T 1442/18 09-07-2021
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Dimaleat einer Aminocrotonylverbindung und Verfahren zu ihrer Herstellung
Boehringer Ingelheim International GmbH
Boehringer Ingelheim Pharma GmbH & Co. KG
Erfinderische Tätigkeit
Änderungen
I. Die vorliegende Entscheidung betrifft die Beschwerde der Einsprechenden (Beschwerdeführerin) gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung (angefochtene Entscheidung), den Einspruch gegen das europäische Patent Nr. 2 508 521 (Streitpatent) zurückzuweisen.
II. Im Einspruchsverfahren hatte die Beschwerdeführerin den Widerruf des Streitpatents im gesamten Umfang wegen fehlender Neuheit und fehlender erfinderischer Tätigkeit beantragt.
III. Die folgenden Dokumente aus dem Verfahren vor der Einspruchsabteilung sind für die vorliegende Entscheidung relevant:
D1 WO 02/50043 A1
D3 Handbook of Pharmaceutical Salts: Properties,
Selection, and Use (2002), VHCA, Verlag Helvetica Chimica Acta, Zürich, und Wiley-VCH, Weinheim, Seiten 1 bis 7, 161 bis 189, 192 bis 220, 237 bis 247, 329 bis 350
D3a Handbook of Pharmaceutical Salts: Properties,
Selection, and Use (2002), VHCA, Verlag Helvetica Chimica Acta, Zürich, und Wiley-VCH, Weinheim, Seiten 135 bis 160
D4 Bastin, R. J., Bowker, M. J., Slater, B. J., Salt
Selection and Optimisation Procedures for Pharmaceutical New Chemical Entities, Organic Process Research & Development, 2000, 4, Seiten 427 bis 435
D6 Gould, P. L., Salt Selection for basic drugs,
International Journal of Pharmaceutics, 1986, 33, Seiten 201 bis 217
D8 WO 2012/121764 A1
D11 Versuchsbericht "AFATINIB salts"
D18 Versuchsbericht "4-[(3-Chlor-4-fluorphenyl)
amino]-6-{[4-(N,N-dimethylamino)-1-oxo-2-buten-1-yl]-amino}-7-((S)-tetrahydrofuran-3-yloxy)-chinazolin dimaleate Physicochemical and pharmacological properties"
D19 **(Pr)GIOTRIF**(®) Product Monograph
D20 CRC Handbook of Chemistry and Physics, 75. Auf-
lage, Seite "8-46"
D25 Versuchsbericht "Porocilo o testiranju fizikalno-
kemijskih lastnosti substance - AFATINIB"
D26 Versuchsbericht "AFATINIB - ANALYTICAL REPORT"
Des Weiteren wird in der Folge Bezug genommen auf die experimentellen Daten der Patentinhaberinnen (Beschwerdegegnerinnen) in ihrem Schriftsatz vom 22. Dezember 2017.
IV. Die Einspruchsabteilung entschied, dass der Gegenstand des erteilten Anspruchs 4 (zum Wortlaut, vgl. Punkt 3) gegenüber D1 neu sei und ausgehend von diesem Dokument als nächstliegendem Stand der Technik auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Dabei kam die Einspruchsabteilung insbesondere zu dem Schluss, dass die Bereitstellung eines kristallinen Afatinib-Salzes, d. h. von kristallinem Afatinib Dimaleat, an sich schon unerwartet gewesen sei und dass eine erfinderische Tätigkeit auch ohne Vergleichsversuche zum nächstliegenden Stand der Technik anzuerkennen sei. Vergleichsversuche könnten aber dennoch als zusätzliche Absicherung der Anerkennung der erfinderischen Tätigkeit herangezogen werden. Dabei müssten sich Vergleichsversuche aber nur auf Beispiele oder sonst bereits in der D1 hergestellte Verbindungen beziehen, wie die freie Base von Afatinib. Vergleiche zu Verbindungen, die lediglich von der Lehre der D1 umfasst, aber darin nicht explizit offenbart seien, könnten hingegen nicht verlangt werden.
V. Mit ihrer Beschwerdebegründung reichte die Beschwerdeführerin unter anderem die folgenden Dokumente ein:
D33 WO 2015/103456 A1
D34 Versuchsbericht "Preparation of afatinib
dimaleate form B according to Example 5 of WO2012/121764, and afatinib dimaleate form M according to Example 22 of WO2015/103456"
D35 Versuchsbericht "Uptake of water of afatinib
dimaleate anhydrous forms B and M"
VI. Mit ihrer Beschwerdeerwiderung reichten die Beschwerdegegnerinnen Anspruchsätze der Hilfsanträge 1 bis 4 ein.
VII. Antragsgemäß wurden die Parteien zu einer mündlichen Verhandlung geladen. Zu deren Vorbereitung erließ die Kammer eine Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2020 mit einer vorläufigen Stellungnahme zu bestimmten entscheidungserheblichen Punkten.
VIII. Die mündliche Verhandlung vor der Kammer fand am 9. Juli 2021 in Anwesenheit der Parteien statt. Während dieser trugen die Beschwerdegegnerinnen zum ersten Mal im Beschwerdeverfahren vor, dass die in D25 und D26 von der Beschwerdeführerin zum Vergleich herangezogenen Afatinib-Salze nicht nacharbeitbar seien. Diesen Einwand nahmen sie später zurück, betonten aber, dass nicht erkennbar sei, worum es sich bei der in D26 genannten "dimaleate form R" handele. Am Ende der mündlichen Verhandlung verkündete der Vorsitzende den Tenor der vorliegenden Entscheidung.
IX. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Streitpatents im gesamten Umfang.
Die Beschwerdegegnerinnen beantragten
- die Zurückweisung der Beschwerde
- hilfsweise die Aufrechterhaltung des Streitpatents in geänderter Fassung basierend auf den Anspruchssätzen der Hilfsanträge 1 bis 4 eingereicht mit ihrer Beschwerdeerwiderung.
X. Das für die vorliegende Entscheidung relevante Beschwerdevorbringen der Beschwerdeführerin kann wie folgt zusammengefasst werden.
