T 2054/16 21-09-2021
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Vorrichtung und Verfahren zum Beschichten eines Werkstücks
Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag (nein)
Erfinderische Tätigkeit - Hilfsantrag (ja)
Ausreichende Offenbarung - Ausführbarkeit (ja)
Änderungen - unzulässige Erweiterung (nein)
I. Die Patentinhaberin und die Einsprechende haben je form- und fristgerecht gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, mit der das Patent Nr.
2 433 769 in geändertem Umfang gemäß dem damaligen Hilfsantrag 4a aufrechterhalten wurde, Beschwerde eingelegt.
II. Mit dem Einspruch war das Patent in vollem Umfang unter Geltendmachung der Einspruchsgründe mangelnder Neuheit und mangelnder erfinderischer Tätigkeit nach Artikel 100 a) EPÜ, mangelnder Ausführbarkeit nach Artikel 100 b) EPÜ sowie unzulässiger Erweiterung nach Artikel 100 c) EPÜ angegriffen worden.
III. Mit ihrer Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2020 vom 9. November 2020 teilte die Kammer ihre vorläufige Beurteilung der Sach- und Rechtslage mit.
IV. Am 21. September 2021 fand eine mündliche Verhandlung vor der Kammer statt, in der die Sach- und Rechtslage mit den Parteien erörtert wurde. Wegen der Einzelheiten des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf das Protokoll verwiesen.
Die Entscheidung wurde am Schluss der mündlichen Verhandlung verkündet.
V. Die Patentinhaberin beantragte,
die angefochtene Entscheidung aufzuheben
und
das Patent in geänderter Fassung auf Grundlage des der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegenden Anspruchssatzes gemäß Hauptantrag aufrechtzuerhalten,
oder hilfsweise
das Patent in geänderter Fassung auf Grundlage eines der ebenfalls der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegenden Anspruchssätze gemäß Hilfsanträgen 1 bis 3 aufrechtzuerhalten,
weiter hilfsweise
die Beschwerde der Einsprechenden zurückzuweisen.
Ferner beantragte die Patentinhaberin das Patent in geänderter Fassung auf Grundlage des im erstinstanzlichen Verfahren eingereichten Anspruchssatzes gemäß Hilfsantrag 5, hilfsweise auf Grundlage des erstmals mit der Beschwerdebegründung eingereichten Anspruchssatzes gemäß Hilfsantrag 6 aufrechtzuerhalten.
Für den Fall, dass die Beschwerdekammer dem Einwand der Einsprechenden nach Artikel 123 (2) EPÜ stattgeben sollte, beantragte die Patentinhaberin weiterhin die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung auf Grundlage des Anspruchssatzes gemäß Hauptantrag-a, hilfsweise auf Grundlage eines der Anspruchssätze gemäß Hilfsanträgen 1a bis 5a, eingereicht mit Schriftsatz vom 13. März 2017.
Die Einsprechende beantragte,
die angefochtene Entscheidung aufzuheben und
das Patent zu widerrufen.
VI. In der vorliegenden Entscheidung wird auf die folgenden, aus dem Einspruchsverfahren bekannten Dokumente Bezug genommen:
D1: US 4,076,569 A,
D10: Laminat-Magazin 2003, Seiten 78/79 "Breitenwirkung".
VII. Anspruch 1 gemäß Hauptantrag lautet wie folgt:
"Vorrichtung (1) zum Beschichten eines Werkstücks (7), die zur Zuführung einer Materialbahn (2) mindestens ein Umlenkmittel (5, 6, 30) aufweist, hinter dem ein Andruckmittel (40) zum Aufbringen der Materialbahn (2) auf die Werkstückoberfläche (8) angeordnet ist und die Vorrichtung ferner mindestens eine Energiequelle (41, 42) aufweist, deren Wirkstelle sich in einem Bereich des Andruckmittels befindet, der zumindest abschnittsweise in Kontakt mit der Materialbahn (2) steht dadurch gekennzeichnet, dass
ein verschiebbares Umlenkmittel (30) zur Werkstückoberfläche (8) automatisch und/oder manuell verschiebbar gelagert ist, so dass es eine Verstellung des Umschlingungswinkels (44) ermöglicht, wobei mindestens eine Energiequelle (41, 42) im Bereich des Andruckmittels (40) angeordnet ist oder in diesem Bereich wirkt, und so ausgelegt ist, dass sie das Andruckmittel (40) auf eine Aktivierungs- und/oder Verarbeitungstemperatur von 100°C bis 250°C aufheizt."
