Wenn ein Patent für eine computerimplementierte Erfindung
keine Auflistung des Programmcodes ist, wie würde ein solches Patent dann
aussehen? Was würde es offenbaren?
Patente auf CII umfassen Ansprüche auf Computer, Computernetze
oder andere programmierbare Vorrichtungen, wobei mindestens ein Merkmal durch
ein Computerprogramm realisiert wird. Betrifft die Erfindung Software, die in
einen Speicher geladen, über ein Netzwerk übertragen oder auf einem Datenträger
verbreitet werden kann, so kann es neben einem Anspruch auf ein
computerimplementiertes Verfahren auch einen Anspruch auf ein
"Computerprogramm" oder "Computerprogrammprodukt" geben.
Zwar sind bei solchen Erfindungen unterschiedliche Anspruchsstrukturen möglich,
doch beginnt der Anspruchssatz in der Regel mit einem Verfahrensanspruch, der
die von einem Computer oder anderen Datenverarbeitungsmitteln für Software
ausgeführten Schritte definiert, um die gewünschte technische Wirkung zu
erzielen.
Ein häufiger Typ von CII-Patenten betrifft Gegenstände, bei
denen sämtliche Verfahrensschritte
vollständig durch Computerprogrammbefehle ausgeführt werden können, die
z. B. auf einem PC, den Prozessoren in einem Smartphone oder einem Drucker
laufen. Andere Arten von CII-Patenten betreffen Erfindungen, bei denen
bestimmte Verfahrensschritte außerhalb
eines Computers durchgeführt werden und spezifische technische Mittel wie etwa
ein Sensor erforderlich sind. Bei einem Verfahren zum automatischen Bremsen in
einem selbstfahrenden Fahrzeug etwa messen Sensoren die Distanz zum
vorausfahrenden Fahrzeug, und die von den Sensoren empfangenen und erzeugten
Signale werden zur Steuerung des Bremsprozesses verwendet. Physische
Vorrichtungen wie Sensoren liefern Input und Output für die Erfindung, doch die
Entscheidungen zum Funktionieren der Vorrichtungen werden von einem Computer
anhand von Parametern und Instruktionen, d. h. Software getroffen. Ein
Patent für eine solche Erfindung würde die Kombination aus Vorrichtungen und
dem das neue Verfahren ausführenden Computer schützen.
Während mechanische Erfindungen in Patenten mithilfe
technischer Zeichnungen dargestellt werden, enthält ein CII-Patent oft ein
Flussdiagramm für das Verfahren, in dem die Entscheidungsschritte sowie
Interaktionen mit Vorrichtungen und externe Inputs und Outputs dargestellt
sind. Für das oben genannte Verfahren kann das Flussdiagramm zum automatischen
Bremsen in einem selbstfahrenden Fahrzeug wie folgt aussehen:
Abbildung: Flussdiagramm für ein automatisches Bremssystem in einem selbstfahrenden Fahrzeug
Beispiele für Anspruchsformulierungen:
i) Verfahrensanspruch (Anspruch 1)
- Computerimplementiertes
Verfahren, umfassend die Schritte A, B, ...
- Von einem
Computer ausgeführtes Verfahren, umfassend die Schritte A, B, ...
ii) Vorrichtungs-/Systemanspruch (Anspruch 2)
- Vorrichtung/System
zur Datenverarbeitung, umfassend Mittel zur Ausführung [der Schritte] des
Verfahrens nach Anspruch 1.
- Vorrichtung/System
zur Datenverarbeitung, umfassend Mittel zur Ausführung von Schritt A,
Mittel zur Ausführung von Schritt B, ...
- Vorrichtung/System
zur Datenverarbeitung, umfassend einen Prozessor, der so
angepasst/konfiguriert ist, dass er das Verfahren/die Schritte des
Verfahrens nach Anspruch 1 ausführt.
iii) Anspruch auf ein Computerprogramm[produkt]
(Anspruch 3)
- Computerprogramm[produkt],
umfassend Befehle, die bei der Ausführung des Programms durch einen
Computer diesen veranlassen, das Verfahren/die Schritte des Verfahrens
nach Anspruch 1 auszuführen.
- Computerprogramm[produkt],
umfassend Befehle, die bei der Ausführung des Programms durch einen
Computer diesen veranlassen, die Schritte A, B, ... auszuführen.
iv) Anspruch auf ein computerlesbares (Speicher)medium/einen
computerlesbaren Datenträger (Anspruch 4)
- Computerlesbares
(Speicher)medium, umfassend Befehle, die bei der Ausführung durch einen
Computer diesen veranlassen, das Verfahren/die Schritte des Verfahrens
nach Anspruch 1 auszuführen.
- Computerlesbares
(Speicher)medium, umfassend Befehle, die bei der Ausführung durch einen
Computer diesen veranlassen, die Schritte A, B, ... auszuführen.
