T 0165/21 (Verfolgung von Mautverletzern / Toll Collect) 18-04-2023
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VERFAHREN ZUR VERFOLGUNG MAUTPFLICHTIGER FAHRZEUGE IN EINEM MAUTSYSTEM
Patentansprüche - Klarheit
Patentansprüche - Hauptantrag (nein)
Patentansprüche - Klarheit nach Änderung (ja)
Änderungen - zulässig (nein)
Änderungen - zulässig nach weiterer Änderung (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung, die Anmeldung zurückzuweisen.
II. Die Prüfungsabteilung war der Auffassung, dass der Gegenstand des Anspruches 1 gemäß dem Hauptantrag und den Hilfsanträgen 1 bis 3 nicht erfinderisch sei. Mit der von der Prüfungsabteilung vorgeschlagenen Erteilung eines Patents auf der Grundlage des Hilfsantrags 4 erklärte sich die Beschwerdeführerin (seinerzeit Anmelderin) nicht einverstanden. Daher entschied die Einspruchsabteilung, die Anmeldung zurückzuweisen.
III. In ihrer Entscheidung berücksichtigte die Prüfungsabteilung unter anderem die folgende Dokumente:
D1 US 2006/056658 A1
D2 US 2002/026266 A1
IV. In der Beschwerdebegründung beantragte die Beschwerdeführerin, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und ein Patent auf der Grundlage des Hauptantrags zu erteilen, hilfsweise auf Grundlage eines der Hilfsanträge 1 bis 3 (alle Anträge wurden mit der Beschwerdebegründung erneut eingereicht).
V. In einer Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK teilte die Kammer ihre vorläufige Auffassung mit.
Bezüglich Anspruch 1 des Hauptantrags war die Kammer der Ansicht, dass dieser nicht die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ erfülle. Ferner teilte sie die Auffassung der Prüfungsabteilung, dass Anspruch 1 gemäß dem Hauptantrag sowie den Hilfsanträgen 1 bis 3 nicht erfinderisch sei (Artikel 56 EPÜ).
VI. Mit ihrem Schreiben vom 13. Februar 2023 reichte die Beschwerdeführerin weitere Anträge ein und trug weitere Argumente vor.
VII. Die mündliche Verhandlung fand am 18. April 2023 als Videokonferenz statt. Die Beschwerdeführerin beantragte, die Zurückweisung aufzuheben und ein Patent auf der Grundlage eines der folgenden Anträge zu erteilen:
- Hauptantrag, eingereicht mit der Beschwerdebegründung;
- Hauptantrag A, eingereicht mit Schreiben vom 13. Februar 2023;
- Hilfsantrag 1, eingereicht mit der Beschwerdebegründung;
- Hilfsantrag 1B, eingereicht während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer;
- Hilfsantrag 2, eingereicht mit der Beschwerdebegründung;
- Hilfsantrag 2A, eingereicht mit Schreiben vom 13. Februar 2023;
- Hilfsantrag 3, eingereicht mit der Beschwerdebegründung;
- Hilfsantrag 3A, eingereicht mit Schreiben vom 13. Februar 2023.
