T 1005/98 21-09-2000
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Verfahren zur Herstellung einer Endoprothese als Gelenkersatz bei Kniegelenken
I. Mit Entscheidung vom 4. Juni 1998 hat die Prüfungsabteilung die europäische Patentanmeldung Nr. 95 114 676.0 (Veröffentlichungsnummer 0 704 193) unter Hinweis auf Artikel 52 (4) EPÜ zurückgewiesen.
II. Die Prüfungsabteilung hat die Zurückweisung damit begründet, daß das Verfahren zur Herstellung der Prothese gemäß Anspruch 1 einen chirurgischen Eingriff beinhalte. Da dieser operative Eingriff in der Anmeldung als Teil des Herstellungsverfahrens dargestellt sei, bei dem zwei tomographische Bilder - eines präoperativ, das andere postoperativ - miteinander verglichen werden, sei dieser chirurgische Schritt ein hinreichender Grund für den Ausschluß des beanspruchten Verfahrens von der Patentierung.
III. Mit einem am 21. Juli 1998 eingegangenen Schreiben legte die Beschwerdeführerin gegen diese Zurückweisungsentscheidung Beschwerde ein. Am 1. Oktober 1998 wurde eine Beschwerdebegründung zusammen mit einem Satz von sechs Ansprüchen eingereicht, wobei Anspruch 1 mit der von der Prüfungsabteilung zurückgewiesenen Fassung identisch war.
IV. Anspruch 1 lautet wie folgt:
"Verfahren zur Herstellung einer Endoprothese als Gelenkersatz bei Kniegelenken, wobei die Prothese einen operativen Eingriff bei dem Femur, der Tibia und der Patella eines geschädigten Kniegelenks voraussetzt, bestehend aus den Stufen:
a) Herstellung eines präoperativen tomographischen Bildes von dem geschädigten Kniegelenk;
b) Herstellung eines korrigierten präoperativen tomographischen Bildes von dem geschädigten Kniegelenk durch eine Annäherung der Konturen wenigstens am Femur und an der Tibia bei dem geschädigten Kniegelenk an die Konturen bei einem gesunden Kniegelenk;
c) Herstellung eines postoperativen tomographischen Bildes von dem geschädigten Kniegelenk;
d) Herstellung eines tomographischen Vergleichsbildes als ein tomographisches Subtraktionsbild aus einer Gegenüberstellung des korrigierten präoperativen tomographischen Bildes und des postoperativen tomographischen Bildes von dem geschädigten Kniegelenk und der Ermittlung des Unterschiedes der Konturen wenigstens am Femur und an der Tibia bei den beiden Bildern; und
e) Herstellung wenigstens einer femoralen und einer tibialen Komponente einer Endoprothese auf der Basis des tomographischen Subtraktionsbildes."
V. In ihren Schriftsätzen sowie während der mündlichen Verhandlung am 21. September 2000 machte die Beschwerdeführerin geltend, daß ein chirurgischer Eingriff für das beanspruchte Verfahren nicht unabdingbar sei. Die Prothese könne ebenso anhand des Vergleichs von zwei tomographischen Bildern, die man virtuell mittels eines Computertomographen erhalte, hergestellt werden. Der chirurgische Eingriff werde lediglich im Hinblick auf die spätere Implantation der Prothese nach ihrer Herstellung vorgenommen, wie aus dem in der mündlichen Verhandlung gezeigten Videofilm ersichtlich sei. Der in der Anmeldung verwendete Ausdruck "operativer Eingriff" sei nicht im Rahmen von Artikel 52 (4) EPÜ zu sehen, der nur Verfahren zur chirurgischen Behandlung als solche von der Patentierung ausschließe. Außerdem richte sich die Erfindung hauptsächlich an einen Prothesenhersteller und nicht an einen Chirurgen.
VI. Die Beschwerdeführerin beantragt die Aufhebung der Zurückweisungsentscheidung und die Erteilung eines europäischen Patents auf der Grundlage der mit Schreiben vom 1. Oktober 1998 eingereichten Ansprüche 1 bis 6.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Artikel 52 (4) EPÜ (Verfahren zur chirurgischen Behandlung)
2.1. Das Verfahren nach Anspruch 1 zur Herstellung einer Endoprothese als Gelenkersatz bei Kniegelenken besteht aus fünf, mit den Buchstaben a bis e bezeichneten Schritten. Im Rahmen der ersten drei Schritte werden nacheinander folgende Bilder hergestellt:
a) ein präoperatives tomographisches Bild des geschädigten Kniegelenks,
b) ein korrigiertes Bild des vorausgegangenen präoperativen Bildes,
c) ein postoperatives tomographisches Bild des geschädigten Kniegelenks.
Zu klären ist, ob man im Zuge dieser Schritte tatsächlich einen chirurgischen Eingriff am Patienten vornehmen muß, um die für die Herstellung der Prothese erforderlichen tomographischen Bilder zu erhalten, wie die Ausdrücke "prä- bzw. postoperatives tomographisches Bild" primär vermuten lassen. Schon im Oberbegriff des Verfahrensanspruchs heißt es: "wobei die Prothese einen operativen Eingriff bei dem Femur, der Tibia und der Patella eines geschädigten Kniegelenks voraussetzt". Obwohl diese in bezug auf die Anwendung von Artikel 52. (4) EPÜ strittige Formulierung auf einen chirurgischen Eingriff am Patienten hinweist, kann man daraus nicht mit Sicherheit schließen, ob gemäß der ursprünglichen Offenbarung der operative Eingriff ein Schritt des Verfahrens zur Herstellung der Prothese ist.
Zur Behebung dieser Unklarheit dient die Beschreibung der Anmeldung, die gemäß Artikel 69 (1) EPÜ und dem dazugehörigen Auslegungsprotokoll zur Auslegung der Ansprüche heranzuziehen ist.
2.2. Der ursprünglichen Beschreibung zufolge sollen mit der Erfindung die bei der Implantation herkömmlicher Endoprothesen auftretenden Komplikationen vermieden werden, insbesondere eine schlechte Verankerung aufgrund einer ungenügenden Anpassung der verschiedenen Prothesenteile an das Gelenk des Patienten. Dieses Problem wird durch das erfindungsgemäße Herstellungsverfahren für eine Endoprothese gelöst, das die folgenden in der ursprünglich eingereichten Fassung der Anmeldung beschriebenen sechs Schritte umfaßt (Seiten 3 bis 6):
In Schritt 1 wird ein erstes (präoperatives) Bild des geschädigten Gelenks z. B. mittels Computertomograph hergestellt.
Im darauffolgenden Schritt 2 wird ein operativer Eingriff an den das geschädigte Kniegelenk umgebenden Knochenteilen vorgenommen, bei dem ein Minimum des angrenzenden gesunden Knochens entfernt wird, um eine ideale Resektionsfläche für die spätere Implantation der Prothese zu erhalten.
In Schritt 3, d. h. erst im Anschluß an den operativen Eingriff in Schritt 2, wird ein zweites (postoperatives) Bild des Gelenks hergestellt, wozu man sich beispielsweise desselben Computertomographen wie in Schritt 1 bedient.
In Schritt 4 nimmt man mittels eines der drei vorgeschlagenen Verfahren eine Korrektur des präoperativen Bildes vor. Diese Korrektur kann entweder direkt im Anschluß an die Herstellung des präoperativen Bildes (Schritt 1) oder nach dem operativen Eingriff (Schritt 2) erfolgen. Reihenfolge und Inhalt der beanspruchten Schritte a bis c werden somit von der ursprünglichen Beschreibung wirksam gestützt.
Die nachfolgenden Verfahrensschritte sind für diese Entscheidung nur von sekundärer Bedeutung. Sie betreffen den Vergleich des korrigierten präoperativen Bildes mit dem postoperativen Bild (Schritt 5) sowie die Herstellung der Komponenten der Prothese (Schritt 6) auf der Grundlage der in Schritt 5 festgestellten Unterschiede.
2.3. Wie die vorstehende Analyse der Beschreibung zeigt, wird der in Schritt 2 beschriebene operative Eingriff zwar nicht als solcher beansprucht, in der Anmeldung aber als unerläßliche Bedingung für die Herstellung des postoperativen Bildes in Schritt 3 dargestellt. Da keine andere Auslegung der Beschreibung möglich ist, impliziert das beanspruchte Verfahren zwingend einen chirurgischen Schritt zwischen den Schritten a und c. Der für Schritt 2 verwendete Ausdruck "operativer Eingriff" ist eindeutig im Sinne eines "chirurgischen Eingriffs" zu verstehen.
Die Argumente der Beschwerdeführerin haben die Kammer nicht überzeugt, da die Herstellung der Prothese anhand zweier virtuell am Computer erzeugter Bilder von der Beschreibung nicht gestützt wird und sogar im Widerspruch zu der Beschreibung steht, die wiederholt und ganz eindeutig auf einen operativen Eingriff zwischen der Aufnahme der zwei tomographischen Bilder verweist. Der in der mündlichen Verhandlung vorgeführte Videofilm zeigt einen chirurgischen Eingriff zur Implantation einer Prothese, deren Komponenten vor dem Eingriff hergestellt wurden. Doch dieser Film stimmt nicht mit dem in der Anmeldung dargelegten Herstellungsverfahren überein und kann auch nicht anstelle der Beschreibung zur Auslegung des strittigen Anspruchs herangezogen werden.
2.4. Nach der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern genügt ein einziger chirurgischer Verfahrensschritt, um dem beanspruchten Verfahren chirurgischen Charakter zu verleihen (s. T 182/90, ABl. EPA 1994, 641 und T 35/99, ABl. EPA 2000, 447). Daher fällt das Verfahren gemäß Anspruch 1, auch wenn es auf die Herstellung einer an sich gewerblich anwendbaren Prothese gerichtet ist, unter die Ausschlußbestimmung des Artikels 52 (4) EPÜ. Die Prüfungsabteilung hat somit die Patentanmeldung zu Recht zurückgewiesen.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.