T 0444/09 (Carl Freudenberg/Filtereinsatz) 26-06-2014
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Filtereinsatz
Carl Freudenberg KG
Behr GmbH & Co. KG
Neuheit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Verspätetes Vorbringen - offenkundige Vorbenutzung zugelassen (nein)
I. Die vorliegende Beschwerde betrifft die Entscheidung der Einspruchsabteilung, den Einspruch gegen das europäische Patent EP-B1-1391233 zurückzuweisen. Darin befand die Einspruchsabteilung, dass der Gegenstand des Patentes neu und erfinderisch gegenüber D1 (EP-A1-705 634) und D2 (EP-A1-900 585) sei.
II. Dagegen legte die Einsprechende (Beschwerdeführerin) Beschwerde ein. In der Beschwerdebegründung wurde erstmals eine offenkundige Vorbenutzung geltend gemacht (Konvolut D3 bestehend aus den Belegen D3.1 bis D3.6).
III. In ihrer vorläufigen nichtbindenden Meinung unter Artikel 15(1) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK) wies die Kammer darauf hin, dass es fraglich sei, ob die geltend gemachte Vorbenutzung in das Verfahren aufgenommen werden könne. Zudem wurde D2 als relevant für die Frage der Neuheit angesehen.
IV. Am 23. Mai 2014 reichte die Patentinhaberin (Beschwerdegegnerin) sieben neue Hilfsanträge ein.
V. Mit Schreiben vom 26. Mai 2014 reichte die Beschwerdeführerin neue, detailgenauere Kopien der Belege D3.4 und D3.5 und das Dokument D4 (Modellgeschichte Fiat Stilo) ein.
VI. Die mündliche Verhandlung fand am 26. Juni 2014 statt. Es wurden die Neuheit bezüglich der Dokumente D1 und D2, die Relevanz der Vorbenutzung E3 und die erfinderische Tätigkeit diskutiert. Die Beschwerdeführerin verzichtete endgültig auf die Stellung ihres mit dem Schreiben vom 26. Mai 2014 vorsorglich angekündigten Antrags auf Vorlage von Fragen an die Grosse Beschwerdekammer.
VII. Die Argumente der Beschwerdeführerin können wie folgt zusammengefasst werden:
Die Dichtlippen (4) gemäß Anspruch 1 des Streitpatents seien weder hinsichtlich ihrer konstruktiven Ausgestaltung noch hinsichtlich ihrer relativen Abmessungen näher spezifiziert. Zudem seien sie auch nicht hinsichtlich ihrer Formgestalt bei ihrem Zusammenwirken mit der Gehäusewandung spezifiziert. Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents sei ausschließlich auf einen Filtereinsatz und nicht etwa auf eine Filtereinrichtung mit Filtereinsatz und bestimmtem Gehäuse gerichtet.
Aus Figur 2 der D1 sei ersichtlich, dass das Abdichtband 15 auch über den oberen Rand des Filtergehäuses 10 rage. D1 sei somit neuheitsschädlich für den Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents.
Aus Figur 2 der D2 seien alle Merkmale des Anspruchs 1 des Streitpatents ersichtlich. Die Klemmwirkung zwischen dem Rahmen 10 und dem Dichtungselement 6 erfolge unter elastischer Verformung und Verspannung des Dichtungselements 6. Die Dichtlasche 7 des Dichtungselements 6 liege somit in der Aufnahmenut 11 unter elastischer Vorspannung dichtend an der Gehäusewandung an. Der Dichtstreifen 6 sei aus Kunststoffvlies und müsse elastisch sein, damit er in die Aufnahmenut eingefügt werden könne. D2 sei somit neuheitsschädlich für den Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents.
Die mit dem Anlagenkonvolut D3 dokumentierte Vorbenutzung des patentierten Gegenstands habe wegen organisatorischer Probleme im Bereich des Unternehmens der Beschwerdeführerin erst mit der Beschwerdebegründung geltend gemacht werden können. Die Vorbenutzung betreffe Kombifilter, die Anfang 2002 - und damit vor dem Prioritätsdatum 13. August 2002 - in großer Stückzahl und ohne Geheimhaltungsverpflichtung von der Herstellerin helsa automotive GmbH an ihren Kunden Denso Thermal Systems S.p.A. zum Einbau in Kraftfahrzeuge des Typs Fiat 192 ("Stilo") ausgeliefert worden seien. Diese Filter zeigten sämtliche Merkmale des Anspruchs 1 des Streitpatents. Dies könne auch von einem näher benannten Zeugen bestätigt werden.
