T 0503/20 15-06-2023
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Herstellung von Hohlkörpern aus einer Glasschmelze
Ladung zur mündlichen Verhandlung - Fortsetzung des Verfahrens ohne ordnungsgemäß geladenen Beteiligten
Vorlage an die Große Beschwerdekammer - (nein)
Erfinderische Tätigkeit - (nein)
Ermessen Vorbringen nicht zuzulassen - Vorbringen zugelassen (nein)
I. Die Einsprechende (Beschwerdeführerin) legte form- und fristgerecht Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung ein, mit der der Einspruch gegen das europäische Patent Nr. 2 660 210 zurückgewiesen wurde.
II. Mit Mitteilung gemäß Regel 100 (2) EPÜ vom 23. März 2022 teilte die Kammer in der damaligen Zusammensetzung den Parteien ihre vorläufige Beurteilung der Sach- und Rechtslage mit, derzufolge der Beschwerde stattzugeben sein dürfte.
III. Mit Schriftsatz vom 22. Juli 2022 reichte die Patentinhaberin erneut den Hilfsantrag 0.1 sowie einen gegenüber dem Hilfsantrag 0.1 nachrangigen Hilfsantrag 0.2 ein. Die Patentinhaberin beantragte ferner, das Verfahren auszusetzen und der Großen Beschwerdekammer gemäß Artikel 112 EPÜ folgende Fragen zur Entscheidung vorzulegen:
Frage 1
"Ist es rechtlich zulässig, ein Vorbringen einer Verfahrensbeteiligten gemäß Artikel 12 (5) VOBK 2020 in dem Beschwerdeverfahren im Rahmen der Ausübung des Ermessens nicht zuzulassen, obwohl diese in ihrer Beschwerdeerwiderung (teilweise) zur Vermeidung von Wiederholungen auf ihr (dezidiertes und substantiiertes) Vorbringen im Einspruchsverfahren dergestalt Bezug nimmt, dass sie dieses ausdrücklich "auch zum Gegenstand des Vortrags im vorliegenden Beschwerdeverfahren" (Rn. 5 der Beschwerdeerwiderung) macht, insb., wenn dies weiter dergestalt geschieht, dass in der Beschwerdeerwiderung auf konkrete Randnummern in der Einspruchserwiderung und in der Duplik Bezug genommen wird (Rn. 64 der Beschwerdeerwiderung)?"
Frage 2
"Spielt es für die Entscheidung zu Ziff. 1 eine Rolle, dass die auf ihren Vortrag im Verfahren vor der Einspruchsabteilung Bezug nehmende Verfahrensbeteiligte im Einspruchsverfahren obsiegt hat (wegen bejahter erfinderischer Tätigkeit) und die von der Einspruchsabteilung bejahte (offenkundige) Vorbenutzung von dieser Verfahrensbeteiligten mittels eigener Beschwer nicht gesondert mittels Beschwerde angreifbar war?"
Frage 3
"Tritt rechtlich eine 'Ermessensreduzierung auf Null' in Bezug auf die Zulassung eines Hilfsantrags der Patentinhaberin im Beschwerdeverfahren (hier: Hilfsantrag 0.1) ein, wenn das Patent im Verfahren vor der Einspruchsabteilung in vollem Umfang aufrechterhalten wurde und der Hilfsantrag eine Maßnahme der Patentinhaberin gegenüber dem (erstmaligen) Beschwerdeangriff der (unterlegenen) Einsprechenden zu der von der Einspruchsabteilung gegebenen Begründung zur Aufrechterhaltung des Patents ist, die mit der Auffassung der Patentinhaberin übereinstimmt?"
"Gilt selbiges für einen weiteren Hilfsantrag (hier: Hilfsantrag 0.2), der in Reaktion auf den Zwischenbescheid einer Beschwerdekammer ergangen ist, und mit dem deren Bedenken zu der von der Einspruchsabteilung zugrundegelegten Sichtweise des Fachmanns bei der Auslegung eines Merkmals des zu überprüfenden Anspruchs dergestalt Rechnung getragen werden soll, dass die Bedenken der Beschwerdekammer ausgeräumt und die Entscheidung der Einspruchsabteilung rechtsbeständig werden kann?"
Frage 4
"Ist es rechtlich zulässig, in Bezug auf den in Ziff. 4 angesprochenen Hilfsantrag von einer Änderung des Beschwerdevorbringens der Beschwerdegegnerin und davon zu sprechen, dass der Hilfsantrag nicht Teil des Einspruchsverfahrens gewesen sei, obwohl der Inhalt des Hilfsantrags bereits schriftsätzlich im Verfahren vor der Einspruchsabteilung thematisiert wurde (Schriftsatz der Patentinhaberin vom 09.08.2019, S.6 Rn 36) und obwohl dieser Hilfsantrag (in anderen Worten) die Begründung zusammenfasst, mit welcher die Einspruchsabteilung das Patent aufrechterhalten hat (hier: "Leerhub" und "dritte Position", vgl. Reschwerdeerwiderung S. 2 Rn 4)?"
