T 0267/19 30-06-2022
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HARTSTOFFBESCHICHTETE KÖRPER UND VERFAHREN ZU DEREN HERSTELLUNG
Fraunhofer-Gesellschaft zur Förderung
der angewandten Forschung e.V.
Änderung nach Ladung - stichhaltige Gründe (ja)
Änderung nach Ladung - berücksichtigt (ja)
Ausreichende Offenbarung - Nacharbeitbarkeit (ja)
I. Das europäische Patent EP 1 902 155 B1 ("das Patent") betrifft Körper mit einer Ti1-xAlxN-Hartstoffschicht und ein Verfahren zu deren Herstellung.
II. In einem Einspruch gegen das Patent wurden als Einspruchsgründe unzulässige Erweiterung des Gegenstands der Anmeldung (Artikel 100 c) EPÜ), unzureichende Offenbarung (Artikel 100 b) EPÜ) sowie mangelnde Neuheit und mangelnde erfinderische Tätigkeit (Artikel 100 a) EPÜ) geltend gemacht.
III. Die Einspruchsabteilung kam zu dem Schluss, dass die Erfindung gemäß Anspruch 1 und 4 des während der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung eingereichten einzigen Antrags (im Folgenden: MV-Hauptantrag) unzureichend offenbart sei, und dass der Einspruchsgrund nach Artikel 100 b) EPÜ der Aufrechterhaltung des Patents entgegenstehe.
Sie hat daher entschieden, das Patent zu widerrufen.
IV. Gegen diese Entscheidung hat die Patentinhaberin ("die Beschwerdeführerin") Beschwerde eingelegt.
V. Stand der Technik
Die folgenden Dokumente, die bereits im Rahmen des Einspruchsverfahrens zitiert wurden, sind für diese Entscheidung relevant:
D9: I. Endler et al.: "Novel aluminum-rich Ti1-xAlxN
coatings by LPCVD", Surf. Coat. Technol. 203
(2008), Seiten 530-533
D10: Fraunhofer "advancer" Newsletter 3/2012
D15: R. Cremer et al.,"Determination of the cubic to
hexagonal structure transition in the metastable system TiN-AlN", J. Anal. Chem., (1998) 361, Seiten 642-645
D25: I. Endler et al.: "Aluminium-rich Ti1-xAlxN
Coatings by CVD", Proc. Euro PM2006,
Seiten 219-224
D26: JCPDS Card WC 00-051-0939, Hexagonal, P-6m2
D27: JCPDS Card AIN 00-025-1133, Hexagonal, P63mc
Annex 1: Vergleich der Figuren 1 und 2 des Patents mit
JCPDS cards
Annex 2: Vergleich von XRD Diffraktogrammen von D25,
D26, D27 und Figur 1 des Patents
Die Dokumente D9, D10, D25 - D27 haben sämtlich ein Veröffentlichungsdatum nach dem Anmeldetag und werden gutachterlich verwendet.
VI. In der als Anlage zur Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügten Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK 2020 teilte die Kammer den Beteiligten ihre vorläufige Einschätzung des der Beschwerde zugrundeliegenden Sachverhalts mit. Insbesondere wies sie darauf hin, dass die Beschwerdeführerin bislang keine Beweismittel vorgelegt habe, die ihre Argumente zur Ausführbarkeit stützten und die geeignet seien, die Aussagen des Erfinders Dr. Endler während der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung zu entkräften.
VII. Mit Schreiben vom 30. Mai 2022 reichte die Beschwerdeführerin ein:
- MV-Hauptantrag und Hilfsanträge 1a und 7
- D32: Erklärung von Dr. Ingolf Endler inklusive
Anlage 1: Zanatta et al.: "Optoelectronic and
structural characteristics of Er-doped amorphous AlN films", J. Appl. Phys. 98 (2005) 093514, Seiten 1-8
Anlage 2: Jacob et al.: "Vegard's law: a
fundamental relation or an approximation?", Int. J. Mat. Res. 98 (2007), Seiten 776-779
Anlage 3: Endler et al.: "Powder Diffraction Data
of Aluminum-Rich FCC-Ti1-xAlxN Prepared by CVD", Coatings 2021, 11, Seiten 683ff
- D33: Gutachten von Prof. Dr. Breidenstein zur
Abbildung 1 in DE 10 2005 032 860 B4, der dem Patent entsprechenden deutschen Patentschrift.
VIII. Mit Schreiben vom 21. Juni 2022 nahm die Einsprechende ("Beschwerdegegnerin") ihren Einspruch zurück.
IX. Eine mündliche Verhandlung fand am 30. Juni 2022 statt.
X. Anträge
Am Schluss der mündlichen Verhandlung vor der Kammer bestand folgende Antragslage:
Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Angelegenheit auf Grundlage des MV-Hauptantrags oder eines der Hilfsanträge 1a und 7, jeweils eingereicht mit Schreiben vom 30. Mai 2022, oder alternativ auf Grundlage eines der Hilfsanträge 3 und 6, jeweils eingereicht mit der Beschwerdebegründung, an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen. Zur Reihenfolge der Hilfsanträge wird auf das Protokoll zur mündlichen Verhandlung verwiesen.