Die Zeichnungen der Anlage D3.1 zeigten derartige "MMC Fiat 192 Kombifilter®".
Aus dem Beleg D3.6 sei eindeutig zu erkennen, dass Kombifilter für Fiat 192 im Jahr 2002 in einer Stückzahl von 29880 hergestellt worden seien. Die Herstellung sei auch schon in den Monaten vor dem Prioritätsdatum des Streitpatents erfolgt. Aus dem "Auszug rechter Teil unten" des Beleges D3.1 sei ersichtlich, dass die Freigabe der Zeichnung bzw. des darin gezeigten Gegenstandes am 31. Mai 2002 erfolgt sei. Aus der U-Profil-Form nach Art eines "C", so wie sie in Beleg D3.4 zu sehen sei, sei die schachtartige Filteraufnahme ersichtlich, in die der Filtereinsatz eingesetzt werde, so dass er elastisch zusammen mit den Dichtlippen in den Aufnahmeschacht aufgenommen sei.
Der durch die offenkundige Vorbenutzung gegebene Stand der Technik sei deshalb prima facie relevant und neuheitsschädlich.
Die erfinderische Tätigkeit betreffend werde darauf verwiesen, dass der Fachmann, der den Filtereinsatz aus D1 universell einsetzen wollte, veranlasst wäre, nicht nur an der Unterseite eine Dichtlasche vorzusehen, sondern auch an der Oberseite.
Ausgehend von D2 könne die Aufgabe darin gesehen werden die Gehäuseform einfacher zu gestalten. Angesichts der D1 sei es naheliegend, ein elastisches Material zu wählen, da ein solches das Vorhandensein der Klemmelemente entbehrlich mache. Zudem sei es sowieso gemäß der D2 möglich, dass der Dichtstreifen 6 auch aus einem elastischem Material bestehe.
VIII. Die Argumente der Beschwerdegegnerin können wie folgt zusammengefasst werden:
D1 zeige keine Dichtlippe an der oberen Seite, so dass im oberen Bereich keine Dichtwirkung durch den Dichtstreifen gegeben sei. Es sei ohne weiteres erkennbar, dass an dem oberen Rand des Filterpacks lediglich die Schnapplaschen 18, 19, 20 angriffen, die den Filterpack in seinem Gehäuse hielten und die unten an den Abdichtbändern 15, 16 ausgebildeten Rolldichtungen gegen den Gehäusegrund drückten.
D2 erwähne an keiner Stelle eine Dichtlasche oder eine Dichtlippe. Vielmehr bilde der Dichtstreifen 6 über seine gesamte Höhe zusammen mit der Nut 20, der Seitenwand 10 und dem Klemmsteg 22 des Gehäuses 9 eine Labyrinthdichtung. Für gefaltete Filter verwendete Vliese seien nicht elastisch. Eine Reibung sei nicht als Stauchung der Längskante 7 im Sinne einer elastischen Vorspannung zu verstehen. Die Längskante 7 auf der Unterseite diene der Führung in der Nut, während die Längskante 21 auf der Oberseite als Gegenlager für den Klemmsteg 22 diene. Die Längskante 21 könne nicht als Dichtlippe angesehen werden, da sie, in Kombination mit dem Klemmsteg, lediglich dazu diene, das Lösen aus dem Filtergehäuse infolge von Schwingungen zu verhindern. Die in D2 erwünschte einfache und schnelle Montage erfordere, dass der Dichtstreifen 6 eine hohe Stabilität und Festigkeit habe.
Die angebliche Vorbenutzung D3 sei nicht in das Verfahren zu zulassen, da sonst der Charakter des Beschwerdeverfahrens als Kontrollverfahren nicht gewahrt sei. Es sei auch nicht ersichtlich, wieso die Vorbenutzung erst jetzt geltend gemacht werde, obwohl sich alle Informationen im Besitz der Beschwerdeführerin befunden hätten und aus welchem Grunde die Vorbenutzung prima facie relevant bzw. relevanter als D2 sein solle.
