T 0404/13 28-07-2015
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Lebensmittelbeschichtungsmasse, Verfahren zu deren Herstellung und deren Verwendung
ARKEMA France
Dutch Dairy Ingredients B.V.
Für den Gegenstand aus einer früheren Anmeldung die nach Rechtsübertrag dieser früheren Anmeldung und vor Anmeldedatum der Prioritätsanmeldung in Besitz des Anmelders der Prioritätsanmeldung war
Priorität verneint
Frühere Anmeldung Stand der Technik nach Artikel 54(2) EPÜ für gemeinsamen Gegenstand - Disclaimer nicht zulässig
Geänderter Anspruch zulässig im Hinblick auf Art. 123(2) und 123(3) EPÜ - Neuheit gegenüber der nicht zufälligen Offenbarung wiederhergestellt
Zurückverweisung an die erste Instanz
I. Das Europäische Patent Nr. 1 469 017 der Celanese Emulsions GmbH basiert auf der europäischen Patentanmeldung Nr. 04008279.4 und wurde am 6. April 2004 unter Beanspruchung der Priorität der deutschen Voranmeldung DE 10317489.3 vom 16. April 2003 angemeldet.
II. Anspruch 1 des erteilten Patents lautete im Druckexemplar wie folgt (geänderte, d.h. hinzugefügte Textstellen gegenüber dem Anspruch 1 in der Fassung wie ursprünglich eingereicht wurden von der Kammer durch Fettdruck hervorgehoben):
"1. Lebensmittelbeschichtungsmasse enthaltend eine wässrige, copolymere Poly(vinylester)-Dispersion, die
A) 100 Gewichtsteile eines Copolymerisats aus 40 bis 95 Gew. % Vinylestern von aliphatischen, gesättigten Carbonsäuren und 5 bis 60 Gew.-% Maleinsäureestern und/oder Fumarsäureestern von einwertigen aliphatischen Alkoholen mit einer Kettenlänge von C1-C18 und gegebenenfalls weiteren Comonomeren enthält,
B) 0,1 bis 1,0 Gewichtsteile eines Emulgators,
C) 0 bis 0,45 Gewichtsteile eines Celluloseethers, und
D) gegebenenfalls weitere Stabilisierungsmittel,
mit der Maßgabe, dass die Lebensmittelbeschichtungsmasse kein Gemisch von mindestens zwei Poly(vinylalkoholen) enthält, das besteht zu mindestens 0,1 Gewichtsteilen aus mindestens einem Poly(vinylalkohol) vom Hydrolysegrad von 85 bis 90 Mol %, sowie mindestens 0,1 Gewichtsteilen aus mindestens einem Poly(vinylalkohol) vom Hydrolysegrad von über 90 Mol %."
III. Gegen das Patent wurde von der Firma Cray Valley SA (Einsprechende 1) und der Firma CSK Food Enrichment B.V. (Einsprechende 2) am 26. März 2008, bzw. am 4. April 2008 Einspruch eingelegt. Beide Einsprechenden hatten den Widerruf des Streitpatents in vollem Umfang auf Grund unzulässiger Erweiterung (Artikel 100 c) EPÜ), mangelnder Ausführbarkeit (Artikel 100 b) EPÜ), sowie mangelnder Neuheit und erfinderischer Tätigkeit (Artikel 100 a) EPÜ) beantragt. Im Einspruchsverfahren wurde unter anderem die am 3. Juli 2003 veröffentlichte PCT-Anmeldung der Clariant GmbH mit dem internationalen Aktenzeichen PCT/EP02/14709 und der Veröffentlichungsnummer WO 03/054041 (D1) genannt. Diese wurde am 23. Dezember 2002 angemeldet.