Der Gegenstand von Anspruch 4 sei nicht neu gegenüber dem nächstliegenden Stand der Technik D1. Allerhöchstens unterscheide sich dieser Gegenstand von D1 dadurch, dass ein spezielles Afatinib-Salz beansprucht werde, nämlich das Dimaleat. Weder aus dem Schriftsatz der Beschwerdegegnerinnen vom 22. Dezember 2017 noch aus D18 ließen sich verbesserte Eigenschaften für Afatinib Dimaleat im Vergleich zu anderen Afatinib-Salzen ableiten, insbesondere nicht hinsichtlich einer verbesserten Löslichkeit, Stabilität, Hygroskopizität und/oder Kristallinität/Kristallisationsneigung. Ferner belege D25, dass Afatinib Succinat und Afatinib Dihydrochlorid eine höhere Löslichkeit in Wasser und verschiedenen Puffer-Medien aufweisen würden, und D26, dass Afatinib Dihydrochlorid und Afatinib Dioxalat stabiler seien als die streitpatentgemäße Form A von Afatinib Dimaleat. Zwar weise die streitpatentgemäße Form A von Afatinib Dimaleat eine sehr geringe Hygroskopizität auf, doch sei Anspruch 4 nicht auf diese Form beschränkt. Dieser umfasse auch weitere kristalline Formen von Afatinib Dimaleat. Die in D8 und D33 offenbarten wasserfreien und kristallinen Formen B bzw. M von Afatinib Dimaleat seien wesentlich stärker hygroskopisch als die streitpatentgemäße Form A und auch hygroskopischer als Afatinib-Salze von Säuren, welche in D1 neben Maleinsäure zur Salzbildung vorgeschlagen würden. Der für die Form A beobachtete technische Effekt einer geringen Hygroskopizität könne daher nicht über die gesamte Breite von Anspruch 4 erzielt werden. Hinsichtlich der Kristallinität und Kristallisationsneigung bestehe ein Widerspruch zwischen D18 und dem Schriftsatz der Beschwerdegegnerinnen vom 22. Dezember 2017. So seien im genannten Schriftsatz Afatinib-Salze als kristallin beschrieben, welche laut D18 vermeintlich ausschließlich in amorpher Form zugänglich seien. Darüber hinaus seien weitere kristalline Afatinib-Salze auch in D8 offenbart. In D11 habe die Beschwerdeführerin gezeigt, dass Afatinib Succinat und Afatinib L-Lactat in kristalliner Form erhältlich seien. Folglich könne nicht der Schluss gezogen werden, dass es zum Anmeldezeitpunkt schwierig gewesen sei, ein kristallines Afatinib-Salz in Form von kristallinem Afatinib Dimaleat bereitzustellen. Im Übrigen seien die von den Beschwerdegegnerinnen geltend gemachten Effekte nicht in der Anmeldung in ihrer ursprünglich eingereichten Fassung plausibel gemacht worden. Die objektive technische Aufgabe könne daher lediglich in der Bereitstellung eines Salzes von Afatinib gesehen werden, welches sich zur pharmazeutischen Verwendung eigne. Schon D1 schlage Maleinsäure als Säure zur Salzbildung vor. Darüber hinaus hätte der Fachmann den Einsatz zweier Äquivalente von Maleinsäure im Vergleich zu Afatinib als erfolgsversprechend angesehen vor dem Hintergrund (i) der pKa-Werte der beiden Carboxylgruppen von Maleinsäure, (ii) der pKa-Werte der beiden protonierten Gruppen in Afatinib und (iii) dem aus dem allgemeinen Fachwissen bekannten Erfordernis, dass zur Salzbildung ein ausreichend großer pKa-Unterschied bestehen müsse zwischen der Säure und der protonierten Form der Base. Der Gegenstand von Anspruch 4 des Hauptantrags beruhe demnach nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Der Gegenstand von Anspruch 4 des Hilfsantrags 1 sei aus den gleichen Gründen nicht erfinderisch wie Anspruch 4 des Hauptantrags.
Die Anmeldung in ihrer ursprünglich eingereichten Fassung offenbare mittels Röntgendiffraktometrie bestimmte Reflexe nur für die streitpatentgemäße Form A von Afatinib Dimaleat. Die zugehörige Liste von Reflexen sei aber nicht vollständig in Anspruch 4 der Hilfsanträge 2 und 3 aufgenommen worden. Mithin erfülle Anspruch 4 der Hilfsanträge 2 und 3 nicht die Erfordernisse von Artikel 123 (2) EPÜ.
Der Gegenstand von Anspruch 4 des Hilfsantrags 4 sei nicht erfinderisch ausgehend von der in D1 offenbarten wasserfreien freien Base von Afatinib. Insbesondere hätten die Beschwerdegegnerinnen keinen Vergleich zwischen der anspruchsgemäßen Form A von Afatinib Dimaleat und der freien Base von Afatinib vorgelegt. Ein technischer Effekt könne daher nicht anerkannt werden. Die objektive technische Aufgabe müsse in der Bereitstellung einer Alternative gesehen werden. Es gehöre zum routinemäßigen Vorgehen des Fachmanns, Salze eines pharmazeutischen Wirkstoffs bereitzustellen. Ferner könne das Auffinden einer definierten kristallinen Form ohne einen mit ihr verbundenen technischen Effekt laut ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern keine erfinderische Tätigkeit begründen. Der Gegenstand von Anspruch 4 des Hilfsantrags 4 beruhe demnach nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
XI. Das für die vorliegende Entscheidung relevante Beschwerdevorbringen der Beschwerdegegnerinnen kann wie folgt zusammengefasst werden.
D1 sei der nächstliegende Stand der Technik. Um ausgehend von D1 zum Gegenstand von Anspruch 4 des Hauptantrags zu gelangen, müsse viermal aus der Offenbarung der D1 ausgewählt werden. Der Gegenstand von Anspruch 4 sei demnach neu. Das anspruchsgemäße Afatinib Dimaleat weise eine Kombination vorteilhafter Eigenschaften hinsichtlich Löslichkeit, Stabilität, Hygroskopizität und Kristallinität/Kristallisationsneigung auf. Dies hätten die Beschwerdegegnerinnen mit ihren Ergebnissen für die streitpatengemäße Form A von Afatinib Dimaleat in D18 und in ihrem Schriftsatz vom 22. Dezember 2017 belegt. Aus den in D26 angestellten Stabilitätsvergleichen ließen sich keine überzeugenden Rückschlüsse ziehen, da über den Zersetzungsmechanismus der verglichenen Salze nichts bekannt sei und insbesondere nichts darüber, welchen Einfluss die schon vorhandenen aber unterschiedlich großen Mengen an Verunreinigungen auf diesen hätten. Die in D25 und D26 angestellten Vergleiche seien im Übrigen alleine schon deswegen nicht aussagekräftig, weil sich die Beschwerdeführerin lediglich der in D18 angegebenen Messergebnisse bedient habe, ohne die streitpatentgemäße Form A von Afatinib Dimaleat selber zu vermessen. Die aus D8 und D33 bekannten kristallinen Formen B und M von Afatinib Dimaleat seien nachveröffentlicht und dürften daher bei einem Einwand mangelnder erfinderischer Tätigkeit nicht berücksichtigt werden. Dass die Beschwerdegegnerinnen in ihrem Schriftsatz vom 22. Dezember 2017 solche Afatinib-Salze als kristallin beschrieben hätten, die sie zuvor (D18) nur in amorpher Form hätten erhalten können, sei eine korrekte Darstellung der experimentellen Ergebnisse. Der Unterschied sei einem unterschiedlichen Gehalt an Verunreinigungen in den Ausgangsmaterialien geschuldet. Die Ergebnisse würden belegen, dass Afatinib-Salze schwer zu kristallisieren seien. Die von der Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang angeführten und aus D8 bekannten kristallinen Afatinib-Salze seien nachveröffentlicht. Auch D11 könne wenn überhaupt nur belegen, dass die Kristallisation von Afatinib-Salzen schwierig sei. Die objektive technische Aufgabe sei daher in der Bereitstellung einer Form von Afatinib mit vorteilhaften Eigenschaften zu sehen. Dass diese Aufgabe durch Afatinib Dimaleat gelöst werde, sei überraschend. Der Gegenstand von Anspruch 4 des Hauptantrags beruhe demnach auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Der Gegenstand von Anspruch 4 des Hilfsantrags 1 beruhe aus den gleichen Gründen auf einer erfinderischen Tätigkeit wie Anspruch 4 des Hauptantrags.