Frage 5
"Ist es rechtlich zulässig, im Rahmen einer Ermessensausübung einen Sachvortrag einer Verfahrensbeteiligten (hier: der Patentinhaberin zur behaupteten offenkundigen Vorbenutzung durch die Einsprechende) gem. Art 12 (5) VOBK nicht zuzulassen oder tritt insoweit eine 'Ermessensreduzierung auf Null' ein, wenn die Verfahrensbeteiligte in Bezug auf eine Bedienungsanleitung zu einer Maschine in der Beschwerdeerwiderung zu der Beschwerdebegründung der Einsprechenden substantiiert einen anderen Sachverhalt schildert, dem die Einsprechende nicht entgegentritt und, wenn dieser andere Sachverhalt komplementär mit den Sachverhaltsfeststellungen der Einspruchsabteilung übereinstimmt?"
IV. Mit Schriftsatz vom 2. August 2022 nahm die Einsprechende bezüglich der Mitteilung der Kammer Stellung und mit Schriftsatz vom 5. Oktober 2022 erwiderte die Einsprechende auf die Stellungsnahme der Patentinhaberin.
V. Mit Schriftsatz vom 15. Mai 2023 teilte die Patentinhaberin der Kammer mit, dass sie sämtliche nationalen Teile des europäischen Patents aufgegeben hat und an der mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen wird.
VI. Mit Mitteilung vom 31. Mai 2023 informierte die Kammer die Parteien, dass die im Bescheid von 23. März 2022 bekanntgegebene vorläufige Stellungnahme der Kammer in der damaligen Zusammensetzung von der Kammer in der aktuellen Zusammensetzung im vollen Umfang geteilt wird.
VII. Mit Schriftsatz vom 14. Juni 2023 bestätigte die Patentinhaberin die bisher im Verfahren gestellten Anträge.
VIII. Am 15. Juni 2023 fand die mündliche Verhandlung vor der Kammer in Abwesenheit der Patentinhaberin statt (Regel 115 (2) EPÜ, Artikel 15(3) VOBK 2020). In der mündlichen Verhandlung erklärte die Einsprechende ihre mit der Beschwerdebegründung vorgelegten Anträge für endgültig.
Die zuletzt gestellten Anträge der Parteien lauten daher wie folgt:
Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen, hilfsweise das Beschwerdeverfahren auszusetzen, um der Großen Beschwerdekammer die Fragen 1-5 gemäß Schreiben vom 22. Juli 2022 vorzulegen, weiter hilfsweise das Patent in geändertem Umfang aufrechtzuerhalten auf der Grundlage eines der folgenden Hilfsanträge: 0.1 wie eingereicht mit der Beschwerdeerwiderung, 0.2 wie eingereicht mit Schreiben vom 22. Juli 2022 oder 1 - 5 wie eingereicht mit Schreiben datiert 9. August 2019 (eingegangen am 21. August 2019).
Wegen der Einzelheiten des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf das Protokoll verwiesen.
Der Tenor der Entscheidung wurde am Schluss der Verhandlung verkündet.
IX. In dieser Entscheidung werden folgende Dokumente zitiert:
E1b1: Handbuch zur Maschine PSL2 auf italienisch;
E1b1-ES Handbuch zur Maschine PSL2 auf spanisch;
E5: DE 10210227.
X. Anspruch 1 des Patents in erteilter Fassung lautet:
1. Vorrichtung zur Herstellung von Hohlkörpern (31)
aus einer Glasschmelze (27) mit
1.1 - wenigstens einem Plunger (26) und
1.2 - einem Antrieb (15), der als Servoantrieb (15)
ausgebildet ist,
1.3 - einem, den Kölbel (27) aufnehmenden
Neckring (35) und
1.4 - einem Antrieb (40) des Neckrings (35), der als
Servoantrieb ausgebildet ist,
1.5 - einer Vorform (11) zur Aufnahme einer
Glasschmelze (27),
1.6.1 - wobei der Servoantrieb (15) zur stufenlosen
Bewegung des Plungers (26) innerhalb des
Neckrings (35) ausgebildet ist und
1.6.2 - wobei sich der Plunger (26) zur Vorform (11)
bewegt, dadurch gekennzeichnet, dass
1.7 der Abstand des servoangetriebenen
Plungers (26) zu dem in der Vorform (11)
befindlichen Glastropfen vor dem Pressvorgang
derart einstellbar ist, dass der Abstand frei
wählbar ist.
XI. Anspruch 1 des Patents in geändert Fassung gemäß Hilfsantrag 0.1 lautet (Änderungen gegenüber dem Anspruch 1 des Patents in erteilter Fassung unterstrichen durch die Kammer):
1. Vorrichtung zur Herstellung von Hohlkörpern (31)
aus einer Glasschmelze (27) mit
1.1 - wenigstens einem Plunger (26) und
1.2 - einem Antrieb (15), der als Servoantrieb (15)
ausgebildet ist,
1.3 - einem, den Kölbel (27) aufnehmenden
Neckring (35) und
1.4 - einem Antrieb (40) des Neckrings (35), der als
Servoantrieb ausgebildet ist,
1.5 - einer Vorform (11) zur Aufnahme einer
Glasschmelze (27),
1.6.1 - wobei der Servoantrieb (15) zur stufenlosen
Bewegung des Plungers (26) innerhalb des
Neckrings (35) ausgebildet ist und
1.6.2 - wobei sich der Plunger (26) zur Vorform (11)
bewegt, dadurch gekennzeichnet, dass
1.7 der Abstand des servoangetriebenen
Plungers (26) zu dem in der Vorform (11)
befindlichen Glastropfen vor dem Pressvorgang
derart einstellbar ist, dass der Abstand frei
wählbar ist und dadurch ein Leerhub vermeidbar
ist.
