T 1984/15 19-01-2021
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DRUCKFARBE ODER DRUCKLACK FÜR LEBENSMITTEL-VERPACKUNGEN
Erfinderische Tätigkeit - eine willkürliche Mehrfachauwahl trägt nicht zur erfinderischen Tätigkeit bei (Punkt 4.5 der Entscheidungsgründe, vergleiche jedoch Punkt 10 der Entscheidungsgründe)
Änderungen - ein nicht offenbarter Disclaimer im Sinne der Entscheidung G 1/03 verstößt gegen die Erfordernisse des Artikels 123 (2) EPÜ, wenn er zur erfinderischen Tätigkeit gegenüber einem Stand der Technik gemäß Artikel 54(2) EPÜ beiträgt (Punkt 7 der Entscheidungsgründe)
I. Diese Entscheidung betrifft die Beschwerden der Patentinhaberin und der Einsprechenden gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung (angefochtene Entscheidung), nach der das europäische Patent Nr. 2 129 729 (Streitpatent) in geänderter Fassung den Erfordernissen des EPÜ genügt.
Da beide Parteien zugleich Beschwerdeführerin und Beschwerdegegnerin sind, wird die Kammer in der Folge die Bezeichnung als Patentinhaberin bzw. Einsprechende beibehalten.
II. In ihrem Einspruchsschriftsatz hatte die Einsprechende den Widerruf des Streitpatents in vollem Umfang basierend auf den Einspruchsgründen gemäß Artikel 100 a) (mangelnde Neuheit und mangelnde erfinderische Tätigkeit), Artikel 100 b) und Artikel 100 c) EPÜ beantragt.
Der Entscheidung der Einspruchsabteilung lagen ein Haupt- und ein Hilfsantrag, beide während der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung eingereicht, zu Grunde. Die Einspruchsabteilung entschied insbesondere, dass der Gegenstand der Ansprüche des Hilfsantrags im Hinblick auf D10 als nächstliegendem Stand der Technik auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.
III. Die folgenden Dokumente aus dem Verfahren vor der Einspruchsabteilung sind für die vorliegende Entscheidung relevant:
D3 WO 2008/024968 A1
D10 DE 102 09 013 A1
IV. Antragsgemäß wurden beide Parteien zu einer mündlichen Verhandlung geladen. Zu deren Vorbereitung erließ die Kammer eine Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2020.
V. Die mündliche Verhandlung vor der Kammer fand am 19. Januar 2021 in Anwesenheit beider Parteien statt. Die Patentinhaberin nahm den mit ihrer Beschwerdebegründung eingereichten 3. Hilfsantrag zurück und reichte den Anspruchssatz eines neuen 4. Hilfsantrags ein. Die Kammer entschied, die von der Einsprechenden mit ihrer Beschwerdebegründung eingereichten Dokumente zum Verfahren zuzulassen. Am Ende der Verhandlung verkündete der Vorsitzende den Tenor der vorliegenden Entscheidung.
VI. Die für die vorliegende Entscheidung relevanten Anträge lauteten wie folgt.
- Die Patentinhaberin beantragte die Aufrechterhaltung des Streitpatents in geänderter Fassung auf Basis der Anspruchssätze des Hauptantrags bzw. des ersten oder zweiten Hilfsantrags, jeweils eingereicht mit ihrer Beschwerdebegründung, weiter hilfsweise auf Basis des Anspruchssatzes des vierten Hilfsantrags, eingereicht in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer.
- Die Einsprechende beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Streitpatents in vollem Umfang.
VII. Die für die vorliegende Entscheidung relevanten Argumente der Einsprechenden können wie folgt zusammengefasst werden.
Hauptantrag und erster Hilfsantrag
Der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags und des ersten Hilfsantrags unterscheide sich von der Offenbarung des nächstliegenden Stands der Technik D10 allerhöchstens durch das Lösungsmittel. Insbesondere werde die gemäß der Erfindung der D10 notwendige epoxidierte organische Komponente durch den Wortlaut von Anspruch 1 nicht ausgeschlossen. Das unterschiedliche Lösungsmittel sei mit keinem technischen Effekt verbunden und die objektive technische Aufgabe müsse in der Bereitstellung einer alternative Druckfarbe gesehen werden. Die Lösung in Form von Anspruch 1 des Hauptantrags und des ersten Hilfsantrags sei aber jeweils nicht erfinderisch, da lediglich zweimal willkürlich aus der Offenbarung der D10 ausgewählt werden müsse um zu einem anspruchsgemäßen Lösungsmittel zu gelangen.