Die streitpatentgemäße Form A von Afatinib Dimaleat sei mittels Röntgendiffraktometrie vermessen worden. Die zugehörigen Reflexe seien in der Tabelle auf Seite 11 in der Anmeldung in ihrer ursprünglich eingereichten Fassung offenbart. Es sei allgemeines Fachwissen, dass zur Charakterisierung einer kristallinen Form wie der Form A nur die Reflexe mit der höchsten relativen Intensität nötig seien. Durch die Beschränkung auf Reflexe mit einer relativen Mindestintensität von > 20% und > 10% in Anspruch 4 der Hilfsanträge 2 bzw. 3 werde somit keine andere Verbindung beansprucht. Dass dies gewährbar sein müsse, ließe sich auch aus der in der Entscheidung T 1684/16 gegebenen Begründung ableiten. Der Gegenstand von Anspruch 4 der Hilfsanträge 2 und 3 könne somit nicht über den Gegenstand der Anmeldung in ihrer ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehen.
Der Gegenstand von Anspruch 4 des Hilfsantrags 4 sei auf die streitpatentgemäße Form A von Afatinib Dimaleat gerichtet. Wie von den Beschwerdegegnerinnen vorgetragen und von der Beschwerdeführerin in D35 bestätigt, habe diese Form von allen getesteten Salzen die geringste Hygroskopizität. Der Kammer sei daher zuzustimmen, dass die objektive technische Aufgabe mindestens in der Bereitstellung einer weiteren physiologisch verträglichen Verbindung mit äußerst geringer Hygroskopizität gesehen werden müsse. Weder D1 noch eines der anderen entgegengehaltenen Dokumente lieferten, ausgehend von der in D1 offenbarten freien Base von Afatinib, einen Hinweis in Richtung der nun beanspruchten Form. Der Gegenstand von Anspruch 4 des Hilfsantrags 4 beruhe demnach auf einer erfinderischen Tätigkeit.
1. In ihrem Bescheid gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2020 hatte die Kammer darauf hingewiesen, dass die Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerdebegründung lediglich pauschal auf die Einspruchsgründe gemäß Artikel 100 b) und 100 c) EPÜ verwiesen hatte, dass diese Einspruchsgründe jedoch weder Gegenstand des Einspruchsverfahrens gewesen noch im vorliegenden Beschwerdeverfahren substanziiert worden waren. In der mündlichen Verhandlung darauf angesprochen, verzichtete die Beschwerdeführerin auf weitergehende Ausführungen. Das vorliegende Beschwerdeverfahren war demnach auf den Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 a) EPÜ beschränkt (G 10/91 (Abl. 1993, 420), Nr. 3 der Entscheidungsformel).
2. Der Hauptantrag der Beschwerdegegnerinnen ist auf die Zurückweisung der Beschwerde und damit vorliegend auf die Aufrechterhaltung des Streitpatents in ungeänderter Fassung gerichtet.
3. Die Einwände der Beschwerdeführerin richteten sich ausschließlich gegen den erteilten unabhängigen Anspruch 4. Dieser lautet:
"4-[(3-Chlor-4-fluorphenyl)amino]-6-{[4-(N,N-dimethylamino)-1-oxo-2-buten-1-yl]-amino}-7-((S)-tetrahydrofuran-3-yloxy)-chinazolin Dimaleat."
In Übereinstimmung mit beiden Parteien wird die in Anspruch 4 genannte Verbindung 4-[(3-Chlor-4-fluor-phenyl)amino]-6-{[4-(N,N-dimethylamino)-1-oxo-2-buten-1-yl]-amino}-7-((S)-tetrahydrofuran-3-yloxy)-chinazolin in der Folge als Afatinib bezeichnet. Sie hat die folgende Struktur:
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
Anspruch 4 ist mithin gerichtet auf eine konkrete Verbindung, nämlich das Dimaleinsäure-Salz von Afatinib. Anspruch 4 schränkt jedoch die Festkörperstruktur von Afatinib Dimaleat in keinster Weise ein. In den Gegenstand von Anspruch 4 fallen somit nicht nur die einzige im Streitpatent offenbarte kristalline Form von Afatinib Dimaleat (diese wird in der Folge in Übereinstimmung mit den Parteien als 'Form A' bezeichnet), sondern auch weitere kristalline Formen (d. h. weitere Polymorphe) von Afatinib Dimaleat.
Hauptantrag - Neuheit (Artikel 54 EPÜ)
4. Der einzige Neuheitseinwand der Beschwerdeführerin basierte auf D1.
D1 (Seite 1, Zeilen 6 bis 16) betrifft
"... Chinazolinderivate der allgemeinen Formel
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
deren Tautomere, deren Stereoisomere und deren Salze, insbesondere deren physiologisch verträgliche Salze mit anorganischen oder organischen Säuren ..."
(Hervorhebung hinzugefügt)
Des Weiteren offenbart D1 (Seite 16, Zeilen 18 bis 23), dass zur Überführung der Verbindungen der obigen Formel I in ihre physiologisch verträglichen Salze
"... Salzsäure, Bromwasserstoffsäure, Schwefelsäure, Methansulfonsäure, Phosphorsäure, Fumarsäure, Bernsteinsäure, Milchsäure, Zitronensäure, Weinsäure oder Maleinsäure ..."
eingesetzt werden können. Darüber hinaus wird Afatinib in Listen von Verbindungen genannt, welche gemäß der obigen Formel I ausgebildet sind (Seite 30, Zeilen 2 bis 5 (Beispiel 1(10)); Anspruch 4, Verbindung (j)).
5. Vor diesem Hintergrund argumentierten die Beschwerdegegnerinnen, dass es einer viermaligen Auswahl aus der Offenbarung der D1 bedürfe, um zum Gegenstand von Anspruch 1 zu gelangen:
i) Salze seien aus den Tautomeren, den Stereoisomeren und den Salzen auszuwählen,
ii) Afatinib sei aus den Listen von Verbindungen gemäß Formel I auszuwählen,
iii) Maleinsäure sei aus den zur Salzbildung vorgeschlagenen Säuren auszuwählen und
iv) unter den zwischen Afatinib und Maleinsäure bildbaren Salzen sei dasjenige mit der anspruchsgemäßen Stöchiometrie auszuwählen, d. h. das Di-Maleat.
Da es in D1 einen klaren Hinweis ("Pointer") auf die Bevorzugung von Salzen gibt (vgl. die Hervorhebung oben in der Passage auf Seite 1, Zeilen 6 bis 16), kann die Kammer den Beschwerdegegnerinnen nicht dahingehend zustimmen, dass die Beschränkung auf ein solches in Anspruch 4 einer Auswahl aus D1 gleichkomme. Im Übrigen akzeptiert die Kammer aber zugunsten der Beschwerdegegnerinnen, dass es sich bei den Punkten ii) bis iv) um Merkmale handelt, hinsichtlich derer sich der Gegenstand von Anspruch 4 von D1 unterscheidet. Wie auch schon in der angefochtenen Entscheidung festgestellt, ist somit der Gegenstand von Anspruch 4 neu gegenüber D1.
Hauptantrag - Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)
6. Die Parteien betrachteten übereinstimmend D1 als den nächstliegenden Stand der Technik. Die Kammer sah keine Veranlassung, von dieser einhelligen Auffassung abzuweichen.
7. Bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit gilt es die Frage zu beantworten, ob die obigen Auswahlen aus der Offenbarung der D1, d. h. die Unterscheidungsmerkmale ii) bis iv), mit einem technischen Effekt verbunden sind oder nicht. Da bei der vorliegenden Betrachtung von Salzen der Verbindungen der Formel I ausgegangen wird, hält es die Kammer, entgegen der in der angefochtenen Entscheidung vertretenen Auffassung, zum Nachweis eines mit der/den Auswahl(en) verbundenen technischen Effekts für erforderlich, dass ein Vergleich vorgenommen wird zwischen Afatinib Dimaleat auf der einen Seite und weitere Salzen, die von der oben geschilderten Offenbarung mitumfasst sind (wie beispielsweise Salze von Afatinib gebildet mit Salzsäure, Bromwasserstoffsäure, Schwefelsäure, Methansulfonsäure, Phosphorsäure, Fumarsäure, Bernsteinsäure, Milchsäure, Zitronensäure oder Weinsäure).
7.1 Von den Beschwerdegegnerinnen wurde zum Nachweis eines technischen Effekts auf die folgenden Eigenschaften von Afatinib Dimaleat hingewiesen: Löslichkeit, Stabilität, Kristallinität/Kristallisationsneigung und Hygroskopizität. Diese Eigenschaften werden im Streitpatent (Absätze [0018] bis [0021]) und in der Anmeldung in ihrer ursprünglich eingereichten Fassung (in der Folge der Einfachheit halber als die 'ursprüngliche Anmeldung' bezeichnet) angesprochen (siehe dort Seite 9, Absatz 3 bis Seite 10, Absatz 2). Entgegen dem Vorbringen der Beschwerdeführerin hält es die Kammer daher für plausibel, dass eine sich auf eine oder mehrere dieser Eigenschaften stützende Erfindung schon am Anmeldetag des Streitpatents gemacht worden war. In diesem Zusammenhang eingereichte nachveröffentlichte Dokumente der Beschwerdegegnerinnen sind daher vorliegend bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit zu berücksichtigen (Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, neunte Auflage, 2019, I.D.4.6 und dort zitierte Entscheidungen). Diese Auffassung wurde von der Kammer im Übrigen schon in ihrer Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2020 vertreten und in der mündlichen Verhandlung von der Beschwerdeführerin nicht in Frage gestellt.
7.2 Zu den oben genannten Eigenschaften im Einzelnen
7.2.1 Löslichkeit
In dem von den Beschwerdegegnerinnen eingereichten Versuchsbericht D18 (Punkt 5.2) wird die Löslichkeit der streitpatentgemäßen Form A von Afatinib Dimaleat in verschiedenen Medien angegeben. Vergleiche mit anderen Salzen, die einen Rückschluss zulassen könnten hinsichtlich der Auswahl von Afatinib, Maleinsäure und/oder deren Stöchiometrie zueinander, werden hingegen nicht angestellt.
Der von der Beschwerdeführerin eingereichte Versuchsbericht D25 stellt die Löslichkeiten von Afatinib Succinat und Afatinib Dihydrochlorid derjenigen der streitpatentgemäßen Form A von Afatinib Dimaleat gegenüber. In ihrer Beschwerdeerwiderung (Seite 8, drittletzter Absatz) trugen die Beschwerdegegnerinnen ohne weitere Begründung vor, dass sich die einzigen vergleichbaren Daten in D25 auf den Phosphatpuffer bei pH 7,0 und 7,5 beziehen würden, wobei in beiden Fällen jedoch die streitpatengemäße Form A von Afatinib Dimaleat sowohl dem Succinat als auch dem Dihydrochlorid überlegen sei. Diesbezüglich hatte die Kammer in ihrem Bescheid gemäß Artikel 15(1) VOBK 2020 die vorläufige Auffassung vertreten, dass dieser Schluss nicht gezogen werden kann, weil die jeweiligen Löslichkeiten nur in Form von sich überschneidenden Bereichen angegeben sind. Dies wurde von den Beschwerdegegnerinnen in der mündlichen Verhandlung nicht in Frage gestellt. Folglich lassen sich auch aus D25 keine Rückschlüsse ziehen hinsichtlich der Auswahl von Afatinib, Maleinsäure und/oder deren Stöchiometrie zueinander.
7.2.2 Stabilität
In dem von den Beschwerdegegnerinnen eingereichten Versuchsbericht D18 (Punkt 3.2) wird die Stabilität der streitpatentgemäßen Form A von Afatinib Dimaleat unter verschiedenen Bedingungen (Lagerzeit, Temperatur, relative Luftfeuchtigkeit) angegeben. Vergleiche mit anderen Salzen, die einen Rückschluss zulassen könnten hinsichtlich der Auswahl von Afatinib, Maleinsäure und/oder deren Stöchiometrie zueinander, werden hingegen nicht angestellt.
Der von der Beschwerdeführerin eingereichte Versuchsbericht D26 stellt die Stabilität der streitpatentgemäßen Form A von Afatinib Dimaleat der von Afatinib Dihydrochlorid, Afatinib Dioxalat und einer "dimaleate form R" gegenüber. Die Kammer stimmt mit den Beschwerdegegnerinnen darin überein, dass nicht ersichtlich ist, worum es sich bei der "dimaleate form R" handelt, und insbesondere nicht, wie diese erhalten werden kann (vgl. Punkt VIII oben). Diese Verbindung wird daher in der Folge nicht weiter berücksichtigt. Ebenso wenig wird das Salz Afatinib Dioxalat berücksichtigt, da dieses für einen Vergleich des streitpatentgemäßen Afatinib Dimaleats mit D1, welches zur Salzbildung keine Oxalsäure vorschlägt, nicht relevant ist.
Die streitpatentgemäße Form A weist zu Beginn der Messung Unreinheiten in einer Menge von 0,6% auf. Bei einer Lagerung bei 25 °C und 60% relativer Luftfeuchte (40 °C und 75% relativer Luftfeuchte) steigt dieser Anteil nach vier Wochen auf 0,7% (1,4%) und nach acht Wochen auf 0,8% (2,1%) an. Im Vergleich dazu weist das Dihydrochlorid zu Beginn der Messung Unreinheiten in einer Menge von <0,05% auf. Nach vier bzw. acht Wochen Lagerung unter den zuvor genannten Bedingungen erhöht sich dieser Anteil wenn überhaupt nur sehr geringfügig (nach vier Wochen: <0,05% (0,09%); nach acht Wochen: 0,09% (0,10%)). Die beobachtbaren Trends sieht die Kammer als Beleg dafür an, dass sich die streitpatentgemäße Form A von Afatinib Dimaleat mindestens genauso schnell zersetzt wie Afatinib Dihydrochlorid und mithin hinsichtlich der Stabilität keinen Vorteil bietet. Somit ist also auch hinsichtlich der Stabilität nicht ersichtlich, weshalb die Auswahl von Afatinib, Maleinsäure und/oder deren Stöchiometrie zueinander mit einem technischen Effekt verbunden sein sollte.
An dieser Stelle sei angemerkt, dass die Beschwerdegegnerinnen die von der Beschwerdeführerin in D26 gezogenen Vergleiche generell für ungeeignet hielten. So habe die Beschwerdeführerin die Stabilitätsdaten der streitpatengemäßen Form A von Afatinib Dimaleat lediglich aus D18 übernommen. Die Stabilität dieser Form habe sie aber nicht gleichzeitig beispielsweise mit der des Dihydrochlorids bestimmt. Auch sei über den Zersetzungsmechanismus der verglichenen Salze nichts bekannt und insbesondere darüber, welchen Einfluss die schon vorhandenen aber unterschiedlich großen Mengen an Verunreinigungen auf diesen hätten. Diese Argumente sind insofern nicht relevant als bei ihrer Berücksichtigung D26 bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit gänzlich außen vor zu bleiben hätte, womit sich aber an der obigen, dann allein auf D18 basierenden Schlussfolgerung, nichts ändern würde.
