T 0406/04 12-05-2005
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Medizinische Navigation bzw. prä-operative Behandlungsplanung mit Unterstützung durch generische Patientendaten
I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung des EPA vom 13. Oktober 2003, die europäische Patentanmeldung 02 007 218.7 zurückzuweisen.
II. Die Prüfungsabteilung befand, daß der Gegenstand des Anspruchs 1 des damals geltenden Haupt- und Hilfsantrags gegenüber den Druckschriften DE-A-100 37 491 ("D1") und WO-A-99/59106 ("D2") nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.
III. Die Beschwerdeführerin (Patentanmelderin) hat gegen diese Entscheidung die am 14. November 2003 eingegangene Beschwerde eingelegt und die Beschwerdegebühr am selben Tag entrichtet. Die Beschwerdebegründung wurde am 19. Februar 2004 eingereicht.
IV. Vor der Kammer hat am 28. April 2005 eine mündliche Verhandlung stattgefunden, in der die Beschwerdeführerin neugefaßte Ansprüche 1 bis 8 vorgelegt hat.
Mit Schreiben vom 9. Mai 2005 hat die Beschwerdeführerin die ihr von der Kammer aufgegebene Reinschrift dieser Ansprüche und eine an diese Anspruchsfassung angepasste Beschreibung (Seiten 1 bis 7) eingereicht.
Die Beschwerdeführerin beantragt demzufolge:
die angefochtene Entscheidung aufzuheben und ein Patent auf folgender Grundlage zu erteilen:
- Ansprüche 1 bis 8 wie eingereicht mit Schreiben vom 9. Mai 2005
- Beschreibungsseiten 1 bis 7 wie eingereicht mit Schreiben vom 9. Mai 2005.
Anspruch 1 lautet wie folgt:
"Verfahren zur computergestützten medizinischen Navigation bzw. prä-operativen Behandlungsplanung, bei dem mittels einer Positionserfassungseinheit die aktuelle Position eines Patienten oder eines Patientenkörperteils im Raum erfasst wird, und bei dem die erfassten Positionsdaten modifizierten Körperstrukturdaten eines generischen Modells zugeordnet werden, um die modifizierten Körperstrukturdaten in Zuordnung zu den Positionsdaten gemeinsam im Rahmen der Behandlungsunterstützung zu verwenden, wobei digital rekonstruierte Röntgenbilder des generischen Modells verwendet werden, wobei die digital rekonstruierten Röntgenbilder mit Röntgenbilddaten des Patienten in Deckung gebracht werden, um die modifizierten Körperstrukturdaten zu erstellen."
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Änderungen - Artikel 123 (2) EPÜ
Anspruch 1 ist geändert worden, um die verwendeten Begriffe klarer auszudrücken und die Merkmale des Verfahrens genauer zu definieren. Insbesondere wurde spezifiert, daß die erfaßten Positionsdaten modifizierten Körperstrukturdaten eines generischen Modells zugeordnet werden, um die modifizierten Körperstrukturdaten in Zuordnung zu den Positionsdaten gemeinsam im Rahmen der Behandlungsunterstützung zu verwenden, wobei digital rekonstruierte Röntgenbilder des generischen Modells verwendet werden, wobei die digital rekonstruierten Röntgenbilder mit Röntgenbilddaten des Patienten in Deckung gebracht werden, um die modifizierten Körperstrukturdaten zu erhalten. Die Unteransprüche und die Beschreibung sind angepaßt worden.
Die ursprüngliche Offenbarung für diese Merkmale ergibt sich im wesentlichen aus den ursprünglichen Ansprüchen 7 und 8. Die Unteransprüche und die Beschreibung sind an den neuen Hauptanspruch angepaßt worden.
Das Merkmal "die Positionserfassungseinheit die aktuelle Positionen von medizinischen Behandlungsgeräten oder behandlungsunterstützenden Geräten erfaßt" ist zwar aus dem ursprünglichen Anspruch 1 entfernt worden. Dieses Merkmal ist aber nicht wesentlich zur Ausführung der Erfindung. Wie sich aus der Beschreibungseinleitung ergibt, wird bei einer prä-operativen Behandlungsplanung mittels einer Positionserfassungseinheit die aktuelle Position eines Patienten oder eines Patientenkörperteils erfaßt. Wird die eigentliche Behandlung nicht nur geplant, sondern auch durchgeführt, so können natürlich auch die Positionen von medizinischen Behandlungsgeräten oder behandlungsunterstützenden Geräten erfaßt und die erfaßten Positionsdaten den Körperstrukturdaten zugeordnet werden, um die Körperstrukturdaten in Zuordnung zu den Positionsdaten gemeinsam im Rahmen der Behandlungsunterstützung zu verwenden. Ebenso ergibt sich aus Absatz [0003] der Anmeldung, daß zunächst der zu behandelnde Patient registriert wird und erst dann (Spalte 1, Zeile 35) Operationsinstrumente virtuell zu den Bilddaten in gleicher Relation wie zum realen Patienten dargestellt werden. Somit kann der Patentanmeldung entnommen werden, daß das Erfassen der Position von medizinischen Behandlungsgeraten und behandlungsunterstützenden Geräten nicht zwangsläufig Bestandteil der beanspruchten Lehre sein muß.
Die vorgenommenen Änderungen sind daher zulässig.
3. Neuheit
Die Neuheit ist von der Prüfungsabteilung nicht bezweifelt worden. Auch seitens der Kammer ist kein Grund erkennbar, die Neuheit gegenüber dem genannten Stand der Technik in Frage zu stellen.
4. Erfinderische Tätigkeit
4.1 Dokument D1 offenbart ein Verfahren zur computergestützten medizinischen Navigation bzw. prä-operativen Behandlungsplanung, bei dem mittels einer Positionserfassungseinheit die aktuelle Position eines Patienten oder eines Patientenkörperteils im Raum erfaßt wird, und bei dem zweidimensionale Körperstrukturdaten verwendet werden, die aus einem dreidimensionalen Patientenkörperstruktur erhalten werden.
In D1 werden anfäng1ich zwei Bilder erstellt, um daraus ein grobes dreidimensionales Modell zu rekonstruieren. Weitere Aufnahmen aus unterschiedlichen Winkeln werden verwendet, um das Modell noch genauer zu spezifizieren. Es werden Patientendaten erfaßt, die dann durch die Erfassung weiterer Daten immer genauer identifiziert werden sollen.
Die Verwendung eines generischen Modells wird in Dl zwar angesprochen (Spalte 3, Absatz 0017), jedoch lediglich in sehr allgemeiner und undetaillierter Weise. Wofür ein solches generisches Modell genutzt werden kann, lehrt die Dl nicht.
4.2 Der Kammer stimmt der angefochtene Entscheidung zu, daß Dokument D2 den nächstkommenden Stand der Technik bildet.
D2 offenbart ein Verfahren zur Erzeugung eines dreidimensionalen Modells aus medizinischen Bildern. Das Modell wird in D2 "dreidimensional" verfeinert, indem anatomische Markierungspunkte ("landmarks") in den Bildern identifiziert werden, welche bestimmten Stellen in dem gespeicherten Modell entsprechen. Dieselben Markierungspunkte ("landmarks") müssen deshalb dreidimensional in den Patientenbildern und im generischen Modell identifiziert werden.
Ferner lehrt D2 lediglich ein anatomisches Standard-3D- Modell zu modifizieren oder anzupassen (siehe Abstract). Insbesondere ist in Bezug auf Figur 6 in der D2 ausgeführt, daß die wesentlichen Schritte das Erfassen der patientenspezifischen Daten 602, das Erzeugen eines Patientenmodells 604 und das Durchführen einer Analyse 606 sein sollen. Wie in der Beschreibung auf Seite 22, Zeilen 14 bis 17 der D2 ausgeführt ist, ist es wichtig, daß ein Satz von allen anatomischen Stellen in den Patientenbildern 150 gemäß Appendix A definiert ist. Bei einem solchen aufwendigen "morphing" Verfahren zur Anpassung eines dreidimensionalen Modells an dreidimensionale Körperstrukturen müssen jedoch sehr viele spezifische Punkte ("landmarks") aufgefunden und einander zugeordnet werden (siehe z. B. Seite 27, Zeile 22, wo als Beispiel 200 "landmarks" erwähnt sind), was einen sehr hohen Rechenaufwand bedingt.
Somit lehrt D2 eindeutig, daß das sogenannte "morphing" auf die bekannte relativ aufwendige Art unter Verwendung einer Vielzahl spezifischer Punkte oder "landmarks" durchgeführt werden soll. Nichts deutet in D2 daraufhin, daß von einem solchen dreidimensionalen morphing- Verfahren abgewichen werden kann und aus einem dreidimensionalen Referenzmodell zweidimensionale Daten erhalten werden können, wie es im Verfahren gemäß Patentanspruch 1 beansprucht wird, welche durch Verknüpfung mit zweidimensionalen patientencharakteristischen Erfassungsdaten angepaßt werden.
4.3 Im Gegensatz zum bekannten Verfahren schlägt die Anmeldung vor, eben keine aufgenommene räumliche dreidimensionale Struktur zu verfeinern, sondern die Position eines Patienten oder Patientenkörperteils zu erfassen und Körperstrukturdaten auf der Basis eines generischen Modell mit patientencharakteristischen Erfassungsdaten anzupassen. Insbesondere sollen aus einem dreidimensionalen generischen Modell erhaltene zweidimensionale Körperstrukturdaten verwendet werden, welche durch Verknüpfung mit zweidimensionalen patientencharakteristischen Erfassungsdaten angepaßt worden sind.
Daher wird gemäß der Anmeldung nicht vorgeschlagen Aufnahmeverfahren am ganzen Körper durchzuführen, durch welche dreidimensionale Körperstrukturdaten erhalten werden können, sondern z. B. eine einzige und unter Umständen schon bereits vorhandene zweidimensionale Röntgenbildaufnahme und ein dreidimensionales generisches Modell zu verwenden, aus welchem zweidimensionale Körperstrukturdaten erhalten werden, welche durch einen Vergleich mit der Röntgenbildaufnahme individuell an einen spezifischen Patienten angepaßt werden, um hieraus das dreidimensionale generische Modell individuell an einen Patienten anzupassen.
Durch dieses Verfahren ist es daher relativ einfach nur zwei zweidimensionale Datensätze miteinander zu verknüpfen, was prinzipiell ausreichend ist, um ein dreidimensionales generischen Modell an einen Patienten oder ein Patientenkörperteil anzupassen. Der Vergleich der zweidimensionalen Datensätze kann an Hand der 2-D Kontur des generischen Modells in Projektionsrichtung durchgeführt werden und nicht an Hand einzelner Landmarken.
4.4 Der Fachmann kann aus der D1 oder D2 keinen Hinweis auf ein solches Verfahren entnehmen. Somit beruht Anspruch 1 auf eine erfinderische Tätigkeit.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz zurückverwiesen mit der Anordnung, ein Patent auf Grundlage der folgenden Unterlagen zu erteilen:
- Ansprüche 1 bis 8 wie eingereicht mit Schreiben vom 9. Mai 2005
- Beschreibungsseiten 1 bis 7 wie eingereicht mit Schreiben vom 9. Mai 2005.