T 2103/19 01-12-2022
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Dichtband
Neuheit - Hauptantrag (nein)
Neuheit - Hilfsanträge 1,2,8,9 (nein)
Neuheit - Hilfsanträge 3-7, 10 (ja)
Neuheit - mehrfache Auswahl
Spät eingereichter Antrag - Antrag hätte bereits im erstinstanzlichen Verfahren vorgebracht werden können (nein)
Erfinderische Tätigkeit - (nein)
Erfinderische Tätigkeit - Kombinationserfindung (nein)
Vorlage an die Große Beschwerdekammer - Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung
Vorlage an die Große Beschwerdekammer - (nein)
I. Das europäische Patent EP 2 851 478 B1 ("das Patent") betrifft ein Dichtband zur Bauwerksabdichtung.
Gegen das Patent hatte die Einsprechende Einspruch eingelegt. Als Einspruchsgründe wurden unzulässige Erweiterung des Gegenstands der Anmeldung (Artikel 100 c) EPÜ), unzureichende Offenbarung (Artikel 100 b) EPÜ) sowie mangelnde Neuheit und mangelnde erfinderische Tätigkeit (Artikel 100 a) EPÜ) geltend gemacht.
II. Die Einspruchsabteilung hat entschieden,
- dass der Gegenstand von Anspruch 1 in der erteilten Fassung zwar nicht neu ist,
- dass das Patent in eingeschränkter Fassung gemäß dem mit Schriftsatz vom 5. Februar 2019 eingereichten Hilfsantrag 1 aber den Erfordernissen des EPÜ genügt.
III. Gegen diese Entscheidung hat die Einsprechende ("Beschwerdeführerin") Beschwerde eingelegt.
IV. Eine mündliche Verhandlung fand am 1. Dezember 2022 in Form einer Videokonferenz statt.
V. Anträge
Am Schluss der mündlichen Verhandlung bestand folgende Antragslage:
Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.
Die Beschwerdegegnerin beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen, hilfsweise das Patent in geändertem Umfang auf Basis eines der mit der Beschwerdeerwiderung eingereichten Hilfsanträge 1 bis 10 aufrechtzuerhalten. Zudem stellte sie einen Antrag auf Vorlage von Vorlagefragen an die Große Beschwerdekammer.
Diese Vorlagenfragen lauten:
1. Ist die Zurückweisung eines unabhängigen Patentanspruchs eines Europäischen Patents aufgrund nicht vorliegender erfinderischer Tätigkeit gegenüber einem nächstliegenden Stand der Technik kombiniert mit dem Fachwissen des Fachmannes gerechtfertigt, wenn davon auszugehen ist, dass dieser Patentanspruch zwei Merkmale mit jeweils begrenzten Bereichsangaben enthält, wobei keines dieser Merkmale in dem nächstliegenden Stand der Technik offenbart ist und ausgehend von diesem nächstliegenden Stand der Technik die Aufgabe zugrunde gelegt wird, ein gegenüber diesem Stand der Technik alternatives Produkt bereitzustellen.
2. Falls die Frage unter 1. mit Nein beantwortet wird, ändert sich an der Situation etwas, wenn zwischen den beiden Merkmalen keine Synergieeffekte nachgewiesen wurden.
VI. Wortlaut der Ansprüche
a) Hauptantrag (entspricht dem der angefochtenen Entscheidung zugrundeliegenden Hilfsantrag 1).
Anspruch 1 inklusive der in der angefochtenen Entscheidung in Punkt I.12 vorgeschlagene Nummerierung der Merkmale lautet:
1.1 |Dichtband (1) zur Bauwerksabdichtung |
1.2 |mit einem Dichtbandkorpus (2) aus einem rückstellfähigem Weichschaumstoff, |
1.3 |wobei das Dichtband (1) obere und untere Breitseiten (3a, 4a) aufweist, |
1.4 |welche an die gegenüberliegenden Fugenflanken einer abzudichten Bauwerksfuge (20) anlegbar sind, |
1.5 |wobei der Dichtbandkorpus (2) den Dichtbandbreitseiten (3a, 4a) zugeordnet obere und untere Breitseiten (3a, 4a) und diese verbindende Schmalseiten (8, 9) aufweist, |
1.6 |welche in Abdichtanordnung des Dichtbandes (1) rauminnen- und raumaußenseitig angeordnet oder anordenbar sind, und |
1.7 |an der unteren Korpusbreitseite (4a) eine Schicht (7) eines Selbstklebemittels zur Befestigung des Dichtbandes (1) an einem Bauteil angebracht ist, |
1.8 |wobei das Dichtband (1) als Rolle (15) mit mehreren radial übereinander liegenden Windungen konfektioniert ist und |
1.9 |in den Windungen jeweils die untere Breitseite (4a) des Dichtbandkorpus mit der oberen Korpusbreite (3a) zur flächigen Anlage kommt, |
1.10 |wobei an der oberen Breitseite (3a) des Dichtbandkorpus (2) eine Decklage (6) dauerhaft angehaftet ist, |
1.11 |wobei das Dichtband (1) mit der Decklage (6) einer ersten Windung an der Selbstklebemittel-schicht (7) einer benachbarten Windung anliegend aufgerollt ist und |
1.12 |wobei die Haftkraft der Decklage (6) gegen den Dichtbandkorpus (2) größer als die Haftkraft der Decklage (6) gegen das Selbstklebemittel istdadurch gekennzeichnet, dass |
1.13 |der Weichschaumstoff des Dichtbandkorpus (2) mit wenigstens einem Imprägniermittel imprägniert ist, und |
1.14a|dass die Decklage (6) mittels eines Haftmittels an der oberen Breitseite (3a) des Dichtbandkorpus (2) befestigt ist oder |
1.14b|die Decklage (6) als eine auf dem Dichtbandkorpus (2) ausgehärtete fluide oder pastöse Beschichtungsmasse ausgebildet ist, um eine dauerhaft anhaftende Beschichtungslage aus einem Kunstharzmaterial oder dergleichen auszubilden, |
1.15 |wobei die Decklage (6) die Selbstklebeschicht (7) vorzugsweise über deren gesamte Breite überdeckt, so dass bei dem als Rolle konfektionierten Dichtband (1) mit übereinander angeordneten Windungen die Selbstklebeschicht (7) durch die Decklage (6) vollständig von dem Korpusabschnitt (2) der benachbarten Windung getrennt ist.|
b) Hilfsantrag 1
Anspruch 1 beruht auf Anspruch 1 gemäß Hauptantrag, wobei in Merkmal 1.15 das Wort "vorzugsweise" gestrichen wurde:
"wobei die Decklage (6) die Selbstklebeschicht (7) [deleted: vorzugsweise] über deren gesamte Breite überdeckt, so dass bei dem als Rolle konfektionierten Dichtband (1) mit übereinander angeordneten Windungen die Selbstklebeschicht (7) durch die Decklage (6) vollständig von dem Korpusabschnitt (2) der benachbarten Windung getrennt ist."
c) Hilfsantrag 2
Anspruch 1 beruht auf Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 mit folgender Änderung in Merkmal 1.15:
"wobei die Decklage (6) die Selbstklebeschicht (7) über deren gesamte Breite überdeckt, [deleted: so dass] wobei bei dem als Rolle konfektionierten Dichtband (1) mit übereinander angeordneten Windungen die Selbstklebeschicht (7) durch die Decklage (6) vollständig von dem Korpusabschnitt (2) der benachbarten Windung getrennt ist."
d) Hilfsantrag 3
Anspruch 1 beruht auf Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1, dem folgendes Merkmal hinzugefügt wurde:
"wobei die Haftkraft der Decklage (6) mit einer Haftmittelschicht gegen den Dichtbandkorpus um den Faktor >= 2 - 3 größer ist als die Haftkraft der Decklage (6) gegen das Selbstklebemittel der gegenüberliegenden Korpusbreiteseite."
e) Hilfsantrag 4
Anspruch 1 beruht auf Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1, dem folgendes Merkmal hinzugefügt wurde:
"wobei die an der Unterseite (4a) des Dichtbandes (1) angeordnete Selbstklebemittelschicht (7) eine Haftkraft gegen den Dichtbandkorpus (2) aufweist, die um größer/gleich den Faktor 1,5 größer als die Haftkraft der Decklage (6) gegen den Dichtbandkorpus (2)."
f) Hilfsantrag 5
Anspruch 1 beruht auf Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1, dem die jeweils den Hilfsanträgen 3 und 4 hinzugefügten Merkmale in Kombination hinzugefügt wurden.