7.2.3 Hygroskopizität
In ihrer Eingabe vom 22. Dezember 2017 haben die Beschwerdegegnerinnen gezeigt, dass die streitpatentgemäße Form A von Afatinib Dimaleat von den getesteten Salzen die geringste Hygroskopizität aufweist. Die mittels DVS ('dynamic vapour sorption') bestimmte Menge an Wasser, die von dieser Form A bis zu einer relativen Luftfeuchte von 80% aufgenommen wird, nämlich < 0,5%, wurde von der Beschwerdeführerin bei ihren eigenen Messungen bestätigt (Beschwerdebegründung, Tabelle auf Seite 19 und der darauffolgende Absatz).
Der Gegenstand von Anspruch 4 ist allerdings nicht auf die streitpatentgemäße Form A von Afatinib Dimaleat beschränkt, sondern umfasst, wie oben schon festgestellt, auch weitere kristalline Formen von Afatinib Dimaleat. Die Beschwerdeführerin verwies hier auf die Dokumente D8 und D33. Diese offenbaren die Herstellung weiterer Formen von Afatinib Dimaleat, nämlich die Formen B (D8: Beispiel 5) und M (D33: Beispiel 22). Die in D34 geschilderte Nacharbeitung durch die Beschwerdeführerin belegt, dass es sich bei diesen um kristalline und wasserfreie Formen von Afatinib Dimaleat handelt. Wie in D35 gezeigt, weisen die beiden Formen B und M mit aufgenommenen Wassermengen von 12,08% bzw. 13,62% eine deutlich höhere Hygroskopizität auf als die streitpatentgemäße Form A von Afatinib Dimaleat. Die Hygroskopizität der Formen B und M ist sogar schlechter als die Hygroskopizität anderer Afatinib-Salze, deren Säurekomponente in D1 zur Salzbildung vorgeschlagen wird (vgl. Afatinib Difumarat (7%) oder Afatinib Monobromid (11%) im Schriftsatz der Beschwerdegegnerinnen vom 22. Dezember 2017). Dass die in D8 und D33 offenbarten wasserfreien und kristallinen Formen B bzw. M von Afatinib Dimaleat in den Gegenstand von Anspruch 4 fallen, wurde von den Beschwerdegegnerinnen ebenso wenig bestritten wie die für diese beiden Formen erhaltenen Ergebnisse hinsichtlich einer deutlich höheren Hygroskopizität.
Es muss daher der Schluss gezogen werden, dass zwar für die streitpatentgemäße Form A von Afatinib Dimaleat ein überraschender technischer Effekt belegt wurde, dass dieser aber nicht über die gesamte Breite von Anspruch 4 und insbesondere nicht für die ebenfalls anspruchsgemäßen Formen B und M erzielt wird.
Die Beschwerdegegnerinnen argumentierten in diesem Zusammenhang, dass ein Vergleich der anspruchsgemäßen Form A mit den Formen B und M nicht zulässig sei, da die Versuchsergebnisse D8 und D33 bis D35 allesamt nachveröffentlicht seien. Ferner seien diese beiden Formen am Prioritätstag nicht bekannt oder zumindest dem Fachmann nicht zugänglich gewesen. Der Bezugspunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit sei aber der Anmelde- bzw. Prioritätstag. Der Versuch der Beschwerdeführerin, die erfinderische Tätigkeit auf der Grundlage von Formen von Afatinib Dimaleat zu argumentieren, die am Prioritätstag des Streitpatents nicht bekannt oder nicht zugänglich waren, habe daher keine Grundlage im EPÜ.
Die Kammer kann sich dem nicht anschließen.
Nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern werden von Patentinhabern (in gleicher Weise Patentanmeldern) vorgelegte nachträglich veröffentlichte Beweisstücke dafür, dass der beanspruchte Gegenstand die gestellte Aufgabe löst, berücksichtigt, wenn anhand der im Patent enthaltenen Offenbarung bereits glaubhaft erscheint, dass die Aufgabe tatsächlich gelöst wurde, d. h. wenn die Lösung der Aufgabe schon zum Anmeldezeitpunkt plausibel erscheint (Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, neunte Auflage, 2019, I.D.4.6 und dort zitierte Entscheidungen). Dies wurde im vorliegenden Fall schon bejaht, siehe oben. Daher kann die Tatsache, dass D8 und D33 bis D35 nachveröffentlicht sind, ihrer Berücksichtigung nicht entgegenstehen.
Auch das Argument, dass die Beweismittel D8 und D33 bis D35 hinsichtlich der Formen B und M unberücksichtigt bleiben müssten, da die Formen B und M am Prioritätstag nicht bekannt gewesen seien, ist nicht überzeugend. Aus der Tatsache, dass unter den Anspruch fallende Ausführungsformen am Prioritätstag eines Streitpatents nicht bekannt waren, kann nicht der Schluss gezogen werden, dass diese Ausführungsformen bei der Betrachtung der erfinderischen Tätigkeit unberücksichtigt bleiben können. Ansonsten würde die Anerkennung der Neuheit, und damit verbunden die Feststellung, dass die unter den Anspruch fallenden Ausführungsformen nicht aus dem Stand der Technik bekannt sind, automatisch die Anerkennung der erfinderischen Tätigkeit bedingen und Artikel 56 EPÜ damit gegenstandslos werden.
Tatsächlich ist genau das Gegenteil der Fall. Nach ständiger Rechtsprechung muss zur Anerkennung der erfinderischen Tätigkeit die Aufgabe im gesamten im Patentanspruch definierten Bereich, d. h. für alle in diesen Bereich fallenden Ausführungsformen gelöst werden (Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, neunte Auflage, 2019, I.D.4.4.1). Bei einem Nachweis, der das Auftreten eines technischen Effekts über die gesamte Breite eines strittigen Anspruchs belegen soll, kann daher ein Patentinhaber auch solche in den Gegenstand des strittigen Anspruchs fallende, aber nicht im Stand der Technik beschriebene Ausführungsformen heranziehen. Dass dies so sein muss, ist eine direkte Konsequenz des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes, im Zuge dessen ein Patentinhaber sich beispielsweise mit einem ihm zum Zeitpunkt der Einreichung der Anmeldung unbekannten nächstliegenden Stand der Technik auseinandersetzen muss. Diese Überlegungen müssen in gleicher Weise auch für Einsprechende gelten. Daher kann sich auch die Einsprechende (vorliegend Beschwerdeführerin) nachveröffentlichter Beweismittel (vorliegend D8 und D33 bis D35) bedienen, die sich auf Ausführungsformen beziehen, die unter den Anspruchswortlaut (vorliegend Formen B und M) fallen und nicht im Stand der Technik beschrieben sind.
Schließlich kann auch das Argument, dass die Beweismittel der Beschwerdeführerin D8 und D33 bis D35 außer Acht gelassen werden müssen, da die Formen B und M zum Prioritätszeitpunkt dem Fachmann überhaupt nicht zugänglich waren, nicht durchgreifen.