IV. Mit Schreiben vom 5. September 2011 beantragte die Einsprechende 1 (Cray Valley SA) in Folge der Veräußerung des Geschäftsbereichs Beschichtungsharze an Arkema France eine Übertragung ihrer Einsprechendenstellung auf Arkema France. Das Schreiben enthielt als Beleg für diese Veräußerung eine Erklärung vom 25. Juli 2011 des stellvertretenden Generaldirektors der Firma Cray Valley SA. Mit Schreiben vom 3. Februar 2012 teilte die Einspruchsabteilung mit, dass der Name der Einsprechenden Cray Valley SA mit Wirkung vom 8. September 2011 in Arkema France im Patentregister des EPA geändert wurde.
V. Mit der am 15. November 2012 mündlich verkündeten und am 14. Dezember 2012 schriftlich begründeten Entscheidung widerrief die Einspruchsabteilung das europäische Patent. Der Entscheidung lag ein Hauptantrag und ein Hilfsantrag 3, eingereicht während der mündlichen Verhandlung am 15. November 2012, sowie Hilfsanträge 1 und 2, beide eingereicht mit Schreiben vom 2. Oktober 2008, zu Grunde. Anspruch 1 des Hauptantrags lautete wie folgt:
"1. Lebensmittelbeschichtungsmasse enthaltend eine wässrige, copolymere Poly(vinylester)-Dispersion, die
A) 100 Gewichtsteile eines Copolymerisats aus 40 bis 95 Gew. % Vinylestern von aliphatischen, gesättigten Carbonsäuren und 5 bis 60 Gew.-% Maleinsäureestern und/oder Fumarsäureestern von einwertigen aliphatischen Alkoholen mit einer Kettenlänge von C1-C18 und gegebenenfalls weiteren Comonomeren enthält,
B) 0,1 bis 1,0 Gewichtsteile eines Emulgators ausgewählt aus der Gruppe der Polyethylenglykol(4-20)ether des Oleylalkohols oder der Polyethylenoxid(4-14)ether von Nonylphenol,
C) 0 bis 0,45 Gewichtsteile eines Celluloseethers, und
D) gegebenenfalls weitere Stabilisierungsmittel,
mit der Maßgabe, dass die Lebensmittelbeschichtungsmasse kein Gemisch von mindestens zwei Poly(vinylalkoholen) enthält, das besteht zu mindestens 0,1 Gewichtsteilen aus mindestens einem Poly(vinylalkohol) vom Hydrolysegrad von 85 bis 90 Mol %, sowie mindestens 0,1 Gewichtsteilen aus mindestens einem Poly(vinylalkohol) vom Hydrolysegrad von über 90 Mol % und dass die Lebensmittelbeschichtungsmasse kein Gemisch von zwei Poly(vinylalkoholen) vom Hydrolysegrad von 88 Mol % in Kombination mit einem ethoxylierten Oleylalkohol mit einem mittleren Ethoxylierungsgrad von 20 mol Ethylenoxid enthält."
In der angefochtenen Entscheidung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die zwei im Anspruch 1 enthaltenen Disclaimer, die die Neuheit gegenüber der D1 herstellen sollten, breiter als nötig formuliert wurden, so dass die in der Entscheidung G 1/03 festgelegten Kriterien für ihre Zulässigkeit im Hinblick auf Artikel 123(2) EPÜ nicht erfüllt waren. Darüber hinaus konnte die Lebensmittelbeschichtungsmasse gemäß Anspruch 1 mehr als 1,0 Gewichtsteile Emulgatoren enthalten, womit der Hauptantrag die Bedingungen des Artikels 123(3) EPÜ nicht erfüllte. Die Hilfsanträge 1 und 2 hatten denselben Anspruch 1, der den ungültigen ersten Disclaimer aus dem Anspruch 1 des Hauptantrags enthielt. Dieser Anspruch erlaubte ebenfalls die Verwendung von mehr als 1,0 Gewichtsteile Emulgatoren. Somit verstießen die 1. und 2. Hilfsanträge gegen die Bestimmungen der Artikel 123(2) und 123(3) EPÜ. Der 3. Hilfsantrag, der keinen Disclaimer enthielt, war ebenfalls nicht zulässig im Hinblick auf Artikel 123(2) und 123(3) EPÜ.
