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T 0869/10 (Pigmentpräparation mit Perlglanzpigment/MERCK) 25-05-2012
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Pigmentpräparation
Erweiterung des Schutzbereichts - alle Anträge (ja)
Vorlage an die Große Beschwerdekammer (nein)
I. Die vorliegende Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung das europäische Patent Nr. 0 964 895 in geändertem Umfang aufrecht zu erhalten.
II. Der erteilte Anspruch 1 des Streitpatents lautet wie folgt:
"1. Nichtstaubende homogene Pigmentpräparation, dadurch gekennzeichnet, daß sie
- 40-60 Gew.% ein oder mehrerer Effektpigmente,
- 0,1-5 Gew.% an oberflächenaktiven Substanzen,
- 0,5-40 Gew.% an organischen Polymeren,
- 1-40 Gew.% eines organischen Lösungsmittels oder
Lösungsmittelgemisches,
- 0-50 Gew.% Wasser und gegebenenfalls
- 0-10 Gew.% eines pH-Reglers
enthält."
III. Anspruch 1 der aufrecht erhaltenen Fassung ist mit dem erteilten Anspruch 1 identisch mit Ausnahme der folgenden Ergänzungen: "ein oder mehrerer Effektpigmente" wurde durch "ein oder mehrerer Effektpigmente, wobei das Effektpigment ein Perlglanzpigment ist" ersetzt und "an oberflächenaktiven Substanzen" wurde durch "an oberflächenaktiven Substanzen, wobei die oberflächenaktive Substanz ein Alkylsilan, eine gesättigte oder ungesättigte Fettsäure und/oder ein Fluortensid ist" ersetzt. Zudem wurden anstatt der Begriffe "Lösungsmittels" und "Lösungsmittelgemisches" die Worte "Lösemittels" und "Lösemittelgemisches" verwendet.
IV. Gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung hat die Einsprechende/Beschwerdeführerin am 19. April 2010 Beschwerde eingelegt und die Beschwerdegebühr am selben Tag gezahlt. Die Beschwerdebegründung ist am 18. Juni 2010 eingereicht worden.
V. Die Patentinhaberin/Beschwerdegegnerin reichte einen Hauptantrag, einen Hauptantrag/Alternative B und die Hilfsanträge 1-4 ein.
Anspruch 1 des Hauptantrags ist mit Anspruch 1 des aufrecht erhaltenen Anspruchssatzes identisch.
Anspruch 1 des Hauptantrags/Alternative B
unterscheidet sich vom Anspruch 1 des Hauptantrags im Ersatz der Textstelle "wobei das Effektpigment ein Perlglanzpigment ist" durch "wobei das Effektpigment ein Perlglanzpigment ist, das ein TiO2/Glimmer- und/oder Fe2O3-Glimmerpigment ist".
Anspruch 1 des ersten Hilfsantrags ist identisch mit Anspruch 1 des Hauptantrags, enthält aber zusätzlich die Ergänzung "wobei die Präparation eine fließfähige Paste ist" am Ende des Anspruchs.
Anspruch 1 des zweiten Hilfsantrags entspricht dem Anspruch 1 des Hauptantrags mit Ausnahme der Substitution des Textes "an organischen Polymeren" durch "an organischen Polymeren, wobei das organische Polymer ein Polyacrylsäure-Derivat ist".
Anspruch 1 des dritten Hilfsantrags lautet wie folgt:
"1. Trockenpräparation hergestellt aus einer nichtstaubenden homogenen Pigmentpräparation, dadurch gekennzeichnet, dass die Pigmentpräparation
- 40-60 Gew.% ein oder mehrerer Effektpigmente, wobei
das Effektpigment ein Perlglanzpigment
ist,
- 0,1-5 Gew.% an oberflächenaktiven Substanzen, wobei
die oberflächenaktive Substanz ein
Alkylsilan, eine gesättigte oder
ungesättigte Fettsäure und/oder ein
Fluortensid ist,
- 0,5-40 Gew.% an organischen Polymeren,
- 1-40 Gew.% eines organischen Lösemittels oder
Lösemittelgemisches,
- 0-50 Gew.% Wasser und gegebenenfalls
- 0-10 Gew.% eines pH-Reglers
enthält und wobei die Pigmentpräparation stranggepresst, gegebenenfalls anschließend getrocknet und zuletzt pelletiert wird."
Anspruch 1 des vierten Hilfsantrags ist identisch mit Anspruch 1 des dritten Hilfsantrags.
VI. Am Ende der mündlichen Verhandlung hat die Beschwerdegegnerin folgende Rechtsfrage zur Vorlage an die Große Beschwerdekammer eingereicht:
"Es wird beantragt der großen Beschwerdekammer eine Rechtsfrage zur Sicherung der einheitlichen Rechtssprechung gemäß Art. 112 EPÜ vorzulegen.
Gemäß T 1756/07 verstößt die Änderung von Ansprüchen dann nicht gegen Art. 123(3) EPÜ, wenn die Änderung auf eine Kombination des Hauptanspruchs mit dem Merkmal eines erteilten Unteranspruchs zurückzuführen ist.
Die T 2017/07 sieht einen Verstoß gegen Art. 123(3) EPÜ, wenn bei einem erteilten Hauptanspruch betreffend eine Zusammensetzung eine Komponente der Zusammensetzung näher definiert wird durch Aufnahme eines Merkmals aus der Beschreibung.
Für viele Bereiche der Chemie wie z.B. kosmetische Formulierungen, Waschmittelzusammensetzungen Pigmentpräparationen usw. ist die Erfindung eine Zusammensetzung, wobei der Anspruch offen formuliert ist (comprising, Bereiche mit Gew.%). In Einspruchsverfahren können Änderungen erforderlich werden, deshalb benötigen die Patentinhaber, Rechtssicherheit bezüglich der Auslegung von Art. 123(3) EPÜ.
Bedeutung wird hier die Frage haben, welche Rolle der Fachmann und dessen Verständnis der Lehre der Erfindung spielt."
VII. Die Hauptargumente der Beschwerdeführerin waren wie folgt:
Artikel 123(3) EPÜ
- Die Ansprüche 1 aller im Beschwerdeverfahren vorliegenden Anträge umfassen Ausführungsformen, welche vom erteilten Anspruch 1 nicht umfasst waren.
- In Analogie zur Entscheidung T 2017/07 ist bei den vorliegenden Anträgen das Erfordernis des Artikels 123(3) EPÜ nicht erfüllt.
Vorlage an die Große Beschwerdekammer
- Aus verfahrensökonomischen Gründen und da der Sachverhalt eindeutig ist, sollte die von der Beschwerdegegnerin gestellte Rechtsfrage nicht der Großen Beschwerdekammer vorgelegt werden.
Die Hauptargumente der Beschwerdegegnerin waren wie folgt:
Artikel 123(3) EPÜ
- Gemäß der Entscheidung T 1756/07 können Merkmale aus Unteransprüchen in einen unabhängigen Anspruch aufgenommen werden, ohne gegen Artikel 123(3) EPÜ zu verstoßen.
- Aus diesem Grund wird auch bei den vorliegenden Anträgen der Schutzbereich nicht erweitert.
VIII. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents Nr. 0 964 895 sowie die von der Beschwerdegegnerin eingereichte Rechtsfrage der Großen Beschwerdekammer nicht vorzulegen.
Die Beschwerdegegnerin beantragte die Beschwerde zurückzuweisen, hilfsweise das Patent aufrechtzuerhalten auf der Grundlage des Hauptantrags/ Alternative B, eingereicht mit Schreiben vom 24. April 2012, weiter hilfsweise auf der Grundlage der mit Schreiben vom 22. Dezember 2010 eingereichten Hilfsanträge 1 bis 4 sowie Vorlage der Angelegenheit an die Große Beschwerdekammer zur Entscheidung über die nunmehr eingereichte Rechtsfrage (Hauptantrag).
1. Artikel 123(3) EPÜ
1.1 Die Beschwerdeführerin argumentierte, dass durch die Einschränkung des Begriffs "oberflächenaktive Substanzen" auf spezifische Verbindungsgruppen im Anspruch 1 des Hauptantrags Pigmentpräparationen beansprucht seien, die vom erteilten Anspruch 1 nicht umfasst waren.
Als Beispiel wurde eine Präparation genannt, welche als oberflächenaktive Substanzen 2,5 Gew.% Alkylsilan und 3 Gew.% eines weiteren Tensids beinhaltet, also in der Summe über der im erteilten Anspruch 1 definierten Grenze von 5 Gew.% liegt, wobei die Gehalte der restlichen Komponenten innerhalb der in beiden Ansprüchen angegebenen Bereiche liegen.
Die Beschwerdegegnerin vertrat die Meinung, dass die Aufnahme eines Merkmals aus einem Unteranspruch generell nicht dem Erfordernis des Artikels 123(3) EPÜ widersprechen könne.
1.2 Die Kammer stimmt der Auffassung der Beschwerdegegnerin nicht zu. Aufgrund des offenen Wortlauts von Anspruch 1 des Hauptantrags ist die Anwesenheit weiterer oberflächenaktiver Substanzen, zusätzlich zu den explizit genannten, spezifischen oberflächenaktiven Komponenten, für die der definierte Gewichtsprozentbereich gilt, möglich.
Die Kombination der im Anspruch genannten spezifischen oberflächenaktiven Substanzen und zusätzlicher oberflächenaktiver Substanzen kann dabei über den Wert von 5 Gew.% gehen, welcher in der erteilten Fassung die Obergrenze für alle oberflächenaktiven Substanzen darstellt.
1.3 Somit umfasst Anspruch 1 des Hauptantrags Pigmentpräparationen, die vom Schutzbereich des erteilten Anspruchs 1 ausgeschlossen waren. Das Erfordernis des Artikels 123(3) EPÜ ist daher nicht erfüllt.
1.4 Da dieses Merkmal in den Ansprüchen 1 aller Anträge vorhanden ist, sind die zuvor gemachten Überlegungen für alle Anträge relevant.
1.5 Dies gilt insbesondere auch für die Ansprüche 1 des dritten und vierten Hilfsantrags. Da es sich um Trockenpräparationen handelt, verschieben sich zwar bei Abwesenheit von Lösungsmitteln die Gewichtsprozentangaben der verbleibenden Komponenten, dennoch behalten die zuvor dargelegten Überlegungen ihre Gültigkeit.
1.6 Zusätzlich gelten sinngemäße Überlegungen auch für die Einschränkung der Effektpigmente auf ein Perlglanzpigment (alle Anträge) und die Limitierung der anorganischen Polymeren auf ein Polyacrylsäure-Derivat (zweiter Hilfsantrag).
1.7 Entscheidung T 2017/07
Die zuvor dargelegte Auffassung wurde sinngemäß auch in der Entscheidung T 2017/07 vertreten. In diesem Fall wurde bei einem "offenen" Anspruchswortlaut und einer mengenmäßig gleichbleibenden Zusammensetzung eine allgemeine Definition einer Substanzklasse durch eine spezifische Komponente ersetzt. Die Kammer war dabei der Meinung, dass die Anwesenheit weiterer Vertreter der Substanzklasse auch über den angegebenen Maximalgehalt hinaus nicht mehr ausgeschlossen und demnach das Erfordernis des Artikels 123(3) EPÜ verletzt sei.
1.8 Entscheidung T 1756/07
1.8.1 Die Entscheidung T 1756/07 betrifft ein in seiner Zusammensetzung vollständig definiertes Polymer, welches nach seiner Polymerisation mit einem organischen Oberflächennachvernetzungsmittel und einem Kation nachvernetzt wird. Dabei geht aus dem Anspruchswortlaut hervor, dass das Polymerisat mit einem Nachvernetzungsmittels behandelt wird, welches in einem Verhältnis von 0,01-5 Gew.% bezogen auf das Polymerisat eingesetzt wird. Daher bezieht sich dieser Anspruch nicht auf eine Zusammensetzung wie in der Entscheidung T 2017/07 und die durch die Änderung des Anspruchs entstehende Sachlage ist nicht mit der in der Entscheidung T 2017/07 beschriebenen Situation vergleichbar. Nach der Einschränkung auf ein spezifisches Nachvernetzungsmittel wird in diesem Fall zwangsweise auch das erhaltene Polymerisat eingeschränkt. Deshalb ergibt sich die Problematik einer möglichen Erweiterung des Schutzbereichs nicht.
1.8.2 Daher basieren die vorliegende Entscheidung und T 2017/07 auf einem anderen Sachverhalt als die Entscheidung T 1756/07 und widersprüchliche Auffassungen in der Rechtsprechung können von der Kammer nicht gesehen werden.
2. Vorlage der während der mündlichen Verhandlung eingereichten Rechtsfrage an die Große Beschwerdekammer
2.1 Nach Artikel 112(1) a) EPÜ befasst die Beschwerdekammer, bei der ein Verfahren anhängig ist, auf Antrag eines Beteiligten die Große Beschwerdekammer, wenn sie, zur Sicherung einer einheitlichen Rechtssprechung oder wenn sich eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung stellt, hierzu eine Entscheidung für erforderlich hält.
2.2 Bei der von der Beschwerdegegnerin gestellten Frage handelt es sich offensichtlich um eine Frage der einheitlichen Rechtssprechung, da zwei ihrer Meinung nach widersprüchliche Entscheidungen der Beschwerdekammern zitiert wurden.
2.3 Wie zuvor gezeigt, unterscheidet sich der der Entscheidung T 1756/07 zugrunde liegende Sachverhalt deutlich von dem der vorliegenden Beschwerde bzw. der T 2017/07 zugrundeliegenden. Dies gilt deshalb auch für die jeweils zu entscheidenden Problemstellungen.
2.4 Aus diesem Grund hat die Kammer entschieden, den Antrag auf Vorlage des gegenständlichen Falls an die Große Beschwerdekammer abzulehnen.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die Entscheidung der Einspruchsabteilung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.
3. Der Antrag der Beschwerdegegnerin auf Vorlage des Falls an die Große Beschwerdekammer zur Entscheidung über die in der mündlichen Verhandlung von ihr eingereichte Rechtsfrage wird zurückgewiesen.