- Computerlesbarer
Datenträger, auf dem das Computerprogramm[produkt] nach Anspruch 3
gespeichert ist.
- Datenträgersignal,
das das Computerprogramm[produkt] nach Anspruch 3 überträgt.
Beispielansprüche für eine
Erfindung, bei der bestimmte Verfahrensschritte außerhalb eines Computers durchgeführt werden und spezifische
technische Mittel erforderlich sind
1 Verfahren zum Steuern des Bremsprozesses in einem
Fahrzeug, umfassend:
Empfangen von Signalen in einer Steuervorrichtung, die von
Sensoren kommen, die so eingerichtet sind, dass ein Blockieren der Räder
erkannt wird, während auf die Bremsen des Fahrzeugs Druck ausgeübt wird,
Steuern des Bremsdrucks durch Betätigen der Steuervorrichtung,
um die Räder abwechselnd zu blockieren und zu deblockieren,
sodass ein dauerhaftes Blockieren der Räder verhindert wird.
2 System zum Steuern des Bremsprozesses in einem Fahrzeug,
wobei das System Sensoren und eine Steuervorrichtung umfasst, die Sensoren so
eingerichtet sind, dass während eines Bremsvorgangs das Blockieren der Räder
erkannt wird und entsprechende Signale erzeugt werden, die Steuervorrichtung
während des Bremsvorgangs so eingerichtet ist, dass die Signale empfangen und
der Bremsdruck gesteuert wird, um die
Räder abwechselnd zu blockieren und zu deblockieren, sodass ein dauerhaftes
Blockieren der Räder verhindert wird.
3 Computerprogramm(produkt), umfassend Instruktionen, die
beim Laden und Laufen auf dem System nach Anspruch 2 dazu führen, dass die
Steuervorrichtung die entsprechenden Schritte nach Anspruch 1 durchführt.
4 Computerlesbares Medium, auf dem das
Computerprogramm(produkt) nach Anspruch 3 gespeichert ist.
Anmerkungen: Das Verfahren weist Schritte auf, die durch spezifische
technische Mittel (die Sensoren und die Steuervorrichtung) ausgeführt werden,
die daher im Vorrichtungsanspruch definiert werden müssen, weil sie wesentliche
Merkmale für die Ausführung des Verfahrens darstellen. In diesem Beispiel kann
im Vorrichtungsanspruch auf den Verfahrensanspruch 1 Bezug genommen
werden, weil klar ist, wie die Mittel zur Ausführung dieses Verfahrens
umzusetzen sind. Ein Computerprogramm, in dem nur auf Anspruch 1 Bezug
genommen wird, wäre dagegen nicht gestützt, weil ein solches Programm
z. B. auf einem Universalrechner, der keine Sensoren und keine
Steuervorrichtung aufweist, nicht ausgeführt werden könnte. Daher muss aus dem
Programmanspruch klar hervorgehen, dass das Programm auf dem spezifischen
System nach Anspruch 2 auszuführen ist.
Ausgangspunkt für die Beurteilung der Patentierbarkeit
computerimplementierter Erfindungen ist die grundlegende Vorschrift, wonach ein
Patent für Erfindungen auf allen Gebieten der Technik zu erteilen ist, sofern
sie neu, erfinderisch, gewerblich anwendbar und nicht ausdrücklich vom
Patentschutz ausgeschlossen sind. Nach Artikel
52 EPÜ werden bestimmte Gegenstände nicht als
patentierbare Erfindung betrachtet, so z. B. Entdeckungen,
wissenschaftliche Theorien und mathematische Methoden, ästhetische Formschöpfungen,
Pläne, Regeln und Verfahren für gedankliche Tätigkeiten, für Spiele oder für
geschäftliche Tätigkeiten sowie Programme für Datenverarbeitungsanlagen und die
Wiedergabe von Informationen.
Patentschutz für technische
Schöpfungen
Im EPÜ werden zwar die Erfordernisse der Neuheit, der
erfinderischen Tätigkeit und der gewerblichen Anwendbarkeit relativ ausführlich
dargelegt (Art. 54,
56
und 57
EPÜ), eine rechtliche Definition des Begriffs "Erfindung" fehlt
hingegen. Es entspricht jedoch europäischer Rechtstradition seit den Anfängen
des Patentsystems, dass der Patentschutz technischen Schöpfungen vorbehalten
ist. Die Rechtsgrundlage für dieses Erfordernis ist in Artikel 52 und in
den Regeln
42 und 43 EPÜ enthalten sowie in der einschlägigen
Rechtsprechung der EPA-Beschwerdekammern. Der
Gegenstand des Schutzbegehrens muss daher "technischen Charakter"
aufweisen oder, genauer gesagt, eine "Lehre zum technischen Handeln"
beinhalten, d. h. eine an den Fachmann gerichtete Anweisung, mit bestimmten
technischen Mitteln eine bestimmte technische Aufgabe zu lösen.