VI. Gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung legte die Patentinhaberin (Beschwerdeführerin) Beschwerde ein. Mit der Beschwerdebegründung vom 3. April 2013 reichte sie einen neuen Hauptantrag sowie vier Hilfsanträge 1 bis 4 ein. Die Ansprüche 1 des Hauptantrags und des Hilfsantrags 4 haben den folgenden Wortlaut:
Hauptantrag
"1. Lebensmittelbeschichtungsmasse bestehend aus einer wässrigen, copolymeren Poly(vinylester)-Dispersion, die aus
A) 100 Gewichtsteilen eines Copolymerisats aus 40 bis 95 Gew. % Vinylestern von aliphatischen, gesättigten Carbonsäuren und 5 bis 60 Gew.-% Maleinsäureestern und/oder Fumarsäureestern von einwertigen aliphatischen Alkoholen mit einer Kettenlänge von C1-C18 und gegebenenfalls weiteren Comonomeren,
B) 0,1 bis 1,0 Gewichtsteilen eines Emulgators ausgewählt aus der Gruppe der Polyethylenglykol(4-20)ether des Oleylalkohols oder der Polyethylenoxid(4-14)ether von Nonylphenol,
C) 0 bis 0,45 Gewichtsteilen eines Celluloseethers,
D) gegebenenfalls Polyvinylalkohol als weiterem Stabilisierungsmittel, und
E) gegebenenfalls weiteren Hilfsstoffen ausgewählt aus der Gruppe der Neutralisierungsmittel, der Komplexbildner, der Stoffe zum Schutze der Dispersion gegen mikrobiellen Befall und der in den einschlägigen Positivlisten zugelassenen Farbstoffe besteht,
mit der Maßgabe, dass die Lebensmittelbeschichtungsmasse kein Gemisch von mindestens zwei Poly(vinylalkoholen) enthält, das besteht zu mindestens 0,1 Gewichtsteilen aus mindestens einem Poly(vinylalkohol) vom Hydrolysegrad von 85 bis 90 Mol %, sowie mindestens 0,1 Gewichtsteilen aus mindestens einem Poly(vinylalkohol) vom Hydrolysegrad von über 90 Mol %, und
dass die Lebensmittelbeschichtungsmasse keine Dispersion ist, die ein Copolymer enthält, welches erhalten wurde durch Emulsionspolymerisation in wässriger Phase von 70 Teilen Vinylacetat und 30 Teilen Di-n-butylmaleinat, und die stabilisiert ist durch 7 Teile eines Gemisches von zwei Poly(vinylalkoholen) vom Hydrolysegrad von 88 Mol %, welche jeweils in Mengen von 3,5 Teilen vorliegen in Kombination mit 0,5 Teilen eines ethoxylierten Oleylalkohols mit einem mittleren Ethoxylierungsgrad von 20 mol Ethylenoxid oder und die stabilisiert ist durch 5 Teile eines Gemisches von zwei Poly(vinylalkoholen) vom Hydrolysegrad von 88 Mol %, welche in Mengen von 1 und von 4 Teilen vorliegen in Kombination mit 0,5 Teilen eines ethoxylierten Oleylalkohols mit einem mittleren Ethoxylierungsgrad von 20 mol Ethylenoxid."
