T 0006/99 17-05-2001
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Flammgeschützte Lärmschutzwand aus Acrylglas
(01) Ineos Acrylics UK Limited
(02) ELF ATOCHEM S.A.
(03) Degussa-Hüls AG Patente und Marken Standort Wolfgang
Neuheit (ja) - keine implizite Vorwegnahme
Erfinderische Tätigkeit (nein) - naheliegender Materialaustausch
I. Die Erteilung des europäischen Patents Nr. 0 600 332 auf die europäische Patentanmeldung Nr. 93 118 725.6 der Röhm GmbH, angemeldet am 22. November 1993 unter Beanspruchung einer DE Priorität vom 4. Dezember 1992, wurde am 14. Februar 1996 bekanntgemacht.
II. Gegen das Patent wurde gestützt auf die Bestimmungen des Artikels 100 a) EPÜ Einspruch erhoben von
- Imperial Chemical Industries PLC (Einsprechende 1), (im Verlaufe des Beschwerdeverfahrens übertragen auf "Ineos Acrylics UK Limited"),
- Elf Atochem S.A. (Einsprechende 2) und
- Degussa Aktiengesellschaft (Einsprechende 3; im Verlaufe des Beschwerdeverfahrens Einspruch zunächst übertragen auf "Degussa-Hüls", später mit Schriftsatz vom 12. April 1999 zurückgenommen)
und beantragt, das Patent in seinem gesamten Umfang zu widerrufen.
III. Mit ihrer am 6. Oktober 1998 mündlich verkündeten und am 11. November 1998 schriftlich begründeten Entscheidung widerrief die Einspruchsabteilung das Patent gemäß damaligem Haupt- und Hilfsantrag.
Anspruch 1 des Hauptantrags entsprach der folgenden erteilten Fassung:
"Flammgeschützte Lärmschutzwand aus Acrylglas, bestehend aus Trägern und daran befestigten Acrylglasscheiben, dadurch gekennzeichnet, daß das Acrylglas wenigstens an den Oberflächen der Scheiben aus einem Copolymerisat des Methylmethacrylats mit 1 bis 20 Gew.-% eines Alkylacrylats oder Styrols besteht und frei von halogen- und phosphorhaltigen flammhemmenden Zusätzen ist."
Anspruch 1 des Hilfsantrags lautete (soweit der handschriftlichen Aufzeichnung entnehmbar):
"Verwendung von an sich bekannten extrudierten Acrylglasscheiben, die frei von halogen- und phosphorhaltigen flammhemmenden Zusätzen sind, die wenigstens an den Oberflächen aus einem Copolymerisat eines MMA mit 1 bis 20 Gew.-% eines AA oder Styrols bestehen, für flammgeschützte Lärmschutzwände, bestehend aus Trägern mit den daran befestigten Scheiben aus Acrylglas."
IV. Die genannte Entscheidung der Einspruchsabteilung stützte sich inter alia auf folgende Entgegenhaltungen:
D2: Kunststoff-Handbuch, Band IX (1975), Seiten 22 ff.,
D5: DBZ Deutsche Bauzeitschrift 37 (1989), No. 11, Seiten 1509 bis 1512,
D10: ISO 7823-2 (1989),
D11: EP-A-0 457 355,
D12: US-A-4 877 853,
D13: Encycl. of Polymer. Sci (1964), Seiten 276 bis 278,
D14: J. Chem. Ed. (7) (1974), Seite 453,
D17: Compr. Polymer. Sci. (1989), Vol. 6, Seiten 452, 458, 459 und 483,
D18: J. Polymer. Sci. 6 (1986), Seite 3303,
D23: Polymer Yearbook First Edition (1983), Seiten 227 & 236 und
D24: Europ. Polymer. J. (1968), Vol. 4, Seiten 21 bis 30.
Diese Entscheidung stellte im wesentlichen fest, daß der Gegenstand des Hauptantrags zwar gegenüber den Entgegenhaltungen D10, D11, D12 und D13 neu sei, gegenüber der Entgegenhaltung D5, welche die Eignung von Polymethylmethacrylatscheiben für Lärmschutzwände offenbare, liege aber keine erfinderische Tätigkeit vor, weil aus D2, D14, D17, D18 und D24 schon bekannt sei, daß die Einpolymerisation von Alkylacrylaten oder Styrol die Thermoresistenz und somit die Brandfestigkeit von Polymethylmethacrylat verbessere.
Anspruch 1 des Hilfsantrags sei nicht gewährbar, weil der Kategorienwechsel von einem Produkt- zu einem Verwendungsanspruch dem Erweiterungsverbot von Artikel 123 (3) EPÜ zuwiderlaufe.
