T 0031/08 24-11-2009
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Anhängekupplung
Zulassung des Antrags (ja)
Befugnis zur Prüfung (nein)
I. Das europäische Patent EP 1 142 732 wurde von der Einspruchsabteilung mit der am 6. November 2007 zur Post gegebenen Entscheidung widerrufen. Gegen diese Entscheidung hat die Patentinhaberin am 4. Januar 2008 Beschwerde eingereicht und gleichzeitig die Beschwerdegebühr entrichtet. Die Beschwerdebegründung ging am 5. März 2008 ein.
II. Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) hatte seinerzeit den Einspruch gegen das erteilte Patent im Umfang des einzigen unabhängigen Anspruchs 1 und der abhängigen Ansprüche 2-9, 11, 12, 25, 26, 28, 31, 33 und 34 gerichtet (vgl. Einspruchsschriftsatz, Seite 9, Punkt IV und EPA-Form 2300.2, V). Im Verfahren vor der Einspruchsabteilung hatte die Beschwerdeführerin im Rahmen eines Hilfsantrags einen Anspruchssatz vorgelegt, der mehrere unabhängige Ansprüche beinhaltet. Diese Ansprüche enthalten jeweils Merkmale aus den abhängigen Ansprüchen, die nicht zum benannten Umfang des Einspruchs gehören (vgl. Schreiben vom 19. Juni 2007). Der unabhängige Anspruch 18 dieses Hilfsantrags ist eine Kombination der Merkmale der erteilten Ansprüche 1 und 17. Dieser Hilfsantrag war während der mündlichen Verhandlung wieder zurückgezogen worden (vgl. Protokoll der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung, Punkt 3).
III. Mit der Beschwerdebegründung legte die Beschwerdeführerin diesen Hilfsantrag als Hilfs antrag III erneut vor. Aus der im Ladungsbescheid dargelegten vorläufigen Meinung der Kammer geht hervor, dass Zweifel bezüglich der Patentfähigkeit des Anspruchs 1 wie erteilt (Hauptantrag) und der Ansprüche der Hilfsanträge I und II bestehen (Ladung zur mündlichen Verhandlung vom 3. Juni 2009).
IV. Am 24. November 2009 wurde vor der Kammer mündlich verhandelt. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung reichte die Beschwerdeführerin einen neuen einzigen Antrag ein. Der einzige unabhängige Anspruch dieses Antrags besteht aus der Kombination der Merkmale der erteilten Ansprüche 1 und 17. Sie beantragte die Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung auf der Grundlage der Ansprüche gemäß diesem Antrag. Die Beschwerdegegnerin beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.
V. Die Beschwerdeführerin brachte wie folgt vor:
Der vorliegende Antrag müsse in das Verfahren zugelassen werden. Art. 12(4) bzw. Art. 13 der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK, ABl. EPA 2007, 536) müsse so verstanden werden, dass vor allem Zeugen oder ähnliches Beweismaterial nicht erst im Beschwerde verfahren genannt werden dürften. Geänderte Anspruchssätze könnten von diesen Artikeln jedoch nicht umfasst sein, da im Prinzip ja jeder mögliche Anspruchssatz bereits in der ersten Instanz hätte vorgelegt werden können, was bedeute, dass vor den Beschwerdekammern keine geänderten Anspruchs sätze mehr vorgelegt werden dürften. Letztlich müsse aber die Patentinhaberin auf die Einwände der Kammer reagieren können.
