T 1280/10 06-06-2014
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Wertpapier und Verfahren zu seiner Herstellung
Zulässigkeit eines in der mündlichen Verhandlung eingereichten Antrags (ja)
Durch Einspruchsgrund veranlasste Änderung (ja)
Ausführbarkeit (ja)
Ansprüche in der Beschreibung gestützt (ja)
Unzulässige Erweiterung (nein)
Erfinderische Tätigkeit (ja)
Zulassung spät eingereichter Dokumente (nein)
I. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) hat Beschwerde eingelegt gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung vom 3. Mai 2010, über die Fassung, in der das europäische Patent Nr. 1 395 438 in geändertem Umfang aufrecht erhalten werde könne.
II. Im Verfahren ist insbesondere auf folgende Dokumente Bezug genommen worden:
D1: US 4 804 827;
D2: EP 0 706 834;
D6: WO 95/10420;
E1: Erklärung von Herrn Burnham hinsichtlich einer Vorbenutzung (mit Beweisstücken NEB1-NEB8);
D16: EP 0 338 221 A2;
D17: US 4 033 059;
D18: US 4 588 212;
D19: US 4 715 623;
D20: US 6 050 606;
D21: WO 97/19818;
D22: WO 97/35732;
D23: WO 00/20225;
D24: WO 00/50249;
D25: WO 83/00659;
D26: H.A.M. de Heij, "Durable Banknote Paper";
D27: US 4 247 318.
III. Am 6. Juni 2014 hat eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer stattgefunden, in der die Beschwerdeführerin geänderte Unterlagen für die Patentschrift vorgelegt hat.
IV. Die Beschwerdeführerin beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das europäische Patent Nr. 1 395 438 zu widerrufen.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das europäische Patent in geändertem Umfang auf der Grundlage der in der mündlichen Verhandlung eingereichten Patentansprüche 1 bis 27 aufrechtzuerhalten.
V. Dieser Antrag enthält zwei unabhängige Ansprüche:
"1. Wertpapier aus Papier oder vliesartigen Schichten, die sowohl Zellstoff- oder Baumwollfasern als auch Kunststofffasern enthalten, insbesondere eine Banknote, das mindestens ein Sicherheitselement in Form eines Fenstersicherheitsfadens, einer Folienapplikation mit einem transparenten oder metallischen Prägehologramm, einer Blindprägung, einem Latent Image oder einem Aufdruck mit einer optisch variablen Farbe oder aus einer Meta11effektfarbe aufweist, und mindestens eine Seite des Wertpapiers eine Schutzschicht aufweist, dadurch gekennzeichnet, dass die Schutzschicht eine matte Oberfläche aufweist und im Bereich des Sicherheitselements ausgespart ist."
"14. Verfahren zur Herstellung eines Wertpapiers aus Papier oder vliesartigen Schichten, die sowohl Zellstoff- oder Baumwollfasern als auch Kunststofffasern enthalten, das mindestens ein Sicherheitselement in Form eines Fenstersicherheitsfadens, einer Folienapplikation mit einem transparentem oder metallischem Prägehologramm, einer Blindprägung, einem Latent Image oder einem Aufdruck mit einer optisch variablen Farbe oder auch einer Metalleffektfarbe aufweist, und mindestens eine Seite des Wertpapiers mit einer Schutzschicht versehen wird, dadurch gekennzeichnet, dass auf das Wertpapier eine Schutzschicht aufgebracht wird, die eine matte Oberfläche aufweist oder ausbildet und beim Aufbringen der Bereich des Sicherheitselements bzw. der für das Sicherheitselement vorgesehene Bereich ausgespart wird."
Vor der Einspruchsabteilung waren die letzten zwei Sätze von Absatz [0011] der Patentschrift ("Die Erfindung ist jedoch nicht auf Papiersubstrate beschränkt, sondern kann grundsätzlich auch auf Kunststoff-und Kompositmaterialien übertragen werden, die zunehmend auch im Wertpapierdruck Eingang finden. Kompositmaterialien sind beispielsweise mehrlagige Trägermaterialien, die Lagen aus Kunststoff und Papier aufweisen. Eine weitere Variante besteht aus vliesartigen Schichten, die sowohl Zellstoff-oder Baumwollfasern als auch Kunststofffasern enthalten." ) durch "Die Erfindung ist jedoch nicht auf Papiersubstrate beschränkt. Eine Variante besteht aus vliesartigen Schichten, die sowohl Zellstoff-oder Baumwollfasern als auch Kunststofffasern enthalten." ersetzt worden.
VI. Zu dem im schriftlichen Verfahren und in der mündlichen Verhandlung vorgebrachten Argumenten der Beteiligten:
a) Zulässigkeit des in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer geänderten Antrags
Dieser Antrag solle nach Ansicht der Beschwerdeführerin nicht zugelassen werden, weil die den Antrag begründenden Fakten schon ausführlich vor der mündlichen Verhandlung diskutiert worden waren. Das verspätete Vorbringen sei als Missbrauch des Verfahrens zu werten.
b) Änderungen in der Beschreibung
i) Regel 80 EPÜ
Nach Ansicht der Beschwerdeführerin verändern die obengenannten Änderungen des Absatzes [0011] (siehe Punkt V) das Wesen der Erfindung, da Trägermaterialien aus Kunststoff jetzt ausgeklammert sind, obwohl sie vorher als eine mögliche Variante beschrieben worden waren. Die Änderung entspreche auch nicht einer Änderung der Ansprüche. In diesem Zusammenhang verwies die Beschwerdeführerin auch auf die Entscheidung T 127/85 vom 1. Februar 1988 (ABl. EPA 1989, 271).