XI. Ansprüche
Anspruch 1 gemäß MV-Hauptantrag entspricht dem von der Einspruchsabteilung in ihrer Entscheidung berücksichtigten Anspruch 1, der lautet:
"Hartstoffbeschichtete Körper mit einem ein- oder mehrlagigen Schichtsystem, das mindestens eine mittels CVD ohne Plasmaanregung erzeugte Ti1-xAlxN-Hartstoffschicht enthält, wobei die Ti1-xAlxN-Hartstoffschicht als einphasige Schicht in der kubischen NaCl-Struktur mit einem Stöchiometriekoeffizienten x > 0,75 bis x = 0,93 und einer Gitterkonstante afcc zwischen 0,412 nm und 0,405 nm vorliegt,
und wobei der Chlorgehalt der Ti1-xAlxN-Hartstoffschicht im Bereich von 0,05 bis 0,9 At.% liegt und wobei der Härtewert der Ti1-xAlxN-Hartstoffschicht(en) im Bereich von 2500 HV bis 3800 HV liegt."
Der unabhängige Anspruch 4 gemäß MV-Hauptantrag lautet wie folgt:
"Verfahren zur Herstellung hartstoffbeschichteter Körper mit einem ein- oder mehrlagigen Schichtsystem, das mindestens eine Ti1-xAlxN-Hartstoffschicht enthält, nach wenigstens einem der Ansprüche 1-3, dadurch gekennzeichnet, dass die Körper in einem Reaktor bei Temperaturen im Bereich von 700 °C bis 900 °C mittels CVD ohne Plasmaanregung beschichtet werden, wobei als Precursoren Titanhalogenide, Aluminiumhalogenide und reaktive Stickstoffverbindungen Verwendung finden, die im Reaktor unmittelbar vor der Abscheidungszone bei erhöhter Temperatur gemischt werden.
Die weiteren Hilfsanträge 3, 1a, 6 und 7 sind für diese Entscheidung unerheblich.
XII. Das schriftsätzliche und mündliche Vorbringen der Beschwerdeführerin lässt sich wie folgt zusammenfassen:
a) Zulassung des MV-Hauptantrags
Der MV-Hauptantrag entspreche dem der angefochtenen Entscheidung der Einspruchsabteilung zugrundeliegenden Hauptantrag.
Im Vergleich zu dem mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hauptantrag sei in MV-Hauptantrag lediglich eine alternative Ausführungsform in Anspruch 1 gestrichen worden, die auch nicht Gegenstand der angefochtenen Entscheidung gewesen sei.
Die Frage der ausreichenden Offenbarung werde von der Streichung der alternativen Ausführungsform in Anspruch 1 nicht berührt.
Das Einreichen des MV-Hauptantrags stelle somit keine Änderung des Vorbringens in Bezug auf die Ausführbarkeit dar, werfe keine weiteren Diskussionspunkte auf und führe zu keiner Änderung der durch die Beschwerdekammer zu entscheidenden Rechtsfragen. Das Verfahren werde durch die Zulassung des MV-Hauptantrags nicht belastet oder gar verzögert.
b) Zulassung der Beweismittel D32 und D33 sowie ihrer Anlagen
Der Vortrag der Beschwerdeführerin zur Ausführbarkeit der Erfindung sei also solcher nicht neu und auch die Einreichung der Beweismittel mit Schreiben vom 30. Mai 2022 sei lediglich eine nähere Ausführung der bereits mit der Beschwerdebegründung vorgebrachten Argumentationslinie. Die Beschwerdeführerin habe die Ausführungen der Kammer in der Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK 2020 zu bislang noch nicht vorgelegten Beweismitteln zudem als Aufforderung verstanden, solche Beweismittel vorzulegen. Dies sei mit den neu eingereichten Beweismittel D32 und D33 samt Anlagen erfolgt. D32 und D33 seien auch dazu geeignet, den Einwand mangelnder Ausführbarkeit zu entkräften. Verfahrensökonomische Überlegungen stünden ihrer Zulassung nicht entgegen und auch die Beschwerdegegnerin habe sich nicht gegen die Zulassung dieser Beweismittel ausgesprochen.
c) Ausführbarkeit
- Argumente zur Ausbildung einer einphasigen Schicht
gemäß Anspruch 1 beruhend auf D26 und D27
Die bloße Behauptung, das Röntgendiffraktogramm in Abbildung 1 des Patents zeige Peaks für eine AlN Phase mit Wurzit-Struktur sei unter fachmännischer Würdigung der Abbildung nicht haltbar und sei auch nicht durch adäquate experimentelle Beweise gestützt. Zudem ließen die weiteren in D32 beschriebenen experimentellen Untersuchungen keine Zweifel daran, dass in Beispiel 1 des Patents eine rein einphasige Ti1-xAlxN-Schicht mit NaCl-Struktur erhalten worden sei. Die in Bezug auf D26 und D27 erhobenen Einwände seien daher nicht überzeugend.
