T 0767/19 (Rubusosid/SYMRISE) 08-11-2022
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VERWENDUNG VON RUBUSOSID ZUM VERRINGERN ODER UNTERDRÜCKEN VON BESTIMMTEN UNANGENEHMEN GESCHMACKSEINDRÜCKEN
Änderung nach Ladung - außergewöhnliche Umstände (nein)
Änderung nach Ladung - berücksichtigt (nein)
I. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) legte Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung ein, das Patent EP 2 386 211 zu widerrufen.
II. Die Einsprechende hatte den Widerruf des Patents im gesamten Umfang auf Grundlage der Einspruchsgründe gemäß Artikel 100 a) EPÜ (mangelnde Neuheit und mangelnde erfinderische Tätigkeit) und Artikel 100 b) EPÜ beantragt.
III. Die Einspruchsabteilung hat entschieden, dass keiner der vor der Einspruchsabteilung verfolgten Anträge, unter anderem aufgrund eines Mangels erfinderischer Tätigkeit gegenüber D3 (US 2009/0035427 A1) als nächstliegendem Stand der Technik, gewährbar war.
IV. Mit der Beschwerdebegründung reichte die Beschwerdeführerin einen Hauptantrag und fünf Hilfsanträge ein. Diese Anträge wurden vollumfänglich zurückgenommen und gegen einen Hauptantrag und die Hilfsanträge AR1 bis AR5, eingereicht mit Schreiben vom 3. Oktober 2022 (eingegangen am 4. Oktober 2022), ersetzt. In der mündlichen Verhandlung vor der Kammer hat die Beschwerdeführerin diesen Hauptantrag sowie die Hilfsanträge AR1 bis AR3 zurückgenommen und lediglich die Hilfsanträge AR4 und AR5 weiterverfolgt.
V. Anspruch 1 des Hilfsantrags AR4 lautet wie folgt:
"Oral konsumierbare Zubereitung, enthaltend
(i-a) Rubusosid in einer Menge im Bereich von 30 bis 100 mg/kg bevorzugt 50 bis 100 ppm, insbesondere bevorzugt im Bereich von 65 bis 100 mg/kg, jeweils bezogen auf das Gesamtgewicht der oral konsumierbaren Zubereitung in Form einer Mischung, umfassend
(a) Rubusosid in einer Menge im Bereich von 0,1 bis 50 Gew.-%, bevorzugt im Bereich von 0,5 bis 30 Gew.-%, besonders bevorzugt im Bereich von 1 bis 25 Gew.-%,
(b) eine oder mehrere phenolische Verbindungen, vorzugsweise ein oder mehrere Polyphenole, in einer Gesamtmenge im Bereich von 0,1 Gew.-% bis 25 Gew.-%, bevorzugt im Bereich von 0,5 Gew.-% bis 15 Gew.-%, weiter bevorzugt im Bereich von 1 Gew.-% bis 10 Gew.-%, besonders bevorzugt im Bereich von 2 Gew.-% bis 8 Gew.-%, und
(c) ein oder mehrere oral konsumierbare flüssige Verdünnungsmittel, ausgewählt aus der Gruppe bestehend aus Ethanol, 1,2-Propylenglycol, Pflanzenöl-triglyceride, Triacetin und/oder Glycerin, bevorzugt in einer Menge im Bereich von 1 bis 75 Gew.-%, bevorzugt im Bereich von 5 bis 50 Gew.-%, besonders bevorzugt im Bereich von 10 bis 40 Gew.-%,
jeweils bezogen auf das Gesamtgewicht der Mischung,
(i-b) einen oder mehrere bitter und/oder sauer schmeckende Stoffe, in einer Menge, welche in einer ansonsten identisch zusammengesetzten oral konsumierbaren Vergleichszubereitung ohne Bestandteil (i-a) wahrnehmbar bitter und/oder sauer schmeckt,
und die Menge an Bestandteil (i-a) ausreicht, um im Vergleich mit der Vergleichszubereitung den bitteren und/oder sauren Geschmackseindruck des oder der bitter und/oder sauer schmeckenden Stoffe zu maskieren, verringern oder unterdrücken,
wobei vorzugsweise Bestandteil (i-b) in einer Menge vorliegt, die doppelt so hoch ist wie oder höher ist als der Erkennungsgeschmacksschwellenwert des bitter oder sauer schmeckenden Stoffes bzw. der niedrigste Erkennungsgeschmacksschwellenwert des bitter und/oder sauer schmeckenden Stoffes, wenn dieser sämtliche der Geschmackseindrücke bitter und sauer vermittelt, sofern die Zubereitung lediglich einen bitter und/oder sauer schmeckenden Stoff enthält, oder der niedrigste Erkennungsgeschmacksschwellenwert der bitter und/oder sauer schmeckenden Stoffe, sofern die Zubereitung mehr als einen bitter und/oder sauer schmeckenden Stoff enthält, ausgenommen eine Zubereitung aus den Bestandteilen 12,50 Gew.-% Butter (82% Fett), 6,00 Gew.-% Zucker (Sucrose), 5,00 Gew.-% Magermilchpulver, 2,50 Gew.-% Glukosesirup (72%), 0,65 Gew.-% Emulgator SE 30 (Grindstedt Products, Dänemark), 0,20 Gew.-% Vanillearoma (Produkt 222292, Symrise), 2,00 Gew.-% Sorbitol, 0,01 Gew.-% Rebaudiosid A, 0,010 Gew.-% Extrakt aus Rubus suavissismus enthaltend 5 Gew.-% Rubusosid, 0,10 Gew.-% Hesperetin (2,5% in 1,2-Propylenglykol), 0,05 Gew.-% Phloretin (2,5% in 1,2-Propylenglykol), 0,0001 Gew.-% ortho-Kumarinsäure und Magermilch auf 100 Gew.-%."