V. Gegen diese Entscheidung hat die Patentinhaberin unter gleichzeitiger Zahlung der Beschwerdegebühr mit Schriftsatz vom 23. Dezember 1998 Beschwerde eingelegt und am 9. März 1999 die Beschwerdebegründung eingereicht, der drei alternative Fassungen eines Anspruchs 1 angeschlossen waren (Hilfsanträge 1 bis 3). Im Laufe der am 17. Mai 2001 stattgefundenen mündlichen Verhandlung zog die Beschwerdeführerin den dritten dieser Hilfsanträge zurück.
i) Anspruch 1 des 1. Hilfsantrags unterscheidet sich von seiner erteilten Fassung - nach Korrektur von Schreibfehlern - nur durch die im folgenden hervorgehobene dreifache Einfügung des Begriffs "extrudiert":
"Flammgeschützte Lärmschutzwand aus extrudiertem Acrylglas, bestehend aus Trägern und daran befestigten extrudierten Acrylglasscheiben, dadurch gekennzeichnet, daß das extrudierte Acrylglas ...".
ii) Anspruch 1 des 2. Hilfsantrags lautet:
"Verwendung (1) von an sich bekannten extrudierten Acrylglasscheiben,
(2) die frei von halogen- und phosphorhaltigen flammhemmenden Zusätzen sind,
(3) die wenigstens an den Oberflächen aus einem Copolymerisat des MMA mit 1-20 Gew.-% eines Alkylacrylats oder Styrols bestehen,
(4) für flammgeschützte Lärmschutzwände,
(5) bestehend aus Trägern
(6) mit daran befestigten Scheiben aus Acrylglas."
VI. In der Beschwerdebegründung und im Verlaufe der mündlichen Verhandlung brachte die Beschwerdeführerin im wesentlichen folgende entscheidungserheblichen Argumente vor:
i) Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 genüge nicht nur Artikel 123 (2) EPÜ, sondern auch Artikel 123 (3) EPÜ, weil die Umformulierung des auf eine Lärmschutzwand aus Acrylglasscheiben gerichteten erteilten Anspruchs 1 in einen Anspruch auf die Verwendung der Acrylglasscheiben für Lärmschutzwände keine Erweiterung des Schutzumfangs bewirke.
ii) Die Gegenstände der Ansprüche 1 von Hauptantrag und Hilfsantrag 1 seien neu, weil die Nennung von "extrudiertem Acrylglas" in der Entgegenhaltung D5 weder impliziere, daß diese Materialien notwendigerweise comonomer-haltig, noch daß sie frei von halogen- und phosphorhaltigen flammhemmenden Zusätzen seien. Aus denselben Gründen sei auch der Verwendungsanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 gegenüber D5 neu; dessen Neuheit gegenüber den Entgegenhaltungen D10 bis D13 ergebe sich schon aus der dort fehlenden Offenbarung von Trägern für die die Lärmschutzwand bildenden Acrylglasscheiben, da das Vorhandensein von Trägern auch für den Gegenstand dieses Verwendungsanspruchs erfindungswesentlich sei.
iii) Die Gegenstände der Ansprüche 1 aller Anträge beruhten gegenüber D5 auch auf erfinderischer Tätigkeit, weil der Fachmann nicht erwarten würde, daß comonomer-haltiges Polymethylmethacrylat, das frei von halogen- und phosphorhaltigen flammhemmenden Zusätzen ist, sich für durchsichtige Lärmschutzwände eigne, welche den Brandtest gemäß Ziffer 7.2.6 der technischen Vorschrift ZTV-Lsw 88 (D9) erfüllen (D27: Prüfungsbericht der Staatlichen Materialprüfungsanstalt Darmstadt Antrag Nr. K 93 048, Prüfzeugnis Nr. 23 1347 6 92 vom 16.04.1993). Dies folgere aus der Tatsache, daß extrudiertes, comonomer-haltiges Polymethylmethacrylat ("Plexiglas(R)XT") sich in seinem Brandverhalten nicht von gegossenem, comonomer-freiem Polymethylmethacrylat ("Plexiglas(R)GS") unterscheide und z. B. der gleichen (niedrigen) Brandfestigkeitkategorie "normalentflammbar (Klasse B2)" nach DIN 4102 angehöre. Als Beleg dafür legte die Beschwerdeführerin die Prüfungsberichte der Staatlichen Materialprüfungsanstalt Darmstadt Antrag Nr. K 89 083.5 (D28), Nr. K 89 083.3 (D29) und die BRE Flammability Test Results nach BS 2782, Part 5 (D30) vor.