VIII. Anspruch 1 gemäß dem Hauptantrag lautet wie folgt:
"Verfahren zur Verfolgung mautpflichtiger Fahrzeuge (102) in einem Straßenmautsystem, umfassend die Schritte:
- Bereitstellen mindestens zweier ortsfester, straßenseitiger Kontrolleinrichtungen (202, 204) zum Erfassen mindestens eines Kennzeichens (104) eines mautpflichtigen Fahrzeugs (102),
- Erfassen eines Kennzeichens (104) eines mautpflichtigen Fahrzeugs (102) durch eine erste der Kontrolleinrichtungen (202),
- Übermitteln des Kennzeichens (104) an eine zentrale Datenverarbeitungseinrichtung (300),
- Bestimmen der aktuellen Fahrzeugposition des mautpflichtigen Fahrzeugs (102) auf Grundlage der Position der ersten Kontrolleinrichtung (202),
- Bereitstellen mindestens zweier mobiler Anzeigevorrichtungen (402, 404) zum Anzeigen von Kennzeichen (104) und aktuellen Fahrzeugpositionen ermittelter mautpflichtiger Fahrzeuge (102),
- Übermitteln der aktuellen Position jeder mobilen Anzeigevorrichtung (402, 404) an die zentrale Datenverarbeitungseinrichtung (300),
- Bestimmen in der zentralen Datenverarbeitungseinrichtung (300) mindestens einer nächstgelegenen mobilen Anzeigevorrichtung (402), welche sich in einem geringeren Abstand von der aktuellen Fahrzeugposition befindet, als mindestens eine andere mobile Anzeigevorrichtung (404), auf Grundlage der aktuellen Fahrzeugposition des mautpflichtigen Fahrzeugs (102) und der aktuellen Position aller Anzeigevorrichtungen (402, 404),
- Übermitteln des Kennzeichens (104) und der aktuellen Fahrzeugposition an mindestens eine nächstgelegene mobile Anzeigevorrichtung (402) durch die zentrale Datenverarbeitungseinrichtung (300),
- Darstellen des Kennzeichens (104) und der aktuellen Fahrzeugposition des mautpflichtigen Fahrzeugs (102) auf der mindestens einen nächstgelegenen mobilen Anzeigevorrichtung (402)."
IX. Anspruch 1 gemäß dem Hauptantrag A lautet wie folgt:
"Verfahren zur Verfolgung mautpflichtiger Fahrzeuge (102) in einem Straßenmautsystem, umfassend die Schritte:
- Bereitstellen mindestens zweier ortsfester, straßenseitiger Kontrolleinrichtungen (202, 204) zum Erfassen mindestens eines Kennzeichens (104) eines mautpflichtigen Fahrzeugs (102),
- Erfassen eines Kennzeichens (104) eines mautpflichtigen Fahrzeugs (102) durch eine erste der Kontrolleinrichtungen (202),
- Übermitteln des Kennzeichens (104) an eine zentrale Datenverarbeitungseinrichtung (300),
- Bestimmen der aktuellen Fahrzeugposition des mautpflichtigen Fahrzeugs (102) auf Grundlage der Position der ersten Kontrolleinrichtung (202),
- Bereitstellen mindestens zweier mobiler Anzeigevorrichtungen (402, 404) zum Anzeigen von Kennzeichen (104) und aktuellen Fahrzeugpositionen ermittelter mautpflichtiger Fahrzeuge (102),
- Übermitteln der aktuellen Position jeder der mobilen Anzeigevorrichtungen (402, 404) an die zentrale Datenverarbeitungseinrichtung (300),
- Bestimmen in der zentralen Datenverarbeitungseinrichtung (300) mindestens einer nächstgelegenen mobilen Anzeigevorrichtung (402), welche sich in einem geringeren Abstand von der aktuellen Fahrzeugposition befindet, als mindestens eine andere der mobilen Anzeigevorrichtungen (404), auf Grundlage der aktuellen Fahrzeugposition des mautpflichtigen Fahrzeugs (102) und der aktuellen Positionen aller mobiler Anzeigevorrichtungen (402, 404),
- Übermitteln des Kennzeichens (104) und der aktuellen Fahrzeugposition an mindestens eine der nächstgelegenen mobilen Anzeigevorrichtungen (402) durch die zentrale Datenverarbeitungseinrichtung (300),
- Darstellen des Kennzeichens (104) und der aktuellen Fahrzeugposition des mautpflichtigen Fahrzeugs (102) auf der mindestens einen nächstgelegenen mobilen Anzeigevorrichtung (402)."
X. Anspruch 1 gemäß dem Hilfsantrag 1 unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hauptantrags dadurch, dass die Merkmale des ursprünglichen abhängigen Anspruchs 6 aufgenommen wurden. Anspruch 1 ist somit zusätzlich dahingehend eingeschränkt, dass die Datenverarbeitungseinrichtung genau eine nächstgelegene mobile Anzeigevorrichtung bestimmt, deren Position einen geringeren Abstand zu der aktuellen Fahrzeugposition aufweist, als alle anderen mobilen Anzeigevorrichtungen und dass das Kennzeichen und die aktuelle Fahrzeugposition an die genau eine nächstgelegene mobile Anzeigevorrichtung durch die zentrale Datenverarbeitungseinrichtung übermittelt und dort dargestellt werden.