VIII. Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 entspricht Anspruch 1 gemäß Hauptantrag.
IX. Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 enthält im Vergleich zum Anspruch 1 gemäß Hauptantrag die folgenden zusätzlichen Merkmale, die am Ende dessen kennzeichnenden Teils hinzugefügt wurden:
"wobei das verschiebbare Umlenkmittel (30) so relativ zum Andruckmittel (40) angeordnet ist, dass die Materialbahn (2) über die Klebstoffschicht (3) mit dem verschiebbaren Umlenkmittel (30) in Kontakt kommt."
X. Anspruch 7 gemäß Hilfsantrag 2 entspricht Anspruch 7 gemäß Hilfsantrag 1 und lautet wie folgt:
"Verfahren zum Beschichten eines Werkstücks (7) mit einer Materialbahn (2) unter Verwendung der Vorrichtung aus einem der vorhergehenden Ansprüche, wobei das Verfahren folgende Schritte umfasst:
- Zuführen des Werkstücks (7) und der Materialbahn (2) in eine Beschichtungsvorrichtung (1) über mindestens ein Umlenkmittel (5, 6),
- Aktivieren einer Klebstoffschicht (3), die sich auf der Materialbahn (2) befindet und/oder ein Teil von ihr ist, und
- Aufbringen der Materialbahn (2) auf die Werkstückoberfläche (8) durch die aktivierte Klebstoffschicht (3) mit Hilfe mindestens eines Andruckmittels (40),
wobei die Klebstoffschicht unmittelbar vor dem Aufbringen der Materialbahn (2) im Bereich der Oberfläche (45) des Andruckmittels (40) mit mindestens einer Energiequelle aktiviert und/oder reaktiviert wird, wobei im Bereich der Oberfläche (45) des Andruckmittels (40) bedeutet, dass der Teil der Materialbahn (2) aktiviert wird, der zumindest abschnittweise in Kontakt mit dem Andruckmittel (40) steht,
dadurch gekennzeichnet, dass durch das Positionieren eines verstellbaren Umlenkmittels (30) relativ zum Andruckmittel (40) eine Veränderung der Kontaktfläche der Materialbahn (2) mit dem Andruckmittel (40) über einen Umschlingungswinkel (44) erfolgt, wobei die Materialbahn (2) mit der Klebstoffschichtseite über das Umlenkmittel (30) geführt wird."
XI. In Hinblick auf die getroffene Entscheidung der Kammer bedarf es keiner Wiedergabe von Ansprüche der weiteren Hilfsanträge.
XII. Das entscheidungswesentliche Vorbringen der Parteien wird in den Gründen im Detail diskutiert.
1. Hauptantrag - Erfinderische Tätigkeit
1.1 Die Einspruchsabteilung identifizierte das Merkmal, dass die Energiequelle "so ausgelegt ist, dass sie das Andruckmittel (40) auf eine Aktivierungs- und/oder Verarbeitungstemperatur von 100°C bis 250°C aufheizt", als unterscheidendes Merkmal zwischen der Vorrichtung gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags und der aus D10 bekannten Vorrichtung (siehe angefochtene Entscheidung, Entscheidungsgründe, Punkt 9).
Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass das unterscheidende Merkmal unter Berücksichtigung des allgemeinen Fachwissens, wie aus D1 entnehmbar, zur Lösung der objektiven technischen Aufgabe naheliegend war, so dass der Hauptantrag nicht gewährbar war (angefochtene Entscheidung, Entscheidungsgründe, Punkt 9.3).
1.2 Die Patentinhaberin widerspricht dieser Feststellung der Einspruchsabteilung und macht dabei geltend, dass D10 keine Handhabung eines mit einer Klebstoffschicht versehenen Beschichtungsmaterials betreffe. Daher sei fraglich, ob diese Druckschrift einen geeigneten Ausgangspunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit biete.
Die mit dem identifizierten Unterscheidungsmerkmal verbundene Wirkung sei ein mit einer Klebstoffschicht versehenes Beschichtungsmaterial handhaben zu können, und dabei einen effizienten Temperatureintrag zu gewährleisten (siehe [0017] des Streitpatents).