- Argumente zur Ausbildung einer einphasigen Schicht
gemäß Anspruch 1 beruhend auf Aussagen von Dr. Endler
Die Begründung der angefochtenen Entscheidung stütze sich nicht auf durch Fakten erhärtbare berechtigte Zweifel. Vielmehr beruhe die angefochtene Entscheidung lediglich auf offensichtlich missverstandenen Aussagen seitens des Erfinders Herrn Dr. Endler während der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung.
Dr. Endler stelle in der als D32 eingereichten Erklärung klar, dass die in der Entscheidung der Einspruchsabteilung und der Niederschrift zur mündlichen Verhandlung wiedergegebenen Aussagen in Bezug auf die Beispiele von D9 im falschen Zusammenhang interpretiert und offensichtlich missverstandenen worden seien. Diese sei unmittelbar daran erkennbar, dass die der angefochtenen Entscheidung zugrundeliegende Interpretation seiner Aussage im Widerspruch zu der Lehre der von ihm selbst publizierten D9 stehe.
Gestützt werde diese Richtigstellung zudem durch das Gutachten von Prof. Dr. Breidenstein (D33) und die in D32 beschriebenen experimentellen Belege.
- Argumente zur Ausbildung einer einphasigen Schicht
gemäß Anspruch 1 beruhend auf D10
Bei D10 handele es sich um eine wissenschaftliche Veröffentlichung, in der absolute Aussagen stets vermieden würden. Die Offenbarung in D10 sei dementsprechend zu interpretieren.
- Argumente zur Ausbildung einer einphasigen Schicht
gemäß Anspruch 1 beruhend auf Aussagen zur Bestimmung des Stöchiometrieverhältnisses x
Das Stöchiometrieverhältnis x ("Anteil x") von Ti zu Al sei für Beispiel 1 des Patents mittels wellenlängendispersiver Röntgenspektroskopie (WDX) bestimmt worden, entsprechend der wissenschaftlich korrekten Bestimmungsmethode.
Die in der angefochtenen Entscheidung zitierte Vegard'sche Regel könne dagegen lediglich zu einer Abschätzung des Anteils x dienen, siehe D15 und Anlagen 2 und 3 von D32. Eine Gleichsetzung der Ergebnisse aus einer Berechnung mittels Vegard'scher Regel und der experimentellen Bestimmung gemäß Beispiel 1 des Patents verbiete sich daher und sei auch nie von der Beschwerdeführerin als äquivalent bezeichnet worden.
Laut Niederschrift der mündlichen Verhandlung habe Dr. Endler auf die Frage, ob die unsymmetrische Basislinie im Röntgendiffraktogramm in Abbildung 1 des Patents einen Hinweis für amorphe Phase darstelle, explizit erwidert, dass keine weiteren Phasen identifiziert worden seien.
Aus der Aussage von Dr. Endler könne daher nicht geschlossen werden, dass Abbildung 1 des Patents einen für amorphe Schichtenbestandteile typischen, steilen Anstieg der Basislinie des Röntgendiffraktogramms zeige. Auch das Gutachten D33 belege, dass Abbildung 1 des Patents keinen Hinweis darauf gebe, dass es sich bei der gemäß Beispiel 1 des Patents erhaltenen Hartstoffschicht um eine einphasige Schicht handele.
Zwar könne aus dem Kurvenverlauf gemäß Abbildung 1 aus rein wissenschaftlicher Sicht nicht absolut ausgeschlossen werden, dass amorphe Anteile in der Ti1-xAlxN-Schicht des Beispiels 1 des Patents vorlägen. Allerdings gebe es weder aus wissenschaftlicher Sicht noch in Hinblick auf die Aussagen von Dr. Endler einen Hinweis darauf. Vielmehr sei das Gegenteil der Fall, wie die Ausführungen in D33 und die weiteren in D32 beschriebenen experimentellen Untersuchungen detailliert belegten.
- Argumente zur Ausführbarkeit des Verfahrens gemäß
Anspruch 4 über die ganze Anspruchsbreite
Weder das Patent, noch eine der Schriften D9 oder D10 oder die Aussagen von Dr. Endler ließen Zweifel daran aufkommen, dass das Patent in Beispiel 1 zeige, wie eine einphasige Ti1-xAlxN-Schicht bei 800 °C hergestellt werden könne. Dies werde zudem durch die weiteren experimentellen Belege erneut bestätigt, die mit Schreiben vom 30. Mai 2022 eingereicht worden seien.
Darüber hinaus zeigten die nachveröffentlichten Daten der D9, dass mit einem AlCl3 / TiCl4 Verhältnis von 1,7 bei 800 °C und bei 850 °C erfolgreich eine rein einphasige fcc-Ti1-xAlxN-Schicht erhalten werden könne.
