T 1114/15 10-12-2020
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LOCHPLATTE AUF BASIS VON GIPS
Neuheit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - Mischung technischer und nichttechnischer Merkmale
Patentierbare Erfindung - technischer Charakter der Erfindung
Patentierbare Erfindung - (nein)
Einspruchsgründe - verspätet eingereichter Einspruchsgrund
Spät eingereichter Antrag - Umstände der Beschwerdesache rechtfertigen Zulassung (nein)
I. Das europäische Patent EP 1 831 476 betrifft eine Lochplatte auf Basis von Gips sowie Methoden zu deren Herstellung und Verlegung.
II. Gegen das Patent im gesamten Umfang wurde Einspruch eingelegt. Als Einspruchsgründe wurden mangelnde Neuheit sowie mangelnde erfinderische Tätigkeit (Artikel 100 a) EPÜ) geltend gemacht.
III. Am Ende der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung hat diese entscheiden, den Einspruch zurückzuweisen.
IV. Die Einsprechende (im Folgenden Beschwerdeführerin) hat gegen diese Entscheidung Beschwerde eingelegt.
V. In der Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK 2007 vom 8. August 2019 hat die Kammer ihre vorläufige Einschätzung der Beschwerde mitgeteilt.
VI. Eine mündliche Verhandlung hat am 10. Dezember 2020 stattgefunden.
VII. Schlussanträge
Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.
Die Patentinhaberin (im Folgenden: Beschwerdegegnerin) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen, hilfsweise, das Patent in eingeschränkter Form auf der Grundlage des Hilfsantrags II, eingereicht mit Schreiben vom 5. Januar 2015, oder des Hilfsantrags III, eingereicht während der mündlichen Verhandlung am 10. Dezember 2020, aufrechtzuerhalten.
VIII. Anspruchssatz gemäß Hauptantrag
Der unabhängige Vorrichtungsanspruch 1 in der erteilten Fassung lautet folgendermaßen (die Nummerierung der Merkmale in "[]" wurde durch die Kammer hinzugefügt und lehnt sich an die von den Beteiligten verwendeten Gliederungen an):
"[M1] Lochplatte auf Basis von Gips mit einer Vorder- (1) und einer Hinterseite (2) und vier Seitenflächen (3),
[M2] wobei mindestens zwei benachbarte Seitenflächen (3) als Stufenfalz ausgebildet sind,
[M3] wobei der Stufenfalz so ausgebildet ist, dass beim Verlegen der Lochplatte mit einer als Stufenfalz ausgebildeten Seite in Kontakt mit einer zweiten Lochplatte, eine gebildete fertige Wand oder Decke einheitliche Lochabstände aufweist."
Der unabhängige Verfahrensanspruch 11 in der erteilten Fassung lautet folgendermaßen
"Verfahren zur Herstellung einer Lochplatte auf Basis von Gips nach mindestens einem der Ansprüche 1 bis 7 mit folgenden Schritten:
* Stanzen einer Gipsplatte, um eine Lochplatte auf Basis von Gips zu erhalten,
* Schneiden entlang der Seitenflächen, wobei mindestens zwei benachbarte Seitenflächen als Stufenfalz ausgebildet werden."
IX. Anspruchssatz gemäß Hilfsantrag II
Der unabhängige Vorrichtungsanspruch 1 des Hilfsantrags II beruht auf einer Kombination der Ansprüche 1 und 8 des Hauptantrags und lautet folgendermaßen:
"Anordnung mit mindestens zwei Lochplatten auf Basis von Gips mit einer Vorder- (1) und einer Hinterseite (2) und vier Seitenflächen (3), wobei mindestens zwei benachbarte Seitenflächen (3) als Stufenfalz ausgebildet sind, wobei der Stufenfalz so ausgebildet ist, dass beim Verlegen der Lochplatte mit einer als Stufenfalz ausgebildeten Seite in Kontakt mit einer zweiten Lochplatte, eine gebildete fertige Wand oder Decke einheitliche Lochabstände aufweist, wobei eine erste Lochplatte auf Basis von Gips mit einer als Stufenfalz ausgebildeten Seite in Kontakt mit einer zweiten Lochplatte auf Basis von Gips steht und eine dazwischen befindliche Fuge mit einem Füllmaterial verschlossen ist."