Ausgehend von D1 bestehe die zu lösende Aufgabe darin, die Montage zu vereinfachen und Montagefehler zu verhindern. Diese Aufgabe sei gelöst, und zwar unabhängig davon, ob der Überstand der Dichtlaschen beiderseits symmetrisch sei oder nicht. Der Anspruch verlange nur, dass die Dichtlasche dichtend anlegbare Dichtlippen sowohl an der Plattenober- als auch an der Plattenunterseite bilde. Die Lösung sei nicht nahegelegt, da es darauf keinerlei Hinweis im Stand der Technik gebe und sich für die Lösung der Aufgabe auch eine Reihe anderer Möglichkeiten, wie z.B. das als "Poka Yake" bekannte Prinzip, angeboten hätten.
IX. Die unabhängigen Ansprüche des Streitpatents lauten wie folgt:
"1. Filtereinsatz mit einem im wesentlichen plattenförmigen Filterelement, welches an wenigstens zwei gegenüberliegenden Seitenflächen mit einer Dichtlasche versehen ist, deren Höhe größer ist als die Plattendicke, wobei der überstehende Teil der Dichtlasche eine Dichtlippe bildet, welche in einem den Filtereinsatz aufnehmenden Filtergehäuse zum Abdichten des Filtereinsatzes gegenüber dem Gehäuse unter elastischer Vorspannung dichtend an die Gehäusewandung anlegbar ist, dadurch gekennzeichnet, dass die Dichtlasche (3) das Filterelement (2) beidseitig überragt und Dichtlippen (4) sowohl an der Plattenober- als auch an der Plattenunterseite bildet."
"6. Verwendung eines Filtereinsatzes nach einem der Ansprüche 1 bis 5 in einer Einrichtung zum Filtrieren der Frischluft für den Innenraum eines Kraftfahrzeuges."
X. Anträge:
Die Beschwerdeführerin beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen. Zudem beantragt sie, die von der Beschwerdegegnerin mit Schreiben vom 22. Mai 2014 eingereichten Hilfsanträge 1 bis 7 nicht in das Verfahren zuzulassen.
Die Beschwerdegegnerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen, hilfsweise, das Patent auf der Grundlage der Ansprüche gemäß einer der Hilfsanträge 1 bis 7, eingereicht mit dem Schreiben vom 22. Mai 2014, aufrecht zu erhalten. Zudem beantragt sie, die Entgegenhaltung D3 nicht zuzulassen. Für den Fall, dass die Entgegenhaltung D3 zugelassen würde, beantragt sie, ein Sachverständigengutachten gemäß Artikel 117(1) e), Regel 121 EPÜ einzuholen sowie ihr ein Exemplar des betreffenden Filters zur eigenen Begutachtung zu übergeben.
1. Artikel 54 EPÜ
1.1 Anspruch 1 ist ein Vorrichtungsanspruch und betrifft einen Filtereinsatz, der u.a. dadurch definiert wird, wie er in ein Filtergehäuse einsetzbar ist. Das Filtergehäuse selbst ist unstreitig aber nicht Teil des beanspruchten Gegenstands. Mit Blick hierauf erfordert das Merkmal "unter elastischer Vorspannung dichtend an die Gehäusewandung anlegbar" nicht zwingend, dass der Filtereinsatz schlussendlich auch in dieser Art in das Filtergehäuse eingefügt sein muss, da, wie erwähnt, die Kombination von Filtereinsatz und Filtergehäuse nicht Gegenstand des Anspruchs ist. Das erwähnte Merkmal erfordert jedoch, dass die Dichtlippe aus einem elastischem Material besteht. Es reicht insoweit nicht, dass das Material unter Krafteinwirkung lediglich verformbar ist, vielmehr muss das Material auch die Fähigkeit besitzen, bei Wegfall der Krafteinwirkung wieder in seine ursprüngliche Form zurückzukehren.
1.2 Das Dokument D1 offenbart in Figur 2 einen Filter, enthaltend ein Filtergehäuse 10 und einen Filtereinsatz 11, der auf den Seitenflächen ein Abdichtband aufweist. Das Abdichtband ist an seinem unteren Ende in Form einer Rolldichtung ausgestaltet, was bedeutet, dass es höher ist als der Filtereinsatz (siehe Spalte 3, Zeilen 18 bis 20). Aufgrund der Elastizität des Abdichtbandes wird eine wirksame Abdichtung an den Seitenflächen erzielt. Der Filtereinsatz ist an der Oberseite mittels Schnapplaschen gegen Herausfallen gesichert.