Dr. Endler bestätige in D32, dass die Lehre in D9 gerade keine Zweifel an der Nacharbeitbarkeit der Erfindung des Patents aufwerfe. Vielmehr belege D9, dass es bei verschiedenen Temperaturen möglich gewesen sei, eine einphasige fcc-Ti1-xAlxN-Schicht zu erzeugen. Es sei zwar laut D9 bei einem AlCl3 / TiCl4 Verhältnis von 5,1 nur bei 800 °C gelungen, eine einphasige fcc-Ti1-xAlxN-Schicht zu erzeugen. Daraus könne allerdings keinesfalls geschlossen werden, dass es grundsätzlich unmöglich sei, auch bei anderen Temperaturen eine einphasige fcc-Ti1-xAlxN-Schicht abzuscheiden, da dies der übrigen Lehre in D9 widerspreche.
1. Anwendbare Verfahrensordnung
Im vorliegenden Fall wurde die Beschwerdebegründung und die Erwiderung darauf vor dem 1. Januar 2020 eingereicht. Vorbehaltlich der Übergangsbestimmungen ist die am 1. Januar 2020 in Kraft getretene Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK 2020) daher auch auf dieses Beschwerdeverfahren anwendbar, siehe Artikel 25 VOBK 2020.
2. MV-Hauptantrag - Zulassung in das Verfahren
2.1 Mit Schreiben vom 30. Mai 2022 und damit nach Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung reichte die Beschwerdeführerin den MV-Hauptantrag ein.
2.2 Gemäß Artikel 13(2) VOBK 2020 bleiben Änderungen des Beschwerdevorbringens eines Beteiligten nach Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung grundsätzlich unberücksichtigt, es sei denn, der betreffende Beteiligte hat stichhaltige Gründe dafür aufgezeigt, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen.
Derartige außergewöhnliche Umstände liegen im vorliegenden Fall vor.
2.3 Der MV-Hauptantrag beruht auf dem mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hauptantrag, in Vergleich zu dem lediglich der in der Mitteilung nach Artikel 15(1) VOBK 2020 als unzulässig hinzugefügt identifizierte alternative Gegenstand (Ausführungsformen mit mehrphasigen Hartstoffschichten) gestrichen wurde.
Das Verfahren wird durch die Zulassung des MV-Hauptantrags, der exakt dem in der angefochtenen Entscheidung diskutierten Hauptantrag entspricht, nicht belastet oder gar verzögert. Vielmehr wird der Streitstoff im Vergleich zu dem mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hauptantrag im Sinne der Verfahrensökonomie reduziert, da eine Diskussion der Zulässigkeit von Anspruchssätzen, bei denen alternative Merkmale (Ausführungsformen von mehrphasigen Hartstoffschichten) in den Anspruchswortlaut wiederaufgenommen wurden, entfällt.
Durch die Streichung der Ausführungsformen von mehrphasigen Hartstoffschichten in Anspruch 1 werden im Vergleich zu dem mit der Beschwerdebegründung ursprünglich eingereichten Hauptantrag und dem Vorbringen der Verfahrensbeteiligten auch keine neuen Fragen aufgeworfen. Die Diskussion des MV-Hauptantrags entspricht vielmehr dem vorrangigen Ziel des Beschwerdeverfahrens, die angefochtene Entscheidung gerichtlich zu überprüfen.
In Ausübung ihres Ermessens (siehe T 172/17, Nr. 5.4 der Gründe) berücksichtigt die Kammer den MV-Hauptantrag daher in Anwendung von Artikel 13 (2) VOBK 2020.
3. Zulassung der Beweismittel D32 und D33
Das Schreiben der Beschwerdeführerin vom 30. Mai 2022 stellt in weiten Teilen eine bloße Verfeinerung ihrer bereits mit der Beschwerdebegründung vorgebrachten Argumentationslinie in Bezug auf die Ausführbarkeit der Erfindung dar. Die mit diesem Schreiben neu eingereichten Beweismittel D32 und D33 samt Anlagen bewirken zwar eine Änderung des Beschwerdevorbringens im Sinne des Artikels 13 (2) VOBK 2020 (siehe J 14/19, Nr. 1.4 der Gründe), werden von der Kammer jedoch als angemessene Reaktion der Beschwerdeführerin auf die in der Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK 2020 enthaltene indirekte Aufforderung, weitere Beweismittel zur Ausführbarkeit vorzulegen, angesehen. D32 und D33 sind offensichtlich dazu geeignet, den Einwand mangelnder Ausführbarkeit zu entkräften. Zudem stehen verfahrensökonomische Überlegungen ihrer Zulassung ebenso wenig entgegen wie berechtigte Interessen anderer Verfahrensbeteiligter, da die Beschwerdegegnerin ihren Einspruch im Beschwerdeverfahren zurückgenommen hat. In Ausübung ihres Ermessens (siehe T 172/17, Nr. 5.4 der Gründe) berücksichtigt die Kammer D32 und D33 samt Anlagen daher im Beschwerdeverfahren.