Zweiter Hilfsantrag
Der Gegenstand von Anspruch 1 des zweiten Hilfsantrags könne aus den gleichen Gründen nicht erfinderisch sein wie der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags bzw. der in Anspruch 1 des zweiten Hilfsantrags aufgenommene Disclaimer stelle eine unzulässige Änderung im Sinne der Entscheidung G 1/03 dar.
Vierter Hilfsantrag
Ausgehend von der Anmeldung in ihrer ursprünglich eingereichten Fassung müsse zweimal ausgewählt werden, um zum Gegenstand von Anspruch 1 zu gelangen. Dieser erfülle daher nicht die Erfordernisse von Artikel 123 (2) EPÜ.
Einwände betreffend die Klarheit unter Artikel 84 EPÜ gebe es nicht.
Der Gegenstand von Anspruch 1 des vierten Hilfsantrags beruhe im Wesentlichen aus den gleichen Gründen nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit wie der Gegenstand von Anspruch 1 des Hautantrags und des ersten Hilfsantrags. Zwar seien die drei nun in Anspruch 1 genannten Säuren Milch-, Zitronen- und Weinsäure nicht in Absatz [0033] der D10 offenbart, doch seien diese allgemein bekannt und der Fachmann hätte auch diese bei der Bereitstellung einer bloßen Alternative berücksichtigt.
VIII. Die für die vorliegende Entscheidung relevanten Argumente der Patentinhaberin können wie folgt zusammengefasst werden.
Hauptantrag und erster Hilfsantrag
Der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags und des ersten Hilfsantrags unterscheide sich von der Offenbarung des nächstliegenden Stands der Technik D10 nicht nur durch das Lösungsmittel sondern insbesondere auch dadurch, dass die gemäß D10 erfindungswesentliche epoxidierte organische Komponente durch den Wortlaut von Anspruch 1 ausgeschlossen werde. Aus diesem Grund sei der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags bzw. des ersten Hilfsantrags ausgehend von D10 nicht nahegelegt.
Zweiter Hilfsantrag
Der Disclaimer in Anspruch 1 solle Neuheit gegenüber D3, einem Stand der Technik gemäß Artikel 54 (3) EPÜ, herstellen und sei somit im Hinblick auf G 1/03 zulässig. Im Übrigen beruhe der Gegenstand von Anspruch 1 durch diesen Ausschluss auch auf einer erfinderischen Tätigkeit gegenüber D10.
Vierter Hilfsantrag
Der beanspruchte Gegenstand des vierten Hilfsantrags erfülle die Erfordernisse von Artikel 123 (2) EPÜ.
Die drei nun in Anspruch 1 genannten Säuren Milch-, Zitronen- und Weinsäure seien nicht in Absatz [0033] der D10 offenbart. Im Gegensatz zu den in D10 offenbarten Säuren seien die drei in Anspruch 1 genannten Säuren funktionalisiert. Ausgehend von D10 würde der Fachmann daher nicht davon ausgehen, dass sich auch Ester, die diese Säuren enthalten, als Lösungsmittel in Druckfarben eignen. Der beanspruchte Gegenstand des vierten Hilfsantrags beruhe demnach auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Zulassung der von der Einsprechenden mit ihrer Beschwerdebegründung eingereichten Dokumente
1. Zu Beginn der mündlichen Verhandlung entschied die Kammer, die von der Einsprechenden mit ihrer Beschwerdebegründung eingereichten Dokumente im Sinne von Artikel 12(4) VOBK 2007 zum Verfahren zuzulassen. Diese Dokumente hatte die Einsprechende zur Unterstützung ihrer Auffassung eingereicht, wonach der Begriff der "Genusssäure" weiter auszulegen sei als von der Patentinhaberin vorgetragen. Für die vorliegende Entscheidung sind diese Dokumente jedoch nicht von Relevanz, da der Hauptantrag sowie der erste und zweite Hilfsantrag selbst unter Zugrundelegung der engeren Auslegung der Patentinhaberin für nicht gewährbar befundenen wurden und die Gewährbarkeit des vierten Hilfsantrags nicht von der Auslegung dieses Begriffs abhing.
Erster Hilfsantrag
2. Die Ansprüche des ersten Hilfsantrags sind identisch zu den Ansprüchen des Hilfsantrags, der der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegt. Die Einspruchsabteilung entschied, dass der Gegenstand der Ansprüche dieses Hilfsantrags im Hinblick auf D10 als nächstliegendem Stand der Technik auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.