Die Einspruchsabteilung habe seinerzeit die mangelnde Neuheit des Gegenstands des erteilten Anspruchs 1 festgestellt. Damit sei der Anspruchssatz des Hilfsantrags, der damals der Einspruchsabteilung vorgelegen habe und dort während der mündlichen Verhandlung wieder zurückgezogen worden sei, nicht mehr von Interesse gewesen (vgl. Protokoll der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung, Punkt 2b und 3). Einige der unabhängigen Ansprüche dieses Hilfsantrags hätten sich nicht deutlich genug vom Stand der Technik - wie ihn die Einspruchsabteilung beurteilte - unter schieden. Alle diese Ansprüche hätten Merkmale aus nicht angegriffenen Gegenständen enthalten und seien somit - wie die Einspruchsabteilung bereits festgestellt hatte - keiner weiteren Prüfung zugänglich gewesen (vgl. Protokoll der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung, Punkt 1). Damit habe aber keine Möglichkeit mehr bestanden, eine erfinderische Tätigkeit feststellen und verbescheiden zu lassen. Aus diesen Gründen habe sie den Antrag vor der Einspruchsabteilung zurückgenommen. Die Entscheidung der Einspruchsabteilung sei aber mit der Beschwerde angefochten worden und insofern sei selbiger Anspruchssatz als Hilfsantrag III mit der Beschwerdebegründung wieder vorgelegt worden, davon ausgehend, dass die Kammer die Einschätzung der Einspruchsabteilung nicht teile und feststelle, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß dem Hauptantrag mindestens neu sei; dann nämlich wäre dieser Hilfsantrag weiterverfolgt worden. Nachdem aber die Kammer in ihrem Bescheid zur Ladung signalisierte, dass sie im Wesentlichen der Auffassung der Einspruchsabteilung folgen wolle, sei der nunmehr vorliegende Anspruchssatz als einziger Antrag eingereicht worden, der den Gegenstand des abhängigen Anspruchs 17 als Basis habe. Dieser Anspruchssatz habe bislang auch noch nicht vorgelegen.
Des Weiteren sei der Gegenstand dieses Anspruchs der Entscheidung der Großen Beschwerdekammer G 9/91 folgend keiner Prüfung zugänglich, da der Einspruch ausdrücklich nicht auf den Gegenstand des abhängigen Anspruchs 17 ausgerichtet sei.
VI. Die Beschwerdegegnerin argumentierte wie folgt: Der neue Antrag dürfe nicht in das Verfahren zugelassen werden, da er gegen den Art. 12(4) bzw. Art. 13 der VOBK verstoße. Schließlich sei dieser Antrag ein Teil eines Hilfsantrags, der schon im Einspruchsverfahren vorgelegen habe und dann aus freien Stücken von der Beschwerdeführerin zurückgezogen worden sei. Dieser Antrag sei damit mangels Beschwer für das Beschwerdeverfahren nicht zuzulassen, vgl. auch T 528/93. Im Übrigen habe die Einspruchsabteilung verlauten lassen, dass sie Ansprüche, die einen nicht mit dem Einspruch angegriffenen Gegenstand enthalten, nicht prüfen werde (vgl. Protokoll der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung, Punkt 1). Damit habe die Beschwerdeführerin davon ausgehen können, dass ihr im Einspruchsverfahren ein Antrag gewährt werde, der seine Basis in einem nicht angegriffenen Gegenstand des erteilten Patents habe. Es widerspräche nun dem Gebot der Verfahrensökonomie, einen derartigen Antrag erst im Beschwerdeverfahren vorzulegen.
Was die substantielle Prüfung des Anspruchs 1 beträfe, so sei mit dem Einspruch der Gegenstand des erteilten abhängigen Anspruchs 17 tatsächlich nicht angegriffen worden. Des Weiteren sei auch keines der vorliegenden Dokumente geeignet, den Gegenstand dieses Anspruchs prima facie in Frage zu stellen, so dass die Bedingungen, wie in den Entscheidungsgründen, Punkt 11 der Entscheidung G 9/91 genannt, nicht zu erfüllen seien. Damit wäre keine Möglichkeit vorhanden, den Gegenstand des vorliegenden Anspruchs substantiell in Frage zu stellen.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Der in der mündlichen Verhandlung geänderte neue Antrag der Beschwerdeführerin wird in das Verfahren zugelassen. Der einzige unabhängige Anspruch dieses Antrags besteht aus den Merkmalen des erteilten Anspruchs 1 kombiniert mit den Merkmalen des erteilten abhängigen Anspruchs 17. Der erteilte Anspruch 17 bezieht sich auf einen Gegenstand, der mit dem Einspruch ausdrücklich nicht angegriffen wurde.