X. Anspruchssatz gemäß Hilfsantrag III
Die Änderungen im unabhängigen Vorrichtungsanspruch 1 des Hilfsantrags III lauten folgendermaßen (Einfügungen gegenüber Anspruch 1 des Hilfsantrags II sind fett gedruckt):
"... mit einem Füllmaterial verschlossen ist, wobei vier Seitenflächen als Stufenfalz ausgebildet sind und wobei die Stufenfalze auf der Hinterseite angebracht sind und auf Stoß verlegt sind."
XI. Beweismittel
In der Beschwerdebegründung nimmt die Beschwerdeführerin unter anderem Bezug auf folgende bereits in der angefochtenen Entscheidung genannten Druckschriften:
Dl: Deutsche Norm DIN 18 169, "Deckenplatten aus Gips,
Platte mit rückseitigem Randwulst", Dezember 1962
Seiten 1 bis 3;
D3: DE 69 17 171 U;
D4: DE 2 203 955 A;
D5: Prospekt der Fa. Rigips GmbH, "Fugenverspachtelung:
Praktische Produkt- und Verarbeitungshinweise für
den Profi", 2003, 20 Seiten und
D6: Prospekt der Fa. Rigips GmbH, "Akustikdecken:
Planung und Ausführung", 1999, Deckblatt,
Inhaltsverzeichnis, Seiten 16 bis 23 und 38 bis 40,
Impressum.
XII. Das schriftsätzliche und mündliche Vorbringen der Beteiligten lässt sich, soweit es für diese Entscheidung relevant ist, wie folgt zusammenfassen:
a) Neue Einspruchsgründe gemäß Artikel 100 b) und 100 c) EPÜ
In der Beschwerdebegründung bestritt die Beschwerdeführerin erstmals, dass sich Merkmal M3) von Anspruch 1 aus den ursprünglich eingereichten Anmeldungsunterlagen (veröffentlicht als WO 2006/067213 Al) ableiten lasse und erhob zudem erstmalig einen Einwand der unzureichenden Offenbarung gegen das Patent in der erteilten Fassung.
Sie führte hierzu an, dass die Beschwerdegegnerin innerhalb der Frist zur Erwiderung auf die Beschwerde der Berücksichtigung dieser Einwände nicht widersprochen habe und dass dies als zumindest stillschweigende Zustimmung zur Einführung der neuen Einspruchsgründe nach Artikel 100 b) und 100 c) EPÜ gedeutet werden müsse. Zudem könnten weitere Einspruchsgründe in Anwendung des Amtsermittlungsgrundsatzes gemäß Artikel 114(1) EPÜ eingeführt werden.
Die Beschwerdegegnerin trug hierzu vor, dass die Ausführungen unter Artikel 100 b) und 100 c) EPÜ aus ihrer Sicht unbeachtlich seien und dass ein Einverständnis zur Zulassung der neuen Einspruchsgründe ihrerseits nicht vorliege.
b) Zur Auslegung von Anspruch 1 des Hauptantrags
Die Beschwerdeführerin trug vor, der Begriff "einheitlicher Lochabstand" in Merkmal M3 sei breit auszulegen, und war der Auffassung, dass das Merkmal erfüllt sei, solange auf zwei benachbarten Platten die Löcher jeweils an der gleichen Stelle angeordnet und die jeweiligen Abstände zwischen den Löchern zweier Platten konstant seien. Dies umfasse demzufolge jede in D6 gezeigte Platte wie beispielsweise die Platte "Big Quattro", solange zwei Platten entsprechend parallel zueinander ausgerichtet seien.
Die Beschwerdegegnerin war dagegen der Ansicht, das Merkmal sei so auszulegen, dass nach Montage ein durchlaufendes und übergangsfreies Lochbild mit gleichen Lochabständen vorliegen müsse.
c) Hauptantrag, Anspruch 1 und 11 - Artikel 100 a) EPÜ - Neuheit
Die Beschwerdeführerin argumentierte, dass entgegen der angefochtenen Entscheidung Dl oder D3 den Gegenstand von Anspruch 1 und D1 den Gegenstand von Anspruch 8, 9 bzw. 11 neuheitsschädlich vorwegnehme. Hierbei offenbare Dl und D3 das Merkmal M3 implizit.
