T 0464/94 (Transformation von Pflanzenerbgut/NOVARTIS) 21-05-1997
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Transformation von Pflanzenerbgut
01) SANDOZ AG Patent- und Markenabteilung
02) Keine Patente auf Leben
03) Hoechst AG
Klarheit -(ja)
Neuheit - (ja)
I. Das europäische Patent Nr. 0 164 575 mit der Bezeichnung "Transformation von Pflanzenerbgut" wurde mit 27. Ansprüchen auf der Grundlage der europäischen Patentanmeldung Nr. 85 105630.9 erteilt.
II. Es wurden drei Einsprüche eingelegt, mit denen der Widerruf des Patents gemäß Artikel 100 a) EPÜ (mangelnde Neuheit sowie mangelnde erfinderische Tätigkeit; Einsprechende 1 und 3), gemäß Artikel 53 a) und b) EPÜ (Einsprechende 2) sowie gemäß Artikel 100 b) EPÜ (unzureichende Offenbarung; Einsprechende 1 und 3) beantragt wurde.
III. Mit Entscheidung vom 30. März 1994 widerrief die Einspruchsabteilung das Patent wegen mangelnder Klarheit (Artikel 84 EPÜ) sowie mangelnder Neuheit (Artikel 54 EPÜ) des Anspruchs 1 des am Tag der mündlichen Verhandlung eingereichten Hauptantrags.
Die Verwendung von drei Disclaimern in diesem Anspruch wurde als verwirrend erachtet. Die Entgegenhaltung 9b, in der ein Verfahren zur Gewinnung antibiotikaresistenter Pflanzenzellinien durch Einschleusung des vollständigen APH I-Hefegens in diese Zellen offenbart war, wurde für den Anspruch 1 als neuheitsschädlich angesehen.
IV. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) legte gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung Beschwerde ein und reichte eine Beschwerdebegründung sowie einen neuen Hauptantrag und drei Hilfsanträge ein.
Anspruch 1 des Hauptantrags lautete wie folgt:
"Verfahren zur direkten Transformation von Genen in pflanzliches Erbgut von Pflanzen der systematischen Gruppen Angiospermae und Gymnospermae, dadurch gekennzeichnet, daß man
a) ein lineares DNS-Molekül oder ein Plasmid, das ein Gen enthält, welches von in Pflanzen Expression bewirkenden Expressionssignalen flankiert wird, in einem geeigneten Medium und unter Anwendung von geeigneten Verfahrensmaßnahmen, die die Protoplasten für die Aufnahme von DNS kompetent machen, mit pflanzlichen Protoplasten in Kontakt bringt,
b) besagtes lineares Molekül bzw. Plasmid und die Protoplasten dort für einen Zeitraum beläßt, der für die Aufnahme der DNS in die Protoplasten ausreicht, wobei
c) das Gen stabil in das Pflanzengenom eingebaut sowie dort exprimiert und repliziert wird,
mit der Maßgabe, daß die einzuschleusende DNS keine für die Einschleusung oder Integration wesentlichen Anteile aus Ti-Plasmiden enthält."
Die abhängigen Ansprüche 2 bis 25 sind auf spezifische Ausführungsarten des Verfahrens gemäß Anspruch 1 gerichtet. Anspruch 26 bezieht sich auf ein Verfahren zur Herstellung transgener Pflanzen mit den in den Teilen a) bis c) des Anspruchs 1 angeführten Merkmalen. Anspruch 27 betrifft eine spezifische Ausführungsart des Verfahrens gemäß Anspruch 26.
V. Die Beschwerdegegnerinnen I und III (Einsprechende 1 und 3) reichten Erwiderungen auf die Beschwerdebegründung ein. Die Beschwerdegegnerin I nahm ihren Einspruch später zurück.
VI. Die Beschwerdekammer erließ gemäß Artikel 11 (2) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern eine Mitteilung in der sie ihren vorläufigen Standpunkt darlegte.