Ausgehend von der Offenbarung von D10 sei die objektive technische Aufgabe nicht nur eine günstige Temperatur während der Applikation einer Materialbahn auf einem Werkstück bereitzustellen, sondern vielmehr das Einsatzspektrum der aus D10 bekannten Vorrichtung zu erweitern.
Ein Naheliegen ausgehend von D10 müsse grundsätzlich verneint werden, so die Patentinhaberin, weil D10 nicht die Handhabung von Beschichtungsmaterialien mit einer Klebstoffschicht zeige, so dass die dort offenbarte Vorrichtung grundsätzlich abgeändert werden müsste, um für Beschichtungsmaterial mit Klebstoffschicht geeignet zu sein.
Ein Naheliegen in Kombination mit der D1 sei auch auszuschließen, weil die dem Dokument D1 entnehmbare Vorrichtung kein verschiebbares Umlenkmittel aufweise und sich so grundsätzlich von der Vorrichtung gemäß D10 unterscheide. Aus Figur 4 von D1 ergebe sich, dass das Haftmittel bereits auf dem Werkstück aufgebracht wurde. Dokument D1 ziele darauf ab, die Erwärmung der Rolle 26 dazu zu nutzen, eine gleichmäßige Klebstoffverteilung zu erreichen. Eine Aktivierung des Klebstoffs durch die Rolle 26 erwähne D1 hingegen nicht. Daher habe der Fachmann keine Veranlassung, ein Merkmal aus D1 zur Lösung der objektiven technischen Aufgabe bei der bekannten Vorrichtung gemäß D10 einzusetzen.
1.3 Die Kammer kann sich diesen Argumenten nicht anschließen.
1.3.1 D10 als Startpunkt
Im Anspruch 1 ist keine Klebstoffschicht erwähnt und, wie die Einsprechende unter Punkt 4.2.2 ihrer Beschwerdeerwiderung bemerkt hat, nirgends definiert, dass die Materialbahn mit einer Klebstoffschicht versehen ist.
Die Kammer sieht keinen Grund zu der Annahme, dass der Fachmann die Vorrichtung gemäß D10 als gattungsfremd ansähe, weil dort ein Merkmal fehlt, das zwar in der Beschreibung des Streitpatents, aber nicht im beanspruchten Gegenstand, erwähnt ist.
Wie in der Rechtsprechung (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 9. Auflage 2019, II.A.6.1) festgestellt, ist ein weit gefasster Anspruch nicht eng auszulegen, auch wenn sich die engere Auslegung, wie im vorliegenden Fall, auf eine Struktur bezieht, die in der Beschreibung erwähnt ist.
Weil im Anspruch 1 das Vorsehen einer Klebstoffschicht auf der Materialbahn nicht angegeben ist, bietet D10, entgegen den Ausführungen der Patentinhaberin, einen geeigneten Startpunkt für die Diskussion der erfinderischen Tätigkeit des Gegenstands dieses Anspruchs.
1.3.2 Wirkung - Aufgabe
Wie die Einsprechende zutreffend bemerkt hat (siehe Beschwerdeerwiderung, Punkt 4.2.2), bezieht sich die von der Patentinhaberin definierte, mit dem identifizierten Unterscheidungsmerkmal verbundene Wirkung eines effizienten Temperatureintrags eher auf die Ausgestaltung des Andruckmittels als beheizte Walze (siehe Streitpatent, Absatz [0017]) als auf das Unterscheidungsmerkmal.
Ausgehend vom D10 ist somit die objektive technische Aufgabe darin zu sehen, eine geeignete Aktivierungs- und/oder Verarbeitungstemperatur des Andruckmittels (Kaschierkalanders) beim Kaschieren zu wählen (siehe Beschwerdeerwiderung der Einsprechenden, Punkt 4.2.3).
1.3.3 Diskussion der erfinderischen Tätigkeit
Die Kammer teilt die Auffassung der Einsprechenden (Beschwerdeerwiderung, Punkt 4.4), dass sich der Fachmann zur Lösung dieser Aufgabe der Lehre der D1 bediente, weil aus dieser Druckschrift die Erwärmung eines Andruckmittels auf eine zum Kaschieren geeignete Verarbeitungstemperatur von ungefähr 325 °F hervorgeht (Spalte 7, Zeilen 30 bis 32).
Dies entspricht einer Verarbeitungstemperatur (163°C) innerhalb des beanspruchten Wertebereichs von 100°C bis 250°C.