Die Beschwerdegegnerin hielt dem entgegen, dass Merkmal M3 von Anspruch 1 den Dokumenten Dl und D3 nicht entnommen werden könne, selbst wenn man dieses Merkmal breit auslege.
d) Hauptantrag, Anspruch 1 - Artikel 100 a) EPÜ - erfinderische Tätigkeit
Die Beschwerdeführerin argumentierte, der Gegenstand von Anspruch 1 beruhe ausgehend von D1 auf keiner erfinderischen Tätigkeit, da eine Ausgestaltung der Platte gemäß Merkmal M3 in Kombination mit allgemeinen Fachkenntnissen oder mit D6 offensichtlich sei. Zudem bestritt sie, dass das Merkmal "einheitliche Lochabstände" einen technischen Charakter habe. Somit sei auch keine technische Aufgabe gelöst.
Zu der von der Kammer geäußerten vorläufigen Auffassung, dass die objektive Aufgabe darin gesehen werden könne, über die gesamte fertiggestellte Deckenfläche ein ästhetisch ansprechendes Erscheinungsbild zu erzielen, bestritt die Beschwerdegegnerin, dass D1 ein geeigneter Ausgangspunkt sei. Hilfsweise identifizierte sie als technische Aufgabe, eine verbesserte Gipskartonplatte bereitzustellen, deren Lösung mittels des Merkmals M3 jedoch nicht naheliege. Zudem verwies sie auf das weit zurückliegende Veröffentlichungsdatum von D1 (1962). Als am Besten geeigneten Ausgangspunkt identifizierte sie D6. Zudem argumentierte sie mit Verweis auf D6, dass das Merkmal "einheitliche Lochabstände" eindeutig einen technischen Charakter aufweise, da die Löcher und deren Abstände einen schallschluckenden Effekt aufwiesen und zudem durch die Einheitlichkeit der Abstände mehr Löcher auf der Platte vorsehbar seien.
e) Hilfsantrag II - Artikel 56 EPÜ - erfinderische Tätigkeit
Die Beschwerdeführerin sah ausgehend von D1 und in Verbindung mit fachmännischem Wissen auch keine erfinderische Tätigkeit für den Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags II gegeben. Sie argumentierte, dass das Füllen von Fugen mit Füllmaterial eine übliche Maßnahme sei, die der Fachmann in offensichtlicher Weise berücksichtige.
Die Beschwerdegegnerin erklärte, D1 sei als ein auf Trockenstuckplatten gerichtetes Dokument kein geeigneter Ausgangspunkt für zu verfugende Platten. Die im Stoßbereich der Platten von D1 offenbarte Abfasung bilde keine Fuge im Sinne von Anspruch 1, und die so gebildete Aussparung sei zu klein, um mit Füllmaterial verfüllt werden zu können.
f) Hilfsantrag III - Zulassung gemäß Artikel 13(2) VOBK 2020
Die Beschwerdeführerin war der Auffassung, dass Hilfsantrag III ohne stichhaltige Gründe verspätet im Verfahren vorgebracht sei, und beantragte, diesen Antrag unter Artikel 13(2) VOBK 2020 nicht zu berücksichtigen. Zudem sei der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags III nicht klar und daher prima facie nicht gewährbar.
Die Beschwerdegegnerin argumentierte, der Hilfsantrag stelle eine Reaktion auf die überraschende Feststellung der Kammer dar, dass das Merkmal "einheitliche Lochabstände" keinen technischen Charakter habe. Zudem würden die Änderungen im Hilfsantrag alle Einwände ausräumen.
1. Neue Einspruchsgründe Artikel 100 b) und 100 c) EPÜ
Nach ständiger Rechtsprechung muss die Patentinhaberin der Einführung neuer Einspruchsgründe im Beschwerdeverfahren zustimmen. Die Zustimmung muss unmissverständlich zum Ausdruck gebracht werden, sei es auch gegebenenfalls implizit. Eine stillschweigende Zustimmung durch mangelnden Widerspruch innerhalb der Frist nach Artikel 108 EPÜ, wie hier seitens der Beschwerdeführerin argumentiert worden ist, kommt jedenfalls nicht in Betracht (siehe G10/91, Punkt 18 der Gründe; T0350/13, Punkt 2.3 der Gründe; Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 9.Auflage 2019, V.A.3.2.1.h) und läge hier ohnehin auch nicht vor.
