T 0890/92 12-07-1994
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Verpackungsmaterial
Erfinderische Tätigkeit (verneint)
Fernbleiben der Patentinhaberin von der mündlichen Verhandlung
Inventive step (no)
Non-appearance of patentee at oral proceedings
I. Das europäische Patent Nr. 0 225 987 (Anmeldenummer 86. 114 238.8) wurde mit Wirkung vom 22. August 1990 erteilt.
Der einzige Patentanspruch lautete:
"Verpackungsmaterialbahn, die auf jeder Seite entlang eines anderen Randes mit einer Kaltkleberbeschichtung versehen ist, dadurch gekennzeichnet, daß weitere Teilflächen (3, 4) mit Kaltkleber beschichtet sind, die jeweils nur auf einer Seite derart gegeneinander versetzt angeordnet sind, daß sie zur Bildung von Blockpackungen geeignet und im aufgerollten Zustand der Bahn ohne gegenseitige Berührung nebeneinander liegen."
II. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) hat gegen das erteilte Patent Einspruch eingelegt und beantragt,das Patent mangels Patentfähigkeit zu widerrufen.
Sie hat sich dabei auf das folgende Dokument berufen:
D1: US-A-3 055 576
III. Mit Entscheidung vom 21. August 1992 hat die Einspruchsabteilung den Einspruch zurückgewiesen und das Patent in unveränderter Form aufrechterhalten.
IV. Gegen diese Entscheidung legte die Beschwerdeführerin (Einsprechende) am 24. September 1992 unter gleichzeitiger Zahlung der vorgeschriebenen Gebühr Beschwerde ein. Die Beschwerdebegründung wurde am 23. Dezember 1992 eingereicht.
In ihrer Begründung nannte sie zum ersten Mal u. a. das folgende Dokument:
D4: US-A-3 237 843
V. In einer Mitteilung gemäß Artikel 11 (2) VOBK wurde darauf hingewiesen, daß das Dokument D4 nicht als verspätet vorgebracht gelten dürfte, da es lediglich zitiert wurde, um die in der angefochtenen Entscheidung vorgetragene Argumentation zu entkräften.
VI. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) hat sich zwar zur Beschwerdebegründung geäußert, aber entsprechend einer per Telefax geschickten Ankündigung an der mündlichen Verhandlung am 12. Juli 1994 nicht teilgenommen.
VII. Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das europäische Patent zu widerrufen.
Sie hat im wesentlichen vorgetragen, es sei für den Fachmann naheliegend gewesen, das aus Dokument D1 bekannte Prinzip der beidseitigen Kaltkleberbeschichtung der Verpackungsmaterialbahn zur Herstellung von Überlappungsnähten für das Bilden von Blockpackungen anzuwenden und somit unmittelbar zur vermeintlich erfinderischen Lösung der ihm gestellten Aufgabe zu gelangen.
VIII. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) hat bestritten, daß die beanspruchte Erfindung durch den Stand der Technik nahegelegt werde. Dokument D1 befasse sich lediglich mit dem spiralförmigen Umhüllen von zylindrischen oder ähnlichen, länglichen Gegenständen, wobei das Problem der Bildung von Quernähten im Bereich der Stirnflächen überhaupt nicht behandelt werde; dort werde die Hülle im Stirnflächenbereich durch Verdrehen und anschließendes Abbinden des überstehenden Hüllenrandes verschlossen.
Sie beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen und das Patent in unveränderter Form aufrechtzuerhalten.
1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 sowie den Regeln 1 (1) und 64 EPÜ; sie ist zulässig.
2. Neuheit
Die Neuheit des Patentanspruchs wurde weder im Einspruchs- noch im Beschwerdeverfahren bestritten, so daß sich ein näheres Eingehen hierauf erübrigt.
3. Erfinderische Tätigkeit
3.1. Dokument D1 ist im angefochtenen Patent als nächstkommender Stand der Technik gewürdigt, auf den sich der Oberbegriff des Patentanspruchs bezieht und von dem ausgehend die in der Beschreibung des angefochtenen Patents dargelegte technische Aufgabe formuliert wurde.
Demnach ist eine Verpackungsmaterialbahn bekannt, welche - zur Bildung einer sogenannten Überlappungsnaht - an beiden Längsrändern wechselseitig mit einer Kaltkleberbeschichtung versehen ist. Eine derartige Materialbahn dient zum spiralförmigen Umhüllen von zylindrischen oder ähnlichen Gegenständen und läßt sich zwar verhältnismäßig günstig und ohne wesentliche Beeinflussung aufrollen, an die Herstellung einer geschlossenen Blockverpackung mit einer Längs- und zwei überlappenden Quernähten ist aber nicht gedacht.
3.2. Die dem angefochtenen Patent zugrundeliegende Aufgabe kann daher, wie in der Patentschrift in Spalte 1, Zeilen 13 bis 17, angegeben, darin gesehen werden, eine Verpackungsmaterialbahn vorzuschlagen, die zum Herstellen einer Blockpackung mit einer Längsnaht und zwei Quernähten verwendbar ist.
Zur Lösung dieser Aufgabe wird gemäß dem angefochtenen Patent vorgeschlagen, weitere mit Kaltkleber beschichtete Teilflächen jeweils nur auf einer Seite derart gegeneinander versetzt anzuordnen, daß sie zur Bildung von Blockpackungen geeignet und im aufgerollten Zustand der Bahn ohne gegenseitige Berührung nebeneinander liegen.
3.3. Die Untersuchung, ob die beanspruchte Verpackungsmaterialbahn auf erfinderischer Tätigkeit beruht, ergibt folgendes:
3.3.1. Die vorstehend genannte Aufgabe stellt sich unstreitig dem Verpackungsspezialisten, dem die Herstellung von Blockpackungen - wie sie durch das Dokument D4 gezeigt ist - durchaus vertraut ist. Bei dem hieraus bekannten Verpackungsmaterial ist die Kleberbeschichtung auf der beim Bilden der Blockpackung innenliegenden Seite angebracht. Der Klebstoff ist nur auf bestimmte Teilflächen aufgetragen, wo er notwendig ist. Dies resultiert aus selbstverständlichen Wirtschaftlichkeitsüberlegungen, die den Fachmann dazu anregen, Klebstoffmittel einzusparen. Obwohl nicht ausdrücklich erwähnt, wird bei Dokument D4 offenbar ein durch Erwärmung abbindender sogenannter Heißkleber eingesetzt.
3.3.2. Bei dem am nächsten kommenden Dokument D1 ist vorgeschlagen, Kaltkleber heranzuziehen, welche schon bei normaler Temperatur wirken und nur übereinanderliegende Flächen, die jeweils vorher mit einer Kaltkleberbeschichtung versehen sind, zusammenkleben, wobei eine mit Kaltkleber beschichtete Teilfläche an einer anderen klebstofffreien Teilfläche nicht festklebt.
Diesem Dokument ist zweifelsfrei das Prinzip der Herstellung von überlappenden Nähten unter Verwendung von Kaltklebern zu entnehmen: Die Materialbahn ist an den Längsrändern mit einer Kaltkleberbeschichtung versehen, wobei der erste Rand auf der einen und der zweite Rand auf der anderen Seite beschichtet ist, was beim Aufwickeln des Verpackungsmaterials zu keinem Verkleben der übereinanderliegenden Lagen führt, da die beschichteten Ränder zueinander seitlich versetzt sind.
Dieses Prinzip ist im übrigen expressis verbis erwähnt. In Spalte 2, Zeilen 11 bis 16, dieses Dokuments heißt es:
"It will be understood that by a "self-sealing" adhesive, we mean an adhesive which is such that when stripe 7 is pressed against stripe 9, the margins of the web will be adhered to one another, but which will not adhere readily to a surface which does not bear a like adhesive. This avoids sticking together ("blocking") of the convolutions of the roll R."
3.3.3. Der Beschwerdegegnerin ist darin zuzustimmen, daß sich Dokument D1 mit dem spiralförmigen Umhüllen von zylindrischen oder anderen länglichen Gegenständen beschäftigt und das Problem der Bildung von überlappenden Quernähten nicht behandelt. Dennoch führt die Heranziehung des vorstehend durch das Dokument D1 bekannten Prinzips zur Bildung von überlappenden Quernähten zwangsläufig und ohne Anpassung zu der beanspruchten Lösung.
Hierbei kommen gemäß herkömmlicher Falttechnik nach dem Bilden der Blockpackung, d. h. nach dem Herstellen einer quaderförmigen Hülse und dem Ineinanderfalten des Kopf- oder Bodenbereichs zur Bildung einer überlappenden Quernaht, jeweils seitlich versetzte Teilbereiche der Innen- und Außenfläche miteinander in Berührung, die mit Kaltkleber beschichtet sein müssen. Es folgt daraus, daß diese beiden Beschichtungen vorher im aufgerollten Zustand des bandförmigen Verpackungsmaterials zwangsläufig zueinander versetzt waren und somit ohne gegenseitige Berührung nebeneinander lagen. Zum Vermeiden eines Verklebens der übereinanderliegenden Lagen der Rolle des Verpackungsmaterials sind daher keine speziellen Vorkehrungen zu treffen.
3.3.4. Im vorliegenden Fall gibt es - wie schon vorstehend ausgeführt - keine Anpassung dieses aus Dokument D1 bekannten Prinzips an die neue Verwendung und auch kein Vorurteil der Fachwelt gegen dessen Einsatz.
In Dokument D1 ist zwar das diskontinuierliche Anbringen von Klebstoff auf bestimmten Teilflächen nicht offenbart. Diese Maßnahme ist aber, wie schon vorstehend ausgeführt, an sich bekannt und beispielsweise bei Dokument D4 verwirklicht: Dort werden solche Bereiche der Materialbahn, die nicht miteinander verklebt werden sollen, sondern vielmehr mit dem Füllgut in Berührung treten, nicht beschichtet.
3.4. Aus alledem folgt, daß der Gegenstand des Patentanspruchs wegen fehlender erfinderischer Tätigkeit nicht patentfähig ist.
Die Kammer kommt mithin zu dem Ergebnis, daß der Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 a) EPÜ der Aufrechterhaltung des europäischen Patents entgegensteht.
4. Die vorliegende Entscheidung, die am Ende der mündlichen Verhandlung verkündet wurde, stützt sich auf einen Einspruchsgrund und die zugehörigen Tatsachen und Beweismittel, zu denen die nicht erschienene Beschwerdegegnerin vorher Stellung genommen hatte; sie entspricht somit Artikel 113 (1) EPÜ (vgl. die Entscheidung G 4/92, ABl. EPA 1994, 149).
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.