3. Der unabhängige Anspruch 1 hat folgenden Wortlaut (Hervorhebung hinzugefügt):
"Druckfarbe oder Drucklack für Lebensmittel-Verpackungen, umfassend ein Bindemittel mit einem Harzbestandteil und einem Lösungsmittelbestandteil,
dadurch gekennzeichnet, dass der Lösungsmittelbestandteil des Bindemittels ein ein- oder mehrkomponentiges gesättigtes Lösungsmittel für Harz ist, wobei der Lösungsmittelbestandteil des Bindemittels im Wesentlichen mehrfachbindungsfrei ist, und das Lösungsmittel oder die Komponenten des Lösungsmittels eine Jodzahl kleiner 10 haben, wobei das Lösungsmittel oder die Komponenten des Lösungsmittels ein Lebensmittel oder Lebensmittel-Zusatzstoff sind, die ausgewählt sind aus Monoglyceriden und Diglyceriden von Fettsäuren mit einer Kohlenstoffkettenlänge zwischen sechs und zwölf verestert mit Genusssäuren wie Essigester (E 472a), Milchsäureester (E 472b), Zitronensäureester (E 472c) oder Weinsäureester (E 472d)."
4. Beide Parteien betrachteten übereinstimmend D10 als den nächstliegenden Stand der Technik. Die Kammer sah keine Veranlassung, von dieser einhelligen Auffassung abzuweichen.
4.1 D10 betrifft eine Offsetdruckfarbe, welche ein Farbpigment und ein Bindemittel für das Farbpigment umfasst. Wesentlich für die Erfindung der D10 ist die Gegenwart mindestens einer epoxidierten organischen Komponente im Bindemittel (Anspruch 1). Diese Komponente bewirkt nach einem Druckvorgang eine Vernetzung des Bindemittels und so eine Trocknung der Druckfarbe. Die Gegenwart der epoxidierten organischen Komponente bietet unter anderem den Vorteil, dass während des Trocknungsvorgangs nur eine äußerst geringe Menge von geruchsbelästigenden gasförmigen Spaltprodukten abgesondert wird (Absatz [0006]). Aufgrund dessen eignet sich die Druckfarbe hervorragend für das Bedrucken von Lebensmittelverpackungen (Absatz [0010]). Neben der epoxidierten organischen Komponente sind im Bindemittel auch ein Harz und ein Lösungsmittel enthalten, wobei letzteres besonders bevorzugt einen Fettsäureester mit einer Jodzahl kleiner 10 umfasst (Absätze [0029] und [0033]). Die Fettsäureester basieren auf Glycerin als Alkoholkomponente (Absatz [0052]). Als Fettsäureester eignen sich laut Absatz [0033] insbesondere
"solche Trifettsäureester, Difettsäureester und Monofettsäureester, die auf gesättigten Carbonsäuren oder auf gesättigten vegetabilen Fettsäuren basieren, wie beispielsweise Ameisensäure, Essigsäure, Propionsäure, Buttersäure, Valeriansäure, Capronsäure, Caprylsäure, Caprinsäure, Undecansäure, Laurinsäure, Myristinsäure, Arachinsäure, Behensäure, Palmetinsäure und Stearinsäure." (Hervorhebungen hinzugefügt)
4.2 Vor diesem Hintergrund der D10 machte die Patentinhaberin im Hinblick auf Anspruch 1 die folgenden zwei Unterscheidungsmerkmale geltend, nämlich
i) dass das in Anspruch 1 genannte Lösungsmittel, d. h. Monoglyceride oder Diglyceride von Fettsäuren mit einer Kohlenstoffkettenlänge zwischen sechs und zwölf verestert mit Genusssäuren, nicht in D10 und insbesondere nicht in Absatz [0033] offenbart sei
ii) dass der Wortlaut von Anspruch 1 die in den Druckfarben der D10 notwendigerweise enthaltene epoxidierte organische ausschließe.
4.2.1 Zu Merkmal i)
Im Hinblick auf die in Absatz [0033] von D10 genannten Carbonsäuren und Anspruch 1 herrschte Einigkeit zwischen den Parteien darüber,
a) dass es sich bei der in D10 genannten Capryl- oder Caprinsäure um Fettsäuren mit 8 bzw. 10 Kohlenstoffatomen handelt, und
b) dass es sich bei der in D10 genannten Essigsäure um eine Genusssäure handelt.