Im vorliegenden Fall hat die Beschwerdegegnerin, nämlich in ihrer Beschwerdeerwiderung, diesbezüglich erklärt, dass die in der Beschwerdebegründung erhobenen neuen Einwände gemäß Artikel 100 c) und 100 b) EPÜ ,,unbeachtlich" seien (siehe auch Schreiben vom 03.08.2016, Seite 1). Danach hat sie eine Zustimmung gerade nicht erklärt. Kriterien der Relevanz der Einwände sowie des Ermessens der Kammer unter Artikel 114(1) EPÜ sind mangels Zustimmung der Beschwerdegegnerin zur Behandlung der neuen Einwände nicht anwendbar.
Die neuen Einwände werden daher nicht in das Beschwerdeverfahren zugelassen.
2. Auslegung von Anspruch 1
2.1 Merkmal ,,einheitliche Lochabstände"
Anspruch 1 definiert, dass eine "Lochplatte ... in Kontakt mit einer zweiten Lochplatte, eine gebildete fertige Wand oder Decke einheitliche Lochabstände aufweist". Hier wird deutlich Bezug genommen auf Lochabstände, die sich aus dem Verbund zweier Platte im Erscheinungsbild einer hieraus gebildeten Wand oder Decke bilden. Was aber genau vom Begriff der "einheitlichen Lochabstände" umfasst wird, wird aus dem Anspruch allein nicht deutlich. Daher ist die Beschreibung zur Auslegung hinzuzuziehen.
Gemäß Absatz [0005] des Patents, der den Ausgangspunkt der Erfindung im Lichte des Standes der Technik diskutiert, soll der Abstand der Löcher einheitlich ausgestaltet werden, so dass ein "übergangsfreies Erscheinungsbild" erzielt wird. Dies lässt nach Auffassung der Kammer nur die Schlussfolgerung zu, dass Merkmal M3 ein nach Montage der Platten durchlaufendes Lochbild mit gleichen Lochabständen erfordert.
Die Kammer folgt der Beschwerdeführerin somit nicht in deren breiter Auslegung des Begriffs "einheitlich".
2.2 Ausbildung des Stufenfalzes
Bezüglich des funktionellen Merkmals "wobei der Stufenfalz so ausgebildet ist, dass beim Verlegen der Lochplatte mit einer als Stufenfalz ausgebildeten Seite in Kontakt mit einer zweiten Lochplatte, eine gebildete fertige Wand oder Decke einheitliche Lochabstände aufweist" war die Frage zu klären, inwieweit es einen
kausalen Zusammenhang zwischen der Ausführung des Stufenfalzes und der Realisierung der einheitlichen Lochabstände im Sinne der oben dargelegten Auslegung gibt. Hierzu war die Beschwerdegegnerin der Meinung, dieses Merkmal erfordere, dass die Ausrichtung der Platten und somit auch der Lochungen zueinander auf Stoß erfolge, und nicht, wie es vielmehr der Ausgangspunkt der Erfindung gewesen sei, mit Abstand und unter Zuhilfenahme eines Ausrichtungswerkzeuges.
Inwieweit dieses funktionelle Merkmal für eine einzelne Platte somit überhaupt als Unterscheidungsmerkmal geeignet ist, ist nicht ersichtlich, da für jede denkbare Ausgestaltung des Stufenfalzes eine Anordnung auf Stoß und somit eine Festlegung der Lochabstände zwischen zwei Platten zueinander möglich ist. Jede auf Stoß verlegte offenbarte Anordnung zweier Platten erfüllt demzufolge inhärent dieses funktionelle Merkmal. Da die Lage der Löcher frei wählbar ist, ist ein kausaler Zusammenhang zwischen der Ausbildung des Stufenfalzes und einheitlichen Lochabständen von der Beschwerdegegnerin nicht hinreichend substantiiert worden und kann daher nicht als gegeben angesehen werden.
3. Neuheit - Hauptantrag
Die Beschwerdeführerin hatte Einwände unter Artikel 100 a) EPÜ in Verbindung mit Artikel 54 EPÜ auf Basis von D3 gegen Anspruch 1 und auf Basis von D1 gegen die Ansprüche 1 und 11 (sowie die abhängigen Ansprüche 8 und 9) erhoben.
3.1 Neuheit - D3
D3 offenbart weder einheitliche Lochabstände (Merkmal M3), noch wird eindeutig offenbart, dass die Falzverbindung an zwei benachbarten Seiten ausgebildet ist (Merkmal M2). D3 ist daher nicht neuheitsschädlich für den Gegenstand von Anspruch 1 und 11.
