T 0634/92 (Schwefelsäurebeständige Legierung / BAYER AG) 25-02-1997
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Verwendung einer gegen hochkonzentrierte Schwefelsäure und Oleum beständigen Eisen-Chrom-Nickel-Legierung
Stützung der Ansprüche durch die Beschreibung (verneint)
Claims - support by description (no)
I. Das europäische Patent Nr. 200 862 wurde am 1. Juni 1988 auf die am 27. Februar 1986 unter Inanspruchnahme der Priorität der deutsche Anmeldung Nr. 3 508 532 vom 9. März 1985 eingereichte Anmeldung Nr. 86 102 555.9 erteilt. Anspruch 1 des erteilten Patents lautet wie folgt:
"Verwendung einer molybdänfreien chromhaltigen Legierung, bestehend aus 21 bis 35 Gew.-% Chrom, 30 bis 70. Gew.-% Eisen, 2 bis 40 Gew.-% Nickel, 0 bis 20. Gew.-% Mangan sowie üblichen Begleitelementen wie Kohlenstoff, Silizium, Phosphor, Schwefel, Stickstoff, Aluminium, Kupfer, Vanadium, Titan, Tantal und Niob als Werkstoff für Gegenstände, die gegen Schwefelsäure einer Konzentration oberhalb 96 % beständig sind."
II. Der Beschwerdegegner legte unter Hinweis auf den Artikel 100 a) EPÜ Einspruch ein. Er machte mangelnde Neuheit (Art. 54 EPÜ) sowie mangelnde erfinderische Tätigkeit (Art. 56 EPÜ) geltend und stützte sich dabei insbesondere auf folgende Druckschriften:
(1) EP-A-0 181 313 (Art. 54 (3) EPÜ)
(2) EP-A-0 130 967 und
(4) Preisliste der Carpenter Technology Corporation vom 14. Januar 1985.
III. Mit der am 25. Juni 1992 zur Post gegebenen Entscheidung hielt die Einspruchsabteilung das Patent auf der Grundlage eines mit Schriftsatz vom 8. Januar 1992 eingereichten Hilfsantrags in geändertem Umfang für die Vertragsstaaten AT, CH und LI - die in der Druckschrift (1) nicht benannt sind - aufrecht. Dem im Einspruchsverfahren eingereichten geänderten Anspruch 1 für die Vertragsstaaten BE, DE, FR, GB, IT, NL, SE sprach sie angesichts des Offenbarungsgehalts der Druckschrift (1), in der jene Vertragsstaaten benannt sind, die Neuheit ab.
IV. Am 9. Juli 1992 wurde unter Entrichtung der entsprechenden Gebühr Beschwerde gegen diese Entscheidung eingelegt und am 19. Oktober 1992 die Beschwerdebegründung eingereicht. Darin beantragte der Beschwerdeführer die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage des von der Einspruchsabteilung mit ihrer Entscheidung abgelehnten Hauptantrags (Satz A: Ansprüche 1 bis 7), wobei in Anspruch 1 die drei in der Druckschrift (1) offenbarten und unter den Schutzbereich dieses Anspruchs fallenden Legierungen durch einen Disclaimer ausgeschlossen wurden, bzw. hilfsweise auf der Grundlage einer zusammen mit der Beschwerdebegründung eingereichten geänderten Fassung des Anspruchs 1. Für die Vertragsstaaten AT, CH und LI beantragte er, daß das Patent auf der Grundlage des am 15. März 1990 für diese Staaten eingereichten Hauptantrags (Satz B: Ansprüche 1 bis 7) und nicht auf der Grundlage der von der Einspruchsabteilung gewährten engeren Anspuchs 1 gemäß dem Hilfsantrag vom 8. Januar 1992 aufrechterhalten werde.
V. Zu Beginn der mündlichen Verhandlung am 5. November 1996 reichte der Beschwerdeführer als einzigen Antrag eine weitere, für alle benannten Vertragsstaaten einschließlich der Vertragsstaaten AT, CH und LI geltende geänderte Fassung des Anspruchs 1 ein. Mit der Änderung des Anspruchs 1 wurde versucht, im Wege eines breiter gefaßten Disclaimers dem Einwand der Einspruchsabteilung zu begegnen, die in ihrer Entscheidung angesichts der Offenbarung in der Druckschrift (1) auf mangelnde Neuheit des Gegenstands des Anspruchs 1 nach dem Satz A gemäß dem Hauptantrag erkannt hatte. Die neue Fassung des Anspruchs lautete wie folgt:
"Verwendung einer molybdänfreien chromhaltigen Legierung, bestehend aus 30 bis 35 Gew.-% Chrom, 30 bis 70 Gew.-% Eisen, 2 bis 40 Gew.-% Nickel, 0 bis 20. Gew.-% Mangan sowie üblichen Begleitelementen wie Kohlenstoff, Silizium, Phosphor, Schwefel, Stickstoff, Aluminium, Kupfer, Vanadium, Titan, Tantal und Niob, ausgenommen Legierungen folgender Zusammensetzung 16 bis 30 Gew.-% Cr, 0 bis 33 Gew.-% Ni, 0 bis 6 Gew.-% Mo, 35. bis 83 Gew.-% Fe mit Begleitelementen wie Cu, Mn, Si, Co, W, Nb, Ti, N, S, P und C in geringfügigen Anteilen, als Werkstoff für Gegenstände, die gegen Schwefelsäure einer Konzentration oberhalb 96 % beständig sind."
VI. Zu diesem geänderten Anspruch führte der Beschwerdeführer aus, daß keine der vorveröffentlichten Druckschriften ausreichende Hinweise darauf enthalte, wie geeignet molybdänfreie Legierungen mit einem Anteil von 30 und mehr % Cr für den Bau von Anlagen zur Herstellung von konzentrierter Schwefelsäure seien. Tabelle 1 auf Seite 24 der Druckschrift (2) lege die Verwendung der molybdänhaltigen Legierung 26-1 wegen ihrer weit höheren Korrosionsbeständigkeit nahe. Beim Bau von Anlagen zur Schwefelsäureherstellung spielten die Kosten der Legierungen nur eine untergeordnete Rolle im Vergleich zu denjenigen, die durch einen korrosionsbedingten Ausfall der Anlagen entstünden. Der Druckschrift (2) sei zu entnehmen (Seite 8, Zeilen 10 bis 15, sowie Tabelle 1 auf Seite 24), daß stark nickelhaltige Legierungen weniger geeignet seien als molybdänhaltige rostfreie Stähle. Die Druckschrift (5) nenne eine Vielzahl schwefelsäurebeständiger Legierungen, gebe aber keinen Hinweis darauf, welche davon - wenn überhaupt - gegen heiße konzentrierte Säure resistent seien. Erst durch das vorliegende Patent sei es bekannt geworden, daß für einen solchen Zweck insbesondere Legierungen in Frage kämen, die keinen Mo-, dafür aber einen besonders hohen Cr-Gehalt aufwiesen. Hinsichtlich der Stützung des geltenden Anspruchs 1 durch die Beschreibung verwies der Beschwerdeführer auf den Werkstoff mit der laufenden Nr. 2 in der Tabelle 1, der als obere Grenze einen Cr - Gehalt von 30 % habe.
VII. Der Beschwerdegegner, der selbst keine Beschwerde eingelegt hatte, reichte am 22. April 1993, d. h. noch bevor die Entscheidung der Großen Beschwerdekammer, mit der eine "reformatio in peius" (G 9/92 vom 14. Juli 1994, ABl. EPA 1994, 875) ausgeschlossen wurde, ergangen war, einen Antrag auf Widerruf des Patents in vollem Umfang ein. Was den geltenden Anspruch 1 anbelangt, so war der Beschwerdegegner der Ansicht, daß dieser Anspruch von der Beschreibung des angefochtenen Patents nicht gestütz sei, und außerdem sein Gegenstand im Hinblick auf den aus der Druckschrift (1) bekannten Stand der Technik nicht neu sei, zumindest aber unter Berücksichtigung der den Druckschriften (1) und (2) entnehmbaren technischen Lehren nicht auf einer erfinderische Tätigkeit beruhe.
VIII. Am Ende der mündlichen Verhandlung beantragte der Beschwerdeführer die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in allen benannten Vertragsstaaten auf der Grundlage der in der mündlichen Verhandlung eingereichten Ansprüche 1 bis 7 und erklärte, daß er auf das Patent gemäß der Zwischenentscheidung vom 25. Juni 1992 verzichte. Der Beschwerdegegner beantragte die Zurückweisung der Beschwerde des Patentinhabers.
Den Beteiligten wurde mitgeteilt, daß die Entscheidung schriftlich erfolge.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Verfahrenslage
2.1. Im Hinblick auf die Erklärung des Beschwerdeführers, daß er auf das Patent in der von der Einspruchsabteilung aufrechterhaltenen Fassung verzichte, wird auf die Stellungnahme G 1/90 (ABl. EPA 1991, 275, Grund Nr. 8) verwiesen, gemäß der ein Patentinhaber nach der Patenterteilung durch eine Erklärung gegenüber dem EPA auf sein Patent nicht mehr verzichten kann.
2.2. Was den ursprünglich gestellten Antrag des Beschwerdegegners, das Patent in vollem Umfang zu widerrufen, anbelangt, so braucht die Beschwerdekammer diesen Antrag angesichts des in der mündlichen Verhandlung gestellten einzigen Antrags, die Beschwerde zurückzuweisen, nicht mehr zu untersuchen.
3. Änderungen
Die vorgeschlagene Änderung des Anspruchs 1 umfaßt einen Disclaimer, durch den nicht nur - wie in dem von der Einspruchsabteilung in Betracht gezogenen Anspruch für die Vertragsstaaten BE, DE, FR, GB, IT, NL und SE vorgeschlagen - bestimmte, im einzelnen genannte Legierungen, sondern die gesamte in der Druckschrift (1) offenbarte Klasse von Legierungen ausgeschlossen werden. Die Beschwerdekammer stellt fest, daß nach der geltenden Fassung des Anspruchs die Untergrenze des beanspruchten Cr-Anteils, nämlich 30 %, genau mit der ausgeschlossenen Obergrenze dies Anteils zusammenfällt. Man mag argumentieren, daß der Ausdruck "zwischen 30 und 35 %" den Anfangs- und den Endwert nicht mit einschließt, der Ausdruck "30 bis 35 %" aber schon; die Beschwerdekammer zieht es jedoch vor, Patentansprüche unter dem Gesichtspunkt der technischen Wirklichkeit und nicht der Sprachwissenschaft zu sehen. Sie hat daher formal nichts gegen Anspruch 1 in seiner gegenwärtigen Fassung einzuwenden. Im Hinblick auf Artikel 123 (2) und (3) EPÜ ist Anspruch 1 somit zulässig. Es bleibt zu prüfen, ob er in dieser Fassung aber auch die übrigen Erfordernisse des Übereinkommens erfüllt.
4. Artikel 84
4.1. Da der Anspruch 1 des angefochtenen Patents geändert worden ist, ist zu prüfen, ob er auch dem Erfordernis des Artikels 84 EPÜ der Stützung durch die Beschreibung entspricht.
4.2. Es ist offensichtlich, daß sich durch die Beschränkung des Schutzbereichs des Anspruchs 1 von einem Bereich von 21. bis 35 % Cr auf einen Bereich von 30 bis 35 % Cr der Charakter der Erfindung, die mit dem angefochtenen Patent geschützt werden soll, grundlegend verändert.
In der Entscheidung T 409/91 (ABl. EPA 1994, 653) wurde festgestellt, daß das Erfordernis der Stützung durch die Beschreibung EPÜ nicht erfüllt sei, wenn ein Anspruch auf einen Kraftstoff gerichtet sei, in dem die unerwünschten Wachsteilchen unterhalb einer bestimmten Größe blieben, in der Beschreibung aber nur ein Weg zur Erzielung des gewünschten Ergebnisses aufgezeigt sei. Die Beschwerdekammer vertrat in dieser Sache die Auffassung, daß der Umfang des durch ein Patent verliehenen Ausschließungsrechts durch den Beitrag zum Stand der Technik begründet sein müsse. Da nur eine einzige Klasse von Additiven offenbart sei, mit denen die gewünschte geringe Teilchengröße erzielt werden könne, fänden die Ansprüche, wonach diese Wirkung durch beliebige Mittel zu erzielen sei, keine Stütze in einer Beschreibung, die keine anderen hierzu dienlichen Additive offenbare.
4.3. In dem vorliegenden Fall würde der Fachmann nicht mit Problemen rechnen, wenn er Legierungen mit einem Cr-Gehalt im Bereich von 30 bis 35 % herstellen möchte. Tatsächlich aber liegt das einzige in der Beschreibung des angefochtenen Patents genannte Beispiel für eine Legierung gemäß dem geltenden Anspruch 1 mit einem Cr-Gehalt von 30 % an der Untergrenze des beanspruchten Bereichs. Es gibt keine Hinweise darauf, welche Eigenschaften bei deutlich höherem Cr-Gehalt am oberen Ende des beanspruchten Bereichs zu erwarten wären.
4.4. Ausgehend von seinem allgemeinen Fachwissen über die korrosionshemmenden Eigenschaften von Cr, würde der Fachmann eine gewisse Verbesserung der Korrosionsbeständigkeit erwarten. Die Aufgabe, die in dem angefochtenen Patent genannt ist, lautet aber, kostengünstige Legierungen als Werkstoff für Gegenstände, die gegen Schwefelsäure mit einer Konzentration von 98 % und darüber beständig sind, zur Verfügung zu stellen. Anhand der nur in der Beschreibung des angefochtenen Patents gegebenen Informationen kann er aber ganz und gar nicht absehen, ob es im oberen Abschnitt des beanspruchten Bereichs, etwa bei 32 bis 35 % Cr, überhaupt kostengünstige Legierungen gibt.
4.5. Die Beschwerdekammer kommt daher zu dem Schluß, daß Anspruch 1 in der geänderten Fassung nicht durch die Beschreibung gestützt ist. Mithin ist ein wesentliches Erfordernis des Artikels 84 EPÜ nicht erfüllt.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.