VI. Anspruch 1 des Hilfsantrags AR5 unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hilfsantrags AR4 insbesondere dadurch, dass am Ende des Anspruchs das Merkmal "wobei die oral konsumierbare Zubereitung aus der Gruppe bestehend aus fermentierten Milchprodukten, dabei vorzugsweise Sauermilch, Joghurt, Kefir, Sauerrahm, Quark, Käse, fermentierten Sojaprodukten, dabei vorzugsweise Tempeh, Tofu, Soja Joghurt, fermentierten Getreideprodukten, fermentierten Fleischprodukten, unfermentierten oder fermentierten Obst- und Gemüsesäften, anderen Gemüse- und Fruchtzubereitungen und daraus hergestellten Produkten ausgewählt ist" eingefügt wurde und in dem Anspruchsmerkmal (i-b) die Alternative der bitter schmeckenden Stoffe gestrichen wurde.
VII. Die relevanten Argumente der Parteien, die schriftlich sowie während der mündlichen Verhandlung vorgebracht worden sind, werden nachfolgend in den Entscheidungsgründen abgehandelt.
VIII. Anträge
Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents auf Grundlage des Hilfsantrags AR4 oder AR5, beide mit ihrem Schreiben vom 3. Oktober 2022 (eingegangen am 4. Oktober 2022) eingereicht.
Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) beantragte, dass die Beschwerde zurückgewiesen wird.
HILFSANTRÄGE AR4 und AR5
1. Artikel 13 (1) und (2) VOBK 2020
1.1 Die Beschwerdegegnerin argumentierte, dass die Hilfsanträge AR4 und AR5 nicht zum Verfahren zugelassen werden sollten.
1.2 Die Beschwerdeführerin beantragte, die Hilfsanträge AR4 und AR5 zum Verfahren zuzulassen. Unter Bezugnahme auf Artikel 13(2) VOBK 2020 trug sie in ihrem Schreiben vom 3. Oktober 2022 (eingegangen am 4. Oktober 2022), Punkt II.13 insbesondere wie folgt vor:
"(a) Die neuen Anträge sind nicht verspätet.
Die Kammer hat keine Frist für die Einreichung weiterer Stellungnahmen oder Anträge gesetzt. Im Einspruchsverfahren gilt die 1-Monatsfrist gemäß R 116 EPÜ. Diese wird im vorliegenden Fall gewahrt.
(b) Die neuen Anträge führen zu keiner Änderung des Beschwerdegrundes.
Alle Anträge weisen die gleiche Einschränkung auf, nämlich die Begrenzung der Einsatzmenge an Rubusosiden auf 30 bis 100 mg/kg. Entweder wurde dieses Merkmal zusätzlich aufgenommen oder das bestehende Mengenmerkmal entsprechend eingeschränkt. Damit wird weder für die Kammer noch die Beschwerdegegnerin ein neuer Sachverhalt generiert.
(c) Die neuen Anträge stellen die Reaktion auf die vorläufige Einschätzung der Kammer dar.
Nachdem die Kammer die Auffassung vertreten hat, dass keiner der Anträge in der vorliegenden Fassung zum Erfolg führen könne, muss es dem Antragssteller möglich sein, die Anträge zu modifizieren, um eine Aussicht zu haben, in der mündlichen Verhandlung eine positive Entscheidung zu erhalten. Andernfalls wäre eine solche Verhandlung im Wesentlichen sinnlos.