XII. Anspruch 1 des Patents in geändert Fassung gemäß Hilfsantrag 0.2 lautet (Änderungen gegenüber dem Anspruch 1 des Patents in erteilter Fassung unterstrichen durch die Kammer):
1. Vorrichtung zur Herstellung von Hohlkörpern (31)
aus einer Glasschmelze (27) mit
1.1 - wenigstens einem Plunger (26) und
1.2 - einem Antrieb (15), der als Servoantrieb (15)
ausgebildet ist,
1.3 - einem, den Kölbel (27) aufnehmenden
Neckring (35) und
1.4 - einem Antrieb (40) des Neckrings (35), der als
Servoantrieb ausgebildet ist,
1.5 - einer Vorform (11) zur Aufnahme einer
Glasschmelze (27),
1.6.1 - wobei der Servoantrieb (15) zur stufenlosen
Bewegung des Plungers (26) innerhalb des
Neckrings (35) ausgebildet ist und
1.6.2 - wobei sich der Plunger (26) zur Vorform (11)
bewegt, dadurch gekennzeichnet, dass
1.7 die stufenlose Bewegung des Plungers so
kontrolliert ist, dass der Plunger jede
beliebige Position zwischen zwei Endstellungen
oder Zwischenstellungen einnehmen kann und
dass der Abstand des servoangetriebenen
Plungers (26) zu dem in der Vorform (11)
befindlichen Glastropfen vor dem Pressvorgang
derart einstellbar ist, dass der Abstand frei
wählbar ist und dadurch ein Leerhub vermeidbar
ist.
XIII. Im Hinblick auf die Entscheidung der Kammer ist eine Wiedergabe des Wortlauts von Ansprüchen der gegenüber dem Hilfsantrag 0.2 nachrangigen Anträge nicht erforderlich.
XIV. Das entscheidungserhebliche Vorbringen der Parteien wird im Detail in den Entscheidungsgründen diskutiert.
1. Rechtliches Gehör (Artikel 113(1) EPÜ)
Die ordnungsgemäß geladene Patentinhaberin hätte an der mündlichen Verhandlung teilnehmen können. Rechtliches Gehör gemäß Artikel 113(1) EPÜ wurde ihr damit gewährt. Ihr freiwilliger Verzicht auf die Teilnahme ändert daran nichts (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA (RBK), 10. Auflage 2022, Abschnitt V.A.5.5.4).
Das Verfahren konnte daher gemäß Regel 115 (2) EPÜ und Artikel 15 (3) VOBK 2020 ohne die Patentinhaberin fortgesetzt werden
2. Vorlage an die Große Beschwerdekammer und Aussetzung des Verfahrens
Die Patentinhaberin beantragte die Vorlage der in Punkt V oben angegebenen Fragen an die Große Beschwerdekammer und die Aussetzung des Beschwerdeverfahrens bis zu deren Entscheidung.
Die Kammer hält es aus folgenden Gründen nicht für veranlasst, die Große Beschwerdekammer mit den vorgelegten Fragen zu befassen.
2.1 Zu Frage 1
Die Kammer ist überzeugt, dass die Frage von der Kammer selbst auf der Grundlage der nachfolgend dargestellten gesetzlichen Regelung beantwortet werden kann, ohne dass sie an die Große Beschwerdekammer vorgelegt werden muss (siehe RBK, supra, V.B.2.3.2, zweiter Absatz).
Artikel 12 (3) VOBK 2020, erster Absatz, lautet
"Die Beschwerdebegründung und die Erwiderung müssen das vollständige Beschwerdevorbringen eines Beteiligten enthalten. Dementsprechend müssen sie deutlich und knapp angeben, aus welchen Gründen beantragt wird, die angefochtene Entscheidung aufzuheben, abzuändern oder zu bestätigen, und sie sollen ausdrücklich und spezifisch alle geltend gemachten Anträge, Tatsachen, Einwände, Argumente und Beweismittel im Einzelnen anführen."
Artikel 12 (5) VOBK 2020 lautet:
"Es steht im Ermessen der Kammer, Vorbringen eines Beteiligten nicht zuzulassen, soweit es die Erfordernisse nach Absatz 3 nicht erfüllt"
Die Erläuterungen zu Artikel 12 (5) VOBK 2020 (siehe Zusatzpublikation 2, ABl. EPA 2020, Seite 30) führen hierzu aus:
"So muss ein Beteiligter, wie auch nach der derzeitigen Verfahrensordnung, "ausdrücklich" alle Anträge, Tatsachen usw., auf die Bezug genommen wird, "im Einzelnen anführen". Tut er das nicht und verweist er stattdessen nur auf sein Vorbringen vor der ersten Instanz, so kann die Kammer entscheiden, dieses Vorbringen (Anträge, Tatsachen usw.) unberücksichtigt zu lassen."
Es ist daher eindeutig, dass der Gesetzgeber der Kammer uneingeschränktes Ermessen gegeben hat, Anträge, Tatsachen usw., die nicht im Einzelnen angeführt werden, nicht zuzulassen. Bloße Verweise sollen wie das Beispiel in den Erläuterungen zu Artikel 12(5) VOBK 2020 zeigt, gerade nicht genügen, was auch von der Rechtsprechung wiederholt bestätigt wurde, vgl. etwa unter ausführlicher Darlegung der Rechtslage T 1041/21, Gründe 5.1 bis 5.1.6. Die Kammern haben es im Einzelfall zugelassen, dass dann, wenn Anträge, Einwände etc. ausdrücklich in der Beschwerdebegründung bzw. -erwiderung angeführt werden, zu deren (ergänzender) Begründung auf konkret angegebene Passagen in einzelnen Schriftsätzen des vorangegangenen Verfahrens verwiesen wird. Hierbei handelt es sich jeweils um Einzelfallentscheidungen in Ausübung des vom Gesetzgeber eingeräumten Ermessens.