g) Hilfsantrag 6
Anspruch 1 beruht auf Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1, dem folgendes Merkmal hinzugefügt wurde:
"wobei die Haftkraft der Decklage (6) mit der Haftmittelschicht gegen den Dichtbandkorpus um den Faktor 5 bis 150 größer ist als die Haftkraft der Decklage (6) gegen das Selbstklebemittel der gegenüberliegenden Korpusbreiteseite."
h) Hilfsantrag 7
Anspruch 1 beruht auf Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1, dem die jeweils den Hilfsanträgen 3 und 4 und 6 hinzugefügten Merkmale in Kombination hinzugefügt wurden.
i) Hilfsantrag 8
Anspruch 1 des Hilfsantrags 8 beruht auf Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 mit folgender Änderung in Merkmal 1.15:
"wobei die Selbstklebemittelschicht als durchgehende Schicht über die gesamte Korpusbreite aufgebracht ist und die Decklage (6) die Selbstklebeschicht (7) über deren gesamte Breite überdeckt, wobei bei dem als Rolle konfektionierten Dichtband (1) mit übereinander angeordneten Windungen die Selbstklebeschicht (7) durch die Decklage (6) vollständig von dem Korpusabschnitt (2) der benachbarten Windung getrennt ist."
j) Hilfsantrag 9
Anspruch 1 beruht auf Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 mit folgender Änderung in Merkmal 1.15:
"wobei die Selbstklebemittelschicht als durchgehende Schicht über die gesamte Korpusbreite aufgebracht ist und die beiden Breitseiten die Ober- und Unterseite des Dichtbandes bilden, wobei bei dem als Rolle konfektionierten Dichtband (1) mit übereinander angeordneten Windungen die Decklage (6) die Selbstklebeschicht (7) über deren gesamte Breite überdeckt, so dass [deleted: bei dem als Rolle konfektionierten Dichtband (1) mit übereinander angeordneten Windungen] die Selbstklebeschicht (7) durch die Decklage (6) vollständig von dem Korpusabschnitt (2) der benachbarten Windung getrennt ist."
k) Hilfsantrag 10
Anspruch 1 des Hilfsantrags 10 beruht auf Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 9, dem die jeweils den Hilfsanträgen 3, 4 und 6 hinzugefügten Merkmale in Kombination hinzugefügt wurden.
VII. Stand der Technik
Das folgende im Einspruchsverfahren zitierte Dokument ist für diese Entscheidung relevant:
D1: EP 1 936 247 A1
VIII. Das schriftsätzliche und mündliche Vorbringen der Beschwerdeführerin lässt sich wie folgt zusammenfassen:
a) Hauptantrag - Neuheit
D1 offenbare ein Dichtband gemäß dem Oberbegriff von Anspruch 1.
Auch die übrigen Merkmale von Anspruch 1 seien von dem Dichtband von D1 verwirklicht:
Der Weichschaumstoff des Dichtbandkorpus sei mit einem Imprägniermittel imprägniert, und die Decklage sei mittels eines Haftmittels an der oberen Breitseite des Dichtbandkorpus befestigt.
Die Decklage der unteren Windung des aufgerollten Dichtbandes erstrecke sich über die gesamte Breite der unteren Selbstklebeschicht der oberen Windung.
Der Wortlaut des Anspruchs 1 definiere nicht, dass die Überdeckung der Selbstklebeschicht ausschließlich durch die Decklage erfolgen müsse. Daher spiele es keine Rolle, dass in dem Dichtband nach Figur 3 von D1 in einem Randabschnitt noch ein weiterer Folienabschnitt zwischen der Decklage der unteren Windung und der unteren Selbstklebeschicht der oberen Windung angeordnet sei. Wichtig sei ausschließlich, dass die Decklage der unteren Windung sich über die gesamte Breite der unteren Selbstklebeschicht der oberen Windung erstrecke, diese damit überdecke und auch vollständig von dem Dichtbandkorpus trenne.
Zudem sei der die untere Selbstklebeschicht überdeckende Folienabschnitt in D1 porös. In dem abgedeckten Bereich bleibe die Funktion als Selbstklebeschicht daher erhalten.
b) Hilfsanträge 1 und 2 - Neuheit
Die Streichung des Begriffs "vorzugsweise" bzw. das Ersetzen von "so dass" durch "wobei" in Anspruch 1 ändere in Hinblick auf die Neuheit in Bezug auf D1 nichts, da die Selbstklebeschicht im aufgerollten Zustand des in D1 beschriebenen Dichtbandes vollständig über deren gesamte Breite von der Decklage überdeckt werde.
c) Hilfsantrag 3 - Neuheit
D1 offenbare zwar keine konkreten Werte für die Haftkraft der einzelnen Schichten des Dichtbandes sowie der einzelnen Windungen aufeinander. Allerdings müsse auch bei dem Dichtband nach D1 die Haftkraft der Decklage auf dem Dichtbandkorpus deutlich größer sein als die Haftkraft der Selbstklebeschicht der oberen Windung auf der Decklage der unteren Windung, um ein Abwickeln des Dichtbandes und damit die beabsichtigte Funktionalität des Dichtbandes zu ermöglichen. Daher offenbare D1 inhärent, dass die Haftkraft der Decklage gegen den Dichtbandkorpus um einen Faktor größer ist als die Haftkraft der Decklage gegen das Selbstklebemittel der benachbarten Windung. Dieser Faktor müsse inhärent deutlich >= 2 sein, um ein leichtes Abwickeln zu gewährleisten. Zu diesem Zweck diene in D1 eine Silikonisierung der Decklage, aufgrund derer das Dichtband von D1 den Faktor gemäß Anspruch 1 sicher erfülle.
d) Hilfsantrag 3 - erfinderische Tätigkeit
Das in Anspruch 1 definierte Verhältnis der Haftkräfte diene gemäß Patent lediglich dazu, ein sicheres Abwickeln des Dichtbandes zu gewährleisten.
Das Patent offenbare keinen darüberhinausgehenden überraschenden oder unerwarteten Effekt, der darauf zurückzuführen sei, dass die Haftkraft der Decklage gegen den Dichtbandkorpus um einen Faktor von ausgerechnet >= 2 größer ist als die Haftkraft der Decklage gegen das Selbstklebemittel der benachbarten Windung. Die Festlegung des Mindestwerts von >= 2 sei willkürlich.
Die objektive technische Aufgabe könne folglich darin gesehen werden, eine Ausführungsform nach D1 bereitzustellen, die ein sicheres Abwickeln des aufgerollten Dichtbandes ermögliche.
Die willkürliche Festsetzung eines Faktors gemäß Anspruch 1 stelle keine Erfindung dar, sondern spiegele lediglich eine Ausgestaltungsvariante der Lehre von D1 wider, die ein Fachmann ohnehin inhärent in Betracht gezogen bzw. im Rahmen routinemäßiger Optimierungsversuche im beanspruchten Bereich eingestellt hätte.
e) Hilfsantrag 4 - erfinderische Tätigkeit
Das in Anspruch 1 hinzugefügte Merkmal beschreibe die Haftkräfte der Schichten des Dichtbandes zueinander. Das Patent lehre dazu lediglich, dass das Dichtband dadurch an dem jeweiligen Bauteil sicher festlegbar sei.
Das Patent offenbare keinen weiteren überraschenden oder unerwarteten Effekt, der darauf zurückzuführen sei, dass die an der Unterseite des Dichtbandes angeordnete Selbstklebemittelschicht eine Haftkraft gegen den Dichtbandkorpus aufweise, die um größer/gleich den Faktor 1,5 größer sei als die Haftkraft der Decklage gegen den Dichtbandkorpus.
Der Mindestwert für den in Anspruch 1 definierten Faktor sei willkürlich festgelegt.
Ein sicheres Festlegen an einem Bauteil sei auch in D1 bestimmungsgemäß erforderlich. Das Anbringen des Dichtbandes an einem Bauteil sei sicher möglich, solange die absolute Haftkraft der einzelnen Schichten hoch genug sei, um die strukturelle Integrität beim Abwickeln und beim Anbringen des Dichtbandes zu gewährleisten.
Ein Fachmann würde bei der Nacharbeitung der D1 aufgrund seines Fachwissens Haftkräfte zwischen den einzelnen Schichten des Dichtbandes wählen, die ins Verhältnis gesetzt einen Faktor ergeben, der in den in Anspruch 1 definierten Bereich falle.
Dabei berücksichtige der Fachmann, dass die Selbstklebeschicht dem Anbringen an einem Bauteil diene, weswegen der Fachmann eine Modifizierung der Selbstklebemittelschicht nicht ohne weiteres in Erwägung ziehen würde.
Zudem offenbare D1 bereits, dass die Decklage oberflächlich silikonisiert werde, um die Haftkraft der Selbstklebeschicht auf der Decklage der benachbarten Windung zu reduzieren und ein sicheres Abwickeln zu gewährleisten. Es liege daher auf der Hand, dass die Menge an Klebemittel und damit die Haftkraft zwischen Dichtbandkorpus und Decklage an dieser Stelle einfach reduziert werden könne, um beispielsweise Kosten zu sparen.
f) Hilfsantrag 5 - erfinderische Tätigkeit
Die in Bezug auf die Hilfsanträge 3 und 4 vorgebrachten Argumente gälten gleichermaßen für die Kombination dieser Hilfsanträge in Form von Hilfsantrag 5.
g) Hilfsantrag 6 - erfinderische Tätigkeit
In Bezug auf Hilfsantrag 6 gelte im Wesentlichen die gleiche Argumentation wie in Hinblick auf Hilfsantrag 3.
h) Hilfsanträge 7 bis 10 - Zulassung
Die Hilfsanträge 7 und 8 hätten im Einspruchsverfahren bereits eingereicht werden können, da die im Beschwerdeverfahren vorgebrachten Einwände auch schon im Einspruchsverfahren vorgebracht worden seien. Zudem sei der in diesen Hilfsanträgen definierte Gegenstand nicht konvergierend.
i) Hilfsantrag 7 - erfinderische Tätigkeit
Die in Bezug auf die Hilfsanträge 3, 4 und 6 vorgebrachten Argumente gälten gleichermaßen für die Kombination dieser Hilfsanträge in Form von Hilfsantrag 7.
j) Hilfsanträge 8, 9 - Neuheit
Die in Bezug auf den Hauptantrag vorgebrachten Einwände zur Neuheit gälten gleichermaßen für den Gegenstand von Anspruch 1 der Hilfsanträge 8 und 9, da der Dichtbandkorpus des Dichtbandes nach D1 auf einer Breitseite vollflächig von der Selbstklebeschicht bedeckt sei.
k) Hilfsantrag 10 - erfinderische Tätigkeit
Die im Vergleich zu Anspruch 1 von Hilfsantrag 7 hinzugefügten Merkmale seien aus D1 bekannt wie in Hinblick auf die Hilfsanträge 8 und 9 dargelegt. Damit unterscheide sich der Gegenstand von Anspruch 1 durch die gleichen Merkmale wie Anspruch 1 von Hilfsantrag 7 und sei dementsprechend aus den gleichen Gründen naheliegend.
l) Antrag auf Vorlage von Vorlagefragen an die Große Beschwerdekammer
Eine Vorlage an die Große Beschwerdekammer sei nicht angebracht. Die von der Beschwerdegegnerin vorgeschlagenen Fragen beträfen keine rechtlichen Fragen von grundsätzlicher Bedeutung und seien inhaltlich ohne Bedeutung für den vorliegenden Fall.
IX. Das entsprechende Vorbringen der Beschwerdegegnerin lässt sich folgendermaßen zusammenfassen:
a) Hauptantrag - Neuheit
D1 offenbare ein Dichtband, bei dem neben der Decklage auch ein weiteres Folienstück die Selbstklebeschicht von dem Korpusabschnitt der benachbarten Windung trenne.
Das Wort "vollständig" im Zusammenhang mit mit dem Ausdruck "durch die Decklage" in Merkmal 1.15 des Anspruchs 1 definiere jedoch, dass die vollständige Trennung alleinig mittels der Decklage realisiert werde. Andere Trennlagen seien durch diesen Wortlaut ausgeschlossen.
b) Hilfsanträge 1 und 2 - Neuheit
Anspruch 1 stelle klar, dass die Selbstklebeschicht über ihre komplette Breite von der Decklage der benachbarten Windung überdeckt werde. Dies sei bei dem in D1 beschriebenen Dichtband nicht der Fall, da ein weiteres Folienstück einen Teil der Selbstklebeschicht bedecke.
Auch wenn man berücksichtige, dass dieses weitere Folienstück perforiert sei, so blieben immer Stege, die die Selbstklebeschicht überdeckten. Derartige Stege seien durch den Wortlaut "durch die Decklage ..." in Merkmal 1.15 des Anspruchs 1 ausgeschlossen.
c) Hilfsantrag 3 - Neuheit
D1 beschreibe nicht, mit welcher Haftkraft die einzelnen Schichten des Dichtbandes im aufgerollten Zustand aufeinander kleben.
Daher offenbare D1 auch nicht, dass die Haftkraft der Decklage mit einer Haftmittelschicht gegen den Dichtbandkorpus um den Faktor >= 2 größer sei als die Haftkraft der Decklage gegen das Selbstklebemittel der gegenüberliegenden Korpusbreitseite.
d) Hilfsantrag 3 - erfinderische Tätigkeit
Ausgehend von der Ausführungsform in Figur 3 der D1 bestehe für den Fachmann keinerlei Veranlassung dafür, einen Faktor zu bestimmen, der ein Mindestverhältnis der Haftkraft der Decklage gegen den Dichtbandkorpus zu der Haftkraft der Decklage gegen das Selbstklebemittel der gegenüberliegenden Korpusbreitseite angebe.
Die Beschwerdeführerin habe keinen Nachweis erbracht, dass der in Anspruch 1 genannte Faktor einem Fachmann geläufig sei. Für den Fachmann bestehe ausgehend von D1 daher noch nicht einmal eine erkennbare Motivation, den in Anspruch 1 definierten Faktor in Betracht zu ziehen, geschweige denn, einen Mindestwert für diesen Faktor gemäß den Angaben in Anspruch 1 zu wählen.
e) Hilfsantrag 4 - erfinderische Tätigkeit
Da D1 in Bezug auf die Haftkraft der einzelnen Schichten keine Lehre vermittle, sei es auch nicht naheliegend, das Verhältnis der Haftkräfte entsprechend dem Faktor in Anspruch 1 zu wählen.
Der in Anspruch 1 genannte Faktor ermögliche es, eine höhere Variabilität in der Anwendung des Dichtbandes zu erzielen, da es bei Einhaltung des angegebenen Faktors möglich sei, beim Abwickeln des Dichtbandes wahlweise die Decklage vom Dichtbandkorpus oder die Selbstklebeschicht von der Decklage der benachbarten Windung abzuziehen. Zudem sei es zumindest nicht naheliegend, dass die Haftkraft der Decklage auf dem Dichtbandkorpus reduziert werden könne, um so ein kostengünstigeres Produkt zu erhalten.
Die Wahl des Faktors gemäß Anspruch 1 zur Erhöhung der Flexibilität in der Anwendung des Dichtbandes liege ausgehend von D1 nicht nahe.
f) Hilfsantrag 5 - erfinderische Tätigkeit
Da D1 in Bezug auf die Haftkraft der einzelnen Schichten keine Lehre vermittle, sei es ohne erkennbaren Hinweis in D1 und ohne weiteren Beleg diesbezüglichen Fachwissens nicht naheliegend, zwei Faktoren entsprechend Anspruch 1 zu wählen, die jeweils das Verhältnis der Haftkraft bestimmter Schichten charakterisierten. Eine derartige mehrfache Auswahl liege ausgehend von D1 nicht nahe.
Insbesondere die Kombination der beiden definierten Faktoren ermögliche es, ein Dichtband zur Verfügung zu stellen, das einerseits kostengünstig in der Herstellung und andererseits flexibel je nach Einbausituation einsetzbar sei. Des Weiteren löse das Dichtband nach Anspruch 1 alle in den Absätzen [0012] und [0014] des Patents allgemein genannten Aufgaben.
g) Hilfsantrag 6 - erfinderische Tätigkeit
Der Gegenstand von Anspruch 1 sei deutlich abgegrenzt von der Offenbarung von D1 und definiere einen engen, beidseitig begrenzten Bereich für den Faktor, der das Verhältnis der Haftkraft der Decklage gegen den Dichtbandkorpus zur Haftkraft der Decklage gegen das Selbstklebemittel der gegenüberliegenden Korpusbreitseite charakterisiere.
Ausgehend von D1 bestehe keine Veranlassung, das Haftkraftverhältnis gemäß dem in Anspruch 1 definierten Faktor zu wählen.
h) Hilfsanträge 7 bis 10 - Zulassung
In Anbetracht der vorläufigen Meinung der Einspruchsabteilung und dem nachfolgenden Verlauf des Einspruchsverfahrens habe im Einspruchsverfahren keine Notwendigkeit bestanden, weitere Anträge einzureichen. Es bestehe daher kein Grund, diese Anträge im Beschwerdeverfahren unberücksichtigt zu lassen.
i) Hilfsantrag 7 - erfinderische Tätigkeit
In Bezug auf Hilfsantrag 7 gelte im Wesentlichen die gleiche Argumentation wie für Hilfsantrag 5, zumal da der Gegenstand von Anspruch 1 in Analogie zu Anspruch 1 des Hilfsantrags 6 weiter von der Lehre von D1 abgegrenzt worden sei. Die Kombination der in Anspruch 1 genannten Faktoren ermögliche insbesondere alle in den Absätzen [0012] und [0014] allgemein genannten Aufgaben zu lösen. Ein Fachmann habe keinerlei Veranlassung ausgehend von D1 die Haftkräfte zwischen einzelnen Schichten so zu wählen, dass die daraus ableitbaren Faktoren in die jeweiligen Wertebereiche von Anspruch 1 fallen.
j) Hilfsanträge 8, 9 - Neuheit
Anspruch 1 der Hilfsanträge 8 und 9 stelle klar, dass die Selbstklebemittelschicht als durchgehende Schicht über die gesamte Korpusbreite aufgebracht sei.
Im Dichtband nach D1 sei dies nicht der Fall, da die Selbstklebemittelschicht in einem Randbereich von einem porösem Folienabschnitt bedeckt werde. Zumindest im Bereich der Stege des porösen Folienabschnitts stehe kein Selbstklebemittel zur Befestigung an ein Bauteil zur Verfügung.
k) Hilfsantrag 10 - erfinderische Tätigkeit
Der Gegenstand von Anspruch 1 sei aus den in Bezug auf Hilfsantrag 7 angegebenen Gründen ausgehend von D1 nicht naheliegend.
l) Antrag auf Vorlage von Vorlagefragen an die Große Beschwerdekammer
Die Auswahl von Parameterbereichen sei in vielen technischen Gebieten üblich, um sich vom Stand der Technik abzugrenzen. Die Vorlagefragen seien daher Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung.
1. Hauptantrag - Neuheit
1.1 D1 offenbart in Figur 3 unstreitig ein Dichtband gemäß dem Oberbegriff des Anspruchs 1 (Merkmale 1.1 bis 1.12 von Anspruch 1).
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
Auch stimmen die Verfahrensbeteiligten in ihrer Auffassung darin überein, dass die Merkmale 1.13 und 1.14a nach Anspruch 1 von dem in D1 beschriebenen Dichtband verwirklicht werden:
- der Dichtbandkorpus 1 aus einem Weichschaum ist mit einem seine Rückstellung verzögernden Imprägniermittel imprägniert, siehe Spalte 4, Zeilen 50 bis 52 von D1,
- das Dichtband weist in dem in Figur 3 zusammengerollt dargestellten Zustand ein als Decklage fungierendes Folienstück 5b auf, das mit einer Klebeschicht 2b auf dem Dichtbandkorpus 1 angeklebt ist.
1.2 Die Decklage 5b des Dichtbandes nach D1 überdeckt im zusammengerollten Zustand des Dichtbandes die vollflächig auf dem Dichtbandkorpus vorliegende Selbstklebeschicht 2a der darüber angeordneten Windung des Dichtbandes, siehe Figur 3. Mithin wird die Selbstklebeschicht 2a durch die Decklage 5b von dem Korpusabschnitt 1 der benachbarten Windung getrennt.
Dabei wird die Selbstklebeschicht 2a in einem Randbereich bereits von einem weiteren porösen Folienabschnitt 5a abgedeckt, siehe Figur 3 von D1. Die Durchbrüche in dem Folienabschnitt 5a sind ausreichend groß, so dass weiter eine Haftung der Selbstklebe-schicht 2a erzielt werden kann, siehe Absatz [0021] von D1.
Eine derartige Ausführungsform, bei der die Selbstklebeschicht nicht nur von der Decklage der benachbarten Windung, sondern auch von einem weiteren Folienabschnitt abgedeckt wird, soll nach Ansicht der Beschwerdegegnerin vom Wortlaut von Anspruch 1 ausgeschlossen sein. Ihrer Ansicht nach, werde dies aus dem Wortlaut "die Selbstklebeschicht (7) durch die Decklage (6) vollständig... getrennt ist" (Hervorhebung durch die Kammer) deutlich.
Dieses Argument der Beschwerdegegnerin überzeugt nicht.
D1 offenbart in Absatz [0021], dass der Folienab-schnitt 5a porös ausgebildet ist und die Selbstklebefunktion in diesem Bereich des Folienabschnitts 5a erhalten bleibt.
Auch wenn in diesem Bereich die eigentliche Klebemittelschicht von den Stegen des porösen Folienabschnitts teilweise bedeckt wird, ist der von dem Folienabschnitt 5a "bedeckte" Bereich immer noch funktional als Klebeschicht ausgebildet und stellt daher eine Selbstklebeschicht im Sinne des Patents dar.
Die Decklage 5b von D1 überdeckt somit die Selbstklebeschicht 2a der benachbarten Windung vollständig über ihre komplette Fläche und trennt diese vom entsprechenden gegenüberliegenden Korpusabschnitt.
Ohne dass es darauf in der Sache noch ankäme, ist zudem festzustellen, dass der Wortlaut des Anspruchs 1 ("durch die Decklage") lediglich bedingt, dass die Decklage vollständig die Selbstklebeschicht der benachbarten Windung von dem Korpusabschnitt trennt. Der Wortlaut von Anspruch 1 lässt es entgegen der Ansicht der Beschwerdegegnerin aber offen, ob ein Teil der Selbstklebeschicht zusätzlich auch schon von einer anderen Schicht teilweise abgedeckt wird und von dem Korpusabschnitt getrennt wird.
1.3 Die Kammer kommt daher zu dem Schluss, dass der Gegenstand von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag nicht neu gegenüber der Offenbarung von D1 ist und dieser Anspruch damit nicht die Erfordernisse von Artikel 54 EPÜ erfüllt.
2. Hilfsantrag 1 - Neuheit
Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 entspricht Anspruch 1 gemäß Hauptantrag, wobei in Merkmal 1.15 das Wort "vorzugsweise" gestrichen wurde.
Diese Änderung ändert nichts in Bezug auf die obigen Ausführungen zur Neuheit gegenüber der Offenbarung von D1, denn auch bei der in Figur 3 von D1 dargestellten Ausgestaltung eines Dichtbandes überdeckt die Decklage 5b die Selbstklebeschicht 2a der benachbarten Windung über deren gesamte Breite.
Die Kammer kommt daher zu dem Schluss, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 1 gegenüber der Offenbarung von D1 nicht neu ist und dieser Anspruch damit nicht die Erfordernisse von Artikel 54 EPÜ erfüllt.
3. Hilfsantrag 2 - Neuheit
Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 entspricht mit Ausnahme einer sprachlichen Klarstellung dem Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1.
Daher gelten für diesen Antrag die gleichen Ausführungen zur Neuheit wie für den Hilfsantrag 1.
Die Kammer kommt daher zu dem Schluss, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 2 gegenüber der Offenbarung von D1 nicht neu ist und dieser Anspruch nicht die Erfordernisse von Artikel 54 EPÜ erfüllt.
4. Hilfsantrag 3 - Neuheit
Bei dem Dichtband von D1 muss ein Abwickeln des aufgerollten Dichtbandes gewährleistet sein und das Abwickeln ist diesem Dichtband daher inhärent. D1 offenbart daher zwangsläufig und damit implizit, dass die Haftkraft der Selbstklebeschicht an der Decklage der benachbarten Windung geringer sein muss als die Haftkraft der Decklage an dem Dichtbandkorpus.
Folglich offenbart D1 auch zwangsläufig, dass die Haftkraft der Decklage gegen den Dichtbandkorpus um einen Faktor größer ist als die Haftkraft der Decklage gegen das Selbstklebemittel der gegenüberliegenden Korpusbreitseite.
Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag definiert für das aufgerollte Dichtband einen Mindestfaktor für das Verhältnis dieser Haftkräfte zueinander.
Wie groß dieser Faktor für das in Figur 3 von D1 dargestellte Dichtband ist, insbesondere ob dieser Faktor >= 2 ist, kann aus D1 aber nicht direkt und unmittelbar abgeleitet werden. Denn weder definiert D1, welche Haftmittel in den Klebeschichten 2a und 2b eingesetzt werden, noch ist in Absatz [0026] angegeben, um welchen Faktor die Haftkraft zwischen der Selbstklebeschicht 2a und der Decklage der benachbarten Windung durch die in diesem Absatz beschriebene Silikonisierung der Decklage reduziert wird.