Bezüglich der Löcher werden lediglich auf Seite 5, Absatz 2 "Durchbrüche od. dgl." erwähnt. Zur Anordnung der Durchbrüche werden keinerlei Angaben gemacht. Daher ist hiermit auch keine klare und eindeutige Offenbarung von Löchern mit einheitlichem Lochabstand über mindestens zwei miteinander verbundene Platten gegeben.
Bezüglich der Anordnung der Stufenfalzen wird auf Seite 4, letzter Absatz offenbart, dass die Platten "mindestens teilweise" eine "Falz-Verbindung" aufweisen können. Damit ist jedoch keine klare und eindeutige Offenbarung von an zwei benachbarten Seitenflächen ausgebildeten Stufenfalzen gegeben.
3.2 Neuheit - D1
D1 ist nicht neuheitsschädlich für den Gegenstand der Ansprüche 1 und 11, da nicht offenbart wird, dass die Lochabstände in der Gipsplatte "einheitlich" sind.
In D1 werden Deckenplatten aus Gips offenbart. Die Platten können laut Absatz 1.2, 1.2.2 und 4.5 Öffnungen in Form von Löchern aufweisen. Gemäß Figur 1 können die Platten an allen vier Seiten einen Stufenfalz aufweisen, wobei gemäß der Figuren 3 und 6 die Platten so verbunden werden, dass jeweils zwei Platten auf Stoß verlegt sind. Durch die Anordnung auf Stoß ist, wie zuvor ausgeführt, auch der funktionelle Teil des Merkmals M3 ("Ausbildung des Stufenfalz so, dass") inhärent erfüllt. Die "Wahl der Anzahl und Form der Löcher" obliegt laut D1 dem Hersteller (siehe Absatz 4.5). Somit sind in D1 ebenfalls Löcher mit Abstand offenbart, allerdings werden zu der Anordnung der Löcher zueinander und insbesondere zum Lochabstand keinerlei Angaben gemacht.
4. Erfinderische Tätigkeit- Anspruch 1 des Hauptantrags
Die Beschwerdeführerin hatte gegen Anspruch 1 Einwände unter Artikel 100 a) EPÜ in Verbindung mit Artikel 56 EPÜ unter anderem ausgehend von D1 erhoben.
4.1 D1 als Ausgangspunkt
D1 ist geeigneter Ausgangspunkt, da hier Gipsplatten als Deckenplatten offenbart werden, die Löcher ("durchgehende Öffnungen") aufweisen können. Die gemäß D1 beispielsweise genannte Verwendung für Schallschluckdecken ist auch im Patent offenbart (Absatz [0002]). Es werden auf allen vier Seiten gefalzte Platten offenbart (Figur 1), die auf Stoß verlegt werden können (Figur 3 und 6). D1 gibt zudem eine Anregung, sich mit der Anordnung der Löcher zu beschäftigen, da gemäß Punkt 4.5 die "Wahl der Anzahl und Form der Löcher" dem "Hersteller überlassen" ist.
Die Tatsache, dass D1 bereits im Jahr 1962 veröffentlich wurde, spricht nicht gegen die Eignung als Ausgangspunkt, da es sich als DIN-Norm um einen technischen Standard handelt, der somit die anerkannte, übliche Praxis auf dem Gebiet darlegt. Weder wird von der Beschwerdegegnerin behauptet, noch gibt es objektive Anhaltspunkte dafür, dass diese DIN-Norm nicht mehr gültig ist.
Das Argument der Beschwerdegegnerin, es handele sich bei den in D1 offenbarten Platten um eine sehr spezielle Ausführungsform, die einen rückseitigen Randwulst aufweise, nur für eine begrenzte Größe von 625 mm Kantenlänge offenbart sei und zudem nur für eine Trockenverlegung geeignet sei, greift nicht, da Anspruch 1 diesbezüglich keinerlei Restriktionen aufweist. Zudem ist in D1 weder ausgeschlossen, dass sich ein einheitlicher Lochabstand im Sinne von Merkmal M3 auch durch Lochungen lediglich außerhalb des Wulstbereiches erzielen lässt, noch, dass auch im Wulstbereich Löcher angeordnet werden könnten. Gemäß Figur 5 sind Löcher im Wulstbereich technisch sogar durchaus möglich.
