichts der Lehre von H10 als naheliegend an, zumindest eine Integration von Überströmventil und Überlastschutzventil gemäß den Merkmalen b) und c) vorzunehmen. Seitens der Beschwerdegegnerin wurde bereits bestritten, dass das in H10 gezeigte federbelastete Rückschlagventil 58 als Überströmventil aufzufassen sei, da es nur von einer Seite bei Druckbeaufschlagung öffne. Diese Frage kann jedoch dahingestellt bleiben, da die nachfolgend in Merkmal b) gegebene funktionelle Beschreibung des Überströmventils ("welches bei einem Druckverlust in der Luftfederungsanlage den Druck in der Bremsanlage sichert") in H10 nicht gezeigt ist. Merkmal b) beschreibt nicht ein beliebiges Überströmventil, sondern ein Überströmventil mit einer bestimmten Sicherungsfunktion. Da H10 keinen Hinweis auf eine Einbindung von Teilen der Luftfederungsanlage - z. B. über entsprechende Anschlüsse des Moduls aus H10 - enthält, ist die mit Merkmal b) angegebene Sicherungsfunktion weder explizit oder implizit gezeigt noch durch H10 nahegelegt. Die Anwendung der Lehre von H10 würde insbesondere nicht zu einem pneumatischen Modul mit Anschlüssen für die Luftfederungsanlage führen. Zudem ist nach Auffassung der Kammer Merkmal d) nicht nahegelegt.
Die Beschwerdeführerin argumentiert einerseits, dass der Fachmann je nach gewünschter Leitungsführung die beiden T-Stücke unterhalb des in Figur 1 des Streitpatents gezeigten Überströmventils in das pneumatische Modul aufnehmen oder außerhalb belassen würde. Nachdem wie bereits ausgeführt die Anwendung der Lehre von H10 auf den Stand der Technik gemäß Figur 1 des Streitpatents zu einem pneumatischen Modul ohne Anschlüsse für die Luftfederungsanlage führen würde, kann diese Argumentation nicht überzeugen.
Andererseits sei nach Auffassung der Beschwerdeführerin der Gegenstand von Anspruch 1 durch die Lehre von H9 nahegelegt, da H9 die Merkmale a), b) und d) zeige. Dies kann ebenfalls nicht überzeugen, da der Fachmann nach einem ersten Integrationsschritt, der mit Hilfe der Lehre von H10 zu einem pneumatischen Modul mit integriertem Überlastschutzventil gemäß Merkmal c) führen würde, angeleitet durch die Lehre von H9 noch einen zweiten Integrationsschritt vornehmen müsste, der nach Auffassung der Kammer für den Fachmann nicht naheliegend ist. Der in H9 gezeigte Integrationsgedanke geht in eine andere Richtung als in H10. H9 zeigt eine Integration von Komponenten der Druckluftaufbereitung und Druckluftversorgung für die Bremsanlage und für die Luftfederungsanlage mit Integration entsprechender Überströmventile eines Mehrkreisschutzventils (siehe Absatz [0028]) und daneben allenfalls die Integration von Ventilen der Luftfederungsanlage (siehe Figur 2). Es findet sich in H9 kein Hinweis, weitere Ventile für die Bremsanlage, insbesondere kein Überlastschutzventil gemäß Merkmal c) mit zu integrieren. Eine kombinierte Anwendung der Lehren von H10 und H9 auf den bekannten Stand der Technik wird als nicht naheliegend angesehen, so dass ausgehend von dem aus Figur 1 des Streitpatents bekannten Stand der Technik unter Berücksichtigung der Dokumente H10 und H9 der Gegenstand von Anspruch 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.
3.4 Vor dem Hintergrund, dass ausgehend von Figur 1 des Streitpatents das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit nicht in Frage zu stellen ist, muss nicht weiter darauf eingegangen werden, ob es sich bei der in Figur 1 gezeigten Bremsanlage um einen Stand der Technik gemäß Artikel 54 (2) EPÜ handelt oder nicht.
3.5 Schließlich argumentiert die Beschwerdeführerin noch mangelnde erfinderische Tätigkeit ausgehend von Dokument H10 als nächstliegendem Stand der Technik. Wie bereits unter Punkt 3.3 ausgeführt, mag H10 ein pneumatisches Modul mit einem Überlastschutzventil gemäß der Merkmale a) und c) zeigen, jedoch kein Überströmventil mit der in Merkmal b) beschriebenen Sicherungsfunktion, die nach Auffassung der Kammer eine Einschränkung für das beanspruchte Überströmventil bedeutet.
Die in H10 nicht gezeigten Merkmale hinsichtlich der Luftfederungsanlage (die funktionelle Angabe aus Merkmal b) sowie Merkmal d)) ermöglichen die Einbindung des pneumatischen Moduls in ein Fahrzeug mit Luftfederungsanlage, und zwar - wegen der vorgesehenen Integration von Überströmventil und Druckverteilung - bei reduziertem Montageaufwand.
Ist der Fachmann bestrebt, das aus H10 bekannte pneumatische Modul für die Druckluftversorgung einer Luftfederungsanlage anzupassen bei geringem Montageaufwand, so mag er auf Dokument H9 oder auch auf eines der Dokumente D1, D2 oder D3 stoßen. D1 bis D3 zeigen explizit den Aufbau eines Mehrkreisschutzventils zur Druckluftversorgung der verschiedenen Kreise einer Druckluftanlage über ein Rückschlagventil, eine Zentralleitung und davon über Überströmventile abzweigende Verbindungen zu den Verbraucherkreisen, darunter auch zu einem Kreis der Luftfederungsanlage. Die Kammer war aber nicht überzeugt, dass der Fachmann mit diesem Wissen die von der Beschwerdeführerin argumentierte Modifikation des pneumatischen Moduls aus H10 vornehmen würde und ein Überströmventil (zwischen Rückschlagventil 60 und Überströmventil 58 angeordnet) sowie eine Druckverteilung für die Luftfederungsanlage in das Modul integrieren würde. Wie bereits ausgeführt, gehen die Integrationsgedanken in H10 und H9 in unterschiedliche Richtungen, was gleichermaßen für die Dokumente D1 bis D3 gilt. H9 sowie D1 bis D3 zeigen integrierte Druckluftversorgungsanlagen bzw. integrierte Druckluftaufbereitungsanlagen und geben keinen Hinweis darauf, dass eine Integration von weiteren Komponenten der Bremsanlage wie in H10 gezeigt angedacht ist.
4. Da die von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Einwände der Aufrechterhaltung des europäischen Patents in der von der Einspruchsabteilung aufrechterhaltenen Fassung nicht entgegenstehen, ist die Beschwerde zurückzuweisen.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.