Zwar mag es wahrscheinlich sein, dass die Silikonisierung eine drastische Reduzierung der Haftkraft der Selbstklebeschicht auf der Decklage der benachbarten Windung erzielt. Gemäß der Rechtsprechung ist die Frage der Neuheit jedoch keine Frage der Wahrscheinlichkeit, sondern der Unvermeidbarkeit (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 10. Auflage, 2022, Kapitel I.C.4.1.).
Der Gegenstand des Anspruch 1 von Hilfsantrag 3 ist daher neu und dieser Anspruch erfüllt daher die Erfordernisse von Artikel 54 EPÜ.
5. Hilfsantrag 3 - erfinderische Tätigkeit
5.1 D1 stellt einen geeigneten nächstliegenden Stand der Technik dar, da D1 wie das Patent ein Dichtband betrifft.
Wie im vorangehenden Punkt festgestellt, unterscheidet sich der Gegenstand von Anspruch 1 von dem Dichtband nach D1 dadurch, dass die Haftkraft der Decklage gegen den Dichtbandkorpus um einen Faktor >= 2 größer ist als die Haftkraft der Decklage gegen das Selbstklebemittel der gegenüberliegenden Korpusbreitseite.
5.2 Gemäß Absatz [0077] des Patents dient dieses Verhältnis der Haftkräfte allgemein dazu, dass die Decklage sich einerseits beim Abwickeln des Dichtbandes sicher von der Selbstklebeschicht der benachbarten Windung lösen kann, und auch dazu, dass ein ausreichender Zusammenhalt der Rolle- auch bei lateraler Krafteinwirkung auf die Dichtbandrolle - gewährleistet ist.
Dieser Effekt muss auch von dem Dichtband von D1 erreicht werden, da auch bei der in Figur 3 von D1 beschriebenen Ausgestaltungsform das aufgerollte Dichtband abgewickelt werden soll, und der nach außen hin einseitig silikonisierte Folienabschnitt 5b als Abziehlage dient, siehe Absatz [0026] von D1. Gleichzeitig muss auch bei dem in D1, Figur 3 gezeigten Band ein ausreichender Zusammenhalt der Rolle gewährleistet sein.
Weitere überraschende oder vorteilhafte Effekte, die sich durch den in Anspruch 1 definierten Faktor erzielen lassen, lassen sich dem Anspruch nicht entnehmen und werden im Patent auch nicht beschrieben, insbesondere auch nicht in dem konkreten Ausführungsbeispiel. Zwar werden im Patent für ein bestimmtes Ausführungsbeispiel konkrete Werte der verschiedenen Haftkräfte genannt (vgl. Absatz [0106] bis Absatz [0109]). Ein Beleg für die Bedeutung des im Anspruch 1 definierten Faktors und insbesondere für den beanspruchten Grenzwert, z. B. durch experimentelle Werte für erfinderische Ausführungsformen im Vergleich zu nicht unter die Erfindung fallenden Vergleichsbeispielen, wie sie im Bereich der Auswahlerfindungen üblich und auch oft angebracht sind, findet sich jedoch darin nicht. Diesbezüglich beschreibt auch Absatz [0077] des Patents nicht, dass ein Effekt gerade dadurch erzielt wird, dass für den in Anspruch 1 definierten Faktor ein bestimmter Mindestwert gewählt wird.
Bei der in Anspruch 1 definierten Untergrenze des nach oben offenen Wertebereichs (Faktor >= 2) handelt es sich daher um einen Grenzwert, dem das Patent keinen Effekt zuweist, sodass es sich um einen willkürlich gewählten Grenzwert handelt.
5.3 Die Beschwerdegegnerin argumentiert, dass durch den in Anspruch 1 definierten Faktor die in Absatz [0012] des Patents allgemein genannten Vorteile erzielt werden können.
Dieser Ansicht kann sich die Kammer nicht anschließen.
5.4 Nach der ständigen Rechtsprechung der Kammern kann für die Formulierung der objektiven technischen Aufgabe ein Effekt oder ein Vorteil nur herangezogen werden, wenn glaubhaft dargelegt wurde, dass das behauptete Ergebnis auch erzielt wird. Dies setzt voraus, dass dieses Ergebnis unmittelbar auf das Unterscheidungsmerkmal gegenüber dem nächstliegenden Stand der Technik zurückzuführen ist. Dies kann beispielsweise durch entsprechende Daten oder Vergleichsversuche belegt werden (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 10. Auflage, 2022, Kapitel I.D.4.3.2.).
5.4.1 Das Patent offenbart keinen erkennbaren Zusammenhang zwischen den in Absatz [0012] allgemein beschriebenen Vorteilen und Problemstellungen und den in Absatz [0077] aufgelisteten Verhältnissen bestimmter Haftkräfte zwischen einzelnen Schichten. Beispielsweise wird im Patent nicht beschrieben und ist auch sonst dem Patent nicht entnehmbar, inwiefern die Decklage nur deswegen vielfältig variiert und gestaltet werden kann, weil die Haftkraft der Decklage mit einer Haftmittelschicht gegen den Dichtbandkorpus um einen Faktor >= 2 größer ist als die Haftkraft der Decklage gegen das Selbstklebemittel der gegenüberliegenden Korpusbreitseite. Eine derartige Lehre wird auch nicht aus dem konkreten Ausführungsbeispiel des Patents deutlich.
5.4.2 Des Weiteren werden einige der in Absatz [0012] genannten Vorteile in Bezug auf Ausführungsformen genannt, die einen nicht-imprägnierten Schaumstoffkorpus betreffen, der nicht Gegenstand der Offenbarung in D1 ist.
5.4.3 Die pauschalen und daher unspezifischen Aussagen in Absatz [0012] des Patents können im vorliegenden Fall daher bei der Formulierung der objektiven technischen Aufgabe nicht berücksichtigt werden.
5.5 Unter Berücksichtigung des in Absatz [0077] des Patents genannten und glaubhaften Effekts, kann die objektive technische Aufgabe darin gesehen werden, ein Dichtband gemäß D1 bereitzustellen, das sicher abgewickelt werden kann und im aufgerollten Zustand einen ausreichenden Zusammenhalt der Rolle besitzt.
5.6 Die Wahl der absoluten Haftkraft von Klebeschichten in einem mehrlagigen Dichtband und deren Verhältnisse erfolgt anhand fachüblicher Routine durch einen Fachmann unter Berücksichtigung der vorbekannten zu erzielenden Wirkung (die in D1 die gleiche ist wie im Patent) und der dazu erforderlichen Haftkräfte. Im Fall der Selbstklebeschicht wählt ein Fachmann beispielsweise eine Haftkraft, die üblicherweise zum Fixieren eines Dichtbandes an einem Bauteil eingesetzt wird.
Zudem liegt es im Rahmen fachmännischer Überlegungen, dass das Abwickeln des aufgerollten Dichtbandes umso sicherer erfolgen kann, je fester die einzelnen Schichten des Dichtbandes aneinander haften und je schwächer die Haftung zwischen Selbstklebeschicht und der Decklage der aufliegenden Windung ist.
Dieses allgemeine, für einen Fachmann aufgrund seines Fachwissens unmittelbar ableitbare Verständnis des Aufbaus eines aufgerollten, mehrlagigen Dichtbandes wird durch den in Anspruch 1 definierten Faktor zum Ausdruck gebracht. Entgegen der Ansicht der Beschwerdegegnerin erfordert weder die Formulierung des Faktors als solches noch die willkürliche Festlegung eines Mindestwerts dafür ein erfinderisches Zutun seitens des Fachmanns.
Der Fachmann würde aufgrund seines allgemeinen Fachwissens die Haftkräfte so wählen, dass ihr Verhältnis einem Faktor entspricht, der in den in Anspruch 1 definierten Bereich fällt, insbesondere auch da dies schon durch die in D1 beschriebene Silikonisierung der Decklage angeregt wird. Nachdem die Haftkraft zum Fixieren des Dichtbandes an einem Bauteil sich im durch die äußeren Anwendungsbedingungen vorgegebenen Rahmen bewegen muss, ist dabei im Wesentlichen die Haftkraft zwischen Selbstklebeschicht und Deckschicht hinsichtlich der auch für D1 geltenden Kriterien zu optimieren. Dies liegt im Bereich des fachmännischen Handelns.
Für ein Nahliegen des beanspruchten Gegenstands ist es dabei nicht notwendig, dass der Fachmann das Verhältnis, d. h. den "Faktor" selbst, als Kriterium erkennt, oder gar den unteren Grenzwert herleiten kann. Es genügt, dass er in naheliegender Weise Haftkräfte verwenden würde, die zu einem Faktor im beanspruchten Bereich führen.