XI. Anspruch 1 gemäß dem Hilfsantrag 1B lautet wie folgt:
"Verfahren zur Verfolgung mautpflichtiger Fahrzeuge (102) in einem Straßenmautsystem, umfassend die Schritte:
- Bereitstellen mindestens zweier ortsfester, straßenseitiger Kontrolleinrichtungen (202, 204) zum Erfassen mindestens eines Kennzeichens (104) eines mautpflichtigen Fahrzeugs (102),
- Erfassen eines Kennzeichens (104) eines mautpflichtigen Fahrzeugs (102) durch eine erste der Kontrolleinrichtungen (202),
- Übermitteln des Kennzeichens (104) an eine zentrale Datenverarbeitungseinrichtung (300),
- Bestimmen der aktuellen Fahrzeugposition des mautpflichtigen Fahrzeugs (102) auf Grundlage der Position der ersten Kontrolleinrichtung (202),
- Bereitstellen mindestens zweier mobiler Anzeigevorrichtungen (402, 404) zum Anzeigen von Kennzeichen (104) und aktuellen Fahrzeugpositionen ermittelter mautpflichtiger Fahrzeuge (102),
- Übermitteln der aktuellen Position jeder der mobilen Anzeigevorrichtungen (402, 404) an die zentrale Datenverarbeitungseinrichtung (300),
- Bestimmen in der zentralen Datenverarbeitungseinrichtung (300) genau einer nächstgelegenen mobilen Anzeigevorrichtung (402), welche sich in einem geringeren Abstand von der aktuellen Fahrzeugposition befindet als alle anderen mobilen Anzeigevorrichtungen (404), auf Grundlage der aktuellen Fahrzeugposition des mautpflichtigen Fahrzeugs (102) und der aktuellen Positionen aller mobiler Anzeigevorrichtungen (402, 404),
- Übermitteln des Kennzeichens (104) und der aktuellen Fahrzeugposition an die genau eine nächstgelegene mobile Anzeigevorrichtung (402) durch die zentrale Datenverarbeitungseinrichtung (300),
- Darstellen des Kennzeichens (104) und der aktuellen Fahrzeugposition des mautpflichtigen Fahrzeugs (102) auf der genau einen nächstgelegenen mobilen Anzeigevorrichtung (402)."
XII. Der Wortlaut der übrigen Hilfsanträge ist für diese Entscheidung nicht von Belang.
1. Die vorliegende Anmeldung hat ein elektronisches Mautsystem mit der Möglichkeit zur Verfolgung von Mautverletzern zum Gegenstand.
2. Zulässigkeit des Hauptantrags und der Hilfsanträge 1-3
In der angefochtenen Entscheidung hat die Prüfungsabteilung festgestellt, dass der Hauptantrag und die Hilfsanträge 1-3 nicht zulässig seien.
Die Beschwerdeführerin argumentierte, dass diese Anträge fristgerecht und in Antwort auf Einwände der Prüfungsabteilung eingereicht wurden. Da diese Anträge zudem das Kriterium der Konvergenz erfüllten, seien diese auch zulässig.
Die Kammer ist ausgehend von der Gesamtheit der Entscheidung der Auffassung, dass die Prüfungsabteilung die Zulassung des Hauptantrags und der Hilfsanträge 1-3 nicht in Frage gestellt hat, und sie für nicht gewährbar gehalten hat. Daher stellt sich die Frage der Zulassung dieser Anträge im Beschwerdeverfahren nicht (Artikel 12(2) VOBK).
3. Hauptantrag
Der vorliegende Hauptantrag ist gleich dem in der angefochtenen Entscheidung betrachteten Hauptantrag.
3.1 Klarheit (Artikel 84 EPÜ)
Die Kammer stellt fest, dass in Anspruch 1 "der mindestens einen nächstgelegenen mobilen Anzeigevorrichtung" (vgl. Zeile 30) eine eindeutige Antezedenz fehlt. Im Anspruch wird zuvor zweimal "mindestens eine nächstgelegene mobile Anzeigevorrichtung" erwähnt (siehe Zeilen 20-21 bzw. 27), wobei diese beiden Erwähnungen nicht aufeinander Bezug nehmen.
