T 0221/04 05-05-2004
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Die Beschwerdeführerin (Anmelderin) hat gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung vom 19. September 2003, mit der die Patentanmeldung Nr. 01 925 558.7 zurückgewiesen worden ist, am 18. November 2003 unter Einzahlung der Beschwerdegebühr Beschwerde eingelegt und diese mit am 30. Januar 2004 eingegangenen Schriftsatz vom 29. Januar 2004 begründet.
Am 9. März 2004 beantragte ihr Vertreter unter Zahlung der einschlägigen Gebühr mittels Abbuchungsauftrag Wiedereinsetzung in die Beschwerdebegründungsfrist. Dazu trug er wie folgt vor:
Nach Abstimmung mit den Erfindern der Anmeldung habe er am 29. Januar 2004 die Beschwerdebegründung abgesetzt und seiner seit vielen Jahren mit dem Postein- und Postausgang betrauten Mitarbeiterin, der ausgebildeten Anwaltsgehilfin Frau Hellmich, übergeben. Dabei habe er sie eindringlich darauf hingewiesen, daß der Schriftsatz noch am selben Tage an das Europäische Patentamt gefaxt werden müsse, weil andernfalls ein Rechtsverlust eintrete. Ein Anlaß, Frau Hellmich nicht mit der Versendung der Beschwerdebegründung zu beauftragen, habe nicht bestanden. Denn sie arbeite, wie auch regelmäßige Stichproben ergeben hätten, stets gewissenhaft und zuverlässig. Er habe deshalb und wegen seiner nachhaltigen Unterweisung im vorliegenden Fall mit einer zuverlässigen Erledigung des Auftrags rechnen dürfen.
Gleichwohl habe Frau Hellmich aus auch für sie selbst unerklärlichen Gründen nicht an das Europäische Patentamt gefaxt, sondern an den amerikanischen Patentanwaltskollegen Kueffner in New York. Dies habe sich am nächsten Morgen herausgestellt, weil Kueffner die erste Seite der Beschwerdebegründung sofort mit dem Vermerk "Irrläufer ?" retourniert habe. Unmittelbar nach der Entdeckung des unerklärlichen Irrtums sei der Schriftsatz an die richtige Adresse gefaxt worden.
Zur Bestätigung des Sachverhalts hat der zugelassene Vertreter der Beschwerdeführerin eine eidesstattliche Versicherung von Frau Hellmich sowie die Deckblätter der Faxe an das Europäische Patentamt mit Sendeprotokoll und von Herrn Kueffner zu den Akten gereicht.
1. Gemäß Artikel 108 Satz 3 EPÜ ist die Beschwerde innerhalb von vier Monaten nach der Zustellung der Entscheidung schriftlich zu begründen. Diese Frist ist im vorliegenden Fall nicht eingehalten worden, denn nach den Regeln 78 (2), 83 (1), (2) und (4), 85 (1) EPÜ hätte der Berufungsbegründungsschriftsatz spätestens am 29. Januar 2004, einem Donnerstag, dem Europäischen Patentamt vorliegen müssen. Eingegangen ist er dort jedoch erst am 30. Januar 2004.
1.1. Ob die Beschwerdebegründung gleichwohl als rechtzeitig eingegangen gilt, hängt davon ab, ob dem Antrag der Beschwerdeführerin auf Wiedereinsetzung in die Beschwerdebegründungsfrist stattzugeben ist.
1.1.1. Nach Artikel 122 (2) Satz 1 EPÜ ist ein Wiedereinsetzungsantrag spätestens zwei Monate nach Wegfall des der Fristwahrung entgegenstehenden Hindernisses zu stellen. Im vorliegenden Fall war dies der 30. Januar 2004, als durch das retournierte Fax offenbar wurde, dass tags zuvor die Begründung an die falsche Adresse gefaxt worden war. Damit liegt der am 9. März 2004 beim Europäischen Patentamt eingegangene Wiedereinsetzungsantrag innerhalb der gesetzlichen zweimonatigen Antragsfrist.
1.1.2. Auch die weiteren in Artikel 122 (2) Satz 2 und (3) Satz 1 EPÜ statuierten Voraussetzungen für die Zulässigkeit eines Wiedereinsetzungsantrags sind erfüllt: Die Beschwerdeführerin hat die vorgeschriebene Wiedereinsetzungsgebühr bezahlt, den Wiedereinsetzungsantrag schriftlich begründet und - dies bereits am 30. Januar 2004 - die versäumte Handlung nachgeholt.
2. Nach Artikel 122 (1) EPÜ ist der Antrag begründet, wenn die Fristversäumnis trotz Beachtung aller nach den gegebenen Umständen gebotenen Sorgfalt eingetreten ist. Davon ist die Kammer im vorliegenden Fall überzeugt.
2.1. Wie der zugelassene Vertreter der Beschwerdeführerin vorgetragen hat, beruht die Fristversäumnis auf einem Versehen seiner Büroangestellten. Für deren Handeln trägt er zwar grundsätzlich die Verantwortung. Das Fehlverhalten von Hilfspersonen wird einem zugelassenen Vertreter jedoch dann nicht angelastet, wenn dieser nachweisen kann, dass er für die fragliche Tätigkeit eine entsprechend qualifizierte Person ausgewählt, sie in ihre Arbeit eingewiesen und deren Ausführung in vernünftigem Umfang überwacht hat (J 0005/80. ABl. EPA 1981, 343).
2.2. Diese Voraussetzungen sieht die Kammer im vorliegenden Fall als erfüllt an. Zunächst besteht kein Zweifel an der Qualifikation der beauftragten Hilfsperson. Denn diese kann nicht allein auf den Abschluss als Rechtsanwaltsfachangestellte verweisen, sondern überdies auf mehrere Jahre Berufserfahrung in Rechts- und Patentanwaltskanzleien. Zu ihrer dabei üblichen Tätigkeit gehört u. a. die zuverlässige Versendung fristgebundener Schriftstücke. Diese Tätigkeit hat sie, wie der ihre Arbeit regelmäßig überwachende zugelassene Vertreter überzeugend dargelegt hat, stets zuverlässig ausgeübt. Er hatte deshalb keinen Grund, ihr die Absendung der Beschwerdebegründung - im übrigen eine Aufgabe, die in Anwaltskanzleien typischerweise von Hilfspersonen erledigt wird - nicht anzuvertrauen, zumal er bei der Übergabe des Schriftsatzes ausdrücklich noch einmal auf die Bedeutung der Fristwahrung hingewiesen hatte.
2.3. Berücksichtigt man ferner, dass die Rechtsprechung der Beschwerdekammern an die Sorgfaltspflichten von Hilfspersonen, die mit Routinearbeiten betraut sind, nicht die gleichen strengen Maßstäbe anlegt wie bei den zugelassenen Vertretern selbst (vgl. J 0016/82 ABl. EPA 1983, 262; J 0026/92), stellt sich nach Auffassung der Kammer der Ablauf des Geschehens so dar, dass von einer Fristversäumnis trotz aller nach den Umständen gebotenen Sorgfalt im Sinne des Artikel 122 (1) EPÜ gesprochen werden muss. Denn es geht hier um einen Fall menschlicher Unzulänglichkeit, bei dem trotz aller erdenklicher Vorsichtsmassnahmen eine sorgfältig ausgewählte, einschlägig ausgebildete und in der Vergangenheit stets zuverlässige Person trotz regelmäßiger Überwachung und trotz eines zusätzlichen Hinweises auf die Bedeutung der Fristwahrung im konkreten Fall einen Fehler begangen hat, für den es letztlich keine überzeugende Erklärung gibt, es sei denn diese, dass Menschen nun einmal fehlbar sind und niemand davor gefeit ist, einmal einen unerklärlichen Fehler zu begehen.
2.4. So wird es auch nach dem glaubhaften Vortrag der Beschwerdeführerin unerklärbar bleiben, weshalb die Angestellte trotz all dieser Vorsichtsmassnahmen, namentlich dem eindringlichen Hinweis des zugelassenen Vertreters auf die gebotene Einhaltung der Beschwerdebegründungsfrist, gerade bei diesem Schriftsatz eine völlig andere Faxnummer als die des Europäischen Patentamts gewählt, das Sendeprotokoll nicht überprüft und so die Fristversäumnis verursacht hat. Deshalb kommt es vorliegend auf den anzulegenden Sorgfaltsmaßstab letztlich nicht an, denn es geht hier um einen Fehler, der jedermann, also auch dem zugelassenen Vertreter selbst, unterlaufen kann, also um ein typisches einmaliges Missgeschick, dem durch Artikel 122 EPÜ abgeholfen werden soll.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerdeführerin wird in die Beschwerdebegründungsfrist wiedereingesetzt.