Eine Zugänglichkeit der Formen B und M zum Prioritätszeitpunkt ist nämlich vorliegend zu bejahen. So war zum Prioritätszeitpunkt das Screening nach Festkörperformen eines Arzneimittels und die Charakterisierung dieser Formen in der pharmazeutischen Industrie Routine. Die bloße Bereitstellung weiterer kristalliner Formen von Afatinib Dimaleat (wie die oben genannten und in D8 und D33 offenbarten Formen B und M) als Ergebnis solcher Routine-Untersuchungen beinhaltet keine erfinderische Tätigkeit (T 777/08, Nr. 5.2 der Gründe, achter Absatz; T 2007/11, Nr. 7.7.1 der Gründe) und ist somit mit keinem unzumutbaren Aufwand verbunden. Die in Frage stehenden Formen B und M standen dem Fachmann somit im Sinne einer ausreichenden Offenbarung am Prioritätstag zur Verfügung. Entsprechend sind die sich auf diese beiden Formen beziehenden Beweismittel D8 und D33 bis D35 der Beschwerdeführerin zu berücksichtigen.
7.2.4 Kristallinität/Kristallisationsneigung
In D18 (Punkt 4) berichten die Beschwerdegegnerinnen von ihren Versuchen, Salze von Afatinib in kristalliner Form zu erhalten. Von allen untersuchten Salzen erwies sich nur das Dimaleat als kristallin. Die Beschwerdegegnerinnen sahen dies als Hinweis darauf an, dass bei Afatinib Dimaleat die Fähigkeit zur Kristallbildung stärker ausgeprägt sei als bei anderen Salzen. Es sei dies eine inhärente Eigenschaft von Afatinib Dimaleat. Dies rechtfertige im Übrigen auch, dass Anspruch 4 nicht auf kristallines Afatinib Dimaleat beschränkt sei.
Die Kammer hält dies nicht für überzeugend, da die in D18 geschilderten Ergebnisse im Widerspruch stehen zu den ebenfalls von den Beschwerdegegnerinnen in ihrem Schriftsatz vom 22. Dezember 2017 eingereichten Ergebnissen. Darin wird ebenfalls von Versuchen berichtet, Salze von Afatinib in kristalliner Form zu erhalten. Neben Afatinib Dimaleat konnten nun aber auch Afatinib-Salze in kristalliner Form erhalten werden, für welche dies laut D18 vermeintlich nicht möglich war. Die von den Beschwerdegegnerinnen diesbezüglich gegebene Begründung für die gegensätzlichen Ergebnisse, dass nämlich diese auf unterschiedliche Reinheiten der eingesetzten Ausgangsmaterialien zurückzuführen seien, lässt nach Auffassung der Kammer zumindest nicht den Schluss zu, dass Afatinib Dimaleat zwingend eine größere intrinsische Neigung zur Kristallisation hätte als andere Salze. Erschwerend kommt vorliegend hinzu,
- dass die Beschwerdeführerin mit ihren Versuchsergebnissen in D11 gezeigt hat, dass Afatinib sowohl mit Bernsteinsäure als auch mit L-Milchsäure, d. h. in D1 zur Salzbildung vorgeschlagene Säuren, kristalline Salze bildet und
- dass auch in D8 verschiedene kristalline Salze von Afatinib mit Säuren beschrieben werden, die in D1 zur Salzbildung vorgeschlagen werden, nämlich Afatinib Disulfat (Fig. 9), Afatinib Dimesylat (Fig. 13), Afatinib Diphosphat (Fig. 15) und Afatinib Difumarat (Fig. 20). Dies wurde im Übrigen von den Beschwerdegegnerinnen ausdrücklich anerkannt (Beschwerdeerwiderung, Seite 7, vorletzter Absatz).
In ihrer Beschwerdeerwiderung (Seite 7, vorletzter Absatz) trugen die Beschwerdegegnerinnen auch in Bezug auf die in D8 offenbarten kristallinen Salze von Afatinib vor, dass diese nachveröffentlicht seien. Dies steht aber, wie oben schon festgestellt, ihrer Berücksichtigung nicht entgegen.
Somit ist also auch hinsichtlich der Kristallinität/ Kristallisationsneigung nicht ersichtlich, weshalb die Auswahl von Afatinib, Maleinsäure und/oder deren Stöchiometrie zueinander mit einem technischen Effekt verbunden sein sollte.
7.3 Insgesamt sind somit keine technischen Effekte und auch keine Kombination vorteilhafter Eigenschaften ersichtlich, welche mit der Auswahl von Afatinib, Maleinsäure und/oder deren Stöchiometrie zueinander verbunden wären und die über die gesamte Breite von Anspruch 4 auftreten.
8. Die objektive technische Aufgabe muss somit anspruchsloser formuliert werden als die Bereitstellung einer physiologisch verträglichen Verbindung, die sich zu der in D1 vorgesehenen pharmazeutischen Anwendung eignet.
9. Ausgehend von D1 hätte der Fachmann nicht erfinderisch tätig werden müssen, um zum Gegenstand von Anspruch 4 zu gelangen.
Wie oben schon dargelegt, schlägt D1 Maleinsäure zur Salzbildung und Afatinib als eigentlichen Wirkstoff vor zur Bildung physiologisch verträglicher Salze, welche sich (selbstredend) für die in D1 vorgesehene pharmazeutische Anwendung eignen. Ohne einen mit diesen Auswahlen verbundenen technischen Effekt sind diese beliebig und bedürfen keiner erfinderischen Tätigkeit. Ferner ist es, wie von der Beschwerdeführerin mit Verweis auf D19 (Seite 20, letzter Absatz) ausgeführt und von den Beschwerdegegnerinnen nicht bestritten, allgemein bekannt, dass Afatinib zwei protonierbare Gruppen enthält. Nach Auffassung der Kammer hätte der Fachmann bei seinen Versuchen, ein kristallines Salz von Afatinib mit einer Säure zu erhalten, daher routinemäßig zwei Äquivalente der Säure eingesetzt, dies auch dann, wenn es sich wie vorliegend mit Maleinsäure um eine zweiprotonige Säure handelt. Hinzu kommt, dass dieses Vorgehen für den Fachmann mit einer hohen Erfolgserwartung verbunden gewesen wäre im Hinblick auf
- die pKa-Werte der beiden Carboxylgruppen der Maleinsäure (D20: Seite 8-46) und der protonierten Gruppen in Afatinib (D19: Seite 20, letzter Absatz), sowie
- das aus dem allgemeinen Fachwissen bekannte Erfordernis zur Salzbildung zwischen Basen und Säuren, dass nämlich ein ausreichend großer pKa-Unterschied bestehen muss zwischen der Säure und der protonierten Form der Base (D6: Seite 202, Absatz 2; D3: Seite 166, Absatz 1; D3a: Seite 137, letzter Absatz bis Seite 138, Absatz 1).
Selbst wenn sich, wie von den Beschwerdegegnerinnen vorgetragen, die angegebenen pKa-Werte auf wässrige Systeme beziehen sollten, stünde dies obiger Schlussfolgerung nicht entgegen, da der Fachmann diese regelmäßig als Anhaltspunkt für die jeweilige Säure-/Basenstärke auch in anderen Lösungsmitteln heranzieht.
Der Gegenstand von Anspruch 4 beruht demnach nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit und der Hauptantrag ist nicht gewährbar.
10. Die oben geschilderte Offenbarung der D1, die von den Salzen der Verbindungen der Formel I ausgeht, hält die Kammer für einen zumindest gleichwertigen Ausgangspunkt zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit im Vergleich zur Offenbarung der freien Base Afatinib an sich. Da, wie oben gezeigt, ausgehend von den Salzen der Verbindungen der Formel I eine erfinderische Tätigkeit nicht anerkannt werden kann, erübrigt sich vorliegend eine Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit ausgehend von der in D1 offenbarten freien Base von Afatinib. Vor diesem Hintergrund sind auch die von den Beschwerdegegnerinnen in D18 durchgeführten Vergleiche zur freien Base von Afatinib vorliegend nicht relevant.