2.1 Art. 13 (1) VOBK stellt es in das Ermessen der Kammer, Änderungen des Vorbringens der Beteiligten nach Einreichung der Beschwerdebegründung dann nicht zuzulassen und zu berücksichtigen, wenn insbesondere die Komplexität des Vorbringens, der Stand des Verfahrens und die gebotene Verfahrensökonomie dagegen sprechen. Nach Ansicht der Kammer ist weder das Vorbringen so komplex, noch sprechen der Stand des Verfahrens oder die Verfahrensökonomie dafür, dass der Beschwerdeführerin dieser Antrag versagt werden müsste. Die Kammer sieht in diesem Antrag eine adäquate Reaktion auf die im Ladungsbescheid dargelegte vorläufige Auffassung der Kammer, in dem die Patentfähigkeit bzw. die Zulassung aller seinerzeit vorliegenden Anträge in Frage gestellt wurde.
2.2 Dem von der Beschwerdegegnerin vorgebrachten Argument, der in der mündlichen Verhandlung eingereichte Antrag verstoße auch gegen Art. 12 (4) VOBK, kann die Kammer nicht folgen. Art. 12 VOBK bezieht sich explizit und ausschließlich auf die Beschwerdebegründung bzw. Erwiderung. In der Beschwerdebegründung wurde aber zunächst das Patent wie erteilt verteidigt. In Form des mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hilfsantrags III hat die Beschwerdeführerin denselben Anspruchssatz wieder vorgelegt, den sie in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung zurückgezogen hatte. Die Beschwerdeführerin hat aus für die Kammer nachvollziehbaren Gründen diesen Antrag auch im Beschwerdeverfahren wieder zurückgenommen und einen neuen Antrag vorgelegt, der nun weder identisch mit dem Hilfsantrag III der Beschwerde begründung ist, noch eine Teilmenge desselben darstellt. Dieser Antrag ist in der mündlichen Verhandlung erstmals vorgelegt worden. Von daher hat die Kammer hier nur in Ausübung ihres Ermessens gemäß Art. 13 VOBK zu entscheiden, ob unter Berücksichtigung der Komplexität, des Verfahrensstands oder der Verfahrenökonomie dieser Antrag in das Verfahren zugelassen wird, siehe 2.1.
3. Nach den Entscheidungen G 9/91 und G 10/91 der Großen Beschwerdekammer (ABl. EPA 1993, 408 und 420) beschränkt sich die Prüfung eines Einspruchs auf den Umfang, in dem in der Einspruchsschrift gegen das Patent Einspruch eingelegt wird. Beschränkt die Einsprechende ihren Einspruch auf einzelne Gegenstände, so unterliegen die übrigen keinem Einspruch im Sinne der Artikel 101 und 102 EPÜ 1973 und auch keinem Verfahren im Sinne der Artikel 114 und 115 EPÜ 1973 (vgl. Nr. 10 der Entscheidungsgründe). Nach Ansicht der Großen Beschwerdekammer gilt allerdings eine Einschränkung dieses Grundsatzes: "Auch wenn der Einspruch ausdrücklich nur gegen den Gegenstand eines unabhängigen Anspruchs eines europäischen Patents gerichtet ist, können doch auch Ansprüche, die von einem solchen unabhängigen Anspruch abhängen, auf ihre Patentierbarkeit hin geprüft werden, wenn der unabhängige Anspruch im Einspruchs- oder Beschwerdeverfahren vernichtet wird, sofern die Gültigkeit dieser abhängigen Ansprüche durch das bereits vorliegende Informationsmaterial prima facie in Frage gestellt wird" (vgl. Nr. 11 der Entscheidungsgründe, Hervorhebung durch die Kammer).