Die Beschwerdegegnerin führte in diesem Zusammenhang aus, dass Änderungen, die noch nicht geltend gemachte Einspruchsgründe ausräumen können, durchaus zulässig wären. Die Regel 80 EPÜ erlaube auch Änderungen in Hinblick auf das, was möglicherweise relevant wird. Die Änderung im Absatz [0011] hätte später ohnehin erfolgen müssen, um die inhaltliche Konsistenz zwischen der Patentschrift und den Ansprüchen herzustellen.
ii) Artikel 83 und 84 EPÜ 1973
Nach Ansicht der Beschwerdeführerin führen die Änderungen der Beschreibung zu Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Stütze der Ansprüche und der ausreichenden Offenbarung der Erfindung, weil die Beschaffenheit des Trägermaterials keinerlei Bedeutung für die ursprünglich beschriebene Erfindung hatte, während in der Fassung, in der das Streitpatent aufrechterhalten wurde, das Trägermaterial erfindungswesentlich ist.
Die Beschwerdegegnerin hat Verstöße gegen Artikel 83 und 84 EPÜ 1973 bestritten. Die Beschwerdeführerin habe nicht erklärt, inwiefern die Änderungen die Ausführbarkeit der Erfindung in Frage stellen, noch habe sie dargelegt, wie die Streichungen die deutlich und knapp gefassten und von der Beschreibung gestützten Ansprüche beeinträchtigten.
iii) Artikel 123 EPÜ
Die Beschwerdeführerin war der Ansicht, dass die Streichungen in der Beschreibung dazu führen, dass der Gegenstand des Patents über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung hinausgeht, da sie den Gegenstand des Patents verformen und den Eindruck vermitteln, die Beschaffenheit des Trägermaterials spiele eine Rolle, was aber aus der ursprünglichen Anmeldung nicht hervorgeht. Aus demselben Grund sei auch der Schutzbereich des Streitpatents erweitert worden.
Die Beschwerdegegnerin hat dies bestritten. Die Streichungen entsprächen klaren Einschränkungen des Offenbarungsgehalts und damit des Schutzbereiches, da jeweils eine von drei technischen Alternativen gestrichen wurde.
c) Änderungen der Ansprüche
i) Artikel 84 EPÜ 1973
Nach Ansicht der Beschwerdeführerin ist die Aufnahme des Ausdrucks "aus Papier oder vliesartigen Schichten" in die Ansprüche 1 und 14 ohne Stütze in der Beschreibung, da diese auch die Möglichkeit von Kunststoffmaterialien erwähnt.
Darüber hinaus sei der Ausdruck "vliesartige Schichten" unklar. Die Aufnahme der Liste von Sicherheitselementen ("in Form eines Fenstersicherheitsfadens ...") erfülle ebenfalls die Erfordernis einer Stütze in der Beschreibung nicht.
In der mündlichen Verhandlung vor der Kammer hat die Beschwerdeführerin noch ausgeführt, dass die Änderung von Anspruch 1, der gemäß den Ausführungen der Beschwerdegegnerin so zu verstehen sei, dass das Wertpapier nur eine einzige Schutzschicht aufweise, zu einem Widerspruch mit Anspruch 3 führe, der eine weitere Beschichtung beansprucht. Dies führe ebenfalls zu einem Mangel an Klarheit.
Die Beschwerdegegnerin hat in diesem Zusammenhang ausgeführt, dass die Änderung der Beschreibung gerade dazu gedient habe, eine Stütze für die geänderten Ansprüche zu schaffen. Sie hat ebenfalls dargelegt, dass der Ausdruck "vliesartige Schichten" für den Fachmann klar sei und dass kein Widerspruch zwischen den Ansprüchen 1 und 3 bestehe.
ii) Artikel 123 (2) EPÜ
In den Augen der Beschwerdeführerin ist die Einführung der Beschränkung "aus Papier oder vliesartigen Schichten" im Widerspruch zur ursprünglichen Offenbarung, der zufolge sich die Erfindung auch auf Kunststoffe erstreckt. Deshalb gehe der Gegenstand des Streitpatents über den Gegenstand der ihm zugrundeliegenden Anmeldung hinaus.
Die Einführung der Beschränkung "in Form eines Fenstersicherheitsfadens ..." verletze ebenfalls Artikel 123 (2) EPÜ, da die ursprüngliche Anmeldung unzweifelhaft keinerlei Beschränkung auf gewisse Sicherheitsmerkmale ins Auge fasse.
Die Beschwerdegegnerin hat diesen Einwänden entgegengehalten, dass die Änderungen nur Beschränkungen auf bevorzugte Ausführungsformen darstellen und als solche nicht über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Anmeldung hinausgehen.
iii) Regel 80 EPÜ
Die Beschwerdeführerin war der Ansicht, die Einführung des Merkmals "aus Papier oder vliesartigen Schichten" könne nicht durch einen Einspruchsgrund nach Artikel 100 EPÜ veranlasst sein, da sie ihrem Wesen nach weder gerechtfertigt noch in der Anmeldung gestützt sei.
d) Erfinderische Tätigkeit
In Bezug auf den Mangel der erfinderischen Tätigkeit hat die Beschwerdeführerin vier verschiedene Angriffslinien verfolgt:
i) Ausgehend vom Oberbegriff der Ansprüche
Nach Ansicht der Beschwerdeführerin sind das Wertpapier nach Anspruch 1 und das Verfahren nach Anspruch 14 nicht erfinderisch gegenüber dem Oberbegriff der Ansprüche, der den von der Beschwerdegegnerin selbst eingeräumten Stand der Technik ausdrückt. Die Wahl eines Lacks mit matter Oberfläche sei nicht erfinderisch, da es sich nur um eine von zwei möglichen Alternativen handle; die Aussparung im Bereich des Sicherheitselements sei nur die Anwendung bekannter Grundsätze, die der Druckschrift D1 her bekannt waren.
Die Beschwerdegegnerin widersprach dieser Ansicht mit dem Hinweis, die Trennung eines Anspruchs in Oberbegriff und kennzeichnenden Teil als solche lasse keine Rückschlüsse auf die Offenbarung von Druckschriften des Standes der Technik und ihre Kombinierbarkeit zu.