Unstimmigkeit herrschte zwischen beiden Parteien jedoch darüber, ob die unter a) genannten Fettsäuren gleichzeitig auch als Genussäuren aufzufassen sind oder nicht. Die Patentinhaberin vertrat die Auffassung, dass dieser Begriff eng auszulegen sei und der Fachmann die oben unter a) genannten Fettsäuren nicht als Genusssäuren ansehen würde. Zugunsten der Patentinhaberin wird davon ausgegangen, dass dies korrekt ist.
Vor dem Hintergrund dieser Auslegung muss aus der Offenbarung der D10 in Absatz [0033] eine zweimalige Auswahl getroffen werden, um zu einem anspruchsgemäßen Lösungsmittel zu gelangen (siehe den in Punkt 3 hervorgehobenen Teil des Anspruchs 1), nämlich zum einen die Auswahl einer Fettsäure mit einer Kohlenstoffkettenlänge zwischen sechs und zwölf (wie beispielsweise Capryl- oder Caprinsäure) und zum anderen die Auswahl der Genusssäure Essigsäure als Bestanteil desselben (Glycerin-) Fettsäureesters. Eine solche doppelte Auswahl ist regelmäßig neuheitsbegründend. Auf Basis der von der Patentinhaberin vorgesehenen engen Auslegung des Begriffs der Genusssäure ist somit Merkmal i) in der Tat ein Unterscheidungsmerkmal.
4.2.2 Zu Merkmal ii)
Die Patentinhaberin argumentierte, dass der Fachmann alle flüssigen Bestandteile, d. h. insbesondere auch die epoxidierte organische Komponente wie sie in der Offsetdruckfarbe der D10 enthalten sei, dem Lösungsmittel einer Druckfarbe zurechnen würde. Dem stehe auch nicht entgegen, dass es sich bei der epoxidierten organischen Komponente um eine reaktive Komponente handele, da sie zunächst flüssig sei und als Lösungsmittel fungiere, bevor sie nach dem Drucken eine Vernetzungsreaktion eingehe. Die Gegenwart weiterer Lösungsmittel, d. h. die Gegenwart anderer als des in Anspruch 1 explizit genannten Lösungsmittels werde aber durch den Wortlaut von Anspruch 1 ausgeschlossen. Dass der Wortlaut von Anspruch 1 somit die laut D10 erfindungswesentliche epoxidierte organische Komponente ausschließe, stelle ein zusätzliches Unterscheidungsmerkmal gegenüber D10 dar.
Dem kann sich die Kammer nicht anschließen. D10 nimmt eine deutliche Abgrenzung zwischen der epoxidierten organischen Komponente auf der einen und dem Lösungsmittel auf der anderen Seite vor. Deutlich wird dies beispielsweise im Absatz [0083], wo zwischen beiden klar unterschieden wird ("Die Zugabe von epoxidierten Fettsäureestern 15, Alkydharzen 9, Farbpigmenten 5 und Druckhilfsmitteln 7 zur Mischung aus Hartharz 11 und Lösungsmitteln 13 kann grundsätzlich in beliebiger Reihenfolge erfolgen."; Hervorhebung durch Unterstreichung hinzugefügt; der genannte epoxidierte Fettsäureester ist dabei eine epoxidierte organische Komponente im Sinne der D10). Schon die Lehre der D10 lässt somit berechtigte Zweifel an der Sichtweise der Patentinhaberin aufkommen, wonach der Fachmann notwendigerweise alle flüssigen Bestandteile einer Druckfarbe dem Lösungsmittel zurechne. Weitere flüssige nicht dem Lösungsmittel zuzurechnende Bestandteile werden aber durch den offenen Wortlaut von Anspruch 1 ("Druckfarbe oder Drucklack für Lebensmittel-Verpackungen, umfassend"; Hervorhebung hinzugefügt) nicht ausgeschlossen.