4. Artikel 100 b) EPÜ - Hauptantrag
4.1 Gegenstand des Beschwerdeverfahrens
Der Widerruf des Patents beruht auf der Ansicht der Einspruchsabteilung, wonach das Patent nicht ausreichend offenbare,
- wie eine rein einphasige Ti1-xAlxN-Hartstoffschicht
gemäß Anspruch 1 hergestellt werden kann, siehe Punkt II.1.3.5 bis II.1.4 der Entscheidungsgründe,
- wie mittels eines Herstellungsverfahrens nach
Anspruch 4 eine einphasige Ti1-xAlxN-Hartstoffschicht über den ganzen beanspruchten Temperaturbereich erzielt werden kann (siehe Punkt II.1.2.2 der Entscheidungsgründe).
Die Einspruchsabteilung kam weiter zu dem Schluss, dass die übrigen im Einspruch vorgebrachten Einwände zur Ausführbarkeit nicht überzeugen. Diese weiteren Einwände in Bezug auf die Vickers-Härtwerte und die Bestimmung des Stöchiometriekoeffizienten x auf eine reproduzierbare Art und Weise wurden von der Beschwerdegegnerin im Rahmen des Beschwerdeverfahrens nicht weiterverfolgt.
4.2 Hartstoffbeschichteter Körper mit einphasiger Schicht nach Anspruch 1 gemäß MV-Hauptantrag
4.2.1 Beispiel 1 des Patents beschreibt die Herstellung einer einphasigen Ti1-xAlxN-Hartstoffschicht mit einer kubischen NaCl-Struktur (fcc-Ti1-xAlxN) bei 800°C.
Die von der Einspruchsabteilung identifizierten Zweifel an der Ausführbarkeit dieses Beispiels beruhen auf einer Interpretation des in Abbildung 1 des Patents dargestellten Röntgendiffraktogramms einer Ti1-xAlxN-Hartstoffschicht nach Beispiel 1 und einer vom Erfinder des Patents, Herrn Dr. Endler, diesbezüglich getroffenen Aussage während der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung.
Beide Einwände sind nicht überzeugend.
4.2.2 Dr. Endler bestätigte nach einer Frage der Einspruchsabteilung, dass die schräge Basislinie am Anfang des Röntgendiffraktogramms der Abbildung 1 entsprechend Beispiel 1 des Patents auf eine amorphe Phase deuten könne und aufgrund des Röntgendiffraktogramms eine amorphe Phase aus rein wissenschaftlicher Sicht nicht ausgeschlossen werden könne.
Allerdings wies Dr. Endler während der Verhandlung auch explizit darauf hin, dass in Beispiel 1 keine amorphe Phase nachgewiesen wurde, siehe den letzten Satz des die Seiten 2 und 3 überbrückenden Absatzes der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor der Einspruchsabteilung. Dies wird auch in Beispiel 1 selbst, s. Absatz [0023] des Patents, explizit festgestellt, wonach bei der röntgenographischer Dünnschichtanalyse "nur die kubische Ti1-xAlxN-Phase" in der Probe von Beispiel 1 gefunden wurde.
4.2.3 Die Kammer ist der Ansicht, dass aus der bloßen Möglichkeit, dass ein Anstieg der Basislinie in einem Röntgendiffraktogramm unter anderem auch rein theoretisch mit dem Vorliegen einer weiteren amorphen Phase erklärt werden könnte, im Umkehrschluss nicht ohne weitere Nachweise gefolgert werden kann, dass entgegen der übrigen Lehre des Beispiels 1 zwingend eine amorphe Phase vorliegen muss. Es fehlt daher ein nachprüfbarer Beleg, dass die gemäß Beispiel 1 hergestellte Schicht nicht "einphasig" im Sinne des Patents ist.
Diese Ansicht der Kammer wird auch durch das Gutachten von Herrn Prof. Breidenstein D33 gestützt, wonach ein Anstieg der Basislinie in einem Röntgendiffraktogramm nicht zwingend aus dem Vorhandensein einer amorphen Phase resultiert, sondern beispielsweise auch durch den Versuchsaufbau bei der Messung hervorgerufen werden kann. Der Einsatz unterschiedlicher Messapparaturen könnte daher auch den Unterschied in der Form der Basislinie in den Röntgendiffraktogrammen gemäß Patent und den nachveröffentlichten Dokumenten D9 (Figur 1), D10 (Abbildung auf Seite 2, linke untere Ecke) und D25 (Figur 1) erklären.
4.2.4 In D32 bestätigt Dr. Endler zudem, dass bis heute keine weitere Phase in Rückstellproben des Beispiels 1 des Patents nachgewiesen werden konnte.