Somit belegt D1, dass es auf dem vorliegenden Fachgebiet für die Verarbeitung von Kunstharzen beim Kaschieren als eine allgemein übliche Maßnahme anzusehen ist, Verarbeitungstemperaturen des Andruckmittels im Wertebereich des Unterscheidungsmerkmals, insbesondere bei ungefähr 163°C, einzusetzen.
Wäre der Fachmann auf der Suche nach einer Lösung der zugrunde liegenden Aufgabe, eine geeignete Verarbeitungstemperatur für den Kaschierkalander des Dokuments D10 zu wählen, erhielte er aus Dokument D1 den direkten Hinweis, eine Temperatur von etwa 163°C innerhalb des Wertebereichs des Unterscheidungsmerkmals zu wählen.
Der Fachmann gelangt also durch Kombination der Lehren der Druckschriften D10 und D1 ohne Ausübung einer erfinderischen Tätigkeit zum Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag.
Folglich mangelt es, wie in der angefochtenen Entscheidung festgestellt, dem Gegenstand dieses Anspruchs in Anbetracht der Kombination der Lehren der Druckschriften D10 und D1 an einer erfinderischen Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ).
2. Hilfsantrag 1 - Erfinderische Tätigkeit
Weil Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 dem Anspruch 1 des Hauptantrags unstreitig entspricht und keine weiteren, spezifisch für den Hilfsantrag 1 formulierten Argumente vorgelegt wurden, entscheidet die Kammer, dass die Patentinhaberin aus den oben unter Punkt 1.3 zum Hauptantrag diskutierten Gründen nicht in überzeugender Weise dargelegt hat, dass die Entscheidung der Einspruchsabteilung zur mangelnden erfinderischen Tätigkeit des Gegenstands von Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 unrichtig ist (siehe Punkt 10 der angefochtenen Entscheidung).
3. Hilfsantrag 2 - Anspruch 1 - Erfinderische Tätigkeit
3.1 Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass das gegenüber dem Anspruch 1 gemäß Haupt- und Hilfsantrag 1 zum Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 hinzugefügte Merkmal,
"wobei das verschiebbare Umlenkmittel (30) so relativ zum Andruckmittel (40) angeordnet ist, dass die Materialbahn (2) über die Klebstoffschicht (3) mit dem verschiebbaren Umlenkmittel (30) in Kontakt kommt",
keine zusätzliche Einschränkung mit sich bringe, da die aus D10 bekannte Vorrichtung für die beanspruchte Führung der Materialbahn geeignet sei. Daher war das hinzugefügte Merkmal als nicht neu gegenüber der Vorrichtung gemäß D10 anzusehen (siehe angefochtene Entscheidung, Entscheidungsgründe, Punkt 11), so dass im Vergleich zum Anspruch 1 des Haupt- und Hilfsantrags 1 kein zusätzliches Unterscheidungsmerkmal im Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 vorhanden war.
Die Einspruchsabteilung entschied somit, dass auch der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 2 nicht erfinderisch war (angefochtene Entscheidung, Entscheidungsgründe, Punkt 11.1).
3.2 Die Patentinhaberin macht geltend, dass das in Anspruch 1 dieses Hilfsantrags aufgenommene Merkmal neu gegenüber D10 sei, weil D10 nicht die Eignung der Vorrichtung zur Handhabung einer Materialbahn mit einer Klebstoffschicht zeige (siehe Beschwerdebegründung der Patentinhaberin, Punkt 5.2).
Die erfinderische Tätigkeit sei bereits auf der Basis dieses Merkmals anzuerkennen, weil aus D10 auch keine Information zu entnehmen sei, aus der sich eine Eignung der dort beschriebenen Vorrichtung ergebe, eine eine Klebstoffschicht tragende Materialbahn zu handhaben.
Dieser Unterschied könne nicht naheliegend sein, weil im Stand der Technik keine Lehren vorhanden seien, wie die bekannte Vorrichtung für diesen komplett unterschiedlichen Einsatz abgeändert werden müsse.
Weil dieses Merkmal auch aus D1 nicht hervorgehe, siehe insbesondere Figur 4, sei es, entgegen der Feststellung der Einspruchsabteilung (siehe Punkt 11.1 der angefochtenen Entscheidung), nicht möglich anhand einer Kombination der Lehren von D10 und D1 zum Gegenstand dieses Anspruchs zu gelangen.