Die erste Frage ist daher im Grundsatz mit ja zu beantworten; auch Passagen der Einspruchserwiderung, auf die unter Angabe ihrer konkreten Randnummern verwiesen wird, müssen nicht zwangsläufig zugelassen werden. Ihre Zulassung steht vielmehr im Ermessen der Kammer und hängt von den Umständen des Einzelfalles ab, etwa der Frage, ob eine ausreichende Auseinandersetzung mit der angegriffenen Entscheidung erfolgt und - sofern es sich um Punkte handelt, die für die Entscheidung nicht relevant wurden - ob aus dem Gesamtvortrag beider Parteien ausreichend klar wird, welche Punkte mit welcher konkreten Begründung weiterverfolgt werden und wie sich diese zum Vortrag der Gegenseite verhält. Da es sich insoweit jedoch um Entscheidungen individueller Einzelfälle handelt, erscheint eine Vorlage an die Große Beschwerdekammer weder erforderlich noch sachdienlich.
2.2 Zu Frage 2
Da, wie oben zu Frage 1 ausgeführt, die Ermessensbefugnis der Kammer vom Gesetzgeber nicht auf einen bestimmten Sachverhalt beschränkt wurde, ist die von der Patentinhaberin angeführte Bedingung nicht mit einer spezifischen Einschränkung des Ermessens der Kammer verbunden, und die Frage ist mit nein zu beantworten.
2.3 Zu Frage 3 und 4
Die dritte und die vierte Frage beziehen sich auf die Zulassung ins Verfahren der Hilfsanträge 0.1 und 0.2. Da diese Hilfsanträge von der Kammer in der Sache behandelt werden (siehe Punkt 4 und 5 unten) ist die Antwort auf diese Vorlagefrage für die Entscheidung im vorliegenden Fall nicht wesentlich und muss die Frage entsprechend nicht vorgelegt werden (siehe RBK, supra, V.B.2.3.3)
2.4 Zu Frage 5
Die fünfte Frage bezieht sich auf eine spezifische Tatsachekonstellation bezüglich einer Bedienungsanleitung. Wieso die Antwort auf diese Frage zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsanwendung erforderlich sei oder warum diese Frage von grundsätzlicher Bedeutung sei, ist weder von der Patentinhaberin spezifisch dargelegt worden, noch der Kammer aus sonstigen Gründen ersichtlich. Es fehlt daher auch hier an den Voraussetzungen für eine Vorlage an die Große Beschwerdekammer (siehe RBK, supra, V.B.2.3.2).
2.5 Da die Kammer entschieden hat, keine der Fragen der Patentinhaberin vorzulegen, kommt auch eine Aussetzung des Beschwerdeverfahrens nicht in Betracht.
3. Erfinderische Tätigkeit des Gegenstandes des Anspruchs 1 des Patents in erteilter Fassung (Artikel 100 a) und 56 EPÜ)
3.1 Die Kammer schließt sich der Einsprechenden an (siehe Seite 3, Punkt 4.1 bis Seite 5, zweiter Absatz der Beschwerdebegründung), dass die Feststellung der Einspruchsabteilung nicht korrekt ist, derzufolge die Merkmale 1.6.1 und 1.7 des Anspruchs 1, nämlich:
(1.6.1) wobei der Servoantrieb (15) zur stufenlosen
Bewegung des Plungers (26) innerhalb des
Neckrings (35) ausgebildet ist
und
(1.7) der Abstand des servoangetriebenen
Plungers (26) zu dem in der Vorform (11)
befindlichen Glastropfen vor dem
Pressvorgang derart einstellbar ist, dass
der Abstand frei wählbar ist,
mithilfe des Gesamtinhalts des Streitpatents zu verstehen seien, insbesondere von Absatz [0037] und den Figuren 1 und 2, womit der Fachmann zur Auslegung komme, dass die Vorrichtung des Anspruchs 1 einen Plunger umfasst, der derart gesteuert ist, dass er auf einen frei wählbaren Abstand des Plungers zum Glastropfen innerhalb des Neckrings und damit deutlich unterhalb der oberen Endstellung einstellbar ist, was eine sogenannte dritte Position darstelle (siehe Punkt 30 und 31 der angefochtenen Entscheidung).
3.2 Die Kammer stellt fest, dass nach der ständigen Rechtsprechung (siehe RBK, supra, II.A.6.3.4), unabhängig davon, ob die Kammern zur Auslegung auf Artikel 69 EPÜ und das Auslegungsprotokoll zurückgreifen, der Umfang eines Anspruchs nicht dadurch beschränkt werden sollte, dass Merkmale impliziert werden, die nur in der Beschreibung vorkommen und dass die Beschreibung ferner nicht dazu herangezogen werden kann, einem Anspruchsmerkmal, das als solches dem fachmännischen Leser eine klare, glaubhafte technische Lehre vermittelt, eine andere Bedeutung zu geben. Entgegen der Auffassung der Patentinhaberin (siehe Schriftsatz von 22. Juli 2022, Seite 8, Punkt 36 bis Seite 10, Punkt 46) können bei der Beurteilung von Neuheit und erfinderische Tätigkeit Artikel 69 EPÜ und sein Protokoll nicht dazu herangezogen werden, um ein implizites Merkmal in den Anspruch hineinzulesen, das im Anspruch selbst in keiner Weise angedeutet ist (siehe RBK, supra, II.A.6.3.4, erster Absatz).