D1 aber offenbart nicht, dass das Abdichtband den Filtereinsatz auch am oberen Ende überragt und auch dort beispielsweise eine Rolldichtung bildet (siehe Figuren 1 und 2). Selbst wenn man der Meinung der Beschwerdeführerin zustimmte, dass aus Figur 2 ersichtlich sei, dass das Abdichtband den Filtereinsatz auch am oberen Ende überragt, so wäre dieses Überragen so gering, dass keine Dichtlippe ausgebildet wäre, welche unter elastischer Vorspannung dichtend an die Gehäusewandung anlegbar wäre.
Die Schnapplaschen sind nicht Teil des Abdichtbandes, sondern ein Teil des Filtergehäuses und dienen nicht der Abdichtung, sondern dem Festhalten des Filtereinsatzes.
Somit offenbart D1 keine Dichtlasche, die das Filterelement beidseitig überragt und Dichtlippen sowohl an der Plattenober- als auch an der Plattenunterseite bildet.
Der Gegenstand der Ansprüche 1 bis 6 des Streitpatents ist demzufolge neu gegenüber D1.
1.3 Das Dokument D2 offenbart in Figur 2 einen Halterrahmen, in den ein Filterelement eingesetzt ist, das an beiden Längsseiten einen Dichtstreifen aufweist. Der Dichtstreifen überragt am oberen und am unteren Ende das Filterelement. Das untere Ende des Dichtstreifens ist in eine Aufnahmenut eingesteckt, wobei diese und der mit seiner Längskante eingreifende Dichtstreifen eine Labyrinthdichtung bilden. Die einragende Längskante des Dichtstreifens sitzt mit Reibschluss strömungsdicht in der Nut fest (siehe Spalte 3, Zeilen 7 bis 20). Das obere Ende des Dichtstreifens ist durch einen Klemmsteg eingeklemmt, damit sich das Filterelement nicht unbeabsichtigt löst.
Es mag dahingestellt bleiben, ob der überstehende Teil des Dichtstreifens eine Dichtlippe bildet, da jedenfalls aus D2 nicht eindeutig und unmittelbar hervorgeht, dass er aus einem elastischen Material besteht. Der erwähnte Umstand, dass der Dichtstreifen strömungsdicht in der Nut durch Reibschluss festsitzt, impliziert ebenfalls nicht, dass das Material des Dichtstreifens elastisch sein müsse. Vielmehr kann diese Dichtigkeit auch durch die passende Geometrie der Aufnahmenut erreicht werden (siehe Spalte 3, Zeilen 20 bis 23). Zwar kann der Dichtstreifen aus Kunststoffvlies bestehen (siehe Spalte 2, Zeilen 45 und 46), was jedoch nicht zwangsläufig bedeutet, dass er elastisch ist.
D2 offenbart eine Elastizität des dichtenden Materials allein in Bezug auf die Diskussion des Standes der Technik D1 (siehe Spalte [0004]). Über die Elastizität des Dichtstreifens wird in D2 tatsächlich nichts erwähnt, was auch darauf hindeutet, dass diese Eigenschaft dort nicht wesentlich ist.
Die Kammer kommt deshalb zum Schluss, dass aus D2 nicht unmittelbar und eindeutig hervorgeht, dass der Dichtstreifen aus elastischem Material besteht.
Der Gegenstand der Ansprüche 1 bis 6 des Streitpatents ist demzufolge auch gegenüber D2 neu.
2. Artikel 114(2) EPÜ: Zulassung des späten Vorbringens der Beschwerdeführerin betreffend die Vorbenutzung gemäß Anlagenkonvolut D3
2.1 Die angebliche offenkundige Vorbenutzung gemäß den Dokumenten D3 wurde erstmalig mit der Beschwerdebegründung geltend gemacht. Tatsächlich müssen aber sämtliche relevanten Tatsachen - soweit bekannt - bereits mit der Einspruchsschrift vorgetragen werden.