3.3 Die Einsprechende erwidert, dass das in Anspruch 1 dieses Hilfsantrags aufgenommene Merkmal nicht neu gegenüber der Offenbarung von D10 sei. Grund dafür sei, dass weder die Materialbahn noch eine eventuell auf die Materialbahn aufgebrachte Klebstoffschicht Teil der beanspruchten Vorrichtung seien.
Die Vorrichtung gemäß D10 sei geeignet, eine eine Klebstoffschicht tragende Materialbahn zu handhaben, und in diesem Fall käme die Materialbahn über die Klebstoffschicht mit dem verschiebbaren Umlenkmittel in Kontakt.
Für den Fall, dass die Kammer dieses Merkmal als neu erachten sollte, macht die Einsprechende geltend, dass dieses keinen Beitrag zur erfinderischen Tätigkeit leisten könne, weil sich aus dem hinzugefügten Merkmal keinerlei Vorteile oder Effekte ergäben.
3.4 Die Kammer ist weder von den Feststellungen der angefochtenen Entscheidung, noch von den Argumenten der Einsprechenden überzeugt, und schließt sich der Ansicht der Patentinhaberin an, dass ausgehend von D10 und unter Berücksichtigung des allgemeinen Fachwissens bzw. der D1, der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrags 2 als erfinderisch zu betrachten ist.
3.4.1 Dokument D10 offenbart eine Vorrichtung, bei der das Werkstück mit Klebstoff beschichtet wird und das verschiebbare Umlenkmittel (Umlenkwalze, Seite 79, Abbildung links oben) so relativ zum Andruckmittel (Kalanderwalze) angeordnet ist, dass eine Materialbahn (Papier oder Folie, Seite 79, dritte Spalte, Zeile 2) zwar mit der zu verklebende Seite (der Klebstoffschichtseite), aber nicht über die Klebstoffschicht mit dem Umlenkmittel (Umlenkwalze) in Kontakt kommt.
Entgegen den Ausführungen der Einsprechenden findet sich in D10 kein Hinweis, dass die dort beschriebene Vorrichtung dazu ausgelegt ist, eine eine Klebstoffschicht tragende Materialbahn zu verarbeiten.
Grund dafür ist, dass D10 nicht offenbart, dass das verschiebbare Umlenkmittel so beschaffen ist, dass dieses mit einer Materialbahn über eine Klebstoffschicht in Kontakt kommen kann, so dass die Vorrichtung geeignet sein kann, eine eine Klebstoffschicht tragende Materialbahn zu verarbeiten. Im Gegensatz zur beanspruchten Vorrichtung dient die aus D10 bekannte Vorrichtung dem Zweck, den Klebstoff nicht auf der Materialbahn, sondern auf dem Werkstück vorzusehen. Aufgrund dieses unterschiedlichen Konzepts in der Klebstoffpositionierung ist die Eignung der bekannten Vorrichtung für die anspruchsgemäße Führung einer Materialbahn mit Klebstoffschicht nicht ersichtlich.
Somit unterscheidet sich der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 2 von der bekannten Vorrichtung durch das unter obigem Punkt 3.1 genannte, hinzugefügte Merkmal.
3.4.2 Die Argumentationslinie der Einsprechende, dass das hinzugefügte Unterscheidungsmerkmal keinen Beitrag zur erfinderischen Tätigkeit leiste, weil es keinerlei Vorteile oder Effekte habe, kann die Kammer nicht überzeugen, weil es für den Fachmann offensichtlich ist, dass wenn die Materialbahn mit einer Klebstoffschicht beschichtet ist, die in D10 vorhandene Notwendigkeit entfällt, Klebstoff auf das Werkstück vor dem Kaschierkalander aufzutragen.
3.4.3 Ausgehend von D10, stellt, entgegen den Feststellungen der angefochtenen Entscheidung (Entscheidungsgründe, Punkt 11), die Lehre von D1 die erfinderische Tätigkeit nicht infrage, weil D1 lehrt (siehe Figur 4), dass die Klebstoffschicht (76) auf dem Werkstück aufgebracht wird, und dass die Materialbahn (27 in D1) beim Andruckmittel (26) in Kontakt mit einer Klebstoffschicht kommt.
Somit ist in D1 keine Anregung vorhanden, die bekannte Vorrichtung im Hinblick auf den beanspruchten, unterschiedlichen Einsatz abzuändern.