3.3 Die Kammer ist der Auffassung, dass die Merkmalskombination 1.6.1 und 1.7 aus sich heraus verständlich ist und für den angesprochenen Fachmann keine Fragen betreffend ihre technische Bedeutung aufwirft. Insbesondere lässt sich dem Anspruchswortlaut keine Beschränkung dahingehend entnehmen, dass der gemäß Merkmal 1.7 einstellbare Abstand zwingend eine Position innerhalb des Neckrings betreffen müsste. Merkmal 1.6.1 stellt vielmehr ein eigenes Erfordernis auf, das daher Merkmal 1.7 nicht beschränkt. Ein implizites Merkmal einer "dritten Position" lässt sich daher aus der Kombination der Merkmale wie sie der Anspruch formuliert nicht herleiten.
3.4 Die Kammer teilt die Feststellung der Einspruchsabteilung, dass die Maschine PSL2 einen servoangetriebenen Plunger aufweist (siehe Punkt 57 der angefochtenen Entscheidung), wobei eine obere Stelle des Plungers einstellbar ist (siehe Punkt 61, erster Satz der angefochtenen Entscheidung).
Die Kammer schließt sich der Einsprechenden dahingehend an, dass, da der Plunger der Maschine PSL2 sich durch den Neckring bewegen muss (siehe die die Seite 3 und 4 der Beschwerdebegründung überbrückende Passage), das Merkmal 1.6.1 offenbart wird. Ferner ist, da die Stellung des Plungers der Maschine PSL2 in der oberen Endstellung editierbar ist, auch der Abstand des Plungers zu dem Glastropfen einstellbar und daher frei wählbar, so dass das Merkmal 1.7 für die Maschine PSL2 aus der E1b1 ebenfalls zu entnehmen ist. (siehe Seite 5, zweiter Absatz - Seite 6, zweiter Absatz der Beschwerdebegründung)
3.5 Die Kammer teilt daher die Auffassung der Einsprechenden, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 sich von der Offenbarung der E1b1 nur durch das Merkmal 1.4 unterscheidet, nämlich, dass der Antrieb des Neckrings als Servoantrieb ausgebildet ist, und schließt sich der Einsprechenden und der Einspruchsabteilung an, dass dieses unterscheidende Merkmal an sich die erfinderische Tätigkeit des Gegenstandes des Anspruchs 1 nicht begründen kann, weil es durch das allgemeine Fachwissen nahegelegt wird (siehe Seite 6, dritter bis sechster Absatz der Beschwerdebegründung, sowie Punkt 69 bis 71 der angefochtenen Entscheidung).
3.6 Zur Erwiderung der Patentinhaberin stellt die Kammer Folgendes fest.
3.7 Zur offenkundigen Vorbenutzung
3.7.1 Die Patentinhaberin hat die offenkundige Vorbenutzung E1b1 und E1b1-ES bezüglich der Maschine PSL2 bestritten (siehe Punkt IV.3 der Beschwerdeerwiderung und Seite 22, Punkt 76, bis Seite 40, Punkt 102 des Schriftsatzes vom 22. Juli 2022), allerdings ist die Kammer von ihren Argumenten nicht überzeugt.
3.7.2 Dass die Einspruchsabteilung in ihrer Entscheidung sich mit den von der Patentinhaberin vorgetragenen Fakten nicht auseinandergesetzt hat (siehe Seite 14, Punkt IV.3.2, erster Absatz, der Beschwerdeerwiderung), bleibt eine pauschale und unsubstantiierte Behauptung der Patentinhaberin, die nicht überzeugen kann, weil die Patentinhaberin nicht im Einzelnen auf bestimmten Punkte der Entscheidung eingeht.
3.7.3 Die bloße pauschale Bezugnahme auf das Vorbringen im Einspruchsverfahren (siehe Seite 2, Punkt I; Seite 15, dritter Absatz, und Seite 16, Punkt IV.3.3, insbesondere Punkt 64 der Beschwerdeerwiderung) kann nicht als substantiiertes Vorbringen im Beschwerdeverfahren im Sinne vom Artikel 12 (3) VOBK 2020 angesehen werden, insbesondere weil es insoweit vollkommen an einer Auseinandersetzung mit der Entscheidung fehlt, die in Absätzen 33 bis 40 und 47 bis 73 im einzelnen ausgeführt hat, warum sie die offenkundige Vorbenutzung für nachgewiesen erachtet und welche patentgemäße Merkmale sie in ihr offenbart sieht.
3.7.4 Der pauschale Verweis auf nicht weniger als 29 Absätze der Einspruchserwiderung und 61 Absätze der Duplik vom 9. August 2019, die weit vor der Entscheidung geschrieben worden waren und deren Inhalt auch nicht (etwa im Rahmen von einzelnen Bezugnahmen) in Beziehung zu der Entscheidung gesetzt wurde, kommt daher einer Aufforderung gleich, sich selbst aus den 90 Absätzen Vortrag im Vorverfahren herauszusuchen, welche Passagen sich wie zu der Begründung der angefochtenen Entscheidung verhalten könnten.
