T 1295/12 28-01-2015
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VERFAHREN ZUM BETREIBEN EINES KRAFTFAHRZEUGAUTOMATGETRIEBES
Neuheit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Verspätetes Vorbringen - offenkundige Vorbenutzung zugelassen (nein)
I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamts, die am 3. April 2012 zur Post gegeben wurde und mit der der Einspruch gegen das europäische Patent Nr. 1648751 aufgrund des Artikels 101 (2) EPÜ zurückgewiesen worden ist.
II. Die Einspruchsabteilung hat entschieden, dass der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 neu ist und auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.
Die Einspruchsabteilung hat dabei u.a. die folgenden Dokumente berücksichtigt:
US 4 605 112 A (D1)
EP 1 136 298 A1 (D4).
III. Gegen diese Entscheidung hat die Einsprechende Beschwerde eingelegt.
Mit der Beschwerdebegründung legte sie zum Nachweis einer offenkundigen Vorbenutzung die folgenden Dokumente vor:
"Sequentielles M-Getriebe der zweiten Generation mit Drivelogic, Teil 1", Automobiltechnische Zeitschrift (ATZ), 11/2001, Seiten 1024 bis 1034 (D18)
"Sequentielles M-Getriebe der zweiten Generation mit Drivelogic, Teil 2", Automobiltechnische Zeitschrift (ATZ), 02/2002, Seiten 154 bis 163 (D19)
Betriebsanleitung M3 Cabrio, Auszug, Seiten 61 bis 65 (D20)
Serviceheft mit Übergabedatum M3 Cabrio mit SMG (D21)
Patentanwaltliche Versicherung über einen Fahrversuch mit M3 Cabrio SMG II mit Drivelogic, gemäß D21 (D22)
Mit Schreiben vom 17. Dezember 2014 legte die Beschwerdeführerin das Dokument D23 vor:
"Das SMG II Getriebe", Artikel auf der Internetseite "www.m3csl.net" über den BMW M3 CSL, 15. März 2005, abgerufen am 10. Dezember 2014 (D23)
IV. Am 28. Januar 2015 fand vor der Beschwerdekammer eine mündliche Verhandlung statt.
Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.
V. Anspruch 1 wie erteilt lautet wie folgt:
Verfahren zum Betreiben eines Automatgetriebes in einem Kraftfahrzeug, bei dem während einer Schubbetriebs- phase bis zum Erreichen einer vorbestimmten Grenzgeschwindigkeit Rückschaltungen im Getriebe durchgeführt und durch Schließen einer zwischen einem Fahrzeugantriebsmotor und dem Getriebe angeordneten Kupplung beendet werden, gekennzeichnet durch das Verfahrensmerkmal, dass unterhalb der Grenzgeschwindigkeit Rückschaltungen mit offener Kupplung beendet werden.
VI. Die Einsprechende trägt im Wesentlichen die folgenden Argumente vor:
Der Gegenstand des strittigen Anspruchs 1 sei durch die Dokumente D1 und D4 neuheitsschädlich vorweggenommen.
Das Dokument D1 offenbare ein stufenloses CVT Getriebe (Continuously Variable Transmission). Dort sei in Spalte 4, Zeilen 54 ff. ausgeführt, dass bei einer Geschwindigkeitsreduktion, also im Schubbetrieb, das Übersetzungsverhältnis stetig verändert werde, was den anspruchsgemäßen Rückschaltvorgängen entspreche. Die Kupplung sei hierbei, wie bei derartigen Getrieben üblich, geschlossen, so dass auch das Merkmal 1.4 (gemäß der Merkmalsgliederung in der Entscheidung der Einspruchsabteilung) offenbart sei, wonach Rückschaltvorgänge mit dem Schließen der Kupplung beendet werden.