Hilfsantrag 1 - Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)
11. Anspruch 4 des Hilfsantrags 1 hat folgenden Wortlaut:
"Kristallines 4-[(3-Chlor-4-fluorphenyl)amino]-6-{[4-(N,N-dimethylamino)-1-oxo-2-buten-1-yl]-amino}-7-((S)-tetrahydrofuran-3-yloxy)-chinazolin Dimaleat."
Der Anspruch unterscheidet sich mithin nur dadurch von Anspruch 4 des Hauptantrags, dass er auf die kristalline Verbindung gerichtet ist, d. h. auf kristallines Afatinib Dimaleat. Dies stellt ein zusätzliches Unterscheidungsmerkmal gegenüber D1 dar.
12. In den oben diskutierten Beweismitteln findet sich nirgends ein Vergleich einer amorphen und einer kristallinen Form desselben Salzes. Ein mit dem gegenüber D1 zusätzlichen Unterscheidungsmerkmal ("kristallin") verbundener technischer Effekt ist daher nicht ersichtlich. Die objektive technische Aufgabe ist somit wiederum in der Bereitstellung einer physiologisch verträglichen Verbindung zu sehen, die sich zu der in D1 vorgesehenen pharmazeutischen Anwendung eignet.
Ausgehend von D1 hätte der Fachmann jedoch wiederum nicht erfinderisch tätig werden müssen, um zum Gegenstand von Anspruch 4 zu gelangen, da es zu seinem routinemäßigen Vorgehen gehört, eine kristalline Form eines Wirkstoffs bereitzustellen (T 777/08, Nr. 5.2 der Gründe, achter Absatz; T 2007/11, Nr. 7.7.1 der Gründe) - dies auch dann, wenn der Übergang zur kristallinen Form mit einer für den Fachmann zu erwartenden Veränderung der Eigenschaften einhergehen sollte (verbesserte Filtrier- und Trockenbarkeit, geringere Löslichkeit, vgl. T 777/08, Nr. 5.1 und 5.2 der Gründe).
Der Gegenstand von Anspruch 4 beruht demnach nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit und Hilfsantrag 1 ist nicht gewährbar.
Hilfsanträge 2 und 3 - Änderungen (Artikel 123 (2) EPÜ)
13. Anspruch 4 der Hilfsanträge 2 und 3 lautet jeweils folgendermaßen:
13.1 Hilfsantrag 2
"Kristallines 4-[(3-Chlor-4-fluorphenyl)amino]-6-{[4-(N,N-dimethylamino)-1-oxo-2-buten-1-yl]-amino}-7-((S)-tetrahydrofuran-3-yloxy)-chinazolin Dimaleat, gekennzeichnet durch folgende mittels CuKalpha Strahlung mit einer Wellenlänge von lambda = 1,5418 Å bestimmten Beugungswinkel:
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK"
13.2 Hilfsantrag 3
"Kristallines 4-[(3-Chlor-4-fluorphenyl)amino]-6-{[4-(N,N-dimethylamino)-1-oxo-2-buten-1-yl]-amino}-7-((S)-tetrahydrofuran-3-yloxy)-chinazolin Dimaleat, gekennzeichnet durch folgende mittels CuKalpha Strahlung mit einer Wellenlänge von lambda = 1,5418 Å bestimmten Beugungswinkel:
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK"
13.3 Der Gegenstand von Anspruch 4 der Hilfsanträge 2 und 3 ist somit gerichtet auf kristallines Afatinib Dimaleat, welches des Weiteren gekennzeichnet ist durch eine Kombination von Röntgenpulverreflexen.
14. Röntgenpulverreflexe sind in der ursprünglichen Anmeldung in der Tabelle auf Seite 11 offenbart. Die dort angegebenen Reflexe wurden bei der röntgenpulverdiffraktometrischen Untersuchung der streitpatentgemäßen Form A von Afatinib Dimaleat erhalten. Das zugehörige XRPD-Spektrum ist in Figur 1 gezeigt.
14.1 Wie aus dem Vergleich der oben angegebenen Tabellen mit der auf Seite 11 in der ursprünglichen Anmeldung ersichtlich ist, handelt es sich bei den in Anspruch 4 der Hilfsanträge 2 (11 Reflexe) und 3 (17 Reflexe) aufgenommenen Tabellen um verkürzte Versionen der Tabelle auf Seite 11 in der ursprünglichen Anmeldung (39 Reflexe).
Laut der Beschwerdegegnerinnen müsse dies gewährbar sein. So sei es allgemeines Fachwissen, dass zur Charakterisierung einer kristallinen Verbindung die Angabe nur derjenigen Reflexe ausreichend sei, die die höchste relative Intensität aufweisen würden. Dies sei vorliegend der Fall, da in den in Anspruch 4 der Hilfsanträge 2 und 3 angeführten Tabellen diejenigen Reflexe aus der Tabelle auf Seite 11 der ursprünglichen Anmeldung aufgenommen worden seien, die eine relative Intensität von > 20% (Hilfsantrag 2) bzw. > 10% (Hilfsantrag 3) aufweisen würden. Mithin werde immer noch die gleiche Verbindung beansprucht. Der Gegenstand von Anspruch 4 der Hilfsanträge 2 bzw. 3 könne somit nicht über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung hinausgehen.
Die Kammer kann dem alleine schon deswegen nicht zustimmen, weil der Verweis der Beschwerdegegnerinnen auf das allgemeine Fachwissen nicht belegt wurde. Des Weiteren findet sich in der ursprünglichen Anmeldung keine Lehre dahingehend, dass
- die in Anspruch 4 der Hilfsanträge 2 und 3 aufgeführten 11 bzw. 17 Reflexe oder
- diejenigen der in der Tabelle auf Seite 11 der ursprünglichen Anmeldung aufgeführten Reflexe mit einer bestimmten relativen Mindestintensität
zur Charakterisierung der streitpatentgemäßen Form A von Afatinib Dimaleat ausreichend seien. Vor diesem Hintergrund wird durch die Aufnahme nur ausgewählter Reflexe in Anspruch 4 der Hilfsanträge 2 und 3 die technische Lehre hinzugefügt, dass solche mit einer relativen Intensität von > 20% bzw. > 10% zur Identifikation ausreichend sind. Im Übrigen erscheinen diese Untergrenzen schon alleine deswegen vollkommen willkürlich, da auch Reflexe mit einer relativen Intensität von genau 20% bzw. genau 10% in der Tabelle auf Seite 11 der ursprünglichen Anmeldung genannt sind und nicht nachzuvollziehen ist, weshalb genau diese zur Charakterisierung der streitpatentgemäßen Form A von Afatinib Dimaleat nicht notwendig sein sollten.
Die obige Schlussfolgerung steht im Einklang mit der Entscheidung T 1684/16, gemäß der die Offenbarung, dass eine bestimmte kristalline Form durch die Auswahl bestimmter ausgewählter Reflexe charakterisiert werden kann, über den Inhalt der ursprünglich eingereichte Anmeldung hinausgeht, wenn diese Auswahl hieraus nicht unmittelbar und eindeutig hervorgeht (siehe Punkte 2.2 bis 2.4 der Entscheidungsbegründung).
