T 0654/14 (Verfahren zur Herstellung von Antikörperfragmenten/WACKER CHEMIE) 30-01-2019
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Verfahren zur fermentativen Herstellung von Proteinen
I. Die Beschwerde der Einsprechenden (nachfolgend "Beschwerdeführerin") richtet sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung vom 20. Januar 2014, das Europäische Patent mit der Nummer 1 905 839 im geänderten Umfang aufrechtzuerhalten. Dieses Patent beruht auf der Europäischen Anmeldung mit der Nummer 06121094.4 (nachfolgend "die Patentanmeldung") und trägt den Titel "Verfahren zur fermentativen Herstellung von Proteinen".
II. Gegen das erteilte Patent wurde Einspruch eingelegt beruhend auf Einwänden unter Artikel 100(a) EPÜ wegen mangelnder Neuheit (Artikel 54 EPÜ) und erfinderischer Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ).
III. Die Einspruchsabteilung kam in der angefochtenen Entscheidung zum Schluss, dass der Hauptantrag in Anspruch 1 Änderungen aufweist, die gegen Artikel 123(3) EPÜ verstoßen, und dass der Gegenstand von Anspruch 1 des ersten Hilfsantrags nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht. Im Gegensatz dazu erfüllte der zweite Hilfsantrag die Erfordernisse des EPÜ.
IV. Anspruch 1 des zweiten Hilfsantrags lautet:
"1. Verfahren zur Produktion eines heterologen Proteins mittels eines E. coli-Stammes in einem Fermentations-medium, bei dem ein E. coli-Stamm, welcher eine Mutation im lpp-Gen oder im Promotorbereich des lpp-Gens aufweist und ein Gen kodierend für ein heterologes Protein, welches mit einer Signalsequenz kodierend für ein Signalpeptid funktionell verknüpft ist, enthält, in technischem Maßstab in dem Fermentationsmedium fermentiert wird, wobei der E. coli-Stamm das heterologe Protein in das Fermentationsmedium ausscheidet und das Protein vom Fermentationsmedium abgetrennt wird, dadurch gekennzeichnet, dass die Fermentation in einem Fermenter mit einem Volumen von mehr als 5 l erfolgt und das heterologe Protein ein eukaryontisches Protein ist und aus mehr als 100 As besteht und ein Antikörperfragment ist und dass die Mutation im lpp-Gen eine Substitution, eine Deletion oder eine Insertion eines oder mehrerer Nukleotide im lpp-Gen oder im Promotorbereich des lpp-Gens ist, welche dazu führt, dass das lpp-Gen nicht mehr oder nur noch vermindert exprimiert wird, oder die zu einer veränderten Aminosäuresequenz des Lpp-Proteins führt, welche mit einer Verminderung der Funktionalität des Lpp-Proteins einhergeht und das Antikörperfragment in technischem Maßstab in einer extrazellulären Ausbeute von mehr als 1 g/l hergestellt wird".
Die Ansprüche 2 bis 6 definieren spezifische Ausführungsformen des Verfahrens gemäß Anspruch 1.
V. Die Kammer lud die Parteien zu einer mündlichen Verhandlung und nahm in einer Mitteilung gemäß
Artikel 15(1) VOBK zu einigen Punkten, die in der mündlichen Verhandlung erörtert werden sollten, Stellung. Unter anderem wurden die Parteien darüber informiert, dass Teile der Einwendungen der Beschwerdeführerin unter Artikel 56 EPÜ nach etablierter Rechtsprechung unter Artikel 83 EPÜ zu prüfen seien.
VI. Die mündliche Verhandlung fand am 30. Januar 2019 in Anwesenheit beider Parteien statt.
VII. In dieser Entscheidung wird auf die folgenden Entgegenhaltungen verwiesen:
OD5: EP 0300 459 (veröffentlicht am 25. Januar 1989);
OD7: Kanamori T. et al., Gene, 1988, Bd. 66, Seiten 295-300;
OD8: Leonhartsberger S., BioProcess International, 2006, Seiten 2-4;
OD10: Lee K. und Choi C. Y., "Horizons of Biochemical Engineering", herausgegeben von S. Aiba, Oxford University Press, 1988, Seiten 125-134;
OD14: Better M. und Horwitz A. H., "Protein Folding", herausgegeben von J. L. Cleland, Kapitel 16, ACS Symposium Series, 1993, Bd. 526, Seiten 203-217;
VIII. Die für die Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdeführerin können folgendermaßen zusammengefasst werden:
Zulassung (Berücksichtigung) eines Einwandes unter Artikel 123(2) EPÜ zum Beschwerdeverfahren (Artikel 12(4) VOBK)
Der Einwand unter Artikel 123(2) EPÜ gegen den zweiten Hilfsantrag sollte im Beschwerdeverfahren zugelassen werden, da der zweite Hilfsantrag von der Patentinhaberin (Beschwerdegegnerin) erst in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung eingereicht wurde, und damit zu einem sehr späten Zeitpunkt des Verfahrens.
Zweiter Hilfsantrag
Artikel 123(2) EPÜ - Anspruch 1
Der Gegenstand von Anspruch 1 des zweiten Hilfsantrags unterscheide sich vom ursprünglich eingereichten Anspruch 1 durch fünf Merkmale, unter anderem die folgenden Merkmale iii) und iv):
iii) "das heterologe Protein ein Antikörperfragment ist",
iv) "das heterologe Protein ein eukaryontisches Protein ist und aus mehr als 100 As besteht".
Es sei unstrittig, dass der Gegenstand der Ansprüche 2, 7 und 10 wie ursprünglich eingereicht als Basis für drei der unterscheidenden Merkmale in Anspruch 1 diene. Jedoch stelle die Merkmalskombination aus "Antikörper-fragment" (Merkmal iii)) und "aus mehr als 100 As" (Merkmal iv)) eine Untergruppe der ursprünglich offenbarten Antikörperfragmente dar, die weder eine Basis in den ursprünglich eingereichten Ansprüchen noch in den Absätzen [0023], [0024], [0041], [0043] oder [0048] der Patentanmeldung habe. Insbesondere sei das Merkmal "Antikörperfragment" in der Patentanmeldung nicht als individualisiertes und bevorzugtes Merkmal offenbart.
Artikel 84 EPÜ - Anspruch 1
Der Gegenstand von Anspruch 1 sei nicht klar, da die dem Verfahren zugrunde liegende Erfindung durch das Merkmal, dass "das Antikörperfragment in technischem Maßstab in einer extrazellulären Ausbeute von mehr als 1 g/l hergestellt wird" "aufgabenhaft" formuliert sei, d.h. durch das zu erreichende Ziel. Des Weiteren würden essentielle technische Merkmale im Anspruch fehlen, die zur Erzielung einer Ausbeute von 1 g/l nötig seien, nämlich die Verwendung von lpp Mutanten in Kombination mit spezifischen Signalpeptiden.
