T 1602/18 (Fahrerassistenzeinrichtung mit Mehrzahl von Ultraschallsensoren / Valeo) 10-10-2022
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FAHRERASSISTENZEINRICHTUNG MIT EINER MEHRZAHL VON ULTRASCHALLSENSOREN SOWIE FAHRZEUG MIT EINER DERARTIGEN FAHRERASSISTENZEINRICHTUNG UND VERFAHREN ZUM BETREIBEN EINER FAHRERASSISTENZEINRICHTUNG
Patentansprüche - Klarheit
Patentansprüche - Hauptantrag (nein)
Patentansprüche - Klarheit
Patentansprüche - Hilfsantrag (nein)
I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung, die europäische Patentanmeldung Nr. 12 724 127 zurückzuweisen.
II. Die Patentanmeldung wurde unter anderem zurückgewiesen, weil der Gegenstand der unabhängigen Ansprüche 1 und 15 des Hauptantrags sowie der Ansprüche 1 und 14 des Hilfsantrags 2 und des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 3 nicht neu sei und weil der Gegenstand der Ansprüche 1 und 14 des Hilfsantrags 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Die Einwände fehlender Neuheit bzw. erfinderischer Tätigkeit beruhten auf der Lehre des Dokuments
D1: DE 10 2007 029 959 A1,
bzw. auf einer Kombination von D1 und
D2: DE 10 2008 002232 A1.
III. Gegen sämtliche Anträge waren auch Einwände wegen fehlender Klarheit (Artikel 84 EPÜ) erhoben worden. Nach Auffassung der Prüfungsabteilung sei der Unterschied zwischen einem unkodierten und einem kodierten Ultraschallsignal nicht klar.
IV. Die Patentanmelderin beantragt mit ihrer Beschwerde, unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung ein Patent auf Basis eines der der Prüfungsabteilung vorliegenden Anträge (in geänderter Reihenfolge) zu erteilen, oder auf der Basis eines mit der Beschwerdebegründung eingereichten neuen Hilfsantrags. Konkret wurde beantragt, ein Patent auf der Grundlage eines der folgenden Anträge (Anspruchssätze) zu erteilen:
Hauptantrag: Ansprüche 1-15 wie veröffentlicht;
Hilfsantrag 1: Ansprüche 1-15 eingereicht mit der Beschwerdebegründung am 25. Mai 2018;
Hilfsantrag 2: Ansprüche 1-15 gemäß Hilfsantrag 3 vom 7. November 2017;
Hilfsantrag 3: Ansprüche 1-14 gemäß Hilfsantrag 1 vom 7. November 2017;
Hilfsantrag 4: Ansprüche 1-14 gemäß Hilfsantrag 2 vom 7. November 2017.
V. In einer Mitteilung der Kammer gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2020 wurde die Beschwerdeführerin über die vorläufige Auffassung der Kammer unterrichtet.
Nach Auffassung der Kammer entspreche ein amplitudenmoduliertes Signal wohl einem kodierten Signal. Aus diesem Verständnis folge, dass auch ein Einzelpuls bereits einem kodierten Signal entspreche. Aus der Anmeldung sei somit nicht erkennbar, worin der Unterschied zwischen einem kodierten und einem unkodierten Signal bestehe. Da der Unterschied zwischen den zwei Kategorien von Signalen aus dem Anspruchswortlaut nicht erkennbar sei, sei es auch nicht möglich, zwischen den in Anspruch 1 definierten Betriebsmodi zu unterscheiden.
Der von der Prüfungsabteilung erhobene Einwand der fehlenden Klarheit (Artikel 84 EPÜ) erscheine demzufolge berechtigt.
Die Änderungen bzw. zusätzlichen Merkmale in den unabhängigen Ansprüchen der Hilfsanträge 1 bis 4 brächten keinerlei Definition ein, was unkodierte oder kodierte Ultraschallsignale betreffe. Der Gegenstand der unabhängigen Ansprüche gemäß allen Hilfsanträgen sei auch nicht klar definiert (Artikel 84 EPÜ).
VI. Die Beschwerdeführerin teilte in der Folge mit, dass sie zur mündlichen Verhandlung nicht erscheinen würde, und dass der diesbezügliche Antrag zurückgezogen werde. Eine Entscheidung nach Aktenlage wurde beantragt. In der Substanz hat sich die Beschwerdeführerin zur vorläufigen Auffassung der Kammer nicht geäußert.
VII. Anspruch 1 gemäß Hauptantrag lautet:
Fahrerassistenzeinrichtung (2) mit einer Mehrzahl von Ultraschallsensoren, dadurch gekennzeichnet, dass zumindest ein erster Ultraschallsensor (8 bis 11, 17, 18, 21 bis 24) als Betriebsmodus nur einen Normalmodus aufweist, in dem ausgesendete Ultraschallsignale unkodiert sind, und/oder in dem der erste Ultraschallsensor (8 bis 11, 17, 18, 21 bis 24) zum Empfangen von unkodierten Ultraschallsignalen ausgebildet ist, und zumindest ein zweiter Ultraschallsensor (6, 7, 13 bis 16, 19, 20) in zwei verschiedenen Betriebsmodi betreibbar ist und als ersten Betriebsmodus den Normalmodus aufweist und als zweiten Betriebsmodus einen Spezialmodus aufweist, in dem ausgesendete Ultraschallsignale kodiert sind und/oder in dem der zweite Ultraschallsensor (6, 7, 13 bis 16, 19, 20) zum Empfangen von kodierten Ultraschallsignalen ausgebildet ist.
Der unabhängige Anspruch 15 ist auf das entsprechende Verfahren zum Betreiben einer Fahrerassistenzeinrichtung mit einer Mehrzahl von Ultraschallsensoren gerichtet.
Der Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 unterscheidet sich vom ursprünglichen Anspruch 1 dadurch, dass die Alternative "oder" sowohl bei der Definition des Normalmodus als auch des Spezialmodus gestrichen wurde, und dass ein bestimmter Artikel hinzugefügt wurde.
In Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 wurde klargestellt, dass unter unkodiert ,,ohne Kodierung" und unter kodiert ,,mit Kodierung" zu verstehen ist.
Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 3 entspricht einer Kombination der ursprünglichen Ansprüche 1 und 2.
Konkret enthält Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 3 das folgende zusätzliche Merkmal
und dass der Betrieb des zweiten Ultraschallsensors (6, 7, 13 bis 16, 19, 20) im Normalmodus oder im Spezialmodus abhängig von einem Wert eines Fahrzeugparameters und/oder einer Funktion der Fahrerassistenzeinrichtung (2) ist.
Anspruch 1 des Hilfsantrags 4 entspricht einer Kombination der ursprünglichen Ansprüche 1 und 7.
Konkret enthält Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 4 das folgende zusätzliche Merkmal
und dass der zweite Ultraschallsensor (6, 7, 13 bis 16, 19, 20) im aktiven Betrieb zur Informationsgenerierung für eine Funktion der Fahrerassistenzeinrichtunq (2) zwischen dem Normalmodus und dem Spezialmodus alternierend umschaltbar ist.
Die Änderungen an den unabhängigen Verfahrensansprüchen gemäß Hilfsanträgen 1 bis 4 entsprechen den Änderungen an den jeweiligen Vorrichtungsanprüchen.
Hauptantrag - Klarheit - Artikel 84 EPÜ
1. Der von der Prüfungsabteilung erhobene Einwand der fehlenden Klarheit bezieht sich auf die Verwendung von Begriffen wie "kodierten" bzw. "unkodierten" Ultraschallsignalen in Anspruch 1. Der Einwand beruht darauf, dass für die Detektion die üblichen Fahrerassistenzeinrichtungen im allgemeinen immer kodierte (identifizierbare) Ultraschallsignale verwenden. Zumeist werden die Ultraschallsignale in Pulsform moduliert bzw. kodiert, um mithilfe einer Laufzeitmessung Abstände zu reflektierenden Objekten zu bestimmen. Im Kontext der Erfindung sei nun nicht klar, in welcher Weise sich unkodierte von kodierten Ultraschallsignalen unterschieden. Aus dem Grund sei ebenfalls unklar, inwiefern sich die beiden erwähnten Betriebsmodi in Anspruch 1 voneinander unterschieden.
2. In diesem Zusammenhang moniert die Beschwerdeführerin einen Widerspruch in der Analyse der Prüfungsabteilung. Die Auffassung, dass amplitudenmodulierte Signale kodierten Signalen im Sinne der Erfindung entsprächen, sei nicht in Einklang mit der weiteren Feststellung, dass ein Einzelpuls ein unkodiertes Signal darstellen würde.
3. Dieses Argument ist nicht überzeugend. Um eine Aussage zur Neuheit treffen zu können, führte die Prüfungsabteilung eine Auslegung der unklaren Begriffe der Kodierung ein. Diese nur zu diesem Zweck eingeführte Auslegung ändert jedoch nichts an der prinzipiellen Feststellung, dass die Begriffe, und damit der Anspruch 1, nach allgemeinem Verständnis unklar seien.
4. Ein amplitudenmoduliertes Trägersignal entspricht im Kontext der Erfindung dadurch einem kodierten Signal, dass es eine auslesbare Information trägt. Aus diesem Verständnis folgt, dass auch ein Einzelpuls bereits einem kodierten Signal entspricht. Ein solches Signal ist nämlich identifizierbar. Es trägt eine Information, etwa in Form der Modulation, oder auch lediglich in Form seiner Wellenlänge, die es von anderen Signalen unterscheidbar macht.
5. Absatz 4 auf Seite 3 der Anmeldung weist darauf hin, dass im Sinne der vorliegenden Anmeldung ein Unterschied zwischen kodierten und unkodierten Signalen besteht. Kodierte Signale sind nämlich von ersten Ultraschallsensoren nicht zu empfangen. Aufgrund der weiteren Feststellung, dass die Bauweise der ersten Ultraschallsensoren sich nicht einmal von der Bauweise der zweiten Ultraschallsensoren zu unterscheiden braucht (siehe Seite 5, 2. Absatz), wird auf Seite 3 die Schlussfolgerung gezogen, dass die Ultraschallsensoren der ersten Gattung die kodierten Ultraschallsignale wohl empfangen aber sie nicht interpretieren können.
6. Aus der Anmeldung ist somit nicht erkennbar, worin der eigentliche Unterschied zwischen den zwei Signalarten besteht. Im Kontext der Erfindung haben die Begriffe kodiert bzw. unkodiert nur eine relative Bedeutung, die sich aus der Eignung der Software, zwischen den unterschiedlichen Signalarten zu unterscheiden, ergibt. Die kodierten und unkodierten Signale haben unterschiedliche Eigenschaften, die jedoch ohne Angaben der eigentlich durchgeführten Kodierung an den Signalen selbst nicht erkennbar sind.
7. Es folgt, dass es auch nicht möglich ist, zwischen den in Anspruch 1 definierten Betriebsmodi zu unterscheiden. Aus der Anmeldung ist ebenfalls nicht ersichtlich, wie zwischen den beiden Modi unterschieden wird. Die Eignung der Ultraschallsensoren der zweiten Gattung, in einem ersten Betriebsmodus pulsmodulierte (d.h. eigentlich kodierte) Signale und in einem zweiten Modus ausschließlich Signale, die einer besonderen Kodierung unterzogen wurden, empfangen zu können, ist in der Hinsicht wenig hilfreich. Die Anforderung, dass im zweiten Betriebsmodus, die vom ersten Ultraschallsensor erzeugten Signale vom zweiten Ultraschallsensor nicht wahrgenommen werden, reicht nämlich nicht aus, um zwischen den zwei Arten von Signalen zu unterscheiden.
8. Die Beschwerdeführerin hat mehrere Dokumente eingereicht, die nach ihrer Auffassung die Bedeutung des Begriffs "Kodierung" belegen. Ihr Argument, wonach eine Kodierung einer Bitfolge entspreche, ist jedoch nicht überzeugend. Die Kodierung in Form von Bits ist vielmehr lediglich eine sehr spezielle Form der Kodierung, entsprechend dem allgemeinen Trend der Digitalisierung auf dem Gebiet der Signalverarbeitung. Diese Form der Kodierung ist eine Weiterentwicklung von bei analogen Systemen wohlbekannten Kodierungsverfahren (Modulationsverfahren).
9. Das Argument ist auch deshalb nicht überzeugend, da es den eigenen Angaben der Beschwerdeführerin auf den Seiten 1 und 2 der Anmeldung im Hinblick auf Dokument DE-A-101 06 142 widerspricht. In diesen Passagen der Anmeldung (Seite 1, letzter Absatz, Seite 2, 2. Absatz) wird bezüglich der Kodierung von Ultraschallsignalen in DE-A-101 06 142 auf die Mehrzahl von Möglichkeiten und Vorgehensweisen hingewiesen. Aus dem Inhalt von DE-A-101 06 142 ergibt sich jedoch, dass die kodierten Signale aus einzelnen frequenzmodulierten Ultraschallpulsen bestehen. Im Dokument selbst werden diese Signale ebenfalls als "kodierte" Signale bezeichnet (siehe i.a. Absatz [0011], Anspruch 1). In einem weiteren Ausführungsbeispiel in DE-A-101 06 142 wird auch ein Einzelpuls mit einer konstanten Frequenz als kodiertes Signal bezeichnet (siehe Absatz [0019], Anspruch 3).
10. Ähnlichen Einwänden begegnet der unabhängige Verfahrensanspruch 15 des Hauptantrags.
Hilfsanträge 1 bis 4 - Klarheit - Artikel 84 EPÜ
11. Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 unterscheidet sich vom ursprünglichen Anspruch 1 dadurch, dass die Alternative "oder" sowohl bei der Definition des Normalmodus als auch des Spezialmodus gestrichen wurde, und dass ein bestimmter Artikel hinzugefügt wurde. Verfahrensanspruch 15 wurde entsprechend angepasst.
12. Die in den Ansprüchen 1 und 15 gemäß Hilfsantrag 1 eingeführten Änderungen ändern nichts an der mangelnden Klarheit der Ansprüche, die sich aus den unklaren Begriffen hinsichtlich kodierter bzw. unkodierter Ultraschallsignale ergibt.
13. In Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 wurde hinzugefügt, dass unter unkodiert ,,ohne Kodierung" und unter kodiert ,,mit Kodierung" zu verstehen ist.
14. Die Kammer schließt sich dazu der Auffassung der Prüfungsabteilung an, dass damit lediglich alternative Bezeichnungen mit identischer Bedeutung hinzugefügt wurden. Demzufolge ist der Gegenstand der Ansprüche 1 und 14 des Hilfsantrags 2 aus den im Hinblick auf den Hauptantrag angeführten Gründen auch nicht klar im Sinne des Artikels 84 EPÜ. Aus den obengenannten Gründen entspricht ein pulsmoduliertes Signal einem Signal mit einer durch die Modulation geprägten Kodierung.
15. Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 3 beruht auf einer Kombination der ursprünglichen Ansprüche 1 und 2. Anspruch 1 des Hilfsantrags 4 beruht auf einer Kombination der ursprünglichen Ansprüche 1 und 7.
16. Die zusätzlichen Merkmale in Anspruch 1 enthalten keinerlei Definition, was unkodierte oder kodierte Ultraschallsignale betrifft. Der Gegenstand der unabhängigen Ansprüche 1 und 14 der Hilfsanträge 3 und 4 ist dementsprechend auch nicht klar definiert.
Schlussfolgerung
17. Keiner der Anträge erfüllt die Erfordernisse des EPÜ im Hinblick auf Klarheit (Artikel 84 EPÜ). Eine Patenterteilung scheidet daher schon vor diesem Hintergrund aus.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.