Wie in T 1792/17 (Gründe 3.2.7) schon zur Vorgängerversion der Verfahrensordnung ausgeführt,, kann die bloße Bezugsnahme auf das Einspruchsvorbringen eine sachgerechte Begründung im Beschwerdeverfahren nicht ersetzen; vielmehr ist die auch von der neuen Verfahrensordnung (in Artikel 12(3) Satz 1 und Satz 2, 2. Halbsatz) weiterhin geforderte Vollständigkeit des Beschwerdevorbringens bereits deshalb geboten, weil es nicht Aufgabe der Kammer sein kann, nachzuforschen, welche der Argumente aus dem Einspruchsverfahren im Lichte der angefochtenen Entscheidung und den darin getroffenen Feststellungen weiterhin relevant bleiben könnten.
Die Kammer sieht daher keinen Grund, im Hinblick auf die genannten Verweisungen ihr Ermessen gemäß Artikel 12 (5) VOBK 2020 zugunsten der Patentinhaberin auszuüben (siehe auch die Erläuterungen zum Artikel 12 (5) VOBK 2020, Zusatzpublikation 2, ABl. EPA 2020, Seite 30).
3.7.5 Dieser Teil des Vorbringens der Patentinhaberin bleibt daher unberücksichtigt.
3.7.6 Das Gleiche gilt für die im Punkt 6.3 des Schriftsatzes vom 22. Juli 2022 integrierten Auszüge aus der Einspruchserwiderung und aus der Replik im Einspruchsverfahren, weil damit die Argumente, die mit der Einspruchserwiderung und mit der Replik vorgelegt wurden, wörtlich wiederholt werden, ohne dass die Patentinhaberin sich mit der Feststellung der Einspruchsabteilung näher befasst, wie von Artikel 12(3) Satz 2 VOBK 2020 gefordert.
Die Einspruchsabteilung hat in Punkt 53 der angefochtenen Entscheidung angegeben, wieso für die Maschine PSL2 als offengelegt angesehen wurde, dass zwei Antriebe für das Plunger vorhanden sind. Ferner wird in Punkt 54 der angefochtenen Entscheidung angegeben aus welchen Gründen der Verkauf der Maschine PSL2 als glaubhaft angesehen wurde.
Wie oben erklärt, kann es nicht Aufgabe der Kammer sein, nachzuforschen, welche der Argumente aus dem Einspruchsverfahren im Lichte der angefochtenen Entscheidung und den darin getroffenen Feststellungen weiterhin relevant bleiben könnten. Das ist genau der Fall hier, wo die Kammer aus den vierzehn Seiten und den entsprechenden 98 Absätzen aus dem Vorbringen im Einspruchsverfahren selbst herausfinden sollte, welche Passagen sich auf die strittige Begründung der angefochtenen Entscheidung, insbesondere die Punkte 53 und 54 davon, beziehen könnten und wie. Aus denselben Gründen hat T 1041/21, Gründe 5.1.3, auch festgehalten, dass kein Unterschied besteht, ob auf Schriftsätze nur verwiesen wird oder diese ohne Anpassung an den Fall nochmal eingereicht werden.
3.7.7 Dass die Erklärungen der Herren Rinaldi, Zangrossi und Pucci angeblich nicht unmittelbar von ihnen selbst verfasst worden seien und für etwas, das vor 17 Jahren stattgefunden habe, zu präzise zu sein schienen (siehe die Beschwerdeerwiderung, Seite 17, dritter Absatz), reicht nach Auffassung der Kammer nicht aus, um die Einschätzung der Einspruchsabteilung über die Vorbenutzung der Maschine PSL2 zu entkräften.
Auch wenn die Erklärungen mit Hilfe Dritter erstellt sein sollten, bedeutet dies nicht unbedingt, dass sie unkorrekt sind. Das Gleiche gilt für die Tatsache, dass die Aussagen sich mit Vorgängen befassen, die über 17 Jahren zurückliegen.
Eine automatische Nichtberücksichtigung einer Erklärung in Abhängigkeit von ihrer Ausgestaltung und von der seit den genannten Ereignissen verstrichenen Zeit würde dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung widersprechen.
Die Kammer ist daher von diesem Argument der Patentinhaberin nicht überzeugt.
3.7.8 Dem Argument der Patentinhaberin, dass eine implizite stillschweigende Geheimhaltungsvereinbarung beim Verkauf der Maschine PSL2 vorhanden sei (siehe die die Seiten 15 und 16 überbrückende Passage der Beschwerdeerwiderung), folgte die Einspruchsabteilung mangels Substantiierung nicht (siehe Punkt 55 der Entscheidungsgründen). Die Patentinhaberin hat zur Frage der fehlenden Substantiierung mit der Beschwerdebegründung in der Sache keine Stellung genommen und hat sich weiterhin nicht auf den konkreten Sachverhalt des Falles bezogen, sondern nur allgemeine Bemerkungen gemacht.
Dieser mit der Beschwerdebegründung vorgelegte Einwand ist daher nicht überzeugend .
