T 0155/04 08-12-2005
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Verfahren zum Herstellen von einkristallinen Strukturen
Änderungen - Erweiterung (verneint)
Wesentliche Änderungen im Beschwerdeverfahren - Neuer Fall - Zurückverweisung
Neuheit (bejaht)
I. Die Beschwerdeführerin (Anmelderin) hat gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung über die Zurückweisung der europäischen Patentanmeldung Nr. 98 810 105.1 Beschwerde eingelegt.
Die Prüfungsabteilung entschied in der mündlichen Verhandlung vom 10. September 2002, daß Anspruch 1 des während der mündlichen Verhandlung eingereichten Hauptantrags mangels Neuheit gegenüber dem Verfahren von D1 (EP-A-0 740 977) nicht gewährbar ist. Sie stellte aber die Erteilung eines Patents auf der Basis von Anspruch 1 des ebenfalls während der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsantrags in Aussicht.
Mit der Mitteilung gemäß Regel 51 (4) EPÜ vom 4. Oktober 2002 wurde der Anmelderin die beabsichtige Erteilung eines Patents auf der Basis der Ansprüche 1 bis 11 des Hilfsantrags mitgeteilt. Außerdem wurden der Anmelderin unter der Rubrik "Bemerkungen" die Gründe für die Nicht-Gewährbarkeit des Hauptantrags, nämlich mangelnde Neuheit gegenüber D1, mitgeteilt.
Mit Schreiben vom 3. April 2003 erklärte die Anmelderin ihr Nicht-Einverständnis mit der von der Prüfungsabteilung vorgeschlagenen Fassung gemäß Mitteilung Regel 51 (4) EPÜ und beantragte die Erteilung eines Patents auf der Basis des Hauptantrags bzw. den Erlass einer beschwerdefähigen Entscheidung.
Mit der Entscheidung vom 19. September 2003 wurden der Anmelderin die Gründe der Zurückweisung unter Verweis auf die mündliche Verhandlung vom 10. September 2002 bzw. des Protokolls dieser mündlichen Verhandlung mitgeteilt.
II. Mit dem Bescheid vom 27. September 2005, der als Anlage zur Ladung für die mündliche Verhandlung vor der Kammer beigefügt war, teilte die Kammer ihre vorläufige Meinung im Hinblick auf Anspruch 1 des vor der Prüfungsabteilung eingereichten Hauptantrages mit. Danach scheine das Verfahren gemäß Anspruch 1 die Erfordernisse von Artikel 54 EPÜ im Hinblick auf D1 nicht zu erfüllen. Der mit der Beschwerdebegründung eingereichte Antrag bezüglich eines Hilfsantrags sei unklar und scheine überdies aus denselben Gründen wie der Hauptantrag nicht gewährbar zu sein.
III. Mit Schreiben vom 4. November 2005 reichte die Beschwerdeführerin einen neuen Hauptantrag mit den Ansprüchen 1 bis 12 sowie einen Hilfsantrag basierend auf den Ansprüchen 1 bis 11 des Hauptantrags ein, welche den von der Prüfungsabteilung zur Erteilung vorgesehenen Ansprüchen entsprachen.
IV. Mit dem Fax vom 30. November 2005 teilte die Kammer der Beschwerdeführerin mit, daß Anspruch 12 des Hauptantrags gemäß Regel 29 (2)EPÜ nicht zulässig zu sein scheint, während Anspruch 1 des Hauptantrags bzw. des Hilfsantrags die Erfordernisse von Artikel 123 (2) nicht zu erfüllen scheint. Des Weiteren wurde darauf hingewiesen, daß betreffend Neuheit und erfinderische Tätigkeit das im Recherchenbericht zitierte Dokument D2 (Dexin Ma et. al. "Einkristallerstarrung der Ni-Basis-Superlegierung SRR 99", Zeitschrift für Metallkunde, Bd. 82, Nr. 11, 1. November 1991, Seiten 869-873, XP000278142) zu berücksichtigen sei.
V. Mittels Fax, eingegangen am 7. Dezember 2005, reichte die Beschwerdeführerin einen neuen Antrag mit geänderten Ansprüchen 1 bis 9 ein.