4.2.5 Die Angaben in Beispiel 1 des Patents und die diesbezüglichen Erklärungen von Dr. Endler im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung lassen daher keine begründeten Zweifel daran aufkommen, dass es sich bei der in Beispiel 1 des Patents hergestellten Schicht um eine einphasige Ti1-xAlxN-Hartstoffschicht gemäß Anspruch 1 handelt.
4.2.6 Auch die weiteren experimentellen Daten in der nachveröffentlichten Druckschrift D10, die den Gegenstand des Patents betreffen und vom Erfinder des Patents, Dr. Endler, als Co-Autor veröffentlicht wurden, zeigen eine monokristalline fcc-Ti1-xAlxN-Schicht und geben keine Hinweise auf eine amorphe Phase.
D10 offenbart eine Ti1-xAlxN-Hartstoffschicht mit einer kubischen NaCl-Struktur, siehe Seite 2, linke Spalte, letzter Absatz für hartstoffbeschichtete Körper. Das in der Abbildung auf Seite 2, linke Seite unten in D10 wiedergegebene Röntgendiffraktogramm entspricht dem der Abbildung 1 des Patents und zeigt die Ergebnisse einer Messung einer Probe, die fast ausschließlich aus
Ti1-xAlxN besteht ("almost solely consisting of cubic phase fcc-Ti1-xAlxN"), siehe Seite 2, linke Spalte, letzter Absatz, erster Satz.
Die Formulierung "almost solely" in D10 ist in dem rein wissenschaftlichem Kontext der Publikationszielgruppe zu verstehen, in dem absolute Aussagen vermieden werden. D10 offenbart zumindest gerade nicht, dass die Probe amorphe Phasen aufweist oder irgendwelche anderen Phasen. D10 als solches streut daher keine Zweifel daran, dass in Beispiel 1 des Patents eine einphasige fcc-Ti1-xAlxN-Schicht erhalten wird.
Um berechtigte Zweifel an dem Vorliegen einer einphasigen Schicht streuen zu können, hätte das Vorliegen einer weiteren Phase anhand geeigneter weiterer Versuche, beispielsweise durch Transmissionselektronenmikroskopie (TEM) und Raman-Spektroskopie belegt werden müssen, siehe Rechtsprechung, Kapitel II.C.9. Ein derartiger experimenteller Nachweis wurde von der Beschwerdegegnerin bis zur Rücknahme ihres Einspruchs allerdings nicht erbracht.
4.2.7 Das weitere von der Einspruchsabteilung herangezogene Indiz, nämlich die vermeintliche Diskrepanz bei der Bestimmung des Stöchiometriekoeffizienten x ("Anteil x"), stellt diese Ansicht ebenfalls nicht in Frage.
Gemäß Anspruch 1 soll eine Ti1-xAlxN-Schicht als einphasige Schicht in der kubischen NaCl-Struktur mit x > 0,75 bis x = 0,93 vorliegen. Die Bestimmung des Anteils x erfolgt gemäß Beispiel 1 durch Messung des Verhältnisses von Ti zu Al mittels wellenlängendispersiver Röntgenspektroskopie (WDX).
Laut der angefochtenen Entscheidung könne aus den unterschiedlichen Werten für den Anteil x, der entweder mittels WDX-Messung gemäß Beispiel 1 oder aber auch anhand einer einfachen Berechnung gemäß der Vegard'schen Regel ermittelt werden könne, auf die Anwesenheit einer amorphen Phase geschlossen werden, siehe Punkt II.1.3.5 der Entscheidung.
Dieses Argument überzeugt nicht.
Im Einspruchsverfahren hatte die Beschwerdeführerin in der Erwiderung auf den Einspruch in Punkt 6 auf Seite 5 zwar dargelegt, dass bei einer mehrphasigen Schicht die Stöchiometrie der kubischen Phase mittels der Vegard'schen Regel abgeschätzt werden könne.
Aus der Ansicht, dass die Vegard'sche Regel gemäß der Beschwerdeführerin zu einer Abschätzung des Anteils x bei mehrphasigen Schichten dienen kann, ist aber nicht unmittelbar ableitbar, dass die mittels WDX-Messung gemessenen und nach Vegard'scher Regel lediglich abgeschätzten Werte für den Anteil x identisch sein müssen.
Eine derartige Gleichsetzung der Bestimmungsmethoden für den Anteil x findet sich auch nicht im Patent und ist dem Fachmann auch nicht aus dem allgemeinen Fachwissen bekannt.
Vielmehr ist es wie von der Beschwerdeführerin während der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung vorgebracht (siehe Punkt 6, letzter Absatz der Niederschrift über die mündliche Verhandlung) bekannt, dass die Vegard'schen Regel zwar gegebenenfalls zu einer Abschätzung dienen, aber mit einer konkreten Messung nicht gleichgesetzt werden kann. Dies wird beispielsweise durch D15 (siehe Zusammenfassung) bestätigt, wonach die Abschätzung mittels Vegard'scher Regel nur unter bestimmten Abscheidungsbedingungen akkurate Ergebnisse liefert. Ferner wird dies auch von Dr. Endler in D32 (siehe Absatz 31 und den entsprechenden experimentellen Befund in Anlage 3, Figur 4) sowie von dem als Anlage 2 von D32 eingereichten Übersichtsartikel bestätigt.