Obwohl Artikel 84 EPÜ keinen Einspruchsgrund darstelle, stelle der Gegenstand von Anspruch 1 keine wörtliche Kombination aus dem Gegenstand der erteilten Ansprüche 1 und 5 dar. Daher sei eine Überprüfung des geänderten Gegenstands von Anspruch 1 unter Artikel 84 EPÜ gemäß der Entscheidung G 3/14 (Abl. 2015, 102) zulässig.
Artikel 83 EPÜ - Anspruch 1
Das Verfahren gemäß Anspruch 1 löse das ihm zugrunde liegende technische Problem nicht über die gesamte Breite, da der technische Effekt, d.h. eine Ausbeute von mehr als 1 g/l Antikörperfragment im Kulturüberstand, nicht ohne unzumutbaren Aufwand für den Fachmann zu erzielen sei.
Dem Anspruch fehlten technische Merkmale, die nötig seien, um diese Ausbeute zu erzielen, im besonderen die Verwendung definierter Signalpeptide.
Entgegenhaltung OD5 zeige in Tabelle 3, dass die Ausbeute an rekombinantem Protein je nach verwendetem Signalpeptid in lpp-Mutanten von E. coli um den Faktor 3 schwanke. Dies bestätige auch Entgegenhaltung OD8 (siehe Abbildung 5, Bahnen 3 und 5 im Vergleich mit Bahnen 7 und 9). Hinweise, dass sich die beanspruchte hohe Ausbeute nur unter bestimmten Bedingungen erzielen ließe fänden sich auch in den Schriftsätzen der Beschwerdegegnerin, die stets darauf verweise, dass nur die Kombination aus lpp Mutante und spezifischem Signalpeptid zu unerwartet hohen Proteinausbeuten im Kulturüberstand führe (siehe Eingabe vom 26. September 2013, Seite 1, Absatz 4 und Eingabe vom 25. September 2014, Seite 2, letzter Absatz und Seite 3, Absatz 1).
Signalpeptide seien in Anspruch 1 jedoch nicht definiert. Der Fachmann müsse daher Signalpeptide in Kombination mit lpp Mutanten testen, um zum beanspruchten Verfahren mit einer Ausbeute an extrazellulärem Antikörperfragment von mehr als 1 g/l zu gelangen. Da jedoch sehr viele Signalpeptide und lpp Mutanten im Stand der Technik bekannt seien, stelle der Umfang der durchzuführenden Tests um eine geeignete Kombination zu finden einen unzumutbaren Aufwand für den Fachmann dar. Zur Stützung ihrer Argumentation verwies die Beschwerdeführerin auf die Entscheidung
T 809/07 vom 15. April 2019.
Artikel 56 EPÜ - Anspruch 1
Entgegenhaltung OD5 stelle den nächstliegenden Stand der Technik für das erfindungsgemäße Verfahren dar. Im Hinblick auf die Unterschiede zwischen dem in Entgegenhaltung OD5 beschriebenen Verfahren und dem Verfahren gemäß Anspruch 1 und den daraus resultierenden Effekten, bestehe das zu lösende technische Problem in der Bereitstellung eines fermentativen Verfahrens zur Herstellung von Proteinen mit höherer Ausbeute.
Das erfindungsgemäße Verfahren stelle eine Lösung dieses Problems dar. Allerdings sei diese Lösung für den Fachmann entweder durch die Lehre von Entgegenhaltung OD5 alleine, oder durch die Kombination mit der Lehre aus den Entgegenhaltungen OD7 oder OD14 naheliegend.
Entgegenhaltung OD5 offenbare verschiedene Verfahren zur Herstellung von rekombinantem humanen sekretorischen Trypsin-Inhibitor aus dem Pankreas (PSTI) mittels der E. coli lpp Mutante JE5505. PSTI wird in den Kulturüberstand sekretiert (siehe S. 9, Beispiel 3). Das Verfahren beschreibe, dass die transformierte lpp Mutante im Schüttelkolben kultiviert wurde, zu der entweder der Induktor 3-Indolacrylsäure (siehe S. 9, Zeile 42) oder Isopropyl beta-D-thiogalaktopyranoside (IPTG) (siehe S. 9, Zeile 56) zugesetzt wurde, wodurch ein Ertrag von PSTI im Überstand von entweder 5.9 myg/ml oder 31 myg/ml, also von 5.9 mg/l oder 31 mg/l erzielt wurde (siehe Tabelle 1). Dies zeige dem Fachmann, dass sich durch eine Optimierung des verwendeten Induktors eine Steigerung der PSTI-Sekretion um ca. den Faktor 5 erzielen lasse.
In einem weiteren in Beispiel 3 beschriebenen Verfahren wurden dieselben lpp Mutanten in einem Fermenter, d.h. in einem größeren Volumen als im Schüttelkolben, über einen längeren Zeitraum in 2 Liter Kulturmedium nach Zusatz des Induktors 3-Indolacrylsäure kultiviert. Dadurch stieg der Ertrag an PSTI im Überstand auf 28 myg pro ml, also auf 28 mg/l im Vergleich zum Schüttelkolben (5.9 mg/l) bei Verwendung des gleichen Induktors, d.h. noch einmal um ungefähr den Faktor 5 (siehe S. 12, Zeilen 6 bis 19). Der Fachmann würde somit der Lehre von Entgegenhaltung OD5 entnehmen, dass durch einfache Optimierungsschritte (Wahl des Induktors, Vergrößerung des Fermentervolumens) eine Erhöhung der PSTI-Sekretion um den Faktor 25 (5 x 5) zu erzielen sei. Obwohl Entgegenhaltung OD5 eine Kultivierung von lpp Mutanten im Fermenter bei Verwendung des Induktors IPTG nicht offenbare, sei durch die Vergleichsexperimente im Schüttelkolben davon auszugehen, dass bei Verwendung von IPTG eine Sekretion von 5 x 28 mg/l PSTI zu erzielen sei, d.h. von ca. 140 mg/l.
Der Fachmann hätte des weiteren auf Grundlage des allgemeinen Fachwissens der Angabe von 2 Liter Kulturmedium in Entgegenhaltung OD5 entnommen, dass der Fermenter eine Größe von ungefähr 5 Litern habe, da das Volumen des Fermenters stets deutlich über dem des Kulturmediums liege (siehe z. B. Entgegenhaltung OD10, S. 127, Punkt 3.6).
PSTI bestehe aus 56 Aminosäuren, welches drei Disulfidbrücken enthalte. Es sei somit relativ groß und weise eine Antikörperfragmenten analoge komplexe Struktur auf. Dies zeige dem Fachmann, dass sich auch Antikörperfragmente in lpp Mutanten durch einfache Optimierung der Kultivierungsbedingungen mit hoher Ausbeute in den Kulturüberstand sekretieren lassen.
Der Fachmann hätte somit ausgehend von Entgegenhaltung OD5 alleine eine Motivation durch einfache "try and see" Optimierungen der Fermentationsparameter in naheliegender Weise zum beanspruchten Verfahren zu gelangen.