D1 kann somit die Lehre nicht vermitteln, dass die Vorrichtung nach D10 die Eignung aufweisen sollte, mit einer Klebstoffschicht auf der Materialbahn zu arbeiten, die in Kontakt mit dem in D10 vorgesehenen Umlenkmittel kommt.
4. Hilfsantrag 2 - Anspruch 7 - Erfinderische Tätigkeit
4.1 Die Einsprechende hat während der mündlichen Verhandlung die erfinderische Tätigkeit des Gegenstands des Anspruchs 7 des Hilfsantrags 2 ausgehend von D10 infrage gestellt und auf ihre diesbezüglichen schriftlichen Argumente verwiesen (siehe Beschwerdeerwiderung, Seite 23, Punkt 5.3), mit der zusätzlichen Bemerkung, dass Anspruch 7 gemäß Hilfsantrag 2 Anspruch 7 gemäß Hilfsantrag 1 entspreche.
4.2 Die Kammer ist von den Einwänden der Einsprechenden zu Anspruch 7 nicht überzeugt, insbesondere weil die Einsprechende keine Erklärung dafür vorgelegt hat, warum das dort beanspruchte Verfahren naheliegend sein sollte, obwohl dieses unter Verwendung der Vorrichtung aus Anspruch 1 stattfindet, die erfinderisch ist (siehe Punkt 3.4 oben).
5. Hilfsantrag 2 - Ausreichende Offenbarung
5.1 Die Einsprechende macht Einwände mangelnder Offenbarung mit dem Argument geltend, dass es an Informationen fehle, wie der Klebstoff beschaffen und auf die Materialbahn aufgebracht werden müsse, um die in der Beschreibung erwähnten Vorteile zu erzielen und die angegebene Aufgabe lösen. Es sei nicht ersichtlich, wie die beanspruchte Vorrichtung ermöglichen solle, Materialbahnen kurz nach dem Versehen mit Klebstoff einfach zu handhaben und für ein Auftragen auf ein Werkstück bereitzustellen.
Bei der Formulierung dieses Einwands bezieht sie sich auf T 815/07 und T 49/90. Der Fachmann sei aufgrund der Angaben in der Streitpatentschrift unter Benutzung seines Fachwissens nicht in der Lage, planmäßig und mit hinreichender Sicherheit den angestrebten Erfolg zu erzielen (siehe Punkt 1 der Beschwerdebegründung).
5.2 Die Kammer teilt dazu die Ansicht der Patentinhaberin (Punkt 2 der Beschwerdebegründung), dass diesem Einwand nicht zu folgen ist.
Grund dafür ist, dass nach der ständigen Rechtsprechung ein Einwand wegen mangelnder Offenbarung nicht damit begründet werden kann, dass das Patent es einem Fachmann nicht ermöglicht, eine technische Wirkung zu erzielen, die im Anspruch nicht definiert ist (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, supra, II.C.3.2).
Das Erfordernis der ausreichenden Offenbarung bezieht sich auf die in den Ansprüchen definierte Erfindung.
Dabei können nach Ansicht der Kammer die von der Einsprechenden angeführten Entscheidungen der Beschwerdekammern nicht zu einer anderen Beurteilung führen und eine Grundlage dafür bieten, das Erfordernis der ausreichenden Offenbarung auf Aspekte auszudehnen, die nur möglicherweise mit der Erfindung zusammenhängen (z.B. in der Beschreibung erwähnte technische Wirkungen), aber für den Anspruchsgegenstand nicht zwingend erforderlich sind.
5.3 Die Einsprechende argumentiert auch, dass die Ansprüche 1 und 7 gemäß Hilfsantrag 2 nicht nacharbeitbar seien, weil dort ein Umschlingungswinkel definiert sei, der bei einem Umlenkmittel und/oder Andruckmittel, das nicht als Walze oder Rolle ausgebildet sei (z.B. als Schuh oder Andruckleiste), keinen Sinn ergebe. Der Wortlaut dieser Ansprüche umfasse nicht ausführbare Ausführungsformen, so dass eine Ausführbarkeit über die gesamte Breite der beanspruchten Erfindung nicht vorliege.
5.4 Die Kammer kann sich diesem Einwand auch nicht anschließen und teilt dabei die durch die Patentinhaberin vertretene Auffassung (Beschwerdeerwiderung der Patentinhaberin, Punkt 2.3), dass der Fachmann in der Lage ist, die beanspruchte Erfindung auszuführen, weil durch das im Streitpatent beschriebene und in Figur 1 des Streitpatents gezeigte Ausführungsbeispiel dem Fachmann ein Weg zur Ausführung der Erfindung eindeutig aufgezeigt wird (Artikel 83 EPÜ).