5.7 Der Gegenstand des Anspruch 1 des Hilfsantrags 3 beruht daher nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit und der Anspruch erfüllt nicht die Erfordernisse von Artikel 56 EPÜ.
6. Hilfsantrag 4 - erfinderische Tätigkeit
6.1 Ausgehend von dem Dichtband nach Figur 3 von D1 unterscheidet sich der Gegenstand von Anspruch 1 dadurch, dass die an der Unterseite des Dichtbandes angeordnete Selbstklebemittelschicht eine Haftkraft gegen den Dichtbandkorpus aufweist, die um größer/gleich den Faktor 1,5 größer als die Haftkraft der Decklage gegen den Dichtbandkorpus ist.
Das Unterscheidungsmerkmal nach Anspruch 1 charakterisiert also wie stark die einzelnen Schichten des Dichtbandes als solches aneinanderhaften.
6.2 Die Beschwerdegegnerin argumentiert, dass durch dieses Unterscheidungsmerkmal eine komplexe Aufgabenstellung gelöst werde, die unter Berücksichtigung der allgemeinen Zielsetzungen in den Absätzen [0012] und [0014] zu formulieren sei.
Dieses Argument überzeugt allerdings nicht.
6.2.1 Das Patent lässt keinen erkennbaren Zusammenhang zwischen dem in Absatz [0078] genannten Faktor und den in den Absätzen [0012] und [0014] genannten Aufgaben und Zielsetzungen erkennen, siehe obige Ausführungen in Punkt 5.4.
6.2.2 Zudem ist die Decklage gemäß den Ausführungen in Absatz [0102] des Patents bereits nicht mehr zerstörungsfrei von dem Dichtbandkorpus entfernbar:
"An der Korpusoberseite 3a ist mittels einer Haftmittelschicht in Form einer Schmelzkleberschicht eine Decklage dauerhaft an dem Korpus befestigt. Die Decklage ist nicht zerstörungsfrei von dem Korpus abziehbar, in der Regel unter Zerstörung bzw. Beschädigung des Korpus durch an der Haftmittelschicht anhaftender Bereiche des Korpus."
Gemäß Anspruch 1 soll die Selbstklebeschicht nun sogar um den Faktor 1,5 stärker als die Decklage am Dichtbandkorpus haften. Daraus folgt, dass auch die Selbstklebeschicht nicht mehr zerstörungsfrei von dem Korpus abziehbar ist.
Der Wert des in Anspruch 1 definierten Faktors bleibt mithin - zumindest in den in Absatz [0102] beschriebenen Ausführungsformen - letztendlich ohne technische Bedeutung, da unabhängig von dessen theoretischen Wert die Haftkraft beider Schichten immer höher ist als die Kraft die nötig ist, um den Schaumstoffkorpus des Dichtbandes zu zerstören.
6.2.3 Auch sind etwaige Vorteile, die möglicherweise durch Ausführungsformen ohne Antihaftbeschichtung erzielbar sind, ohne Belang, denn Anspruch 1 lässt offen, ob eine Antihaftbeschichtung auf der Decklage vorhanden ist oder nicht. Zudem stellt der Einsatz einer Antihaftbeschichtung gemäß Patent eine klar bevorzugte Ausführungsform dar, siehe Absatz [0070] und Anspruch 2 des Patents. Ebenso wird im einzigen konkret beschriebenen Ausführungsbeispiel des Patents (siehe Absätze [0103], [0106], [0109]) ein Dichtband beschrieben, das eine Antihaftbeschichtung auf der Decklage aufweist.
Zumindest für den Schutzumfang von Anspruch 1, der auf diese Ausführungsformen mit einer Antihaftbeschichtung abzielt, ist die in Absatz [0012] beschriebene Zielsetzung der Bereitstellung eines Dichtbandes ohne Antihaftbeschichtung der Decklage ohne Relevanz.
6.2.4 Zudem ist von der Beschwerdegegnerin nicht überzeugend dargelegt worden, warum eine starke Haftkraft der Selbstklebeschicht in Kombination mit einer schwachen Haftkraft der Decklage am Dichtbandkorpus zwingend dazu führen soll, dass auf eine Antihaftbeschichtung verzichtet werden kann. Vielmehr ist das Gegenteil zu erwarten, denn beim Abwickeln eines derartig ausgestalteten Dichtbandes klebt die Selbstklebeschicht stärker an der benachbarten Decklage als die Decklage am Dichtbandkorpus. Damit wäre ein sicheres Abwickeln des Dichtbandes nicht mehr gewährleitstet, denn beim Abwickeln würde die Decklage unter Zerstörung des Dichtbandkorpus von der Selbstklebeschicht der benachbarten Wicklung mit abgewickelt werden.
6.2.5 Ferner lässt sich aus der Aussage in Absatz [0012] ("kann gegebenenfalls die Decklage der gegenüberliegenden Korpusbreitseite, welche bei aufgerolltem Dichtband flächig an der freien Klebeseite der Selbstklebeschicht anliegt, vielfältig variiert und gestaltet werden") entgegen der Auffassung der Beschwerdegegnerin nicht ableiten, dass es sogar eine Zielsetzung des Patents sei, ein Dichtband bereitzustellen, bei dem je nach Einbausituation beim Abwickeln wahlweise die Decklage vom Dichtbandkorpus oder die Selbstklebeschicht von der benachbarten Decklage getrennt wird.
Keine der im Patent in den Figuren dargestellten Ausführungsformen zeigt ein Dichtband ohne Decklage.
Eine derartig formulierte Zielsetzung widerspräche auch der übrigen Lehre des Patents, da gemäß Absatz [0102] des Patents die Decklage ja gerade nicht mehr zerstörungsfrei von dem Dichtbandkorpus abgelöst werden kann und andererseits gemäß den Ausführungen in Absatz [0077] und im Ausführungsbeispiel des Patents ein sicheres Abwickeln des Dichtbandes ohne Abtrennung der Decklage gewünscht ist.
6.3 Gemäß Absatz [0078] des Patents ist ein Dichtband mit einem in Anspruch 1 definierten Faktor der Haftkräfte sicher an dem jeweiligen Bauteil festlegbar.
Diese Zielsetzung ist jedem Dichtband inhärent, da ein Dichtband ja üblicherweise als Ganzes an einem Bauteil angebracht werden soll.
Beide Verfahrensbeteiligte waren sich zudem darin einig, dass ein Fachmann immer bestrebt ist, für ein gegebenes Produkt die Herstellungskosten zu reduzieren. Diese Problemstellung ist gemäß den Ausführungen der Beschwerdegegnerin für einen Fachmann auch unmittelbar aus dem Unterscheidungsmerkmal ableitbar, da ein Fachmann ja wisse, dass eine geringe Haftkraft durch weniger Haftmitteleinsatz erzielt werden könne und weniger Haftmitteleinsatz geringere Kosten verursache.
Unter Berücksichtigung dieser allgemeinen und grundsätzlich immer erstrebenswerten Zielsetzung sowie des in Absatz [0078] des Patents beschriebenen technischen Effekts kann - soweit den Ausführungen der Beschwerdegegnerin folgend - die objektive technische Aufgabe daher darin gesehen werden, ein Dichtband bereitzustellen, das kostengünstig produziert werden kann und gleichzeitig noch eine ausreichend hohe integrale Stabilität aufweist, um als Ganzes sicher an einem Bauteil befestigt werden zu können.
6.4 Diese Aufgabenstellung wird gemäß dem in Anspruch 1 definierten Faktor dadurch gelöst, dass die Haftkraft der Decklage auf dem Dichtbandkorpus im Vergleich zur Haftkraft der Selbstklebeschicht am Dichtbandkorpus um einen bestimmten Faktor niedriger ist.
Diese Maßnahme erfordert jedoch kein erfinderisches Zutun seitens eines Fachmanns, um das zugrundeliegende Problem zu lösen.
In Übereinstimmung mit dem Vorbringen beider Verfahrensbeteiligten ist sich der Fachmann bewusst, dass die Haftkraft mit der Einsatzmenge an Haftmittel korreliert und dass ein Fachmann stets bestrebt ist, die Haftkraft der Selbstklebeschicht im üblichen Rahmen zu belassen, um ein sicheres Anbringen an einem Bauteil wie einem Fensterrahmen zu gewährleisten. Damit ist die Haftmittelschicht zwischen Decklage und Dichtbandkorpus diejenige Haftmittelschicht, die ein Fachmann zur Weiterbildung des Dichtbandes in Erwägung ziehen würde.
