T 1880/15 08-02-2019
Download und weitere Informationen:
VORRICHTUNG UND VERFAHREN ZUM OBERFLÄCHENTRIMMEN VON FLEISCH
Nordischer Maschinenbau
Rud. Baader GmbH + Co. KG
Änderungen - Erweiterung über den Inhalt der Anmeldung in der eingereichten Fassung hinaus (nein)
Neuheit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Spät eingereichte Beweismittel - Antrag hätte bereits im erstinstanzlichen Verfahren vorgebracht werden können (ja)
Spät eingereichte Beweismittel - zugelassen (nein)
I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, zur Post gegeben am 17. Juli 2015, den Einspruch gegen das europäische Patent Nr. 1 928 254 nach Artikel 101(2) EPÜ zurückzuweisen.
II. Der Einspruch gegen das Patent war auf die Gründe Artikel 100 (a) i.V.m. Artikel 54 und 56 EPÜ und Artikel 100 (c) EPÜ gestützt. Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass keiner dieser Einspruchsgründe der Aufrechterhaltung des Patents entgegenstehe. In ihrer Entscheidung hat die Einspruchsabteilung unter anderem die folgenden Entgegenhaltungen zitiert:
D1 DK 2004 00 450 L
D1a englische Übersetzung der D1
D2 US 2003 / 084 576 A1
D6 WO 01 / 43 553 A1
D11 EP 0 178 370 A2
III. Gegen diese Entscheidung hat die Einsprechende als Beschwerdeführerin am 25. September 2015 Beschwerde eingelegt und am selben Tag die Beschwerdegebühr entrichtet. Die Beschwerdebegründung wurde am 27 November 2015 eingereicht. Dabei hat sie u.a. die folgenden Entgegenhaltungen eingereicht:
D12 US 3 688 403
D13 Eidesstattliche Erklärung des Herrn Kristján
Hallvarðsson vom 18. November 2015, mitsamt den Dokumenten "Exhibit A-E" und weiteren Beweismitteln.
IV. In einer Mitteilung der Beschwerdekammer gemäß Artikel 15(1) VOBK als Anlage zur Ladung zur mündlichen Verhandlung vom 25. Juni 2018 teilte die Kammer den Parteien ihre vorläufige Auffassung zu den Sachfragen mit. Die mündliche Verhandlung fand am 8. Februar 2019 in Anwesenheit aller am Beschwerdeverfahren beteiligten Parteien statt.
V. Die Beschwerdeführerin-Einsprechende beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents. Zudem beantragt die Beschwerdeführerin die Zulassung von weiteren Beweismitteln.
VI. Die Patentinhaberin als Beschwerdegegnerin beantragt die Zurückweisung der Beschwerde und damit die Aufrechterhaltung des Patents im erteilten Umfang (Hauptantrag). Hilfsweise beantragt sie die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung in geändertem Umfang auf Basis des Hilfsantrags 0, der mit Schreiben vom 9. November 2018 eingereicht wurde, oder auf Basis eines der Hilfsanträge 1-30, die bereits in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung vorlagen. Zudem beantragt sie, verspätete Beweismittel nicht zuzulassen, und falls zugelassen, die Sache an die erste Instanz zurückzuverweisen. Alternativ beantragt sie eine Vorlage an die Große Beschwerdekammer mit der Frage, wann das Einreichen von Unterlagen insbesondere zu einer eigenen offenkundigen Vorbenutzung als verspätet angesehen wird.
VII. Die unabhängigen Ansprüche 1 und 26 des für diese Entscheidung relevanten Hauptantrags haben folgenden Wortlaut:
"1. Vorrichtung zum Oberflächentrimmen von Fleisch, insbesondere von Fischfilets, umfassend ein Transportelement (11) zum kontinuierlichen Fördern der zu bearbeitenden Produkte in Transportrichtung T in den Bereich eines Messerkopfes (12), ein Element (13) zur Lageerkennung der Produkte, einen Messerkopf (12) zum Trimmen der Produkte sowie eine Steuerung zur Bewegung des Messerkopfes (12) in Abhängigkeit der durch das Element (13) zur Lageerkennung ermittelten Daten und Informationen, dadurch gekennzeichnet, dass der Messerkopf (12) ein Kreismesser (14) und eine Schnittgegenlage (15) umfasst und zur automatischen Ausführung freier, der individuellen Kontur der Produkte folgender Trimmschnitte ausgebildet ist."