Selbst wenn, wie von der Patentinhaberin vorgetragen, alle flüssigen Bestandteile einer Farbe, und damit auch die epoxidierte organische Komponente der D10, zwingend als Lösungsmittel anzusehen wären, ließe dies vorliegend dennoch nicht den Schluss zu, dass es sich bei Merkmal ii) um ein Unterscheidungsmerkmal handelt. Dies liegt daran, dass dem Wortlaut von Anspruch 1 ein zwingender Ausschluss weiterer Lösungsmittel nicht zu entnehmen ist. Anspruch 1 ist gerichtet auf eine "Druckfarbe oder Drucklack für Lebensmittel-Verpackungen, umfassend ein Bindemittel mit [...] einem Lösungsmittelbestandteil" (Hervorhebungen hinzugefügt). Die Gegenwart eines Lösungsmittelbestandteils schließt jedoch weitere Lösungsmittelbestandteile nicht aus - auch dann nicht, wenn der eine explizit genannte Lösungsmittelbestandteil in der Folge abschließend definiert wird (durch den Wortlaut "ausgewählt [...] aus"). Dies steht im Übrigen im Einklang mit der Beschreibung des Streitpatents (Absätze [0047] und [0052]), wonach
- die erfindungsgemäße Druckfarbe bzw. der erfindungsgemäße Drucklack (nur) vorteilhafterweise frei von Mineralölen sind, die Farbe bzw. der Lack also Mineralöl enthalten kann und
- zu dem Ausgangsbindemittel gegebenenfalls weiteres Lösungsmittel zur Rheologieeinstellung hinzugegeben werden kann, und dieses zugegebene Lösungsmittel als Bestandteil des Bindemittels angesehen werden kann.
Die Beschreibung des Streitpatents sieht somit vor, dass auch andere als die in Anspruch 1 genannten Lösungsmittel der Farbe bzw. dem Lack oder dem Bindemittel einverleibt werden können. Somit wird also die Gegenwart weiterer Lösungsmittel, wie gegebenenfalls der in D10 genannten epoxidierten organischen Komponente, durch den Wortlaut von Anspruch 1 nicht ausgeschlossen und bei Merkmal ii) handelt es sich folglich nicht um ein Unterscheidungsmerkmal. Die Kammer folgt diesbezüglich der Auffassung der Einsprechenden, welcher sich die Einspruchsabteilung in der angefochtenen Entscheidung angeschlossen hatte und welche die Einsprechende auch im Verfahren vor der Kammer vertreten hat.
4.2.3 Zusammengefasst besteht der einzige Unterschied zwischen dem Gegenstand von Anspruch 1 und D10 also im Merkmal i).
4.3 Von der Patentinhaberin wurde kein technischer Effekt geltend gemacht. Der Kammer war ein solcher auch nicht ersichtlich.
4.4 Die objektive technische Aufgabe ist mithin die Bereitstellung einer alternativen Druckfarbe.
4.5 Die Lösung dieser objektiven technischen Aufgabe beruht im Hinblick auf D10 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Wie oben dargelegt, bedarf es aus Absatz [0033] der D10 einer zweimaligen Auswahl, um zu einem anspruchsgemäßen Lösungsmittel zu gelangen. Entgegen der in der angefochtenen Entscheidung vertretenen Auffassung kann eine mit keinem technischen Effekt verbundene und damit willkürliche mehrmalige Auswahl jedoch keine erfinderische Tätigkeit begründen (siehe auch T 939/92, Nr. 2.5.2 und 2.5.3 der Entscheidungsgründe sowie Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, neunte Auflage, 2019, I.D.9.19.8). Sowohl eine einfache als auch wie vorliegend eine mehrmalige willkürliche Auswahl gehört zum routinemäßigen Vorgehen des Fachmanns zur Bereitstellung einer Alternative. Der Gegenstand von Anspruch 1 beruht somit nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ, und der erste Hilfsantrag ist nicht gewährbar.
Hauptantrag
5. In Anspruch 1 des ersten Hilfsantrags sind die Fettsäuren des Lösungsmittels hinsichtlich ihrer Struktur beschränkt (vgl. den Anspruchswortlaut oben: "Fettsäuren mit einer Kohlenstoffkettenlänge zwischen sechs und zwölf" (Hervorhebung hinzugefügt)). Dies stellt gleichzeitig den einzigen Unterschied zu Anspruch 1 des Hauptantrags dar. Letzterer weist diese Beschränkung nicht auf. Der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags umfasst also vollständig denjenigen von Anspruch 1 des ersten Hilfsantrags. Die obige Argumentation gilt daher entsprechend. Folglich beruht der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ, und der Hauptantrag ist nicht gewährbar.