Ferner fehlt dem Begriff "der aktuellen Position aller Anzeigevorrichtungen" (vgl. Zeile 24, Hervorhebung durch die Kammer) eine eindeutige Antezedenz, da Anspruch 1 zuvor die "[aktuelle] Position jeder mobilen Anzeigevorrichtung" (vgl. Zeile 18) erwähnt.
Die Beschwerdeführerin brachte vor, dass sich die fehlenden Rückbezüge aus dem Zusammenhang ergäben, da offensichtlich sei, dass stets die gleiche "mindestens eine nächstgelegene mobile Anzeigevorrichtung" gemeint sei.
Die Kammer ist nicht von den Argumenten der Beschwerdeführerin überzeugt, da der Wortlaut des Anspruchs 1 nicht dahingehend beschränkt ist, dass stets die gleiche "mindestens eine nächstgelegene mobile Anzeigevorrichtung" bezeichnet wird. Vielmehr ist durch den fehlenden Rückbezug auch die Interpretation möglich, dass es sich um verschiedene nächstgelegene mobilen Anzeigevorrichtungen handelt.
Folglich kommt die Kammer zum Schluss, dass Anspruch 1 nicht klar ist.
3.2 Der Hauptantrag ist daher nicht gewährbar.
4. Hauptantrag A
4.1 Zulassung (Artikel 13(2) VOBK)
Die Beschwerdeführerin argumentierte, dass der vorliegende Hauptantrag A in Erwiderung auf die in der vorläufigen Meinung der Kammer erstmals festgestellten Klarheitsmängel eingereicht worden sei.
Die Kammer stellt fest, dass die mit Hauptantrag A eingereichten Änderungen sich mit den von der Kammer geäußerten Klarheitseinwänden befassen. Da die Klarheitseinwände erstmals mit der vorläufigen Meinung der Kammer in das Verfahren eingeführt wurden, liegen außergewöhnliche Umstände vor, die eine Zulassung dieses Antrags in das Beschwerdeverfahren rechtfertigen. Daher lässt die Kammer den vorliegenden Hilfsantrag A in das Verfahren zu.
4.2 Klarheit (Artikel 84 EPÜ)
Die Beschwerdeführerin argumentierte, dass sich aus dem Zusammenhang ergebe, dass die Darstellung des Kennzeichens auf der gleichen "mindestens einen nächstgelegenen mobilen Anzeigevorrichtung" erfolgen müsse, der dieses auch übermittelt wurde. Die Übermittlung erfolge an "mindestens eine der nächstgelegenen mobilen Anzeigevorrichtungen", die im vorangehenden Schritt bestimmt worden seien. Somit bestünden keine Zweifel darüber, welche Anzeigevorrichtungen jeweils gemeint seien.
Die Kammer ist in Anbetracht der Änderungen und Argumente der Beschwerdeführerin davon überzeugt, dass es dem Anspruch 1 eindeutig entnehmbar ist, welche Anzeigevorrichtungen jeweils gemeint sind.
Somit erfüllt Anspruch 1 die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ.
4.3 Unzulässige Änderung (Artikel 123(2) EPÜ)
4.3.1 Die Kammer stellt fest, dass nunmehr mit der Formulierung "Übermitteln ... an mindestens eine der nächstgelegenen mobilen Anzeigevorrichtungen" ein zweiter Auswahlvorgang impliziert ist, bei dem aus den bereits im vorhergehenden Verfahrensschritt bestimmten Anzeigevorrichtungen "mindestens eine" ausgewählt wird.
4.3.2 Die Beschwerdeführerin verwies zur Stützung dieser Änderung insbesondere auf Absatz [0040], Spalte 10, ab Zeile 10 (A1-Schrift der Anmeldung). Die nunmehr beanspruchte Interpretation dieser Textstelle sei durch die Ausführungsbeispiele in den Absätzen [0052], [0056], [0057], [0061] und [0062] der A1-Schrift der Anmeldung gestützt. Insbesondere impliziere die in [0062] verwendete Formulierung "eine einzige erste nächstgelegene Anzeigevorrichtung", dass es auch eine zweite nächstgelegene Anzeigevorrichtung geben müsse.