VI. Am 8. Dezember 2005 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt, in der der letzte Antrag durch einen neuen Antrag mit den Ansprüchen 1 bis 9 ersetzt wurde. Anspruch 1 gemäß diesem Antrag lautet wie folgt:
"1. Epitaktisches Verfahren zum schichtweisen Ergänzen von einkristallinen Strukturen, Teilen oder Werkstücken, aus metallischen Superlegierungen und mit einkristalliner Struktur oder einkristallinen Strukturen dadurch gekennzeichnet, dass
mit einem Laserstrahl hoher Energiedichte ein Bereich der Oberfläche der einkristallinen Struktur, des einkristallinen Teils oder Werkstücks aufgeschmolzen wird, dem geschmolzenen Bereich das Material zugeführt wird, das zum Ergänzen in die einkristalline Struktur gebracht werden soll,
das zugeführte Material vollständig aufgeschmolzen wird und die Energiezufuhr so geregelt und/oder gesteuert wird, dass
der Temperaturgradient vom Arbeitspunkt zur Erstarrungsgrenze grösser als 10**(6) ºK/m ist, und der Laserstrahl mit einer Geschwindigkeit im Bereich von 10**(-3)bis 10**(-1 )m/sec über die Strukturen, die Teile oder die Werkstücke geführt wird, oder
der Temperaturgradient vom Arbeitspunkt zur Erstarrungsgrenze grösser als 4x10**(5) ºK/m ist und der Laserstrahl mit einer Geschwindigkeit von 10**(-3 )m/sec über die Strukturen, die Teile oder die Werkstücke geführt wird, so dass Erstarrungsgeschwindigkeit und Temperaturgradient vom Arbeitspunkt zur Erstarrungsgrenze im GV-Diagramm im dendritisch kristallinen Bereich, außerhalb des globulitischen Bereichs des Materials liegen."
VII. Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache an die erste Instanz zur Erteilung eines Patents auf der Basis der Ansprüche 1 bis 9, wie am 8. Dezember 2005 in der mündlichen Verhandlung eingereicht, zurückzuverweisen.
VIII. Die Beschwerdeführerin hat in der mündlichen Verhandlung im wesentlichen folgendes vorgetragen:
Die Änderungen von Anspruch 1 haben eine Basis in den Ansprüchen 1 und 2, in Kombination mit der Beschreibung der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung Seite 4, Zeile 31 bis Seite 5, Zeile 3, sowie Seite 8, Zeilen 1 bis 5 und Zeilen 27 bis 35. Ein Temperaturgradient von "grösser als 4x10**(5) ºK/m" in Kombination mit einer Geschwindigkeit des Laserstrahls "von 10**(-3 )m/sec" ergibt sich dadurch, daß die auf Seite 8, Zeilen 1 bis 5, offenbarte Erstarrungsgeschwindigkeit von 10**(-3 )m/s mit der Geschwindigkeit des Laserstrahls ident ist, da die Erstarrungsfront dem Laserstrahl in einem Verhältnis von 1:1 folgt, da sonst der vom Laserstrahl beaufschlagte Bereich nicht mit der Schmelzzone übereinstimmen würde. Das Merkmal "grösser als 10**(6) ºK/m" ergibt sich dadurch, daß sich der auf Seite 8, Zeile 34, offenbarte Ausdruck "grösser als" auf den nachgenannten Bereich von "etwa 10**(6) ºK/m bis 1.5x10**(6) ºK/m" bezieht. Somit erfüllt Anspruch 1 das Erfordernis von Artikel 123 (2) EPÜ.
Das beanspruchte Verfahren von Anspruch 1 unterscheidet sich vom Verfahren nach D1 im Wesentlichen dadurch, daß die Energiezufuhr abhängig von einem Temperaturgradienten geregelt wird, der anhand des zugehörigen GV-Diagramms ausgewählt wird und weiterhin durch die Werte, die für den Temperaturgradienten und die Verfahrensgeschwindigkeit des Laserstrahles definiert sind. Ein weiteres Unterscheidungsmerkmal betreffe die Energiedichte der Laserstrahlbehandlung.
1. Umfang der Prüfung im Beschwerdeverfahren
Das Verfahren der Beschwerdekammern in ex-parte Fällen ist primär mit der Überprüfung der angefochtenen Entscheidung befasst (siehe Entscheidung G 10/93, ABl EPA 1995, 172, Entscheidungsgründe 4 und 5). Insbesondere dann, wenn sich der Sachverhalt gegenüber der angefochtenen Entscheidung wesentlich geändert hat, wird die Sache zurückverwiesen. Dies ist vorliegend der Fall, da in Anspruch 1 insbesondere die Regelung und/oder Steuerung der Energiezufuhr des Laserstrahls präzisiert wurde (siehe Punkte 4.1 bis 4.3 unten).
Im vorliegenden Fall beschränkt sich die Kammer bei ihrer Prüfung daher darauf festzustellen, ob die geänderten Ansprüche die Erfordernisse von Artikel 123 (2) EPÜ erfüllen und ob der einzige Grund der Zurückweisung, nämlich mangelnde Neuheit von Anspruch 1, für die vorliegenden Ansprüche noch zutrifft.
2. Zulässigkeit der Änderungen (Artikel 123 (2) EPÜ)
Der neue Anspruch 1 des einzigen Antrags basiert auf den Ansprüchen 1 und 2, in Kombination mit Seite 4, Zeile 31 bis Seite 5, Zeile 3, sowie mit Seite 8, Zeilen 1 bis 5 und Zeilen 27 bis 35 der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung.
2.1 Das Merkmal, daß "ein Bereich der Oberfläche ... aufgeschmolzen wird" ergibt sich implizit durch die Verwendung des Laserstrahls bzw. kann der Darstellung von Figur 4 entnommen werden.
2.2 Das Merkmal "der Temperaturgradient vom Arbeitspunkt zur Erstarrungsgrenze grösser als 4x10**(5) ºK/m ist und der Laserstrahl mit einer Geschwindigkeit von 10**(-3 )m/sec über die Strukturen, die Teile oder die Werkstücke geführt wird" leitet sich davon ab, daß die auf Seite 8, Zeilen 1 bis 5, in Kombination mit einem Temperaturgradienten von "grösser als 4x10**(5) ºK/m" offenbarte Erstarrungsgeschwindigkeit von 10**(-3 )m/s mit der Geschwindigkeit des Laserstrahls ident ist, da die Erstarrungsfront dem Laserstrahl in einem Verhältnis von 1:1 folgt, da sonst der vom Laserstrahl beaufschlagte Bereich nicht mit der Schmelzzone übereinstimmen würde.
2.3 Das Merkmal "der Temperaturgradient vom Arbeitspunkt zur Erstarrungsgrenze grösser als 10**(6) ºK/m" ergibt sich dadurch, daß sich der auf Seite 8, Zeile 34, offenbarte Ausdruck "grösser als" auf den anschließend genannten Bereich von "etwa 10**(6) ºK/m bis 1.5x10**(6) ºK/m" bezieht und somit als "grösser als 10**(6) ºK/m" als auch als "grösser als 1.5x10**(6) ºK/m" zu verstehen ist, wobei dieser zweite Wert ebenfalls die Bedingung des ersten Wertes erfüllt.
2.4 Die auf Anspruch 1 rückbezogenen Ansprüche 2 bis 8 basieren auf den Ansprüchen 3 bis 10 der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung.
2.5 Somit erfüllen die Ansprüche 1 bis 9 die Erfordernisse von Artikel 123 (2) EPÜ.
3. Neuheit (Artikel 54 EPÜ)
Anspruch 1 ist gegenüber dem Anspruch 1 des während der mündlichen Verhandlung vor der Prüfungsabteilung vom 10. September 2002 eingereichten Hilfsantrags, der von der Prüfungsabteilung aufgrund des, gegenüber Anspruch 1 des damaligen Hauptantrags, einzigen zusätzlichen Merkmals "und der Temperaturgradient grösser als 4x10**(5) ºK/m ist" als neu gegenüber D1 befunden wurde, durch weitere Merkmale zusätzlich eingeschränkt worden. Gemäß vorliegendem Anspruch 1 wird die Energiezufuhr nun so geregelt und/oder gesteuert, daß der Temperaturgradient vom Arbeitspunkt zur Erstarrungsgrenze größer als 10**(6) ºK/m ist und der Laserstrahl mit einer Geschwindigkeit im Bereich von 10**(-3)bis 10**(-1 )m/sec über die Strukturen, die Teile oder die Werkstücke geführt wird, oder, daß
der Temperaturgradient vom Arbeitspunkt zur Erstarrungsgrenze größer als 4x10**(5) ºK/m ist und der Laserstrahl mit einer Geschwindigkeit von 10**(-3 )m/sec über die Strukturen, die Teile oder die Werkstücke geführt wird, so dass Erstarrungsgeschwindigkeit und Temperaturgradient vom Arbeitspunkt zur Erstarrungsgrenze im GV-Diagramm im dendritisch kristallinen Bereich, außerhalb des globulitischen Bereichs des Materials liegen.
Der Gegenstand von Anspruch 1 ist deshalb neu.
4. Zurückverweisung (Artikel 111(1) EPÜ)
4.1 Im Beschwerdeverfahren wurde das Verfahren von Anspruch 1 auf ein epitaktisches Verfahren zum schichtweisen Ergänzen einkristalliner Strukturen, Teilen oder Werkstücke aus metallischen Superlegierungen eingeschränkt, um sich deutlicher gegenüber dem epitaktischen Verfahren zum Herstellen einkristalliner Werkstücke mittels Laserstrahls niedriger Energiedichte gemäß dem nächstkommenden Stand der Technik D1 abzugrenzen.
Beim Verfahren gemäß Anspruch 1 wird ein Laserstrahl hoher Energiedichte verwendet, dessen Energiezufuhr mit einem vorgegebenen Temperaturgradienten als Führungsgröße geregelt wird. Der Temperaturgradient ist dabei vom Arbeitspunkt des Lasers zur Erstarrungsgrenze definiert größer als 4x10**(5) ºK/m bzw. größer als 10**(6) ºK/m, außerdem wird der Laserstrahl mit einer bestimmten Geschwindigkeit von 10**(-3 )m/sec bzw. von 10**(-3)bis 10**(1 )m/sec über diese Strukturen, Teile oder Werkstücke geführt. Damit wird bei Einsatz eines Laserstrahls hoher Energiedichte dessen Regelung so durchgeführt, daß die Erstarrungsgeschwindigkeit und der Temperaturgradient im GV-Diagramm im dendritisch kristallinen Bereich, außerhalb des globulitischen Bereichs des Materials liegen.
4.2 Beim Verfahren gemäß D1 werden die Energiedichte des Lasers geringer Leistung (siehe Spalte 2, Zeilen 44 bis 55; Spalte 6, Zeile 24 bis Spalte 7, Zeile 38; Beispiele 1 bis 2; Ansprüche 1 und 18) und dessen Strahldurchmesser sowie die Zeitdauer der Laserstrahlbehandlung als Führungsgrößen der Energiezufuhr zum Aufschmelzen des aufzubringenden Materials verwendet.
4.3 Der vorliegende Anspruch 1 unterscheidet sich wesentlich von jenem Anspruch 1, welcher der angefochtenen Entscheidung zugrunde lag, da dieser weder auf ein Reparatur-Verfahren mittels Laserstrahls hoher Energiedichte, noch eine Regelung bzw. Steuerung der Energiezufuhr zum Erreichen bestimmter Temperaturgradienten in Kombination mit bestimmten Geschwindigkeiten des Laserstrahls beschränkt war.
4.4 Somit liegt hinsichtlich der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit ein neuer Fall vor. Die Kammer macht daher in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern von ihrer Befugnis nach Artikel 111 (1) EPÜ Gebrauch und verweist die Sache an die Prüfungsabteilung zur weiteren Entscheidung auf der Basis der während der mündlichen Verhandlung eingereichten Ansprüche 1 bis 9 zurück (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 4. Auflage 2001, Kapitel VII.D.14.4).
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz zur weiteren Entscheidung zurückverwiesen.