Die von der Erfindung gelöste Aufgabe muss daher eine
technische sein und nicht etwa eine rein finanzwirtschaftliche, kaufmännische,
kognitive oder mathematische Aufgabe. Diese Bedingung muss erfüllt sein, damit
die Erfindung nicht von der Patentierbarkeit ausgeschlossen ist.
Eine Definition der "Erfindung" ist im EPÜ nicht
zu finden; dafür enthält es aber eine nicht erschöpfende Auflistung von
Gegenständen und Tätigkeiten, die nicht als "Erfindungen" gelten,
darunter z. B. "Programme für Datenverarbeitungsanlagen". Hier ist zu
betonen, dass die aufgelisteten Gegenstände und Tätigkeiten nur dann
ausgeschlossen sind, wenn sich die europäische Patentanmeldung oder das
europäische Patent auf die genannten Gegenstände oder Tätigkeiten "als
solche" bezieht.
Insbesondere ist ein beanspruchtes Computerprogramm nicht
von der Patentierung ausgeschlossen, wenn das auf einem Computer laufende oder
in einen Computer geladene Programm einen technischen Effekt bewirkt oder bewirken
kann, der über die "normale" physikalische Wechselwirkung zwischen
dem Programm (Software) und dem Computer (Hardware), auf dem es läuft,
hinausgeht. Die normalen physikalischen Wirkungen der Ausführung eines
Programms, z. B. elektrische Ströme, reichen allein noch nicht aus, um
einem Computerprogramm technischen Charakter zu verleihen; eine weitere
technische Wirkung ist erforderlich. Diese weitere technische Wirkung kann im
Stand der Technik bekannt sein.
Die Rechtsprechung der
Beschwerdekammern
Im Bereich der computerimplementierten Erfindungen haben die
Beschwerdekammern in zahlreichen Entscheidungen die im EPÜ verankerten Vorschriften
zum Begriff der "Erfindung" ausgelegt und auf diese Weise
Anhaltspunkte dafür geliefert, was patentierbar ist. Nach der Rechtsprechung
des EPA ist die Steuerung oder Ausführung eines technischen Verfahrens nicht
von der Patentierbarkeit ausgeschlossen, unabhängig davon, ob das Verfahren
mithilfe von Hardware oder von Software durchgeführt wird.
Ob das Verfahren mittels spezieller Schaltkreise oder
mittels eines Computerprogramms durchgeführt wird, hängt von wirtschaftlichen
und technischen Faktoren ab; die Patentfähigkeit sollte nicht allein mit der
Begründung verneint werden, dass ein Computerprogramm eingesetzt wird.
Eine besondere Anspruchsform für den Schutz
computerimplementierter Erfindungen lautet "Computerprogramm/Computerprogrammprodukt". Sie wurde
eingeführt, um einen besseren rechtlichen Schutz für Computerprogramme zu
schaffen, die auf einem Datenträger verbreitet werden und nicht Teil eines
Computersystems sind.
Diese Anspruchsform ist nicht zu verwechseln mit dem Begriff
"Computerprogramm" im Sinne einer Liste von Befehlen. Ein Gegenstand,
der in dieser Form beansprucht wird, ist nicht von der Patentierbarkeit
ausgeschlossen, wenn das aus der Umsetzung des entsprechenden Verfahrens
hervorgehende, auf einem Computer laufende oder in einen Computer geladene
Computerprogramm eine "weitere technische Wirkung" hervorbringen
kann, die über die "normale" physikalische Wechselwirkung zwischen
dem Computerprogramm und der Computerhardware, auf der es läuft, hinausgeht.
Die normalen physikalischen Wirkungen der Ausführung eines
Programms, z. B. elektrische Ströme, reichen allein noch nicht aus, um
einem Computerprogramm technischen Charakter zu verleihen; eine weitere
technische Wirkung ist erforderlich. Würde das Erfordernis einer weiteren technischen
Wirkung fallen gelassen und würde jedes Computerprogramm als Erfindung
betrachtet, würde dies den Ausschluss der meisten in Artikel 52
EPÜ genannten
Gegenstände praktisch umgehen. In der Praxis wären dann Gegenstände
wie Geschäftsmethoden, mathematische Methoden oder Verfahren für gedankliche
Tätigkeiten patentierbare Erfindungen, sofern sie als Computerprogramm
implementiert würden. Das Erfordernis einer weiteren technischen Wirkung bei
Computerprogrammen dient genau diesem Zweck, nämlich der Konformität mit Artikel 52
EPÜ und ermöglicht gleichzeitig die
Patentierung technischer Erfindungen, die ganz oder teilweise als
Computerprogramme implementiert werden.
Diese weitere technische Wirkung kann z. B. in der
Steuerung eines industriellen Prozesses, der Arbeitsweise eines Geräts oder in
der internen Funktionsweise des Computers selbst unter dem Einfluss des
Programms zu finden sein (z. B. Speicherorganisation, Steuerung der
Programmausführung).
Beispielsweise kann ein Verfahren zur Kodierung von
Audiodaten in einem Kommunikationssystem dazu dienen, durch Kanalrauschen
bedingte Verzerrungen zu verringern. Auch wenn der diesem Verfahren zugrunde
liegende Gedanke auf einer mathematischen Methode beruht, ist das
Kodierungsverfahren insgesamt keine mathematische Methode "als
solche" und damit nicht nach Artikel 52 (2) a)
und (3) EPÜ von
der Patentierbarkeit ausgeschlossen. Ebenso kann ein
Verfahren zum Verschlüsseln/Entschlüsseln oder Signieren von elektronischen
Nachrichten als technisches Verfahren angesehen werden, selbst wenn es sich
wesentlich auf mathematische Verfahren stützt.
Nicht patentierbar sind dagegen "Pläne, Regeln und
Verfahren für (...) geschäftliche Tätigkeiten", während ein neues Verfahren
zur Lösung einer technischen und nicht rein kaufmännischen,
finanzwirtschaftlichen, kognitiven oder administrativen Aufgabe durchaus
patentierbar sein kann.
Rechtsprechung der
EPA-Beschwerdekammern und die Prüfungspraxis
Die derzeitige Praxis des EPA ist in zwei maßgeblichen
Entscheidungen der Beschwerdekammern festgelegt: T 641/00 (Zwei
Kennungen/COMVIK) vom 26.9.2002 und T 258/03 (Auktionsverfahren/HITACHI)
vom 21.4.2004. In der ersten entschied die Kammer wie folgt:
"Bei einer Erfindung, die aus einer Mischung
technischer und nichttechnischer Merkmale besteht und als Ganzes technischen
Charakter aufweist, sind in Bezug auf die Beurteilung des Erfordernisses der
erfinderischen Tätigkeit alle Merkmale zu berücksichtigen, die zu diesem
technischen Charakter beitragen, wohingegen Merkmale, die keinen solchen
Beitrag leisten, das Vorliegen erfinderischer Tätigkeit nicht stützen
können."
In der zweiten heißt es:
"Ein Verfahren, das technische Mittel umfasst, ist eine
Erfindung im Sinne des Artikels 52 (1) EPÜ."
Infolge dieser beiden Entscheidungen ist der heutige Ansatz
im Wesentlichen ein zweistufiges Verfahren. Im ersten Schritt wird mehr oder
wenig formell das Erfordernis des technischen Charakters behandelt. Im zweiten
Schritt hingegen werden die Merkmale der beanspruchten Erfindung untersucht,
und es wird klargestellt, dass erfinderische Tätigkeit nur durch technische
Merkmale gestützt wird.
Im Einzelnen wird im ersten Schritt beurteilt, ob der
beanspruchte Gegenstand eine Erfindung im Sinne des Artikels 52 EPÜ ist.
Bei Vorrichtungsansprüchen ist dies immer der Fall. Bei Verfahrensansprüchen
gilt der Anspruch dann als Erfindung nach Artikel 52 EPÜ, wenn er
technische Mittel umfasst (z. B. die Nutzung eines Computers oder des
Internets). Ist dies der Fall, erfolgt im zweiten Schritt eine Beurteilung der
verbleibenden Erfordernisse des EPÜ (Neuheit, erfinderische Tätigkeit).
Im zweiten Schritt dieses Ansatzes lässt die
Prüfungsabteilung bei der Beurteilung, ob Neuheit und erfinderische Tätigkeit
vorliegen, alle Merkmale außer Acht, die nicht zum technischen Charakter der
beanspruchten Erfindung beitragen.
Die derzeitige Praxis wurde in zwei weiteren Entscheidungen
der Beschwerdekammern bestätigt:
In T 930/13 (Virtuelles Mobilkommerz-Bezahlsystem/QUALCOMM)
vom 2.3.2017 wurde bestätigt, dass finanzielle und/oder administrative Merkmale
im Anspruch das Vorliegen erfinderischer Tätigkeit nicht stützen können.
In T 2330/13 (Prüfung von Auswahlbedingungen in einem
Produktkonfigurationssystem/SAP) vom 9.5.2018 wurde bestätigt: Auch wenn die
durch den Hauptanspruch ausgeführte Aufgabe nichttechnischer Art ist, können
die spezifischen technischen Merkmale des Rechenverfahrens, das die Aufgabe
ausführt, zum technischen Charakter der Erfindung beitragen und damit das
Vorliegen von erfinderischer Tätigkeit stützen.