"26. Verfahren zum Oberflächentrimmen von Fleisch, insbesondere von Fischfilets, umfassend die Schritte:
- Erkennen der Lage der zu bearbeitenden Produkte mit einem Element (13) zur Lageerkennung,
- Ermitteln geometrischer Daten und/oder Bilddaten jedes Produktes,
- Zuführen der Produkte in den Bereich eines Messerkopfes (12) mit einem Transportelement (11),
- Trimmen der Produkte durch Schneiden eines Fleischstreifens von den Produkten auf der Basis der zuvor ermittelten Daten mit dem Messerkopf (12), und
- Abführen der Produkte aus dem Bereich des Messerkopfes (12) mit dem Transportelement (11),
dadurch gekennzeichnet, dass das Trimmen durch ein Kreismesser (14) ausgeführt wird, wobei der das Kreismesser (14) und eine Schnittgegenlage (15) aufweisende Messerkopf (12) zum Trimmen der Produkte im Raum automatisch frei und der Kontur des Produktes folgend bewegt wird."
VIII. Die Beschwerdeführerin-Einsprechende hat zu den entscheidungserheblichen Punkten folgendes vorgetragen:
Die unabhängigen Ansprüche 1 und 26 sowie Absatz 10 der Patentschrift gehen über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Form hinaus. Die auf D13 basierenden Vorbenutzungen und das Dokument D11 seien zum Verfahren zuzulassen. Der Gegenstand der unabhängigen Ansprüche 1 und 26 des Hauptantrags sei nicht neu gegenüber D1, D6 oder D13 und werde ausgehend von D2, D11 oder D12 nahegelegt.
IX. Die Beschwerdegegnerin-Patentinhaberin hat zu den entscheidungserheblichen Punkten folgendes vorgetragen:
Die Änderungen in der Patentschrift seien zulässig. Die auf D13 basierenden Vorbenutzungen und das Dokument D11 seien nicht zum Verfahren zuzulassen. Der Gegenstand der unabhängigen Ansprüche 1 und 26 sei neu und werde nicht nahegelegt.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Anwendungsgebiet der Erfindung
Das Streitpatent betrifft eine Vorrichtung zum Oberflächentrimmen von Fleisch mit einem Messerkopf zum Trimmen der Produkte, wobei der Messerkopf (12) ein Kreismesser (14) und eine Schnittgegenlage (15) umfasst und zur automatischen Ausführung freier, der individuellen Kontur der Produkte folgender Trimmschnitte ausgebildet ist (Figur 1 der Patentschrift). Außerdem betrifft das Streitpatent ein Verfahren zum Oberflächentrimmen von Fleisch.
3. Änderungen
3.1 Anspruch 1 des Hauptantrags beruht auf einer Kombination der ursprünglich eingereichten Ansprüche 1 und 15, wobei der ersetzte Begriff "aufweist" unbestritten als Synonym des in den Anspruch aufgenommenen Begriffs "umfasst" anzusehen ist. Außerdem wurde das Merkmal "Trimmschnitte entlang der Oberflächenkontur der Produkte" des ursprünglich eingereichten Anspruchs 1 durch "der individuellen Kontur der Produkte folgender Trimmschnitte" ersetzt. Ferner wurde das Merkmal "der Messerkopf ... eine Schnittgegenlage umfasst" hinzugefügt.
Daher ist zu klären, ob durch diese beiden Änderungen ein Gegenstand entsteht, der über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Form hinausgeht.
