J 0023/82 (Auswahl unter Benennungen) 28-01-1983
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1. Kommt es bei einer Entscheidung gem. R. 69(2) EPÜ auf die Üeberprüfung der Rechtzeitigkeit einer Zahlung an, so genügt es nicht festzustellen, welches Zahlungsdatum in der EDV-Anlage gespeichert ist. Vielmehr sind die Unterlagen, die Grundlage für die Kodierung der EDV- Anlage waren, in Ablichtung zu den Akten zu nehmen und zu überprüfen.
2. Werden Benennungsgebühren erst nach Beginn der Nachfrist gem. R. 85a EPÜ gezahlt, so kann als Wille des Anmelders angenommen werden, daß er Benennungsgebühren in der Höhe zahlen will, die sich durch den Zuschlag gem. R. 85a EPÜ ergibt.
3. Reicht der für Benennungsgebühren innerhalb der Fristen von Art. 79(2) Satz 2 oder R. 85a gezahlte Betrag unter Berücksichtigung der während der jeweiligen Frist erforderlichen Gebührenhöhe nicht für alle bei der Zahlung benannten Vertragsstaaten aus, so ist der Einzahler gem. Art. 7(2) Satz 1 GebO aufzufordern, die von ihm gewünschten Staaten auszuwählen. Art. 9(2) ist statt Art. 7(2) GebO anzuwenden, wenn der Einzahler der Aufforderung gem. Art 7(2) Satz 1 GebO nicht rechtzeitig nachkommt.
Auswahl unter Benennungen
Benennungen - Auswahl bei unzureichender Gebührenzahlung
Rechtzeitigkeit von Zahlungen - Überprüfung durch Heranziehen der Belege
I. Die Beschwerdeführerin reichte am 28. April 1982 eine europäische Patentanmeldung unter Beanspruchung einer Priorität vom 3. Juni 1981. Benennung von zehn Vertragsstaaten sowie Zahlung von Anmelde- und Recherchengebühr ein. Später wurde - wie einem Schreiben der Beschwerdeführerin vom 2. September 1982 und seinen Anlagen zu entnehmen ist - dem EPA ein Firmenformular "Bankanweisung" mit dem Datum vom 2. Juni 1982 zugesandt. In einer Anlage dazu befanden sich ein Scheck über 2 080 DM und ein weiteres Firmenformular "Buchungsanweisung", in dem dieser Betrag als Benennungsgebühr für acht namentlich bezeichnete Vertragsstaaten der ursprünglich benannten zehn bezeichnet wird. In einem Ausdruck der EDV-Anlage des EPA ist als Zahlungstag der acht Benennungsgebühren von 260 DM der 4. Juni 1982 angegeben. Durch Mitteilung vom 16. Juni 1982 wurde die Beschwerdeführerin darauf aufmerksam gemacht, daß gem. R. 85a EPÜ noch die Möglichkeit besteht, die Benennungsgebühren innerhalb einer Nachfrist von zwei Monaten, beginnend am 4. Juni 1982, wirksam mit einer Zuschlagsgebühr von 50%, höchstens jedoch 1.035 DM zu entrichten, andernfalls die Anmeldung als zurückgenommen gelten würde. Eine Mitteilung, daß die letztgenannte Rechtsfolge eingetreten ist, erging sodann am 30. August 1982. Daraufhin bat die Beschwerdeführerin mit Schreiben von 2. September 1982, eingegangen am 4. September 1982, unter näheren Darlegungen und Beifügung der bereits genannten Anlagen darum, "die Angelegenheit nochmals zu überprüfen."
II. Am 24. September 1982 erging eine Entscheidung der Eingangsstelle des EPA, die ursprünglich den Tenor trug: "Der Antrag auf Rückzahlung wird abgelehnt." Dieser Tenor wurde - nach Beschwerdeerhebung - unter Berufung auf R. 89 EPÜ berichtigt in Der Antrag auf Aufhebung der Feststellung gem. R. 69(1) EPÜ vom 30. August 1982 wird abgelehnt." Erst durch diese Berichtigung erhält die Entscheidung vom 24. September 1982 eine ausdrückliche Bezugnahme auf R. 69.
III. Gegen die Entscheidung der Eingangsstelle des EPA von 24. September 1982 legte die Beschwerdeführerin am 5. Oktober 1982 eine mit einer Begründung versehene Beschwerde ein und zahlte die Beschwerdegebühr am 4. November 1982. Zur Begründung führte sie aus, daß der zwar verspätet, aber innerhalb der Nachfrist gem. R. 85a EPÜ gezahlte und für acht Staaten bestimmte Betrag an Benennungsgebühren von 2 080 DM gem. Art. 9(2) GebO als eine Summe von mit Zuschlag gezahlten Benennungsgebühren anzusehen sei. Dies führe dazu, daß - in der Reihenfolge der Benennungen - je 390 DM (260 DM + 50%) für eine nach R. 85a EPÜ wirksame Benennung ausreichten. Dementsprechend seien die ersten fünf Staaten durch Zahlung gem. R. 85a EPÜ i.V.m. Art. 9(2) GebO wirksam benannt. Die Beschwerdeführerin beantragt sinngemäß.
