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T 0018/81 (Olefinpolymere) 01-03-1985
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Erfinderische Tätigkeit
Rechtliches Gehör
Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs
Wesentlicher Verfahrensmangel
Rückzahlung der Beschwerdegebühr
I. Die am 1. Juni 1978 eingereichte und am 20. Dezember 1978 unter der Nummer 0 000 084 veröffentlichte europäische Patentanmeldung Nr. 78 200 028.5, für die die Priorität einer früheren Anmeldung in Frankreich vom 7. Juni 1977 in Anspruch genommen wird, wurde mit Entscheidung der Prüfungsabteilung des Europäischen Patentamts vom 10. Februar 1981 zurückgewiesen. Der Entscheidung lagen die am 5. März 1980 eingegangenen Patentansprüche zugrunde. Der Patentanspruch 1 lautete wie folgt:
"1. Verwendung von alpha-Polyolefinzusammensetzungen, bestehend aus
a) mindestens einem Phenolantioxidans,
b) mindestens einem organischen Phosphit,
c) mindestens einem Carbonat eines Erdalkalimetalls, zum Extrudieren mit anschließender Abkühlung des Extrudats in Wasser."
II. Die Zurückweisung wurde mit mangelnder erfinderischer Tätigkeit begründet. Da Zusammensetzungen, die den im Patentanspruch 1 genannten vergleichbar seien, in den zum Stand der Technik gehörenden Druckschriften US-A-2 985 617 und US-A-2 991 264 beschrieben oder nahegelegt worden seien, könne die Verwendung derartiger Zusammensetzungen in einem Extrusionsverfahren mit anschließender Abschreckung des Extrudats mit Wasser keine patentfähige Erfindung sein, da der Abschreckungsvorgang an sich bekannt sei und häufig in Verbindung mit einer Extrusion angewandt werde. Der erfinderische Beitrag der Beschwerdeführerin habe nur darin bestanden, daß sie bei den beschriebenen oder hinreichend nahegelegten extrudierbaren Zusammensetzungen interessante Eigenschaften entdeckt und diese der Gegenwart von Calciumcarbonat, dem bevorzugten Bestandteil, zugeschrieben habe. Sie habe die Zusammensetzungen nicht besonders anpassen müssen.
III. Die Beschwerdeführerin hat gegen diese Entscheidung am 23. März 1981 Beschwerde eingelegt und diese am 27. Mai 1981 begründet. Sie beantragt die Aufhebung der Entscheidung vom 10. Februar 1981 in vollem Umfang sowie die Rückzahlung der Beschwerdegebühr.
IV. In der Beschwerdebegründung weist die Beschwerdeführerin darauf hin, daß die Patentschrift US-A-2 985 617 zu einem Zeitpunkt, zu dem die Ziegler-Katalysatoren eben erst bekannt geworden seien, offenkundig absichtlich so weit gefaßt worden sei, daß sie die Verwendung verschiedener Verbindungen zur Stabilisierung der hergestellten Polyolefine mit diesen Katalysatoren umfasse. Tatsächlich erscheine jeder Stabilisator für Polyvinylchlorid zur Stabilisierung dieser Polyolefine geeignet. Die Carbonate von Erdalkalimetallen würden dabei keineswegs bevorzugt. Diese Druckschrift empfehle weder besonders die Verwendung des Bestandteils a, b oder c der erfindungsgemäßen Zusammensetzung noch die Verwendung eines Extrusionsverfahrens mit anschließender Abschreckung mit Wasser. Außerdem sei in der Patentschrift US-A-2 991 264 weder der Bestandteil a noch der Bestandteil b der erfindungsgemäßen Zusammensetzungen offenbart. Es würden zwar verschiedene Abschreckungstechniken offenbart, die Abschreckung mit Wasser sei jedoch nicht ausdrücklich erwähnt.
1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 und Regel 64 EPÜ. Sie ist somit zulässig.