6. Hilfsantrag 2 - Unzulässige Erweiterung
6.1 Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 umfasst unter anderem das Merkmal, dass
"ein verschiebbares Umlenkmittel (30) zur Werkstücksoberfläche (8) automatisch und/oder manuell verschiebbar gelagert ist, so dass es eine Verstellung des Umschlingungswinkels (44) ermöglicht".
6.2 Dieses Merkmal führe nach Auffassung der Einsprechenden zu einer unzulässigen Erweiterung des Gegenstands von Anspruch 1 aufgrund des Weglassens von "vorzugsweise senkrecht" gegenüber den ursprünglich eingereichten Anmeldungsunterlagen (siehe ursprünglicher Anspruch 5 sowie Absatz [0016] der Beschreibung der Offenlegungsschrift EP 2 433 769 A1).
Der Entfall der Richtungsangabe "senkrecht" sei eine Erweiterung, weil der Ausdruck "vorzugsweise" sich nur auf die automatische Verschiebbarkeit beziehe und nicht auf die manuelle Verschiebbarkeit, die nach den ursprünglich eingereichten Anmeldungsunterlagen immer senkrecht zur Werkstückoberfläche erfolgen müsse.
Die Einspruchsabteilung habe diese Interpretationsmöglichkeit unsachgemäß als fernliegend qualifiziert, weil viel Interpretationsspielraum durch die Streichung der Wörter "vorzugsweise senkrecht" entstehe (siehe Beschwerdebegründung der Einsprechende, Punkt 2), vor allem weil die Bezugnahme auf die Werkstückoberfläche nicht klar sei.
6.3 Die Kammer ist von dieser Argumentationslinie nicht überzeugt.
Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass die Streichung der Wörter "vorzugsweise senkrecht" keine unzulässige Erweiterung bewirkt, weil die Richtung "senkrecht" nur als eine bevorzugte Ausführungsform offenbart ist.
Die Einsprechende hat geltend gemacht, dass für den Fachmann nur das Merkmal "senkrecht zur Werkstückoberfläche" ursprünglich als optional offenbart sei und nicht überzeugend erklärt, warum "vorzugsweise senkrecht" nicht als optionale Richtungsangabe angesehen werden könne, in der sich das Umlenkmittel zur Werkstückoberfläche in einer bestimmten Ausführungsform bewegen kann.
Die Einsprechende hat zur Erhebung dieses Einwands eine Interpretation des ursprünglichen Anspruchs 5 in den Raum gestellt, aber nicht erklärt, warum die in der angefochtenen Entscheidung vertretene Interpretation nicht korrekt sei, d. h. hat nicht erklärt, warum "vorzugsweise" ausschließlich auf die automatische Verschiebbarkeit und keinesfalls auf die manuelle Verschiebbarkeit zu beziehen und das optionale Merkmal nicht "senkrecht", sondern "senkrecht zur Werkstoffoberfläche" sei.
Die Einsprechende hat somit nicht überzeugend dargelegt, warum eine manuelle Verschiebbarkeit, die nicht senkrecht zur Werkstücksfläche ist, in den ursprünglich eingereichten Unterlagen nicht offenbart war.
6.4 Zum Hilfsantrag 2 macht die Einsprechende auch geltend, dass der Gegenstand von Anspruch 1 unzulässig erweitert sei, weil nur ein Teilmerkmal des ursprünglichen Anspruchs 5 aufgenommen worden sei (siehe Punkt 6 der Beschwerdeerwiderung).
6.5 Die Kammer ist auch von dieser Argumentationslinie nicht überzeugt, weil (siehe Punkt 5.1 der Beschwerdebegründung der Patentinhaberin) alle Merkmale des ursprünglichen Anspruchs 5 im Anspruch 1 aufgenommen sind.
6.6 Somit ist die Kammer nicht überzeugt, dass der Gegenstand von Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 nicht die Erfordernisse von Artikel 123 (2) EPÜ erfüllt.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen mit der Auflage, das Patent in geänderter Fassung auf Grundlage der Ansprüche 1 bis 12 des mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hilfsantrags 2 und einer anzupassenden Beschreibung aufrechtzuerhalten.