Zweiter Hilfsantrag
6. Der unabhängige Anspruch 1 hat folgenden Wortlaut (Hervorhebung hinzugefügt):
"Druckfarbe oder Drucklack für Lebensmittel-Verpackungen, umfassend ein Bindemittel mit einem Harzbestandteil und einem Lösungsmittelbestandteil, dadurch gekennzeichnet, dass der Lösungsmittelbestandteil des Bindemittels ein ein- oder mehrkomponentiges gesättigtes Lösungsmittel für Harz ist, wobei der Lösungsmittelbestandteil des Bindemittels im Wesentlichen mehrfachbindungsfrei ist, und das Lösungsmittel oder die Komponenten des Lösungsmittels eine Jodzahl kleiner 10 haben, wobei das Lösungsmittel oder die Komponenten des Lösungsmittels ein Lebensmittel oder Lebensmittel-Zusatzstoff sind, die ausgewählt sind aus Monoglyceriden und Diglyceriden von Fettsäuren verestert mit Genusssäuren wie Essigester (E 472a), Milchsäureester (E 472b), Zitronensäureester (E 472c) oder Weinsäureester (E 472d), mit der Maßgabe, dass das Lösungsmittel oder die Komponenten des Lösungsmittels keine Triglyceride mit gesättigten Monocarbonsäureresten vom Typ-C(O)-Alkylgesättigt sind."
Der oben nicht durch Fettdruck wiedergegebene Teil von Anspruch 1 des zweiten Hilfsantrags ist wortidentisch zu Anspruch 1 des Hauptantrags. Anspruch 1 des zweiten Hilfsantrags unterscheidet sich also nur durch den oben durch Fettdruck hervorgehobenen Zusatz von Anspruch 1 des Hauptantrags.
7. Die Patentinhaberin trug vor, dass es sich bei diesem Zusatz um einen nicht offenbarten Disclaimer im Sinne der Entscheidung der Großen Beschwerdekammer G 1/03 (ABl. EPA 2004, 413) handele. Dieser habe den Zweck, diejenigen anspruchsgemäßen Druckfarben auszuschließen, die in D3, einem Stand der Technik gemäß Artikel 54 (3) EPÜ, offenbart seien. Durch den Ausschluss von Druckfarben mit Triglyceriden von gesättigten Monocarbonsäuren als Lösungsmittel sei der Gegenstand von Anspruch 1 darüber hinaus auch erfinderisch gegenüber D10, da in Absatz [0033] nur Lösungsmittel offenbart seien, die Triglyceride von gesättigten Fettsäuren seien.
Dem Vorbringen der Patentinhaberin kann nicht zugestimmt werden, weil es unvereinbar ist mit der Entscheidung G 1/03. Diese Entscheidung stellt fest, dass ein Disclaimer, der nur auf der Grundlage einer kollidierenden Anmeldung zulässig wäre (im vorliegenden Fall D3), die Erfindung nicht neu oder erfinderisch gegenüber einem Stand der Technik nach Artikel 54 (2) EPÜ machen kann (G 1/03, supra, Punkt 2.6.2 der Entscheidungsgründe). Genau dies wäre aber vorliegend der Fall, wo der aufgenommene Disclaimer nach eigenem Bekunden der Patentinhaberin den Anspruchsgegenstand erfinderisch gegenüber dem nächstliegenden Stand der Technik D10, einem Dokument gemäß Artikel 54 (2) EPÜ machen würde. Der Argumentation der Patentinhaberin folgend, muss es sich also im vorliegenden Fall bei dem Disclaimer um eine unzulässige Änderung im Sinne von Artikel 123 (2) EPÜ handeln (G 1/03, Nr. 2.3 der Entscheidungsformel; siehe auch T 788/05, Nr. 3 der Entscheidungsgründe).
Da durch die Einführung eines Disclaimers in den Anspruch der beanspruchte Gegenstand grundsätzlich nicht erfinderisch gegenüber einem Stand der Technik nach Artikel 54 (2) EPÜ gemacht werden kann (siehe oben), muss ein Disclaimer in Bezug auf einen solchen Stand der Technik bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit folglich unberücksichtigt bleiben. Der Wortlaut von Anspruch 1 des zweiten Hilfsantrags ohne den Disclaimer ist, wie oben festgestellt, identisch zum Wortlaut von Anspruch 1 des Hauptantrags. Da aber Anspruch 1 des Hauptantrags gegenüber D10 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht (siehe oben), kann auch der Gegenstand von Anspruch 1 des zweiten Hilfsantrags gegenüber D10 aus den oben schon angeführten Gründen nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen. Der zweite Hilfsantrag ist mithin auch aus diesem Grund nicht gewährbar.
