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T 0569/14 (Tapetensubstrat / GLATFELTER DRESDEN) 21-07-2016
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Tapetensubstrat und Verfahren zu seiner Herstellung
Erfurt & Sohn KG
Metsä Board Corporation
Ahlstrom Corp.
Ausführbarkeit (Hauptantrag) : nein
Zulässigkeit des Hilfsantrags 6 : nein
I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das europäische Patent Nr. 2 066 842 zu widerrufen.
II. Die unabhängigen Erzeugnis- bzw. Verfahrensansprüche des erteilten Patents lauten wie folgt:
"1. Tapetensubstrat für eine trocken abziehbare Tapete mit minimaler Nassdehnung, bestehend aus einer mehrschichtigen Bahn mit einer beim Einsatz der Tapete zur Wand weisenden Unterseite und einer beim Einsatz der Tapete in den Raum weisenden Oberseite, zwischen denen in der Richtung von Unterseite zu Oberseite eine faserige untere Lage aus einem Faserstoffgemisch auf Zellulosebasis und Synthesefasern und eine faserige obere Lage aus einem synthesefaserfreien Faserstoffgemisch auf Zellulosebasis angeordnet sind, dadurch gekennzeichnet, dass die untere Lage und die obere Lage durch Gautschen miteinander verfilzt sind, und die Oberseite derart satiniert ist, dass sie eine Bedruckbarkeit für Direktdruck, insbesondere Tiefdruck, mit maximal 1 missing dot pro cm**(2) aufweist."
"9. Verfahren zur Herstellung eines Tapetensubstrates für eine trocken abziehbare Tapete mit minimaler Nassdehnung, bei dem eine mehrschichtige Bahn mit einer beim Einsatz der Tapete zur Wand weisenden Unterseite und einer beim Einsatz der Tapete in den Raum weisenden Oberseite, erzeugt wird, wobei eine faserige untere Lage aus einem Faserstoffgemisch aus Zellulose- und Synthesefasern und eine faserige obere Lage aus einem synthesefaserfreien Zellulosefasergemisch miteinander verbunden werden, dadurch gekennzeichnet, dass die untere und die obere Lage, vorzugsweise mittels Langsieben, aus je einer Zellulosesuspension oder einer Zellulosesuspension unter Zumischen von Synthesefasern für die untere Lage, gebildet und anschließend mittels Gautschen zusammen gefügt werden und die Oberseite mittels Satinieren mit einer für einen
Direktdruck, insbesondere einen Tiefdruck geeignete hohe Druckqualität geschaffen wird und dass alle Vorgänge bei einer Temperatur unterhalb der Schmelztemperatur der Synthesefasern durchgeführt werden."
III. Im Einspruchsverfahren hatten die Einsprechenden Einspruchsgründe nach Artikel 100(a) und (b) EPÜ vorgebracht.
Zur Substantiierung des Vorbringens bezüglich mangelnder Ausführbarkeit wurde unter anderem das folgende Dokument zitiert:
D24b: E. Martorana et al., "Ursachen von Missing Dots im Tiefdruck"; Wochenblatt für Papierfabrikation 11-12, 2006, Seiten 690, 692 bis 696 und 698.
IV. Die Einspruchsabteilung hat unter anderem entschieden, das verspätet vorgebrachte Dokument D24b ins Verfahren zuzulassen (Punkt 2.1 der Begründung angefochtenen Entscheidung), da
"..die Druckschriften... entscheidungsrelevant sind und auch nicht besonders umfangreich. Darüber hinaus wurde die D24b bereits in dem mit Schreiben vom 26.09.2013 von der Einsprechenden 02 eingereichten Erklärung von Herrn Olli Haaranoja zitiert (Seite 3, Absatz 2). Die Dokumente... D24(a,b) werden somit in das Verfahren eingeführt."
Ferner hat die Einspruchsabteilung entschieden, dass die Erfindung nach Anspruch 1 (wie erteilt bzw. laut allen vorliegenden Hilfsanträgen) nicht ausführbar sei (Artikel 100(b)/83 EPÜ). Die Begründung (erster und zweiter voller Absatz auf Seite 4) lautet diesbezüglich insbesondere wie folgt:
"Nach Meinung der Einspruchsabteilung ist die Erfindung gemäß Anspruch 1 des Streitpatents nicht im Sinne des Artikels 83 ausführbar, weil aus dem Streitpatent nicht hervorgeht, wie die im Anspruch 1 beanspruchte Bedruckbarkeit für Direktdruck mit maximal 1 missing dot pro cm**(2) zu erzielen ist.
Die Spalte 3, Paragraph 21 des Streitpatents führt keinerlei Informationen der nötigen Verfahrensparameter auf...".
V. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) reichte mit ihrer Beschwerdebegründung sieben geänderte Anspruchssätze als Hauptantrag bzw. Hilfsanträge 1 bis 6 ein.
Anspruch 1 laut Hauptantrag ist identisch mit dem erteilten Anspruch 1.
Der einzige unabhängige (Verfahrens-)Anspruch 1 laut Hilfsantrag 2 unterscheidet sich vom unabhängigen Verfahrensanspruch 9 des erteilten Patents lediglich dadurch, dass der Wortlaut "geeignete hohe" auf "geeigneten hohen" korrigiert wurde.
Die Beschwerdeführerin vertrat unter anderem die Auffassung, dass die Erfindung ausreichend offenbart sei.
VI. In ihren Erwiderungsschreiben bestritten die Beschwerdegegnerinnen II (Einsprechende 02) und III (Einsprechende 03) unter anderem die Zulässigkeit der sechs Hilfsanträge und die Ausführbarkeit der Erfindung (alle Anträge).
Den Ausführungen der Beschwerdegegnerinnen II und III hat sich auch Beschwerdegegnerin I (Einsprechende 01) in einem Schreiben angeschlossen.
VII. Die Beschwerdeführerin reichte mit Schreiben vom 21. Juni 2016 vierzehn neue Anspruchssätze als Hauptantrag bzw. Hilfsanträge 1 bis 13 ein, wobei der Hauptantrag und Hilfsantrag 6 sich lediglich durch Schreibfehler-Korrekturen in abhängigen Ansprüchen von dem mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hauptantrag bzw. Hilfsantrag 2 unterscheiden.
Ferner brachte die Beschwerdeführerin weitere Argumente vor, unter anderem bezüglich der Zulässigkeit der Anträge ins Verfahren sowie der Patentierbarkeit, insbesondere der Ausführbarkeit.
VIII. Die mündliche Verhandlung fand am 21. Juli 2016 statt.
Erörtert wurden unter anderem
- die Frage der Ausführbarkeit der Erfindung unter Bezugnahme auf Anspruch 1 des Hauptantrags und Dokument D24b, sowie
- die Zulässigkeit des Hilfsantrags 6.
Die Beschwerdeführerin ließ ihre bis dahin geltenden Hilfsanträge 1 bis 5 und 7 bis 13 ausdrücklich fallen.
IX. Finale Anträge
Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents im Umfang des Hauptantrags, hilfsweise im Umfang des Hilfsantrags 6, beide eingereicht mit Schreiben vom 21. Juni 2016.
Die Beschwerdegegnerinnen I, II und III beantragten, die Beschwerde zurückzuweisen.
X. Die für die Entscheidung relevante Argumente der Beschwerdeführerin können folgendermaßen zusammengefasst werden.
Hauptantrag - Ausführbarkeit - Anspruch 1
- Im Anspruch 1 sei der Wortlaut "Bedruckbarkeit für Direktdruck, insbesondere Tiefdruck, mit maximal 1 missing dot pro cm**(2)" eingeschränkt auf "Bedruckbarkeit für Tiefdruck mit maximal 1 missing dot pro cm**(2)" (Betonung durch die Kammer) zu verstehen.
- Der "missing dot"-Wert sei für einen Fachmann zuverlässig zu messen und sei eine Folge der anderen Merkmale des Anspruchs 1. Allerdings zeige ein Tapetensubstrat mit solchen anderen Merkmalen nicht zwangsläufig eine Bedruckbarkeit mit einem "missing dot"-Wert wie beansprucht.
- Um festzustellen, ob ein Tapetensubstrat mit solchen anderen Merkmalen des Anspruchs 1 die erforderliche Bedruckbarkeit aufweise, werde die Oberseite des Tapetensubstrates einem Probedruck mit einem geeigneten Tiefdruckverfahren unterworfen und die dabei auf der Oberseite auftretende Anzahl an "missing dots" gemessen.
- Falls diese Anzahl zu hoch, d.h. höher als 1 pro cm**(2), sei, werde der Druck beim Satinieren der Oberseite erhöht.
- Nach einem oder mehreren derartigen Iterationsschritt(en) werde dann ein Tapetensubstrat mit der notwendigen Bedruckbarkeit erhalten.
- Obwohl die Beschreibung des Streitpatents keine entsprechenden Angaben enthalte, sei es bereits zum Prioritätsdatum des Streitpatents fachüblich gewesen, den Druck beim Satinieren eines Papierproduktes zu erhöhen, um derart die Glätte und daher auch die Bedruckbarkeit zu verbessern.
- Die gegenteilige Lehre des Dokuments D24b sei nicht relevant, da dieses Dokument mit der Herstellung spezieller Papieren - und nicht von Tapetensubstraten - befasst sei.
- Daher sei die beanspruchte Erfindung ausreichend offenbart.
Hilfsantrag 6 - Zulässigkeit ins Verfahren
- Hilfsantrag 6 sei identisch mit dem mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hilfsantrag 2 und enthalte keine Erzeugnisansprüche wie der Hauptantrag.
- Anspruch 1 dieses Antrags sei, mit Ausnahme eines korrigierten Schreibfehlers, identisch mit dem erteilten Verfahrensanspruch 9.
- Mit diesem Antrag werde auf Erzeugnisansprüche verzichtet. Dadurch werde der Einwand der angeblich unzureichenden Offenbarung im Hinblick auf das (in den Verfahrensansprüchen nicht enthaltene) "missing dot"-Merkmal ausgeräumt, der den Widerrufsgrund darstellte.
- Die angefochtene Entscheidung sei auf die Frage der Ausführbarkeit der Erzeugnisansprüche beschränkt gewesen und stütze sich auf das Dokument D24b, das erst in der mündlichen Verhandlung eingereicht wurde.
- Der unabhängige Verfahrensanspruch 9 sei weder in der angefochtenen Entscheidung noch in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung diskutiert worden.
- Daher sei die Beschwerdeführerin berechtigt, den auf Verfahrensansprüche beschränkten Hilfsantrag 6, der den Widerrufsgrund laut angefochtener Entscheidung ausräume, ins Beschwerdeverfahren einzuführen. Zudem verursache dieser auf erteilte Ansprüche basierte neue Antrag keine Verfahrenskomplikationen oder Verfahrensverzögerung.
- Hilfsantrag 6 sei daher unter Berücksichtigung des Artikels 12(4) VOBK zuzulassen.
XI. Die Beschwerdegegnerinnen haben diesbezüglich im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:
Hauptantrag - Ausführbarkeit - Anspruch 1
- Die Beschreibung des Streitpatents enthalte keine Lehre, wie ein Tapetensubstrat gemäß Anspruch 1 mit einer Bedruckbarkeit von maximal 1 missing dot pro cm**(2) herzustellen sei.
- Dass eine Erhöhung des Drucks beim Satinieren eine verbesserte Bedruckbarkeit im Sinne einer geringeren Anzahl an "missing dots" bewirken könne, war zum Prioritätszeitdatum des Streitpatents nicht allgemeines Fachwissen.
- Aus Dokument D24b, das nur drei Monate vor dem Prioritätsdatum des Streitpatents veröffentlicht wurde, sei vielmehr bekannt gewesen, dass die Bedruckbarkeit eines Papiers von einer Mehrzahl verschiedener Papiereigenschaften abhängig sei, und dass zwischen der Anzahl an "missing dots" einerseits, und weiteren messbaren Eigenschaften der Papieroberfläche, wie zum Beispiel Glätte, andererseits, kein unmittelbarer, eindeutiger Zusammenhang bestehe.
- Obwohl Dokument D24b nicht speziell mit Tapetensubstraten befasst sei, gelte dessen Lehre offensichtlich auch bezüglich der Oberseite des beanspruchten Tapetensubstrats, das aus Papier bestehe.
- Die in Anspruch 1 definierte Erfindung sei daher nicht ausführbar.
Hilfsantrag 6 - Zulässigkeit
- Hilfsantrag 6 sei praktisch identisch mit Hilfsantrag 2, der erst mit der Beschwerdebegründung eingereicht wurde.
- Hilfsantrag 6 beziehe sich auf die Herstellung eines Tapetensubstrats, dessen "hohe Druckqualität"
(Bedruckbarkeit) nicht - wie in den Erzeugnisansprüchen - ausdrücklich durch eine maximale Anzahl an auftretenden "missing dots" qualifiziert bzw. beschränkt sei.
- Ein solcher Antrag ohne Erzeugnisansprüche hätte von der Patentinhaberin - in Kenntnis der in den Einspruchsgründen erhobenen Einwände gegen die Ausführbarkeit der Erzeugnisansprüche - bereits im schriftlichen Einspruchsverfahren gestellt werden können. Die Patentinhaberin hätte einen derartigen Antrag jedenfalls spätestens während der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung stellen müssen, als sich die Relevanz von Dokument D24b herausstellte und die Einspruchsabteilung ausdrücklich ihre Auffassung kundtat, wonach der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 als nicht ausführbar angesehen wurde.
- Dokument 24b sei im Übrigen bereits in der mit Schreiben vom 26. September 2013, vier Monate vor der mündlichen Verhandlung, von der Einsprechenden 02 eingereichten Erklärung von Herrn Olli Haaranoja ausdrücklich zitiert worden.
- Der neue Antrag verändere zudem die Diskussionsgrundlage und werfe Patentierbarkeitsfragen auf, die in der ersten Instanz nicht ausführlich diskutiert worden seien.
- Daher sei dieser Antrag gemäß Artikel 12(4) VOBK nicht zuzulassen.
Hauptantrag - Ausführbarkeit - Anspruch 1
1. Anspruch 1 gemäß Hauptantrag (gesamter Wortlaut unter II, supra) ist auf ein "Tapetensubstrat" gerichtet, welches eine "faserige untere Lage aus einem Faserstoffgemisch auf Zellulosebasis und Synthesefasern und einer faserigen oberen Lage aus einem synthesefaserfreien Faserstoffgemisch auf Zellulosebasis" aufweist, wobei "die untere Lage und die obere Lage durch Gautschen miteinander verfilzt sind, und die Oberseite derart satiniert ist, dass sie eine Bedruckbarkeit für Direktdruck, insbesondere Tiefdruck, mit maximal 1 missing dot pro cm**(2) aufweist".
2. Im Folgenden geht die Kammer zu Gunsten der Beschwerdeführerin davon aus (lediglich arguendo),
- dass die "Bedruckbarkeit für Direktdruck" laut Anspruch 1 zwangsläufig im engeren Sinn als Bedruckbarkeit für Tiefdruck zu verstehen ist, und
- dass der Fachmann am Prioritätsdatum des Streitpatents den "missing dot"-Wert auch tatsächlich zuverlässig messen konnte,
was von den Einsprechenden bestritten worden ist.
2.1 Die Beschwerdeführerin konzedierte in der mündlichen Verhandlung, dass ein Tapetensubstrat mit den Struktur- und Zusammensetzungsmerkmalen von Anspruch 1 nicht zwangsläufig eine "Bedruckbarkeit für ... Tiefdruck mit maximal 1 missing dot pro cm**(2)" aufweisen müsse. Vielmehr könne ein derartiges Tapetensubstrat auch eine nicht erfindungsgemäße Bedruckbarkeit für Tiefdruck mit mehr als 1 missing dot pro cm**(2) aufweisen.
2.2 Es ist unstreitig, dass die Beschreibung des Streitpatents keine ausdrücklichen Angaben dazu enthält, wie ein aufgrund eines zu hohen, gemessenen "missing dots"-Werts nicht unter Anspruch 1 fallendes Tapetensubstrat bzw. das Verfahren zu dessen Herstellung, zu ändern seien, um die laut Anspruch 1 erforderliche Bedruckbarkeit zu erzielen.
2.2.1 Nach dem Dafürhalten der Kammer kann angesichts dieser im Streitpatent fehlenden Angaben die in Anspruch 1 definierte Erfindung nur dann als ausführbar angesehen werden, wenn es für den Fachmann zum Prioritätsdatum des Streitpatents, unter Berücksichtigung des allgemeinen Fachwissens und ohne unzumutbaren Aufwand ersichtlich war, wie er ein gegebenes Tapetensubstrat bzw. dessen Herstellungsverfahren zu ändern hätte, um die erforderliche Bedruckbarkeit zu erzielen (siehe diesbezüglich z.B. die Entscheidung T 553/10 vom 11. Februar 2015, Punkt 1.1 der Gründe).
2.2.2 Die Beschwerdeführerin hat sich diesbezüglich auf das allgemeine Fachwissen berufen und insbesondere ausgeführt, dass es zum Prioritätsdatum des Streitpatents bereits dem fachgemäßen Handeln entsprach, den Druck beim Satinieren der Oberseite eines Papierproduktes weiter zu erhöhen, um die Glätte und daher die Bedruckbarkeit zu verbessern. Der Fachmann könne daher, bei einem Tapetensubstrat mit allen anderen produkt- und herstellungs-bezogenen Merkmalen von Anspruch 1 den erforderlichen "missing dots"-Wert durch Erhöhen des Satinierdrucks verringern und einstellen.
2.2.3 Dieses Argument der Beschwerdeführerin akzeptiert die Kammer im Hinblick auf den Inhalt des Dokuments D24b nicht, das nur drei Monate vor dem Prioritätsdatum des Streitpatents veröffentlicht wurde und unter anderem die Ursachen von "missing dots" im Tiefdruck thematisiert (siehe Titel auf Seite 690).
i) In Bezug auf die Bedruckbarkeit von Papieren im Tiefdruck finden sich darin folgende Angaben (Seite 690, linke Spalte, letzte 5 Zeilen bis rechte Spalte, Zeile 8) (Hervorhebungen durch die Kammer):
"Die alleinige Bestimmung der Glätte ist allerdings kein ausreichendes Kriterium, um die Bedruckbarkeit eines Papiers im Tiefdruck zu beurteilen. Die Bedruckbarkeit ist vielmehr ein komplexer Qualitätsbegriff, der von vielen Papiereigenschaften abhängig ist...Viele Versuche die Anzahl an Missing Dots zu einzelnen Papiereigenschaften zu korrelieren, waren im Allgemeinen wenig erfolgreich. Denn zwischen Missing Dots und anderen messbaren physikalischen Papiereigenschaften wie Glätte, Kompressibilität, Porosität...besteht allgemein kein signifikanter Zusammenhang."
ii) In einem weiteren Absatz (Seite 692, Abbildung 2 und rechte Spalte Zeilen 1 bis 4) lautet: "Abb.2 soll abschließend und zusammenfassend noch einmal verdeutlichen, wie komplex das Thema Missing Dots ist und dass in dieser Arbeit lediglich ein Bereich (Topographie) von vielen möglichen Einflussbereichen untersucht wurde."
2.2.4 Für die Kammer belegen die zitierten Passagen dieses Dokuments eindeutig, dass für den Fachmann am Prioritätsdatum des Streitpatents eben keine zuverlässige Korrelation zwischen der Eigenschaften der Oberfläche eines Papiers, wie etwa dessen durch Satinierung zu erreichende Glätte, und dem im Zusammenhang mit Tiefdruck relevanten, gemessenen "missing dot"-Wert existierte.
2.3 Angesichts dieser Angaben in D24b war eine Erhöhung des Satinier-Drucks, mit der sich gewisse Eigenschaften der Oberfläche eines Papiers, wie z.B. dessen Glätte, einstellen lassen, keine Maßnahme, die der Fachmann in Betracht ziehen würde, um zuverlässig die Bedruckbarkeit eines Papiers im Sinne einer Verringerung der Anzahl an "missing dots" zu verbessern. Vielmehr müsste der Fachmann für ein gegebenes Tapetetensubstrat, das das "missing dot" Kriterium von Anspruch 1 nicht erfüllt, jeweils erst im Rahmen mehr oder weniger aufwändiger Untersuchungen eruieren, mittels welcher Maßnahmen sich eine hinreichende Verringerung erreichen ließe.
2.3.1 Obwohl das Dokument D24b sich nicht ausdrücklich auf Tapetensubstrate bezieht, ist für die Kammer nicht ersichtlich, warum dessen Lehre nicht auch für eine "mehrschichtige Bahn" mit den anderen Merkmalen von Anspruch 1 übertragbar sein soll, insbesondere da die satinierte, beim Probedruck im Tiefdruck bedruckte Oberseite des beanspruchten Tapetensubstrats - vergleichbar mit Papier im Allgemeinen - eine "faserige obere Lage aus einem synthesefaserfreien Faserstoffgemisch auf Zellulosebasis" aufweisen kann.
2.3.2 Im Hinblick auf Dokument D24b schließt die Kammer daher, dass das von der Beschwerdeführerin geltend gemachte allgemeine Fachwissen (Punkt 2.2.2, supra) - obwohl bestritten - nicht hinreichend überzeugend nachgewiesen wurde.
2.4 Angesichts der abschlägigen Entscheidung der Einspruchsabteilung zur Ausführbarkeit, in der bereits die Lehre des Dokuments D24b eine zentrale Rolle spielte (siehe IV, supra), oblag es der Patentinhaberin/Beschwerdeführerin, einen eindeutigen Nachweis für das in Untermauerung ihrer Argumentation geltend gemachte allgemeine Fachwissen zu bringen. Einen derartigen Beweis ist die Beschwerdeführerin jedoch letztendlich schuldig geblieben.
2.5 Daher schließt die Kammer, dass die in Anspruch 1 definierte Erfindung im Streitpatent nicht so deutlich und vollständig offenbart ist, dass ein Fachmann sie ohne unzumutbaren Aufwand ausführen kann. Die Erfordernisse des Artikels 83 EPÜ sind demnach nicht erfüllt.
2.6 Der Hauptantrag der Beschwerdeführerin ist demnach nicht gewährbar.
Hilfsantrag 6 - Zulässigkeit ins Verfahren
3. Der Anspruchssatz gemäß Hilfsantrag 6 umfasst im Gegensatz zum erteilten Anspruchssatz laut Hauptantrag nur Verfahrensansprüche. Abgesehen von einer Schreibfehlerkorrektur in einem abhängigen Anspruch ist Hilfsantrag 6 identisch mit dem mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hilfsantrag 2. Zudem ist der Verfahrensanspruch 1 laut Hilfsantrag 6 praktisch identisch mit dem erteilten Verfahrensanspruch 9 (siehe II, supra).
4. Allerdings ist weder der erteilte Verfahrensanspruch 9, noch irgendein anderer unabhängiger Verfahrensanspruch, in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung erörtert worden, da alle vor der Einspruchsabteilung anhängigen Anträge einen unabhängigen Erzeugnisanspruch 1 umfassten, der jeweils aufgrund des "missing dots"- Merkmals im Hinblick auf die Bestimmungen des Artikels 83 EPÜ für nicht gewährbar befunden wurde (siehe IV, supra).
5. Gemäß Artikel 12(4) VOBK liegt es im Ermessen der Kammer, Anträge nicht zuzulassen, die bereits im erstinstanzlichen Verfahren hätten vorgebracht werden können.
Die Kammer hat sich demnach insbesondere mit der Frage befasst, ob ein Antrag wie Hilfsantrag 6, also ohne Erzeugnisansprüche, nicht bereits spätestens in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung hätte vorgebracht werden können bzw. sollen.
5.1 Wie in Entscheidung T 419/12 vom 14. Oktober 2012, Punkt 2.1.2 der Gründe, zusammenfassend ausgeführt wird, "...setzt eine Nichtzulassung der Anträge regelmäßig die Darlegung eines konkreten Anlasses voraus, warum der jeweilige Antrag bereits in erster Instanz nicht nur hätte gestellt werden können, sondern hätte gestellt werden sollen. Ein solcher Anlass kann der Umstand sein, dass... seine Formulierung und Einreichung deswegen nahe gelegt war, weil damit offenkundig einem Mangel der im Verfahren befindlichen Anträge hätte abgeholfen werden können, der einen Schwerpunkt in der Diskussion der Parteien bildete ...
Es steht dem Patentinhaber nicht frei, eine Behandlung und Entscheidung des diesbezüglichen Streitgegenstands in der ersten Instanz zu vermeiden und diese nach Belieben in die zweite Instanz zu verschieben."
5.2 Im vorliegenden Fall ist unbestritten, dass die Einwände nach Artikel 83 bzw. 100(b) EPÜ gegen die Erzeugnisansprüche bereits seit Beginn des Einspruchsverfahrens vorlagen.
5.3 Dokument D24b, das in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung ins Verfahren aufgenommen und erörtert wurde, und in der Begründung der angefochtenen Entscheidung von zentraler Bedeutung ist, war bereits in der mit Schreiben vom 26. September 2013 (vier Monate vor der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung) von der Einsprechenden 02 eingereichten Erklärung von Herrn Olli Haaranoja ausdrücklich zitiert worden.
Daher kann die Patentinhaberin in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung weder von den Einwänden nach Artikel 83/100(b) EPÜ gegen die Erzeugnisansprüche aller Anträge als solchen, noch von der Argumentation auf Basis des nachgereichten Dokuments D24b überrascht gewesen sein.
5.4 Die Kammer berücksichtigt auch die Tatsache, dass in der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung, auf ausdrücklicher Nachfrage durch die Einspruchsabteilung, und in Kenntnis von deren negativer Meinung zur Ausführbarkeit der Erfindung (bezogen auf die unabhängigen Erzeugnisansprüche 1 aller Anträge), die Patentinhaberin auf die Einreichung weiterer Hilfsanträge ausdrücklich verzichtet hat (siehe Punkt 6 der Niederschrift). Insbesondere hat sie keinen auf (z.B. die erteilten) Verfahrensansprüche beschränkten Hilfsantrag (wie den nunmehrigen Hilfsantrag 6) eingereicht, und dies obwohl die erteilten Verfahrensansprüche das kritische "missing dots"-Merkmal gar nicht enthalten.
5.5 Nach dem Dafürhalten der Kammer hatte die Patentinhaberin aber bereits zu diesem Zeitpunkt einen "konkreten Anlass", einen Antrag wie Hilfsantrag 6, also ohne einen durch das "missing dots"- Merkmal beschränkten Erzeugnisanspruch, einzureichen, der
"offenkundig einem Mangel" aller damals "im Verfahren befindlichen Anträge ... abgeholfen" hätte, "der einen Schwerpunkt in der Diskussion der Parteien bildete", siehe T 419/12, loc.cit. Folglich hätte die Patentinhaberin einen solchen Antrag bereits vor der Einspruchsabteilung einreichen sollen.
Dass der nunmehr vorliegende Hilfsantrag 6 einen speziellen, in der angefochtenen Entscheidung beanstandeten Mangel nach Artikel 83 EPÜ auszuräumen vermag, bedeutet daher im vorliegenden Fall nicht automatisch, dass der Antrag zuzulassen ist.
5.6 Ergänzend ist anzumerken, dass der unabhängige Verfahrensanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 6 auch den Rahmen des bis zum Zeitpunkt der Einreichung des Antrags erschöpfend erörterten Streitstoffs verändert bzw. erweitert, unter anderem dadurch, daß dieser Verfahrensanspruch nicht auf die Herstellung von Tapetensubstraten gemäß den Erzeugnisansprüchen 1 der vorrangigen Anträge beschränkt zu sein scheint.
Durch die erstmalige Einreichung dieses Antrags mit der Beschwerdebegründung wurde daher eine diesbezügliche erstinstanzliche Entscheidung vermieden. Aufgrund der unterschiedlichen zu beurteilenden Kombinationen von Merkmalen stellen sich jedoch zusätzliche Fragen, die vor der ersten Instanz nicht erschöpfend erörtert wurden und daher in der angefochtenen Entscheidung auch nicht abgehandelt sind.
5.7 Unter Berücksichtigung aller unter 5.1 bis 5.6, supra, angesprochenen Aspekte entschied die Kammer, Hilfsantrag 6 in Anwendung von Artikel 12(4) VOBK nicht ins Verfahren zuzulassen.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.