Die Eignung von lpp Mutanten zur Sekretion von rekombinanten Proteinen im Allgemeinen sei explizit in Entgegenhaltung OD7 offenbart (siehe S. 299, Spalte 1, Absatz 2). Diese Entgegenhaltung beschreibe, wie sich die Sekretion von PSTI durch die Verwendung eines Fermenters mittels Optimierung der Feinkontrolle von Temperatur, pH und Sauerstoffgehalt, zusätzlich um den Faktor 2 steigern ließe (von "31 myg/ml" auf ungefähr "50 myg/ml"; siehe S. 298, Spalte 1, Absatz 1).
Des Weiteren ließe sich Entgegenhaltung OD14 entnehmen, wie sich durch eine Reihe von Optimierungen der Fermentationsbedingungen, z.B. der Dauer der Wachstumsphase der E. coli Zellen nach Induktion der Protein-Expression, die Ausbeute an in den Überstand sekretierten Antikörperfragmenten bis zu einer Konzentration von 561 mg/l weiter steigern ließe (siehe S. 209, Absatz 3 und Tabelle I).
Der Fachmann wäre demnach ausgehend von Entgegenhaltung OD5 alleine oder in Kombination mit der Lehre der Entgegenhaltungen OD7 oder OD14 durch "try and see" Optimierungsschritte in naheliegender Weise zum Verfahren gemäß Anspruch 1 gelangt.
IX. Die für die Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdegegnerin können folgendermaßen zusammengefasst werden:
Zulassung (Berücksichtigung) eines Einwandes unter Artikel 123(2) EPÜ zum Beschwerdeverfahren (Artikel 12(4) VOBK)
Der von der Beschwerdeführerin vorgebrachte Einwand in der Begründung der Beschwerdeschrift unter Artikel 123(2) EPÜ gegen Anspruch 1 des zweiten Hilfsantrags sollte nicht ins Beschwerdeverfahren zugelassen werden, da die Beschwerdeführerin im erstinstanzlichen Verfahren keinen solchen Einwand erhoben habe, obwohl die Änderungen in Anspruch 1 ausschließlich aus der Kombination von Merkmalen aus erteilen abhängigen Ansprüchen mit dem unabhängigen Anspruch stammten.
Zweiter Hilfsantrag
Artikel 123(2) EPÜ - Anspruch 1
Das Merkmal "Antikörperfragment" sei in der Patentanmeldung als individualisiertes und bevorzugtes Merkmal offenbart (siehe Anspruch 6 und 7 wie eingereicht, Absätze [0041] und [0044]). Da Antikörperfragmente ausschließlich aus Eukaryonten stammten und die Expression in E. coli erfolge, seien sie zwingend heterologe und eukaryontische Proteine. Aus diesem Grund sei auch die Kombination aus Antikörperfragment mit einer Länge von 100 Aminosäuren direkt und eindeutig in der Patentanmeldung offenbart (siehe Absätze [0023] und [0024]).
Artikel 84 EPÜ - Anspruch 1
Artikel 84 EPÜ stelle keinen Einspruchsgrund dar. Die Änderungen in Anspruch 1 entstammten der Kombination des Gegenstands der Ansprüche 1, 5 und 7 wie erteilt. Eine Überprüfung dieser Änderungen unter Artikel 84 EPÜ sei nach etablierter Rechtsprechung ausgeschlossen
(siehe G 3/14).
Artikel 83 EPÜ - Anspruch 1
Anspruch 1 definiere, dass das in einer lpp Mutante von E. coli hergestellte heterologe Antikörperfragment mit einem Signalpeptid funktionell verknüpft sei und die Fermentation in einem Fermenter mit einem Volumen von mehr als 5 l erfolge. Daher enthalte das Verfahren gemäß Anspruch 1 alle wesentlichen Verfahrensmerkmale, um die geforderte extrazelluläre Ausbeute von mehr als 1 g/l zu erzielen.
Beispiel 6 des Patents offenbare ein Verfahren, wie der Fachmann sekretierte Antikörperfragmente mit einer Ausbeute von mehr als 1 g/l in lpp Mutanten herstellen könne. Obwohl in diesem Beispiel nur das Signalpeptid einer Cyclodextrin-Glycosyltransferase (CGTase) beschrieben sei, bedeute dies nicht, dass die beanspruchte Ausbeute nur mit diesem Signalpeptid erreicht werden könne. Zum Beispiel definiere Anspruch 3 Signalpeptide eines phoA- oder ompA-Gens für diese Aufgabe.
Die Tatsache, dass verschiedene Signalpeptide unterschiedliche Mengen an heterologem Protein in den Überstand sekretieren, wie es z.B. Abbildung 5 in Entgegenhaltung OD8, oder Tabelle 3 in Entgegenhaltung OD5 zeige, sei für die Prüfung der Reproduzierbarkeit des Verfahrens über die gesamte beanspruchte Breite ohne unzumutbarem Aufwand unerheblich. Diese beobachtete Schwankung stelle keinen Beweis dar, dass die geforderte Ausbeute von 1 g/l sich nicht auch mit anderen Signalpeptiden als den der CGTase, z.B. phoA oder ompA erzielen lasse. Die Beschwerdeführerin trage für diesen Einwand die Beweislast. Allerdings seien Beweise, die zeigten, dass mit Hilfe von phoA- oder ompA Signalpeptiden die geforderte Ausbeute an Antikörperfragmenten nicht zu erzielen sei, von der Beschwerdeführerin nicht vorgelegt worden und ergäben sich auch nicht aus einer der vorgelegten Entgegenhaltungen.
Weiterhin sei die Ausführung, dass sich durch die Kombinationen aus einer lpp Mutante und einem speziellen Signalpeptid unerwartet hohe Ausbeuten erzielen ließen für die Frage der Reproduzierbarkeit von Anspruch 1 unerheblich, da sie nicht ausschließe, dass die geforderte Ausbeute von mehr als 1 g/l mit allen unten den Anspruch fallenden Signalpeptiden erreichbar sei.
Artikel 56 EPÜ - Anspruch 1
Ausgehend vom in Entgegenhaltung OD5 beschriebenen Verfahren hätte der Fachmann keine Motivation besessen, ein fermentatives Verfahren bereitzustellen, das die Herstellung von sekretierten Antikörperfragmenten mit der geforderten Ausbeute erlaube. Gründe dafür seien, dass Entgegenhaltung OD5 keine Hinweise enthalte, dass sich mit lpp Mutanten größere und komplexere Proteine als PSTI, wie zum Beispiel Antikörperfragmente, mit einer noch höheren Ausbeute als 31 mg/l herstellen ließen. Die Aussage der Beschwerdeführerin, dass sich durch eine Vergrößerung des Fermenters in Kombination mit einem optimierten Induktor Ausbeuten von sekretiertem PSTI bis zu 140 mg/l erzielen ließen, seinen spekulativ, da dieser Wert in Entgegenhaltung OD5 nicht offenbart sei. Dasselbe gelte für eine Ausbeute von Antikörperfragmenten in dieser Konzentration. Außerdem läge selbst eine Ausbeute von 140 mg/l sekretiertem PSTI/Antikörperfragment weit unter der in Anspruch 1 angegebenen Menge von mehr als 1 g/l.