Unterhalb einer Grenzgeschwindigkeit, die in D1 durch die ,,beinahe kleinstmögliche" Motordrehzahl gegeben sei (engine stall, Spalte 4, Zeile 51) werde die Kupplung geöffnet. Dies bedeute, dass - ab dem Punkt, ab dem keine Veränderung des Übersetzungsverhältnisses mehr möglich ist - die Kupplung geöffnet werde, so dass folglich der letzte Rückschaltvorgang gemäß dem Merkmal 1.6 mit einer geöffneten Kupplung beendet werde. Auch Dokument D4 offenbare alle Merkmale des Anspruchs 1.
Insbesondere sei aus der Figur 3, in Verbindung mit Paragraph [0026] zu entnehmen, dass Rückschaltvorgänge im Schubbetrieb vorgenommen würden (vgl. Schritt S105 in Figur 3). Wenn die Drehzahl des Motors im Schubbetrieb stetig weiter abfalle, bis zu einem vorgegebenen Grenzwert, werde dies in Schritt S102 festgestellt, was dazu führe, dass - ggf. nach einer Folge von Rückschaltvorgängen in S105 der erste Gang eingelegt werde. Die Abfrage in S106 stelle nun fest, dass der erste Gang eingelegt sei, was zwangsläufig dazu führe, dass in S107 die Kupplung geöffnet werde.
Damit werde der Rückschaltvorgang in den ersten Gang, bei einer in S102 definierten Grenzgeschwindigkeit, mit geöffneter Kupplung beendet. Der Zusammenhang zwischen der in S102 abgefragten Drehzahl und der dazugehörigen Grenzgeschwindigkeit ergebe sich dem Fachmann aus dem bekannten Übersetzungsverhältnis des Getriebes, vgl. auch D4, Spalte 3, Zeilen 1 und 2.
Es sei davon auszugehen, dass in D4 ein konventionelles sogenanntes automatisiertes Handschaltgetriebe verwendet worden sei, so dass für jeden Gangwechsel die Kupplung geöffnet und geschlossen werde; Getriebe, die es erlaubten, ohne Kupplungsbetätigung den Gang zu wechseln, seien zum Zeitpunkt der D1 für Hybridfahrzeuge (denn dies sei der Gegenstand der D1) nicht verfügbar gewesen.
Des Weiteren beruhe der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Der in der Patentschrift beschriebene Stand der Technik offenbare alle Merkmale des Oberbegriffs von Anspruch 1, mithin alle Merkmale bis auf das Merkmal 1.6, wonach unterhalb einer Grenzgeschwindigkeit Rückschaltungen mit offener Kupplung beendet werden.
Die mit diesem Merkmal gelöste Aufgabe bestehe darin, nach Schubrückschaltvorgängen ein zügiges Beschleunigen zu ermöglichen, diese Auffassung decke sich mit der im Streitpatent angegebenen Aufgabe, siehe Paragraph [0011]. Das Dokument D4 schildere die Lösung eines vergleichbaren Problems, nämlich eine zügige Beschleunigung nach einer Phase des Schubbetriebs zu ermöglichen, siehe Spalte 2, Zeilen 53 ff., Spalte 4, Zeilen 40 ff. und Spalte 7, Zeilen 25 ff.
Somit würde der Fachmann Dokument D4 in Betracht ziehen, aus dem ein Lösen der Kupplung nach dem Schalten in den ersten Gang zu entnehmen sei. Dem Fachmann wisse aber dann auch, dass er im ersten Gang nicht wieder einkuppeln müsse, um unmittelbar darauf die Kupplung zu lösen, wie es durch die Abfolge der Schritte S105, S106, S107 in D4 vorgesehen sei.
Somit sei der Gegenstand des strittigen Anspruchs 1 ausgehend vom Stand der Technik, wie in der Patentschrift beschrieben, in Kombination mit D4 und dem Wissen des Fachmanns nahegelegt.
Weitere Angriffslinien basierend auf dem im Verfahren befindlichen Stand der Technik würden nicht mehr verfolgt. Ebenfalls werde der Einwand mangelnder Ausführbarkeit zurückgenommen.
Die offenkundige Vorbenutzung, nachgewiesen durch die Dokumente D18 bis D23 (D18 bis D22 vorgelegt mit der Beschwerdebegründung, D23 eingereicht am 17. Dezember 2014), müsse in das Verfahren zugelassen werden. Nach der positiven Einschätzung der mit dem Einspruchsschriftsatz vorgelegten Dokumente sei keine Notwendigkeit erkannt worden, im Einspruchsverfahren einen weiteren Stand der Technik zu recherchieren. Durch die Zurückweisung des Einspruchs habe sich indes die Situation verändert und es sei das dem Vertreter bekannte SMGII Getriebe recherchiert worden.
Diese Vorbenutzung sei hoch relevant, da das Fahrzeug BMW M3 Cabriolet mit SMG II-Drivelogic des Vertreters (nachgewiesen durch D21) alle Merkmale des Anspruchs 1 offenbare. Dies habe der Vertreter explizit in der patentanwaltlichen Versicherung gemäß D22 niedergelegt. Die technische Funktion und Einzelheiten der Programmierung des Getriebes zeigten die Dokumente D18 und D19 (Zeitschriftenartikel der ATZ). Insbesondere sei dort das strittige Merkmal 1.6 explizit offenbart, wie auch in dem nachgereichten Dokument D23. Dokument D23 - obgleich nachveröffentlicht - beziehe sich auf das in den Dokumenten D18 bis D22 beschriebene Getriebe der offenkundigen Vorbenutzung.
VII. Die Beschwerdegegnerin entgegnete den Argumenten wie folgt:
Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei neu gegenüber den Dokumenten D1 und D4. Beide Dokumente offenbarten nicht das Merkmal 1.6, wonach Rückschaltungen unterhalb der definierten Grenzgeschwindigkeit mit offener Kupplung beendet werden.
Dokument D1 offenbare ein CVT Getriebe, welches ohne eine Kupplungsbetätigung das Übersetzungsverhältnis ändere. Somit sei der Rückschaltvorgang in den kleinsten Gang ebenfalls ohne Kupplungsbetätigung von statten gegangen, so dass dieser eben nicht mit offener Kupplung beendet werde: die Kupplung bleibe stets geschlossen. Die Tatsache, dass kurz vor dem Absterben des Motors eine Kupplung betätigt werden müsse, habe mit den erfindungsgemäßen Merkmalen des Anspruchs 1 nichts zu tun, da es offenbleibe, zu welchem Zeitpunkt die Kupplung geöffnet werde, und ob dies etwas mit einem Rückschaltvorgang zu tun habe.
Auch D4 offenbare keinen Rückschaltvorgang in den ersten Gang, der mit geöffneter Kupplung beendet werde. Dieser Rückschaltvorgang sei schon deshalb mit S105 beendet, da der Vollzug des Schaltvorgangs in S106, (,,transmission placed in first gear position?") abgefragt werde. Überhaupt äußere sich D4 nicht zu Kupplungsbetätigungen während der Schaltvorgänge, so dass nicht eindeutig offenbart sei, dass für Schaltvorgänge überhaupt gekuppelt werden müsse. So werde auch insbesondere dem Argument der Beschwerdeführerin widersprochen, es handele sich in D4 um ein automatisiertes Handschaltgetriebe, welches zwangsläufig einer Kupplungsbetätigung bedürfe; dafür gebe es in D4 keinen Hinweis. So könne nämlich auch ein Getriebe verwendet werden, welches sich ohne Kupplungsbetätigung schalten lasse.
Es sei lediglich in S107 klar und unmissverständlich offenbart, dass die Kupplung nach dem Rückschaltvorgang geöffnet werde.
Weiterhin beruhe auch der Gegenstand des Anspruchs 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit. Ausgehend vom nächsten Stand der Technik, wie er in der Einleitung des Streitpatents beschrieben sei, bestehe die mit dem Merkmal 1.6 zu lösende Aufgabe darin "ein Verfahren zur Steuerung eines Automatgetriebes vorzustellen, durch dessen Betrieb bei Schubrückschaltvorgängen zur unmittelbaren Weiterfahrt stets ein passender Getriebegang im Getriebe geschaltet ist, ohne die Nachteile des hohen Motorbremsmoments bei niedrigen Fahrgeschwindigkeiten und hohen Getriebeübersetzungen in niedrigen Getriebegängen in Kauf nehmen zu müssen", vgl. Patentschrift Paragraph [0011].
Das Merkmal 1.6, dass Rückschaltvorgänge mit offener Kupplung beendet werden, könne schon deshalb nicht durch D4 nahegelegt werden, da dieses Dokument eben nicht offenbare, dass die Kupplung offen bleibe, sondern es werde explizit ausgeführt, dass die Kupplung nach dem Rückschaltvorgang wieder geöffnet würde. Es sei auch der D4 keine Hinweis zu entnehmen, dass beim Rückschaltvorgang in den ersten Gang die Kupplung geöffnet bleibe. D4 führe zur Betätigung der Kupplung während der Schaltvorgänge überhaupt nichts aus, siehe oben.
Auch wenn in D4 ähnliche Probleme zur Lösung angestanden hätten, wäre der technische Kontext ein völlig anderer: Schließlich handele es sich bei der in D4 gezeigten Vorrichtung um eine Getriebesteuerung für ein Hybridfahrzeug, bei der die Optimierung des Hybridbetriebs im Vordergrund stehe.
Auf jeden Fall beruhe eine Angriffslinie, die vom Stand der Technik wie in der Patentschrift beschrieben ausgehe, diesen mit D4 kombiniere und dann weiter noch dazu das Wissen des Fachmanns benötige, auf einer rückblickenden Betrachtungsweise.
Die behauptete offenkundige Vorbenutzung sei nicht in das Verfahren zuzulassen, da sie nicht relevant sei. So offenbare auch die behauptete offenkundige Vorbenutzung nicht das Merkmal 1.6. Die patentanwaltliche Versicherung (D22) beschreibe vor allem keine Grenzgeschwindigkeit und weiter, es sei daraus nicht zu entnehmen, dass unterhalb einer Grenzgeschwindigkeit die Rückschaltung mit offener Kupplung beendet werde. Auch in keinem der weiteren Dokumente sei ausgeführt, dass eine Grenzgeschwindigkeit erfasst werde, die Einfluss auf das Schaltverhalten habe. Es müsse keinesfalls zwangsläufig sein, dass die Rückschaltung in den kleinsten Gang mit offener Kupplung beendet wird, da die Motordrehzahl nach einem Rückschaltvorgang zwangsläufig höher liege, als vor dem Schaltvorgang und damit über der Leerlaufdrehzahl. Somit könne - ohne dass der Motor absterbe - durchaus zunächst noch einmal eingekuppelt werden und erst bei weiterer Geschwindigkeitsabnahme die Kupplung betätigt werden, nämlich dann, wenn die Drehzahl wiederum in die Nähe der Leerlaufdrehzahl komme.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Der Gegenstand des Anspruch 1 wie erteilt ist neu.
2.1 Das Dokument D1 unterscheidet sich vom erfindungsgemäßen Verfahren zum Betreiben eines Automatgetriebes mindestens dadurch, dass Rückschaltungen (bis zum Erreichen einer vorbestimmten Grenzgeschwindigkeit) durch Schließen der Kupplung beendet werden (Merkmal 1.4 gemäß der Merkmalsgliederung in der Entscheidung der Einspruchsabteilung) und dass unterhalb der Grenzgeschwindigkeit Rückschaltungen mit offener Kupplung beendet werden (Merkmal 1.6).
2.1.1 Das Dokument D1 offenbart ein stufenloses CVT-Getriebe (Continuously Variable Transmission). Dieses Getriebe ändert (typischerweise) die Übersetzung , ohne eine Kupplung zu betätigen, was von den Parteien nicht bestritten wird.
Damit aber kann in D1 ein Rückschaltvorgang nicht durch Schließen der Kupplung beendet werden.
Da für den Wortlaut des Merkmals 1.4 die aktive Form ("durch Schließen beendet werden") verwendet wurde, muss es folglich einen Verfahrensschritt geben, bei dem die Kupplung nach dem Rückschaltvorgang geschlossen wird. Daher wird dem Vortrag der Beschwerdeführerin, Anspruch 1 definiere lediglich einen Zustand, nämlich dass am Ende des Rückschaltvorgangs die Kupplung geschlossen sei, nicht gefolgt.
2.1.2 Dasselbe gilt im Wesentlichen auch für das Merkmal 1.6.
Dokument D1 offenbart in der von der Beschwerdeführerin genannten Passage, dass nach Erreichen der größten Übersetzung die Kupplung geöffnet wird ("the transmission ratio is progressively increased, and the clutch is disengaged", vgl. Spalte 4, Zeile 54 ff). Somit wird die Übersetzung solange verändert, bis die größte Übersetzung erreicht ist, und wenn dann die Motordrehzahl weiter sinkt, wird die Kupplung betätigt (the "clutch is kept until the engine speed decreases to a very low speed" at which the "engine stalls", Spalte 4, Zeilen 50 bis 53). Also wird die Rückschaltung in die größte Übersetzung nicht mit geöffneter Kupplung beendet, sondern die Kupplung wird geöffnet, nachdem der Rückschaltvorgang abgeschlossen ist.
2.2 Das Dokument D4 offenbart mindestens nicht das Merkmal 1.6
2.2.1 D4 beschreibt in Figur 3 und der dazugehörigen Passage der Beschreibung, dass im Schubbetrieb bei Erreichen einer vordefinierten Drehzahl Np (S102) eine Rückschaltung (S105) stattfindet. Derartige Rückschaltungen werden im Schubbetrieb weiter durchgeführt, bis sich das Getriebe im ersten Gang befindet. Dann wird gemäß der Figur 3, S107 die Kupplung geöffnet.
2.2.2 Die Beschwerdeführerin argumentiert, dass für den Rückschaltvorgang in S105 die Kupplung betätigt werden müsse, und zwar auch beim Rückschalten in den ersten Gang. Nach der Abfrage in S106 werde die Kupplung in S107 getrennt. Hier sei aber erst der Rückschaltvorgang in den ersten Gang beendet, und damit das Merkmal 1.6 offenbart.
Im Übrigen sei es dem Fachmann klar, dass er auf das kurzzeitige Schließen der Kupplung und das Wiederöffnen, wie es sich durch die Abfolge von S105 und S107 ergebe, verzichten könne und die Kupplung gleich geöffnet lasse. Da Durchlaufzeiten in derartigen Flussdiagrammen sehr kurz seien, sei dies das Gleiche.
2.2.3 Zunächst ist festzuhalten, dass D4 keinen Hinweis auf die Art des verwendeten Getriebes gibt. Somit gibt es für das Argument der Beschwerdeführerin, es müsse sich zwangsläufig um ein automatisiertes Handschaltgetriebe mit automatisierter Kupplung handeln, keine sachliche Grundlage. Gemäß D4 finden Rückschaltungen im Getriebe im Schritt S105 statt. Dabei erklärt das Dokument D4 nicht, ob dies mit Betätigen der gezeigten Kupplung funktioniert, ob eine weitere (nicht gezeigte) Kupplung vorhanden ist, oder ob eine Getriebevariante verbaut ist, die keine Kupplungsbetätigung benötigt.
Somit ist ein Kupplungsvorgang im Umfeld einer Rückschaltung in D4 nicht eindeutig und zweifelsfrei offenbart.
2.2.4 Folglich ist der Rückschaltvorgang mit Verlassen des Schritts S105 als beendet anzusehen, was dazu führt, dass bei Durchlauf der Abfrage S106 die Kupplung geschlossen ist. Damit aber wird der Rückschaltvorgang in den ersten Gang nicht mit offener Kupplung beendet, sondern diese wird gemäß der Figur 3 der D1 erst im Schritt S107 geöffnet, nachdem der Rückschaltvorgang bereits abgeschlossen war.
3. Die in Anspruch 1 des strittigen Patents definierte Erfindung basiert auf einer erfinderischen Tätigkeit, da sie nicht durch den Stand der Technik nahegelegt ist.
3.1 Der Oberbegriff des Anspruchs 1 ist unstrittig aus dem in der Streitpatentschrift im Detail in den Paragraphen [0001] bis [0010] beschriebenen Stand der Technik bekannt. Damit unterscheidet sich die vorliegende Erfindung vom Stand der Technik durch das Merkmal 1.6, nämlich dass Rückschaltungen unterhalb einer Grenzgeschwindigkeit mit offener Kupplung beendet werden.
3.2 Die mit dem Merkmal 1.6 zu lösende Aufgabe besteht in einer Verbesserung von Verfahren zur Steuerung eines Automatgetriebes dergestalt, dass bei Schubrückschaltvorgängen zur unmittelbaren Weiterfahrt stets ein passender Getriebegang im Getriebe geschaltet ist, ohne die Nachteile des hohen Motorbremsmoments bei niedrigen Fahrgeschwindigkeiten und hohen Getriebeübersetzungen in niedrigen Getriebegängen in Kauf nehmen zu müssen, vgl. Beschreibung, Paragraph [0011]. Auch dieser Punkt wird von den Parteien nicht bestritten.
3.3 Die Beschwerdeführerin argumentiert, dass das unterscheidende Merkmal (1.6) aus D4 bekannt sei. Dort werde mit Schritt S107 der Rückschaltvorgang in den ersten Gang, mit offener Kupplung beendet. Mindestens aber sei es für einen Fachmann naheliegend, den Rückschaltvorgang in den ersten Gang mit geöffneter Kupplung zu beenden, da es ganz offensichtlich nicht sinnvoll sei, erst in Schritt S105 die Kupplung zu schließen, um sie dann wenige Millisekunden später wieder zu öffnen. Der Fachmann erkenne somit sofort, dass er den Ablauf optimieren könne.
3.4 Zunächst ist festzustellen, dass Dokument D4 nicht offenbart, dass der Rückschaltvorgang mit geöffneter Kupplung beendet wird, siehe oben Punkt 2.2 ff. Es gibt weiterhin in D4 keinen Hinweis darauf, dass ein Schaltvorgang mit geöffneter Kupplung zu beenden ist.
Würde der Argumentation der Beschwerdeführerin gefolgt, müsste der Fachmann nicht nur den in der Patentschrift beschriebenen Stand der Technik mit D4 kombinieren, sondern er müsste dann auch noch erkennen, dass - in Abhängigkeit vom verwendeten Getriebe - entweder ein Kupplungsvorgang eingespart werden könne oder die Kupplung während der Rückschaltung geöffnet werde.
Da sich weiterhin das Dokument in erster Linie mit der Steuerung von Getriebe und Motor zur Optimierung eines Hybridfahrzeugs auseinandersetzt, folgt die Kammer der Sichtweise der Beschwerdegegnerin, dass der Fachmann das Dokument D4 daher nicht in Betracht zöge. Die Argumentation der Beschwerdeführerin, dass der Fachmann in D4 eine offene Kupplung erkenne und der erfindungsgemäße Ablauf - nämlich unterhalb einer Grenzgeschwindigkeit die Kupplung nicht mehr zu schließen oder ggf. zu öffnen - dann naheliege, beruht auf einer rückschauenden Betrachtungsweise.
4. Mit der Beschwerdebegründung behauptet die Beschwerdeführerin eine offenkundige Vorbenutzung, nachgewiesen durch die Dokumente D18 bis D22; mit Schreiben vom 17. Dezember 2014 legt sie zur Ergänzung ihrer Argumentation das Dokument D23 vor.
Die offenkundige Vorbenutzung betrifft einen BMW M3, Übergabe an den Kunden gemäß D21 am 19. Februar 2003, mit einem SMG-II Drivelogic Getriebe. Das Fahrzeug befindet sich im Eigentum des Vertreters der Beschwerdeführerin.
Die Beweismittel, die die offenkundige Vorbenutzung belegen sollen, die Dokumente D18 bis D22 und das nachgereichte Dokumente D 23, werden nicht in das Verfahren zugelassen (Artikel 114 (2) EPÜ, Artikel 12(4) Verfahrensordnung der Beschwerdekammern).
4.1 Gemäß Artikel 114 (2) EPÜ braucht das Europäische Patentamt Tatsachen und Beweismittel, die von den Beteiligten verspätet vorgebracht werden, nicht zu berücksichtigen. Entsprechend ist gemäß Artikel 12 (4) Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK) der Kammer die Befugnis eingeräumt, Beweismittel nicht zuzulassen, die bereits im erstinstanzlichen Verfahren hätten vorgebracht werden können oder dort nicht zugelassen wurden.
4.2 Für das Einspruchsverfahren definiert Artikel 99 (1) EPÜ eine Frist von neun Monaten innerhalb der gemäß Regel 76 (2) c) Tatsachen und Beweismittel vorzulegen sind, die die vorgebrachten Einspruchsgründe zu stützen in der Lage sind.
Somit brauchen nach diesem Zeitpunkt vorgebrachte neue Tatsachen und Beweismittel nicht berücksichtigt zu werden, soweit sie nicht wegen einer Änderung des dem Verfahren zugrundeliegenden Sachverhalts zuzulassen sind.
4.3 Dies ist vorliegend nicht der Fall. Die Beschwerdeführerin argumentiert zwar, dass es aufgrund des positiven Zwischenbescheids der Einspruchsabteilung keine Veranlassung gegeben habe, einen weiteren Stand der Technik zu recherchieren.
Dieses Argument geht deshalb ins Leere, da der Zwischenbescheid der Einspruchsabteilung bereits nach der neunmonatigen Einspruchsfrist versendet wurde, so dass auch ein anderslautender Zwischenbescheid nicht zu einer fristgerechten Vorlage der behaupteten offenkundigen Vorbenutzung geführt hätte.
Somit ist die behauptete offenkundige Vorbenutzung, angeblich nachgewiesen durch die Dokumente D18 bis D22 und D23, verspätet vorgelegt worden.
4.4 Gemäß der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts ist die Relevanz ein zentrales Kriterium bei der Entscheidung darüber, ob ein verspätetes Vorbringen berücksichtigt wird, vgl. Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 7. Auflage, IV.C.1.2.1. So muss für die Ausübung des Ermessens der Einspruchsabteilung hinsichtlich der Zulassung von verspätet vorgelegten Beweismitteln und Tatsachen die Relevanz geprüft werden, vgl. Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 7. Auflage, IV.C.1.3.3. Dieses Kriterium ist auch maßgeblich zu berücksichtigen, wenn versucht wird, Stand der Technik, der bereits in der ersten Instanz hätte vorgelegt werden können, erstmals im Beschwerdeverfahren einzuführen (T 876/05, Punkt 2 der Gründe).
4.5 Die behauptete offenkundige Vorbenutzung ist nicht relevanter als der im Verfahren befindliche Stand der Technik. Insbesondere da das Merkmal 1.6 nicht offenbart ist, wonach Rückschaltungen unterhalb einer Grenzgeschwindigkeit mit offener Kupplung beendet werden, liegt die von der Beschwerdeführerin behauptete Relevanz der offenkundigen Vorbenutzung nicht vor.
4.5.1 So offenbart die patentanwaltliche Versicherung gemäß D22 das Merkmal 1.6 nicht:
D22 beschreibt, dass das Fahrzeug im zweiten Gang bei geöffneter Kupplung ausrollt. Es ist aber weder der Begriff "Grenzgeschwindigkeit" in D22 genannt, noch gibt die patentanwaltliche Versicherung einen Hinweis, ab welcher Geschwindigkeit das Fahrzeug bei geöffneter Kupplung ausrollt, und ob nach der Rückschaltung in den zweiten Gang in diesen nochmal eingekuppelt wird oder nicht und ob dies ggf. von einer Grenzgeschwindigkeit oder nur von einem gewählten Gang abhängig ist.
4.5.2 Auch die Dokumente D18 und D19, die zur Stützung des technischen Vortrags gemäß D22 vorgelegt wurden, offenbaren dieses Merkmal nicht.
Dem Bild 14 der D19, auf welches sich die Beschwerdeführerin bezieht, ist nicht zu entnehmen, dass die gezeigten Rückschaltvorgänge mit offener Kupplung beendet werden. Dem Argument der Beschwerdeführerin, dass dies schon deshalb der Fall sein müsse, da sonst der Motor absterbe, wenn das Fahrzeug zum Stillstand komme, kann insofern nicht gefolgt werden, als diese Behauptung nicht richtig ist:
Nach einem Rückschaltvorgang ist die Motordrehzahl höher als vor der Rückschaltung. Selbst wenn der Rückschaltvorgang zum spätestmöglichen Zeitpunkt, also etwa bei Leerlaufdrehzahl erfolgt sein sollte, ist nach der Rückschaltung die Motordrehzahl grösser als die Leerlaufdrehzahl, so dass wieder eingekuppelt werden könnte, ohne dass zunächst der Motor abstirbt. Erst wenn bei geschlossener Kupplung und eingelegtem Gang die Drehzahl weiter abfällt, muss durch Öffnen der Kupplung einem Absterben des Motors vorgebeugt werden.
Auch kann die von der Beschwerdeführerin genannte Passage auf Seite 160 der D19 (letzter Absatz) nicht überzeugen; die Beschriftungen in Bild 20 ("Kupplung geschlossen") besagen vielmehr, dass Rückschaltvorgänge grundsätzlich mit geschlossener Kupplung beendet werden.
Somit lässt sich auch D18 und D19 das Merkmal 1.6 nicht eindeutig und zweifelsfrei entnehmen.
4.5.3 Die Beschwerdeführerin argumentiert, dieses Merkmal sei insbesondere dem mit Schreiben vom 17. Dezember 2014 vorgelegten Dokument D23 zu entnehmen, welches weitere Details der Getriebesteuerung des BMW M3 offenbare.
Dazu ist zum einen zunächst festzustellen, dass D23 keinen Stand der Technik gemäß Art. 54 (2) EPÜ darstellt, da dieses Dokument erst am 15. März 2005 veröffentlicht wurde (Priorität des Streitpatents: 31. Juli 2003). Ein sicherer Rückschluss auf die zum Prioritätszeitpunkt gegebenen technischen Funktionalitäten des im Dokument D23 genannten Fahrzeugmodells lässt sich daraus nicht gewinnen.
Zum anderen handelt es sich bei dem im Dokument D23 beschriebenen Fahrzeug nicht um den Typ der behaupteten offenkundigen Vorbenutzung, einem BMW M3, sondern um den besonders sportlich ausgelegten BMW M3 CLS.
Somit kann dieses Dokument aus zweifacher Sicht nicht die Aussagen der Beschwerdeführerin zur offenkundigen Vorbenutzung bestätigen, so dass auf die Zweifel, was D23 im Hinblick auf Merkmal 1.6 tatsächlich offenbart, nicht weiter eingegangen werden muss.
4.5.4 Da die behauptete offenkundige Vorbenutzung somit das Merkmal 1.6 ersichtlich nicht offenbart, ist sie nicht relevanter als der im Verfahren befindliche Stand der Technik, z.B. Dokument D4.
4.6 Folglich ist davon auszugehen, dass die offenkundige Vorbenutzung nach Ablauf der neunmonatigen Einspruchsfrist von der Einspruchsabteilung wegen mangelnder Relevanz nicht zugelassen worden wäre.
Die Beschwerdekammer sieht daher keine Veranlassung, diesen - im Ergebnis für die Beschwerdeführerin unbehelflichen - Stand der Technik nun mit der Beschwerde in das Verfahren zuzulassen und übt im Rahmen der oben dargelegten Erwägungen ihr Ermessen unter Artikel 114 (2) EPÜ, Artikel 12(4) VOBK dahin aus, das Beweismittel nicht zuzulassen.
5. Im Ergebnis greifen daher weder der Einwand mangelnder Neuheit noch der Einwand mangelnder erfinderischer Tätigkeit durch.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.