3.1 Im vorliegenden Fall jedoch ist der Einspruch nicht nur gegen den Gegenstand des einzigen unabhängigen Anspruchs gerichtet, sondern auch gegen einige von diesem unabhängigen Anspruch abhängigen Ansprüche. Laut Einspruchsschrift richtet sich der Einspruch unmissverständlich gegen das erteilte Patent im Umfang des unabhängigen Anspruchs 1 und der von diesem Anspruch abhängigen Ansprüche 2-9, 11, 12, 25, 26, 28, 31, 33 und 34 (vgl. Einspruchsschriftsatz, Seite 9, Punkt IV und EPA-Form 2300.2, V). Die Beschwerdegegnerin führte dazu in der mündlichen Verhandlung aus, dass mit dem Einspruch der erteilte abhängige Anspruch 17 tatsächlich nicht angegriffen werden sollte. Die Merkmale des abhängigen erteilten Anspruchs 17 definieren ein Keilgetriebe, welches zur Erzeugung der Bewegung des Schwenkelements vorgesehen ist; der ebenfalls nicht angegriffene Anspruch 13 beansprucht ein Keilgetriebe zur Verspannung von Teilen; Anspruch 18 definiert, dass zur Bewegung des Schwenkelements und zur Verspannung das selbe Keilgetriebe dient. Die Ansprüche 19 und 20 beschreiben einen motorischen Antrieb, der das Keilgetriebe antreibt. Keiner der für den Umfang des Einspruchs benannten Ansprüche setzt sich mit einem Getriebe oder dessen Antrieb auseinander. Die Beschwerdegegnerin hat daher nach Auffassung der Kammer den Einspruch auf einzelne - im Umfang des Einspruchs benannte - Gegenstände gerichtet, während andere Ansprüche, so auch die, die den Gegenstand des Keilgetriebes und dessen Antrieb definieren, nicht benannt wurden und somit vom Umfang des Einspruchs ausgeschlossen sind. Damit unterliegt der Gegenstand des Keilgetriebes und dessen Antrieb keinem Einspruch im Sinne der Art. 101 und 102 EPÜ 1973 und auch keinem Verfahren im Sinne der Art. 114 und 115 EPÜ 1973 (siehe Punkt 3, oben).
3.2 Angesichts der Tatsache, dass die Beschwerdeführerin nicht nur den einzigen unabhängigen Anspruch angegriffen hat, sondern auch gezielt einige davon abhängige Ansprüche, ist die in den Entscheidungen G 9/91 und G 10/91 (Nr. 11 der Entscheidungsgründe) dargelegten Ausnahmeregelung (siehe auch Punkt 3, oben) im vorliegenden Fall nicht anwendbar. Es bleibt daher bei dem von der Großen Beschwerdekammer in diesen Entscheidungen (Nr. 10 der Entscheidungsgründe) aufgestellten Grundsatz hinsichtlich des rechtlichen und faktischen Rahmens, innerhalb dessen die materiellrechtliche Prüfung durchzuführen ist (siehe auch Punkt 3, oben). Die Kammer hat damit keine Befugnis den vorliegenden Anspruch 1, der sich aus den erteilten Ansprüchen 1 und 17 zusammensetzt, substantiell zu prüfen.
3.3 Die Kammer hätte darüber hinaus die in den Entscheidungen G 9/91 und G 10/91 aufgestellte Ausnahmeregelung nicht anwenden können, da die Gültigkeit des abhängigen Anspruchs 17 nicht durch das bereits vorliegende Informationsmaterial prima facie in Frage gestellt wird. Die Beschwerdegegnerin hat in der mündlichen Verhandlung ebenfalls ausdrücklich bestätigt, dass aus ihrer Sicht keines der im Verfahren befindlichen Dokumente die Merkmalskombination, die sich aus den erteilten Ansprüchen 1 und 17 ergibt, prima facie in Frage stellen würde.
4. Aus den oben dargelegten Gründen hat die Kammer keine Befugnis, den Anspruch 1 und die davon abhängigen Ansprüche 2 bis 39 gemäß des der Kammer vorliegenden einzigen Antrags der Beschwerdeführerin zu prüfen. Das Patent ist daher in geänderter Fassung aufrechtzuerhalten.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Sache wird an die erste Instanz mit der Anordnung zurückverwiesen, das Patent mit folgenden Unterlagen aufrechtzuerhalten:
- Ansprüche 1 bis 39, eingereicht in der mündlichen Verhandlung;
- Beschreibungsspalten 1 bis 6, eingereicht in der mündlichen Verhandlung, und 7 bis 25, wie erteilt;
- Zeichnungen wie erteilt.