2. Der ursprüngliche Anspruch 1 bezog sich auf ein Verfahren zur Extrusion der im nunmehr gültigen Anspruch 1 genannten Zusammensetzungen mit anschließender Abkühlung des Extrudats in Wasser. Die Umformulierung eines Anspruchs für ein Verfahren, in dem eine Zusammensetzung verwendet wird, in einen Anspruch für die Verwendung dieser Zusammensetzung in einem solchen Verfahren ist zulässig. Es handelt sich dabei um zwei Anspruchsarten derselben Kategorie, die dieselben Handlungen einschließen. Demnach entspricht der Anspruch 1 Artikel 123 (2) EPÜ. Dies gilt auch für die Ansprüche 2 bis 10, die sich durch eine ähnliche Umformulierung aus den ursprünglichen Ansprüchen 2 bis 10 ergeben.
3. Als nächstliegender Stand der Technik ist die Druckschrift FR-A-1 345 203 anzusehen. In dieser Druckschrift sind Polyolefinzusammensetzungen beschrieben, die ein organisches Thiophosphit und eine anorganische Base wie z. B. ein Carbonat eines Metalls der 2. Hauptgruppe, z. B. Calciumcarbonat, enthalten (S. 5, 1. Zusammenfassung; S. 3, linke Spalte, Zeilen 17 und 18). Sie können auch ein Phenolantioxidans enthalten (S. 3, rechte Spalte, Zeile 18). Die Thiophosphite können zweifellos zu den in der Anmeldung in Betracht gezogenen Phosphiten gerechnet werden (s. ursprüngliche Seite 4, Zeilen 14 bis 19). Obwohl die anmeldungsgemäßen drei Bestandteile ausdrücklich genannt sind, ist doch einer davon, nämlich das Phenolantioxidans, nur ein fakultativer Bestandteil (S. 3, Spalte 2, Zeilen 17 bis 20), und das Carbonat eines Metalls der 2. Hauptgruppe des Periodensystems nur eine Alternative aus einer Liste zahlreicher Äquivalente (S. 5, 1. Zusammenfassung b)). Die in dieser Druckschrift beschriebenen Zusammensetzungen können für die Herstellung von Erzeugnissen durch Extrusion verwendet werden (S. 3, Spalte 2, Zeilen 30 bis 34).
4. Die in Anspruch 1 der Anmeldung beschriebenen Zusammensetzungen sind als Auswahl neu, was auch nie bestritten worden ist. In der Anmeldung ist vorgesehen, daß die im Anspruch 1 beschriebenen Zusammensetzungen bei der Extrusion mit anschließender Abkühlung des Extrudats mit Wasser verwendet werden. Hierzu ist jedoch zu bemerken, daß bei der Filmherstellung auf ein Extrusionsverfahren zwangsläufig immer ein Abkühlungsvorgang folgt. Diese Abkühlung kann mit kalter Luft, kaltem Wasser oder Kühlzylindern erzielt werden (s. z. B. Plastics Engineering Handbook, 4. Ausgabe 1976, S. 174-176). Daher ist davon auszugehen daß die Extrusion nach der Patentschrift FR-A-1 345 203 auch eine Abkühlungsphase in einer dieser Formen umfaßt. Man kann jedoch die Auffassung vertreten, daß der Gegenstand des Anspruchs 1 der Patentanmeldung gegenüber dem obengenannten Stand der Technik insofern neu ist, als neue Zusammensetzungen in einem Extrusionsverfahren mit anschließender Abschreckung mit Wasser verwendet werden.
5. Um feststellen zu können, ob eine erfinderische Tätigkeit vorliegt, muß man zunächst nach der der Anmeldung zugrunde liegenden Aufgabe fragen. Bei der Verwendung dieser Zusammensetzungen hat die Anmelderin an die Extrusionsverfahren gedacht, bei denen die Abkühlung durch Abschrecken mit Wasser erfolgt. Es ist bekannt, daß diese Verfahren für die weitere Bearbeitung der betreffenden Gegenstände von Nachteil sind. Zu diesen Nachteilen gehören unter anderem Oberflächenmängel. Sie sind auf die mehr oder weniger großen Mengen Kühlwasser zurückzuführen, die an dem extrudierten Gegenstand haften bleiben. Die der Anmeldung zugrunde liegende Aufgabe besteht somit darin, die Menge des anhaftenden Wassers zu verringern. Die Anmelderin hat diese Aufgabe dadurch gelöst, daß sie die Verwendung einer Kombination aus den Zusätzen a, b und c empfiehlt.
6. Als Beweis für die Lösung der gestellten Aufgabe hat die Anmelderin die ursprünglichen Beispiele 1 bis 3 vorgelegt. Diesen Beispielen zufolge soll bei Verwendung der anmeldungsgemäßen besonderen Zusammensetzungen das Phänomen des Haftenbleibens von Wasser selbst bei einer Extrusionsgeschwindigkeit von 40 m/min nicht auftreten; bei einem Vergleichsbeispiel hingegen tritt es bereits bei einer Geschwindigkeit von 12 m/min auf. Neue, auf Antrag der Prüfungsabteilung durchgeführte Versuche, die vom 10.9.80 datieren und am 13.9.80 eingegangen sind, bestätigen diese Ergebnisse. Hierzu ist anzumerken, daß die Prüfungsabteilung bereits zu der Ansicht gelangt war, daß diese Vergleichsversuche auf das Vorliegen einer vorteilhaften Wirkung hinzudeuten scheinen (s. Entscheidung vom 10.2.81, Nr. 5). Außerdem hatte die Prüfungsabteilung ausgeführt, daß die Verwendung ganz bestimmter Zusammensetzungen, die zu eindeutig überraschenden Ergebnissen führten, patentfähig sein dürfte (s. Bescheid vom 27.3.80, Nr.3).
7. Die anmeldungsgemäße Lösung läßt sich nicht aus der Druckschrift FR-A-1 345 203 ableiten. Dieser liegt nämlich eine andere Aufgabe als die anmeldungsgemäße zugrunde (s. Nr. 5). Bei dem französischen Patent geht es um die Erzielung einer guten Wärme- und Lichtbeständigkeit unabhängig von dem gewählten Extrusionsverfahren. Sie ergibt sich auch nicht aus den übrigen im Verfahren ermittelten Unterlagen des Stands der Technik, die im übrigen nicht die anmeldungsgemäße Aufgabe, nämlich die Verminderung des anhaftenden Wassers, zum Gegenstand haben.
Dies gilt auch für die beiden Patentschriften, auf die sich die Zurückweisungsentscheidung stützt:
- Die Patentschrift US-A-2 985 617 betrifft die Stabilisierung der Ziegler-Polymere.
- In der Patentschrift US-A-2 991 264 ist Calciumcarbonat nur als Mittel zur Bildung von Kristallisationskeimen erwähnt.
Auch in der in der Zurückweisungsentscheidung hilfsweise aufgeführten Druckschrift GB-A-584 620 ist nur angegeben, daß Calciumcarbonat die mechanischen Eigenschaften des Ethylenpolymers verbessern kann.
Die Patentschrift FR-A-1 296 276 schließlich, die im Recherchenbericht aufgeführt und im ersten Bescheid der Prüfungsabteilung nochmals aufgegriffen wird, sieht eine Zusammensetzung vor, die die Rißfestigkeit erhöhen soll und Carbonate enthält, die mit einer Schicht aus einer höheren Fettsäure und/oder einem ihrer Salze oder Ester überzogen sind. Es ist zwar eine gewisse Ähnlichkeit der Aufgabenstellung festzustellen, die vorgeschlagene Lösung ist jedoch anders.
8. Keine der obengenannten Druckschriften würde den Fachmann dazu anregen, sich für die Abkühlung durch Wasser zu entscheiden. In einer dieser Druckschriften wird zwar neben anderen Abkühlungsmitteln auch Wasser erwähnt (US-A-2 985 617, Spalte 12, Zeile 72 bis Spalte 13, Zeile 2). Die Kammer hat jedoch in dem Fachbuch "Extrudierte Feinfolien und Verbundfolien" (1976), VDI Verlag, Seiten 18 und 19, nachgeschlagen. Dort heißt es, daß für Filme nur Luft als Abkühlungsmittel in Betracht kommt. Vorrichtungen mit Kühlflächen und Wasserbäder rufen nämlich leicht Oberflächenschäden hervor, was bei Filmen ein schwerwiegender Nachteil ist. Die Kammer ist daher der Auffassung, daß ein Vorurteil gegen den anmeldungsgemäßen Weg bestanden hat. Ihres Erachtens war das Handbuch, das den Fachmann von der Abkühlung mit Wasser wegführt, dazu angetan, ihn bei der vorliegenden Aufgabenstellung davon abzubringen, eine Verringerung der Wassermenge anzustreben, die bei einer solchen Abkühlung der extrudierten Polymerfilme haften bleibt. Die Tatsache, daß dieses Vorurteil von der Anmelderin überwunden wurde, stellt ein Anzeichen für das Vorliegen erfinderischer Tätigkeit dar. Die in der Anmeldung vorgeschlagene Lösung der Aufgabe läßt sich nicht aus dem Stand der Technik herleiten.
9. Daraus ergibt sich, daß die Lehre der Anmeldung sowohl in Patentanspruch 1 als auch in den davon abhängigen Unteransprüchen als überraschend und somit als erfinderisch zu werten ist.
10. Die Beschwerdeführerin hat die Rückzahlung der Beschwerdegebühr nach Regel 67 EPÜ beantragt. Sie macht geltend, daß die Zurückweisungsentscheidung im wesentlichen auf zwei Druckschriften beruhe, die sie selbst angezogen habe, von denen sie aber nicht habe wissen können, daß sie in der Zurückweisungsentscheidung gegen sie verwendet werden würden.
Das europäische Patenterteilungsverfahren beruht auf dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs. Aus Artikel 113 (1) EPÜ ergibt sich, daß Entscheidungen nur auf Gründe gestützt werden dürfen, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten.
Gegen diesen Grundsatz hat die Prüfungsabteilung offensichtlich insoweit verstoßen, als sie der Anmelderin keine Gelegenheit gegeben hat, sich zur Relevanz des ihr entgegengehaltenen entscheidenden Arguments zu äußern; das Argument stützte sich auf Unterlagen, die der Anmelderin natürlich bekannt waren, da sie sie selbst, wenn auch in ganz anderer Absicht, ins Feld geführt hatte.
Die Zurückweisungsentscheidung ist demnach Unter Verletzung des Artikels 113 (1) EPÜ getroffen worden. Die Kammer ist der Auffassung, daß hier ein wesentlicher Verfahrensmangel vorliegt und es daher nur billig ist, die Rückzahlung der Beschwerdegebühr nach Regel 67 EPÜ anzuordnen.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird wie folgt entschieden:
1. Die Entscheidung der Prüfungsabteilung des Europäischen Patentamts vom 10. Februar 1981 wird aufgehoben.
2. Die Sache wird an die erste Instanz mit der Auflage zurückverwiesen, auf der Grundlage der folgenden Unterlagen ein europäisches Patent zu erteilen: der am 5. März 1980 eingegangenen Patentansprüche 1-10 der am 28. September 1984 eingegangenen Seiten 1, 1a, 2, 2a und 3 der am 5. März 1980 eingegangenen Seiten 4, 5, 6 und 6a sowie der ursprünglichen Seite 7
3. Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird angeordnet.