3.2 Die Beschwerdeführerin bejaht das mit dem Argument, dass in Anspruch 1 des Hauptantrags eine Zuordnung der Schnittgegenlage zum Kreismesser fehle. Deswegen umfasse Anspruch 1 auch nicht ursprünglich offenbarte Ausführungsformen, bei denen die Schnittgegenlage weder funktionell noch strukturell dem Kreismesser zugeordnet sei. Außerdem seien nicht ursprünglich offenbarte Ausführungsformen mit einem weiteren Schneidelement umfasst, bei denen die Schnittgegenlage nur diesem weiteren Schneidelement zugeordnet sei. Zudem sei in den Anmeldeunterlagen nicht offenbart, dass der Messerkopf eine Schnittgegenlage umfasse.
Die Kammer kann sich dieser Sichtweise nicht anschließen:
3.2.1 Für eine sinnvolle Auslegung von Anspruch 1 muss zuerst die Bedeutung des Merkmals "Schnittgegenlage" geklärt werden. Die Kammer stimmt zu, dass dieser Begriff keine eindeutige technische Bedeutung hat.
Nach ständiger Rechtsprechung sollte der Fachmann zum einen bei der Prüfung eines Anspruchs versuchen, durch Synthese, also eher aufbauend als zerlegend, zu einer Auslegung des Anspruchs zu gelangen, die technisch sinnvoll ist und bei der die gesamte Offenbarung des Patents berücksichtigt wird. Das Patent ist mit der Bereitschaft auszulegen, es zu verstehen, und nicht mit dem Willen, es misszuverstehen (RdBK, 8. Auflage 2016, II.A.6.1). Zum andern lässt sich die Beschreibung als "Wörterbuch" des Patents zur Beurteilung der richtigen Bedeutung mehrdeutiger Begriffe in den Ansprüchen verwenden (RdBK, 8. Auflage 2016, II.A.6.3.1). Daher kann die Beschreibung - im Gegensatz zur Sichtweise der Beschwerdeführerin - sehr wohl zur technisch sinnvollen Auslegung des mehrdeutigen Merkmals Schnittgegenlage herangezogen werden.
3.2.2 Aus Sicht der Kammer muss eine Schnittgegenlage wegen des Wortbestandteils "Schnitt" an einem Schnitt beteiligt sein. Dadurch steht sie zwangsläufig in einer Wirkbeziehung zu dem Schneidelement, das den Schnitt ausführt.
Diese Auslegung wird durch die Patentschrift bestätigt. In der Beschreibung wird ausgeführt, dass das Fleisch zunächst an die Schnittgegenlage anstößt, so dass der Messerkopf zur Erkennung der Kontur auf dem Produkt entlang bewegbar ist, indem er über die Schnittgegenlage durch das Fleisch angehoben wird, siehe Seite 4, Zeilen 14 bis 20 der ursprünglichen Beschreibung (Absatz 10 der Patentschrift); den die Seiten 6 und 7 überbrückenden Absatz (Absatz 19 der Patentschrift); Seite 10, Zeilen 14 bis 18 und 29 bis 31, (Spalte 7, Zeilen 41 und 42, und Spalte 8, Zeilen 3-5 der Patentschrift). Demzufolge berührt ein Fleischstück die Schnittgegenlage 15 bzw. ein daran ausgebildetes Tastelement 20 und hebt dadurch den Messerkopf 12 an, während das am Messerkopf angeordnete Kreismesser 14 einen Streifen abschneidet. Dabei steht die Schnittgegenlage über die Berührung des Fleisches in einer Wirkbeziehung zum Kreismesser (Patentschrift, Absätze 19, 23, 26 und 27).
Das Argument der Beschwerdeführerin, wonach Absatz 10 der Patentschrift nur eine besondere Ausführungsform der Schnittgegenlage mit einem Tastelement, und Absatz 26 eine Weiterbildung der Erfindung betreffe, ändert nichts an dieser Sichtweise (Beschwerdebegründung, Absatz 6.4). Ein Fachmann versteht nämlich die Formulierung "über die Schnittgegenlage 15 bzw. das Tastelement 20" wegen der durch "beziehungsweise" ausgedrückten Alternative in dem Sinne, dass eine Schnittgegenlage auch dann diese Eigenschaften aufweist, wenn kein Tastelement vorhanden ist.
Aus diesen Gründen liegt die von der Beschwerdeführerin bestrittene Wirkbeziehung zwischen der Schnittgegenlage und dem Messerkopf unter Berührung des Fleischstückes bei einer technisch sinnvollen Auslegung des Anspruchswortlauts und bei Berücksichtigung der gesamten Offenbarung des Patents vor.
3.2.3 Aus dieser Wirkbeziehung ergibt sich auch die von der Beschwerdeführerin bestrittenen Zuordnung von Schnittgegenlage und Kreismesser. Die von der Beschwerdeführerin genannten Ausführungsformen, bei denen die Schnittgegenlage weder funktionell noch strukturell dem Kreismesser zugeordnet ist, werden daher von einem Fachmann nicht als technische sinnvoll angesehen. Er würde solche hypothetischen Ausführungsformen bei der Auslegung des Anspruchs nicht berücksichtigen.
3.2.4 Das in diesem Zusammenhang vorgebrachte Argument der Beschwerdeführerin, wonach in den Anmeldeunterlagen gar nicht offenbart sei, dass der Messerkopf die Schnittgegenlage umfasse, überzeugt die Kammer nicht. Sowohl der allgemeine Teil der Beschreibung (Seite 4, Zeilen 15-20) als auch die detailliert beschriebene Ausführungsform offenbaren, dass die Schnittgegenlage als Tastelement ausgebildet ist, um den Messerkopf in Höhenrichtung steuerbar auf dem Fleischprodukt entlang zu bewegen (Seite 7, Zeilen 4-8 und 20-22; Seite 10, Zeilen 15 und 16:" über die Schnittgegenlage 15 ... wird der Messerkopf 12 durch das Filet angehoben"). Das dort beschriebene Anheben des Messerkopfs durch die Schnittgegenlage ist nur möglich, wenn die Schnittgegenlage fest mit dem Messerkopf verbunden ist. Das wird durch die Figur 1 bestätigt, wo die Schnittgegenlage 15 ein Teil des Messerkopfs 12 ist. Daher offenbaren die Anmeldeunterlagen unmittelbar und eindeutig, dass der Messerkopf die Schnittgegenlage umfasst.
3.2.5 Auch das weitere Argument der Beschwerdeführerin, wonach Ausführungsformen unter den Anspruch fallen, bei denen die Schnittgegenlage nur einem zweiten Schneidelement, das kein Kreismesser ist, zugeordnet ist, führt zu keiner anderen Sichtweise. Die Patentschrift enthält nämlich keinen Hinweis auf solche Ausführungsformen. Stattdessen ist die Schnittgegenlage stets dem Kreismesser zugeordnet (Spalte 4, Zeilen 50-52; Figur 1). Es werden auch keine Ausführungsformen mit mehr als einem Schneidelement offenbart, und daher erst recht nicht mit einem zweiten Schneidelement, das kein Kreismesser ist.
Im entgegengehaltenen Stand der Technik hat die Beschwerdeführerin lediglich in D1 ein zweites Schneidelement identifiziert. Dabei handelt es sich jedoch um ein zweites Kreismesser (D1a, Anspruch 2: "two circular rotatable cutting blades"; Figur 4 zeigt eine Schneide am Umfang). Außerdem wird in D1 das zu schneidende Fleisch von unten mit einem Rad 51 gegen die beiden Kreismesser gedrückt. Dieses Rad bildet eine gemeinsame Schnittgegenlage, die deswegen jedem der beiden Kreismesser zugeordnet ist. Auch vor dem Hintergrund des entgegengehaltenen Standes der Technik sieht die Kammer keinen Beleg dafür, dass ein Fachmann eine Ausführungsform als beansprucht ansehen würde, bei welcher die Schnittgegenlage ausschließlich einem zweiten Schneidelement, das kein Kreismesser ist, zugeordnet ist.
Aus diesen Gründen wird ein Fachmann vor dem Hintergrund der Informationen aus dem Streitpatent und seiner Kenntnis des Standes der Technik eine solche Ausführungsform bei der Auslegung von Anspruch 1 des Hauptantrags nicht berücksichtigen.
3.3 Die weiteren im schriftlichen Verfahren formulierten Einwände überzeugen die Kammer ebenfalls nicht, wie sie auch bereits in ihrer Mitteilung als Anlage zur Ladung zum Ausdruck gebracht hat:
3.3.1 Die Beschwerdeführerin bemängelt im Hinblick auf die Trimmschnitte, dass eine anspruchsgemäße Vorrichtung statt der Oberflächenkontur auch der Seitenkontur folgen könne. Das werde aber nicht in den Anmeldeunterlagen offenbart. Die Kammer sieht das anders, denn der Begriff Kontur bezeichnet laut "Duden" eine Linie, durch die etwas begrenzt ist. Übertragen auf ein dreidimensionales Fleischprodukt bedeutet diese Definition, dass das Fleischprodukt durch seine Oberfläche begrenzt wird. Diese Oberfläche lässt sich gedanklich in eine nach oben weisende, eine nach unten weisende und eine zu den Seiten weisende Fläche aufteilen. Selbst wenn sich der von der Beschwerdeführerin angesprochene Begriff "Seitenkontur" nur auf die zu den Seiten weisende Fläche bezieht, betrifft er dennoch eine Oberflächenkontur, so dass die Begriffe Seitenkontur und Oberflächenkontur dieselbe Bedeutung haben. Die Ersetzung von Oberflächenkontur durch Kontur in Anspruch 1 des Hauptantrags ist daher zulässig.
3.3.2 Die Beschwerdeführerin bemängelt im Hinblick auf die Trimmschnitte außerdem, dass Anspruch 1 des Hauptantrags Ausführungsformen umfasse, bei denen der Messerkopf der Produktkontur passiv folge. Auch das werde nicht in den Anmeldeunterlagen offenbart. Die Kammer sieht das anders, denn Anspruch 5 der Anmeldung nennt die beiden Alternativen, wonach der Messerkopf wahlweise produktgesteuert oder aktiv gesteuert ist. Da die erste Alternative aus Gründen der Logik nicht aktiv gesteuert ist, betrifft sie folglich einen passiv geführten Messerkopf. Die von der Beschwerdeführerin angeführte Vorrichtung fällt daher bereits unter den ursprünglich eingereichten Anspruch 1.
3.3.3 Die Beschwerdeführerin bemängelt im Hinblick auf die Formulierung "nach einem der Ansprüche 1 bis 25" in Absatz 14 der Patentschrift, dass sich die Ansprüche 23 bis 25 nicht auf eine Vorrichtung zum Oberflächentrimmen, sondern auf eine Vorrichtung zum Verarbeiten von Fleisch beziehen. Aus Sicht der Kammer umfasst die in den Ansprüchen 23 bis 25 definierte Vorrichtung zum Verarbeiten von Fleisch eine Vorrichtung zum Oberflächentrimmen nach den Ansprüchen 1 bis 22. Daher weist eine Vorrichtung zum Oberflächentrimmen, die laut Absatz 14 der Beschreibung nach einem der Ansprüche 23 bis 25 ausgebildet sein soll, die zusätzlichen Merkmale dieser Ansprüche auf. Da sie durch diese Merkmale zu einer Vorrichtung zum Verarbeiten von Fleisch wird, entsteht dadurch kein Gegenstand, der über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Anmeldung hinausgeht.
3.4 Aus diesen Gründen geht der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags nicht über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus. Diese Argumentation gilt mutatis mutandis für das Merkmal "eine Schnittgegenlage aufweisende Messerkopf" in Anspruch 26 und für die Formulierung "Kreismesser ist mit einer Schnittgegenlage, versehen" in Absatz 10 der Beschreibung. Daher erfüllt der Hauptantrag die Erfordernisse von Artikel 123(2) EPÜ.
4. Zulassung der Vorbenutzungen
4.1 Mit der Beschwerdebegründung macht die Beschwerdeführerin zwei offenkundige Vorbenutzungen geltend. Sie betreffen die Ausstellung einer Maschine auf der "European Seafood Exposition" in Brüssel vom 26. bis 28. April 2005 und den Betrieb dieser Maschine in einer Fabrik von Marine Harvest Norway AS im Mai und Juni 2005. Dieses Vorbringen erfolgt nach Ablauf der Einspruchsfrist, und ist somit verspätet. In der Mitteilung als Anlage zur Ladung, Abschnitt 3, hat die Kammer zur Zulassung die folgende vorläufige Meinung geäußert:
"3.2 Nach Artikel 12(4) VOBK liegt es im Ermessen der Kammer Beweismittel, die bereits im erstinstanzlichen Verfahren hätten vorgebracht werden können, nicht zuzulassen. Nach geltender Rechtsprechung ist bei der Zulassung einer verspätet geltend gemachten offenkundigen Vorbenutzung, insbesondere wenn es eine eigene Vorbenutzung betrifft, ein strenger Maßstab anzulegen, siehe hierzu die RdBK, IV.C.1.3.17 und die darin genannten Entscheidungen T17/91, T534/89, T691/12 und T 1835/11."
"3.2.1 Nach T 691/12 kann eine erstmals im Beschwerdeverfahren vorgebrachte offenkundige Vorbenutzung nur noch dann berücksichtigt werden, wenn zumindest drei Bedingungen erfüllt sind:
a) es darf sich nicht um einen erkennbaren Verfahrensmissbrauch handeln;
b) die Vorbenutzung muss prima facie so relevant sein, dass sie wie vorgebracht die Gültigkeit des Patents in Frage stellt; und
c) die Vorbenutzung muss lückenlos nachgewiesen sein, sodass keine weiteren Ermittlungen zur Feststellung ihres Gegenstands bzw. ihrer Umstände notwendig sind.
Die Kammer teilt diese Auffassung und stellt fest, dass im vorliegenden Fall mindestens die zweite Bedingung nicht erfüllt zu sein scheint. Insbesondere scheint D13 nicht prima facie relevant zu sein, da das Dokument statt eines Kreismessers ein Ringmesser offenbart (D13, Absatz 8: "annular knife"; Absatz 10: "ring-shaped knife", Absatz 12: "ring-shaped motor-driven rotary knife"; Absatz 14: "Bettcher knife"; Exhibit B, Seite 2; Exhibit C, Spalte 1, Zeilen 28 bis 30: "annular blade ... with a radially inward facing peripheral cutting edge"). Die Begriffe Kreismesser und Ringmesser scheinen zum allgemeinen Fachwissen auf dem Gebiet der Fleischverarbeitung zu gehören. Ein Kreismesser scheint eine außenliegende Schneide aufzuweisen, während die Schneide beim in D13 offenbarten Ringmesser innenliegend ist.
Außerdem scheint D13 keine Schnittgegenlage zu offenbaren, da der weiße Ring lediglich die Schnitttiefe zu begrenzen scheint (D13, Absatz 12: "the white arcuate element ... is a depth limiting device"; Absatz 14: "Bettcher knife"; Exhibit C, Spalte 1, Zeilen 30 und 31: "ring-like depth of cut gauge member"; Spalte 3, Zeilen 5 bis 8: "adjusted axially ... bottom side thereof is below the cutting edge of the blade or spaced a desired distance thereabove"). Aus D13 scheint nicht unmittelbar und eindeutig hervorzugehen, dass dieser Ring in jeder seiner axial einstellbaren Positionen immer auch eine Gegenkraft auf das zu schneidende Fleisch aufbringt..."
"3.2.2 Nach T 1835/11 wurde eine im Beschwerdeverfahren vorgebrachte offenkundige Vorbenutzung nicht berücksichtigt, da sie den Verkauf der eigenen Erzeugnisse des Beschwerdeführers betraf, da die Ansprüche inhaltlich nicht geändert wurden und da der Beschwerdeführer nicht begründet hat, warum er die Vorbenutzung nicht schon früher angeführt hatte.
Die Kammer teilt diese Auffassung und stellt fest, dass im vorliegenden Fall die Vorbenutzung die Ausstellung und den Verkauf der eigenen Erzeugnisse der Beschwerdeführerin betrifft, dass die Ansprüche im Einspruchsverfahren inhaltlich nicht geändert wurden, und dass die Beschwerdeführerin nicht begründet zu haben scheint, warum sie die Vorbenutzung nicht schon früher angeführt hatte (Beschwerdebegründung, Punkte 1.3, 2.8; Schreiben vom 26. Januar 2016, Punkt 3.2)."
4.2 Da die Beschwerdeführerin zu dieser Sichtweise nicht weiter Stellung genommen hat, bestätigte die Kammer ihre Absicht, die Vorbenutzungen nicht ins Verfahren zuzulassen, Artikel 12(4) VOBK.
5. Neuheit
5.1 Die Beschwerdeführerin bestreitet den Befund der Entscheidung, wonach die Vorrichtung zum Oberflächentrimmen von Fleisch nach Anspruch 1 und das Verfahren zum Oberflächentrimmen nach Anspruch 26 des Hauptantrags neu gegenüber D1 bzw. D6 seien.
5.2 Die Kammer hat bereits in ihrer Mitteilung als Anlage zur Ladung, Abschnitt 4.2, die Auffassung vertreten, dass D1 und D6 keinen Messerkopf offenbaren, der eine Schnittgegenlage umfasst. Sie hat dazu die folgende vorläufige Meinung geäußert:
"4.2.1 Dokument D1
Die Sichtweise der Beschwerdeführerin, wonach die Haltestruktur für die Kreismesser 7 und 11 eine Schnittgegenlage darstelle, wird aus den im Absatz 4.1 genannten Gründen nicht geteilt.
Stattdessen wird das Rad 51 als Schnittgegenlage angesehen, da es den Fisch gegen die Kreismesser 7 und 11 drückt (Figur 4; D1a, Seite 12, Zeilen 17 bis 26). Da das Rad 51 unterhalb der Transporteinrichtung 4 angeordnet ist, wird es nicht als Teil des Messerkopfs angesehen (Seite 12, Zeile 22; Figuren 2 und 3). Daher scheint D1 nicht zu offenbaren, dass der Messerkopf eine Schnittgegenlage umfasst (die dem Kreismesser zugeordnet ist; siehe Absatz 3)."
"4.2.2 Dokument D6
Die Sichtweise der Beschwerdeführerin, wonach die implizit vorhandene Haltestruktur für die Messer eine Schnittgegenlage darstelle, wird aus den im Absatz 4.1 genannten Gründen nicht geteilt.
Stattdessen wird das Förderband 202 als Schnittgegenlage angesehen, da es das Fleisch nach unten abstützt (Figur 3). Da das Förderband kein Teil eines Messerkopfes ist, scheint D6 nicht zu offenbaren, dass der Messerkopf eine Schnittgegenlage umfasst (die dem Kreismesser zugeordnet ist; siehe Absatz 3)."
5.3 Die Beschwerdeführerin hat zu dieser Sichtweise nicht weiter Stellung genommen. Mangels weiterer Ausführungen sieht die Kammer keinen Grund, von ihrer Sichtweise abzuweichen. Somit bestätigt sie den Befund der angefochtenen Entscheidung zur Neuheit, wonach der Gegenstand des Anspruchs 1 neu ist gegenüber D1 und D6.
6. Erfinderische Tätigkeit
6.1 Die erfinderische Tätigkeit ist ausgehend von D2, D11 oder D12 angegriffen worden. Im Abschnitt 4.3 ihrer Mitteilung als Anlage zur Ladung hat die Kammer hierzu wie folgt vorläufig Stellung genommen.
"4.3.1 Dokument D2
D2 scheint ein Ringmesser und ein Element zur Begrenzung der Schnitttiefe zu offenbaren (Absatz 26: "annular blade 12"; Absatz 35: "depth of cut limiting gauges 64").
Selbst wenn ein Fachmann, wie von der Beschwerdeführerin behauptet, auf naheliegende Weise die aus D2 bekannte Vorrichtung zur automatischen Ausführung von Trimmschnitten umgestalten würde, scheint sie weiterhin ein Ringmesser und ein Element zur Begrenzung der Schnitttiefe zu enthalten.
Im Hinblick auf eine Kombination von D2 und D1 trägt die Beschwerdeführerin vor, dass der Fachmann aus D1 das Transportelement, das Element zur Lageerkennung und die Steuerung zur Bewegung des Messerkopfes übernehmen solle (Beschwerdebegründung, Absätze 8.9 und 8.10: "implement the knife of D2 ... in ... D1"). Auch in diesem Falle würde die Vorrichtung weiterhin ein Ringmesser und ein Element zur Begrenzung der Schnitttiefe enthalten.
Aus den im Absatz 3.2.1 genannten Gründen scheint ein Ringmesser kein Kreismesser, und ein Element zur Begrenzung der Schnitttiefe keine Schnittgegenlage zu sein."
"4.3.2 Dokument D11
D11 wurde erstinstanzlich nicht zugelassen. Nach geltender Rechtsprechung hat die Kammer eine solche Ermessensentscheidung soweit zu überprüfen, um festzustellen, ob die Erstinstanz ihr Ermessen nach Maßgabe der falschen Kriterien, unter Nichtbeachtung der richtigen Kriterien oder in willkürlicher Weise ausgeübt hat, siehe RdBK, IV.C.1.2.2 a) und IV.E.3.6. Die Kammer vermag keine Rechtsfehler in der Ermessensausübung der Erstinstanz bei der Nicht-Zulassung von D11 festzustellen. Dies ist auch nicht vorgebracht worden. Auch scheint nach vorläufiger Meinung der Kammer die prima facie Beurteilung der Erstinstanz nicht offensichtlich falsch zu sein. Insbesondere scheint die D11 eine Vorrichtung mit verzahnten oder aufgerauten zylindrischen Schnittrollen zu offenbaren (Seite 8, Absatz 4; Brückenabsatz zwischen den Seiten 24 und 25: "toothed dressing roller 50' ... rollers 50 having roughened or knurled dressing surfaces"; Figuren 11 und 12).
Selbst wenn ein Fachmann, wie von der Beschwerdeführerin behauptet, auf naheliegende Weise die aus D11 bekannte Vorrichtung zur automatischen Ausführung von Trimmschnitten mit einem Element zur Lageerkennung ausstatten würde, scheint sie weiterhin Schnittrollen zu enthalten. Im Gegensatz zur Sichtweise der Beschwerdeführerin scheinen Schnittrollen wegen ihrer zylindrischen Form (siehe Figur 12 der D11) gerade keine (implizit scheibenförmigen) Kreismesser zu sein.
Daher scheint die von der Beschwerdegegnerin bestrittene Zulassung des Dokuments D11 zum Beschwerdeverfahren nicht diskutiert werden zu müssen."
"4.3.3 Dokument D12
D12 scheint ebenfalls nur ein Ringmesser und ein Element zur Begrenzung der Schnitttiefe zu offenbaren (Spalte 1, Zeile 67; Spalte 1, Zeilen 30 und 31: "ring-like depth of cut gauge member").
Daher scheint die von der Beschwerdegegnerin bestrittene Zulassung des Dokuments D12 zum Beschwerdeverfahren nicht diskutiert werden zu müssen."
6.2 Die Beschwerdeführerin hat zu dieser Sichtweise nicht weiter Stellung genommen. Mangels weiterer Ausführungen sieht die Kammer keinen Grund, von ihrer Sichtweise abzuweichen. Somit bestätigte sie in der mündlichen Verhandlung ihr Vorhaben, das Dokument D11 nicht in das Verfahren zuzulassen. Außerdem bestätigt die Kammer den Befund der angefochtenen Entscheidung zur erfinderischen Tätigkeit, wonach der Gegenstand des Anspruchs 1 ausgehend von der D2 und D12 auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.
6.3 Diese Argumentation gilt mutatis mutandis für den unabhängigen Verfahrensanspruch 26, der auf ein Verfahren zum Oberflächentrimmen von Fleisch unter Verwendung eines Kreismessers gerichtet ist.
7. Die Kammer bestätigt aus den obengenannten Gründen die Befunde der angegriffenen Entscheidung, dass keiner der erhobenen Einspruchsgründe der Aufrechterhaltung des erteilten Patentes entgegensteht, Artikel 101(2) EPÜ.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.