VII. Die Beschwerdegegnerinnen äußerten sich in Schriftsätzen vom 22. November 1999 (Einsprechende 1 = Beschwerdegegnerin 1) und 1. Dezember 1999 (Einsprechende 2 = Beschwerdegegnerin 2) sowie während der mündlichen Verhandlung. Ihre entscheidungswesentlichen Argumente können wie folgt zusammengefaßt werden:
i) Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 verletze Artikel 123 (3) EPÜ; die Schutzbereichserweiterung manifestiere sich darin, daß - zumindest in Deutschland - mit dem Wechsel von einem Anspruch auf eine komplette Lärmschutzwand zu einem Anspruch auf die Verwendung der Acrylglasscheiben eine Patentverletzung schon durch deren blosses Feilhalten einhergehe.
ii) Im Hinblick auf die in D5 offenbarte Anregung zur Verwendung von extrudiertem Acrylglas für Lärmschutzwände fehle es den Gegenständen der Ansprüche 1 aller Anträge an Neuheit, weil extrudiertes Acrylglas wegen der für die Extrusion erforderlichen thermischen Stabilität zwangsläufig 1 bis 20 Gew.-% Alkylacrylat oder Styrol enthalte und frei von halogen- und phosphorhaltigen flammhemmenden Zusätzen sei.
iii) Da sich Anspruch 1 des 2. Hilfsantrags auf die Verwendung von Acrylglasscheiben beziehe, wie sie z. B. aus D10 bekannt seien, fehle auch dem Gegenstand dieses Anspruchs die Neuheit.
iv) Zumindest beruhten die Gegenstände der Ansprüche 1 aller Anträge aber gegenüber D5, das auf die mögliche Verwendbarkeit extrudierten Acrylglases aus Polymethylmethacrylat als Material für Lärmschutzwände hinweise, nicht auf erfinderischer Tätigkeit, weil aus der Entgegenhaltung
D20: Kundeninformation "röhm", Eingangsstempel "eingegangen 14. November 1991"
die Marktverfügbarkeit von 15 mm dicken Platten aus Plexiglas(R)XT, wie sie laut Aussage der Beschwerdeführerin selbst (Seite 4 der Beschwerdebegründung, Absätze 1 bis 3) für die erfindungsgemäßen Lärmschutzwände in ihren Brandtests (cf. Punkt VI iii) supra: D27 und D29) eingesetzt wurden, bekannt war.
iv-1) Das in D20 offenbarte Plexiglas(R)XT entspreche somit per Definition ("erfindungsgemäß") der Acrylglasspezifikation gemäß Anspruch 1 aller Anträge, d. h. es bestehe aus einem Copolymerisat des Methylmethacrylats mit 1 bis 20 Gew.-% eines Alkylacrylats oder Styrols, sei frei von halogen- und phosphorhaltigen flammhemmenden Zusätzen und sei extrudiert.
iv-2) Im Hinblick auf den Hinweis in D5 auf die mögliche Verwendbarkeit extrudierter Plexiglassorten für Lärmschutzwände erfordere somit der Einsatz des aus D20 bekannten Plexiglases(R)XT für genau diesen Zweck keine erfinderische Tätigkeit, zumal D20 inter alia dessen Gebrauchstüchtigkeit für Groß- und Kleinverglasungen beschreibe.
iv-3) Daß es gemäß D5 vor dem Praxiseinsatz extrudierter Acrylglasscheiben für Lärmschutzwände noch einer Prüfung des Langzeitverhaltens (Witterungsbeständigkeit) bedürfe, habe den Fachmann ab der Verfügbarkeit von ausreichend dicken Scheiben aus Plexiglas(R)XT gemäß D20 nicht von deren Einsatz für diesen Zweck abhalten können, denn die Durchführung derartiger Langzeittests sei fachmännische Routine.
iv-4) Die Ansicht der Beschwerdeführerin, der Fachmann habe die Verwendung von Plexiglas(R)XT für Lärmschutzwände deshalb nicht in Betracht gezogen, weil er wegen der in vorstehendem Punkt VI iii) dargelegten Argumentation nicht erwartet hätte, daß dieses Material den Test auf Feuerresistenz gemäß Abschnitt 7.2.6 der Vorschrift ZTV-Lsw 88 (D9) erfüllen könne,
- sei erstens unzutreffend, weil Abschnitt 3.5.4 von D9 sogar explizit darauf hinweise, daß alle Materialien eines Lärmschutzelements, die die Anforderungen der Klasse A oder B1 nach DIN 4102 nicht erfüllen, diesem Test unterzogen werden müssen, und
- zweitens auch unzutreffend, weil gegossenes, comonomer-freies Polymethylmethacrylat durchaus den Feuerresistenz-Test gemäß ZTV-Lsw 88. erfüllen könne (D31: "Altuglas, mur anti-bruit", Juli 1991; D32: Prüfungszeugnis des staatlichen Materialprüfungsamtes Nordrhein-Westfalen (MPA NRW) vom 3. Januar 1989);
- dieses Argument übersehe aber auch, daß das Merkmal der Erfüllung dieses Feuerresistenz-Tests in keinem der Ansprüche 1 der verschiedenen Anträge enthalten sei und somit keine den beanspruchten Gegenstand einschränkende Wirkung habe und
- sei schließlich auch deshalb von fragwürdiger Relevanz, weil es allenfalls die Situation in Deutschland, nicht aber in den anderen benannten Vertragsstaaten betreffe.
v) Alternativ sei das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit ausgehend von D5 als nächstliegendem Stand der Technik auch deshalb zu verneinen, weil dem Fachmann aus einer Anzahl von Dokumenten (inter alia D12, D14, D17 und D24) bekannt gewesen sei, daß die Anwesenheit von Comonomereinheiten aus Alkylacrylat oder Styrol in Polymethylmethacrylat dessen thermische Stabilität erhöhe und somit dem Entstehen brennbarer Monomer-Spaltprodukte entgegenwirke. Daß diesfalls auf die Zugabe halogen- und phosphorhaltiger flammhemmender Zusätze verzichtet werden könne, verstehe sich von selbst oder sei äußerstenfalls das Ergebnis naheliegender Versuche.
VIII. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage der erteilten Ansprüche (Hauptantrag) oder auf der Grundlage des Hilfsantrags 1 oder des Hilfsantrags 2, eingereicht mit der Beschwerdebegründung.
Die Beschwerdegegnerinnen (Einsprechenden) beantragten die Zurückweisung der Beschwerde der Patentinhaberin.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Artikel 114 (2) EPÜ
Da weder die von der Beschwerdeführerin mit der Beschwerdebegründung vorgelegten Domumente D27 bis D29, noch die von der Beschwerdegegnerin 2 mit deren Schriftsatz vom 1. Dezember 1999 eingereichten Dokumente D30 und D31 entscheidungserheblich sind, werden sie entsprechend Artikel 114 (2) EPÜ nicht berücksichtigt.
3. Artikel 123 (2) und (3) EPÜ
3.1. Der Hauptantrag entspricht der erteilten Fassung, die Ansprüche 1 der Hilfsanträge 1 und 2 enthalten gegenüber dem Anspruch 1 des Hauptantrags als zusätzliches technisches Merkmal nur die Spezifizierung, daß das Acrylglas bzw. die Acrylglasscheiben extrudiert ist/sind. Dieses Merkmal ist durch Anspruch 4 der ursprünglichen Anmeldung bzw. des Patents gestützt.
3.2. Alle Anträge entsprechen somit Artikel 123 (2) EPÜ.
3.3. Während die im vorstehenden Absatz 3.1 erwähnte Spezifizierung zweifelsfrei eine den Schutzbereich einschränkende Wirkung hat, wurde von den Beschwerdegegnerinnen geltend gemacht, daß der Verwendungsanspruch des Hilfsantrags 2 den Schutzbereich gegenüber der erteilten Fassung erweitere, weil nunmehr schon das Feilhalten der zu verwendenden Acrylglasscheiben, jedenfalls nach der deutschen Rechtslage, eine unmittelbare Patentverletzung darstelle.
Dieser Meinung kann die Kammer schon deshalb nicht beitreten, weil die Beurteilung der Rechte des Patentinhabers, die sich aus dem Schutzbereich ableiten, nicht in die Kompetenz des EPA fällt. Die Trennung dieser beiden Aspekte ist ein z. B. in den Gründen 3.3 (zweiter Absatz) der Entscheidung der Großen Beschwerdekammer G 0002/88 (Abl. EPA 1990, 93) erwähntes Rechtsprinzip.
Was aber den Schutzbereich selbst betrifft, so kann die Kammer keinen Unterschied zwischen einer "Flammgeschützten Lärmschutzwand aus Acrylglas, bestehend aus Trägern und daran befestigten Acrylglasscheiben" und der "Verwendung von Acrylglasscheiben für flammgeschützte Lärmschutzwände, bestehend aus Trägern mit daran befestigten Scheiben aus Acrylglas" erkennen, weil der beanspruchte Gegenstand in beiden Fällen die zur Bildung der Lärmschutzwand erforderliche Kombination aus Acrylglasscheiben und Trägern umfaßt. Dem Wort "Verwendung" kommt nämlich im vorliegenden Fall nur die Bedeutung "Verwendung zur Bildung der genannten Kombination" und keine echte Wirkungsbedeutung des verwendeten Elements "Acrylglasscheiben" zu. Nur in letzterem Fall könnte die Verwendungsvereinzelung nur eines Elementes einer Elementenkombination (z. B. eines Stoffes einer pharmazeutisch wirksamen Stoffkombination) zu einem aliud führen.
3.4. Somit genügen sowohl der Hilfsantrag 1 als auch der Hilfsantrag 2 der Bedingung des Artikels 123 (3) EPÜ.
4. Neuheit
4.1. Hauptantrag und Hilfsantrag 1
4.1.1. Entgegenhaltung D5
Diese Entgegenhaltung faßt den Stand der Technik auf dem Gebiet der durchsichtigen Lärmschutzwände per November 1989 zusammen und offenbart, daß zu den Materialien, die sich seit Anfang der 80er Jahre entsprechend der Vorschrift ZTV-Lsw 88 (D9) bewährt haben auch "Plexiglas GS 237", ein gegossenes Acrylglas aus Polymethylmethacrylat gehört (Kasten in der unteren Hälfte der Seite 1510, erste Spalte, Zeilen 1 bis 6 und 28. bis 36). In der zweiten Spalte, Zeilen 8 bis 16 des Kastens ist angegeben: "(PMMA als extrudiertes Acrylglas wird z. Z. nicht für Lsw benutzt. Bisher wurde für extrudiertes Acrylglas noch nicht das für Lsw angestrebte Langzeitverhalten nachgewiesen. Molekulargewichte bis ca. 100000 möglich.)"
4.1.2. Die Beschwerdegegnerinnnen argumentieren, daß diese Feststellungen Lärmschutzwände aus extrudiertem Polymethylmethacrylat offenbarten, das wegen der für die Extrusion erforderlichen Thermoresistenz zwangsläufig ein Copolymerisat des Methylmethacrylats mit 1 bis 20. Gew.-% eines Alkylacrylats oder Styrols sei und auch keine halogen- und phosphorhaltigen flammhemmenden Zusätze enthalte. Folglich sei diese Offenbarung von D5 neuheitsschädlich.
4.1.3. Diese Argumente der Beschwerdegegnerinnen können aus mehreren Gründen nicht überzeugen.
i) Zunächst offenbart D5 explizit keine Lärmschutzwand mit Acrylglasscheiben aus extrudiertem Polymethylmethacrylat, sondern weist nur auf die Existenz solcher Materialien hin, mit der gleichzeitigen Feststellung, daß sie derzeit nicht für die Herstellung von Lärmschutzwänden verwendet werden. Diese Offenbarung stellt somit keinen Stand der Technik gemäß Artikel 54 (2) EPÜ dar, der "durch schriftliche Beschreibung, durch Benutzung oder in sonstiger Weise" eine Lärmschutzwand mit Acrylglasscheiben aus extrudiertem Polymethylmethacrylat bereits zugänglich macht. Vielmehr hält D5 die Verwendung extrudierten Polymethylmethacrylats für Lärmschutzwände offenbar zwar für möglich (und macht diese Offenbarung dadurch äußerst relevant für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit), aber erst nachdem sein ausreichendes Langzeitverhalten sichergestellt ist.
ii) Auch die Feststellung der Beschwerdegegnerinnen, daß extrudiertes Polymethylmethacrylat zwangsläufig comonomer-haltig (im Sinne des vorliegenden Anspruchs 1) sein muß, kann im Lichte von D12 nicht aufrechterhalten werden.
Diese Entgegenhaltung offenbart thermoplastisch verarbeitbare Polymethylmethacrylate, die in Gegenwart eines Kettenüberträgers, z. B. eines Mercaptans, hergestellt werden (Anspruch 1; Spalte 4, Zeilen 21 bis 33) und die zwar bis zu 20. Gew.-% eines Comonomers (darunter Ester der Acrylsäure und Styrol: Spalte 5, Zeilen 31 bis 44) enthalten können, die aber, wie die Beispiele 1 bis 5 zeigen, solche Comonomere zur Erreichung guter Thermoverformbarkeit und Thermostabilität (Beispiele 1 und 2: 305 C; Beispiel 5: 310 C) nicht enthalten müssen. Das Vergleichsbeispiel 7 von D12 zeigt sogar, daß bei Einsatz von 2 % Methylacrylat als Comonomer, aber ohne die Verwendung eines Kettenüberträgers, nur eine äußerst unbefriedigende Thermostabilität von 155 C erreicht wird.
Diese Offenbarung stützt somit das Argument der Patentinhaberin, wonach die Thermoverformbarkeit und die Extrudierbarkeit von Polymethylmethacrylat (die Beispiel 2 von D12 beschreibt) nicht nur durch Einbau bestimmter Comonomere, sondern auch durch die Verwendung von Kettenüberträgern, samt der damit verbundenen Reduktion des Molekulargewichts, erreichbar ist. Dieser Umstand wird nicht nur durch die Aussagen im Streitpatent selbst bestätigt (Spalte 2, Zeile 55 bis Spalte 3, Zeile 46), sondern weist auch eine gewisse Plausibilität im Zusammenhang mit dem in D5 für extrudiertes PMMA mit "bis ca. 100000" angegebenen (niedrigen) Molekulargewicht auf (cf. Punkt 4.1.1 supra).
Somit erlaubt die Qualifikation des Acrylglases in D5 als "extrudiert" nicht mit der für eine Neuheitsvorwegnahme notwendigen Sicherheit, daß damit ein Polymethylmethacrylat mit 1 bis 20. Gew.-% eines Alkylacrylats oder Styrols als Comonomer gemeint ist.
Diese Schlußfolgerung behielte selbst dann Gültigkeit, wenn die nicht belegte Feststellung der Beschwerdegegnerinnen zuträfe, daß der überwiegende Teil der am Markt befindlichen extrudierten Polymethylmethacrylat-Qualitäten tatsächlich in dieser Weise comonomer-modifiziert sein sollte, weil das Konzept der Neuheit gemäß EPÜ an eine eindeutige Vorbeschreibung gebunden ist (Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 3. Auflage, Seite 78, Punkt 3. "Beurteilung der Neuheit", 2. Absatz).
iii) Schließlich überzeugt auch das Argument der Beschwerdegegnerinnen nicht, wonach die in D5 angesprochenen extrudierten Acrylglasscheiben zwangsläufig keine halogen- und phosphorhaltigen flammhemmenden Zusätze enthielten, da D5 diesbezüglich nicht nur keine positive Aussage enthält, sondern sogar feststellt: "Plexiglas-Sorten mit flammhemmender Ausrüstung sind bereits seit Ende der 60er Jahre in der Außenanwendung." (Kasten in der unteren Hälfte der Seite 1510, zweite Spalte, Zeilen 21 bis 25). Diese Aussage kann zwar nicht in der Weise interpretiert werden, daß sie sich auch auf die Verwendung von extrudiertem Acrylglas erstreckt, läßt aber immerhin offen, ob dieses Material einer flammhemmenden Ausrüstung bedarf. Somit fehlt in D5 auch bezüglich dieses "negativen" Merkmals eine eindeutige Offenbarung.
4.2. Hilfsantrag 2
Der Gegenstand dieses Verwendungsanspruchs ist aus den in vorstehendem Punkt 4.1 ausgeführten Gründen ebenfalls neu.
Die Neuheit des Gegenstandes dieses Anspruchs ist, im Gegensatz zur Auffassung der Beschwerdegegnerinnen, auch nicht durch Entgegenhaltungen beeinträchtigt, die zwar Polymethylmethacrylat-Copolymere mit bis zu 20 % (m/m) Acrylestern beschreiben (z. B. D10, Punkt 3.1), die aber den Einsatz solcher Materialien für Lärmschutzwände aus an Trägern befestigten Acrylglasscheiben nicht offenbaren, denn diese Merkmalskombination charakterisert auch diesen Verwendungsanspruch (cf. Punkt 3.3 supra).
4.3. Die Gegenstände aller Anträge sind somit neu gegenüber dem zitierten Stand der Technik.
5. Erfinderische Tätigkeit, alle Anträge
5.1. Die Entgegenhaltung D5 stellt den nächstliegenden Stand der Technik dar.
Wie in obigem Punkt 4.1.1 ausgeführt, offenbart D5 Lärmschutzwände mit Acrylglasscheiben aus gegossenem Polymethylmethacrylat, von denen gemäß der in Punkt 4.1.3 iii) zitierten Aussage anzunehmen ist, daß sie flammhemmend ausgerüstet sind. Diese Interpretation des Offenbarungsinhaltes von D5 entspricht der aller Parteien, wobei auch Einvernehmen darüber bestand, daß halogen- und phosphorhaltige flammhemmende Zusätze übliche Mittel zur Flammfestausrüstung sind.
5.2. Demgegenüber bestand patentgemäß die Aufgabe, weitere Acrylglasscheiben bereitzustellen, die sich für den Einsatz in Lärmschutzwänden eignen.
5.3. Gelöst wird diese Aufgabe laut Streitpatent durch die Verwendung von Acrylglasscheiben, die wenigstens an den Oberflächen der Scheiben aus einem Copolymerisat des Methylmethacrylats mit 1 bis 20 Gew.-% eines Alkylacrylats oder Styrols bestehen und die frei von halogen- und phosphorhaltigen flammhemmenden Zusätzen sind.
5.4. Gemäß den Beispielen 1 bis 3 der Patentschrift erfüllen so beschaffene Acrylglasscheiben den in Spalte 1, Zeilen 41 bis 54 beschriebenen Brandtest, der dem gemäß Abschnitt 7.2.6 der ZTV-Lsw 88 (D9) entspricht. Es ist auch glaubhaft (und wurde im Laufe des Verfahrens nie in Frage gestellt), daß Lärmschutzwände, die mit solchen Acrylglasscheiben aufgebaut sind, bei geeigneter Dimensionierung alle anderen Anforderungen erfüllen, die an durchsichtige Lärmschutzwände gestellt werden, so daß die vorliegenden technische Aufgabe als gelöst betrachtet werden kann.
5.5. Diese Aufgabelösung beruht aber, wie im folgenden gezeigt wird, nicht auf erfinderischer Tätigkeit.
5.5.1. Dieser Schluß folgt einerseits daraus, daß D5 bereits auf die mögliche Eignung von extrudierten Acrylglasscheiben für Lärmschutzwände hinweist und anderseits daraus, daß D20 extrudiertes Plexiglas(R)XT offenbart, das gemäß den Aussagen auf Seite 4 der Beschwerdebegründung erfindungsgemäß ist.
5.5.2. Auf dieser Seite 4 argumentiert die Beschwerdeführerin nämlich unter Hinweis auf die in diesem Verfahren selbst nicht zu berücksichtigenden Dokumente D27, D28 und D29 (cf. Punkt 2 supra), daß extrudiertes Plexiglas(R)XT, von dem die erfindungsgemäßen [sic: 2. Absatz] Lärmschutzwände Gebrauch machen, zwar nach DIN 4102 ebenso wie gegossenes Plexiglas(R)GS nur der Klasse B2 "normalentflammend" angehöre, daß es aber überraschenderweise den Brandtest nach ZTV-Lsw 88 erfülle.
5.5.3. Die Beschwerdeführerin gibt somit in der Beschwerdebegründung selbst bekannt, daß das Plexiglas(R)XT, das in D20 beschrieben ist, "erfindungsgemäß" ist, d. h. aus einem Copolymerisat des Methylmethacrylats mit 1 bis 20 Gew.-% eines Alkylacrylats oder Styrols besteht und frei von halogen- und phosphorhaltigen flammhemmenden Zusätzen ist.
Die Argumentation der Beschwerdeführerin, aus der in D20 offenbarten Bezeichnung Plexiglas(R)XT ließe sich das nicht ableiten, weil es sich dabei um einen Oberbegriff für extrudiertes Plexiglas(R) handle, der verschiedene Typen einschließe, kann die vorstehende Schlußfolgerung schon deshalb nicht beeinträchtigen, weil die Beschwerdeführerin auf der genannten Seite 4 der Beschwerdebegründung ebenfalls nur diesen Begriff Plexiglas(R)XT verwendet und somit zu erkennen gibt, daß eventuelle Typenvariationen innerhalb dieser Bezeichnung jedenfalls auf die anspruchsgemäße Charakterisierung der Acrylglasscheiben keinen Einfluß haben.
5.5.4. Da somit aus D20 comonomer-haltige Acrylglasscheiben ohne halogen- und phosphorhaltige Zusätze bekannt sind, stellt sich die Frage, ob es naheliegend ist, diese anstelle der aus D5 bekannten gegossenen, comonomer-freien Acrylglasscheiben in Lärmschutzwänden einzusetzen.