Die Einspruchsabteilung liegt daher zwar mit der allgemeinen Annahme richtig, dass bei Anwesenheit amorpher Schichten größere Unterschiede vorliegen zwischen den aus WDX-Messungen berechneten Werten und den anhand der Vegard'schen Regeln abgeschätzten Werten. Aus der in Bezug auf Beispiel 1 des Patents festgestellten Diskrepanz von 10 % für den x Anteil zu schließen, dass in Beispiel 1 des Patents zwingend eine amorphe Schicht vorliegen muss, ist jedoch nicht gerechtfertigt.
4.2.8 In der Beschwerdeerwiderung vertrat die Beschwerdegegnerin unter Bezugnahme auf D26 und D27 sowie Annex 1 und 2 die Ansicht, dass das Röntgendiffraktogramm der Ti1-xAlxN-Schicht gemäß Abbildung 1 des Patents keine Hinweise auf Wolframcarbid (WC) als Substrat zeige, sondern dass es vielmehr Hinweise auf AlN in hexagonaler Phase (Wurzit-Struktur) gebe.
Allerdings sind die unter Bezug auf Abbildung 1 des Patents vorgebrachten Zweifel an der Einphasigkeit der Ti1-xAlxN-Hartstoffschicht gemäß Beispiel 1 nicht durch nachprüfbare Fakten begründet.
Die Abbildungen 1 und 2 des Patents zeigen Röntgendiffraktogramme, die unter gleichen Bedingungen aufgenommen wurden. Obwohl Abbildung 2 des Patents im Falle einer mehrphasigen Ti1-xAlxN-Hartstoffschicht bei 2-Theta-Winkeln von 49.8° und 59.3° Signale für eine hexagonale AlN Phase (Wurzit-Struktur) aufweist (mit h gekennzeichnet, siehe Absatz [0027] des Patents), fehlen diese Signale im Röntgendiffraktogramm von Abbildung 1. Das Argument der Beschwerdegegnerin ist daher nicht schlüssig, da nicht erklärt wurde, warum Abbildung 1 (Röntgendiffraktogramm der beanspruchten einphasigen Ti1-xAlxN-Hartstoffschicht) trotz des Fehlens der charakteristischen Signale bei 2-Theta-Winkeln von 49.8° und 59.3°eine hexagonalen AlN Phase belegen sollte.
Ferner wird durch die weiteren in D32 beschriebenen Untersuchungen an Rückstellproben des im Patent beschriebenen Beispiels 1 mittels Transmissionselektronenmikroskopie und Raman-Spektroskopie eindeutig experimentell bestätigt, dass die Ti1-xAlxN-Hartstoffschicht gemäß Beispiel 1 einphasig vorliegt.
Dieser Einwand überzeugt daher nicht.
4.2.9 Ein Fachmann ist daher unter Berücksichtung der Lehre des Patents in der Lage, einen beschichteten Körper mit einer einphasigen Ti1-xAlxN-Schicht nach Anspruch 1 ohne unzumutbaren Aufwand herzustellen, zumal das Patent dem Fachmann in Beispiel 1 mindestens einen Weg zur Ausführung der Erfindung offenbart, siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 9. Auflage, 2019, Kapitel II.C.5.2.
4.3 Verfahren nach Anspruch 4 gemäß MV-Hauptantrag
4.3.1 Anspruch 4 definiert ein Herstellungsverfahren, mit dem eine Ti1-xAlxN-Schicht als einphasige Schicht in der kubischen NaCl-Struktur (fcc-Ti1-xAlxN-Schicht) bei Temperaturen im Bereich von 700 °C bis 900 °C mittels CVD abgeschieden werden soll.
4.3.2 D9 beschreibt in Analogie zum Patent Verfahren zur Herstellung einer fcc-Ti1-xAlxN-Schicht mit unterschiedlichen Verhältnissen für die Precursoren AlCl3 und TiCl4 in einem Temperaturbereich von 800 °C bis 900 °C (siehe D9, Seite 531, letzter Absatz der linken Spalte sowie und Tabelle 1).
D9 zeigt, dass mit einem Verhältnis AlCl3/TiCl4 = 1.7 bei jeweils 800 °C und 850 °C eine rein einphasige fcc-Ti1-xAlxN-Schicht hergestellt wurde, siehe Figur 1 und Seite 531, rechte Spalte, Zeilen 3 bis 5. Zudem offenbart D9 in den folgenden Zeilen 8 bis 11, dass ähnliche Ergebnisse mit einem Verhältnis AlCl3/TiCl4 = 5.1 erzielt werden können.