2.2 Die Beschwerdeführerin hat organisatorische Gründe dafür angegeben, dass eine Vorbenutzung erst im Beschwerdeverfahren geltend gemacht wurde, obwohl die Beschwerdeführerin die betreffenden Filter nebst den eingereichten Unterlagen gemäß D3 bereits zuvor selbst besaß.
Dieses Vorbringen kann von der Kammer nicht berücksichtigt werden. Jedenfalls aus objektiver Sicht hätte die Beschwerdeführerin die in ihrem Besitz befindlichen Anlagen gemäß D3 schon im Verfahren vor der Einspruchsabteilung vorlegen können. Dass sie insoweit nach dem Vorbringen ihres Vertreters "organisatorische Probleme" gehabt hat, liegt im alleinigen Risikobereich der Beschwerdeführerin und kann nicht zu Lasten der anderen Partei, hier der Beschwerdegegnerin, gehen.
2.3 Die geltend gemachte Vorbenutzung kann auch nicht als annehmbare Reaktion auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung angesehen werden, da sich der Gegenstand des Einspruchs während des Verfahrens nicht geändert hat.
Der Vortrag betreffend die Vorbenutzung stellt somit neues Vorbringen dar, von dem die Kammer nicht erkennen kann, wieso sie nicht bereits vor der Einspruchsabteilung geltend gemacht wurde. Dies wäre bereits Grund genug, den neuen Vortrag nicht in das Verfahren zuzulassen, und zwar ungeachtet seiner Relevanz (siehe T 75/11 (Gründe 3.2) und T 534/89 (Gründe 2.7)).
2.4 Die Kammer hat dennoch die Relevanzprüfung durchgeführt und ist aus folgenden Gründen zu dem Schluss gekommen, dass die Vorbenutzung nicht als prima facie relevant angesehen und somit nicht in das Verfahren zugelassen werden kann.
Es obliegt der Beschwerdeführerin, die offenkundige Vorbenutzung lückenlos nachzuweisen, da alle Beweismittel dafür in ihrer Verfügungsmacht standen und damit grundsätzlich ihrem Wissen unterlagen (vgl. auch T 472/92, Gründe 3.1). Dies ist im vorliegenden Fall nicht geschehen.
Anhand der eingereichten Unterlagen lässt sich nämlich nicht mit hinreichender Eindeutigkeit sagen, dass der in Beleg D3.1 schematisch dargestellte Filter vor dem Prioritätsdatum des Streitpatents öffentlich zugänglich war. Aus der dort ersichtlichen Freigabe dieser Zeichnung am 31. Mai 2002 kann nicht geschlossen werden, dass der Filter anschließend sofort in den Fiat Stilo eingebaut und spätestens damit der Öffentlichkeit zugänglich wurde. Die in Beleg D3.6 gezeigte Tabelle gibt nach den Angaben der Beschwerdeführerin die Stückzahlen der angeblich ausgelieferten Filter an, nicht jedoch, wann und wohin diese Filter ausgeliefert wurden. Insofern fehlt es auch schon an entsprechendem Vorbringen der Beschwerdeführerin. Es sind auch keine anderen Belege etwa in Form von Lieferscheinen vorgelegt worden, die etwaige Lieferungen nachvollziehbar belegt hätten.
Wie zudem aus der Diskussion der D2 ersichtlich, ist es für die Relevanz des späten Vorbringens bezüglich der Neuheit entscheidend, ob die Dichtlasche aus einem solchen Material besteht, dass sie unter elastischer Vorspannung dichtend an die Gehäusewandung anlegbar ist. In Beleg D3.1 ist nun zwar das Schema eines Filters zu sehen, dessen Seitenflächen das Gehäuse auf der Ober- sowie auf der Unterseite überragen, es gibt jedoch keine Angabe darüber, aus welchem Material diese Seitenflächen bestehen. Eine Materialspezifikation für den angeblich vorbenutzten Kombifilter, die über diese Frage Auskunft geben könnte, wurde ebenfalls nicht vorgelegt. Es kann daher im Rahmen dieses Beschwerdeverfahrens nicht beurteilt werden, ob die Seitenwände des betreffenden Gehäuses elastisch sind oder nicht.