Zudem lehrt die D1 bereits, dass die Haftkraft der Selbstklebeschicht an der Decklage durch die Silikonisierung der Decklage reduziert ist. Daraus folgt unmittelbar, dass die Haftkraft der Decklage am Dichtbandkorpus zwar noch ausreichend hoch sein muss, um eine für die übliche Handhabung ausreichend hohe integrale Stabilität zu gewährleisten. Gleichzeit folgt daraus aber auch, dass die Haftkraft der Decklage am Dichtbandkorpus nicht mehr so hoch sein muss, um ein ungewolltes Abtrennen mittels der Selbstklebeschicht beim Abwickeln zu verhindern.
Das gleiche Fachwissen, das den Fachmann von dem in Anspruch 1 definierten Haftkräftefaktor gemäß der Argumentation beider Parteien auf die im Patent nicht explizit genannte, jedoch (unter anderen) auch von der Beschwerdegegnerin formulierte objektive Aufgabe einer Kostenreduzierung schließen lässt, leitet den Fachmann umgekehrt dazu an, das Dichtband der D1 mittels Haftmittelreduzierung kostengünstiger zu gestalten. Diese Haftmittelreduzierung erfolgt naheliegend dort, wo dies unmittelbar erkennbar möglich ist, ohne die sichere Festlegbarkeit des Dichtbands am Bauteil zu gefährden, nämlich in der Haftmittelschicht zwischen Decklage und Dichtbandkorpus auf Grund der Silikonisierung der nach außen weisenden Decklagenoberseite. Dies führt zum Anspruchsgegenstand, ohne dass - vgl. obigen Punkt 5.6 - dabei der beanspruchte "Faktor" selbst als Kriterium erkannt, oder der Grenzwert selbst hergeleitet werden müsste.
6.5 Der Gegenstand von Anspruch 1 ergibt sich daher ausgehend von D1 als nächstliegendem Stand der Technik für den Fachmann in naheliegender Weise und der Anspruch erfüllt demnach nicht die Erfordernisse von Artikel 56 EPÜ.
7. Hilfsantrag 5 - erfinderische Tätigkeit
7.1.1 Anspruch 1 stellt im Wesentlichen eine Kombination des Gegenstands der Hilfsanträge 3 und 4 dar.
7.1.2 Der Gegenstand von Anspruch 1 unterscheidet sich von der Offenbarung mithin durch zwei in Anspruch 1 definierte Parameterbereiche, wonach
- die Haftkraft der Decklage (6) mit der Haftmittelschicht gegen den Dichtbandkorpus um den Faktor >= 2-3 größer ist als die Haftkraft der Decklage (6) gegen das Selbstklebemittel der gegenüberliegenden Korpusbreitseite
und
- die an der Unterseite (4a) des Dichtbandes (1) angeordnete Selbstklebemittelschicht (7) eine Haftkraft gegen den Dichtbandkorpus (2) aufweist, die um größer/gleich den Faktor 1,5 größer als die Haftkraft der Decklage (6) gegen den Dichtbandkorpus (2).
7.1.3 Wie in den obigen Punkten zu den Hilfsanträgen 3 und 4 dargelegt, werden die in Anspruch 1 definierten Faktoren in den Absätzen [0077] und [0078] des Patents unabhängig voneinander diskutiert. Beide Faktoren betreffen eigenständige technische Problemstellungen, nämlich einerseits die Gewährleistung eines sicheren Abwickelns und andererseits die Bereitstellung einer kostengünstigen, sicher an einem Bauteil festlegbaren Ausführungsform des Dichtbandes (siehe die obige Diskussion zu den Hilfsanträgen 3 und 4).
Das Patent enthält keinen Hinweis oder Beleg dafür, dass die beiden Faktoren in synergistischer Weise zusammenwirken oder aufgrund einer funktionalen Wechselwirkung einen unerwarteten Effekt bewirken. Insbesondere auch im Ausführungsbeispiel des Patents finden sich diesbezüglich keine Belege.
Bei den beiden Unterscheidungsmerkmalen gemäß Anspruch 1 handelt es sich daher um eine Aggregation eigenständiger, voneinander unabhängiger Merkmale (unabhängige Parameter), deren Naheliegen getrennt voneinander evaluiert werden muss, siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 2022, 10. Auflage, Kapitel I.D. 9.3.2. Die von der Beschwerdegegnerin hervorgehobene Tatsache, dass hier hinsichtlich der Parameter eine doppelte Auswahl getroffen werde, die den Gegenstand des Patents in seiner Breite erheblich einschränke, ist dabei eher ein Kriterium für die Neuheit als für das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit.
7.1.4 Da jeder in Anspruch 1 definierte Faktor der Haftkräfte für sich genommen ausgehend von D1 naheliegend ist (siehe obige Diskussion zu den Hilfsanträgen 3 und 4), würde der Fachmann auch beide Faktoren in naheliegender Art und Weise zusammen wählen, um die beiden entsprechenden Teilaufgaben zu lösen, also um ein kostengünstiges Dichtungsband bereitzustellen, das einerseits sicher abgerollt werden kann und anderseits sicher an einem Bauteil festgelegt werden kann.
7.1.5 Der Gegenstand des Anspruchs 1 von Hilfsantrag 5 ist daher nicht erfinderische und der Anspruch erfüllt nicht die Erfordernisse von Artikel 56 EPÜ.
8. Hilfsantrag 6 - erfinderische Tätigkeit
Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 6 entspricht im Wesentlichem dem Gegenstand von Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 3, wobei der offene Wertbereich des Faktors von >= 2 auf 5 bis 150 eingeschränkt wurde.
Wie in Bezug auf Anspruch 1 des Hilfsantrags 3 oben dargelegt, liegt es aufgrund der in D1 beschriebenen Silikonisierung der Decklage für einen Fachmann nahe, die Haftkraft der Decklage gegen den Dichtbandkorpus erheblich größer als die Haftkraft der Decklage gegen das Selbstklebemittel der gegenüberliegenden Korpusbreitseite auszubilden.
Das Ausmaß dieses Haftkräfteverhältnisses lässt sich von einem Fachmann nach den sowohl für das Patent als auch für das Dichtband gemäß D1 geltenden Kriterien einstellen (s. obigen Punkt 5.6). Folglich ist es ausgehend von D1 auch naheliegend, dass der Fachmann Haftkräfte wählt, die einen Faktor ergeben, der in dem in Anspruch 1 definierten willkürlich gewählten Wertebereich liegt.
Anspruch 1 von Hilfsantrag 6 erfüllt daher nicht die Erfordernisse von Artikel 56 EPÜ.
9. Hilfsanträge 8 und 9
9.1 Zulassung
Aufgrund der im Anhang zur Ladung zur mündlichen Verhandlung dargelegten vorläufigen Meinung der Einspruchsabteilung zugunsten der Beschwerdegegnerin bestand im Einspruchsverfahren keine zwingende Notwendigkeit, weitere Hilfsanträge einzureichen. Auch während der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung bestand aufgrund der Ansicht der Einspruchsabteilung, wonach der Gegenstand von Anspruch 1 des damaligen Hilfsantrags 1 den Erfordernissen des EPÜ genügt, dazu keine Veranlassung.
Das Einreichen der Hilfsanträge 8 und 9 stellt daher eine angemessene Reaktion auf die von der Beschwerdeführerin eingelegte Beschwerde dar.
Die Kammer sieht daher unter Ausübung ihres Ermessens nach Artikel 12(4) VOBK 2007 in Verbindung mit Artikel 25 (2) VOBK 2020 keine Grund dafür, die Hilfsanträge unberücksichtigt zu lassen.
9.2 Neuheit
Anspruch 1 der Hilfsanträge 8 und 9 definiert, dass die Selbstklebemittelschicht als durchgehende Schicht über die gesamte Korpusbreit aufgebracht ist.
Auch in D1 ist, wie bereits in Bezug auf den Hauptantrag dargelegt, die Selbstklebemittelschicht 2a als durchgehende Schicht über die gesamte Korpusbreite aufgebracht.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 der Hilfsanträge 8 und 9 ist daher ebenfalls nicht neu und der Anspruch erfüllt daher nicht die Erfordernisse von Artikel 54 EPÜ.
10. Hilfsanträge 7 und 10
10.1 Zulassung
Die Beschwerdeführerin hat während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer nach erfolgter Diskussion der Zulassung der Hilfsanträge 8 und 9 die Zulassung der weiteren Hilfsanträge 7 und 10 nicht mehr explizit und mit einer separaten Argumentationslinie in Frage gestellt.
Nimmt man zugunsten der Patentinhaberin an, dass auch das Einreichen der Hilfsanträge 7 und 10 eine angemessene Reaktion auf die von der Beschwerdeführerin eingelegte Beschwerde darstellt, so kommt man für diese Anträge zu dem Schluss, dass der in Anspruch 1 dieser Anträge definierte Gegenstand ausgehend von D1 für den Fachmann naheliegend ist. Eine detaillierte Diskussion der Zulassung dieser Anträge, gegebenenfalls unter Berücksichtigung der Konvergenz des in diesen Anträgen definierten Gegenstands im Vergleich den übrigen Anträgen, kann daher entfallen.
10.2 Erfinderische Tätigkeit - Hilfsantrag 7
10.2.1 Anspruch 1 stellt im Wesentlichen eine Kombination des Gegenstands der Hilfsanträge 3, 4 und 6 dar, wobei das Merkmal "wobei die Haftkraft der Decklage (6) mit einer Haftmittelschicht gegen den Dichtbandkorpus um den Faktor >= 2 - 3 größer ist als die Haftkraft der Decklage (6) gegen das Selbstklebemittel der gegenüberliegenden Korpusbreitseite" (entsprechend Hilfsantrag 3) aufgrund des weiteren Merkmals "wobei die Haftkraft der Decklage (6) mit der Haftmittelschicht gegen den Dichtbandkorpus um den Faktor 5 bis 150 größer ist als die Haftkraft der Decklage (6) gegen das Selbstklebemittel der gegenüberliegenden Korpusbreitseite" (entsprechend in Hilfsantrag 6) redundant ist.
10.2.2 Der Gegenstand von Anspruch 1 unterscheidet sich von der Offenbarung mithin durch zwei in Anspruch 1 definierte Parameterbereiche, wonach
- die Haftkraft der Decklage (6) mit der Haftmittelschicht gegen den Dichtbandkorpus um den Faktor 5 bis 150 größer ist als die Haftkraft der Decklage (6) gegen das Selbstklebemittel der gegenüberliegenden Korpusbreitseite
und
- die an der Unterseite (4a) des Dichtbandes (1) angeordnete Selbstklebemittelschicht (7) eine Haftkraft gegen den Dichtbandkorpus (2) aufweist, die um größer/gleich den Faktor 1,5 größer als die Haftkraft der Decklage (6) gegen den Dichtbandkorpus (2).
10.2.3 Wie in Bezug auf Hilfsantrag 5 oben dargelegt, werden die in Anspruch 1 definierten Faktoren in den Absätzen [0077] und [0078] des Patents unabhängig voneinander diskutiert.
Das Patent enthält keinen Hinweis oder Beleg dafür, dass die beiden in Anspruch 1 genannten Faktoren in synergistischer Weise zusammenwirken oder aufgrund einer funktionalen Wechselwirkung einen unerwarteten Effekt bewirken. Insbesondere auch im Ausführungsbeispiel des Patents finden sich diesbezüglich keine Belege.
Bei den beiden Unterscheidungsmerkmalen gemäß Anspruch 1 handelt es sich daher, wie auch schon in Bezug auf Hilfsantrag 5 festgestellt, um eine Aggregation eigenständiger, voneinander unabhängiger Merkmale (unabhängige Parameter), deren Naheliegen getrennt voneinander evaluiert werden muss.
10.2.4 Da jeder in Anspruch 1 definierte Faktor der Haftkräfte für sich genommen ausgehend von D1 naheliegend ist (siehe obige Diskussion zu den Hilfsanträgen 4 und 6), würde der Fachmann auch beide Faktoren in naheliegender Art und Weise zusammen wählen, um die beiden entsprechenden Teilaufgaben zu lösen, also um ein kostengünstiges Dichtungsband bereitzustellen, das einerseits sicher abgerollt werden kann und anderseits sicher an einem Bauteil festgelegt werden kann.
10.2.5 Der Gegenstand des Anspruchs 1 von Hilfsantrag 7 ist daher nicht erfinderisch und dieser Anspruch erfüllt demnach nicht die Erfordernisse von Artikel 56 EPÜ.
10.3 Erfinderische Tätigkeit - Hilfsantrag 10
Anspruch 1 unterscheidet sich von der Offenbarung von D1 durch die gleichen Merkmale wie Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 7.
Der Gegenstand von Anspruch 1 ist daher ausgehend von D1 aus den für Hilfsantrag 7 oben dargelegten Gründen naheliegend und erfüllt nicht die Erfordernisse von Artikel 56 EPÜ.
11. Antrage auf Vorlage von Vorlagefragen
11.1 Nach der Diskussion aller Anträge während der mündlichen Verhandlung und der Feststellung der Kammer, dass keiner der von der Beschwerdegegnerin eingereichten Anträge den Erfordernissen der Artikel 54 und 56 EPÜ genügt, stellte die Beschwerdegegnerin den Antrag folgende Vorlagefragen der Großen Beschwerdekammer vorzulegen:
1. Ist die Zurückweisung eines unabhängigen Patentanspruchs eines Europäischen Patents aufgrund nicht vorliegender erfinderischer Tätigkeit gegenüber einem nächstliegenden Stand der Technik kombiniert mit dem Fachwissen des Fachmannes gerechtfertigt, wenn davon auszugehen ist, dass dieser Patentanspruch zwei Merkmale mit jeweils begrenzten Bereichsangaben enthält, wobei keines dieser Merkmale in dem nächstliegenden Stand der Technik offenbart ist und ausgehend von diesem nächstliegenden Stand der Technik die Aufgabe zugrunde gelegt wird, ein gegenüber diesem Stand der Technik alternatives Produkt bereitzustellen.
2. Falls die Frage unter 1. mit Nein beantwortet wird, ändert sich an der Situation etwas, wenn zwischen den beiden Merkmalen keine Synergieeffekte nachgewiesen wurden.
Die Beschwerdeführerin rechtfertigt diesen Antrag auf Vorlage nach Artikel 112 (1) a) EPÜ damit, dass es sich bei den Vorlagefragen um Fragen von grundsätzlicher Bedeutung handele.
Dies ist im vorliegenden Fall jedoch nicht gegeben.
11.2 Die Fragen der Beschwerdegegnerin adressieren unter Angabe bestimmter Voraussetzungen die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit, die damit eine Frage in der Sache betrifft und keine allgemeine Rechtsfrage. Bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit ist dabei im Rahmen des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes maßgeblich auf die im Patent im Vergleich zum nächstliegenden Stand der Technik konkret genannten bzw. für den Fachmann erkennbaren technischen Effekte und Aufgabenstellungen abzustellen, wie auch aus der ausführlichen Diskussion im vorliegenden Fall ersichtlich. Eine grundsätzliche Bedeutung der im spezifischen Fall zu beantwortenden konkreten Fragestellungen ist daher zu verneinen.
Weiterhin ist es ständige Praxis der Rechtsprechung, dass bei zwei Unterscheidungsmerkmalen, unabhängig davon ob es sich dabei um Parameter handelt oder nicht, eine Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit nach den üblichen Maßgaben zu erfolgen hat, beispielsweise wie im vorliegenden Fall unter Berücksichtigung von Teilaufgaben (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 10. Auflage, 2022, Kapitel I.D.9.3.).
Es stellt daher entgegen der Ansicht der Beschwerdegegnerin keinen ungewöhnlichen Umstand dar, dass im vorliegenden Fall zwei Parameter die Unterscheidungsmerkmale bilden und darüber zu entscheiden ist, ob die Einhaltung dieser beiden Parameter für einen Fachmann naheliegend ist, um eine zu bestimmende objektive Aufgabe zu lösen.
Daher erfüllen die Vorlagefragen nicht die in Artikel 112 EPÜ genannten Voraussetzungen, die eine Vorlage an die Große Beschwerdekammer rechtfertigen könnten.
11.3 Zudem ist die Beantwortung der Vorlagefragen auch nicht relevant, um im vorliegenden Fall über den Gegenstand der Beschwerde entscheiden zu können.
Die von dem Gegenstand von Anspruch 1 der Hilfsanträge 3 bis 7 und 10 jeweils objektiv zu lösende Aufgabe wurde schließlich (diesbezüglich teilweise der Argumentation der Beschwerdegegnerin folgend) entgegen dem in der Vorlagefrage 1 dargestellten Szenario nicht lediglich darin gesehen, eine Alternative bereitzustellen.
11.4 Der Antrag auf Vorlage von Vorlagefragen an die Große Beschwerdekammer wird daher zurückgewiesen.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.
3. Der Antrag auf Vorlage von Vorlagefragen an die Große Beschwerdekammer wird zurückgewiesen.