Auf die Bemerkung der Kammer hin, Anspruch 1 verbinde einen Oberbegriff der "Papierwelt" mit kennzeichnenden Merkmalen aus der "Kunststoffwelt", bestand die Beschwerdeführerin auf der Unmöglichkeit der Trennung dieser Welten.
ii) Ausgehend von der Vorbenutzung
Die Beschwerdeführerin hat ausgeführt, der Gegenstand von Anspruch 1 unterscheide sich von der von der Einspruchsabteilung anerkannten Vorbenutzung (Druckschrift E1) nur durch das unterschiedliche Trägermaterial. Der Fachmann betrachte aber Papier und Kunststoff als äquivalente Trägermaterialien und würde daher ohne weiteres ein Polymersubstrat durch Papier ersetzen, um die Vorteile des Papiers zu nützen.
Die Beschwerdegegnerin hat dazu ausgeführt, dass sich der Gegenstand der unabhängigen Ansprüche auch darin von der Vorbenutzung unterscheidet, dass der Schutzeffekt mit einer einzigen Schutzschicht erreicht wird. Darüber hinaus würde der Fachmann auch nicht in Betracht ziehen, die vielfältigen Vorteile der Polymerbanknote durch die Rückkehr zu einem Papiersubstrat aufzugeben. Die Lehre des Dokuments E1 gehe gerade in eine andere Richtung, und die von der Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang zitierten Druckschriften D25-D27 erörtern gerade die Vorteile von Kunststoffbanknoten.
iii) Ausgehend von der Druckschrift D1
Nach Ansicht der Beschwerdeführerin unterscheidet sich der Gegenstand von Anspruch 1 von der Druckschrift D1 nur durch die Wahl eines spezifischen Sicherheitselements. Diese Wahl könne aber nicht erfinderisch sein, da diese Sicherheitselemente wohlbekannt waren. In diesem Zusammenhang hat die Beschwerdeführerin die Einführung der Druckschriften D17-D24 beantragt.
Die Beschwerdegegnerin hat dazu ausgeführt, dass die Druckschrift D1 auch nicht offenbare, dass die Schutzschicht eine matte Oberfläche aufweist und im Bereich des Sicherheitselements ausgespart ist. Nach Ansicht der Beschwerdegegnerin gäbe es keine Veranlassung für den Fachmann, ein entsprechendes Sicherheitsmerkmal in der Aussparung gemäß Druckschrift D1 anzubringen.
iv) Ausgehend von der Druckschrift D6
Die Beschwerdeführerin ist der Ansicht, der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheide sich von der Offenbarung der Druckschrift D6 einerseits durch die Beschaffenheit des Sicherheitselements und andererseits dadurch, dass die Schutzschicht eine matte Oberfläche aufweist und im Bereich des Sicherheitselements ausgespart ist. Die Auswahl eines bekannten Sicherheitsmerkmals könne aber nicht eine erfinderische Tätigkeit rechtfertigen; das kennzeichnende Merkmal hingegen entspreche einer Technik, die im Bereich der Wertpapiere wohlbekannt sei.
Nach Ansicht der Beschwerdeführerin ist die zu lösende Aufgabe diejenige, die auch schon in Absatz [0005] der Patentschrift angegeben ist. Der Fachmann, der die Vorbenutzung E1 kennt, welche die kennzeichnenden Merkmale aufweist, würde sie auch in diesem Sinne anwenden (vgl. E1, Seite 3, Absatz 8). Die Beschwerdeführerin erläuterte eingehend die australische 10-Dollar Banknote aus dem Jahr 1988, welche überall matt lackiert ist, außer im Bereich des durchsichtigen Fensters. Dass die Übertragung von Polymersubstrat auf Papier nicht erfinderisch ist, gehe aus den Ausführungen des Streitpatents selbst hervor. Die Beschwerdeführerin verwies in diesem Zusammenhang auch auf die Richtlinien für die Prüfung im EPA, G-VII 15, Anlage 1.(v)(analoge Verwendung).
Die Beschwerdegegnerin hat dem erwidert, dass sich der Gegenstand von Anspruch 1 in drei Punkten von der Offenbarung unterscheide (keine Schutzschicht, keine Aussparung, keine matte Oberfläche). Die australische Banknote sei explizit in der Druckschrift D6 erwähnt und ihre Nachteile würden dort erläutert. Es sei daher fraglich, ob der Fachmann die Lösung eines "Papierproblems" bei einer Polymerbanknote suchen würde. Es wäre vielmehr naheliegend, eine Lösung in Betracht zu ziehen, die in der Druckschrift D6 selbst gelehrt wird, nämlich die Verwendung einer Abdeckfolie. Was die Verwendung von Mattlack angeht, gehe es dabei darum, Papiereigenschaften zu erreichen. Dies mache bei einem Plastiksubstrat Sinn, aber nicht, wenn die Banknote schon aus Papier besteht. Die Beschwerdegegnerin verwies auf Widersprüche bezüglich des Mattlacks in den Absätzen 6 und 7 des Dokuments E1 und drückte Zweifel daran aus, wie der Fachmann mit all dieser Information umgehen würde.
Die Kammer wies darauf hin, dass die Druckschrift E1 zwar Effekte des Mattlacks und der Aussparung erwähne, dies aber in Kenntnis des Streitpatents tue, und fragte die Beschwerdeführerin, ob es Beweise dafür gebe, dass diese Wirkungen auch schon zum Prioritätszeitpunkt bekannt waren. Die Beschwerdeführerin beantwortete diese Frage mit dem Hinweis darauf, dass diese Wirkungen nicht beansprucht wären.
VII. In der mündlichen Verhandlung gab die Kammer den Parteien die Gelegenheit, zur Zulassung der verspätet vorgebrachten Druckschriften Stellung zu nehmen, und zwar insbesondere in Hinsicht auf die Frage, ob diese Druckschriften relevanter sind als die im Verfahren befindlichen Druckschriften.
Diskutiert wurde in diesem Zusammenhang vor allem die Druckschrift D26, Punkt 4 ("Extending Life") in der festgestellt wird, dass die Beschichtung der australischen Banknote ihre Griffigkeit ("feel and handling") verbessert und vermutlich auch ihre Langlebigkeit erhöht.
