T 0352/93 (Pyrazolinverbindungen/CIBA-GEIGY) 04-04-1995
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Pyrazolinverbindungen
Neuheit - Hauptantrag (nein) - 1. Hilfsantrag (ja)
Erfinderische Tätigkeit - 1. Hilfsantrag (ja) - Bestimmung des nächstliegenden Standes der Technik - Definition der Aufgabe - nicht naheliegende Alternative
Novelty - disclosed content of prior publications - disclosure by means of examples
Inventive step - closest prior art - determination of the closest prior art
Inventive step - technical problem - alternative solution to a known problem
Inventive step - technical problem - determination of the technical problem
I. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) hat gegen die am 25. Februar 1993 zur Post gegebene Entscheidung der Einspruchsabteilung, das europäische Patent Nr. 0 234 176 zu widerrufen, am 16. April 1993 Beschwerde eingelegt. Die Beschwerdegebühr wurde am 21. April 1993 entrichtet; die Beschwerdebegründung ist am 12. Mai 1993 eingegangen.
Mit dem Einspruch war das gesamte Patent wegen mangelnder Neuheit und fehlender erfinderischer Tätigkeit angegriffen worden.
Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, daß die in Artikel 100 a) genannten Einspruchsgründe der Aufrechterhaltung des Patents entgegenstünden. In der Begründung ihrer Entscheidung hat sie folgende Entgegenhaltungen berücksichtigt:
(A) CH-B-470 520
(B) DE-A-2 921 641
(D) EP-A-0 073 996.
II. Die Beschwerdeführerin beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent mit Ansprüchen 1 bis 14 und Seiten 2 bis 10 der Beschreibung, überreicht in der mündlichen Verhandlung am 4. April 1995 (Hauptantrag), hilfsweise auf der Grundlage von Ansprüchen 1 bis 13 (1. Hilfsantrag), bzw. Ansprüche 1 bis 5 (2. Hilfsantrag), beide Hilfsanträge ebenfalls überreicht in der mündlichen Verhandlung, und einer noch anzupassenden Beschreibung aufrechtzuerhalten.
III. Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
IV. Die zum Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung maßgebende Fassung des unabhängigen Anspruchs 1 gemäß dem Hauptantrag lautet:
"Pyrazolinverbindungen der Formel
(FORMEL)
worin R1 Wasserstoff,
R2 und R3 unabhängig voneinander Methyl, Ethyl oder Hydroxyethyl,
R4 Wasserstoff oder Chlor,
R5 und R6 unabhängig voneinander Wasserstoff oder Methyl,
R7 Wasserstoff, Methyl oder Phenyl, und
X ein C1-C3-Alkanoat-, C1-C4-Alkanphosphonat-, C1-C4-
Alkansulfonat-, Phosphit-, Sulfaminat- oder Glykolat- Anion bedeuten."
Anspruch 1 des ersten Hilfsantrags unterscheidet sich davon nur durch die Definition der Gruppe X , die hier "ein Methanphosphonat-, Methansulfonat-, Phosphit- oder Sulfaminat-Anion" bedeutet. Anspruch 9 des ersten Hilfsantrags lautet:
"9. Wässrige Lösungen enthaltend 10-35% einer oder mehrerer Pyrazolinverbindungen der Formel (4)
(FORMEL)
worin R2 und R3 unabhängig voneinander Methyl, Ethyl oder Hydroxyethyl,
R4 Wasserstoff oder Chlor,
R6 Wasserstoff oder Methyl,
R7 Wasserstoff, Methyl oder Phenyl, und
X ein C1-C3-Alkanoat-, C1-C4-Alkanphosphonat-, C1-C4- Alkansulfonat-, Phosphit-, Sulfaminat- oder Glykolat- Anion bedeuten."
Anspruch 1 des zweiten Hilfsantrags hat den gleichen Wortlaut wie Anspruch 9 des ersten Hilfsantrags.