5.5.5. Die Tatsache, daß D5 bereits auf die Existenz extrudierter Acrylglasscheiben als mögliche Alternative zu gegossenen Acrylglasscheiben hinweist, kann vom Fachmann nur als Anregung verstanden werden, verfügbare extrudierte Acrylglasscheiben auf ihre Eignung für die Herstellung von Lärmschutzwänden zu testen, wobei eine solche Eignung offensichtlich jedenfalls für möglich gehalten wird.
5.5.6. Bei diesem Sachverhalt bedurfte es keines erfinderischen Aufwands, das aus D20 bekannte Plexiglas(R)XT als Material für durchsichtige Lärmschutzwände zu testen.
5.5.7. Diese Schlußfolgerung kann durch den Hinweis in D5 auf den noch fehlenden Nachweis des Langzeitverhaltens von extrudierten Acrylglasscheiben ebensowenig außer Kraft gesetzt werden, wie durch die in D5 diesbezüglich nicht explizit angesprochene Frage ihres Brandverhaltens, denn einserseits fehlen Hinweise darauf, daß der Fachmann a priori hätte annehmen müssen, daß Plexiglas(R)XT diesen Kriterien nicht gerecht werden kann und anderseits gehört die Durchführung von Tests für die Praxistauglichkeit einer vermuteten Lösung zu seinen Routineaufgaben.
5.5.8. Bezüglich des Brandverhaltens haben die Beschwerdegegnerinnen darüber hinaus zu Recht darauf hingewiesen, daß die in Punkt VI iii) supra wiedergegebene Argumentation der Beschwerdeführerin, wonach der Fachmann extrudierte, comonomer-haltige Acrylglasscheiben wegen ihrer niedrigen Qualifikation B2 nach DIN 4102 überhaupt nicht nach Abschnitt 7.2.6 der ZTV-Lsw 88 (D9) auf Feuerresistenz getestet hätte, von D9 in Abschnitt 3.5.4 durch die Angabe widerlegt wird: "Der Nachweis der Feuerresistenz ist nach Abschnitt 7.2.6 zu führen, falls nicht alle im Element verwendeten Materialien die Anforderungen an Baustoffe der Klasse A oder B1 nach DIN 4102 erfüllen."
5.5.9. Aufgrund der Tatsache, daß das aus D20 bekannte Plexiglas(R)XT frei von halogen- und phosphorhaltigen flammhemmenden Zusätze ist, ergäbe sich eine andere Schlußfolgerung bezüglich der erfinderischen Tätigkeit auch nicht, wenn die in Punkt 5.2 supra formulierte Aufgabe gemäß dem Vorschlag der Beschwerdeführerin durch die Teilaufgabe "ohne die bekannten halogen- und phosphorhaltigen flammhemmenden Zusätze," ergänzt würde (Beschwerdebegründung Seite 2, 2. Absatz von unten), weil die Feuerresistenz dieses Materials Plexiglas(R)XT ja der ZTV-Lsw 88 entspricht und eine Zugabe von flammhemmenden Zusätzen somit a priori unnötig ist.
Selbst wenn sich der Fachmann aber im Unklaren wäre, ob comonomer-haltiges Polymethylmethacrylat zur Erfüllung des ZTV-Lsw 88-Standards zusätzlich flammgeschützt werden muß, bedürfte es zur Verifizierung dieses Sachverhalts nur eines routinemäßigen Versuchs.
5.6. Da Anspruch 1 des 1. Hilfsantrags sich vom entsprechenden Anspruch des Hauptantrags nur durch die Spezifizierung der Acrylglasscheiben als "extrudiert" unterscheidet (ein Merkmal das durch das in D20 offenbarte Plexiglas(R)XT erfüllt ist) und Anspruch 1 des 2. Hilfsantrags nur eine sprachliche Umformulierung von Anspruch 1 des 1. Hilfsantrags darstellt, gilt somit, daß die Gegenstände aller dieser Ansprüche nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhen.
5.7. Aufgrund der Feststellung des Fehlens einer erfinderischen Tätigkeit in den vorstehenden Punkten 5.1 bis 5.6 erübrigt es sich auf die in Punkt VII v) supra dargestellte Alternativargumentation der Beschwerdegegnerinnen, die die Kammer im übrigen zum selben Ergebnis führt, näher einzugehen.
6. Da über Anträge nur insgesamt entschieden werden kann, folgt aus der Tatsache, daß die jeweiligen Ansprüche 1 von Hauptantrag, Hilfsantrag 1 und Hilfsantrag 2 die Bedingung des Artikels 56 EPÜ nicht erfüllen, daß diese Anträge insgesamt nicht gewährbar sind und die Beschwerde daher keinen Erfolg haben kann.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.