Vierter Hilfsantrag
8. Der unabhängige Anspruch 1 hat folgenden Wortlaut (Hervorhebung hinzugefügt):
"Druckfarbe oder Drucklack für Lebensmittel-Verpackungen, umfassend ein Bindemittel mit einem Harzbestandteil und einem Lösungsmittelbestandteil, dadurch gekennzeichnet, dass der Lösungsmittelbestandteil des Bindemittels ein ein- oder mehrkomponentiges gesättigtes Lösungsmittel für Harz ist, wobei der Lösungsmittelbestandteil des Bindemittels im Wesentlichen mehrfachbindungsfrei ist, und das Lösungsmittel oder die Komponenten des Lösungsmittels eine Jodzahl kleiner 10 haben, wobei das Lösungsmittel oder die Komponenten des Lösungsmittels ein Lebensmittel oder Lebensmittel-Zusatzstoff sind, die ausgewählt sind aus Monoglyceriden und Diglyceriden von Fettsäuren verestert mit Milchsäure E 472b, Zitronensäure E 472c oder Weinsäure E 472d."
Im Vergleich zu Anspruch 1 des ersten Hilfsantrags ist das Lösungsmittel in Anspruch 1 des vierten Hilfsantrags insofern beschränkt, als die Monoglyceride und Diglyceride von Fettsäuren nun verestert mit Milch-, Zitronen- oder Weinsäure sind.
Von der Einsprechenden wurden ausschließlich Einwände gemäß Artikel 123(2) und 56 EPÜ erhoben.
9. Änderungen (Artikel 123 (2) EPÜ)
9.1 Eine Basis für den oben nicht durch Fettdruck hervorgehobenen Teil von Anspruch 1 findet sich in einer Kombination der aufeinander rückbezogenen Ansprüche 1, 6 und 7 der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung. Der Gegenstand dieser Kombination von Ansprüchen betrifft eine Druckfarbe bzw. einen Drucklack, welche für zwei alternative Anwendungen vorgesehen sind, nämlich "für Lebensmittel-Verpackungen" bzw. "für [...] Kontakteinrichtungen, welche in Kontakt mit Lebensmitteln kommen können". Die zweite dieser beiden Alternativen wurde im vorliegenden Anspruch 1 gestrichen. Diese Beschränkung generiert aber keinen über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Anmeldung hinausgehenden Gegenstand und wurde im Übrigen von der Einsprechenden auch nicht beanstandet.
Eine Basis für den oben durch Fettdruck hervorgehobenen Teil von Anspruch 1 findet sich auf Seite 6, Zeilen 21 bis 24 der ursprünglich eingereichten Anmeldung:
"Mögliche Lösungsmittelbestandteile sind beispielsweise Mono- und Diglyceride von Fettsäuren verestert mit Genusssäuren wie Essigester (E 472a), Milchsäureester (E 472b), Zitronensäureester (E 472c), Weinsäureester (E 472d) usw."
Laut diesem Absatz können die vier explizit genannten Fettsäureester E 472a, E 472b, E 472c und E 472d Lösungsmittelbestandteile sein. Die drei von diesen in Anspruch 1 aufgenommenen Fettsäureester sind das Resultat der Streichung einer dieser (alternativen) Verbindungen. Dies ist im Hinblick auf Artikel 123 (2) EPÜ gewährbar.
Die Einsprechende argumentierte in diesem Zusammenhang, dass diese Streichung eine erste Auswahl darstelle. Diese Auswahl alleine genüge aber nicht, um zum Gegenstand von Anspruch 1 zu gelangen. Der nun in Anspruch 1 gewählte Wortlaut "ausgewählt [...] aus" (Hervorhebung hinzugefügt) sei in den ursprünglich eingereichten Ansprüchen 1, 6 und 7 nicht enthalten. Durch diesen Wortlaut würden nun weitere, d. h. über die drei genannten Fettsäureester hinausgehende Lösungsmittel ausgeschlossen. Insbesondere sei jetzt der in obiger Liste auch genannte Essigester (E 472 a) ausgeschlossen. Diese zusätzliche Beschränkung komme einer zweiten Auswahl gleich. Eine solche zweifache Auswahl sei aber im Hinblick auf Artikel 123 (2) EPÜ nicht gewährbar.