Auch Entgegenhaltung OD7 offenbare die Sekretion von PSTI in lpp Mutanten von E. coli mit einer maximalen Ausbeute von 50 mg/l, allerdings seien Antikörper bzw. Antikörperfragmente nicht erwähnt. Daher enthalte das Dokument, analog zu Entgegenhaltung OD5, keine Hinweise dafür, dass Antikörperfragmente in lpp Mutanten hergestellt werden können, bzw. dass sich durch Optimierungen von Parametern ihre Ausbeute in einem solchen Maße erhöhen ließe, dass sie über der für PSTI liegen. Entgegenhaltung OD7 erwähne, dass sich Fusionsproteine von PSTI, d.h. größere Proteine als PSTI, mit einer schlechteren Ausbeute herstellen ließen.
Auch aus Entgegenhaltung OD14 ließen sich keine Hinweise entnehmen, dass sich mittels lpp Mutanten Antikörperfragmente in der geforderten Konzentration von mehr als 1 g/l herstellen ließen. Entgegenhaltung OD14 offenbare die rekombinante Herstellung von Antikörperfragmenten in E. coli in einem 14-Liter Fermenter. Allerdings seien weder lpp Mutanten von E. coli erwähnt, noch überstiegen die gefundenen Ausbeuten eine Konzentration von 561 mg/l, obwohl das Verfahren optimiert worden sei. Darüber hinaus zeige die Entgegenhaltung, dass sich diese maximale Ausbeute erst nach einer Kultivierung von E. coli über einen Zeitraum von 70 Stunden erzielen ließen (siehe Abbildung 5). Allerdings gäbe es weder Hinweise in Entgegenhaltung OD14 noch in einer der anderen vorliegenden Entgegenhaltungen, dass lpp Mutanten ausreichend stabil sind, so dass sie sich über diesen langen Zeitraum kultivieren ließen.
Hinweise dafür fänden sich auch nicht in Entgegenhaltung OD5, die nur zeige, dass lpp Mutanten über einen Zeitraum von 24 Stunden kultiviert worden seien (siehe Abbildung 4), d.h. über einen wesentlich kürzeren Zeitraum.
Dagegen enthalte Entgegenhaltung OD8 Hinweise, dass sich lpp Mutanten auf Grund ihrer fehlenden Robustheit nicht für eine groß-technische Fermentation eignen (siehe S. 3, mittlere Spalte, Absatz 1).
X. Die Beschwerdeführerin beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Streitpatent zu widerrufen.
XI. Die Beschwerdegegnerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Zulassung (Berücksichtigung) eines Einwandes unter Artikel 123(2) EPÜ zum Beschwerdeverfahren (Artikel 12(4) VOBK)
1. Die Beschwerdeführerin bringt in ihrer Beschwerdebegründung vor, dass der Gegenstand des geänderten Anspruchs 1 über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Anmeldung hinausgehe. Dieser Einwand ist somit gemäß Artikel 12(1) und (2) der VOBK grundsätzlich Bestandteil des Beschwerdeverfahrens. Allerdings hat die Kammer gemäß Artikel 12(4) VOBK ein Ermessen, Einwände, die bereits im erstinstanzlichen Verfahren hätten vorgebracht werden können, nicht zum Beschwerdeverfahren zuzulassen.
2. Anspruch 1 des zweiten Hilfsantrags unterscheidet sich von Anspruch 1 wie erteilt dadurch, dass der Gegenstand des erteilten Anspruchs 5 in den Anspruch aufgenommen wurde.
3. Der zweite Hilfsantrag wurde während der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung eingereicht (siehe Niederschrift der mündlichen Verhandlung, Seite 3, Absatz 7). Der angefochtenen Entscheidung ist zu entnehmen (siehe Punkt 30), dass die Einsprechende (Beschwerdeführerin) zu diesem Zeitpunkt keine Einwände unter Artikel 123(2) EPÜ gegen den geänderten Anspruch 1 vorgebracht hat.
4. Die Kammer stellt fest, dass der zweite Hilfsantrag von der Patentinhaberin erst zu einem sehr späten Zeitpunkt ins Einspruchsverfahren eingeführt wurde. Des Weiteren sind in der Eingabe der Beschwerdeführerin keine Hinweise dafür zu erkennen, dass der Einwand unter Artikel 123(2) EPÜ im Beschwerdeverfahren etwa aus missbräuchlichen Gründen erhoben worden wäre.
5. Der Einwand unter Artikel 123(2) EPÜ war daher im Beschwerdeverfahren zuzulassen.
Zweiter Hilfsantrag
Artikel 123(2) EPÜ - Anspruch 1
6. Die Beschwerdeführerin argumentierte, dass sich der Gegenstand von Anspruch 1 des zweiten Hilfsantrags von Anspruch 1 wie ursprünglich eingereicht durch die folgenden Merkmale i) bis v) unterscheide:
i) "dass die Mutation im lpp-Gen eine Substitution, eine Deletion oder eine Insertion eines oder mehrerer Nukleotide im lpp-Gen oder im Promotorbereich des lpp-Gens ist, welche dazu führt, dass das lpp-Gen nicht mehr oder nur noch vermindert exprimiert wird, oder die zu einer veränderten Aminosäuresequenz des Lpp-Proteins fuhrt, welche mit einer Verminderung der Funktionalität des Lpp-Proteins einhergeht"
ii) "dass die Fermentation in einem Fermenter mit einem Volumen von mehr als 5 l erfolgt und"
iii) "das heterologe Protein ein Antikörperfragment ist"
iv) "das heterologe Protein ein eukaryontisches Protein ist und aus mehr als 100 As besteht und"
v) "das Antikörperfragment in technischem Maßstab in einer extrazellulären Ausbeute von mehr als 1 g/1 hergestellt wird".
7. In diesem Zusammenhang ist zwischen den Parteien unstrittig, dass der Gegenstand der Ansprüche 2, 7 und 10 wie eingereicht als Basis für die oben genannten Merkmale i), ii) und v) in Anspruch 1 dient.
8. Die Beschwerdeführerin bestreitet jedoch, dass die Merkmalskombination aus "Antikörperfragment" (Merkmal iii)) und "aus mehr als 100 As" (Merkmal iv)) eine Basis in den ursprünglich eingereichten Ansprüchen oder den Absätze [0023], [0024], [0041], [0043] oder [0048] in der Patentanmeldung habe, insbesondere weil die Patentanmeldung weder das Merkmal "Antikörperfragment" als individualisiertes und bevorzugtes Merkmal, noch die neue Untergruppe von sekretierten Antikörperfragmenten mit mehr als 100 Aminosäuren Länge unmittelbar und eindeutig offenbare.