4.3.3 Die Offenbarung in D9 steht daher der Interpretation der Einspruchsabteilung entgegen, wonach gemäß D9 die Ausbildung einer einphasigen fcc-Ti1-xAlxN-Schicht ausschließlich bei einer Temperatur von 800 °C erzielt werden könne.
Vielmehr bestätigt D9 im Wesentlichen, dass es unter Verwendung des in Beispiel 1 des Patents beschriebenen Verfahrens möglich ist, mit den üblichen Precursoren AlCl3 und TiCl4 in dem in Anspruch 4 angegebenen Temperaturbereich, nämlich bei 800°C und 850°C, eine einphasige fcc-Ti1-xAlxN-Schicht herzustellen.
4.3.4 D9 offenbart zwar weiterhin im ersten Absatz, Zeile 7 und 8 auf Seite 531: "at 900°C the fcc Ti1-xAlxN phase disappears". Diese Aussage wurde während der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung von dem Erfinder des Patents und dem Co-Autor von D9, Herrn Dr. Endler, bestätigt.
Aus der von Dr. Endler bestätigten Erkenntnis der D9, wonach es mit einem Precursorenverhältnis AlCl3/TiCl4 = 1.7 bei 900°C nicht mehr möglich ist, eine einphasige fcc-Ti1-xAlxN-Schicht abzuscheiden, kann allerdings nicht im Umkehrschluss gefolgert werden, dass es für einen Fachmann nicht möglich sei, unter Verwendung von anderen Reaktionsbedingungen gemäß den Angaben in den Absätzen [0014] bis [0019] des Patents auch bei 900°C eine derartige Schicht herzustellen.
4.3.5 Die in der angefochtenen Entscheidung in Punkt II.1.2.2 getroffene Ansicht entbehrt ferner eines durch nachprüfbare Fakten erhärteten Belegs.
Zwar hat Dr. Endler soweit auch von der Beschwerdeführerin unbestritten im Rahmen der mündlichen Verhandlung dargelegt, "dass es bei den Versuchen von D9 (Dr. Endler war einer der Autoren von D9) nur bei 800 °C gelungen ist, eine einphasige Ti1-xAlxN-Schicht zu erzeugen."
Diese Aussage entspricht in seiner in der angefochtenen Entscheidung in Punkt II.1.2.2 wiedergegebenen Allgemeinheit aber gerade nicht der Lehre von D9, so dass Zweifel bestehen, ob diese Aussage so in ihrer Allgemeinheit in Bezug auf alle in D9 beschriebenen Versuche zu verstehen war, siehe D9, Seite 531, rechte Spalte, Zeilen 3 bis 5.
Unter Berücksichtigung der gesamten Lehre in Punkt 3.1 von D9 muss vielmehr davon ausgegangen werden, dass sich die Aussage von Dr. Endler nur auf die Versuche für ein Verhältnis AlCl3 / TiCl4 von 5,1 bezog. Schließlich offenbart D9 nur für diese Versuchsreihe mit einem Verhältnis von AlCl3 / TiCl4 von 5,1, dass es lediglich bei 800 °C gelungen sei, eine fcc-Ti1-xAlxN-Schicht abzuscheiden, siehe D9, Seite 531, rechte Spalte, Zeilen 9 bis 11. Diese Interpretation der in der angefochtenen Entscheidung wiedergegebenen Aussage von Dr. Endler wird auch in Absatz 18 der D32 bestätigt.
4.3.6 Weder aus der Lehre in Absatz 3.1 von D9 noch aus der in diesem Zusammenhang zu interpretierenden Aussage von Dr. Endler ergibt sich daher ein schlüssiger und durch nachprüfbare Fakten erhärtbarer Nachweis dafür, dass das in Anspruch 4 des Patents definierte Verfahren unter Berücksichtigung des allgemeinen Fachwissens nicht in seiner kompletten Breite, insbesondere im kompletten in Anspruch 4 definierten Temperaturbereich ausführbar wäre.
4.4 Die Kammer kommt somit zu dem Schluss, dass das Patent die Erfindung so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen kann.
5. Zurückverweisung
Eine Beurteilung der Neuheit und erfinderischen Tätigkeit ist, soweit ersichtlich, im Rahmen des Einspruchsverfahrens nicht erfolgt. Diese Einspruchsgründe sind auch nicht Gegenstand der angefochtenen Entscheidung.
Ferner wurde während des Beschwerdeverfahrens der Einspruch von der Beschwerdegegnerin zurückgenommen.
Eine Prüfung des Einspruchs von Amts wegen ist nicht Gegenstand des Beschwerdeverfahrens, das im Wesentlichen der Überprüfung einer angefochtenen Entscheidung dient, siehe Artikel 12(2) VOBK 2020.
Es liegen daher außergewöhnliche Umstände im Sinne von Artikel 11 VOBK 2020, die eine Zurückverweisung der Angelegenheit an die Einspruchsabteilung rechtfertigen (Artikel 111(1) EPÜ).
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird zur weiteren Entscheidung an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen.