T 1615/22 (Kantenleiste/REHAU UND BULTHAUPT) 22-02-2024
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KANTENLEISTE FÜR MÖBELSTÜCKE
REHAU AG + Co
bulthaup GmbH & Co KG
Jowat SE
SURTECO GmbH
Fritz Egger GmbH & Co. OG
Erfinderische Tätigkeit - (nein)
Erfinderische Tätigkeit - naheliegende Alternative
Rügepflicht - Einwand zurückgewiesen
Ermessen Vorbringen nicht zuzulassen - Vorbringen zugelassen (nein)
Änderung nach Ladung - außergewöhnliche Umstände (nein)
I. Die Patentinhaberinnen und die Einsprechenden 1 bis 3 legten Beschwerde gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung ein, die den der Entscheidung zu Grunde liegenden Hilfsantrag 7 für gewährbar erachtete.
II. Die Einsprechenden hatten den Widerruf des Patents unter anderem auf Grundlage des Einspruchsgrunds gemäß Artikel 100 a) EPÜ (mangelnde erfinderische Tätigkeit) beantragt.
III. Die Einspruchsabteilung hat entschieden, dass der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags 7 gewährbar sei und dass das darin beanspruchte Kantenband gegenüber D20a als nächstliegendem Stand der Technik auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.
IV. Die folgenden Dokumente wurden im vorliegenden Fall zitiert:
D2 : EP 1 163 864 A1
D10 : Werbeprospekt "Klebrohstoff für Hot-Melt-
Anwendungen VESTOPLAST**(®)", Hüls AG, 1996,
Seiten 3 bis 35
D14 : DE 39 12 949 A1
D18 : DE 25 30 726 A1
D20a : H. Wust et al., "Schmalflächenbeschichtung
mit dem Laser - Alte Technologie in neuem
Licht", Teil 1: Grundlagen zur Reaktivierung
von Schmelzklebstoffen mit Laserstrahlung,
Holztechnologie 47 (2006) 3, Seiten 37 bis
42
Anlage A1: "Werkstoffvergleich Polypropylen + MAH (PP-
MAH) zu Schmelzklebstoffen", eingereicht von
den Patentinhaberinnen
Anlage A2: "Vergleich von einschichtigen ABS-
Kantenband / PE-Kantenband und PP-Kantenband
mit Maleinsäureanhydrid (MAH)-
Funktionsschicht", eingereicht von den
Patentinhaberinnen
V. Anspruch 1 des Hauptantrags (Patent wie erteilt) lautet wie folgt:
"Kantenleiste (1) für Möbelstücke, umfassend eine Schmelzschicht (3) und eine mit der Schmelzschicht (3) verbundene Strukturschicht (2), dadurch gekennzeichnet, dass die Schmelzschicht (3) sowohl polare als auch unpolare Anteile im Molekülaufbau enthält, und dass die Schmelzschicht (3) Energie absorbierende Zusatzstoffe enthält."
Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 lautet wie folgt:
"Kantenleiste (1) für Möbelstücke, umfassend eine Schmelzschicht (3) und eine mit der Schmelzschicht (3) verbundene Strukturschicht (2), wobei die Schmelzschicht (3) sowohl polare als auch unpolare Anteile im Molekülaufbau sowie Energie absorbierende Zusatzstoffe enthält, wobei der Werkstoff der Schmelzschicht (3) ein Pfropfcopolymer ist und auf Polypropylen basiert."
Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 lautet wie folgt:
"Möbelstück mit einer Kantenleiste (1), umfassend eine Schmelzschicht (3) und eine mit der Schmelzschicht (3) verbundene Strukturschicht (2), wobei die Schmelzschicht (3) sowohl polare als auch unpolare Anteile im Molekülaufbau sowie Energie absorbierende Zusatzstoffe enthält und zumindest abschnittsweise mit einer Kante (40) des Möbelstücks (4) stoffschlüssig verbunden ist, wobei der Werkstoff der Schmelzschicht (3) ein Pfropfcopolymer ist und auf Polypropylen basiert."
Anspruch 1 des Hilfsantrags 3 lautet wie folgt:
"Kantenleiste (1) für Möbelstücke, umfassend eine Schmelzschicht (3) und eine mit der Schmelzschicht (3) verbundene Strukturschicht (2), wobei die Schmelzschicht (3) sowohl polare als auch unpolare Anteile im Molekülaufbau sowie Energie absorbierende Zusatzstoffe enthält, wobei der Werkstoff der Schmelzschicht (3) ein Pfropfcopolymer ist und auf Polypropylen basiert und eine oder mehrere Molekülgruppen basierend auf Carbonsäuren bzw. deren Ester bzw. Salze aufweist."
Anspruch 1 des Hilfsantrags 4 lautet wie folgt:
"Möbelstück mit einer Kantenleiste (1), umfassend eine Schmelzschicht (3) und eine mit der Schmelzschicht (3) verbundene Strukturschicht (2), wobei die Schmelzschicht (3) sowohl polare als auch unpolare Anteile im Molekülaufbau sowie Energie absorbierende Zusatzstoffe enthält und zumindest abschnittsweise mit einer Kante (40) des Möbelstücks (4) stoffschlüssig verbunden ist, wobei der Werkstoff der Schmelzschicht (3) ein Pfropfcopolymer ist und auf Polypropylen basiert und eine oder mehrere Molekülgruppen basierend auf Carbonsäuren bzw. deren Ester bzw. Salze aufweist."
Anspruch 1 des Hilfsantrags 5 lautet wie folgt:
"Kantenleiste (1) für Möbelstücke, umfassend eine Schmelzschicht (3) und eine mit der Schmelzschicht (3) verbundene Strukturschicht (2), wobei die Schmelzschicht (3) sowohl polare als auch unpolare Anteile im Molekülaufbau sowie Energie absorbierende Zusatzstoffe enthält, wobei der Werkstoff der Schmelzschicht (3) ein Maleinsäureanhydrid-gepfropftes Polypropylen ist."
Anspruch 1 der Hilfsanträge 6 und 8 lautet wie folgt:
"Möbelstück mit einer Kantenleiste (1), umfassend eine Schmelzschicht (3) und eine mit der Schmelzschicht (3) verbundene Strukturschicht (2), wobei die Schmelzschicht (3) sowohl polare als auch unpolare Anteile im Molekülaufbau sowie Energie absorbierende Zusatzstoffe enthält und zumindest abschnittsweise mit einer Kante (40) des Möbelstücks (4) stoffschlüssig verbunden ist, wobei der Werkstoff der Schmelzschicht (3) ein Maleinsäureanhydrid-gepfropftes Polypropylen ist."
Anspruch 1 des Hilfsantrags 7 lautet wie folgt:
"Kantenleiste (1) für Möbelstücke, umfassend eine Schmelzschicht (3) und eine mit der Schmelzschicht (3) verbundene Strukturschicht (2), wobei die Schmelzschicht (3) sowohl polare als auch unpolare Anteile im Molekülaufbau enthält, wobei die Schmelzschicht (3) Energie absorbierende Zusatzstoffe enthält, wobei der Werkstoff der Schmelzschicht (3) ein Maleinsäureanhydrid-gepfropftes Polypropylen ist."
Der Wortlaut der Ansprüche der Hilfsanträge 9 bis 28 ist nicht entscheidungsrelevant.
VI. Die relevanten Argumente der Parteien, die schriftlich sowie in der mündlichen Verhandlung vorgebracht wurden, werden nachfolgend in den Entscheidungsgründen abgehandelt.
VII. Anträge
Die Patentinhaberinnen beantragten, die Entscheidung der Einspruchsabteilung aufzuheben und das Patent in der erteilten Fassung (Hauptantrag), hilfsweise auf der Grundlage eines der folgenden Hilfsanträge aufrechtzuerhalten:
- Hilfsanträge 1 bis 6, eingereicht als Hilfsanträge 1a', 1b', 2a', 2b', 3a' und 3b' mit Schriftsatz vom 1. Dezember 2021,
- Hilfsanträge 7 und 8, eingereicht in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung als Hilfsanträge 3a" und 3b",
- Hilfsanträge 9 bis 12, eingereicht als Hilfsanträge 4a', 4b', 5a' und 5b' mit Schriftsatz vom
1. Dezember 2021,
- Hilfsanträge 17 bis 28, eingereicht mit Schriftsatz vom 22. Dezember 2023 und
- Hilfsanträge 13 bis 16, eingereicht als Hilfsanträge 6' bis 9' mit Schriftsatz vom 1. Dezember 2021.
Die Einsprechenden 1 bis 3 beantragten, die Entscheidung der Einspruchsabteilung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.
HILFSANTRAG 7
1. Auslegung von Anspruch 1 des Hilfsantrags 7
1.1 Anspruch 1 betrifft eine Kantenleiste für Möbelstücke, umfassend eine Schmelzschicht und eine mit der Schmelzschicht verbundene Strukturschicht, wobei die Schmelzschicht sowohl polare als auch unpolare Anteile im Molekülaufbau enthält, wobei die Schmelzschicht Energie absorbierende Zusatzstoffe enthält, wobei der Werkstoff der Schmelzschicht ein Maleinsäureanhydrid-gepfropftes Polypropylen (nachfolgend auch als "PP-MAH" bezeichnet) ist.
1.2 Nach Ansicht der Patentinhaberinnen sei Anspruch 1 wie folgt auszulegen:
(i) die Energie absorbierenden Zusatzstoffe seien nicht der Schmelzschichtwerkstoff selbst, sondern davon verschiedene Zusatzstoffe,
(ii) diese Zusatzstoffe seien keine beliebigen Stoffe, sondern nicht-schmelzfähige Stoffe, die hochenergetische Strahlungsenergie einer spezifischen Wellenlänge absorbieren und die absorbierte Energie in Wärme zum Aufschmelzen der Schmelzschicht umsetzen,
(iii) der Werkstoff der Schmelzschicht in Alleinstellung werde zur Verbindung mit Holz verwendet, so dass die Kante eines Möbelstücks klebstofffrei fixiert werden könne,
(iv) der einzige polymere Werkstoff der Schmelzschicht sei PP-MAH,
(v) die Schmelzschicht enthalte somit keinen Klebstoff und keine schmelzfähigen und schmelzklebertypische Beimischungen (ein Schmelzklebstoff falle somit nicht unter den Werkstoff der Schmelzschicht).
1.3 Was die Auslegung betrifft, so ist die Kammer der folgenden Ansicht.
1.3.1 Auf die Frage der Auslegung des Merkmals des Energie absorbierenden Zusatzstoffes kommt es vorliegend nicht an. Im nächstliegenden Stand der Technik (D20a) sind auch Laserstrahlung absorbierende Zusatzstoffe in der aufzuschmelzenden Schicht offenbart, welche unstreitig Zusatzstoffe im Sinne von Anspruch 1 sind.
1.3.2 Das Verständnis der Patentinhaberinnen, dass der Werkstoff der Schmelzschicht in Alleinstellung zur Verbindung mit Holz verwendet werde (Aussage (iii), ist auch nicht entscheidend, da dies im nächstliegenden Stand der Technik (D20a) auch realisiert wird (siehe die nachfolgende Auslegung der Schmelzschicht). Darüber hinaus betrifft dies die beabsichtigte Verwendung der Kantenleiste und nicht die Kantenleiste selbst.
1.3.3 Nachfolgend wird unter Berücksichtigung der Aussagen (iv) und (v) unter Punkt 1.2 ausgeführt, wie die Kammer die Schmelzschicht gemäß Anspruch 1 interpretiert.
1.3.4 Die Schmelzschicht ist in Anspruch 1 insbesondere dadurch definiert, dass:
(1) sie Energie absorbierende Zusatzstoffe enthält (Merkmal 1) und
(2) der Werkstoff der Schmelzschicht ein Maleinsäureanhydrid-gepfropftes Polypropylen ist (Merkmal 2).
1.3.5 Nach dem vorstehende Merkmal 1 ist die Schmelzschicht aufgrund der Formulierung "enthält" nicht abschließend definiert, so dass weitere Zusätze in der Schmelzschicht vorhanden sein können. Dies ist ausdrücklich in der in Absatz [0026] des Patents beschriebenen vorteilhaften Ausgestaltung beschrieben, worin die Schmelzschicht Zusatzstoffe, beispielsweise Farbstoffe oder Pigmente, enthalten kann. Diese Zusatzstoffe betreffen nicht die in Anspruch 1 beschriebenen Energie absorbierenden Zusatzstoffe sondern weitere Zusatzstoffe, wie zutreffend von den Einsprechenden vorgetragen. Eine Einschränkung, um welche Zusatzstoffe der Schmelzschicht es sich dabei handeln soll und in welcher Menge sie vorhanden sein können, findet sich nicht.
1.3.6 In Anspruch 1 sind keine Mengenangaben für die Energie absorbierenden Zusatzstoffe und PP-MAH angegeben. Anspruch 1 enthält auch nicht die in der Rechtsprechung als abschließend zu verstehende anerkannte Formulierung "bestehend aus".
1.3.7 Die Patentinhaberinnen stellten in der mündlichen Verhandlung insbesondere darauf ab, dass das Merkmal "der Werkstoff der Schmelzschicht eine Maleinsäureanhydrid-gepfropftes Polypropylen ist" so zu verstehen sei, dass neben den Energie absorbierenden Zusatzstoffen PP-MAH als einziger Polymerbestandteil der Schmelzschicht vorhanden sei. Die Schmelzschicht nach Anspruch 1 bestehe somit nur aus PP-MAH und Zusatzstoffen. Der bestimmte Artikel "der" in dem Ausdruck "der Werkstoff" stütze, dass es sich bei PP-MAH nicht nur um einen Werkstoff der Schmelzschicht handele, sondern um den einzigen Polymerwerkstoff.
1.3.8 Dieser Auslegung kann sich die Kammer nicht anschließen.
Zwar könnte das isolierte Merkmal "der Werkstoff der Schmelzschicht eine Maleinsäureanhydrid-gepfropftes Polypropylen ist" (Hervorhebung durch die Kammer) bei umgangssprachlicher Lesart auf den ersten Blick so verstanden werden, dass der gesamte Werkstoff der Schmelzschicht ausschließlich aus PP-MAH besteht. Der Wortlaut von Anspruch 1 selbst ist jedoch ein Widerspruch zu dieser Lesart, da Anspruch 1 auch die Anwesenheit von Energie absorbierenden Zusatzstoffen fordert. Somit wird bereits aus dem Wortlaut von Anspruch 1 deutlich, dass der gesamte Werkstoff der Schmelzschicht nicht ausschließlich aus PP-MAH bestehen kann. Darüber hinaus können, wie oben dargelegt, auch weitere beliebige Zusatzstoffe in der Schmelzschicht vorhanden sein. Schmelzklebstofftypische Zusätze oder andere klebende Zusätze sind anspruchsgemäß daher in der Schmelzschicht nicht ausgeschlossen.
1.3.9 Die Patentinhaberinnen waren diesbezüglich der Ansicht, dass bei fachmännischer Auslegung des beanspruchten Gegenstands im Lichte der in Absatz [0004] des Patents angegebenen Aufgabenstellung ableitbar sei, dass in der Schmelzschicht keine weiteren klebenden Zusätze bzw. klebstofftypische Zusätze vorhanden seien.
1.3.10 Absatz [0004] des Patents lautet wie folgt:
"Der Erfindung liegt die Aufgabe zugrunde, eine Kantenleiste für Möbelstücke bereitzustellen, die unabhängig vom Werkstoff eines Möbelstücks, an wenigstens einer Kante des Möbelstücks optisch ohne Trennfuge und klebstofffrei fixierbar ist." (Hervorhebung hinzugefügt)
1.3.11 Die Kammer kann dieser Ansicht bereits aus dem Grund nicht zustimmen, da der Ausdruck "klebstofffrei" kein Anspruchsmerkmal ist. Selbst wenn die Aufgabenstellung aus Absatz [0004] herangezogen würde, um Anspruch 1 auszulegen, so versteht die Kammer den Ausdruck "klebstofffrei fixierbar" so, dass die Schmelzschicht alleine zur Verbindung an ein Möbelstück geeignet sein soll. Die Auslegung der Patentinhaberinnen, wonach die Schmelzschicht selbst keine klebenden Zusätze bzw. schmelzklebstofftypische Zusätze enthalten darf, teilt die Kammer nicht.
1.3.12 Gemäß dem Patent ist es erforderlich, dass die Schmelzschicht bei Temperaturerhöhung über den Schmelzpunkt erweicht und einen zähflüssigen bzw. zähplastischen Zustand einnimmt und bei Abkühlung wieder erstarrt (siehe Absatz [0042] des Patents). Wie von den Einsprechenden richtig vorgetragen, ist dies auch für Schmelzklebstoffe zutreffend und deckt sich somit - neben der nötigen Haftfähigkeit - mit einer der wesentlichen Eigenschaften eines Schmelzklebstoffs. Nach Ansicht der Kammer schließt die Schmelzschicht nach Anspruch 1 einen Klebstoff und schmelzfähige und schmelzklebstofftypische Beimischungen nicht aus. Eine Schmelzklebstoffschicht ist daher unter den Begriff "Schmelzschicht" subsumierbar.
1.3.13 Die Patentinhaberinnen führten auch aus, dass sich auf dem einschlägigen Fachgebiet nach dem Patent etabliert habe, dass unter einer Schmelzschicht eine (thermoplastische) Schicht zur Verbindung an Holzoberflächen verstanden werde, die keine Schmelzklebstoffschicht sei und somit auch keine klebenden Zusätze bzw. schmelzklebstofftypische Zusätze enthalte. Selbst wenn dies zutreffend sein sollte, ist festzustellen, dass der beanspruchte Gegenstand unter Berücksichtigung des zum Prioritätstag maßgeblichen Verständnisses des Fachmanns auszulegen ist. Auch wenn sich das Verständnis eines Fachmanns nach dem Prioritätstag geändert haben sollte, ändert dies nichts an der Auslegung des beanspruchten Gegenstands am Prioritätstag.
1.3.14 Aus den vorstehenden Gründen kann die Kammer der einschränkenden Auslegung der Patentinhaberinnen zur Zusammensetzung der Schmelzschicht nicht folgen.
Bei fachmännischer Auslegung versteht die Kammer das Merkmal "wobei die Schmelzschicht Energie absorbierende Zusatzstoffe enthält, wobei der Werkstoff der Schmelzschicht ein Maleinsäureanhydrid-gepfropftes Polypropylen ist" jedoch so, dass PP-MAH ein wesentlicher Bestandteil der Schmelzschicht ist. Eine bestimmte Mengenangabe von PP-MAH ist jedoch in Anspruch 1 nicht gefordert. Wie bereits ausgeführt, können neben den in Anspruch 1 geforderten Energie absorbierenden Zusatzstoffen, deren Menge in Anspruch 1 nicht definiert ist, weitere beliebige Zusatzstoffe in signifikanten Menge vorhanden sein.
2. Erfinderische Tätigkeit
2.1 Die Patentinhaberinnen argumentierten, dass D2 der nächstliegende Stand der Technik sei, nicht jedoch Dokument D20a, das von der Einspruchsabteilung und von den Einsprechenden als geeigneter nächstliegender Stand der Technik angesehen wurde. Selbst wenn von D20a als nächstliegendem Stand der Technik ausgegangen werde, beruhe der beanspruchte Gegenstand jedoch auf einer erfinderischen Tätigkeit. Die Kombinationsdokumente D10 und D14 lehrten PP-MAH nur als untergeordneten Bestandteil der darin beschriebenen Schmelzklebezusammensetzungen, nicht jedoch als einzige Polymerkomponente. D18 beschreibe kein PP-MAH sondern nur Maleinsäure gepfropfte Polymere und PP sei nur als eines unter mehreren Polymeren erwähnt. Auch sei in D18 weder eine Schmelzschicht aus dem Pfropfcopolymer noch eine Kantenleiste für Möbelstücke offenbart. Die in D18 beschriebenen Schmelzklebstoffe würden vielmehr auf ein Substrat aufgetragen und seien nicht imstande eine Schmelzschicht im Sinne des Patents zu bilden.
2.2 Die Kammer kommt aus folgenden Gründen zu einem anderen Ergebnis.
2.2.1 D20a betrifft wie auch das Patent die Schmalflächenbeschichtung eines Kantenmaterials und das technische Gebiet der Möbelfertigung. In D20a wird eine Kantenleiste mittels Laseraktivierung verklebt, wie dies auch in einer bevorzugten Ausführungsform des Patents geschieht. Wie auch im Patent erfordert der in D20a beschriebene Fügevorgang neben der Schmelzklebstoffschicht, welche wie oben dargelegt, eine Schmelzschicht ist, keinen weiteren Klebstoff. Nach Ansicht der Kammer betriff D20a somit dasselbe technische Gebiet und den gleichen bzw. einen ähnlichen Zweck wie das Patent. D20a ist somit ein geeigneter Ausgangspunkt in der Diskussion der erfinderischen Tätigkeit.
Die Patentinhaberinnen argumentierten, dass D20a Klebstoffe in der aufzuschmelzenden Schicht fordere, was nach dem beanspruchten Gegenstand ausgeschlossen sei. Im Hinblick auf die Auslegung des beanspruchten Gegenstands unter Punkt 1., wonach die Schmelzschicht nicht abschließend definiert ist und beispielsweise klebstofftypische Zusätze nicht ausschließt, ist dieses Argument der Patentinhaberinnen nicht überzeugend.
Die Kammer kann nicht erkennen, dass die Einspruchsabteilung in D20a einen ungeeigneten Ausgangspunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit ausgewählt hat.
2.2.2 D20a offenbart eine Kantenleiste, umfassend eine Strukturschicht (PVC oder ABS) und eine Schmelzklebstoffschicht aus Ethylen-Vinyl-Acetat (EVA), die ein Laserstrahlung absorbierendes Pigment enthält. Mittels Laserstrahlung wird die Schmelzklebstoffschicht aktiviert, so dass das Kantenband mit Furnier verklebt werden kann. Die verklebten Materialien sind im Anschluss an den Fügevorgang nur noch durch Zerstörung voneinander zu trennen.
2.2.3 Es bestand Einigkeit unter den Parteien, dass in D20a kein PP-MAH als Bestandteil der Schmelzschicht offenbart ist. D20a offenbart daher auch nicht PP-MAH als wesentlichen Bestandteil (siehe Auslegung oben) der Schmelzschicht.
Die Patentinhaberinnen waren darüber hinaus der Ansicht, dass Anspruch 1 die Anwesenheit von Klebstoff, schmelzfähigen und schmelzklebstofftypischen Beimischungen, wie Harze oder Wachse, ausschließe. Da in D20a schmelzklebstofftypische Zusätze in dem EVA-Schmelzklebstoff vorhanden seien, sei dies ein zweiter Unterschied gegenüber D20a.
Im Hinblick auf die Auslegung von Anspruch 1 unter Punkt 1. kann der zweite von den Patentinhaberinnen geltend gemachte Unterschied nicht anerkannt werden.
Der Unterschied zwischen dem Gegenstand von Anspruch 1 und D20a ist daher in dem Merkmal "wobei der Werkstoff der Schmelzschicht (3) ein Maleinsäureanhydrid-gepfropftes Polypropylen ist" zu sehen.
2.2.4 Eine aus diesem Unterschied gegenüber D20a resultierende Wirkung haben die Patentinhaberinnen nicht geltend gemacht. Eine verbesserte Haftfähigkeit wurde von den Patentinhaberinnen nur gegenüber D2 geltend gemacht. Sie sahen die zu formulierende technische Aufgabe als die im Patent beschriebene Aufgabe der Bereitstellung einer Kantenleiste für Möbelstücke, die unabhängig vom Werkstoff eines Möbelstücks, an wenigstens einer Kante des Möbelstücks optisch ohne Trennfuge und klebstofffrei fixierbar ist.
2.2.5 D20a beschreibt, dass die verklebten Materialien im Anschluss an den Fügevorgang nur noch durch Zerstörung voneinander getrennt werden können. Vor diesem Hintergrund und in Abwesenheit von im Verfahren befindlichen Vergleichsversuchen (zur Zulassung der mit Schriftsatz vom 22. Dezember 2023 eingereichten Anlagen A1 und A2 siehe unten) kann eine Verbesserung gegenüber der in D20a beschriebenen Kantenleiste nicht anerkannt werden. Dies betrifft auch den von den Patentinhaberinnen geltend gemachten Vorteil, wonach bei Verklebung der erfindungsgemäßen Kantenleiste keine Trennfuge erkennbar sei. In diesem Zusammenhang wird erneut auf die Auslegung unter Punkt 1. verwiesen, wonach schmelzklebstofftypische Zusätze in der Schmelzschicht nicht ausgeschlossen sind. In D20a wird die Kantenleiste auch ohne eine zusätzliche Klebstoffschicht und lediglich durch die Verklebung der aufzuschmelzenden Schicht verklebt.
2.2.6 Somit wird die objektive technische Aufgabe in der Bereitstellung einer alternativen Kantenleiste gesehen.
2.2.7 Zur Frage des Naheliegens waren die Patentinhaberinnen der Ansicht, dass ein Fachmann ausgehend von D20a keine Veranlassung gehabt habe, die EVA-Schmelzklebstoffe der D20a gegen PP-MAH auszutauschen. Die Kombinationsdokumente D10 und D14 lehrten zwar PP-MAH, aber nur als untergeordneten Bestandteil der Schmelzklebstoff-Zusammensetzungen, nicht jedoch als einzige Polymerkomponente, und D18 lehre kein Maleinsäureanhydrid-gepfropftes Polymer sondern nur ein Maleinsäure-gepfropftes Polymer.
2.2.8 Die Kammer kommt aus den nachfolgenden Gründen zu einem anderen Ergebnis.
2.2.9 Aus dem Abschnitt "Materialauswahl" auf den Seiten 38 und 39 von D20a ist zu entnehmen, dass D20a nicht auf die Verwendung von EVA-Schmelzklebstoffen beschränkt ist. Vielmehr ist daraus entnehmbar, dass für die in D20a beschriebenen Anwendungen eine Vielzahl von Klebstoffen gebräuchlich sind. In D20a wurden lediglich beispielhaft EVA-Schmelzklebstoffe untersucht. Vor diesem Hintergrund würde ein Fachmann auch weitere Schmelzklebstoffe als geeignet ansehen. Das in D20a gelehrte Konzept, eine Laserpigment-enthaltende Schmelzklebstoffschicht durch Laserstrahlung zu aktivieren, auf weitere Schmelzklebstoffe auszuweiten, ist somit schon in D20a angelegt.
2.2.10 Der Gegenstand von Anspruch 1 beruht aus folgenden Gründen zumindest gegenüber einer Kombination von D20a mit D18 und dem allgemeinen Fachwissen nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
D18 betrifft auch eine Schmelzklebstoffmasse, die zur Verklebung von Holz geeignet ist. Die Schmelzklebstoffmasse der D18 lässt sich auch in Pellets oder Granulat überführen (Seite 13 von D18) und sie lässt sich zu einer Schicht verarbeiten. In D18 ist ausdrücklich beschrieben, dass die Schmelzklebstoff-schicht eine sehr gute Heißsiegelfähigkeit aufweist (siehe Seiten 13 und 14 von D18). Ein Fachmann auf der Suche nach einer Lösung für die technischen Aufgabe würde D18 daher in Betracht ziehen.
In D18 ist ein Pfropfcopolymer offenbart, dass allein oder in Verbindung mit anderen Olefinmischpolymerisaten, Klebharzen, Wachsen, Plastifizierungsmitteln und/oder Füllstoffen als Schmelzklebstoffmasse eingesetzt werden kann (siehe Seite 4, 2. Absatz, von D18). D18 lehrt somit, dass das Pfropfcopolymer nicht nur einen wesentlichen sondern sogar einen überwiegenden Anteil der Schmelzklebstoffmasse ausmachen kann. Das Polyolefin kann Polypropylen sein (siehe Seite 5, Zeile 3, von D18) und das aufgepfropfte Monomer kann Maleinsäure sein (siehe Anspruch 2 und Seite 5, Zeilen 14 bis 17, von D18).
Zwar fordert der in Streit stehende Anspruch 1 ein Maleinsäureanhydrid-gepfropftes Polypropylen und kein Maleinsäure gepfropftes Polypropylen. Die Kammer teilt jedoch diesbezüglich die Ansicht der Einsprechenden, dass es zum allgemeinen Fachwissen gehört, dass sowohl Maleinsäure als auch Maleinsäureanhydrid-gepfropfte Polymere ausgezeichnete Haftungseigenschaften aufweisen und somit austauschbar sind (siehe dazu insbesondere D14). Die Patentinhaberinnen entgegneten, dass die Verwendung von Maleinsäureanhydrid gegenüber Maleinsäure Vorteile aufweise, wie eine erhöhte Reaktivität gegenüber den OH-Gruppen des Holzes. Dies ist nach Ansicht der Kammer jedoch Bestandteil des allgemeinen Fachwissens und kann nicht von der naheliegenden Verwendung von PP-MAH wegführen.
Die Dokumente D10 und D14 verdeutlichen dieses Verständnis und belegen nach Ansicht der Kammer beide, dass es bekannt war, dass PP-MAH ausgezeichnete Haftungseigenschaften aufweist (siehe Punkt 4.3.6 von D10 und die Ansprüche sowie Tabelle 2 und Seite 9, Zeilen 6 bis 12, von D14). Nachfolgend wird zur Verdeutlichung auf D14 eingegangen, in dem die Lehre vermittelt wird, dass ein Maleinsäure-enthaltendes Pfropfcopolymer und ein Maleinsäureanhydrid-enthaltendes Pfropfcopolymer für gute Haftungseigenschaften bekannt sind.
D14 betrifft Schmelzklebermassen zum Verkleben bzw. Beschichten von Holz (siehe Anspruch 7 von D14), die ein funktionelle Gruppen tragendes Polymer enthalten (siehe Anspruch 1 von D14), wobei das funktionelle Gruppen tragende Polymer Maleinsäure oder deren Derivat als Pfropfmonomer sein kann (siehe die Ansprüche 1 und 5 von D14). PP-MAH (als Derivat der Maleinsäure) ist explizit als funktionelle Gruppen tragendes Polymer genannt (siehe Seite 5 von D14) und es ist in D14 beschrieben dass PP-MAH ausgezeichnete Haftungseigenschaften aufweist (siehe Seite 9, Zeilen 1 bis 11, von D14). Somit vermittelt D14 die Lehre, dass ein Maleinsäure-enthaltendes Pfropfcopolymer und ein Maleinsäureanhydrid-enthaltendes Pfropfcopolymer für gute Haftungseigenschaften bekannt sind.
Ein Fachmann auf der Suche nach einer Lösung für das vorstehende objektive technische Problem würde es vor diesem Hintergrund als naheliegend ansehen, die EVA-Schmelzklebstoffe der D20a gegen PP-MAH auszutauschen.
Der Gegenstand von Anspruch 1 beruht somit gegenüber D20a als nächstliegendem Stand der Technik nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
HAUPTANTRAG UND HILFSANTRÄGE 1 BIS 6 UND 8
3. Anspruch 1 des Hauptantrags und Anspruch 1 der Hilfsanträge 1 und 3 betreffen jeweils breitere Formulierungen hinsichtlich der Zusammensetzung der Schmelzschicht. Somit gelten die Ausführungen zu Anspruch 1 des Hilfsantrags 7 in analoger Weise für Anspruch 1 des Hauptantrags und Anspruch 1 der Hilfsanträge 1 und 3.
Anspruch 1 des Hilfsantrags 5 und Anspruch 1 des Hilfsantrags 7 sind zwar nicht wortidentisch, sie sind aber in gleicher Weise auszulegen. Die Patentinhaberinnen haben in der mündlichen Verhandlung hierzu auch nicht gesondert vorgetragen. Somit gelten für Anspruch 1 des Hilfsantrags 5 dieselben Argumente wie für Anspruch 1 des Hilfsantrags 7.
Anspruch 1 der Hilfsanträge 2, 4, 6 und 8 betreffen ein Möbelstück mit einer Kantenleiste, wobei die Definition der Schmelzschicht der Kantenleiste wie in Anspruch 1 der Hilfsanträge 1, 3, 5 bzw. 7 gewählt ist. Die Patentinhaberinnen haben in der mündlichen Verhandlung hierzu auch nicht gesondert vorgetragen. Diesbezüglich gelten somit auch die Ausführungen zu Anspruch 1 des Hilfsantrags 7. Ein stoffschlüssiger Verbund ist auch in D20a gegeben und das in D20a beschriebene Konzept auf ein Möbelstück zu übertragen ist in D20a ausdrücklich angesprochen.
Der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags und Anspruch 1 der Hilfsanträge 1 bis 6 und 8 beruht somit gegenüber D20a als nächstliegendem Stand der Technik auch nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
HILFSANTRÄGE 9 BIS 28
4. Zulassung der Hilfsanträge 9 bis 16
4.1 Nach Artikel 12(3) VOBK müssen die Beschwerdebegründung und die Erwiderung das vollständige Beschwerdevorbringen eines Beteiligten enthalten. Sie müssen deutlich und knapp angeben, aus welchen Gründen beantragt wird, die angefochtene Entscheidung aufzuheben, abzuändern oder zu bestätigen und sie sollen ausdrücklich alle geltend gemachten Anträge, Tatsachen, Einwände, Argumente und Beweismittel im Einzelnen anführen. Es steht im Ermessen der Kammer, Vorbringen eines Beteiligten nicht zuzulassen, soweit es die Erfordernisse nach Artikel 12(3) VOBK nicht erfüllt (Artikel 12(5) VOBK).
4.2 Aus den folgenden Gründen hat die Kammer ihr Ermessen unter Artikel 12(5) VOBK dahingehend ausgeübt, die Hilfsanträge 9 bis 16 nicht zum Beschwerdeverfahren zuzulassen.
4.2.1 In ihrer Beschwerdebegründung haben die Patentinhaberinnen vorgetragen, dass für den Fall, dass die Hilfsanträge 9 bis 16 im Beschwerdeverfahren diskutiert würden, "vollumfänglich auf das erstinstanzliche Verfahren verwiesen" werde (siehe Punkt 4.9. der Beschwerdebegründung der Patentinhaberinnen). Die Erwiderung auf die Beschwerdebegründungen der Einsprechenden, in denen zu den Hilfsanträgen 9 bis 16 ausführlich vorgetragen wurde, enthält nur einen kurzen Absatz mit Vortrag zur Konvergenz dieser Anträge und der Feststellung, dass diese "in Richtung des Erfindungsgedankens zunehmend einschränkend weiterentwickelt" seien (Hervorhebung im Original).
4.2.2 Nach Ansicht der Patentinhaberinnen sei ein Verweis auf das erstinstanzliche Verfahren ausreichend, um die Hilfsanträge 9 bis 16 zu substantiieren. Diese Hilfsanträge seien bereits im Einspruchsverfahren eingereicht worden und seien somit Gegenstand des Einspruchs(beschwerde)verfahrens.
4.2.3 Ein lediglich pauschaler Verweis auf Vorbringen im erstinstanzlichen Verfahren, wie er in der Beschwerdebegründung enthalten ist, ist nach geltender Rechtssprechung jedoch nicht zu berücksichtigen (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 10. Auflage, 2022, V.A.2.6.5).
4.2.4 Entgegen der Ansicht der Patentinhaberinnen ist ein derartiger pauschaler Verweis auf das erstinstanzliche Verfahren nicht unter die deutliche und knappe Angabe von Gründen im Sinne des Artikels 12(3) VOBK zu verstehen, aus denen verständlich wird, warum die angefochtene Entscheidung aufzuheben, abzuändern oder zu bestätigen ist (siehe T 1041/21, Punkt 5.1.3 der Gründe, und T 1220/21, Punkte 4.2 bis 4.4 der Gründe). Nach Artikel 12(3) VOBK sind ausdrücklich alle geltend gemachten Anträge, Tatsachen, Einwände, Argumente und Beweismittel im Einzelnen anzuführen (siehe T 1220/21, Punkt 4.3 der Gründe). Das Erfordernis der Knappheit nach Artikel 12(3) VOBK entbindet die Patentinhaberinnen nicht von ihrer Pflicht, ausdrücklich alle geltend gemachten Anträge, Tatsachen, Einwände, Argumente und Beweismittel im Einzelnen anzuführen (siehe T 2117/18, Punkt 2.2.5 der Gründe, siehe auch T 2872/19, Punkt 4. der Gründe).
4.2.5 Zu den Hilfsanträge 9 bis 16 finden sich weder in der Beschwerdebegründung noch in der Erwiderung der Patentinhaberinnen auf die Beschwerdebegründungen der Einsprechenden über einen pauschalen Verweis hinausgehende Angaben. So wurde darin nicht angegeben, wo die Grundlage für die in den Hilfsanträgen 9 bis 16 durchgeführten Änderungen zu finden ist. Darüber hinaus wurde weder erklärt, welchen Einwänden diese Hilfsanträge begegnen, noch aus welchen Gründen diese Einwände ausgeräumt werden könnten.
4.2.6 Die Zulassung eines Antrags, der nach Artikel 12(3) VOBK nicht substantiiert ist, liegt im Ermessen der Kammer (Artikel 12(5) VOBK), selbst wenn die Änderungen selbsterklärend sind (T 1220/21, siehe Punkt 4.3.2 der Gründe). Die Kammer kann jedoch nicht erkennen, dass die Änderungen in der Gesamtheit der Hilfsanträge selbsterklärend sein könnten, insbesondere da nicht auf den ersten Blick erkennbar ist, welche Einwände diese Hilfsanträge genau adressieren und aus welchen Gründen diese Hilfsanträge geeignet sein könnten, um die erhobenen Einwände auszuräumen.
4.2.7 Der Vortrag der Patentinhaberinnen in ihrer Beschwerdebegründung und der Erwiderung auf die Beschwerden der Einsprechenden kann somit nicht als Substantiierung der Hilfsanträge 9 bis 16 angesehen werden.
Die Kammer hat daher entschieden, die Hilfsanträge 9 bis 16 nicht zum Verfahren zuzulassen (Artikel 12(3) und (5) VOBK).
5. Zulassung der Hilfsanträge 17 bis 28 und der Anlagen A1 und A2
5.1 Nach Artikel 13(2) VOBK bleiben Änderungen des Beschwerdevorbringens eines Beteiligten nach Zustellung einer Mitteilung nach Artikel 15 Absatz 1 grundsätzlich unberücksichtigt, es sei denn, der betreffende Beteiligte hat stichhaltige Gründe dafür aufgezeigt, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen.
5.2 Die Patentinhaberinnen reichten die Hilfsanträge 17 bis 28 und die Anlagen A1 und A2 mit Schriftsatz vom 22. Dezember 2023 ein und somit nach Zustellung der Mitteilung nach Artikel 15(1) VOBK. Folglich ist zu prüfen, ob außergewöhnliche Umstände vorliegen, die für die Zulassung der Hilfsanträge 17 bis 28 und der Anlagen A1 und A2 sprechen könnten.
5.3 Die Patentinhaberinnen argumentierten, dass die Kammer in der Mitteilung nach Artikel 15(1) VOBK überraschend und erstmals im gesamten Verfahren die Ansicht vertreten habe, dass dem Begriff "Energie absorbierende Zusatzstoffe" keine einschränkende Wirkung zukomme und die Zusammensetzung der Schmelzschicht in Anspruch 1 nicht abschließend definiert sei, da Anspruch 1 selbst "Energie absorbierende Zusatzstoffe" verlange (siehe die Punkte 3.3, 4.2.4, 9. und 14.5 der Mitteilung der Kammer).
5.4 Es wird festgestellt, dass die Kammer unter Punkt 4.2.4 der Mitteilung nicht ausgeführt hat, dass "dem Begriff Energie absorbierende Zusatzstoffe keine einschränkende Wirkung zukomme", sondern, dass in Abwesenheit einer Angabe, welche Art von Energie gemeint ist, die Angabe "Energie absorbierende" (d.h. ein Teilmerkmal davon) praktisch keine einschränkende Wirkung habe.
5.5 Punkt 4.2.4 der Mitteilung lautet wie folgt:
"Die Art der Zusatzstoffe ist in Anspruch 1 jedoch funktional definiert ("Energie absorbierend") und sehr breit formuliert. In Abwesenheit einer Angabe, welche Art von Energie gemeint ist, scheint die Angabe "Energie absorbierend" praktisch keine einschränkende Wirkung zu haben."
Punkt 3.3 der Mitteilung betrifft auch das Verständnis des Anspruchsmerkmals "Energie absorbierende Zusatzstoffe". Darin ist ebenfalls ausgeführt, dass das Merkmal "Energie absorbierende Zusatzstoffe" breit auszulegen ist.
Diese Bewertung stützt sich auf das Vorbringen der Einsprechenden, beispielsweise auf die Ausführungen der Einsprechenden 1 auf Seite 14, Zeilen 9 bis 12, der Beschwerdebegründung der Einsprechenden 1, die wie folgt lauten:
"Da im Grunde genommen jeder zusätzliche Stoff (d.h. Zusatzstoff oder Additiv), welcher sich in der Schmelzschicht befindet, grundsätzlich in der Lage bzw. imstande ist, Energie zu absorbieren, trifft dies folglich auf jede Art von Inhaltsstoff, insbesondere Zusatzstoff bzw. Additiv, zu."
Ähnliche Ausführungen wurden auch von der Einsprechenden 2 vorgetragen (siehe Seite 10, Zeile 8 von unten, bis Seite 11, Zeile 7, der Beschwerdebegründung der Einsprechenden 2).
Unter diesen Umständen kann die Kammer nicht erkennen, dass die Interpretation der "Energie absorbierenden Zusatzstoffe" unter den Punkten 3.3 und 4.2.4 der Mitteilung über den Vortrag der Einsprechenden hinausgehen könnte. Vielmehr folgt die Kammer lediglich den diesbezüglich Ausführungen der Einsprechenden.
5.6 Offensichtlich adressieren die Hilfsanträge 17 bis 28 nur den Aspekt der Auslegung des Merkmals "Energie absorbierende Zusatzstoffe", da in Anspruch 1 der Hilfsanträge 17 bis 28 das Merkmal "Laserpigmente als Energie absorbierende Zusatzstoffe" (Hervorhebung hinzugefügt) enthalten ist, um die "Energie absorbierenden Zusatzstoffe" näher zu spezifizieren. Die Kammer kann nicht erkennen, dass diese Hilfsanträge auch die Frage der nicht abschließenden Formulierung der Schmelzschicht betreffen könnten. Eine Formulierung wie "bestehend aus" findet sich in Anspruch 1 dieser Hilfsanträge nicht.
5.7 Die Einschätzung der Kammer, dass Anspruch 1 die Anwesenheit von Beimischungen bzw. schmelzklebstofftypischen Zusätzen in der Schmelzschicht nicht ausschließt und selbst sogar Energie absorbierende Zusatzstoffe in der Schmelzschicht fordert (siehe die Punkte 9. und 14.5 der Mitteilung), geht auch nicht über den Vortrag der Einsprechenden hinaus.
5.8 Beispielsweise trug die Einsprechende 1 diesbezüglich wie folgt vor (siehe Seite 5, Zeilen 1 bis 8 von unten, der Erwiderung der Einsprechenden 1 auf die Beschwerdebegründung der Patentinhaberinnen):
"Jedoch kann die Anwesenheit oder Abwesenheit von funktionalen Zusätzen gerade keinen Unterschied zwischen der streitpatentgemäßen Schmelzschicht und bekannten Schmelzklebstoffen darstellen, da gemäß Absatz [0026] des Streitpatents auch Zusatzstoffe in der streitpatentgemäßen Schmelzschicht enthalten sein können. Folglich können auch diese spezifischen Zusätze, welche typischerweise in Schmelzklebstoffen sind, in der streitpatentgemäßen Schmelzschicht enthalten sein. Weiterhin kommt noch hinzu, dass das Vorhandensein solcher Zusatzstoffe im Streitpatent gerade nicht ausgeschlossen ist" (Hervorhebung durch die Kammer).
Nach Ansicht der Kammer geht die Auslegung der Kammer somit nicht über den Vortrag der Einsprechenden hinaus.
5.9 Die Kammer ist daher zu der Schlussfolgerung gelangt, dass keine außergewöhnliche Umstände vorliegen, die für die Zulassung der Hilfsanträge 17 bis 28 sprechen könnten.
5.10 Im Schriftsatz vom 22. Dezember 2023 haben die Patentinhaberinnen auch keine stichhaltigen Gründe dafür aufgezeigt, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen könnten, die für die Zulassung der Anlagen A1 und A2 sprechen könnten. In der mündlichen Verhandlung vor der Kammer im Rahmen der Diskussion der erfinderischen Tätigkeit des Hilfsantrags 7 (sowie des Hauptantrags und der Hilfsanträge 1 bis 6 und 8) haben die Patentinhaberinnen sich nicht auf die experimentellen Daten der Anlagen A1 und A2 berufen. Auch in der mündlichen Verhandlung wurden keine außergewöhnlichen Umstände geltend gemacht, die für die Zulassung der Anlagen A1 und A2 sprechen könnten.
In der Zusammenschau des Vorbringens der Patentinhaberinnen kann die Kammer keine außergewöhnliche Umstände erkennen, die für die Zulassung der Hilfsanträge 17 bis 28 und die Anlagen A1 und A2 sprechen könnten.
Die Hilfsanträge 17 bis 28 und die Anlagen A1 und A2 bleiben somit im Beschwerdeverfahren unberücksichtigt (Artikel 13(2) VOBK).
6. Rügen nach Regel 106 EPÜ
6.1 Nachdem der Vorsitzende in der Verhandlung verkündete, dass die Hilfsanträge 9 bis 28 nicht berücksichtigt werden bzw. nicht zugelassen werden, trugen die Patentinhaberinnen zwei Rügen nach Regel 106 EPÜ vor.
6.2 Die erste Rüge
Die Patentinhaberinnen machten einen schwerwiegenden Verstoß gegen Artikel 113(1) EPÜ (Verletzung des rechtlichen Gehörs) in Bezug auf die Frage der Zulassung der Hilfsanträge 9 bis 28, insbesondere der Hilfsanträge 9 bis 16, geltend. Nach Ansicht der Patentinhaberinnen hätten diese Hilfsanträge zugelassen werden müssen. Dies gelte insbesondere für die Hilfsanträge 9 bis 16, die Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens gewesen seien. Eine Bezugnahme auf das erstinstanzliche Verfahren sei ausreichend, um das Substantiierungserfordernis für die Hilfsanträge 9 bis 16 zu erfüllen. Die Verfahrensordnung der Beschwerdekammern biete keine Grundlage dafür, die Hilfsanträge 9 bis 16 nicht zuzulassen. Die Patentinhaberinnen stellten klar, dass ihrer Ansicht nach das rechtliche Gehör auch das Stellen neuer Anträge umfasse. Die erstmalig in der Mitteilung nach Artikel 15(1) VOBK von der Kammer vorgebrachte Auslegung von Anspruch 1 rechtfertige außerdem auch das Einreichen der Hilfsanträge 17 bis 28.
6.3 Die zweite Rüge
Ferner rügten die Patentinhaberinnen, dass sie in der mündlichen Verhandlung keine Gelegenheit gehabt hätten, zur Frage der Zulassung der Anlagen A1 und A2 vorzutragen.
6.4 Zu der ersten Rüge nimmt die Kammer wie folgt Stellung.
6.4.1 Die Frage der Zulassung der Hilfsanträge 9 bis 16 wurde im Rahmen der mündlichen Verhandlung ausführlich diskutiert. Somit wurde den Patentinhaberinnen ausreichend Gelegenheit gegeben, sich zur Frage der Zulassung dieser Anträge zu äußern. Die Kammer kann daher insoweit nicht erkennen, weshalb das rechtliche Gehör verletzt worden sei. Darüber hinaus kann die Kammer nicht erkennen, dass sie ihr Ermessen unter Artikel 12(5) VOBK in unangemessener Weise bzw. unter Anwendung der falschen Kriterien ausgeübt haben könnte. Die Patentinhaberinnen stellen dabei im Kern darauf ab, dass die Kammer hinsichtlich der Zulassung der Hilfsanträge 9 bis 16 kein Ermessen habe. Dies ist aus den oben angeführten Gründen unzutreffend.
6.4.2 Auch die Frage der Zulassung der Hilfsanträge 17 bis 28 wurde ausführlich diskutiert, so dass den Patentinhaberinnen ausreichend Gelegenheit gegeben wurde, sich in der mündlichen Verhandlung zur Frage der Zulassung dieser Anträge zu äußern. Die Kammer kann auch nicht erkennen, dass diesbezüglich eine fehlerhafte Ermessensausübung vorliegen könnte.
6.5 Zu der zweiten Rüge nimmt die Kammer wie folgt Stellung.
6.5.1 Zur zweiten Rüge trugen die Patentinhaberinnen vor, dass sie in der mündlichen Verhandlung keine Gelegenheit hatten, zur Frage der Zulassung der Anlagen A1 und A2 vorzutragen. Ihrer Ansicht nach sei auch dies ein schwerwiegender Verstoß gegen Artikel 113(1) EPÜ im Sinne von Artikel 112a(2)c) EPÜ.
6.5.2 Der Vorsitzende teilte den Parteien zu Beginn der mündlichen Verhandlung mit, dass nach vorläufige Ansicht der Kammer die Anlagen A1 und A2 nicht im Verfahren zu berücksichtigen seien. Nachdem die Parteien zur erfinderischen Tätigkeit von Hilfsantrag 7 gehört wurden, zog sich die Kammer zur Beratung zurück. Danach teilte der Vorsitzende den Parteien u.a. mit, dass es keinen Vortrag bzw. keine Bezugnahme zu den Anlagen A1 und A2 gegeben habe und die Kammer daher beabsichtige, die Anlagen A1 und A2 nicht zu berücksichtigen.
Die Patentinhaberinnen haben sich weder im Rahmen der Diskussion der erfinderischen Tätigkeit des Hilfsantrags 7 noch nachdem der Vorsitzenden ein zweites Mal darauf hingewiesen hatte, dass die Kammer beabsichtige, die Anlagen A1 und A2 nicht zu berücksichtigen, auf diese berufen bzw. zur Zulassung dieser Beweismittel vorgetragen. Dies trifft nicht nur für Hilfsantrag 7 zu, der in der mündlichen Verhandlung zuerst diskutiert wurde, sondern auch für den Hauptantrag und die Hilfsanträge 1 bis 6 und 8, zu denen die Patentinhaberinnen in der mündlichen Verhandlung zudem keine weiteren Ausführungen machten.
6.5.3 Die Kammer kann angesichts dieser Umstände nicht erkennen, dass sie den Patentinhaberinnen in der mündlichen Verhandlung keine Gelegenheit dazu gegeben haben sollte, sich zu Zulassung der Anlagen A1 und A2 äußern zu können.
6.5.4 Die Anlagen A1 und A2 wurden eingereicht, um nachzuweisen, dass der beanspruchte Gegenstand verbesserte Eigenschaften gegenüber dem Stand der Technik aufweisen könnte (siehe Schriftsatz vom 22. Dezember 2023, Seite 68, Punkt 4). Wie bereits dargelegt, hatten die Patentinhaberinnen im Rahmen der Gewährbarkeit des Hilfsantrags 7 bzw. des Hauptantrags und der Hilfsanträge 1 bis 6 und 8 mehrmals Gelegenheit, auf diese Anlagen bzw. auf die Zulassung dieser einzugehen. Es obliegt den Parteien, die für sie dienlichen Tatsachen und Argumente an entsprechender Stelle, anzusprechen und darauf hinzuwirken, dass sie von der Kammer berücksichtigt werden (siehe insbesondere R 2/08, Punkte 8.5 und 9.10 der Gründe). Die Zulassung der Anlagen A1 und A2 hätte somit von den Patentinhaberinnen insbesondere im Rahmen der Diskussion der Gewährbarkeit des Hilfsantrags 7 angesprochen werden sollen. Es ist nicht Aufgabe der Kammer, die Parteien darauf hinzuweisen, dass sie ihre eingereichten Dokumente verwenden sollen bzw. an welcher Stelle sie dies tun sollen. Dies würde einem fairen Beschwerdeverfahren zuwiderlaufen.
Unter Berücksichtigung der oben genannten Umstände hat die Kammer daher entschieden, die beiden Rügen nach Regel 106 EPÜ zurückzuweisen.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.