V. Die Beschwerdeführerin hat vorgetragen,
- daß die nach dem Hauptantrag beanspruchten Salze in Dokument (A) weder explizit offenbart, noch implizit beschrieben seien, da sich die dort beschriebenen verdünnten Lösungen von undissoziierten, festen Salzen wesentlich unterschieden und die Bildung eines Salzes in Beispiel 1 des Dokuments (A) infolge der Anwesenheit eines Dispergators nicht zweifelsfrei feststehe,
- daß Dokument (A) keine Stoff- oder Verfahrensparameter enthalte, die die Stoffe eindeutig festlegen, wie in der Entscheidung T 527/88 für die Neuheitsschädlichkeit einer Vorbeschreibung gefordert werde,
- daß die beanspruchten Salze, insbesondere auch nach dem ersten Hilfsantrag eine gegenüber den Verbindungen des Dokuments (D) in nicht vorhersehbarer Weise erhöhte Lagerstabiltät aufwiesen,
- daß dies auch für die Lösungen der Pyrazolinsalze nach Anspruch 9 des ersten Hilfsantrag gelte, und
- daß ein Vergleich mit Dokument (B) nicht erforderlich sei, da die dort beschriebenen Verbindungen vom Patentgegenstand weiter ablägen als jene des Dokuments (D).
VI. Die Beschwerdegegnerin hat vorgetragen,
- daß die nach dem Hauptantrag beanspruchten Pyrazolinsalze durch Dokument (A) neuheitsschädlich getroffen seien,
- daß die Gegenstände der Ansprüche des ersten Hilfsantrags in Hinblick auf Dokument (B) nicht erfinderisch seien, da eine unvorhersehbare Verbesserung der Lagerstabilität für sie nicht gezeigt worden sei, und
- daß sich die Gegenstände des Anspruchs 9 des ersten Hilfsantrags und der Ansprüche des zweiten Hilfsantrags für den Fachmann in naheliegender Weise aus der Kombination der technischen Lehren der Dokumente (A) und (D) ergeben.
Schließlich hat die Beschwerdegegnerin die Neuheit der Anspruchsgegenstände der Hilfsanträge nicht mehr bestritten.
VII. Am Ende der mündlichen Verhandlung, die am 4. April 1995 stattfand, verkündete der Vorsitzende die Entscheidung der Kammer, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und dem ersten Hilfsantrag der Beschwerdeführerin stattzugeben.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Änderungen
Die Kammer hat sich davon überzeugt, daß die geänderten Ansprüche nach dem Hauptantrag und nach den beiden Hilfsanträgen durch die ursprünglichen Unterlagen gestützt sind und ihr Schutzbereich nicht über den der Ansprüche des erteilten Patents hinausgeht. Somit sind keine Einwände nach Artikel 123 EPÜ zu erheben; da dies nicht bestritten war, ist eine detaillierte Begründung hierzu nicht erforderlich.
3. Neuheit
3.1. Hauptantrag
3.1.1. Anspruch 1 betrifft ionische Verbindungen - oder Salze -, die lediglich durch die formelmäßige Darstellung des Kations und des Anions, in Verbindung mit den entsprechenden Begriffsbestimmungen der verwendeten Symbole, definiert werden. Somit erschöpft sich die Angabe der technischen Merkmale des Gegenstands des Anspruchs 1 in der Nennung von Strukturparametern und zwar in Form der Strukturformel (I).
Es gibt demnach im vorliegenden Fall keine weiteren technischen Merkmale, die bei der Neuheitsprüfung des Patentgegenstands zu berücksichtigen wären.
3.1.2. Beispiel 1 des Dokuments (A) beschreibt eine Flotte zur Behandlung eines mindestens 85 % Polyacrylnitril enthaltenden Gewebes, die im Liter 0,1 g der dispergierten Verbindung der Formel (F),
(FORMEL) (F)
1. g eines Dispergators und 0,85 ml Ameisensäure 100 % enthält.
Dieses Beispiel beschreibt also eine wäßrige Lösung, die, abgesehen vom nicht näher spezifizierten Dispergator, neben der Base der Formel (F) Ameisensäure in einem beträchtlichen molaren Überschuß enthält. Es gehört zum allgemeinen Fachwissen des Fachmanns (hier eines Chemikers mit abgeschlossener Hochschulausbildung), der stets als Adressat der Offenbarung eines Dokuments anzusehen ist, daß Säuren mit Basen in Lösung unter Salzbildung reagieren, ohne daß dabei die Beachtung weiterer Maßnahmen erforderlich ist. Im vorliegenden Fall ist das zwangsläufige Ergebnis dieser Reaktion die Bildung eines Salzes der Formel (F')
(FORMEL) (F')
dessen Kation durch die Protonierung der Base der Formel (F) entsteht und dessen Anion das Formiat-Anion ist. Eine Verbindung - oder ein Salz - mit der Strukturformel (F') ist daher durch Dokument (A), obwohl dort nicht ausdrücklich genannt, als zwangsläufiges Ergebnis einer Nacharbeitung des Beispiels 1 dieser Entgegenhaltung dem Fachmann - und damit der Öffentlichkeit - vor dem Prioritätstag des Streitpatents zugänglich gemacht worden (vgl. T 12/81, ABl. EPA 1982, 296, insbesondere Entscheidungsgründe Nr. 10 und 13).