Zunächst sei an dieser Stelle angemerkt, dass das Vorbringen der Einsprechenden zu Anspruch 1 des vierten Hilfsantrags dem zu Anspruch 1 des ersten Hilfsantrags widerspricht. Obwohl der Wortlaut beider Ansprüche im Hinblick auf den hier strittigen Teil identisch ist (d. h. vom ersten Wort "Drucklack" bis hin zu "ausgewählt sind aus"), sollen durch den Wortlaut von Anspruch 1 des vierten Hilfsantrags weitere Lösungsmittel ausgeschlossen sein, durch den Wortlaut von Anspruch 1 des ersten Hilfsantrags hingegen nicht (siehe Punkt VII oben). Dieser Einwand ist schon aus diesem Grund wenig überzeugend. Letzten Endes greift er aber ohnehin nicht durch, da
- die oben wiedergegebene Passage der Anmeldung in ihrer ursprünglich eingereichten Fassung (Seite 6, Zeilen 21 bis 24) zwar in der Tat nicht offenbart, dass das Lösungsmittel aus den genannten Estern besteht,
- genau dies aber durch Anspruch 1 auch nicht gefordert wird, da dieser offen formuliert ist und weitere Lösungsmittel, wie beispielsweise auch den genannten Essigester E 472a, nicht ausschließt (siehe Punkt 4.2.2 oben).
Die abhängigen Ansprüche 2 bis 11 finden eine Basis in den ursprünglich eingereichten Ansprüchen 2, 3, 8 bis 15 und 17 bis 19, der unabhängige Anspruch 12 eine Basis in den ursprünglich eingereichten Ansprüchen 24 und 25.
Zusammengefasst erfüllt somit der Anspruchssatz des vierten Hilfsantrags die Erfordernisse von Artikel 123 (2) EPÜ.
10. Erfinderische Tätigkeit
Die Einsprechende stütze sich auf ihren Einwand zur mangelnden erfinderischen Tätigkeit in Bezug auf den ersten Hilfsantrag. Ausgehend von D10 sah sie die objektive technische Aufgabe wiederum in der Bereitstellung einer alternativen Druckfarbe. Weiterhin trug sie vor, dass die drei als Esterbestandteil in Anspruch 1 aufgeführten Säuren (Milch-, Zitronen- und Weinsäure) zwar nicht in Absatz [0033] der D10 genannt seien, es zur Bereitstellung einer Alternative jedoch in das routinemäßige Vorgehen des Fachmanns falle, alle ihm bekannten Säuren, wie insbesondere auch Milch-, Zitronen und Weinsäure, auszuprobieren. Nach Auswahl einer Fettsäure aus der in Absatz [0033] von D10 genannten Liste und der weiteren Auswahl von Milch-, Zitronen- oder Weinsäure, wäre der Fachmann daher zu einer anspruchsgemäßen Druckfarbe gelangt, ohne erfinderisch tätig werden zu müssen.
Dies ist nicht überzeugend. Wie von der Einsprechenden anerkannt, offenbart Absatz [0033] der D10 nicht die in Anspruch 1 aufgeführten Säuren. Damit liegt ein gegenüber dem ersten Hilfsantrag gänzlich anderer Fall vor. Insbesondere kann der Gegenstand des Anspruchs 1 nun nicht mehr als eine Auswahl aus der Offenbarung der D10 angesehen werden.
Bei den in Absatz [0033] von D10 genannten 15 Säuren handelt es sich ausschließlich um unfunktionalisierte gesättigte Carbonsäuren. Ohne anderweitige Hinweise hätte der Fachmann daher keine Veranlassung dazu gehabt anzunehmen, dass sich auch Ester, die die nun in Anspruch 1 genannten, aber in D10 nicht offenbarten funktionalisierten Säuren Milch-, Zitronen- oder Weinsäure enthalten (alle drei Säuren weisen zum Beispiel mindestens eine zusätzliche Hydroxid-Gruppe auf), für den gleichen Zweck eignen sollten wie die in Absatz [0033] von D10 genannten Fettsäureester. Ausgehend von D10 wäre der Fachmann daher nicht in naheliegender Weise zur beanspruchten Lösung gelangt, hätte er eine alternative Druckfarbe bereitstellen wollen.
Der Gegenstand von Anspruch 1 stellt demgegenüber eine nicht naheliegende Alternative dar und beruht auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ. Mutatis mutandis gelten obige Ausführungen auch für die von Anspruch 1 abhängigen Ansprüche 2 bis 11 und den unabhängigen Verwendungsanspruch 12, da sich dieser in Bezug auf die verwendete Druckfarbe bzw. den verwendeten Drucklack auf die vorhergehenden Ansprüche zurückbezieht. Der vierte Hilfsantrag ist somit gewährbar.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung mit der Anordnung zurückverwiesen, das Patent mit folgenden Ansprüchen und einer noch anzupassenden Beschreibung aufrechtzuerhalten: Ansprüche 1 bis 12 des vierten Hilfsantrags, eingereicht in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer.