T 0448/07 09-09-2009
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Packmaschinenaggregate mit integrierten Schaltschrankeinheiten
Verfahrensfehler - (nein)
Rückzahlung der Beschwerdegebühr - (nein)
Zurückverweisung zur Vernehmung eines Zeugen - (ja)
I. Gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit der das europäisches Patent Nr. 1 004 509 widerrufen worden ist, legte die Patentinhaberin, im folgenden Beschwerdeführerin, Beschwerde ein.
II. Die Einspruchsabteilung hielt, dass die offenkundige Vorbenutzung bewiesen worden ist, und dass diese die Neuheit des Gegenstandes des Anspruchs 1 des Patents in erteilter Fassung vorwegnimmt. Weiterhin entschied die Einspruchsabteilung, dass es den Gegenständen der unabhängigen Ansprüche der Hilfsanträge an erfinderischer Tätigkeit mangelte.
III. Die Beschwerdeführerin beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung, hilfsweise die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents auf der Basis des 1. oder 2. Hilfsantrages, eingereicht mit Schriftsatz vom 14. Mai 2007, sowie die Rückzahlung der Beschwerdegebühr.
Die Beschwerdegegnerin beantragt die Zurückweisung der Beschwerde.
IV. Am 9. September 2009 fand vor der Kammer eine mündliche Verhandlung statt, zu der nur die Beschwerdeführerin erschienen ist. Die Beschwerdegegnerin hatte ihr Nichterscheinen mit Schriftsatz vom 12. August 2009 vorher angekündigt.
V. Folgende Dokumente aus dem Einspruchsverfahren sind in dieser Entscheidung zitiert:
D1 : EP-A-844 138
Annex 1: Kopie einer Rechnung Nr. 310/2 betreffend den Verkauf einer Maschine des Typs G.D. 2001 mit Seriennummer 921155307,
Annex 2: Kopie eines Computerausdrucks aus der Kundendatei betreffend den Verkauf einer Maschine des Typs G.D. 2001 mit obiger Seriennummer,
Annex 3: Kopie von Teilen eines Handbuches für eine G.D. 2001 Maschine,
Annex 4: Satz von zehn Bildern von Teilen einer Maschine G.D. 2001, jeweils mit obiger Seriennummer,
Annex 5: Faltblatt einer Maschine G.D. 1004,
Annex 6: Faltblatt einer Maschine G.D. 1001,
Annex 7: Kopie von Teilen eines Handbuches für eine G.D. 1001 Maschine.
VI. Der Anspruch 1 gemäß Hauptantrag (erteilte Fassung) lautet wie folgt:
"1. Packmaschinenaggregate mit integrierten, die Aggregate bzw. deren Komponenten elektrische versorgende, überwachende und steuernde Organe aufnehmenden Schaltschrankeinheiten, insbesondere zur Herstellung von Verpackungen für stabförmige Artikel der tabakverarbeitenden Industrie, gekennzeichnet durch eine gemeinsame einheitliche, die Innenräume der Maschinenaggregate (1, 2; 107) und deren Schaltschrankeinheiten (3; 103) voneinander trennende, entfernbare Begrenzungswand (4; 104)."
Der Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 lautet wie folgt (Unterschiede zum Hauptantrag durchgestrichen):
"1. Packmaschinenaggregate mit integrierten, die Aggregate bzw. deren Komponenten elektrische versorgende, überwachende und steuernde Organe aufnehmenden Schaltschrankeinheiten, [deleted: insbesondere ]zur Herstellung von Verpackungen für stabförmige Artikel der tabakverarbeitenden Industrie, gekennzeichnet durch eine gemeinsame einheitliche, die Innenräume der Maschinenaggregate (1, 2; 107) und deren Schaltschrankeinheiten (3; 103) voneinander trennende, entfernbare Begrenzungswand (4; 104)."
Der Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 lautet wie folgt (Unterschiede zum Hauptantrag fett gedruckt):
"1. Packmaschinenaggregate mit integrierten, die Aggregate bzw. deren Komponenten elektrische versorgende, überwachende und steuernde Organe aufnehmenden Schaltschrankeinheiten, zur Herstellung von Verpackungen für stabförmige Artikel der tabakverarbeitenden Industrie, gekennzeichnet durch eine gemeinsame einheitliche, die Innenräume der Maschinenaggregate (1, 2; 107) und deren Schaltschrankeinheiten (3; 103) voneinander trennende, entfernbare Begrenzungswand (4; 104), wobei die Begrenzungswand (4; 104) als Rückwand der Schaltschrankeinheit (1; 107) ausgebildet ist und die Schaltschrankeinheit (3) relativ zum Maschinenaggregat (1) verschiebbar angeordnet ist."
VII. Das für die vorliegende Entscheidung wesentliche schriftliche und mündliche Vorbringen der Beschwerdeführerin lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Die Einspruchsabteilung hätte den Zeugen vernehmen sollen. Eine Vernehmung wäre implizit von der Beschwerdeführerin beantragt gewesen. Das Versäumnis der Einspruchsabteilung, den Zeugen zu vernehmen, stelle einen schwerwiegenden Verfahrensfehler dar.
Die Vernehmung des Zeugen könne von der Kammer durchgeführt werden. Hinsichtlich der langen Verfahrensdauer, insbesondere vor der Einspruchsabteilung, sei dies geboten.
Die Einspruchsabteilung habe einen zweiten schwerwiegenden Verfahrensfehler hinsichtlich des ersten Hilfsantrags begangen, indem sie zur erfinderischen Tätigkeit in der Entscheidung eine andere Aufgabe verwendet habe, als in der mündlichen Verhandlung diskutiert.
Die Einspruchsabteilung habe einen weiteren schwerwiegenden Verfahrensfehler hinsichtlich des zweiten Hilfsantrags begangen, indem sie ohne den entsprechenden Beleg behauptet habe, dass für den Fachmann die Verschiebbarkeit des Schaltschrankes eine Alternative zu dessen letztgenannter Verschwenkbarkeit darstelle.
Beide Verfahrensfehler waren dermaßen schwerwiegend, dass eine Rückzahlung der Beschwerdegebühr angebracht ist.
VIII. Das für die vorliegende Entscheidung wesentliche schriftliche Vorbringen der Beschwerdegegnerin lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Die Entscheidung der Einspruchsabteilung zur offenkundigen Vorbenutzung sei richtig. Alle gelieferten Maschinen wären ohne Verpflichtung zur Geheimhaltung verkauft worden. Auch die dazugehörigen Handbücher wären ohne eine solche Verpflichtung den Kunden übergeben. Der angebotene Zeuge, Herr Mandrioli, hat die Firma Gazzoni 1907 S.r.l. in 1995 besucht und dort die Maschine gesehen. Auch die unterschiedlichen Farben an der Maschine und dem Schaltschrank wären üblich.
Die Beschwerdegegnerin sei gleichwohl mit einer Zurückverweisung an die erste Instanz zur Einvernahme des Zeugen einverstanden. Die Frage der Rückerstattung der Beschwerdegebühr interessiere die Beschwerdegegnerin nicht.
1. Notwendigkeit einer Vernehmung des angebotenen Zeugen
1.1 Mit der Einspruchsschrift hat die Beschwerdegegnerin eine schriftliche Erklärung des Herrn Mandrioli eingereicht. Die Erklärung stützt sich auf die Annexe 1 - 7. Die Annexe 1 - 4 betreffen eine offenkundige Vorbenutzung durch normalen Verkauf einer Maschine ohne Geheimhaltungsverpflichtung. Die Annexe 5 - 7 sind Broschüren, bzw. Handbücher, die weitere Vorbenutzungen betreffen. Für diese Letztere gibt Herr Mandrioli zwar Einzelheiten an, inklusive Seriennummer, stützt sich für seine Behauptungen jedoch auf keines der Beweismittel und gibt nicht an, woher er von diesen weiteren Vorbenutzungen erfahren haben will.
1.2 Die Beschwerdegegnerin hat Herrn Mandrioli als Zeugen angeboten. In dem Bescheid der Einspruchsabteilung vom 5. September 2006, der der Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügt war, hat die Einspruchsabteilung ihre Meinung den Parteien mitgeteilt, indem ihres Erachtens eine Vernehmung des Herrn Mandrioli nicht notwendig sei.
Mit ihrer Eingabe vom 5. Dezember 2006 und in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung hat die Beschwerdeführerin auf, aus ihrer Sicht, Lücken im Beweismaterial und Widersprüche zwischen den Annexen hingewiesen.
In der Begründung der angefochtenen Entscheidung stützt sich die Einspruchsabteilung auf den Annex 1, eine Rechnung aus dem Jahre 1992 von der Einsprechen Beschwerdegegnerin den an die Firma Gazoni 1907 S.r.l., als Beweis dafür, dass eine offenkundige Vorbenutzung durch Verkauf einer G.D. 2001 Maschine stattgefunden habe (siehe Entscheidungsgründe Punkt 2, zweiten Absatz).
1.3 Zu der Frage, welche Merkmale diese Maschine aufwies, stützt sich die Einspruchsabteilung ausschließlich auf die Bilder in Annex 4, die irgendwann im Jahre 2000, d. h. nach dem Prioritätstag, gemacht worden seien (siehe Entscheidungsgründe Punkt 2, dritten Absatz). Sie richtet sich dabei implizit nach der Erklärung von Herr Mandrioli, denn er hat das Datum der Aufnahme den Bilder angegeben und auch behauptet, dass sich der Zustand der Maschine seit ihrer Lieferung im Jahre 1992 nicht geändert hätte.
Auf den Bildern sei nach der angefochtenen Entscheidung eine Maschine G.D.2001 zu sehen, die die gleiche Seriennummer trage, wie in der Rechnung angegeben sei. Die Einspruchsabteilung stellt weiter fest, dass es auf den Bildern erscheine, dass die Maschine im Laufe der Jahre im Wesentlichen unverändert geblieben sei und damit auch der Maschine im 1992 verkauften Zustand entspreche. Weiter glaubt die Einspruchsabteilung aus den Bildern den Inhalt des abgebildeten Schrankes erkennen zu können, d.h. dass es sich um einen Schaltschrank handele.
1.4 Zu dem Hinweis der Beschwerdeführerin auf die unterschiedlichen Farben der vermeintlichen Schaltschrankeinheit und der restlichen Maschinenteile führt die Einspruchsabteilung aus, dass die beiden Farben überall gleich alt aussähen und alle Farben "auf gleiche Weise verschmutzt durch Alter und Benutzung" seien.
Wie sie zu dieser Feststellung gekommen ist, ist der Entscheidung jedoch nicht zu entnehmen.
1.5 Herr Mandrioli hat in seiner Erklärung zur Frage, ob die Maschine nicht über die Zeit hinweg abgeändert worden ist, erklärt, dass die Maschine im Jahre 1995 ihre ursprüngliche Konfiguration noch gehabt hätte, wie sie auch den später aufgenommenen Bildern zu entnehmen sei.
Warum Herr Mandrioli so aussagen konnte, z.B. woher er die ursprüngliche Konfiguration kannte, bleibt aber unbekannt, da er nicht vernommen worden ist.
1.6 Die Kammer kommt aus dem obigen Sachverhalt zum Ergebnis, dass die Einspruchsabteilung sich auf die Erklärung von Herrn Mandrioli gestützt hat, zumindest um den Gegenstand der vermeintlichen offenkundigen Vorbenutzung festzustellen.
1.6.1 In einem Fall, in dem ein Patent aufgrund einer Erklärung einer einzelnen Person widerrufen bzw. eingeschränkt aufrechterhalten wird, bedarf es jedoch einer sehr sorgfältigen Untersuchung der Beweislage, die in der Regel eine Vernehmung dieser Person als Zeugen einschließt, wenn sie - wie im vorliegenden Fall - dazu angeboten wird.
Eine solche Vernehmung ist durchaus notwendig um z. B. zu erfahren, wie der Zeuge sich an den behaupteten Tatsachen erinnern kann, und um einen Eindruck über seine Glaubwürdigkeit zu gewinnen. Wie die Beschwerdeführerin ausgeführt hat, war sie zunächst hauptsächlich darauf beschränkt, auf mögliche Lücken und Widersprüche in den Beweismitteln hinzuweisen. Um solche Lücken und Widersprüche zu bestätigen bzw. auszuräumen, ist eine Vernehmung des Zeugen in der Regel geboten.
1.6.2 Aus den vorliegenden Beweismitteln erweist sich, dass die von der Beschwerdeführerin angeführten Widersprüche in der Tat vorhanden sein können.
Die unterschiedlichen Farben der Maschinenteile stellen z. B. einen solchen Widerspruch dar. In der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung gibt es laut Protokoll dazu nur die Erklärungen des Vertreters der Einsprechenden und seiner Begleitperson, dass dies üblich gewesen sei und nicht auf eine nachträgliche Veränderung hindeute. Nur die Begleitperson, nicht jedoch der Vertreter, war - wie behauptet - bei der Aufnahme der Bilder zugegen gewesen. Beide wurden zu diesem Sachverhalt jedoch nicht als Zeugen gehört.
Auch die Annexe 2 und 3, sowie die Erklärung von Herrn Mandrioli, weisen solche Widersprüche auf. Annex 2, Seite 2, enthält eine "Note", wonach eine Bedienungsanleitung ("Libro Instruzioni") in italienischer Sprache aushändigt wurde. Auf Seite 4 von Annex 2 gibt es eine Angabe über die Dokumente für den Kunden ("Documentazione per Cliente"), die ein Handbuch auf Italienisch ("Manuali Istruzioni Copie: 1 ITA") betrifft. Annex 3, der laut Erklärung von Herr Mandrioli der ausgehändigten Bedienungsanleitung "entspricht", ist dagegen in englischer Sprache verfasst. Auch die Tatsache, dass Herr Mandrioli nicht erklärt hat, dass Annex 3 mitgeliefert wurde, sondern nur den mitgelieferten Dokumenten entspricht ("corresponds to") lässt nur ahnen, was genau mitgeliefert worden ist.
Das Vorhandensein solcher Widersprüche bzw. Lücken kann unter Umständen die gesamte Beweislage in Frage stellen, so dass deren Klärung in der Regel notwendig ist, um die Beweismittel richtig würdigen zu können.
1.7 Die Erklärung von Herrn Mandrioli betrifft außerdem eine Reihe von weiteren angeblichen Vorbenutzungen, wobei nicht klar ist, welche von den Tatsachen Herr Mandrioli persönlich bezeugen kann, und welche nur auf Informationen von Dritten, zum Beispiel von seinen Kollegen, basiert sind. Herauszufinden, welche Tatsachen Herr Mandrioli von Dritten erfahren hat, und welche er aus eigener Erfahrung bezeugen kann, ist ein weiterer Grund, Herrn Mandrioli dazu als Zeuge zu vernehmen.
1.8 Die Kammer kommt daher zu dem Schluss, dass eine Vernehmung des Zeugen Herr Mandrioli notwendig ist.
2. Verfahrensfehler durch die Nicht-Vernehmung des Zeugen
2.1 Die Beschwerdeführerin vertritt die Meinung, dass sie während des Einspruchsverfahrens implizit eine Vernehmung des Zeugen Herr Mandrioli beantragt hätte, denn explizit gibt es ein solchen Antrag nicht, wie sie in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer eingeräumt hat.
2.2 Herr Mandrioli ist schon mit der Einspruchsschrift zur Vernehmung angeboten worden. In ihrer Erwiderung vom 11. März 2004 hat die Beschwerdeführerin nicht seine Vernehmung als Zeuge beantragt, sondern sich nur mit den Beweismitteln in dem Sinne auseinandergesetzt; dass Annex 2 wegen Nachveröffentlichung und die Bilder des Annex 4 wegen ihrer Aufnahme nach dem Prioritätstag des Streitpatents nicht zu berücksichtigen seien; dass es einen Widerspruch zwischen den Annexen 2 und 3 gebe bezüglich der Sprache, in der die Betriebsanleitung verfasst sei; dass es nur eine unbelegte Behauptung sei, dass die G.D. 2001 Maschine ohne Verpflichtung zur Geheimhaltung geliefert worden sei; und dass auf jeden Fall nicht erkennbar sei, dass die Schaltschrankeinheiten in dieser Maschine überwachende und steuernde Organe aufgenommen hätten. Die dort fehlenden Merkmale seien keinem der Dokumente des Standes der Technik zu entnehmen, begründeten somit die Neuheit und erfinderische Tätigkeit. Um als implizierter Antrag auf Zeugenvernehmung zu gelten, müsste dieser Vortrag nur so verstanden werden können. Der oben wiedergegebene Vortrag kann allerdings auch so ausgelegt werden, dass die Beschwerdeführerin sich darauf beschränkt hat, bestimmte Beweismittel vom Verfahren auszuschließen, bestimmte behauptete Tatsachen anzugreifen, bzw. zu behaupten, dass sie, auch wenn sie so wären, die Neuheit oder erfinderische Tätigkeit nicht in Frage stellen können.
2.3 In ihrem, die Ladung zur mündlichen Verhandlung begleitenden, Bescheid hat die Einspruchsabteilung mitgeteilt, dass sie den Herrn Mandrioli nicht als Zeugen vernehmen würde (siehe Punkt 2, ersten Absatz des Bescheides). Frühestens zu diesem Zeitpunkt wusste die Beschwerdeführerin, dass sie explizit eine Vernehmung beantragen musste, falls sie eine solche Vernehmung für notwendig erachtete. Dies gilt umso mehr, da die Beschwerdegegnerin nochmals mit Schreiben vom 6. Oktober 2006 nachgefragt hat, ob Herr Mandrioli als Zeuge geladen wird. Daraufhin hat die Einspruchsabteilung sie mit der Mitteilung angerufen, dass die Einspruchsabteilung dies nicht beabsichtigte. Die diesbezügliche Notiz wurde der Beschwerdeführerin am 24. November 2006 zugestellt.
2.4 Die Beschwerdeführerin hat sich danach in ihrem Schreiben von 5. Dezember 2006 lediglich wieder auf der gleichen Weise mit den Beweismitteln auseinandergesetzt, was zum gleichen Ergebnis führt, dass diese Reaktion nicht als ein implizierter Antrag auf Zeugeneinvernahme gelten kann. Im Gegenteil, die Beschwerdeführerin hat in diesem Schreiben beantragt, die Erklärung von Herrn Mandrioli nicht zu berücksichtigen (siehe Seite 2, zweitletzten Absatz).
2.5 Spätestens in der mündlichen Verhandlung müsste es für die Beschwerdeführerin klar gewesen sein, dass ihre Schriftsätze nicht als impliziter Antrag verstanden worden sind. Sie hat aber darin keinen Antrag auf Vernehmung des Zeugen gestellt, und es ist nicht dem Protokoll zu entnehmen, dass sie auf eine solche Notwendigkeit in irgendeiner anderen Form hingewiesen hat.
Aus diesen Gründen kann daher die Kammer die Meinung der Beschwerdeführerin nicht teilen.
2.6 Die Beschwerdeführerin hat auch ausgeführt, dass die Einspruchsabteilung ihrer "Offizialmaxime" nicht nachgekommen sei, indem sie nicht selbst entschieden habe, den Zeugen zu laden und zu vernehmen.
Insoweit verkennt die Beschwerdeführerin jedoch, dass der Zeuge nicht von ihr, sondern von der Beschwerdegegnerin angeboten worden war, um deren Behauptungen zu untermauern, und dass die Einspruchsabteilung sich die Sache überlegt hat, und ihr Ermessen nach dem zutreffenden Artikel 114 (1) EPÜ in dem Sinne ausgeübt hat, dass sie meinte, die Anträge der Beschwerdegegnerin ohne eine Vernehmung stattgeben zu können. Die Position der Beschwerdeführerin würde dagegen dazu führen, dass eine Einspruchsabteilung jedwedes Zeugenangebot annehmen müsste, d. h. dazu keinen Ermessensspielraum hätte.
2.7 Die Beschwerdeführerin hat weiter noch die Entscheidung T 474/04 (ABl. EPA 2006, 129) zitiert. Der Sachverhalt dieser Entscheidung unterscheidet sich von dem des vorliegenden Falles darin, dass die dort betroffene Beschwerdeführerin/Patentinhaberin schon im Einspruchsverfahren einen entsprechenden Antrag auf Vernehmung des von der damaligen Beschwerdegegnerin angebotenen Zeugen (ausdrücklich) gestellt hatte, vgl. Punkt 4 der Entscheidungsgründe, der von der Einspruchsabteilung übergangen/übersehen wurde. Ein solcher Antrag ist im vorliegenden Fall weder explizit gestellt noch implizit vorhanden; diese Entscheidung ist daher nicht relevant.
2.8 Ein Verfahrensfehler seitens der Einspruchsabteilung ist aus den oben stehenden Gründen von der Kammer hier nicht erkennbar.
3. Zurückweisung des ersten Hilfsantrags aufgrund neue Argumentation in der angefochtenen Entscheidung
3.1 Erstens stellt die Kammer in Übereinstimmung mit der Beschwerdeführerin fest, dass das in Artikel 113(1) EPÜ verankerte rechtliche Gehör sich nur auf neue "Gründe" und gegebenenfalls Beweismittel (in der englischen Version) bezieht, jedoch neue Argumentation nicht umfasst.
In der angefochtenen Entscheidung gründet die Einspruchsabteilung die fehlende erfinderische Tätigkeit auf D1 als nächstliegenden Stand der Technik, unter Anwendung der Lehre der angeblichen Vorbenutzung. Laut Protokoll wurde auch auf dieser Grundlage diskutiert. Diese Tatsachen hat die Beschwerdeführerin nicht bestritten.
3.2 Die Beschwerdeführerin bestreitet jedoch, dass sich diese Diskussion auf die in der Entscheidung angegebene Aufgabe - die Ermöglichung einer leichten und schnellen Zugänglichkeit aller Komponenten - bezog. Laut Protokoll wurde dagegen auf Grund der im Patent erwähnten Aufgabe - Geräuschdämmung - diskutiert. Die Beschwerdegegnerin hat laut Protokoll zu diesem Thema jedoch bestritten, dass im Anspruch 1 überhaupt Merkmale vorhanden sind, die letztere Aufgabe lösen. Die Beschwerdeführerin hatte daher ausreichende Gelegenheit zu argumentieren, dass sie die richtige Aufgabe gewählt hat.
Es kann sodann nicht unerwartet sein, dass die Einspruchsabteilung von den Argumenten der Einsprechenden überzeugt wurde und daher eine andere Aufgabe objektiv bestimmen musste. In der Entscheidung hat im Übrigen die Einspruchsabteilung auch noch begründet, was sie von der Aufgabe, die von der Beschwerdeführerin vorgeschlagen wurde, hält (Seite 5, letzten Absatz).
3.3 Gemäß der ständigen Rechtssprechung der Beschwerdekammer werden die oben genannten "Gründe" bzw. "Gründe und Beweismittel" als diejenigen wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe verstanden, auf die sich die Entscheidung stützt (Rechtssprechung der Beschwerdekammer, 5. Auflage 2006, VI.B.1.1).
Im vorliegenden Fall sind alle diese Voraussetzungen erfüllt, denn der nächstliegende Stand der Technik und der dazu hinzuzuziehende Stand der Technik (Vorbenutzung) wurden mit den Parteien in Zusammenhang mit der erfinderischen Tätigkeit diskutiert. Die Definition der objektiven Aufgabe gehört jedoch nicht dazu, sondern zu den Argumenten (siehe z. B. auch Entscheidung T 375/00 dieser Kammer in anderer Besetzung, nicht im ABl. EPA veröffentlicht), die nicht je für sich auch noch den Parteien vorzulegen sind.
3.4 Die Kammer kann deshalb keinen schwerwiegenden Verfahrensfehler diesbezüglich feststellen.
4. Mangelnde Begründung der Entscheidung über den zweiten Hilfsantrag
4.1 Die Beschwerdeführerin moniert, dass die Einspruchsabteilung in der angefochtenen Entscheidung die auf der Hand liegende Alternativelösung der Verschiebbarkeit der Schaltschrankeinheit auf Grund allgemeiner Erfahrung des Fachmannes nicht substantiiert habe. Die Einspruchsabteilung habe lediglich ausgeführt, dass der Fachmann aufgrund seiner Ausbildung und seiner Konstruktionserfahrung die Verschiebbarkeit eines Schrankes als Alternative zur Verschwenkbarkeit eines solchen kennen würde.
4.2 Nach Meinung der Kammer war es vertretbar, dass die Einspruchsabteilung auch ohne weiteren Beleg entscheiden konnte, dass Verschwenkbarkeit eine für den Fachmann geläufige Alternative zur Verschiebbarkeit darstellt, denn diese alternative Konstruktionen können tagtäglich bei Türen beobachtet werden. Ein schwerwiegender Verfahrensfehler ist daher nicht zu erkennen. Die Kammer mag sich hier nicht dazu äußern, ob die Meinung der Einspruchsabteilung nach den Umständen des vorliegenden Falles richtig war oder nicht, denn es geht in der vorliegenden Entscheidung nur um die Frage eines möglichen (formellen) Verfahrensfehlers, nicht um die inhaltliche Beurteilung des Sachverhalts.
5. Vernehmung des Zeugen durch die Kammer, bzw. Zurückverweisung an die Einspruchsabteilung
5.1 Wie schon oben ausgeführt, hält die Kammer eine Vernehmung des Zeugen Mandrioli für notwendig.
Die Beschwerdeführerin hat jedoch die Kammer gebeten, selbst den Zeugen zu vernehmen, um Zeit zu sparen.
5.2 Der Hauptzweck eines Beschwerdeverfahrens ist die Überprüfung der angefochtenen Entscheidung. Die Vernehmung eines Zeugens zum ersten Mal durch die Kammer würde das Beschwerdeverfahren in ein erstinstanzliches Verfahren umwandeln. Dies ist indes nur in Ausnahmefällen geboten. Der vorliegende Fall ist nicht so ein solcher Ausnahmefall. Auch wenn das Verfahren in der ersten Instanz möglicherweise länger als üblich gedauert hat, so folgt hieraus nicht, dass die Kammer diese Verzögerung in der ersten Instanz nachträglich ausgleichen soll. Dies ist insbesondere dann der Fall wenn, wie im vorliegenden Fall, es um die erstmalige Erhebung von Beweis geht.
5.3 Auch das Handeln der Beschwerdeführerin im erstinstanzlichen Verfahren hat zu der durch eine Zurückverweisung verursachten Verzögerung beigetragen, denn sie hat im Einspruchsverfahren zu keinem Zeitpunkt, auch nicht hilfsweise, einen entsprechenden Antrag zur Vernehmung des Zeugen gestellt.
5.4 Die Kammer zieht es deswegen vor, die Sache an der ersten Instanz gemäß Artikel 111(1) EPÜ zurückzuverweisen, um den Zeugen Mandrioli vernehmen zu lassen. Auf Grund der durch diese Vernehmung gewonnenen Erkenntnisse, wird der Fall neu zu verhandeln und zu entscheiden sein. In der Vernehmung gilt es daher, alle relevanten Tatsachen zu ermitteln, insbesondere die der Zeuge aus erster Hand bezeugen kann. Auch die Umstände, warum der Zeuge sich an den von ihm erwähnten Fakten erinnern kann, sind zu untersuchen. Die von der Beschwerdeführerin behaupteten Widersprüche in den schriftlichen Beweismitteln sind bei der Vernehmung insbesondere zu berücksichtigen. Auch sind die weiteren behaupteten Vorbenutzungen auf ihre Relevanz zu prüfen, insbesondere was der Zeuge dazu persönlich bezeugen kann.
6. Dringlichkeit der Zeugenvernehmung
Da das Verfahren bisher relativ lang gedauert hat, sollte die Einspruchsabteilung die Akte mit Priorität behandeln. Dies ist insbesondere geboten, weil ein anschließendes weiteres Beschwerdeverfahren nicht auszuschließen ist.
7. Rückzahlung der Beschwerdegebühr
Wie oben ausgeführt, hat die Kammer keinen wesentlichen Verfahrensfehler festgestellt. Eine Ruckzahlung der Beschwerdegebühr gemäß Regel 103(1)(a) EPÜ ist daher nicht gerechtfertigt.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz zur weiteren Entscheidung zurückverwiesen.
3. Der Antrag auf Rückerstattung der Beschwerdegebühr wird zurückgewiesen.