Auch die fotografischen Abbildungen D3.4 und D3.5, darstellend eine schachtartige Filteraufnahme, belegen ungeachtet ihrer fototechnischen Unschärfen nicht, dass sich darin der in Beleg D3.1 schematisch dargestellte Filter mit einer elastischen Dichtlippe befindet. Die Elastizität als Materialeigenschaft kann ohnehin nicht auf einem Foto erkannt werden, allenfalls könnte erkennbar sein, ob ein Material verformbar ist. Hierauf käme es aber ohnehin nicht an, denn, wie oben unter Punkt 1.1 dargelegt, ein verformbares Material ist nicht zwangsläufig elastisch.
2.5 Eine Zeugeneinvernahme war ebenfalls nicht veranlasst. Der Zweck einer Zeugenaussage ist es nicht, Behauptungen erstmals aufzustellen, um zu einem schlüssigen Vortrag zu gelangen, sondern einen bereits schlüssigen Vortrag durch ein entsprechendes Bejahen oder Verneinen des Zeugen zu beweisen. Es ist aber nicht Aufgabe der Beschwerdekammer, durch Befragung des Zeugen Lücken in einer unzureichenden Substantiierung der Vorbenutzung zu schließen. Für eine ausreichende Substantiierung muss sich der behauptete Sachverhalt bereits vollständig aus dem Beteiligtenvorbringen ergeben und darf sich nicht erst durch die - vervollständigende - Aussage des Zeugen erschließen lassen (siehe T 1028/11, Gründe 4.3). Wie oben ausgeführt, mangelt es hier aber bereits an schlüssigem Vorbringen.
2.6 Zusammenfassend wird die angebliche Vorbenutzung als verspätet vorgebracht und zudem als nicht prima facie relevant angesehen. Sie wird daher nicht in das Verfahren zugelassen.
3. Artikel 56 EPÜ
3.1 Die Erfindung betrifft einen Filtereinsatz, bestehend aus einem Filterelement und elastischen Dichtlaschen, der vorzugsweise für das Filtrieren der Frischluft für den Innenraum eines Kraftfahrzeuges vorgesehen ist.
3.2 Als nächstliegender Stand der Technik kann das Dokument D1 angesehen werden. Wie unter Punkt 1.2 beschrieben offenbart D1 einen Filtereinsatz mit einer elastischen Rolldichtung auf der unteren Seite, der auch zum Filtrieren von Luft vorgesehen ist (siehe Spalte 2, Zeile 55). Die Art der Dichtung ist also identisch mit der im Streitpatent beschriebenen.
D2 ist dagegen als nächstliegender Stand der Technik weniger geeignet, da der Dichtstreifen des Filtereinsatzes gemäß D2 auf der unteren Seite eine Labyrinthdichtung mit der Aufnahmenut bildet und auf der oberen Seite von einem Klemmsteg eingeklemmt ist.
3.3 Nachteilig an dem Filtereinsatz gemäß D1 ist, dass die Montagerichtung vorgegeben ist und bei dessen versehentlich falschem Einbau die Dichtfunktion nicht mehr gegeben ist (siehe Absatz [0004] des Streitpatents).
Ausgehend von D1 besteht die technische Aufgabe für das Streitpatent darin, die Montage des Filtereinsatzes zu vereinfachen und die Gefahr von Fehlfunktionen aufgrund von Montagefehlern herabzusetzen (siehe Absatz [0005] des Streitpatents).
3.4 Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Streitpatent den Filtereinsatz gemäß Anspruch 1 vor, der dadurch gekennzeichnet ist, dass die Dichtlasche das Filterelement beidseitig überragt und Dichtlippen sowohl an der Oberseite als auch an der Unterseite des Filterelements bildet.
3.5 Die Kammer ist der Meinung, dass die Aufgabe erfolgreich gelöst wurde, da das Vorhandensein von Dichtlippen auf beiden Seiten eines Filters offenkundig dessen Einbau in ein Filtergehäuse in beliebiger Montagerichtung ermöglicht, ohne dass es insoweit zu Fehlfunktionen des Filters kommt.
Figur 1 sowie die Beschreibung (Spalte 2, Zeile 16) zeigen bzw. erwähnen einen symmetrischen Überstand der Dichtlippen, jedoch scheint eine vollkommen symmetrische Anordnung nicht zwingend notwendig, um die gestellte Aufgabe zu lösen. Die Bedingung, dass die Dichtlippe "unter elastischer Vorspannung dichtend an die Gehäusewandung anlegbar ist", impliziert, dass die Dichtlippe sowohl oben als auch unten eine dichtende Funktion ausbildet. Der Fachmann würde daher keinen Überstand vorsehen, der auf der einen Seite eine deutlich andere Länge hat als auf der anderen Seite. Einen Hinweis darauf, dass bereits eine leichte Abweichung von der Symmetrie bei gleichzeitiger Dichtwirkung der überstehenden Dichtlippen eine Lösung der Aufgabe verhindern würde, gibt es nicht. Zudem ist die genaue Länge des Überstandes der Dichtlippen auch vom Filtereinsatz abhängig.
3.6 Es bleibt nun zu entscheiden, ob der Stand der Technik Anregungen bot, die genannte Aufgabe durch beidseitig, nämlich am oberen und unteren Ende, überstehende Dichtlippen zu lösen.
D1 selbst gibt keinen Hinweis dafür, dass das Abdichtband auch am oberen Ende als Rolldichtung ausgeführt werden sollte. Eine solche Ausführung würde höchstwahrscheinlich auch einen nachteiligen Einfluss auf die vorgesehene Haltefunktion der am oberen Rand vorhandenen Schnapplaschen haben und würde vom Fachmann deswegen nicht in Betracht gezogen werden. D1 enthält also keine Lehre in Richtung einer Ausführungsform gemäß Anspruch 1 des Streitpatents.
D2 betrifft einen anderen Aufbau als D1. Es beschreibt ausgehend von D1 eine Filtereinrichtung, die mit einfachen Mitteln über eine lange Betriebsdauer strömungsdicht ausgebildet werden kann (Absatz [0005] des Dokuments D2). D2 beschäftigt sich zwar mit der einfachen und schnellen Montage des Filterelements (Absatz [0007]), nicht aber mit dem Vermeiden von Montagefehlern. Es geht vielmehr darum sicherzustellen, dass die wiederholte Montage über einen langen Zeitraum ohne Beschädigung des Filters durchgeführt werden kann. Die Kammer ist deshalb der Meinung, dass der Fachmann D2 nicht zur Lösung der Aufgabe heranzieht.
Selbst wenn der Fachmann D2 in Betracht ziehen würde, würde er dort keinen Hinweis zur Lösung der Aufgabe des Streitpatents finden, da der überstehende Dichtstreifen in D2 nichts mit der Einfachheit der Montage zu tun hat. Vielmehr muss dort das Filterelement immer in der gleichen Richtung in das Filtergehäuse eingefügt werden, da der in Strömungsrichtung untere Teil des Dichtstreifens und die Aufnahmenut eine Labyrinthdichtung bilden, während der obere Teil in einem Klemmsteg eingeklemmt wird. Ein durch den überstehenden Dichtstreifen sich ergebender Vorteil bezüglich des Vermeidens von Montagefehlern wird also in D2 nicht gelehrt.
Die beanspruchte Lösung der Aufgabe durch beidseitiges Überlappen der Dichtlippe könnte vielleicht per se als naheliegend erscheinen. Die Kammer ist aber der Meinung, dass eine solche Schlussfolgerung auf einer ex post facto Betrachtungsweise basierte. Wie die Beschwerdegegnerin argumentierte, kommen in der Praxis nämlich viele Möglichkeiten in Frage, die gestellte Aufgabe zu lösen, z.B. das Poka Yake - Prinzip. Der Fachmann wäre nach Überzeugung der Kammer angesichts mehrer denkbarer Lösungsvarianten nicht zwangsläufig auf die hier gewählte Lösung gestoßen.
3.7 Da die Lösung der Aufgabe durch den Stand der Technik nicht nahegelegt ist, beruht der Gegenstand des Anspruchs 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ). Da Anspruch 6 sich auf die Verwendung des Filtereinsatzes gemäß Anspruch 1 bezieht, ist auch der Gegenstand des Anspruchs 6 erfinderisch. Dasselbe gilt für die abhängigen Ansprüche.
4. Da der Hauptantrag der Beschwerdegegnerin gewährbar ist, muss über die Hilfsanträge und ihre Zulassung nicht befunden werden.
Da D3 nicht als prima facie relevant angesehen und somit nicht zugelassen worden ist, ist der Antrag der Beschwerdegegnerin auf Einholung eines Sachverständigengutachtens gegenstandslos.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.