Die Beschwerdegegnerinnen vertraten eine gegenteilige Auffassung und verwiesen auf Seite 8, Absatz 2, letzter Satz dieser Entscheidung:
"Lastly, figures 1, 4, 10 and 11 [of the application as filed] show x-ray diffraction patterns (XRDP) of different forms of bosutinib (Forms I to VI) and do not teach the selection of the five peaks of claim 1 of the patent as granted, since those peaks are, for instance, not the most significant peaks in terms of intensity." (Einfügung in eckigen Klammern durch die Kammer)
Die Feststellung, dass bei Auswahl von Peaks geringerer Intensität diese Auswahl als nicht unmittelbar und eindeutig aus der ursprünglichen Anmeldung ableitbar anzusehend ist, erlaubt aber nicht notwendigerweise den Umkehrschluss, dass die Auswahl der intensivsten Peaks, geschweige denn einer bestimmten Anzahl an intensivsten Peaks unmittelbar und eindeutig aus der ursprünglichen Anmeldung hervorgeht. Daher steht auch die genannte Textpassage der Entscheidung T 1684/16 nach Auffassung der mit dem vorliegenden Fall befassten Kammer der obigen Schlussfolgerung nicht entgegen, wonach die Beschränkung der Reflexe auf solche mit einer bestimmten relativen Mindestintensität der ursprünglichen Anmeldung eine technische Lehre hinzufügt und damit über den Gegenstand der ursprünglichen Anmeldung hinausgeht.
Hilfsantrag 4 - Änderungen (Artikel 123 (2) und (3) EPÜ) und Klarheit (Artikel 84 EPÜ)
15. Anspruch 4 hat folgenden Wortlaut:
"Kristallines 4-[(3-Chlor-4-fluorphenyl)amino]-6-{[4-(N,N-dimethylamino)-1-oxo-2-buten-1-yl]-amino}-7-((S)-tetrahydrofuran-3-yloxy)-chinazolin Dimaleat, gekennzeichnet durch folgende mittels CuKalpha Strahlung mit einer Wellenlänge von lambda = 1,5418 Å bestimmten Beugungswinkel:
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK"
16. Die in Anspruch 4 von Hilfsantrag 4 aufgenommene Tabelle entspricht der Tabelle auf Seite 11 der ursprünglichen Anmeldung. Anspruch 4 von Hilfsantrag 4 erfüllt somit die Erfordernisse von Artikel 123 (2) EPÜ. Dies wurde von der Beschwerdeführerin auch nicht in Frage gestellt.
17. Die Beschwerdeführerin brachte keine Einwände unter Artikel 123 (3) oder Artikel 84 EPÜ vor. Die Kammer hat sich davon überzeugt, dass der Gegenstand von Anspruch 4 des Hilfsantrags 4 die Erfordernisse dieser Artikel erfüllt.
Hilfsantrag 4 - Neuheit (Artikel 54 EPÜ)
18. In ihrer Beschwerdebegründung (Seite 24, erster Absatz) trug die Beschwerdeführerin lediglich in pauschaler Art und Weise vor, dass der Gegenstand von Anspruch 4 des Hilfsantrags 4 aus den gleichen Gründen nicht neu sei wie Anspruch 4 des Hauptantrags. Dabei wurde aber von der Beschwerdeführerin überhaupt nicht berücksichtigt, dass Anspruch 4 des Hilfsantrags 4 auf eine konkrete kristalline Form von Afatinib Dimaleat gerichtet ist, nämlich die streitpatentgemäße Form A. Der in der Beschwerdebegründung lediglich pauschal vorgetragene Einwand ist daher nicht überzeugend. In der mündlichen Verhandlung vor der Kammer trug die Beschwerdeführerin darüber hinaus ausgehend von D1 auch keinen Neuheitseinwand vor. Die Kammer kommt daher zu dem Schluss, dass der Gegenstand von Anspruch 4 des Hilfsantrags 4 gegenüber D1 neu ist.
Hilfsantrag 4 - Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)
19. Die Beschwerdeführerin brachte einen Einwand mangelnder erfinderischer Tätigkeit nur gegen Anspruch 4 vor, und dies auch nur ausgehend von der in D1 offenbarten freien Base von Afatinib.
Wie oben schon ausgeführt, betrifft Anspruch 4 die streitpatentgemäße Form A von Afatinib Dimaleat.
Die Beschwerdeführerin argumentierte,
- dass die in D1 offenbarte freie Base von Afatinib wasserfrei sei und sie als Ausgangspunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit angesehen werden könne,
- dass sich die anspruchsgemäße Form A von Afatinib Dimaleat dadurch von der wasserfreien freien Base unterscheide, dass es sich um eine spezielle kristalline Form mit zwei Maleat-Anionen handele,
- dass die Beschwerdegegnerinnen die anspruchsgemäße Form A von Afatinib Dimaleat nicht mit der in D1 offenbarten wasserfreien freien Base von Afatinib verglichen hätten,
- dass dementsprechend kein technischer Effekt ersichtlich sei und die objektive technische Aufgabe in der Bereitstellung lediglich einer Alternative zu sehen sei, und
- dass die Lösung dieser Aufgabe nicht erfinderisch sein könne.
Die Kammer kann dem nicht folgen. Selbst wenn kein Vergleich vorliegt zwischen der nun anspruchsgemäßen Form A von Afatinib Dimaleat und der in D1 offenbarten (vermeintlich) wasserfreien freien Base von Afatinib, so ist dennoch zu berücksichtigen, dass die Beschwerdegegnerinnen in ihrem Schriftsatz vom 22. Dezember 2017 die äußerst geringe Hygroskopizität der anspruchsgemäßen Form A von Afatinib Dimaleat belegt haben (vgl. oben). Selbst wenn man also zugunsten der Beschwerdeführerin davon ausgeht, dass die in D1 offenbarte freie Base von Afatinib ebenfalls eine äußerst geringe Hygroskopizität aufweist, so wäre die objektive technische Aufgabe immer noch in der Bereitstellung einer weiteren physiologisch verträglichen Verbindung mit äußerst geringer Hygroskopizität zu sehen und nicht lediglich in der Bereitstellung einer physiologisch verträglichen Verbindung. Die Lösung der anspruchsvolleren objektiven technischen Aufgabe bedarf ausgehend von der in D1 offenbarten freien Base von Afatinib jedoch einer erfinderischen Tätigkeit, da weder D1 noch ein anderer Stand der Technik die Herstellung der in Anspruch 4 genannten Form A nahelegt, geschweige denn, dass eine solche Herstellung im Zusammenhang einer geringen Hygroskopizität nahegelegt wird. Der mit der oben formulierten Aufgabe befasste und von D1 ausgehende Fachmann hätte daher keinerlei Veranlassung gehabt, diese Form herzustellen.
Der Gegenstand von Anspruch 4 und - in Ermangelung weiterer Einwände seitens der Beschwerdeführerin gegen andere Ansprüche von Hilfsantrag 4 - auch der der übrigen Ansprüche von Hilfsantrag 4 beruht demnach auf einer erfinderischen Tätigkeit. Hilfsantrag 4 ist demzufolge gewährbar.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung mit der Anordnung zurückverwiesen, ein Patent mit folgenden Ansprüchen und einer noch anzupassenden Beschreibung aufrechtzuerhalten:
Ansprüche 1-6 des Hilfsantrags 4, eingereicht mit der Beschwerdeerwiderung.