1. die Anmeldung für die ersten fünf der benannten Vertragsstaaten weiterzubehandeln und
2. die Beschwerdegebühr zurückzuzahlen.
1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 und der Regel 64 EPÜ und ist daher zulässig.
2. Das Schreiben der Beschwerdeführerin von 2. September 1982 mit der Bitte, "die Angelegenheit nochmals zu überprüfen", ist von der Eingangsstelle richtig als Antrag gem. R. 69(2) EPÜ gewertet worden, wenn sie es auch unterläßt, sich in ihrer Entscheidung auf dieses Schreiben als Antrag zu beziehen. Wesentlicher Inhalt einer Entscheidung nach R. 69(2) EPÜ ist die Überprüfung, ob der in Frage stehende Rechtsverlust tatsächlich eingetreten, d.h. im vorliegenden Fall, ob der Betrag von 2 080 DM noch rechtzeitig am 3. Juni 1982 oder erst am 4. Juni 1982 - wie es der EDV-Ausdruck anzeigt - gezahlt ist.
Um die Rechtzeitigkeit zu überprüfen, genügt der EDV-Ausdruck allein nicht. Es ist also notwendig, die Unterlagen, die Grundlage für die Kodierung der EDV-Anlage waren, wenigstens in Ablichtung zu den Akten zu nehmen und zu überprüfen. Dies hat die Eingangsstelle wohl nicht getan. Ihre Feststellung, daß ein Verrechnungsscheck über 2 080 DM erst am 4. Juni 1982 beim EPA eingegangen sei, leitet sie offenbar allein aus dem EDV-Abdruck ab. Sie unterläßt es aber, den tatsächlichen Eingang des Firmenformulars "Bankanweisung" vom 2. Juni 1982, dem der Verrechnungsscheck beilag, durch Heranziehung dieses Formulars oder einer Ablichtung desselben festzustellen. In dieser Unterlassung liegt, da es um die Überprüfung einer Rechtzeitigkeit geht, ein wesentlicher Verfahrensfehler, der zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung führen muß.
3. Andere Mangel dieser Entscheidung Können dahingestellt bleiben. Dies gilt auch für die Frage, ob eine Entscheidung noch gem. R. 89 wegen offenbarer Unrichtigkeit" berichtigt werden kann, wenn erst durch die Berichtigung klar wird, was mit der Entscheidung gewollt ist, und ob außerdem eine solche Berichtigung noch nach Erhebung der Beschwerde erfolgen kann.
4. Es ist möglich, daß die von der Eingangsstelle nunmehr noch vorzunehmende Überprüfung des für den Betrag von 2 080 DM maßgebenden Zahlungstages ergibt, daß die Zahlung am 4. Juni 1982, also nicht mehr innerhalb der mit dem 3. Juni 1982 abgelaufenen normalen Zahlungsfrist gem. Art. 79(2) Satz 2 EPÜ, sondern innerhalb der Nachfrist nach R. 85a EPÜ, erfolgt ist. Für diesen Fall ist daher die Frage zu beantworten, ob auf Beträge an Benennungsgebühren, die innerhalb der Nachfrist der Regel 85a eingehen. Art. 7(2) und Art. 9(2) GebO anwendbar sind und in welchem Verhältnis diese Vorschriften der Gebührenordnung dabei zueinander stehen.
5. Wird unterstellt, daß der Betrag von 2 080 DM erst innerhalb der Nachfrist eingegangen ist, so war mit ihm der angegebene Zahlungszweck (. . für acht - bestimmte - Vertragsstaaten ...) nicht mehr zu erfüllen. Es fehlen auch ausdrückliche Zweckangaben, wie sie der rechtlichen Situation innerhalb der Nachfrist entsprechen, also die ausdrückliche Angabe, daß Benennungsgebühren nebst Zuschlag bezahlt werden sollen, und die Angabe der Vertragsstaaten, denen die um den Zuschlag erhöhten Benennungsgebühren zugeordnet werden sollen. Während des weiteren Laufes der Nachfrist wurden weder zusätzliche Zahlungen geleistet, noch wurden Zweckangaben über die Verwendung des gezahlten Betrages gemacht. Erst in der Beschwerdebegründung sind entsprechende Angaben enthalten.
6. Regel 85a EPÜ verlangt innerhalb der dort gegebenen Nachfrist zwar die Zahlung der Gebühren nebst einer Zusatzgebühr also die Zahlung von Geld in einer zur Abwendung des Rechtsverlusts ausreichenden Höhe. Nicht zwingend notwendig für die Rechtzeitigkeit einer Zahlung ist es aber, auch den Zahlungszweck noch innerhalb der Zahlungsfrist anzugeben. Dies ergibt sich aus Art. 7(2) GebO - einer Vorschrift, die auch auf in der Nachfrist der R. 85a EPÜ gezahlte Beträge für Staatenbenennungen anzuwenden ist. Im vorliegenden Fall war der Betrag erklärtermaßen für die Benennung von acht genannten der ursprunglich zehn Vertragsstaaten bestimmt. Somit war der Wille erkennbar, daß die gezahlte Summe für Benennungen verwendet werden sollte. Da der Gesamtbetrag von 2 080 DM aber nur für die Zahlung der Benennungsgebühren nebst Zuschlag für fünf Vertragsstaaten ausreicht, bleibt die Frage, welchen fünf der zuletzt genannten acht Staaten die Zahlung zuzurechnen ist.
7. Zunächst scheint sich die unmittelbare Anwendung von Art. 9(2) GebO anzubieten. Dort ist gesagt, daß Benennungsgebühren entsprechend den Angaben bei der Zahlung zu verwenden sind (Satz 1) und bei Fehlen von Angaben die Reihenfolge der Staaten maßgebend ist (Satz 2). Die unmittelbare Anwendung dieser letzteren Regelung würde jedoch bedeuten, daß der Anmelder an eine Reihenfolge gebunden würde, die der von ihm tatsächlich gewünschten Auswahl nicht zu entsprechen braucht. Bei der Aufstellung der ursprünglichen Reihenfolge der Benennungen denkt der Anmelder noch nicht an eine Zahlungsverspätung, die ihn zur Beschränkung der Benennungen zwingt. Die ursprüngliche Reihenfolge ist oft - wie hier - alphabetisch. Im Rahmen der sog. Vorsorgebenennung nach dem gem. 26(1) vorgeschriebenen Formblatt für den Erteilungsantrag (EPA Form 1001, Feld XVII: siehe auch Rechtsauskunft des EPA Nr. 7/80 in ABl. EPA 1980. S. 395) entspricht die Reihenfolge der Staaten der zeitlichen Folge der Hinterlegung ihrer Ratifikations- oder Beitrittsurkunden zum Übereinkommen. Diese Überlegungen machen deutlich, daß eine spätere Beschränkung auf weniger Staaten infolge unzureichender Gebührenzahlung erst dann nach der angegebenen Reihenfolge vorgenommen werden darf, wenn der Anmelder selbst eine Auswahl unterläßt. Hierzu ist er nach Art. 7(2) Satz 1 GebO aufzufordern. Dies bedeutet, daß diese Bestimmung mit Vorrang vor Art. 9(2) Satz 2 GebO anzuwenden ist. Erst wenn der Einzahler der Aufforderung zur Auswahl nicht rechtzeitig nachkommt, ist statt Art. 7(2) Satz 2 die speziellere Vorschrift für Benennungen des Art. 9(2) Satz 2 GebO anzuwenden. Der Auffassung von Gall (Mitt. 1981. S. 227, 231, Anm. 26) ist daher zuzustimmen.
8. Nach Aufhebung der angefochtenen Entscheidung ist die Angelegenheit gem. Art. 111(1) an die Eingangsstelle zuruckzuverweisen. Die Eingangsstelle wird falls sich die Verspätung als gegeben erweist, die genannten Vorschriften der Gebührenordnung entsprechend den vorstehenden Ausführungen anzuwenden haben. Die Angaben der Beschwerdeführer in der Beschwerdebegründung sind noch nicht als Auswahl der Staaten zu werten, da ihr die vorstehend dargelegte Rechtslage noch nicht bekannt war.
9. Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr ist anzuordnen, da die Voraussetzungen von R. 67 EPÜ gegeben sind. Der Verfahrensfehler bei der Erstinstanz liegt in der oben unter 2 dargelegten unzureichenden Überprüfung des Verspätungstatbestandes. Ein Verfahrensfehler liegt nicht darin, daß die Eingangsstelle die genannten Artikel der Gebührenordnung noch nicht in der von der Beschwerdekammer aufgezeigten, im vorhinein nicht selbstverständlichen Weise angewendet hat. Die Billigkeit der Rückzahlung ergibt sich ebenfalls ausschließlich aus dem gerügten Verfahren.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Auf diesen Gründen wird die folgt entschieden:
1. Die Entscheidung der Eingangsstelle des Europäischen Patentamts vom 24. September 1982 wird aufgehoben und die Angelegenheit zur Fortsetzung des Verfahrens zurückverwiesen.
2. Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird angeordnet.