VII. Die Beschwerdeführerin und die Beschwerdegegnerin III reichten Erwiderungen darauf ein.
VIII. Am 21. Mai 1997 fand eine mündliche Verhandlung statt. Die Beschwerdegegnerinnen I und II nahmen daran nicht teil. Die Beschwerdeführerin reichte eine überarbeitete Fassung ihres ersten Hilfsantrags ein.
IX. Zum Stand der Technik gehörte u. a. die folgende Entgegenhaltung:
9b: Shillito, R. D. et al., Genetic Engineering in Eukaryotes (Herausgeber: P. F. Lurquin und A. Kleinhofs, Plenum Publishing Corporation, 1983), Seiten 265 bis 276.
X. Die von der Beschwerdeführerin schriftlich wie auch in der mündlichen Verhandlung vorgebrachten Ausführungen lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Der Zweck der Änderung "... von in Pflanzen Expression bewirkenden Expressionssignalen flankiert wird ..." in Anspruch 1 sei in der ursprünglich eingereichten Fassung der Patentanmeldung (Passage von Seite 4 unten bis Seite 5 oben sowie Beispiel 1a) offenbart. Der Begriff "flankiert" decke Konstrukte ab, bei denen zwischen den Expressionssignalen und dem Fremdgen zusätzliche DNA vorliegen kann, sofern diese Konstrukte eine Expression zuließen. Der Einwand, daß nicht expressionsfähige Konstrukte, wie im Dokument 9b beschrieben, dennoch unter den Anspruch fielen, weil sie durch das Einschleusen des GenVI-Proteins zur Expression gebracht werden könnten, entbehre jeglicher wissenschaftlichen Grundlage, da diese Möglichkeit im Stand der Technik nicht beschrieben sei. Damit sei das funktionelle Merkmal der Expressionsfähigkeit zur Abgrenzung des Anspruchs gegenüber der Entgegenhaltung 9b angemessen und geeignet.
Die Entgegenhaltung 9b offenbare einen Vorversuch im Bereich des direkten Gentransfers. Durch die Transformation von Tabakzellen mittels eines CaMV-Vektors, der das APH I-Hefegen einschließlich seines Promotors enthielt, hätten die Autoren einige gegenüber dem Antibiotikum G418 resistente Zellinien erhalten. Dieses Phänomen sei nicht ungewöhnlich und sicher kein Beweis für eine stabile Transformation. Hybridisierungsexperimente hätten gezeigt, daß das Pflanzengenom keine CaMV-DNA enthalten habe, und die vorgelegten Daten zum APH I-Gen seien nicht überzeugend. Die Autoren des Dokuments 9b selbst hätten vor der Schlußfolgerung gewarnt, die Resistenz gegenüber G418 als eine stabile Transformation anzusehen.
Die Konstrukte seien strukturell so beschaffen, daß das CaMV-GenVI-Protein als fragmentiertes Protein vorliege, das die für die Synthese von 35S-mRNA (einschließlich der Synthese des APH I-Gens) erforderliche Transaktivierungsfunktion nicht erfüllen könne. Falls dennoch irgendeine Art von Transkription auftrete, sei aber keine Translation möglich, weil der offene Leserahmen des APH I-Gens erst der vierte, gelesen vom 5'-Ende der 35S-mRNA, sei.
Die Lehre der Entgegenhaltung 9b als solche erfordere eine ungewöhnliche Rekombination des rekombinanten Plasmids in das Pflanzengenom derart, daß dabei der CaMV-Vektor entfernt und das APH I-Gen stromabwärts eines Pflanzenpromotors eingebaut werde. Die Reproduzierbarkeit eines solchen Vorgangs sei jedoch nicht sichergestellt.
Mit eidesstattlichen Versicherungen sowie Versuchsberichten der Erfinder wie auch unabhängiger Sachverständiger habe sie überzeugend dargelegt, daß es sich bei den resistenten Zellinien der Entgegenhaltung 9b nicht um transformierte Zellinien handle und daß der Versuch nicht wiederholt werden könne.
XI. Darauf erwiderte die Beschwerdegegnerin III folgendes:
Der Ausdruck "... von in Pflanzen Expression bewirkenden Expressionssignalen flankiert wird ..." in Anspruch 1 sei unklar, weil das Patent weder zur Natur dieser Signale noch zum notwendigen Abstand zwischen ihnen und dem zu exprimierenden Gen genaue Angaben enthalte. In ihrer schriftlichen Stellungnahme habe die Beschwerdeführerin selbst den Anspruch bereits auf zweierlei Weise ausgelegt, nämlich zum einen, daß er Konstrukte enthalte, deren Signale zur Regulation unmittelbar stromaufwärts des Fremdgens liegen müßten, und zum anderen, daß im Falle einer Expression auch intervenierende Sequenzen vorhanden sein könnten. Es sei somit unklar, welche Konstrukte mit dem Anspruch geschützt seien. Darüber hinaus könne die funktionelle Einschränkung, daß die Konstrukte exprimiert werden, nicht zur Unterscheidung des Gegenstands des Anspruchs vom Stand der Technik - nämlich der Entgegenhaltung 9b - dienen, weil sich durch Zugabe des GenVI-Proteinprodukts immer Expression erzielen lasse.
Der Beschwerdeführerin sei es nicht gelungen nachzuweisen, daß die Lehre der Entgegenhaltung 9b nicht zuverlässig nacharbeitbar sei. Es seien definitiv gegenüber G418-Antibiotika resistente Tabakzellen gewonnen worden, und die wahrscheinlichste Erklärung dafür sei, daß diese Resistenz auf die Expression des APH I-Gens zurückgehe. Die im Zusammenhang mit dem Streitpatent durchgeführten Hybridisierungsexperimente unterschieden sich in keiner Weise von den in der Entgegenhaltung 9b beschriebenen Versuchen und lieferten somit, bei Anlegen gleicher Maßstäbe für die Nacharbeitbarkeit an beide, das Patent und die Entgegenhaltung, ebenfalls keinen schlüssigen Beweis für das Vorhandensein des rekombinanten Konstrukts im Pflanzengenom gemäß Streitpatent. Nach Auffassung der Autoren der Entgegenhaltung 9b deuteten ihre Ergebnisse in hohem Maße auf das Vorliegen einer Transformation hin, und das Dokument lege an keiner Stelle das Gegenteil nahe.
Die theoretische Struktur der rekombinanten Plasmide sei für die Transformation selbst irrelevant, weil das APH I-Gen nicht von einem CaMV-Promotor exprimiert werden müsse. Bei der in bis zu 10 % aller Fälle beobachteten Rekombination müsse vernünftigerweise angenommen werden, daß dieses Gen direkt von einem Pflanzenpromotor exprimiert werde.
Den von der Beschwerdeführerin vorgelegten eidesstattlichen Erklärungen sei nicht zu entnehmen, daß die Erfinder die resistenten Klone der Entgegenhaltung 9b auf dieselbe Weise getestet hätten wie in dieser Entgegenhaltung beschrieben. So könnten die Anzahl der Kopien pro Plasmid und die Populationsdichte der Zellen unterschiedlich gewesen sein. Außerdem könnte es sich um überalterte Zellinien gehandelt haben, die ihre Plasmide bereits verloren hätten. Der "Southern-Blot"-Test sei mit intakter DNA vorgenommen worden. Insbesondere und schwerwiegenderweise beziehe sich der zusätzliche Versuchsbericht nicht auf das APH I-Gen, sondern auf das APH II-Gen. Zwischen diesen beiden Genen bestünden aber eindeutige Unterschiede, so daß die mit einem Gen erzielten Ergebnisse ganz und gar nicht auf das andere übertragbar seien. Im Versuchsbericht des unabhängigen Sachverständigen sei von einem in der Entgegenhaltung 9b nicht erwähnten Plasmid die Rede. Somit sei er für die Reproduzierbarkeit der in dieser Entgegenhaltung erzielten Ergebnisse nicht von Bedeutung.
XII. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents mit den folgenden Unterlagen:
a) Hauptantrag
- Ansprüche 1 und 26, eingereicht am 5. August 1994 - Ansprüche 2 bis 25 und 27 wie erteilt
b) Hilfsantrag 1
- Ansprüche 1 und 26, eingereicht am 18. April 1997 - Ansprüche 2 bis 25 und 27 wie erteilt
c) Hilfsantrag 2
- Ansprüche 1 und 26, eingereicht am 5. August 1994 - Ansprüche 2 bis 25 und 27 wie erteilt
d) Hilfsantrag 3
- Ansprüche 1 und 26, eingereicht am 5. August 1994 - Ansprüche 2 bis 25 und 27 wie erteilt
XIII. Die Beschwerdegegnerinnen beantragten die Zurückweisung der Beschwerde.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
Hauptantrag
Artikel 123 (2) und (3) EPÜ; Zulässigkeit von Änderungen
2. Die Ansprüche 1 und 26 des neuen Hauptantrags unterscheiden sich von den erteilten Ansprüchen 1 und 26 dahingehend, daß der Ursprung der zu transformierenden Pflanzengenome bzw. Pflanzen wie auch die räumliche Anordnung des zu exprimierenden Gens in bezug auf die zu verwendenden Expressionssignale genauer angegeben wurden ("... der systematischen Gruppen Angiospermae und Gymnospermae ..."; "... in Pflanzen Expression bewirkenden Expressionssignalen flankiert wird ..."). Beide hinzugefügten Merkmale werden durch den Inhalt der ursprünglich eingereichten Fassung der Patentanmeldung gestützt, und zwar auf Seite 14, Absatz 2 bzw. auf Seite 4, Absatz 3.
3. Keine der Änderungen bewirkt eine Erweiterung des Schutzbereichs.
4. Die Erfordernisse des Artikels 123 (2) und (3) EPÜ sind somit erfüllt.
Artikel 84 EPÜ; Klarheit
5. Gegen den Begriff "flankiert" (Ansprüche 1 und 26) wurde der Einwand mangelnder Klarheit erhoben. Die Kammer ist aber der Auffassung, daß dieser Begriff deutlich ist, wenn die Ansprüche im Zusammenhang mit der Beschreibung gesehen werden. Die Passage von Spalte 4 unten bis Spalte 5 oben enthält zahlreiche Beispiele für Konstrukte, bei denen das zu exprimierende Gen von den Expressionssignalen "flankiert" wird. Von der Notwendigkeit, daß diese Seite an Seite liegen müssen, ist dort nicht die Rede. Ebensowenig geht aus Abbildung 1/2 hervor, daß die Herstellung des pADB1-Plasmids in Beispiel 1 eines besonderen Aufwands zur Entfernung etwaiger "zusätzlicher DNA" zwischen dem Gen und den Signalen bedurfte. Somit gelangt die Beschwerdekammer zu der Auffassung, daß der Begriff "flankiert" Konstrukte sowohl mit als auch ohne zusätzliche DNA zwischen dem zu exprimierenden Gen und den Expressionssignalen umfaßt.
6. Soweit besteht auch Übereinstimmung zwischen den Streitparteien. Unterschiedlicher Auffassung sind die Streitparteien bezüglich des Umstandes, daß der Begriff "flankiert" nicht konkret mit technischen Angaben, sondern im Zusammenhang mit der Funktion der Expression definiert wird, derart, daß eine gegebenenfalls zwischen dem Gen und dem Signal liegende Sequenz nicht so beschaffen sein darf, daß eine Expression, kontrolliert von den "flankierenden" Signalstrukturen, nicht stattfindet. Nach Auffassung der Beschwerdeführerin erlaubt die Verbindung des Merkmals "flankiert" mit der Funktion der Expression eine eindeutige Definition der Qualität der Sequenzen zwischen Gen und Signal mit der Folge einer klaren Festlegung des Schutzumfanges des Anspruchs. Die Beschwerdegegnerin III führt dagegen aus, daß auch bei einer die kausale Signal-Gen-Expression verhindernden Qualität der genannten Sequenzen eine Expression über eine Transaktivierung des transformierten Gens bekannt und damit auch hier in Betracht zu ziehen sei und somit die technisch unklare Definition des Begriffes "flankiert" nicht durch das funktionelle Merkmal der Expression in einer den Schutzumfang des Anspruchs 1 eindeutig festlegenden Weise klargestellt wird.
7. Die Kammer kann sich der "Transaktivierungs"-Argumentation nicht anschließen. Zwar wird anerkannt, daß das Phänomen der Transaktivierung bekannt war und sehr theoretisch unter den Wortlaut des streitigen Anspruchs 1 fallen könnte, wenn zwischen der Signal- und Gensequenz eine weitere Sequenz in einem Konstrukt eingefügt wäre, die eine von der Signalsequenz gesteuerte Expression nicht erlauben würde, diese jedoch durch Transaktivierung erreicht würde. Die Kammer ist jedoch der Auffassung, daß es sich bei dieser Situation um ein sehr artifizielles Denkmodell handelt, das in der Realität unerheblich ist, da zum einen das GenVI-Protein, von dem die Funktion, transaktiv zu wirken, bekannt war, am Anmeldetag noch nicht in gereinigter Form vorlag und somit auch nicht technisch einsetzbar war. Ein weiterer, noch wesentlicherer Aspekt liegt darin, daß die Ansprüche 1 und 26 zwingend erfordern, daß die Expression in vivo stattfindet, so daß - anders als bei einem in vitro-System - kein Protein zur Aktivierung der Translation von außen zugefügt wird. Im Falle von eingefügten enhancer-Sequenzen wäre schließlich eine Transaktivierung ein Widerspruch in sich, da die enhancer-Strukturen dazu dienen, die von der Signalsequenz kontrollierte Expression des Gens zu "verstärken". Wenn somit der Anspruch 1 des Streitpatents mit dem zum Anmeldezeitpunkt bekannten Wissen technisch vernünftig im Lichte der Beschreibung gelesen wird, ist er klar.
Artikel 84 EPÜ; Stützung durch die Beschreibung
8. Nach Auffassung der Beschwerdegegnerin III sind die Hybridisierungsexperimente, die die Integration des Fremdgens in das Pflanzengenom zeigen sollen, im Streitpatent nicht anders beschrieben als in der Entgegenhaltung 9b. Dies müsse zur Folge haben, daß, falls die Experimente der Entgegenhaltung 9b als nicht schlüssig angesehen werden, gleiches für das Streitpatent zu gelten habe, so daß die Ansprüche 1 und 27. nicht durch die Beschreibung gestützt seien.
9. Dem steht entgegen, daß im Streitpatent in den Beispielen 1d, 2c und 3 das Hind III Fragment, das das NPT II Gen enthält, mit der Zell-DNA von transformierten Tabak-, Kohl- und Gramineenzellen hybridisiert. Im Gegensatz dazu zeigt das Hybridisierungsexperiment in Entgegenhaltung 9b, ausgeführt mit Tabakzellen, in die das APH I Gen eingeführt wurde, lediglich sehr schwache Banden, deren Relevanz von den Autoren selbst in Zweifel gezogen wurde ("... if these bands represent foreign DNA ..."). Mit Karottenzellen, die das APH I Gen hätten enthalten sollen, wurde keine Hybridisierung festgestellt. Die Hybridisierungsexperimente des Streitpatents und der Entgegenhaltung 9b sind somit nicht vergleichbar.
10. Die Beschwerdegegnerin III hat weiter argumentiert, daß die Beschreibung des Streitpatents die Ansprüche 1 und 26. auch insoweit nicht ausreichend stütze, als diese Ansprüche viele verschiedene Plasmide umfaßten, abhängig von der Natur der Expressionssignale und dem Abstand zwischen ihnen und dem zu exprimierenden Gen. Die Kammer stellt fest, daß es sich bei der beanspruchten Erfindung um ein allgemeines Verfahren handelt, das nicht auf bestimmte Ausgangsmaterialien beschränkt ist. Dieser Sachverhalt ist vergleichbar mit demjenigen, auf dessen Basis in der Entscheidung T 292/85 (ABl. EPO 1998, 275) festgestellt wurde, daß eine Variabilität von in einem Verfahren verwendeten Mittel dann unerheblich ist, wenn dem Fachmann am Anmeldetag die Mittel zur Verfügung standen, das Verfahren zuverlässig durchzuführen (siehe auch Entscheidung T 649/92 ABl. EPO 1997, 408). Die Beschreibung des Streitpatents offenbart in den Beispielen die Transformation von mindestens drei verschiedenen Arten von Pflanzenzellen. Die Kammer erachtet dies als eine ausreichende Stützung durch die Beschreibung der auf ein allgemeines Verfahren gerichteten Ansprüche 1 und 26.
11. Die Kammer gelangt somit zu dem Schluß, daß die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ erfüllt sind.
Artikel 54 EPÜ; Neuheit
12. Maßgeblich für die Frage der Neuheit ist die Entgegenhaltung 9b, die Vorversuche zur Transformation von Pflanzenprotoplasten mit selektiven Markern offenbart.
13. In einem Versuch wurden Karottenprotoplasten mittels eines Expressionsvektors transformiert, der über die Expression des E.coli-DHFR-Gens eine Resistenz gegenüber Methotrexat verleihen kann. Dabei wurden sechs Methotrexat-resistente Kolonien gewonnen. Untersuchungen auf molekularer Ebene zeigten jedoch, daß dem Phänotyp der Resistenz, die eine Expression eines fremden, in die Pflanzenprotoplasten eingeführten Gens repräsentieren soll, auf molekularer Ebene keine fremden DNA-Sequenzen zugeordnet werden konnten. Die Autoren warnten somit vor der Möglichkeit, daß die Resistenz - wie in Tierzellen - durch die Verstärkung eines endogenen DHFR-Gens bedingt sein könnte und somit nicht zwingend auf einem stabilen Einbau der fremden DNA hinweist.
14. Nach Auffassung der Kammer sind diese Daten nicht so aussagekräftig, daß sie als Nachweis für die stabile Transformation und die anschließende Expression eines Fremdgens in Pflanzenzellen anerkannt werden können.
15. In einem anderem Versuch ist das Klonen des vollständigen APH I-Hefegens einschließlich seines Promotors an einer EcoR I-Schnittstelle der CaMV-DNA offenbart. Mit dem dadurch gewonnenen rekombinanten Plasmid wurden Tabakzellen so transformiert, daß sie gegen das Antibiotikum G418 resistent wurden. Dabei wurden fünf resistente Kolonien erhalten. Der "Southern Blot" eines EcoR I-Verdaus der Genom-DNA aus einer dieser Kolonien ergab, daß das Genom keine CaMV-DNA enthielt. Dagegen wurde eine schwache Hybridisierung einiger EcoRI-Fragmente mit einer Länge von rund 4 kb mit dem APH I-Gen "im Bereich der Nachweisgrenze mit rund 0,1 Kopien pro haploidem Genom" beobachtet. Die Existenz mehrerer hybridisierender EcoR I-DNA-Fragmente wurde von den Autoren als Nachweis für eine chimäre Kultur erachtet. Der genomische Aufbau daraus abgeleiteter reiner Zellinien sollte untersucht werden; Ergebnisse wurden aber nicht vorgelegt.
16. Die Kammer bewertet diese Daten anders als die Einspruchsabteilung in ihrer Entscheidung, mit der sie das Patent auf der Basis dieses Sachverhalts widerrufen hatte. Sie hatte es als wahrscheinlich angesehen, daß der Versuch einen stabilen Einbau der fremden DNA in nacharbeitbarer Weise zeigt und somit das Streitpatent neuheitsschädlich durch diese Druckschrift vorweggenommen sei. Nach Auffassung der Kammer ist es nicht gerechtfertigt, bei der Beurteilung der Neuheitsschädlichkeit einer Druckschrift Wahrscheinlichkeitsüberlegungen anzustellen. Wenn ein Patent wegen mangelnder Neuheit widerrufen wird, muß sich die entscheidende Instanz, nach Würdigung aller in dem Verfahren vorgebrachten Argumente und Tatsachen, sicher sein, daß diese einen Widerruf des Patents rechtfertigen. Im Zweifel muß eine weitere Aufklärung des Sachverhalts erfolgen, ansonsten kann das Patent nicht wegen fehlender Neuheit widerrufen werden. Im vorliegenden Fall kommt die Kammer zu dem Schluß, daß die Entgegenhaltung 9b, insbesondere wegen der in ihr geäußerten Zweifel der Autoren selbst, nicht den sicheren Schluß zuläßt, daß eine stabile Transformation von Protoplasten von Pflanzenzellen mit einem Fremdgen erfolgt ist. Die technische Lehre dieses Versuchs ist somit für die unabhängigen Ansprüche 1 und 26 des Streitpatents als nicht neuheitsschädlich zu betrachten.
17. Während des Beschwerdeverfahrens reichte die Beschwerdeführerin Experimente ein, die zeigen sollten, daß die Lehre der Entgegenhaltung 9b nicht nacharbeitbar sei. Diese Experimente haben nach Auffassung der Kammer jedoch keine Überzeugungskraft, da sie nicht mit dem in der Entgegenhaltung 9b verwendeten APH I Gen durchgeführt wurden, sondern mit dem APH II Gen.
18. Die Autoren des Dokuments 9b legten im Beschwerdeverfahren aber auch eine eidesstattliche Erklärung vor, wonach keine der fünf G418-resistenten Zellinien nach dem Southern Blot mit ungeschnittener DNA, der eine bessere Auflösung als ein Southern Blot mit geschnittener DNA liefert, irgendeine mit dem APH I-Gen hybrisierende DNA enthielt.
19. Schließlich hatte die Beschwerdegegnerin III argumentiert, daß die Beschwerdeführerin mit Sicherheit stabile transformierte Zellinien erhalten hätte, wenn sie versucht hätte, das gesamte aus dem Dokument 9b bekannte Verfahren zu reproduzieren, weil auffallend häufig eine Rekombination zwischen dem eingebauten Plasmid und der Zell-DNA von Tabak auftrete, die - zumindest in manchen Fällen - zur Expression des APH I-Gens von einem Pflanzenpromotor führe. Nach Auffassung der Kammer ist die bloße Anführung einer hypothetischen Möglichkeit aber kein ausreichender Grund, einer Erfindung die Neuheit abzusprechen.
20. Angesichts der obigen Ausführungen ist die Neuheit des Gegenstands der unabhängigen Ansprüche 1 und 26 anzuerkennen (Artikel 54 EPÜ).
21. Die Frage der erfinderischen Tätigkeit wurde von der Einspruchsabteilung noch nicht untersucht. Die Kammer hält die Durchführung der erforderlichen Prüfung nicht für zweckmäßig und entscheidet daher, die Sache im Rahmen ihrer Befugnisse nach Artikel 111 (1) EPÜ zur weiteren Prüfung an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung zur weiteren Entscheidung auf der Grundlage des Hauptantrags zurückverwiesen.