Die Beschwerdegegnerin verwies in dem Zusammenhang auch noch darauf, dass die Platten nach D1 unter eine Definition von "abnehmbaren" Platten (D4, Seite 1, Absatz 2) fielen, die im Gegensatz stünden zu an der gleichen Stelle definierten Platten, welche wie im Patent eine fest zusammenhängende Einheit bildeten. Da jedoch Anspruch 1 auf keine spezifische Befestigungsart für die Platten beschränkt ist, ist diese Unterscheidung nicht relevant. Zudem sind die Platten des Patents auch für trockene Verlegung geeignet (Absatz [0029]).
4.2 Mangelnder technischer Charakter des Unterscheidungsmerkmals
Das unstreitig einzige Unterscheidungsmerkmal des Gegenstands von Anspruch 1 zu D1, die Einheitlichkeit des Lochabstands zweier im Kontakt befindlicher Platten einer gebildeten Wand oder Decke, ist aus Sicht der Kammer ein rein ästhetisches Merkmal ohne technischen Charakter. Folgende Überlegungen führen zu diesem Ergebnis:
Ob ein Merkmal einen technischen Charakter aufweist oder ein rein ästhetisches Merkmal ist, hängt von der Wirkung ab, die erzielt wird, wenn es einem Gegenstand hinzugefügt wird, der dieses Merkmal zuvor nicht besaß (vergleiche T0044/16, Punkte 1.4 und 1.4.1 der Gründe, sowie T1297/14, Punkt 6.5 der Gründe; T1090/97, Punkt 4 der Gründe).
Ist innerhalb einer Mischung von technischen und nichttechnischen Merkmalen das nichttechnische Merkmal das einzige Unterscheidungsmerkmal, so ist zu prüfen, ob dieses Merkmal mit den technischen Merkmalen des Anspruchs zusammenwirkt, dass trotzdem eine technische Aufgabe gelöst wird (vergleiche T0044/16, Punkt 1.4.2 der Gründe).
Im vorliegenden Fall werden in der Beschreibung bezüglich der Wirkung des Unterscheidungsmerkmals "einheitlicher Lochabstand" ausschließlich Ausführungen zu ästhetischen Aspekten gemacht. So wird angegeben, dass Abweichungen von regelmäßigen Lochmustern "störend auffallen" (Absatz [0004]), und dass es das Ziel sei, ein "übergangsfreies Erscheinungsbild" innerhalb der Gesamtfläche zu erzielen (Absatz [0005]), wobei sich das "übergangsfreie Erscheinungsbild" bezüglich der Merkmale von Anspruch 1 nur auf einheitliche Lochabstände bezieht.
Die Beschwerdegegnerin führte hierzu während der Erörterung in der mündlichen Verhandlung auch lediglich aus, dass man mit dem einheitlichen Lochabstand über zwei Platten hinweg speziell Kundenwünsche nach einem ästhetischen Gesamteindruck erfülle, worauf auch das Patent mit dem Begriff des "übergangslosen Erscheinungsbildes" Bezug nehme. Somit verwirklicht das Merkmal nach Auffassung der Kammer subjektiv gewünschte ästhetische und nicht objektive technische Eigenschaften der Platten.
Auch D6 geht bezüglich einheitlicher Lochabstände über mehrere Platten lediglich auf ästhetische Aspekte ein. So werden auf Seite 16 verschiedene "Designs" zur Auswahl gestellt, wie etwa regelmäßig gelochte Platten, unter anderem für eine lochdurchlaufende (einheitliche) Verlegung, sowie unregelmäßig gelochte oder mit quadratischen Lochfeldern versehene Platten.
Ein definierter Lochabstand mag zwar als solches auch eine bestimmte technische Wirkung haben können. So hat die Beschwerdegegnerin in der mündlichen Verhandlung behauptet, die Anordnung von Lochabständen in einer Schallschutzplatte habe grundsätzlich technischen Charakter, da sie die schallschluckenden Eigenschaften einer Platte beeinflussten. Dass dies aber in besonderer Weise auch für quantitativ undefinierte Lochabstände, für die lediglich Einheitlichkeit über zwei Platten gefordert ist, an sich gelten sollte, ist jedoch in dieser Pauschalität nicht überzeugend. Derartiges ist hier weder substantiiert vorgetragen noch finden sich in der Beschreibung der Erfindung Angaben, die dies zeigen oder hierauf auch nur ansatzweise Bezug nehmen.
Zwar ist unbestritten, dass das Vorsehen von Löchern bei Deckenplatten und die Art und Weise ihrer Anordnung unter anderem für schallschluckende Eigenschaften mitverantwortlich ist, was im Übrigen auch aus D1 oder D6 hervorgeht. Die den schallschluckenden Effekt beeinflussende Größen wie etwa Anzahl, Durchmesser und Form der Löcher oder der daraus resultierenden Lochfläche sind jedoch allesamt Größen, die nicht mit der Einheitlichkeit der Lochabstände im Zusammenhang stehen oder gebracht werden.
Zudem gibt es auf Grund der zuvor festgestellten mangelnden Kausalität zwischen der Ausführung der Plattenränder als Stufenfalz und der einheitlichen Lochabstände im vorliegenden Fall keine anderen technischen Voraussetzungen oder Mittel abgesehen von der Festlegung der Abstände, die den gewünschten ästhetischen Effekt erzielen, so dass in Anspruch 1 auch keine Mittel offenbart werden, die zur Erzielung dieses ästhetischen Effekts einen technischen Charakter aufweisen. Der Abstand der Löcher muss, ohne Wechselwirkung mit der Verbindungsart der Platten, lediglich so gewählt werden, dass das Erscheinungsbild nach Zusammenbau dem Wunsch des Kunden entsprechend einheitlich ist.
Das Argument der Beschwerdegegnerin, dass durch einheitliche Lochabstände eine maximale Lochzahl erzielbar sein soll, ist in Abwesenheit weiterer Angaben zu Lochbild oder Dimensionen ebenfalls nicht nachvollziehbar.
Die aufgetretenen Schwierigkeiten der Beteiligten, eine objektive technische Aufgabe zu formulieren, die im Aufgabe-Lösung-Ansatz verwendet werden könnte, bestärken die Kammer in ihrer Einschätzung eines fehlenden technischen Effekts, da dieser Ansatz gerade eine technische Lösung für eine technische Aufgabe erfordert.
4.3 Die technische Aufgabe kann unter Verweis auf eine Zielsetzung auf einem nichttechnischen Gebiet formuliert werden, die aber folgerichtig nicht Teil des technischen Beitrags ist, den die Erfindung zum Stand der Technik leistet. Da das einzige Unterscheidungsmerkmal "einheitliche Lochabstände" keinen technischen Charakter aufweist und mit den anderen technischen Merkmalen auch nicht so zusammenwirkt, dass eine technische Aufgabe gelöst wird, kann eine erfinderische Tätigkeit nicht allein auf diesen ausgeschlossenen (nichttechnischen) Gegenstand gestützt werden. Insofern ist auch die Voraussetzung zur Anwendung des Aufgabe-Lösung-Ansatzes nicht gegeben.
Somit kann für den Gegenstand von Anspruch 1 keine erfinderische Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ festgestellt werden.
5. Hilfsantrag II - Erfinderische Tätigkeit
5.1 Auslegung des Merkmals "Fuge"
Gemäß Figuren 3 und 6 in D1 sind die Platten an der sichtbaren Kante angefast, so dass im Stoßbereich eine Ausnehmung entsteht. Bei dieser Ausnehmung handelt es sich nach Auffassung der Beschwerdegegnerin nicht um eine Fuge gemäß Anspruch 1, da eine solche ausgeführt sein müsse wie in Figuren 5, 6 und 8 des Patents gezeigt. Der Anspruchswortlaut ist bezüglich des Merkmals "eine dazwischen befindliche Fuge" jedoch weder uneindeutig noch unklar und ist auch nicht auf eine bestimmte Fuge gerichtet, die sich aus der Kombination eines Stufenfalzes und einer geraden Kante oder eines Stufenfalzes mit größerem Kantenrücksprung beschränkt. Es ist nicht einmal ausgeschlossen, dass eine unbeabsichtigt aufgetretene Fuge (beispielsweise bedingt durch Montage- oder Produktionsfehler) hiervon umfasst ist. Daher ist die Ausnehmung in Figur 3 und 6 von D1 als Fuge gemäß Anspruch 1 anzusehen.
5.2 D1 als Ausgangspunkt zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit
D1 ist ein geeigneter Ausgangspunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit des Gegenstands von Anspruchs 1 des Hilfsantrags II.