3.1.3. Der Einwand der Beschwerdeführerin, die hochverdünnten Lösungen hydratisierter Salze des Dokuments (A) könnten nicht mit undissoziierten festen Salzen verglichen werden, kann schon aus dem Grund nicht durchgreifen, daß diesbezügliche Parameter im Anspruch 1 nicht aufscheinen (vgl. oben Punkt 3.1.1) und daher als technische Merkmale zur Abgrenzung des Anspruchsgegenstands nicht zur Verfügung stehen.
Auch das Argument der Beschwerdeführerin überzeugt nicht, die Anwesenheit eines Dispergators, bei dem es sich auch um eine Base handeln könne, ließe eine Salzbildung in Beispiel 1 des Dokuments (A) fraglich erscheinen. Selbst wenn man mit der Beschwerdeführerin annimmt, daß das eine Gramm des Dispergators ebenfalls mit Ameisensäure unter Salzbildung reagiert, hätte eine solche Konkurrenzreaktion bei dem vorliegenden großen molaren Überschuß an Ameisensäure keinen entscheidenden Einfluß auf die Reaktion der Säure mit der Base der Formel (F), deren Protonierung allenfalls nicht vollständig wäre, aber unter den geltenden Reaktionsbedingungen dennoch stets zur Bildung einer Verbindung der Formel (F') führen muß.
Schließlich kann der Beschwerdeführerin auch der Hinweis auf die Entscheidung T 572/88 nicht helfen. Dort wurde entschieden, daß bestimmte Monoazoverbindungen, die statt einer ß-Sulfatoethylsulfonylgruppe bekannter Verbindungen gleicher Grundstruktur eine Vinylsulfonylgruppe enthalten, neu seien, da die fragliche Entgegenhaltung keine die neuen Stoffe eindeutig charakterisierenden Stoff- oder Verfahrensparameter enthielt, wobei unbestritten war, daß sich die bekannten Verbindungen durch einen wesentlichen Strukturparameter von den neuen Verbindungen unterschieden (siehe T 572/88 vom 27. Februar 1991, nicht veröffentlicht im ABl. EPA, insbesondere Entscheidungsgründe Nr. 3 und 4). Von dem jener Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt unterscheidet sich der hier zu entscheidende Fall jedenfalls dadurch, daß alle erforderlichen Verfahrensparameter in Beispiel 1 des Dokuments (A) offenbart sind, die zur zwangsläufigen Bildung des Salzes der Formel (F') führen, auch wenn sich dies in der Nennung der Ausgangsstoffe und des Lösungsmittels erschöpft. Daraus folgt, daß die Entscheidung T 572/88 nicht einschlägig ist.
3.1.4. Die durch Beispiel 1 des Dokuments (A) der Öffentlichkeit vor dem Prioritätstag des Streitpatents zugänglich gemachte Verbindung der Formel (F') fällt unter den Anspruch 1, wie ein Vergleich der jeweiligen Formeln zeigt. Demnach ist der Gegenstand diese Anspruchs nicht neu (Art. 52 (1) und 54 EPÜ). Infolgedessen kann dem Hauptantrag der Beschwerdeführerin nicht stattgegeben werden.
3.2. Hilfsanträge
Die Kammer hat sich davon überzeugt, daß die Gegenstände der Ansprüche der Hilfsanträge neu sind. Da dies zuletzt von der Beschwerdegegnerin nicht mehr bestritten wurde, erübrigt sich eine eingehendere Begründung hierzu.
4. Erfinderische Tätigkeit
4.1. Zu prüfen ist nun, ob die Gegenstände der Ansprüche nach den Hilfsanträgen auf erfinderischer Tätigkeit beruhen.
Der unabhängige Anspruch 9 nach dem 1. Hilfsantrag betrifft wäßrige Lösungen enthaltend 10 - 35 % einer oder mehrerer Pyrazolinverbindungen der Formel (4), wobei die Bedeutung von X weiter gefaßt ist als in Anspruch 1 dieses Hilfsantrags (siehe Punkt IV oben).
4.2. Wäßrige Lösungen ähnlicher Pyrazolinsalze sind aus Entgegenhaltung (D) bekannt, die nach Auffassung der Kammer den dem Patentgegenstand nächstkommenden Stand der Technik beschreibt, da sie für die beschriebenen Pyrazolinbasen-Lactate eine gute Langzeitlagerstabilität offenbart (Seite 5, Zeilen 15 bis 17), eine Eigenschaft, die auch für die konzentrierten Lösungen nach dem Streitpatent dort als vorteilhaft herausgestellt wird (Seite 5, Zeilen 55 bis 58 und Seite 6, Zeilen 2 bis 4 und 8 bis 14). Die im Streitpatent genannte hohe Langzeit-Wärmestabilität und die gute Kältestabilität, wie sie beim Transport bei tiefer Temperatur erforderlich ist, sind nach Auffassung der Kammer zwei Aspekte der gewünschten Beständigkeit konzentrierter (d. h. 10 bis 35%iger) wäßriger Aufhellerlösungen im Sinne einer Langzeitlagerstabilität (siehe Seite 5, Zeilen 41/42 und Zeilen 47/48). Die Kammer geht zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit daher von Druckschrift (D) aus, in deren Beispiel 1 insbesondere eine wäßrige Lösung beschrieben wird, die in 100 g neben 20 g Harnstoff 30 g DL-Milchsäure (80%ig) und 8 g 3-(4-Chlorphenyl)-1-{4-[2- (N,N-diethylamino)-propylsulfonyl]-phenyl}- 2-pyrazolin enthält.
4.3. Dokument (B) beschreibt quaternäre Ammoniumbasen, darunter auch Pyrazolinverbindungen, als optische Aufheller. Diese Pyrazolinverbindungen, insbesondere die des von der Einspruchsabteilung angezogenen Anspruchs 8, unterscheiden sich von jenen des Streitpatents nicht nur dadurch, daß es sich um quaternäre Ammoniumverbindungen - und nicht um Aminsalze - handelt, sondern auch durch die Struktur des Anions. Während Anspruch 9 des Streitpatents als phosphorhaltige Anionen C1-C4-Alkanphosphonat-Anionen oder das Phosphit-Anion - also Anionen zweibasischer Säuren - vorschreibt, handelt es sich bei den Anionen nach Dokument (B) stets um die Anionen der Alkylphosphonsäuremonoalkylester oder der Monoalkylester der Phosphorigen Säure - also um Anionen einbasischer Säuren (vgl. Anspruch 8, in Verbindung mit Anspruch 6, und Seite 10, erster Absatz). Darüber hinaus bedarf es hinsichtlich des die SO2-Gruppe und die Ammoniumgruppe verbindenden Strukturelements einer Auswahl aus der Vielzahl der in Dokument (B) hierfür vorgesehenen Möglichkeiten um zur -CH2CH2- Gruppe der Verbindungen des Streitpatents zu gelangen.
Aus diesen Gründen ist Dokument (B) - entgegen der Auffassung der Einspruchsabteilung - kein geeigneter Ausgangspunkt zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit.
4.4. Die Beschwerdeführerin hat, unter Hinweis auf den am 12. Mai 1993 eingereichten "Testbericht zur Lagerstabilität", für die Lösungen des Anspruchs 9 eine Verbesserung der Langzeitstabilität gegenüber den Lactat- Lösungen des Dokuments (D) geltend gemacht. Dieser Effekt wurde aber nur für die Salze starker Säuren, nicht dagegen für Lösungen solcher Verbindungen der Formel (4) glaubhaft gemacht, bei denen X z. B. ein Acetat-Anion bedeutet. Ein nur für einen Teil der beanspruchten Erzeugnisse glaubhaft gemachter Effekt kann aber zur Definition der dem Gegenstand eines Anspruchs - hier des Anspruchs 9 - zugrundeliegenden Aufgabe nicht herangezogen werden (vgl. T 20/81, ABl. EPA 1982, 217; insbesondere Leitsatz und Entscheidungsgründe Nr. 3).
4.5. Daher sieht die Kammer die der Erfindung in Hinblick auf Dokument (D) zugrundeliegende Aufgabe in der Bereitstellung weiterer wäßriger Lösungen von Pyrazolinsalzen mit guter Langzeitstabilität.
Als Lösung dieser Aufgabe werden im Anspruch 9 10 bis 35%ige Lösungen der Verbindungen der Formel (4) vorgeschlagen. Im Hinblick auf die von der Beschwerdegegnerin nicht bestrittenen Ausführungen im Streitpatent (Seite 5, Zeile 55 bis Seite 6, Zeile 7), kann anerkannt werden, daß die bestehende Aufgabe durch den Gegenstand des Anspruchs 9 gelöst wird.
4.6. Es ist nun zu entscheiden, ob der Lösungsvorschlag des Anspruchs 9 auf erfinderischer Tätigkeit beruht.
4.6.1. In Dokument (D) wird ausgeführt: "Die oben erwähnten hervorragenden Eigenschaften, welche die neuen Lactate insbesondere beim Naßspinnverfahren zeigen, weisen überraschenderweise die bislang bemühten Hydrochloride, Acetate und Quartärsalze nicht bzw. nicht im gleichen Umfang auf." Die "hervorragenden Eigenschaften" sind "... eine hohe Fluoreszenzintensität, gute Langzeitlagerstabilität und vor allem ... eine absolute Beständigkeit gegenüber Natriumrhodanid ..." (vgl. Seite 6, Zeilen 11 bis 15, in Verbindung mit Seite 5, Zeilen 15 bis 18). Diese Aussage konnte der Fachmann jedenfalls nicht als Hinweis verstehen, daß das Lactat- Anion gegen andere Anionen ausgetauscht werden könne, ohne die gute Langzeitlagerstabilität der Pyrazolinsalze zu beeinträchtigen.
4.6.2. Auch eine Kombination der technischen Lehre des Dokuments (D) mit jener des Dokuments (A) konnte den Fachmann - entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin - nicht dazu anregen, die Lösungen des Anspruchs 9 als Alternativen zu den Pyrazolinlactatlösungen nach Dokument (D) vorzuschlagen. Zwar wird dort, wie oben ausgeführt (vgl. Punkt 3.1.2), im Beispiel 1 eine verdünnte wäßrige Lösung des Pyrazolinformiats der Formel (F') beschrieben und allgemein auf hochverdünnte Lösungen der Pyrazolinbase u. a. in Ameisensäure oder Essigsäure hingewiesen; bei diesen Lösungen handelt es sich aber nicht um Handels- oder Lagerformen von Pyrazolinsalzlösungen, für die eine mehr oder weniger hohe Salzkonzentration erforderlich wäre, sondern um Anwendungsformen, mit denen Gewebe unmittelbar behandelt werden sollen (Spalte 4, Zeilen 11 bis 36, insbesondere Zeile 21 sowie Beispiel 1). Daher werden in dieser Entgegenhaltung weder Salzkonzentrationen in Betracht gezogen, die in der Größenordnung jener des Anspruchs 9 liegen, noch wird die Langzeitlagerstabilität der Lösungen erwähnt, da diese für die Pyrazolinsalzlösungen des Dokuments (A) technisch nicht relevant ist. Ein Fachmann, der im Stand der Technik nach Anregungen zur Lösung der bestehenden technische Aufgabe suchte, hätte daher Dokument (A) hierfür nicht in Betracht gezogen.
4.6.3. Auch aus Dokument (B), dessen Verbindungen wie oben ausgeführt von den Pyrazolinsalzen des Streitpatents weiter abliegen als jene der Dokumente (A) oder (D), hätte der Fachmann keine Anregung auf die nach Anspruch 9 vorgeschlagene Lösung der bestehenden Aufgabe entnommen, auch wenn die nach Dokument (B) herstellbaren Lösungen als "bei tiefen Temperaturen lagerstabil" beschrieben werden (Seite 10, vorletzter Absatz). Selbst wenn man davon absehen wollte, daß sich diese Aussage nicht auf Lösungen von Pyrazolinsalzen, sondern von quaternären Pyrazolinverbindungen bezieht, käme der Fachmann durch einen Austausch des aus Dokument (D) bekannten Lactat- Anions gegen die in Dokument (B) vorgeschlagenen Anionen nicht zum Gegenstand des Anspruchs 9 (vgl. oben, Punkt 4.3).
4.6.4. Schließlich kann die Kammer auch dem Argument der Beschwerdegegnerin nicht zustimmen, ein Fachmann hätte aus der Tatsache, daß das Pyrazolinformiat der Formel (F') gemäß Dokument (A) auf Gewebe aufgebracht wird und dort bestimmungsgemäß längere Zeit verbleibt, auf dessen gute Langzeitlagerstabilität geschlossen. Selbst wenn man dieser Behauptung, für die von der Beschwerdegegnerin kein Beweis vorgelegt wurde, zustimmen wollte, ließe dies keine Rückschlüsse auf die Lagerstabilität entsprechender 10 bis 35%iger wäßriger Lösungen zu.
4.6.5. Aus diesen Gründen kommt die Kammer zu dem Ergebnis, daß die nach Anspruch 9 vorgeschlagene Lösung der bestehenden technischen Aufgabe dem Fachmann durch keines der der Kammer vorliegenden Dokumente (A), (B) oder (D) - weder einzeln, noch in Kombination - nahegelegt wurde und daher das Erfordernis der erfinderischen Tätigkeit nach Artikel 56 EPÜ erfüllt.
4.7. Die Pyrazolinverbindungen der Formel (I) des Anspruchs 1 dienen zur Herstellung der Lösungen nach Anspruch 9 und beruhen aus den gleichen Gründen, die für letzteren gelten, auf erfinderischer Tätigkeit. Darüber hinaus, ist für diese Verbindungen der am 12. Mai 1993 eingereichte "Testbericht zur Lagerstabilität" relevant. Nach diesem zeigen u. a. wäßrige Lösungen, die in 100 Teilen neben 8. Teilen 3-(4-Chlorphenyl)-1-{4-[2-(N,N-dimethylamino)- ethylsulfonyl]-phenyl}- 2-pyrazolin, jeweils 2,5 Teile Sulfaminsäure, Phosphorige Säure, Methansulfonsäure oder Methanphosphonsäure enthalten, nach 50 Stunden Lagerung bei 60 °C keinerlei Veränderung, während sich eine entsprechende Lösung enthaltend 8 Teile 3-(4- Chlorphenyl)-1-{4-[2-(N,N-diethylamino)-propylsulfonyl]- phenyl}- 2-pyrazolin und 2,5 Teile Milchsäure (in Gegenwart von Harnstoff als hydrotropen Mittel) unter diesen Bedingungen nach 8 Stunden zersetzt. Somit wurde von der Beschwerdeführerin glaubhaft gemacht, daß die Pyrazolinverbindungen des Anspruchs 1 die Herstellung von Pyrazolinsalzlösungen ermöglichen, die eine gegenüber den Pyrazolinlactatlösungen des Dokuments (D) unerwartet verbesserte Langzeitlagerstabilität besitzen.
4.8. Die Gegenstände der abhängigen Ansprüche 2 bis 5 und 10 bis 11 betreffen besondere Ausführungsformen der Pyrazolinverbindungen des Anspruchs 1 bzw. der Lösungen des Anspruchs 9 und werden ebenso von der Patentfähigkeit dieser Ansprüche getragen, wie die Ansprüche 6 bis 8 und 12. bis 13, die auf die Verwendung der Pyrazolinverbindungen des Anspruchs 1, bzw. auf wäßrige Lösungen gerichtet sind, die zusätzlich die dort genannten Säuren enthalten. Diese Ansprüche 6 bis 8 und 12. bis 13 betreffen eine andere Ausprägung der in den Ansprüchen 9 oder 1 niedergelegten erfinderischen Idee.
5. Bei dieser Sachlage ist es nicht erforderlich zum 2. Hilfsantrag der Beschwerdeführerin Stellung zu nehmen.
6. Bei der noch vorzunehmenden Anpassung der Beschreibung des Streitpatents an die Ansprüche nach dem 1. Hilfsantrag werden insbesondere auch die von der Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 29. April 1994 (eingegangen am 2. Mai 1994; vgl. Seite 4, Mitte) und darüber hinaus in der mündlichen Verhandlung vorgeschlagenen Beschreibungsänderungen zu beachten sein, wie sie aus dem während der mündlichen Verhandlung zum Hauptantrag überreichten Textexemplar ersichtlich sind.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Sache wird an die erste Instanz zurückverwiesen mit der Anordnung, das Patent mit den Ansprüchen 1 bis 13 (1. Hilfsantrag), überreicht in der mündlichen Verhandlung vom 4. April 1995, und einer noch anzupassenden Beschreibung aufrechtzuerhalten.