(d) Die neuen Anträge konnten nicht früher vorlegt werden.
Die Kammer hat ausgeführt, dass es im Zusammenhang mit dem Nachweis erfinderischer Tätigkeit an überraschenden Effekten fehlt und dazu eigene Berechnungen angestellt. Um diese zu widerlegen bzw. die eigene Auffassung zu stützen, waren Vergleichsversuche erforderlich, die - der Corona-Pandemie geschuldet - erst vor Kurzem fertig gestellt worden sind. Die Anträge früher zu stellen und die Versuche dann als weitere Eingabe später einzureichen, schien weder arbeitsökonomisch sinnvoll noch verfahrenskonform.
Aus diesen Gründen ist die Beschwerdeführerin der Überzeugung, dass die Zulassung der neuen Anträge zulässig und gerechtfertigt ist."
1.3 Aus den folgenden Gründen liegen keine außergewöhnlichen Umstände im Sinne von Artikel 13(2) VOBK 2020 vor, die für eine Zulassung der Hilfsanträge AR4 und AR5 sprechen.
1.3.1 Wie von der Beschwerdeführerin bestätigt, wurden die Hilfsanträge AR4 und AR5 eingereicht, um dem einen Einwand mangelnder erfinderischer Tätigkeit gegenüber D3 als nächstliegendem Stand der Technik zu begegnen. Dieser Einwand wurde von der Beschwerdegegnerin bereits in der Erwiderung auf die Beschwerdebegründung erhoben (siehe Punkt V.1) des Schreibens der Beschwerdegegnerin vom 30. September 2019) und war auch bereits im Einspruchsschriftsatz enthalten (siehe Seite 14, Zeilen 1 bis 16, des Einspruchsschriftsatzes). Weder in der Beschwerdebegründung noch in Reaktion auf die Erwiderung der Beschwerdegegnerin auf die Beschwerdebegründung hat die Beschwerdeführerin durch Einreichen eines entsprechenden Antrages auf diesen Einwand reagiert.
1.3.2 Erst in Reaktion auf die in der Mitteilung der Kammer gemäß Artikel 15(1) VOBK 2020 abgegebenen vorläufigen Meinung (siehe Punkt 4.4) hat die Beschwerdeführerin auf den Einwand mangelnder erfinderischer Tätigkeit gegenüber D3 als nächstliegenden Stand der Technik reagiert und die Hilfsanträge AR4 und AR5 eingereicht.
1.3.3 Unter Punkt 4.4 der Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK 2020 hat die Kammer lediglich den bereits seit langem im Verfahren befindlichen Einwand mangelnder erfinderischer Tätigkeit gegenüber D3 als nächstliegendem Stand der Technik bewertet und keine neuen, über den Vortrag der Beschwerdegegnerin hinausgehenden Einwände oder Diskussionspunkte eingebracht. In diesem Zusammenhang wird angemerkt, dass die Kammer dabei keine eigenen Berechnungen durchgeführt hat, wie von der Beschwerdeführerin unter den Punkten VI.36. und 37. ihres Schreibens vom 3. Oktober 2022 behauptet. Vielmehr hat sie lediglich den Einwand mangelnder erfinderischer Tätigkeit, unter Berücksichtigung der Berechnungen der Beschwerdegegnerin, bewertet (siehe Punkt V.1) des Schreibens der Beschwerdegegnerin vom 30. September 2019 bzw. Seite 14, Zeilen 1 bis 16, des Einspruchsschriftsatzes).
1.3.4 Eine Reaktion auf die vorläufige Meinung der Kammer, die lediglich die bereits im Verfahren befindlichen Einwände der Beschwerdegegnerin bewertet, stellt keine außergewöhnlichen Umstände im Sinne des Artikel 13(2) VOBK 2020 dar, die eine Zulassung der Hilfsanträge AR4 und AR5 rechtfertigen könnten.
Bereits aus diesem Grund müssen die Hilfsanträge AR4 und AR5 unberücksichtigt bleiben (Artikel 13(2) VOBK 2020).
1.4 Ferner steht auch Artikel 13(1) VOBK 2020 der Zulassung der Hilfsanträge AR4 und AR5 entgegen.
1.4.1 Nach Artikel 13(1) VOBK 2020 bedürfen Änderungen des Beschwerdevorbringens eines Beteiligten nach Einreichung seiner Beschwerdebegründung oder Erwiderung rechtfertigender Gründe seitens des Beteiligten und ihre Zulassung steht im Ermessen der Kammer. Aus den nachfolgenden Gründen hat die Kammer ihr Ermessen dahingehend ausgeübt, die Hilfsanträge AR4 und AR5 nicht zum Verfahren zuzulassen.