Die Beschwerdegegnerin äußerte Zweifel an der öffentlichen Zugänglichkeit der Druckschrift D26. Die Beschwerdeführerin kritisierte dieses verspätete Argument und erklärte sich außerstande, den Beweis ohne Aufschub der mündlichen Verhandlung anzutreten.
1. Die dem Streitpatent zugrundeliegende Anmeldung wurde am 15. Mai 2002 angemeldet. Deshalb sind in diesem Fall gemäß Artikel 7 der Akte zur Revision des EPÜ vom 29. November 2000 (Sonderausgabe Nr. 4, ABl. EPA 2007, 241) und dem Beschluss des Verwaltungsrats vom 28. Juni 2001 über die Übergangsbestimmungen nach Artikel 7 der Akte zur Revision des EPÜ vom 29. November 2000(Sonderausgabe Nr. 4, ABl. EPA 2007, 243) die Artikel 54 (2) und (3), 56, 83 und 84 EPÜ 1973 anzuwenden.
2. Zulässigkeit des in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer eingereichten Hauptantrags
Gemäß Artikel 13 (1) VOBK steht es im Ermessen der Kammer, Änderungen des Vorbringens der Beschwerdegegnerin nach Einreichung ihrer Erwiderung auf die Beschwerdebegründung zuzulassen. Bei der Ausübung des Ermessens sind die Komplexität des neuen Vorbringens, der Stand des Verfahrens und die gebotene Verfahrensökonomie zu berücksichtigen. Artikel 13 (3) VOBK bestimmt, dass Änderungen des Vorbringens nach Anberaumung der mündlichen Verhandlung nicht zuzulassen sind, wenn sie Fragen aufwerfen, deren Behandlung der Kammer oder den anderen Beteiligten ohne Verlegung der mündlichen Verhandlung nicht zuzumuten ist.
Der geltende Antrag der Beschwerdegegnerin berücksichtigt die Einwände der Kammer gegen den von der Einspruchsabteilung entschiedenen Antrag, indem die Streichung des letzten Satzes von Absatz [0006] rückgängig gemacht wurde und die vliesartigen Schichten in den unabhängigen Ansprüchen auf die in der Beschreibung genannten spezifischen Beispiele beschränkt wurden. Es handelt sich dabei um Änderungen geringer Komplexität, die für alle am Verfahren Beteiligen vorherzusehen waren und weder die Kammer, noch die Beschwerdeführerin überraschen konnten. Die Behandlung des neuen Antrags ist der Kammer und der Beschwerdeführerin ohne Verlegung der mündlichen Verhandlung zuzumuten.
Hinzu kommt, dass die vorläufige Meinung der Kammer, die den Beteiligten zusammen mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung mitgeteilt wurde, zum Ausdruck brachte, dass die Kammer die Bedenken der Beschwerdeführerin bezüglich der Erfordernisse der Regel 80 und des Artikels 123 (2) EPÜ nicht teile. Die Beschwerdegegnerin konnte deshalb den Eindruck haben, es sei nicht erforderlich, auf die entsprechenden Einwände der Beschwerdeführerin hin neue Anträge einzureichen.
Die Kammer hat deshalb den geänderten Antrag der Beschwerdegegnerin in das Verfahren zugelassen.
3. Regel 80 EPÜ
Gemäß Regel 80 EPÜ können die Beschreibung und die Patentansprüche geändert werden, soweit die Änderungen durch einen Einspruchsgrund nach Artikel 100 veranlasst sind, auch wenn dieser vom Einsprechenden nicht geltend gemacht wurde. Änderungen, die nur zur Bereinigung und Verbesserung der Offenbarung dienen, sind nicht zulässig (vgl. Entscheidung T 127/85, supra).
3.1.1 Ansprüche 1 und 14
Die Änderungen der beiden unabhängigen Ansprüche bestehen darin, dass das Trägermaterial auf Papier und vliesartige Schichten beschränkt und das Sicherheitselement näher definiert wurde.
Beide Änderungen schränken den Schutzgegenstand ein und grenzen ihn gegenüber dem Stand der Technik ab. Deshalb ist unzweifelhaft, dass die Änderungen durch einen Einspruchsgrund nach Artikel 100 EPÜ veranlasst und somit unter Regel 80 EPÜ nicht zu beanstanden sind.
Die Beschwerdeführerin hat in diesem Zusammenhang vorgebracht, dass die Einführung des Merkmals "aus Papier oder vliesartigen Schichten ..." ihrem Wesen nach weder gerechtfertigt noch begründet sei. Die Kammer kann diesem Argument nicht folgen, da der Ausschluss von Polymersubstraten die Neuheit des Gegenstands von Anspruch 1 zum Beispiel gegenüber dem Dokument E1 herstellt und daher durch den Einspruchsgrund nach Artikel 100(a) EPÜ veranlasst ist.
3.1.2 Absatz [0011]
Die Änderungen der zwei letzten Sätze von Absatz [0011] bestehen im wesentlichen darin, dass die Variante der Polymersubstrate gestrichen wurde. Diese Änderung passt die Beschreibung an den geänderten Schutzgegenstand an. Deshalb sind die Änderungen durch einen Einspruchsgrund nach Artikel 100 EPÜ veranlasst und unter Regel 80 EPÜ nicht zu beanstanden.
Die Beschwerdeführerin hat dazu ausgeführt, diese Änderung der Beschreibung würde das Wesen der Erfindung verändern und die Beschreibung von Feststellungen der Patentinhaberin reinigen, die ihrer Argumentation bezüglich der Patentfähigkeit der Erfindung abträglich wären. Dieses Argument kann aber nicht im Zusammenhang mit den Erfordernissen der Regel 80 EPÜ vorgebracht werden, da diese Regel nur darauf abzielt, Änderungen des Patents, die nicht durch Einspruchsgründe veranlasst sind, zu unterbinden. Es ist daher nicht möglich, Änderungen, die durch Einspruchsgründe veranlasst sind, auf der Grundlage von Regel 80 EPÜ zurückzuweisen. Falls die Änderungen, wie von der Beschwerdeführerin behauptet, die Lage der Patentinhaberin unzulässig verbessern und/oder die Lehre des Patents unzulässig abändern, so ist dies in Hinblick auf Artikel 123 EPÜ zu beanstanden; Regel 80 EPÜ ist in diesem Zusammenhang nicht einschlägig.
3.2 Artikel 83 EPÜ 1973
Gemäß Artikel 83 EPÜ 1973 muss die Patentanmeldung die Erfindung so deutlich und vollständig offenbaren, dass ein Fachmann sie ausführen kann.
Die Beschwerdeführerin hat Einwände bezüglich einer unzureichenden Offenbarung der Erfindung nur im Zusammenhang mit den Änderungen der Beschreibung erhoben. Sie führt an, dass diese Änderungen ernste Probleme in Hinblick auf die hinreichende Offenbarung schaffen, hat aber nicht aufgezeigt, warum diese Änderungen es dem Fachmann unmöglich machen würden, die Erfindung auszuführen.
Das wesentliche Argument der Beschwerdeführerin besteht darin, dass die Änderungen der Beschreibung das Wesen der Erfindung verändert hätten, da in der geänderten Fassung des Streitpatents die Beschaffenheit des Trägermaterials von Bedeutung ist. Da die Beschwerdeführerin jedoch den Beweis schuldig geblieben ist, dass die Erfindung in der geänderten Fassung für den Fachmann nicht ausführbar ist, und da die Kammer auch keinen Grund sieht, warum die Beschränkung auf gewisse bekannte Trägermaterialien dem Fachmann die Ausführung der Erfindung unmöglich machen sollte, hat die Kammer diesen Einwand nicht für stichhaltig befunden.
Die Beschwerdeführerin hat auch erklärt, dass das Streitpatent nicht die Bedeutung des Trägermaterials offenbare, und dass sie deshalb nicht deutlich und vollständig offenbare, inwiefern die Beschaffenheit des Trägermaterials eine solche Bedeutung besitze. Dabei übergeht sie jedoch den zweiten Teil des Artikels 83 EPÜ 1973, der den Zweck der besagten Offenbarung angibt, nämlich, dass die Offenbarung so deutlich und vollständig sein muss, dass ein Fachmann sie ausführen kann. Die Offenbarung ist also dann ausreichend, wenn es dem Fachmann möglich ist, die Erfindung auszuführen. Die Offenbarung einer besonderen Bedeutung eines spezifischen Trägermaterials ist dafür aber nicht erforderlich.
3.3 Artikel 84 EPÜ 1973
Gemäß Artikel 84, 2. Satz, EPÜ 1973 müssen die Patentansprüche von der Beschreibung gestützt sein.
3.3.1 Änderungen der Beschreibung
Wie schon aus seinem Titel hervorgeht, betrifft der Artikel 84 EPÜ die Patentansprüche. Eine Änderung der Beschreibung kann nur dann dem Artikel 84, 2. Satz, EPÜ 1973 zuwiderlaufen, wenn sie den geltenden Ansprüchen die Stütze entzieht. Dies hat die Beschwerdeführerin aber nicht behauptet. Sie behauptet vielmehr, eine Argumentation bezüglich des Einflusses der Beschaffenheit des Trägermaterials entbehre jeder Grundlage in der ursprünglichen Anmeldung. Diese Frage betrifft jedoch nicht die Grundlage der Ansprüche in der Beschreibung im Sinne von Artikel 84, 2. Satz, EPÜ 1973 und ist in diesem Zusammenhang ohne Belang.
3.3.2 Änderungen der Ansprüche
Was die Änderungen der Ansprüche angeht, hat die Beschwerdeführerin hinsichtlich der Beschränkung auf Papier oder vliesartige Schichten angeführt, dass es keinerlei Grundlage dafür gebe. Es ist aber unbestritten, dass sowohl Papier als auch vliesartige Schichten in der Beschreibung der ursprünglichen Anmeldung genannt sind. Deshalb gibt es also in der Beschreibung eine Stütze für dieses beschränkende Merkmal. Die Tatsache, dass die Anmeldung ursprünglich nicht auf diese Trägermaterialien beschränkt war bedeutet nicht, dass es keine Stütze für diese Trägermaterialien in der Anmeldung gibt. Die Frage, ob eine Einschränkung auf zwei der drei ursprünglich genannten Trägermaterialien zulässig ist und/oder den Gegenstand der Ansprüche patentfähig macht, kann sich in Bezug auf Artikel 123 (2) EPÜ und Artikel 56 EPÜ 1973 stellen; sie ist aber in Hinsicht auf Artikel 84 EPÜ 1973 irrelevant.
Dies gilt auch für die Änderung der Ansprüche durch die Beschränkung der Sicherheitsmerkmale auf bestimmte Ausführungsformen.
Die Kammer sieht auch keinen Widerspruch zwischen den geltenden Ansprüchen 1 und 3, da Anspruch 1 nicht auf Wertpapiere mit einer einzigen Schutzschicht beschränkt ist.
3.4 Artikel 123 (2) EPÜ
Artikel 123 (2) EPÜ bestimmt, dass das Patent nicht in der Weise geändert werden darf, dass sein Gegenstand über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht.
3.4.1 Änderungen der Beschreibung
Nach Ansicht der Beschwerdeführerin haben die Änderungen der Beschreibung dazu geführt, dass das Verständnis der Erfindung, die technische Aufgabe und die Bewertung der erfindungsgemäßen Lösung verändert wurden und damit der Gegenstand des Patents verzerrt wurde. Die Änderungen würden künstlich den Eindruck erwecken, dass die Beschaffenheit des Trägermaterials von Bedeutung sei, obwohl dies nicht ursprünglich offenbart war.
Die Kammer kann diesem Argument nicht zustimmen, da es in seiner Allgemeinheit dazu führen würde, dass eine Einschränkung des Gegenstands eines unabhängigen Anspruchs auf bestimmte Ausführungsformen grundsätzlich nicht möglich wäre. Dies steht aber im Widerspruch zur langjährigen Praxis des Europäischen Patentamts, welche es einem Anmelder oder Patentinhaber zugesteht, dass er die ursprünglich eingereichten Ansprüche und auch die Beschreibung infolge der Entdeckung einer einschlägigen Offenbarung beschränken kann. Eine solche Einschränkung führt notwendigerweise zu einer Anpassung des
Verständnisses der Erfindung, der technischen Aufgabe und der Bewertung der erfindungsgemäßen Lösung. Eine strengere Auslegung des Artikels 123 (2) EPÜ, die eine solche Anpassung verbieten würde, ist zwar grundsätzlich denkbar, aber nicht üblich.
3.4.2 Änderungen der Ansprüche
Die Beschwerdeführerin hat vorgebracht, dass die Beschränkung des Sicherheitselements auf bestimmte Ausführungsformen nicht mit der Gesamtoffenbarung der ursprünglichen Anmeldung vereinbar sei, da diese insbesondere nicht auf diese Ausführungsformen beschränkt sei.
Dem kann die Kammer nicht zustimmen, da die ursprüngliche Anmeldung die verschiedenen Ausführungsformen offenbart, nämlich im zweiten Absatz der Beschreibung. Gemäß der Entscheidung G 2/10 der Grossen Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts vom 30. August 2011, Punkt 4.3 der Entscheidungsgründe (ABl. EPA 2012, 376) sind Änderungen im Rahmen dessen zulässig, was der Fachmann der ursprünglich eingereichten Fassung der Anmeldung unter Heranziehung des allgemeinen Fachwissens unmittelbar und eindeutig entnehmen würde ("Goldstandard"). Angesichts der Offenbarung der Ausführungsformen des Sicherheitselements in der ursprünglichen Anmeldung würde der Fachmann der Anmeldung unmittelbar und eindeutig entnehmen, dass das Wertpapier und das Verfahren gemäß der erteilten Ansprüche 1 und 14 solche bestimmten Sicherheitselemente aufweisen kann. Diese Beschränkung stellt damit keine Verletzung der Erfordernisse des Artikels 123 (2) EPÜ dar.
Dies gilt auch für die Beschränkung des Wertpapiers gemäß Anspruch 1 und des Verfahrens gemäß Anspruch 14 auf ein Wertpapier "aus Papier oder vliesartigen Schichten, die sowohl Zellstoff- oder Baumwollfasern als auch Kunststofffasern enthalten"; dies ist in den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen auf Seite 5, Zeile 14 ("Das erfindungsgemäße Wertpapier besteht vorzugsweise aus Papier, ...") und auf Seite 6, Zeilen 5 und 6 ("Eine weitere Variante besteht aus vliesartigen Schichten, die sowohl Zellstoff- oder Baumwollfasern als auch Kunststofffasern enthalten.") offenbart.
3.5 Artikel 123 (3) EPÜ
Artikel 123 (3) EPÜ bestimmt, dass das Patent nicht in der Weise geändert werden darf, dass sein Schutzbereich erweitert wird.
Die Beschwerdeführerin hat eine Verletzung der Erfordernisse von Artikel 123 (3) EPÜ nur im Zusammenhang mit den Änderungen der Beschreibung geltend gemacht. Dieser Einwand beruht auf der Ansicht, die Änderungen der Beschreibung würden in unzulässiger Weise Behauptungen, die der Beschränkung auf bestimmte Trägermaterialien widersprechen, beseitigen und damit den Schutzbereich erweitern.
In diesem Zusammenhang wird festgestellt, dass gemäß Artikel 69 (1) EPÜ der Schutzbereich des Patents durch die Patentansprüche bestimmt wird, die Beschreibung jedoch zur Auslegung der Ansprüche heranzuziehen ist.
Eine Änderung der Beschreibung kann daher nur dann zu einer Erweiterung des Schutzbereichs des Patents führen, wenn dadurch die Auslegung der Ansprüche so verändert wird, dass deren Merkmale breiter auszulegen sind. Dies kann insbesondere der Fall sein, wenn die ursprüngliche Beschreibung eine einschränkende Definition eines Anspruchsmerkmals enthält und dieser Teil der Beschreibung gestrichen wird. Ein Beispiel neueren Datums findet sich in der Entscheidung T 215/11 vom 20. Juni 2013.
Die von der Beschwerdegegnerin vorgenommene Beschränkung der Trägermaterialien auf Papier und vliesartige Schichten (Absatz [0011]) hat aber keine solche Wirkung, da sie nicht zu einer Erweiterung der Auslegung der Ansprüche führen kann.
3.6 Artikel 56 EPÜ 1973
Die Beschwerdeführerin hat vorgetragen, dass sich der Gegenstand der unabhängigen Ansprüche in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt. Zur Entscheidung dieser Frage hat die Kammer den üblichen Aufgabe-Lösungs-Ansatz angewandt.
3.6.1 Nächstliegender Stand der Technik
Für die Kammer offenbart die Druckschrift D6 den nächstliegenden Stand der Technik:
Die Beschwerdeführerin hat sich auf den Oberbegriff des Anspruchs 1 als nächstliegenden Stand der Technik berufen. Die Kammer kann dieser Vorgehensweise nicht zustimmen. Gemäß Regel 29 (1) (a) EPÜ 1973 (siehe Artikel 2 des Beschlusses des Verwaltungsrats vom 7. Dezember 2006 zur Änderung der Ausführungsordnung zum Europäischen Patentübereinkommen, ABl. EPA 2007, 8) soll der Oberbegriff eines Anspruchs die technischen Merkmale der Erfindung ausdrücken, die in Verbindung miteinander zum Stand der Technik gehören. Die zweiteilige Formulierung der Patentansprüche enthebt die Beschwerdeführerin jedoch nicht der Verpflichtung, ihre Angriffe auf einen konkreten Stand der Technik zu stützen, denn für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit ist es von Bedeutung, in welchem Zusammenhang die Merkmale des Oberbegriffs im Stand der Technik offenbart sind.
Der Ausweis gemäß Druckschrift D1 besitzt kein Sicherheitsmerkmal im Sinne der Erfindung (es besteht nur Raum für eine Unterschrift des Ausweisinhabers) und die Mattheit der Lackschicht ist auch nicht erwähnt. Um zum Gegenstand des Anspruchs 1 zu gelangen, erfordert die Druckschrift D1 also mehr strukturelle Änderungen als die Druckschrift D6.
Die Vorbenutzung gemäß Dokument E1 beschreibt zwar eine Banknote, die viele Merkmale mit dem Gegenstand von Anspruch 1 gemeinsam hat, aber die Banknote gemäß Dokument E1 ist eine Polymerbanknote und stellt damit das Ergebnis einer Entwicklung dar, die von Papierbanknoten wegführt. Als solches stellt es keinen erfolgversprechenden Ausgangspunkt (im Sinne der Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts) für Wertpapiere aus Papier oder vliesartigen Schichten dar.
Die Druckschrift D6 beschreibt eine Banknote, die alle Merkmale des Oberbegriffs von Anspruch 1 besitzt; der Gegenstand von Anspruch 1 unterscheidet sich davon durch seinen kennzeichnenden Teil. Es handelt sich deshalb um den erfolgversprechendsten Ausgangspunkt unter den Druckschriften, die von der Beschwerdeführerin angeführt wurden.
3.6.2 Technische Aufgabe
Gemäß Absatz [0005] der Patentschrift löst Anspruch 1 die Aufgabe, "ein lang lebiges (sic) Wertapier und ein Verfahren zu dessen Herstellung vorzuschlagen, das eine störungsfreie Verarbeitung der Wertpapiere und ihre Überprüfung mittels optischer Sensoren ermöglicht und gleichzeitig gewährleistet, dass die Sicherheitselemente visuell gut wahrnehmbar sind".
3.6.3 Naheliegen
Die Kammer kann der Argumentation der Beschwerdeführerin, dass der Fachmann aus der Vorbenutzung E1 die kennzeichnenden Merkmale des Anspruchs 1 kenne und sie zur Lösung der oben genannten Aufgabe auch bei dem aus Druckschrift D6 bekannten Wertpapier anwenden würde, nicht folgen.
Dies würde nämlich voraussetzen, dass der Fachmann aus der Vorbenutzung E1 erfährt, dass die obengenannte Aufgabe bei deren Polymerbanknote durch eine matte Oberfläche und eine Aussparung im Bereich des Sicherheitselements gelöst wird.
Die Beschwerdeführerin hat sich in diesem Zusammenhang auf die Aussage des Zeugen Burnham (vgl. E1, Seite 3, Absatz 8) bezogen. Die Kammer sieht diese Aussage aber als nicht hinreichend an, da sie im Jahr 2006, also viele Jahre nach der Veröffentlichung der Banknote im Jahr 1988, und vor allem auch in Kenntnis des Streitpatents (siehe E1, Seite 1, Absatz 3: "I have been presented with a copy of European patent No. 1 395 438 ...") getätigt wurde. Die Aussage des Zeugen Burnham kann daher nicht als repräsentativ für das Verständnis des Fachmanns am Prioritätstag des Streitpatents angesehen werden.
Die Frage der Kammer, ob es Beweise dafür gebe, dass die Wirkungen der kennzeichnenden Merkmale auch schon zum Prioritätszeitpunkt bekannt waren, hat die Beschwerdeführerin damit beantwortet, dass diese Wirkungen nicht beansprucht wären. Dieses Argument geht aber an der Sache vorbei, da es hier nicht darum geht, ob die Wirkung als solche beansprucht ist, sondern darum, ob der Fachmann einen Anlass gehabt hätte, die kennzeichnenden Merkmale von der Banknote gemäß Dokument E1 auf die Banknote gemäß Druckschrift D6 zu übertragen. Die Druckschriften, die der Kammer vorgelegt wurden, erlauben nicht, diese Frage zu bejahen.
Deshalb kommt die Kammer zum Schluss, dass sich der Gegenstand der unabhängigen Ansprüche nicht in naheliegender Weise aus einer Kombination der Dokumente D6 und E1 ergibt.
3.6.4 Andere Angriffslinien
Der Hinweis der Beschwerdeführerin auf die Richtlinien für die Prüfung im EPA, G-VII 15, Anlage 1.(v), denen zufolge eine Erfindung, die lediglich darin besteht, dass ein bekanntes technisches Verfahren in einer analogen Situation angewendet wird (analoge Verwendung), nicht erfinderisch ist, ist nicht zielführend, da es sich hier nicht um eine analoge Verwendung handelt. Es gibt gute Gründe, Polymerbanknoten matt zu lackieren (z.B. um ihre Griffigkeit zu erhöhen), die sich aber nicht ohne weiteres auf Papierbanknoten übertragen lassen. Ein bloßer Verweis auf analoge Verwendung ist hier also nicht ausreichend, um überzeugend darzulegen, dass die Verwendung der kennzeichnenden Merkmale auf Papiergeld naheliegend ist.
Die Kammer hat oben (siehe Punkt 3.6.1) dargelegt, warum die Vorbenutzung gemäß Dokument E1 nicht den vielversprechendsten Ausgangspunkt für die Bestimmung der erfinderischen Tätigkeit darstellt. Aber selbst wenn man von dieser Vorbenutzung ausgehen würde, gelangt man nicht in naheliegender Weise zum Gegenstand der unabhängigen Ansprüche, denn dazu wäre es erforderlich, das Polymersubstrat durch ein Papiersubstrat zu ersetzen. Diese Ersetzung ist aber nicht naheliegend. Polymerbanknoten haben sich in den letzten Jahrzehnten angesichts gewisser Nachteile von Papiergeld entwickelt und finden immer mehr Anwendung. Eine Rückkehr zu Papiersubstraten stellt einen Verzicht auf alle Vorteile, die zur Entwicklung von Kunststoffbanknoten geführt haben, dar. Eine solche Kehrtwendung kann aber nicht ohne guten Grund als naheliegend betrachtet werden.
Die Beschwerdeführerin hat darauf hingewiesen, dass die Trennung zwischen "Papierwelt" und "Plastikwelt" nicht stichhaltig sei und dass die Tatsache, dass das Streitpatent Papier und Plastiksubstrate in einem Atemzug anführt, ebenfalls ein Indiz dafür sei. Dem kann die Kammer nicht zustimmen. Die Tatsache, dass eine Erfindung sowohl auf Papiersubstrate als auch auf Plastiksubstrate Anwendung finden kann, bedeutet nicht notwendigerweise, dass es für den Fachmann naheliegend ist, vom einen auf das andere überzugehen. Es ist prinzipiell durchaus möglich, dass verschiedene Ausführungsbeispiele einer Erfindung erfinderisch sind, obwohl ein anderes Ausführungsbeispiel in Hinblick auf den Stand der Technik naheliegend ist. Ob dies der Fall ist, muss von Fall zu Fall untersucht werden.
In diesem Zusammenhang hat die Beschwerdeführerin auf die Druckschrift D26 hingewiesen. Wie weiter unten (siehe Punkt 4) dargelegt, hat die Kammer entschieden, diese Druckschrift nicht in das Verfahren aufzunehmen.
Die Kammer hat oben (siehe Punkt 3.6.1) auch dargelegt, warum Druckschrift D1 nicht den vielversprechendsten Ausgangspunkt für die Bestimmung der erfinderischen Tätigkeit darstellt. Bezüglich der Argumentation der Beschwerdeführerin basierend auf dieser Druckschrift ist anzumerken, dass - entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin - die Druckschrift D1 nicht implizit eine matte Lackschicht offenbart. Die allgemeine Offenbarung einer Lackschicht ist nicht ausreichend, um ihre konkreten Varianten (matt oder glänzend) ebenfalls zu offenbaren. Darüber hinaus ist die Formulierung der Aufgabe - bezüglich der Sicherheitsmerkmale - durch die Beschwerdeführerin (Bereitstellung eines geeigneten Sicherheitsmerkmals) nicht befriedigend, da diese Aufgabe schon die Lösung impliziert. Die Kammer ist zum Schluss gelangt, dass die Beschwerdeführerin nicht überzeugend dargelegt hat, warum der Fachmann die Ausweiskarte gemäß D1 matt lackieren und ein Sicherheitsmerkmal gemäß des Anspruchs im unlackierten Bereich vorsehen würde.
3.6.5 Deshalb kommt die Kammer zum Schluss, dass sich der Gegenstand der unabhängigen Ansprüche nicht in naheliegender Weise aus dem ihr vorgelegten Stand der Technik ergibt.
4. Zulassung der Druckschriften D16-D27
Die Kammer ist zum Schluss gekommen, dass die Einspruchsabteilung ihr Ermessen in der Entscheidung, die Druckschriften D16-D24 nicht in das Verfahren zuzulassen, nicht fehlerhaft ausgeübt hat. Dass die darin offenbarten Sicherheitselemente als solche zum Prioritätszeitpunkt bekannt waren, ist unbestritten und auch nicht entscheidungsrelevant.
Die Druckschriften D25-D27 wurden von der Beschwerdeführerin zusammen mit der Beschwerdebegründung eingereicht, um darzulegen, dass in Bezug auf Banknoten Papiersubstrate und Kunststoffsubstrate nicht zu "verschiedenen Welten" gehören, wie es von der Beschwerdegegnerin vorgetragen worden war. Nach Ansicht der Kammer bleiben diese Druckschriften aber den Beweis dafür schuldig.
Druckschrift D25 offenbart eine Polymerbanknote die das Aussehen und die Griffigkeit einer Papierbanknote besitzt (Seite 7, Zeilen 10-11). Dass Papier und Polymere austauschbare Trägermaterialien sind wird dadurch aber nicht gelehrt.
Druckschrift D27 beschränkt sich darauf, festzustellen, dass Vliesstoffe oder synthetische organische Fasern schon lange als möglicher Ersatz für Papier und Stoff in vielen Anwendungen bekannt waren, dass aber Vliesstoffe in Wertpapieren nicht zum Einsatz gekommen sind (Kolonne 1, Zeilen 36-38).
Die Druckschrift D26 beschäftigt sich mit der Lebensdauer von Papierbanknoten. Bei der Frage der Verlängerung der Lebensdauer führt der Autor zuerst die Erfahrung mit den australischen Plastikbanknoten an, kommt aber dann zum Schluss, dass die Verwendung eines Plastiksubstrats die wesentlichen Probleme nicht lösen würde und kehrt dann zu Papiersubstraten zurück. Der Punkt 4 erwähnt auch kurz, dass holländische Banknoten seit 1987 mit einem speziellen Lack lackiert werden, was ihre Lebensdauer erhöht hat. Die Kammer ist zum Schluss gekommen, dass die Druckschrift keinen Beweis dafür liefert, dass Papier und Plastik in Bezug auf Banknoten nicht verschiedenen Welten angehören. Die Druckschrift erwähnt Plastikbanknoten nur kurz und zeigt sich vorsichtig beim Übertragen der Erkenntnisse (die Verlängerung der Lebensdauer durch Lackieren, die für Papiergeld festgestellt wurde, ist für Plastikbanknoten nur wahrscheinlich ("probably")). Die Argumentation der Beschwerdeführerin strapaziert diese Druckschrift über Gebühr, indem sie den Punkt 4 aus seinem Zusammenhang zieht.
Die Kammer ist daher zum Schluss gekommen, dass die Druckschriften D25-D27 und insbesondere die Druckschrift D26 nicht relevanter sind als die schon im Verfahren befindlichen Druckschriften und hat sie deshalb nicht zum Verfahren zugelassen.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz zurückverwiesen mit der Anordnung, das europäische Patent in geändertem Umfang in folgender Fassung aufrechtzuerhalten:
- Patentansprüche: 1 bis 27 eingereicht in der mündlichen Verhandlung am 6. Juni 2014;
- Beschreibung : Spalten 1 bis 3 und 5 bis 7 der Patentschrift und Spalte 4 eingereicht mit Schreiben vom 29. April 2009.