9. Ansprüche 4 und 7 der Patentanmeldung lauten wie folgt:
"4. Verfahren nach Anspruch 1, 2 oder 3, dadurch gekennzeichnet, dass das heterologe Protein ein eukaryontisches Protein ist" (Hervorhebung hinzugefügt).
"7. Verfahren nach Anspruch 4, 5 oder 6, dadurch gekennzeichnet, dass ein Antikörperfragment in technischem Maßstab in einer extrazellulären Ausbeute von mehr als 1 g/l hergestellt wird" (Hervorhebung hinzugefügt).
10. Der Gegenstand von Anspruch 7 in Verbindung mit Anspruch 4 der Patentanmeldung ist somit auf ein Verfahren gerichtet, das Antikörperfragmente als heterologe und eukaryontische Proteine in einer Konzentration von mehr als 1 g/l herstellt. Da die Antikörperfragmente zudem in Anspruch 7 individuell beansprucht sind, stellen sie eine bevorzugte Ausführungsform des herzustellenden heterologen eukaryontischen Proteins dar.
11. Zudem lautet Absatz [0041] der Patentanmeldung wie folgt: "Bevorzugt sind heterologe, besonders bevorzugt eukaryontische Proteine, die eine oder mehrere Disulfid-Brücken enthalten oder heterologe, besonders bevorzugt eukaryontische Proteine, die in ihrer funktionellen Form als Di- oder Multimere vorliegen. Beispiele für eukaryontische Proteine sind Antikörper und deren Fragmente, Cytokine, Wachstumsfaktoren, Proteinkinasen sowie Proteinhormone" (Hervorhebung hinzugefügt).
12. Der Fachmann kann diesem Absatz als Ganzes entnehmen, dass zu den bevorzugten heterologen Proteinen diejenigen gehören, die mindestes eine Disulfid-Brücke enthalten oder als Di- oder Multimere vorliegen, einschließlich aller nachfolgend aufgezählten Proteine, wie z.B. Antikörper und deren Fragmente, also Antikörperfragmente. Dies stellt auch keinen Widerspruch dar, da dem Fachmann das Vorhandensein von Disulfid-Brücken Bindungen in Antikörperfragmenten bzw. ihr Vorliegen als Di- oder Multimere aus seinem allgemeinen Fachwissen bekannt sind. Die Argumentation der Beschwerdeführerin ist daher soweit nicht überzeugend.
13. Darüber hinaus offenbart die Patentanmeldung bezüglich der Länge der mit dem erfindungsgemäßen Verfahren hergestellten heterologen, eukaryontischen Proteine in den Absätzen [0023] und [0024] folgendes:
"Diese Aufgabe wird gelöst durch ein Verfahren, bei dem ein E. coli-Stamm welcher eine Mutation im lpp-Gen oder im Promotorbereich des lpp-Gens aufweist und ein Gen kodierend für ein heterologes Protein, welches mit einer Signalsequenz kodierend für ein Signalpeptid funktionell verknüpft ist, enthält, in technischem Maßstab in dem Fermentationsmedium fermentiert wird, wobei der E. coli-Stamm das heterologe Protein in das Fermentationsmedium ausscheidet und das Protein vom Fermentationsmedium abgetrennt wird dadurch gekennzeichnet, dass das heterologe Protein aus mehr als 70 Aminosäuren besteht.
Vorzugsweise besteht das heterologe Protein aus mehr als 100 Aminosäuren" (Hervorhebung hinzugefügt).
14. Wie oben festgestellt, sind Antikörperfragmente, die mit dem erfindungsgemäßen Verfahren hergestellt werden, in der Patentanmeldung als individualisierte und bevorzugte heterologe eukaryontische Proteine benannt. Darüber hinaus bestehen heterologe eukaryontische Proteine bevorzugt aus mehr als 100 Aminosäuren (As) (siehe Punkt 13 oben). Daher ist die Kammer der Überzeugung, dass der Fachmann der Patentanmeldung als Ganzes die Kombination aus Antikörperfragment bestehend aus mehr als 100 Aminosäuren im beanspruchten Verfahren unmittelbar und eindeutig entnimmt.
15. Der Gegenstand von Anspruch 1 und somit der zweite Hilfsantrag verstößt daher nicht gegen Artikel 123(2) EPÜ.
Artikel 84 EPÜ - Anspruch 1
16. Die Beschwerdeführerin argumentierte, dass der geänderte Anspruch 1 nicht der wörtlichen Kombination der erteilten Ansprüche 1 und 5 entspreche und somit eine Überprüfung des Gegenstands von Anspruch 1 auf Klarheit (Artikel 84 EPÜ) gemäß der Entscheidung G 3/14 zulässig sei.
17. Artikel 84 EPÜ stellt keinen Einspruchsgrund dar. Die Große Beschwerdekammer (GBK) hielt in der Entscheidung G 3/14 fest, dass bei der Prüfung nach Artikel 101(3) EPÜ, ob ein Patent in der geänderten Fassung den Erfordernissen des EPÜ genügt, Ansprüche eines Patents nur auf die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ geprüft werden, sofern und dann auch nur soweit diese Änderung zu einem Verstoß gegen Artikel 84 EPÜ führt. G 3/14 stellt fest, dass von der Überprüfung unter Artikel 84 EPÜ solche geänderten Ansprüche auszunehmen sind, die aus der Übernahme von vollständigen abhängigen Ansprüchen wie erteilt in einen erteilten unabhängigen Anspruch bestehen, weil dieser Typ von Änderung einer Streichung des ursprünglich unabhängigen Anspruchs gleichkommt (siehe G 3/14, ABl. 2015, 102, Entscheidungsformel und Punkt 80 der Entscheidungsgründe, sowie Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäisches Patentamts, 8. Auflage, 2016, (nachfolgend "Rechtsprechung"), II.A.1.4, IV.D.4.2.2).
18. Der geänderte Anspruch 1 ist das Resultat der vollständigen Übernahme der erteilten abhängigen Ansprüche 5 und 7 in den unabhängigen erteilten Anspruch 1. Der einzige Unterschied zwischen dem Wortlaut von Anspruch 5 wie erteilt und Anspruch 1 des zweiten Hilfsantrages besteht darin, dass der Begriff "ein Antiköperfragment" durch "das Antiköperfragment" ausgetauscht wurde. In anderen Worten, ein unbestimmter Artikel durch einen bestimmten Artikel. Die Kammer erachtet diese Änderung des Artikels als eine semantische Anpassung an den vorausgehenden Begriff "ein Antiköperfragment", der bereits den unbestimmten Artikel enthält und sich im ersten Drittel des kennzeichnenden Teils von Anspruch 1 befindet.
19. Da sich durch diese semantische Anpassung der vollständige Wortlaut des abhängigen Anspruchs 5 wie erteilt nicht ändert, kann das beanstandete Merkmal in Anspruch 1 bezüglich der Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ nicht überprüft werden.
Artikel 83 EPÜ - Anspruch 1
20. Es war zwischen den Parteien unstrittig, dass die Frage unter Artikel 83 zu prüfen ist, ob das funktionelle Merkmal in Anspruch 1, nämlich die Herstellung eines Antikörperfragments "in einer extrazellulären Ausbeute von mehr als 1 g/l", durch das beanspruchte Verfahren über seine gesamte Breite ohne unzumutbaren Aufwand für den Fachmann zu erzielen ist.
21. Es ist in der Rechtsprechung etabliert, dass im Allgemeinen Einsprechende die Beweislast in Bezug auf unzureichende Offenbarung tragen. In der Regel ist ein in diesem Zusammenhang erhobener Einwand nur dann erfolgreich, wenn ernsthafte, durch nachprüfbare Fakten erhärtete Zweifel bestehen (siehe Rechtsprechung, II.C.8).
22. In Bezug auf Artikel 83 EPÜ ist im vorliegenden Fall zu prüfen, ob die Patentanmeldung den Fachmann in die Lage versetzt, das beanspruchte Verfahren ohne unverhältnismäßigen Aufwand oder erfinderisches Zutun über die gesamte Breite auszuführen. Verfahren, welche die im Anspruch genannte Ausbeute nicht erzielen, fallen nicht in den durch den Anspruch definierten Schutzbereich.
23. Es ist zwischen den Parteien unstrittig, dass Beispiel 6 der Patentanmeldung die Herstellung eines bestimmten Typs von Antikörperfragment in drei verschiedenen E. coli lpp Mutanten offenbart. Die Ausbeute der Fragmente im Kulturüberstand schwankt zwischen 1 und 1,5 g/l (siehe Tabelle 3). Somit beschreibt die Patentanmeldung dem Fachmann ein Verfahren, das es ermöglicht, Antikörperfragmente mit der im Anspruch angegebenen Ausbeute herzustellen.
24. Weitere Signalpeptide, die für die Sekretion von Antikörperfragmenten in E. coli lpp Mutanten geeignet sind, beschreibt die Patentanmeldung in den Absätzen [0050] und [0053], und in Anspruch 8. Ferner beschreibt die Patentanmeldung in den Absätzen [0026] bis [0037] geeignete lpp Mutanten oder Verfahren zu ihrer Herstellung.
25. Die Beschwerdeführerin argumentierte, dass das in der Patentanmeldung in Beispiel 6 offenbarte Verfahren nur die Verwendung eines Cyclodextrin-Glycosyltransferase (CGTase) Signalpeptids beschreibe, mit dessen Hilfe sich die im Anspruch geforderte Ausbeute erzielen lasse. Das Verfahren in Anspruch 1 sei jedoch nicht auf das CGTase Signalpeptid beschränkt und die mit diesem Signalpeptid erzielten Ausbeuten ließen sich nicht auf andere Signalpeptide übertragen. Dies ergebe sich aus den in den Entgegenhaltungen OD5 (siehe Tabelle 3) und OD8 (siehe Abbildung 5) beschriebenen starken Schwankungen in der Ausbeute von sekretierten Proteinen in Abhängigkeit der verwendeten Signalpeptide. Damit könne der Fachmann geeignete Signalpeptide nur mit unzumutbarem Aufwand finden, da aus dem Stand der Technik zahlreiche Signalpeptide bekannt seien, die alle individuell auf ihre Eignung zu testen seien.
26. Die Argumentation der Beschwerdeführerin ist nicht überzeugend. Zum einen hat die Beschwerdeführerin keine Beweismittel dafür vorgelegt, dass andere Signalpeptide als die der CGTase nicht dazu geeignet wären, die im beanspruchten Verfahren geforderte Ausbeute von mehr als 1 g/l zu erzielen. Zum anderen sind die in den Entgegenhaltungen OD5 (siehe Tabelle 3) und OD8 (Abbildung 5, Bahnen 3 und 5 im Vergleich zu Bahnen 7 und 9) beschriebenen Schwankungen der Sekretion des humanen sekretorischen Trypsin-Inhibitors aus dem Pankreas (PSTI) bzw. von Interferon alpha2b in Abhängigkeit der verwendeten Signalpeptide relativ und werden in Verfahren beobachtet, die sich vom beanspruchten Verfahren mindestes in der Art des sekretierten Proteins und der verwendeten Fermentergröße unterscheiden. Diese Schwankungen sind somit kein Beleg dafür, dass sich mit Hilfe von Signalpeptiden im Allgemeinen im beanspruchten Verfahren Antikörperfragmente nicht mit der geforderten Ausbeute herstellen lassen.
27. Ohne überprüfbare Fakten, welche die Argumentation der Beschwerdeführerin stützen würden, kann die Argumentation der Beschwerdeführerin nicht überzeugen, dass sich Signalpeptide und lpp Mutanten im Allgemeinen nicht dafür eignen, die in Anspruch 1 aufgestellten Bedingungen bei der Herstellung von sekretierten Antikörperfragmenten zu erfüllen.
28. Dies gilt auch für ihre Argumentation, dass aus den Eingaben der Beschwerdegegnerin selbst bereits hervorgehe, dass sich sehr hohe Ausbeuten nur durch die Kombination von lpp Mutanten mit bestimmten Signalpeptiden ergebe. Diese Eingaben lassen den Umkehrschluss nicht zu, dass Signalpeptide im Allgemeinen nicht dazu geeignet wären, die im Anspruch aufgestellten Bedingungen zu erfüllen.
29. Die Beschwerdeführerin verwies zur Stützung ihres Einwands auch auf die Entscheidung T 809/07 vom 15 April 2010. In dieser Entscheidung war die zuständige Kammer mit der Sachlage konfrontiert, dass das Patent neben dem Ausführungsbeispiel für den Fachmann keinen Hinweis enthielt, wie er oder sie außerhalb dieses Beispiels ohne unzumutbaren Forschungsaufwand das im Anspruch zwingend vorgesehene Ziel erreichen konnte (siehe Leitsatz).
30. Wie oben bereits dargelegt, enthält im vorliegenden Fall die Patentanmeldung ausreichende Hinweise für den Fachmann, wie die geforderte Ausbeute an Antikörperfragmenten über die gesamte Breite des Anspruchs zu erreichen ist. Der vorliegende Fall unterscheidet sich somit grundlegend von dem in der Entscheidung T 809/07 beschriebenen (siehe Punkt 3.2 der Entscheidungsgründe) und kann daher die Einwände der Beschwerdeführerin nicht stützen.
31. Anspruch 1 und somit der zweite Hilfsantrag erfüllen die Erfordernisse von Artikel 83 EPÜ.
Artikel 56 EPÜ - Anspruch 1
Nächstliegender Stand der Technik
32. Es ist unstrittig, dass das in der Entgegenhaltung OD5 beschriebene Verfahren den nächstliegenden Stand der Technik für das Verfahren gemäß Anspruch 1 darstellt. Ausgehend von der Lehre dieser Entgegenhaltung besteht das der Erfindung zugrunde liegende technische Problem in der Bereitstellung eines fermentativen Verfahrens zur Herstellung von Antikörperfragmenten mit höherer Ausbeute.
33. Zur Lösung dieses Problems schlägt das Patent das Verfahren gemäß Anspruch 1 vor.
34. Wie in Beispiel 6 der Patentschrift gezeigt, wird dieses Problem durch ein Verfahren mit den Merkmalen des Anspruchs 1 gelöst.
Offensichtlichkeit
35. Die zu beantwortende Frage ist somit, ob der Fachmann ausgehend vom dem in Entgegenhaltung OD5 beschriebenen Verfahren entweder direkt oder durch Kombination mit der Lehre aus den Entgegenhaltungen OD7 oder OD14 in naheliegender Weise zur beanspruchten Lösung gelangt wäre.
36. Die Beschwerdeführerin argumentierte, dass die Entgegenhaltung OD5 alleine dem Fachmann zeige, wie sich durch einfaches Durchprobieren bekannter Induktoren und Fermentergrössen ("try and see" Ansatz), das Herstellungsverfahren von sekretierten heterologen relativ großen und komplexen Proteinen, wie z. B. von Antikörperfragmenten, in lpp Mutanten so optimieren ließe, um in naheliegender Weise zu der geforderten Ausbeute von mehr als 1 g/l zu kommen.
37. Entgegenhaltung OD5 beschreibt in Beispiel 3 fermentative Verfahren zur Herstellung von rekombinantem humanem PSTI mittels der E. coli lpp Mutante JE5505, das in den Kulturüberstand sekretiert wird (siehe S. 9, Zeile 31 und folgende). Die Verfahren werden entweder im Schüttelkolben durchgeführt, d.h. in einem relativ kleinen Volumen (siehe Seite 9, Zeilen 36 bis 37), oder in einem Fermenter, der 2 Liter Kulturmedium enthält (siehe Seite 12, Zeilen 10, 11). Um die Expression des PSTI-Proteins in den lpp Mutanten zu induzieren, wird den Schüttelkolben entweder der Induktor 3-Indolacrylsäure (siehe S. 9, Zeile 42), oder Isopropyl beta-D-thiogalaktopyranoside (IPTG) (siehe S. 9, Zeile 56) zugesetzt. Für die Kultur im Fermenter beschreibt Entgegenhaltung OD5 allerdings nur Versuche mit dem Induktor 3-Indolacrylsäure (siehe S. 12, Zeilen 13 und 14).
37.1 In den Schüttelkolben betrug die Ausbeute von PSTI im Überstand je nach Induktor entweder 5.9 myg/ml (3-Indolacrylsäure) oder 31 myg/ml (IPTG), also 5.9 mg/l bzw. 31 mg/l (siehe Tabelle 1), d.h. sie unterscheidet sich in Abhängigkeit vom verwendeten Induktor/Expressionskonstrukt ca. um den Faktor 5.
37.2 Im Fermenter betrug die Ausbeute von PSTI im Überstand 28 myg/ml (3-Indolacrylsäure) (siehe S. 12, Zeile 19), d.h. 28 mg/l, und steigt somit im Vergleich zur Kultivierung der Zellen im Schüttelkolben bei Verwendung des gleichen Induktors ebenfalls um ca. den Faktor 5 (ausgehend von 5.9 mg/l, siehe oben).
37.3 Nach Meinung der Kammer würde der Fachmann der Angabe von 2 Liter Kulturmedium in Entgegenhaltung OD5 entnehmen, dass das Volumen des Fermenters diesen Wert übersteigt, da das Fermentervolumen in der Regel über dem des Mediums liegt (siehe z.B. Entgegenhaltung OD10, S. 127, Punkt 3.6). Darüber hinaus würde der Fachmann den Versuchen mit unterschiedlichen Induktoren/Expressionskonstrukten und Kultivierungen entnehmen, dass sich durch die Auswahl des Induktors und der Kultivierung im Fermenter die Ausbeute an sekretiertem PSTI steigern lässt. Obwohl Entgegenhaltung OD5 keine Experimente im Fermenter mit IPTG offenbart, hätte der Fachmann in Anbetracht der Daten für IPTG in der Schüttelkolbenkultur die Erwartung, dass sich die Sekretion von PSTI auf eine Ausbeute von ca. 5 x 28 mg/l, d.h. auf maximal 140 mg/l, erhöhen ließe.
37.4 Nach Auffassung der Kammer hätte der Fachmann jedoch ausgehend von Entgegenhaltung OD5 keine angemessene Erfolgserwartung, dass sich die hoch gerechnete Maximalausbeute von 140 mg/l PSTI weiter erhöhen lässt, bzw. dass sich diese Ausbeute auch mit anderen heterologen Proteinen, insbesondere Antikörper-fragmenten, erreichen ließe. Die Entgegenhaltung enthält dafür keine Hinweise, da neben PSTI keine weiteren Proteine erwähnt sind, die durch eine rekombinante Expression in E. coli lpp Mutanten hergestellt werden können, insbesondere keine Antikörperfragmente. Des Weiteren unterscheiden sich diese beiden Proteine voneinander durch ihre Größe (56 Aminosäuren vis-à-vis mehr als 100 Aminosäuren) und durch die Komplexität ihrer Struktur (Monomer versus Dimer/Multimer). Noch gibt es Hinweise in der Entgegenhaltung OD5, dass sich die Ausbeute an sekretiertem PSTI durch eine Erhöhung des Fermentervolumens beliebig weiter steigern lässt, geschweige denn auf mehr als 1 g/l, noch dass lpp Mutanten in Fermentern jeglicher Größe kultiviert werden können.
37.5 In diesem Zusammenhang erwähnt Entgegenhaltung OD8, dass "By contrast with other "leaky" E. coli strains described in the literature, WCM105 is robust for large-scale fermentation" (siehe S. 2, mittlere Spalte, Zeilen 1-4). In anderen Worten, sogenannte "leaky" Stämme von E. coli die eine durchlässige äußere Zellmembran besitzen, sind mit Ausnahme von WCM105 nicht für eine groß-technische fermentative Herstellung von Proteinen geeignet, da ihnen die notwendige Robustheit/Stabilität für dieses Verfahren fehlt. Es ist unbestritten, dass lpp Mutanten zur Gruppe der "leaky" Mutanten gehören. Nach Auffassung der Kammer wäre der Fachmann somit skeptisch, ob sich lpp Mutanten für die Herstellung von heterologen Proteinen im groß-technischen Maßstab (in großen Fermentern) eignen.
38. Daher gibt die Lehre von Entgegenhaltung OD5 alleine dem Fachmann keinen Hinweis, dass sich das beschriebene Verfahren zur Herstellung von Antikörperfragmenten mit einer Ausbeute von mehr als 1 g/l eignet.
39. Entgegenhaltung OD7 offenbart, analog zu Entgegenhaltung OD5, die Sekretion von PSTI in den Überstand einer lpp Mutante von E. coli. Die maximal erzielte Ausbeute im Fermenter bei Kontrolle von Temperatur, pH und Sauerstoffgehalt beträgt 50 myg/ml (d.h. 50 mg/l) (siehe Zusammenfassung, S. 298, Spalte 1, Absatz 1). Die Entgegenhaltung erwähnt zusätzlich ein Fusionsprotein (Interferon-gamma-PSTI), das rekombinant in E. coli exprimiert wurde, allerdings mit geringerer Ausbeute (200 myg in 200 ml, d.h. 1 myg/ml oder 1 mg/l) (siehe S. 299, Spalte 1, Absatz 3). Entgegenhaltung OD7 erwähnt in diesem Zusammenhang weder, ob es sich bei den E. coli Zellen um lpp Mutanten handelt, noch ob die Kulturbedingungen mit den in Entgegenhaltung OD5 beschriebenen vergleichbar sind. Nach Auffassung der Kammer kann der Fachmann daher den Angaben in dieser Entgegenhaltung nicht entnehmen, warum die Ausbeute für das Fusionsprotein im Vergleich zu PSTI geringer ist, insbesondere nicht, ob die unterschiedliche Größe der beiden Proteine für diesen Effekt verantwortlich ist.
39.1 Entgegenhaltung OD7 offenbart als Schlussfolgerung folgendes: "E. coli JE5505 should be a useful host strain for the secretion of recombinant proteins" (siehe Seite 299, Spalte 1, Absatz 2). In anderen Worten, dass diese spezielle lpp Mutante ein geeigneter Wirt für die Sekretion von rekombinanten Proteinen im Allgemeinen sein sollte.
39.2 Jedoch erwähnt Entgegenhaltung OD7 weder Antikörperfragmente oder Erträge, die über 50 mg/l hinausgehen, noch die Größe des verwendeten Fermenters. Es ergeben sich aus Entgegenhaltung OD7 auch keine Hinweise, ob die Konzentration an sekretierten Proteinen über 50 mg/l gesteigert werden kann, da die Kultivierungsbedingungen im Fermenter bereits optimiert wurden. Auch lassen sich der Entgegenhaltung OD7 keine Hinweise dafür entnehmen, dass lpp Mutanten für die Kultivierung in Fermentern geeignet sind, die eine Größe von 5 Litern übersteigen, so dass eine Ausbeute von mehr als 1 g/l erreicht werden kann.
39.3 Daher ergibt sich das beanspruchte Verfahren für den Fachmann auch nicht in naheliegender Weise aus der Kombination der Lehren der Entgegenhaltungen OD5 und OD7.
40. Entgegenhaltung OD14 beschreibt unter anderem die rekombinante Herstellung von Antikörperfragmenten in E. coli (siehe Zusammenfassung, S. 205, letzter Absatz bis S. 206, dritter Absatz). Eine optimierte Fermentation erlaubt eine Ausbeute von bis zu 561 mg/l Antikörperfragment im Kulturüberstand eines 14 Liter Fermenters (siehe S. 209, Absatz 3 und Tabelle I). Die Entgegenhaltung enthält allerdings keine Informationen darüber, welche E. coli Stämme für die rekombinante Herstellung der Antikörperfragmente verwendet wurden, insbesondere nicht, ob es sich um lpp Mutanten handelte. Dies wurde von der Beschwerdeführerin auch nicht behauptet. Es enthält auch keine Hinweise die darauf hindeuten, dass für das Verfahren "leaky" Stämme verwendet wurden, oder dass sich "leaky" Stämme für ein Verfahren in größeren Fermentern eignen, bzw., dass sich durch ihre Verwendung die Ausbeute von Antikörperfragmenten auf mehr als 1 g/l erhöhen ließe.
41. Die Beschwerdeführerin argumentierte darüber hinaus, dass der Fachmann durch einen "try and see" Ansatz, also durch einfaches "Durchprobieren", in naheliegender Weise zum beanspruchten Verfahren gelangt wäre.
42. Die Kammer kann sich dieser Auffassung nicht anschließen. Nach etablierter Rechtsprechung kann eine Maßnahme als naheliegend angesehen werden, wenn der Fachmann sie in der Erwartung einer gewissen Verbesserung oder eines Vorteils vorgenommen hätte. In diesem Zusammenhang muss das Ergebnis der Maßnahme für den Fachmann nicht klar oder mit Sicherheit vorhersehbar sein, damit die Maßnahme nahegelegt ist. Es genügt, wenn der Fachmann ausgehend vom vorhandenen Wissen eine angemessene Erfolgserwartung hatte, oder falls es keine Gründe zur Skepsis gab und er keine besonderen Erwartungen hatte, es einfach aufs "Durchprobieren" (sogenannter "try and see" Ansatz) hätte ankommen lassen. Dieses "Durchprobieren" kann jedoch nicht mit dem Fehlen einer vernünftigen Erfolgserwartung gleichgesetzt werden (siehe Rechtsprechung, I.D.7.1, I.D.7.2, Seiten 212 ff.).
43. Keine der oben genannten Entgegenhaltungen OD5, OD7 und OD14 zeigt, dass rekombinante Proteine in solchen Mengen sekretiert werden können, dass die Konzentration im Kulturmedium über der in Entgegenhaltung OD14 angegebenen maximalen Konzentration von 561 mg/l liegt. Dieser Wert liegt immer noch ca. um den Faktor 2 unter der in Anspruch 1 geforderten Konzentration von mehr als 1 g/l. Dies bedeutet, dass es in diesen Entgegenhaltungen keine Hinweise dafür gibt, dass der Fachmann durch einfaches Durchprobieren der dort genannten Kultivierungsparameter die im Anspruch 1 geforderte Ausbeute an Antikörperfragment erzielen könnte. Mit anderen Worten, der Fachmann hatte im vorliegenden Fall ausgehend vom nächstliegenden Stand der Technik entweder alleine oder in Kombination mit der Lehre aus einer der beiden anderen Entgegenhaltungen keine vernünftige Erfolgserwartung, die in Anspruch 1 geforderte Ausbeute zu erzielen. Dementsprechend hätte sie oder er auch keine Veranlassung gehabt, dieses Ziel durch ein bloßes Durchprobieren (try and see) der Fermentationsparameter zu erreichen. Darüber hinaus wäre der Fachmann durch die in Entgegenhaltung OD8 gemachte Aussage, dass sich sogenannte "leaky" Mutanten nicht für eine groß-technische Kultivierung eignen, skeptisch gewesen, ob sich lpp Mutanten für eine Kultivierung in Fermentern mit mehr als 5 Liter Volumen überhaupt eignen.
44. Das Verfahren nach Anspruch 1 ist somit durch die Lehren der verfügbaren Entgegenhaltungen nicht nahegelegt. Damit erfüllt der zweite Hilfsantrag die Erfordernisse von Artikel 56 EPÜ.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.