Das Argument der Beschwerdegegnerin, die Fachperson würde das Verfüllen von Fugen für eine Trockenstuckplatte gemäß D1 nicht in Betracht ziehen, und somit auch nicht von D1 ausgehen, überzeugt aus den bereits für den Hauptantrag genannten Argumenten nicht.
5.3 Gemäß Figuren 3 und 6 weisen die Platten an der sichtbaren Kante im Stoßbereich eine Fuge auf. Der einzige zusätzliche Unterschied zu D1 ist, dass die Fuge nicht mit Füllmaterial gefüllt ist. Der Effekt, der hiermit assoziiert ist, ist das Verbinden der Platten zu einem geschlossenen Körper.
Das Verschließen von Fugen, die aus aneinander stoßenden angefasten Kanten gebildet sind, mit Füllmaterial ist aber für die Fachperson eine übliche und offensichtliche Routinemaßnahme. Das in D1 gezeigte Anfasen der Kanten ist für verschiedenste Lochplatten üblich, wie in D6, Seite 39 "Vorbereitung der Platten" oder D3, Seite 5, Absatz 1 ("V-artige Fuge") gezeigt. An diesen Stellen wird jeweils auch vorgeschlagen, die Fugen mit Füllmaterial zu verschließen.
Daher weist der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags II keine erfinderische Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ auf.
6. Hilfsantrag III - Zulassung gemäß Artikel 13(1) und (3) VOBK 2007
Gemäß den Übergangsbestimmungen in Artikel 25(3) VOBK 2020 ist bezüglich der Zulassung von Änderungen Artikel 13 VOBK 2007 anzuwenden, wenn, wie im vorliegenden Fall, die Ladung zur mündlichen Verhandlung vor Inkrafttreten der revidierten Fassung zugestellt wurde.
Es steht gemäß Artikel 13(1) VOBK 2007 im Ermessen der Kammer, Änderungen des Vorbringens eines Beteiligten nach Einreichung seiner Beschwerdebegründung oder Erwiderung unter Berücksichtigung der Komplexität des neuen Vorbringens, der Stand des Verfahrens und die gebotene Verfahrensökonomie zuzulassen.
Nicht zugelassen werden jedoch gemäß Artikel 13 (3) VOBK 2007 Änderungen des Vorbringens nach Anberaumung der mündlichen Verhandlung, wenn sie Fragen aufwerfen, deren Behandlung der Kammer oder den anderen Beteiligten ohne Verlegung der mündlichen Verhandlung nicht zuzumuten ist.
Im vorliegenden Fall gilt für den erst in der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsantrag III Folgendes:
Die zum letztmöglichen Zeitpunkt vorgebrachten Änderungen umfassen Merkmale aus der Beschreibung und würden einer ausführlichen Würdigung der Gewährbarkeit auch unter Artikel 84 und 123(2) EPÜ bedürfen, was der Verfahrensökonomie abträglich wäre.
Die Kammer kann auch nicht erkennen, dass die Änderungen in Hilfsantrag III, wie seitens der Beschwerdegegnerin argumentiert wurde, durch die für sie überraschende Tatsache bedingt gewesen seien, dass das Merkmal "einheitliche Lochabstände" von der Kammer erstmals in der mündlichen Verhandlung als nichttechnisches Merkmal angesehen worden war.
Bereits in der der Ladung beigefügten Mitteilung hatte die Kammer unter Punkt 16.2 darauf hingewiesen, dass die Aufgabe wohl auf eine ästhetische Wirkung, nämlich darauf, über die gesamte fertiggestellte Deckenfläche ein ästhetisch ansprechendes Erscheinungsbild herzustellen, abziele, was schon damals darauf hinwies, dass sie nicht notwendigerweise eine technische Aufgabe ist.
Daher war die Entwicklung in der mündlichen Verhandlung entgegen der Behauptung der Beschwerdegegnerin nicht völlig überraschend. Ihr hätte gegebenenfalls mit einem entsprechend rechtzeitig eingereichten Hilfsantrag begegnet werden können, nachdem zwischen der Zustellung der Ladung und der mündlichen Verhandlung knappe 17 Monate Zeit gelegen haben. Mit einer für die betroffenen Beteiligten ungünstigen Meinung der Kammer muss ohnehin prinzipiell jederzeit vor Verkündung der Entscheidung, also auch in der mündlichen Verhandlung, gerechnet werden.
Daher wird Hilfsantrag III gemäß Artikel 13(1) und (3) VOBK 2007 nicht in das Verfahren zugelassen.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.