Die mit dem Schriftsatz vom 22. Juli 2022 zusätzlich vorgelegten Argumenten (siehe Seite 39, Punkt 97 bis Seite 40, Punkt 102), sind ebenfalls nicht überzeugend, weil sie sich nicht mit den spezifischen Tatsachen des vorliegenden konkreten Falles befassen.
3.7.9 Die Kammer erinnert in diesem Zusammenhang daran, dass die Patentinhaberin die Darlegungs- und Beweislast dafür trägt, dass eine implizite stillschweigende Geheimhaltungsvereinbarung vorhanden war, aufgrund dem auch von den Beschwerdekammern anerkannten Grundsatz negativa non sunt probanda (vgl. T 2037/18, Punkt 4 bis 8 der Entscheidungsgründe, vgl. R 15/11, Punkt 5 der Entscheidungsgründe; R 4/17, Punkt 4 der Entscheidungsgründe)wobei eine Partei, in diesem Fall die Einsprechende, eine negative Tatsache nicht zu beweisen hat. Die Patentinhaberin hat nicht einmal genaue und präzise Indizien für eine Geheimhaltungsvereinbarung vorgetragen. Da also nicht die Einsprechenden das Nichtvorliegen einer Geheimhaltungsvereinbarung beweisen musste, sondern die Patentinhaberin deren Vorliegen, geht auch der Hinweis, die Einspruchsabteilung habe den falschen Beweismaßstab angewandt, ins Leere.
3.7.10 Dem Einwand, dass E1b1 und E1b1-ES in der vorgelegten Form nicht vor dem Prioritätszeitpunkt existierten (siehe Seite 20, letzter Absatz, letzter Satz der Beschwerdeerwiderung), kann ebenfalls nicht gefolgt werden, weil E1b1 und E1b1-ES ein Copyright Datum von 2002 aufweisen und sich auf das Modell einer Maschine, die PSL2, beziehen, die 2002 verkauft wurde (siehe Punkt 54 der angefochtenen Entscheidung), sodass es nicht plausibel ist, geschweige denn glaubhafte Zweifel oder Indizien bestünden, dass diese Dokumente vor dem Prioritätszeitpunkt des Streitpatents, 2012, nicht existierten und den Verkäufern der Maschine nicht weitergegeben wurden. Dieses Argument ist daher nicht überzeugend.
3.7.11 Die Pateninhaberin argumentiert ferner (siehe die Beschwerdebegründung, Seite 20, Punkt 84 und Schriftsatz vom 22. Juli 2022, Seite 22, Punkt 79), dass weder das Original von E1b1 noch von E1b1-ES vorgelegt wurde. Dies reicht jedoch nicht aus, um Zweifel daran zu wecken, dass die Dokumente nicht dem Original entsprechen.
Dass Seite 4-25 von E1b1 im Gegensatz zu den nachfolgenden Seiten nicht im Blocksatz gedruckt ist und deren Text Textabstände aufweist, wie von der Patentinhaberin argumentiert, genügt nach der Auffassung der Kammer nicht um die Glaubwürdigkeit von E1b1 in Zweifel zu ziehen. Das Gleiche gilt nach Auffassung der Kammer, für die Tatsache, dass in E1b1, die auf italienisch gefasst ist, Grafik-Einblendungen auf spanisch enthalten sind.
3.8 Zur Offenbarung der E1b1 und E1b1-ES
3.8.1 Das Argument der Patentinhaberin, dass bei der E1b1 und E1b1-ES die Verwendung eines servoangetriebenen Plungers nicht erwähnt und daher ein Servoantrieb für den Plunger in der Maschine PSL2 nicht vorhanden sei (siehe Seite 19, vorletzter Absatz bis Seite 20, erster Absatz der Beschwerdeerwiderung), überzeugt die Kammer im Ergebnis nicht, da die Existenz der Servoantriebe des Plungers - wie in der angefochtenen Entscheidung der Einspruchsabteilung unter Punkt 53 unter Bezugnahme auf diverse Beweismittel ausgeführt - in Form der Servomotoren M138 und M148 belegt ist. Vor diesem Hintergrund kann die Nichterwähnung in der Beschreibung keine ausreichenden Zweifel an deren Existenz in der ausgelieferten Maschine wecken.
3.8.2 Der Einwand der Patentinhaberin (siehe Seite 20, letzter Absatz der Beschwerdeerwiderung), dass die Abbildung auf Seite 4-30 der E1b1 bzw. auf Seite 4-27 der E1b1-ES nicht zur Maschine PSL2 gehörte, stellt sich als eine reine Schutzbehauptung dar, die unbewiesen und unglaubhaft bleibt, weil E1b1 und
E1b1-ES Bedienungsanleitungen eben gerade der Maschine PSL2 sind.
3.8.3 Dem Argument der Patentinhaberin, dass der Plunger in der "Zero Position" nicht vor dem Pressvorgang frei einstellbar sei (siehe Seite 26, Punkt 98 der Beschwerdeerwiderung), weil dieses im Absatz 4.5.4.4 von E1b1 nicht erwähnt werde, kann nicht gefolgt werden. Paragraph 4.5.4.1 der E1b1 bezieht sich auf alle Motoren der Maschine PSL2, und dort wird angegeben, dass die Stellung des Motors in der Zero Position editierbar ist.
3.8.4 Der fachkundige Leser versteht, dass die Zero Position im Punkt 4.5.4.4 nicht erwähnt wird, weil sie schon im Punkt 4.5.4.1 für alle Motoren diskutiert wird, und nicht etwa, weil sie für den Plunger nicht vorhanden wäre. Dieses ist auch für die Motoren der Blank-mould der Fall (siehe Punkt 4.5.4.2 und 4.5.4.3 im Zusammenhang mit der Figur auf Seite 4-30).
3.8.5 Die Patentinhaberin argumentiert weiter, dass ein Fachmann den in der IS-Maschine der E5 gezeigten Servoantrieb für einen Neckring wegen des prinzipiell anderen Aufbaus der IS-Maschine der E5 und der Karussell-Maschine des Streitpatents nicht auf den Antrieb des Neckrings der PSL2-Maschine übertrüge (siehe Punkt 133 auf Seite 32 der Beschwerdeerwiderung und Seite 40, Punkt 103 bis Seite 41, Punkt 113 des Schriftsatzes vom 22. Juli 2022).
Diese Argumentationslinie geht jedoch an der Begründung der Einspruchsabteilung zum Fehlen der erfinderischen Tätigkeit vorbei.
In der Tat basiert die diesbezügliche Argumentation der Einspruchsabteilung nicht auf einer Kombination der Maschine PSL2 mit dem einzelnen Dokument E5, sondern mit dem allgemeinen Fachwissen wie belegt von E5 und E4 (siehe Punkt 71, Seite 14 und 15 der angefochtenen Entscheidung); in ähnlicher Weise argumentiert die Einsprechende ausgehend von der Maschine PSL2 in Kombination mit dem allgemeinen Fachwissen wie von mehreren Dokumenten belegt (siehe die Beschwerdebegründung, Seite 6, dritter und vierter Absatz).
Die Fachperson wäre daher nicht gehindert, die ihr aus dem allgemeinen Fachwissen bekannte Option, den Neckring mit einem Servoantrieb zu versehen, auch bei einer Weiterentwicklung der Maschine PSL2 zu verwirklichen.
3.8.6 Mit dem Schriftsatz vom 22. Juli 2022 erwähnt die Patentinhaberin (siehe Seite 13, Punkten 61 bis 63), dass der Entscheidung der Einspruchsabteilung in einem Verletzungsverfahren vor dem Bezirksgericht Turin bzw. von diesem beauftragten Sachverständiger gefolgt wurde. Dies ist aber für das vorliegende Verfahren unerheblich, denn der vom Bezirksgericht Turin beauftragte Sachverständiger hat lediglich die Ansicht der Einspruchsabteilung über das implizite Vorhandensein des Merkmals der "dritten Position" geteilt, ohne jedoch den Feststellungen der Einspruchsabteilung, die bereits oben unter Punkt 3.1 bis 3.3 behandelt werden, etwas besonderes hinzufügen. Die Entscheidung enthält daher keine Argumente, die die Kammer veranlassen würden, von der obigen Schlussfolgerung abzuweichen.
3.9 Die Kammer ist daher von den Argumenten der Einsprechenden überzeugt, dass die Feststellung der Einspruchsabteilung nicht korrekt ist und dass der Gegenstand des Anspruchs 1 des Patents in der erteilten Fassung nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne vom Artikel 56 EPÜ beruht.
4. Hilfsantrag 0.1
Die Kammer teilt die Auffassung der Einsprechenden (siehe Seite 13, Punkt 2 des Schriftsatzes vom 2. August 2022), dass das in Anspruchs 1 des Hilfsantrags 0.1 hinzugefügte Merkmal, "dadurch ein Leerhub vermeidbar ist", keine weitere Einschränkung des Anspruchs 1 darstellt. Die Patentinhaberin hat zu diesem Einwand keine Stellung genommen.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 0.1 beruht daher nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit, ähnlich wie bei Anspruch 1 des Patents in der erteilten Fassung.
5. Hilfsantrag 0.2
Die Kammer teilt die Auffassung der Einsprechenden (siehe Schriftsatz vom 5. Oktober 2022, Seite 2, vierter und fünfter Absatz), dass die zusätzlich in Anspruch 1 hinzugefügten Merkmale, wonach
"die stufenlose Bewegung des Plungers so
kontrolliert ist, dass der Plunger jede beliebige Position zwischen zwei Endstellungen oder Zwischenstellungen einnehmen kann"
eine inhärente Eigenschaft der stufenlosen Bewegung darstellen, so dass diese weiteren Merkmale keine einschränkende Wirkung haben und ebenfalls in der Maschine PSL2 offenbart sind.
Die Patentinhaberin hat zu diesem Einwand der Einsprechenden keine Stellung genommen.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 0.2 beruht daher nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit, ähnlich wie bei Anspruch 1 des Patents in der erteilten Fassung und gemäß Hilfsantrag 0.1.
6. Hilfsanträge 1 bis 5
Die Hilfsanträge 1 bis 5 entsprechen den Hilfsanträgen 1 bis 5 des Einspruchsverfahrens.
Einen Grund, warum diese Hilfsanträge zu einem patentfähigen Gegenstand führen sollten, falls die Kammer die vorherigen Anträge nicht für gewährbar erachtete, hat die Patentinhaberin nicht angegeben, so dass diese Hilfsanträge als unbegründet im Sinne von Artikel 12(3) VOBK 2020 anzusehen sind. Die Kammer lässt daher die Hilfsanträge 1 bis 5 gemäß Artikel
12(5) VOBK 2020 unberücksichtigt.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben
2. Das Patent wird widerrufen