4.3.3 Die Kammer stellt zunächst fest, dass die von der Beschwerdeführerin zitierte Formulierung des Absatzes [0040] ("Übermitteln des Kennzeichens ... an mindestens eine nächstgelegene mobile Anzeigevorrichtung") dem Wortlaut des Hauptantrags entspricht und die mit Hauptantrag A eingeführten Änderungen ("Übermitteln des Kennzeichens ... an mindestens eine der nächstgelegenen mobilen Anzeigevorrichtungen") nicht wörtlich enthält. Die zitierte Formulierung des Absatzes [0040] lässt jedoch auch die Interpretation zu, dass die Übermittlung an "die [zuvor bestimmte] mindestens eine nächstgelegene mobile Anzeigevorrichtung" erfolgt. Die weiteren von der Beschwerdeführerin zitierten Absätze [0052], [0056], [0057] und [0061] offenbaren keine zweite Auswahl aus den bestimmten Anzeigevorrichtungen und können daher nicht die von der Beschwerdeführerin vorgetragene Interpretation des Absatzes [0040] stützen. Lediglich in Absatz [0062] kann aus der Formulierung "eine einzige erste nächstgelegene Anzeigevorrichtung" [Hervorhebung durch die Kammer] vermutet werden, dass es auch eine zweite nächstgelegene Anzeigevorrichtung geben könnte und somit eine Auswahl aus diesen zwei nächstgelegenen Anzeigevorrichtung stattgefunden haben muss. Die nunmehr im Anspruch verwendete Formulierung ist jedoch deutlich breiter als die Offenbarung dieses einzigen einschlägigen Ausführungsbeispiels. Somit ist die von der Beschwerdeführerin behauptete Interpretationen des Absatzes [0040] nicht unmittelbar und eindeutig in der ursprünglich eingereichten Anmeldung offenbart.
4.3.4 Folglich erfüllt Anspruch 1 nicht die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ.
4.4 Hauptantrag A ist daher nicht gewährbar.
5. Hilfsantrag 1
Der vorliegende Hilfsantrag 1 ist gleich dem in der angefochtenen Entscheidung betrachteten Hilfsantrag 1.
Die Kammer stellt fest, dass wie auch beim Hauptantrag in Anspruch 1 der "aktuellen Position aller Anzeigevorrichtungen" (vgl. Zeilen 24-25, Hervorhebung durch die Kammer) eine eindeutige Antezedenz fehlt, da Anspruch 1 zuvor die "[aktuelle] Position jeder mobilen Anzeigevorrichtung" (vgl. Zeile 18) erwähnt. Dies weckt Zweifel, ob der Gegenstand des Anspruchs womöglich weitere, nicht mobile Anzeigevorrichtungen umfasst.
Somit erfüllt Anspruch 1 nicht das Erfordernis der Klarheit (Artikel 84 EPÜ).
Hilfsantrag 1 ist daher nicht gewährbar.
6. Hilfsantrag 1B
6.1 Zulassung (Artikel 13(2) VOBK)
Der vorliegende Hilfsantrag 1B ersetzt den in Erwiderung auf die Klarheitseinwände der Kammer eingereichten Hilfsantrag 1A. Mit Hilfsantrag 1B wurden die abhängigen Ansprüche an die Änderungen in den unabhängigen Ansprüche angepasst. Da der diesbezügliche Einwand von der Kammer erstmals im Verlauf der mündlichen Verhandlung erhoben wurde, liegen außergewöhnliche Umstände vor die eine Zulassung dieses Antrags in das Beschwerdeverfahren rechtfertigen. Daher lässt die Kammer den vorliegenden Hilfsantrag 1B in das Verfahren zu.
6.2 Klarheit (Artikel 84 EPÜ)
6.2.1 Die Beschwerdeführerin trug vor, dass mit den gegenüber Hilfsantrag 1 bzw. 1A vorgenommenen Änderungen die Klarheitseinwände der Kammer ausgeräumt worden wären.
6.2.2 Die Kammer stellt fest, dass die Formulierungen "Position jeder der mobilen Anzeigevorrichtungen" und "Positionen aller mobiler Anzeigevorrichtungen" aneinander angeglichen wurden und nunmehr kein Zweifel besteht, dass damit jeweils die gleichen Anzeigevorrichtungen bezeichnet werden.
Im Übrigen verweisen die verbliebenen abhängigen Ansprüche nun stets auf die "genau eine nächstgelegene mobile Anzeigevorrichtungen" des Anspruchs 1, wodurch die in den abhängigen Ansprüchen der Hilfsanträge 1 bzw. 1A identifizierten Inkonsistenzen behoben wurden.
6.2.3 Daher kommt die Kammer zu dem Schluss, dass Hilfsantrag 1B die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ erfüllt.
6.3 Neuheit (Artikel 54(1) EPÜ)
Es ist unstrittig, dass Dokument D1 zumindest die folgenden Merkmale des Anspruchs 1 nicht offenbart:
- Übermitteln der aktuellen Position jeder der mobilen Anzeigevorrichtungen an die zentrale Datenverarbeitungseinrichtung,
- Bestimmen in der zentralen Datenverarbeitungseinrichtung genau einer nächstgelegenen mobilen Anzeigevorrichtung, welche sich in einem geringeren Abstand von der aktuellen Fahrzeugposition befindet als alle anderen mobilen Anzeigevorrichtungen, auf Grundlage der aktuellen Fahrzeugposition des mautpflichtigen Fahrzeugs und der aktuellen Positionen aller mobiler Anzeigevorrichtungen.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist somit neu gegenüber der Offenbarung des Dokuments D1.
6.4 Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)
Die Beschwerdeführerin brachte vor, dass die mit den Unterschiedsmerkmalen verbundene objektive technische Aufgabe in der effizienteren Benachrichtigung der Anzeigevorrichtungen bestünde. Ausgehend von Dokument D1 würde der Fachmann zur Lösung dieser Aufgabe jedoch nicht Dokument D2 in Betracht ziehen. Letzteres betreffe kein Mautsystem und weise strukturelle Unterschiede auf, insbesondere werde ein Transponder in dem zu verfolgenden Fahrzeug vorausgesetzt. Und selbst wenn der Fachmann die Dokumente D1 und D2 kombinieren würde, dann käme er zu einer gänzlich anderen als der beanspruchten Lösung, da er nicht isoliert Merkmale aus der in Dokument D2 offenbarten Lösung herausgreifen und dabei wesentliche Elemente wie den Transponder im zu verfolgenden Fahrzeug weglassen würde.
Die Kammer stellt fest, dass die Dokumente D1 und D2 zumindest einen wesentlichen Unterschied in der Funktionsweise aufweisen. Gemäß Dokument D1 sendet eine Mautkamera die Identifikationsdaten des zu verfolgenden Fahrzeugs. Demgegenüber übermittelt gemäß Dokument D2 das zu verfolgende bzw. hilfsbedürftige Fahrzeug seine eigenen Identifikationsdaten mittels eines Transponders selbst. Da es für den Fachmann offensichtlich ist, dass das System seinen Zweck verfehlen würde, wenn ein Mautverletzer zwingend einen aktiven Transponder aufweisen müsste, würde er Dokument D2 nicht zur Verbesserung des aus Dokument D1 bekannten Mautsystems heranziehen. Daher wird der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht durch den zitierten Stand der Technik nahegelegt.
6.5 Folglich ist Hilfsantrag 1B gewährbar.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Prüfungsabteilung zurückverwiesen mit der Anordnung, ein Patent zu erteilen auf der Grundlage der folgenden Dokumente:
- Beschreibung, Seiten
- 1-9 und 11-29 der ursprünglich eingereichten Fassung;
- 10 und 10a, eingegangen am 4. Juli 2017;
- Patentansprüche 1 bis 8, eingereicht als Hilfsantrag 1B während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer;
- Zeichnungen, Blätter 1 und 2 der ursprünglich eingereichten Fassung.