1.4.2 Die Ansicht der Beschwerdeführerin, wonach die einschlägigen Anträge nicht verspätet seien, ist unzutreffend. Bereits in Artikel 12(3) VOBK 2020 ist vorgeschrieben, dass die Beschwerdebegründung und die Erwiderung das vollständige Beschwerdevorbringen eines Beteiligten enthalten muss. Eine Fristsetzung von Seiten der Kammer in einer Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK ist nicht erforderlich.
1.4.3 Die Kammer teilt nicht die Ansicht der Beschwerdeführerin, wonach durch die Einschränkung der Menge an Rubusosid auf 30 bis 100 mg/kg in Anspruch 1 - gegenüber der vorherigen Menge an Rubusosid von 1 bis 200 mg/kg in Anspruch 1 - kein neuer Sachverhalt generiert werde.
Wie von der Beschwerdeführerin selbst vorgetragen wurde, adressiert diese Einschränkung einen bereits lange im Verfahren befindlichen Einwand mangelnder erfinderischer Tätigkeit mit dem Hintergrund, den beanspruchten Gegenstand weiter vom zitierten Stand der Technik abzugrenzen. Dies stellt zweifelsfrei eine Änderung des Beschwerdevorbringens dar und konfrontiert die Beschwerdegegnerin etwa einen Monat vor der mündlichen Verhandlung mit neuen Fragestellungen.
Die Zulassung der Hilfsanträge AR4 und AR5 wäre insbesondere der Verfahrensökonomie abträglich und würde auch Anlass zu neuen Einwänden geben (Artikel 13(1) VOBK 2020).
1.4.4 Zusammen mit den Hilfsanträgen AR4 und AR5 wurden auch neue Vergleichversuche eingereicht, um das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit zu stützen. Im Zusammenhang mit den Hilfsanträgen AR4 und AR5 wurden somit zu einem sehr späten Verfahrensstadium auch neue Beweismittel eingereicht. Wie von der Beschwerdeführerin ausgeführt dienten diese Vergleichsversuche dazu, einen überraschenden Effekt zu belegen, der aus dem Unterscheidungsmerkmal "Rubusosid in einer Menge im Bereich von 30 bis 100 mg/kg" (d.h. dem nun erstmals weiter beschränkten Anspruchsmerkmal) resultiert. Die Beschwerdegegnerin konnte darauf nicht mehr in angemessener Weise reagieren. Zumindest war die Beschwerdegegnerin etwa einen Monat vor der mündlichen Verhandlung mit neuen Hilfsanträgen und neuen Vergleichstest konfrontiert.
Der Beschwerdegegnerin war es vor diesem Hintergrund nicht zuzumuten, sich zu diesem späten Verfahrensstadium mit den Hilfsanträgen AR4 und AR5 auseinanderzusetzen, die in Anspruch 1 erstmals im Verfahren die Limitierung "Rubusosid in einer Menge im Bereich von 30 bis 100 mg/kg", verglichen mit dem vorherigen wesentlich breiteren Merkmal "Rubusosid in einer Menge im Bereich von 1 bis 200 mg/kg" enthalten. Die Zulassung der Hilfsanträge AR4 und AR5 würde gegen ein faires und effizientes Beschwerdeverfahren sprechen.
1.4.5 Die Kammer teilt nicht die Einschätzung der Beschwerdeführerin, dass die Hilfsanträge AR4 und AR5 nicht früher hätten eingereicht werden können. Wie bereits ausgeführt, begegnen die Hilfsanträge AR4 und AR5 einem Einwand mangelnder erfinderischer Tätigkeit, der seit langem im Verfahren war. Um eine Chance auf eine Berücksichtigung zu haben, hätten diese Anträge wesentlich früher eingereicht werden müssen.
Somit stehen auch die in Artikel 13(1) VOBK 2020 niedergelegten Anforderungen der Zulassung der Hilfsanträge AR4 und AR5 entgegen.
1.5 Die Kammer hat aus den vorstehenden Gründen entschieden, dass die Hilfsanträge AR4 und AR5 unberücksichtigt bleiben (Artikel 13 (1) und (2) VOBK 2020). Diese Anträge wurden somit nicht zum Beschwerdeverfahren zugelassen.
2. Es lag somit kein zulässiger und gewährbarer Antrag vor.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.