Hilfsantrag 4
"1. Verwendung einer wässrigen, copolymeren Poly(vinylester)-Dispersion zum Beschichten von Lebensmitteln, wobei die wässrige copolymere Poly(vinylester)-Dispersion aus
A) 100 Gewichtsteilen eines Copolymerisats aus 40 bis 95 Gew. % Vinylestern von aliphatischen, gesättigten Carbonsäuren und 5 bis 60 Gew.-% Maleinsäureestern und/oder Fumarsäureestern von einwertigen aliphatischen Alkoholen mit einer Kettenlänge von C1-C18 und gegebenenfalls weiteren Comonomeren,
B) 0,1 bis 1,0 Gewichtsteilen eines Emulgators ausgewählt aus der Gruppe der Polyethylenglykol(4-20)ether des Oleylalkohols oder der Polyethylenoxid(4-14)ether von Nonylphenol,
C) 0 bis 0,45 Gewichtsteilen eines Celluloseethers,
D) 1 bis 10 Gew.%, bezogen auf die Masse der Gesamtmonomeren, an Polyvinylalkohol als weiterem Stabilisierungsmittel, und
E) gegebenenfalls weiteren Hilfsstoffen ausgewählt aus der Gruppe der Neutralisierungsmittel, der Komplexbildner, der Stoffe zum Schutze der Dispersion gegen mikrobiellen Befall und der in den einschlägigen Positivlisten zugelassenen Farbstoffe besteht,
mit der Maßgabe, dass die Lebensmittelbeschichtungsmasse kein Gemisch von mindestens zwei Poly(vinylalkoholen) enthält, das besteht zu mindestens 0,1 Gewichtsteilen aus mindestens einem Poly(vinylalkohol) vom Hydrolysegrad von 85 bis 90 Mol %, sowie mindestens 0,1 Gewichtsteilen aus mindestens einem Poly(vinylalkohol) vom Hydrolysegrad von über 90 Mol %."
VII. Die Beschwerdeerwiderungen der Einsprechenden 1 und 2 wurden mit Schreiben vom 15. Juli 2013, bzw. vom 29. Juli 2013 eingereicht.
VIII. Gemäß Antrag der Einsprechenden 2 im Schreiben vom 19. Juni 2014 und auf der Basis eines in diesem Schreiben enthaltenden Handelsregisterauszugs wurde mit Wirkung vom 24. Juni 2014 der Name der Einsprechenden 2 in CSK Dutch Dairy Ingredients B.V. im Patentregister geändert.
IX. Die Ladung zur mündlichen Verhandlung erging am 8. Oktober 2014.
X. Mit Schreiben vom 3. November 2014 reichte die Beschwerdeführerin das Dokument BB1 (http://www.crayvalley.com/applications/urethane-chemistry/coatings) sowie Hilfsanträge 5 bis 8 ein.
XI. Weitere Eingaben der Beschwerdegegnerin/Einsprechenden 1 wurden mit Schreiben vom 28. April 2015 gemacht. Außerdem reichte sie die folgenden Dokumente ein:
D31: Datenblatt "CRAYMULL 4371", Cray Valley, Dezember 2005 und
D32: Datenblatt "ENCOR® 4371", Arkema, 06/2013.
XII. Am 22. Juni 2015 erging eine Mitteilung der Kammer aufgrund von Artikel 15(1) VOBK. Auf Grund der Identität der Anmelderin des Streitpatents und der europäischen Patentanmeldung Nr. 02795269.6 (zurückgehend auf die internationale Patentanmeldung PCT/EP02/14709 veröffentlicht als D1), wurde die Frage gestellt, ob die im Streitpatent in Anspruch genommene Priorität DE 10317489.3 die erste Anmeldung im Sinne des Artikels 87(1) und 87(4) EPÜ sei, die den gemeinsamen Gegenstand der D1 und des Streitpatents offenbare. Sollte es nicht der Fall sein, würde D1 für diesen gemeinsamen Gegenstand als Stand der Technik gemäß Artikel 54(2) EPÜ gelten, womit die Zulässigkeit der Disclaimer fraglich wäre.
XIII. Die Beschwerdeführerin und die Beschwerdegegnerinnen/Einsprechenden 1 und 2 antworteten mit Schreiben vom 2. Juli 2015, bzw. 9. Juli 2015 und 25. Juni 2015 auf die Mitteilung der Kammer. Mit ihrer Antwort reichte die Beschwerdeführerin eine Kopie einer Übertragungserklärung der europäischen Patentanmeldung Nr. 02795269.6 von Clariant GmbH auf Celanese Emulsions GmbH, sowie Hilfsanträge 9 und 10 ein. Der Anspruch 1 des Hilfsantrags 10 lautete wie folgt:
"1. Lebensmittelbeschichtungsmasse enthaltend eine wässrige, copolymere Poly(vinylester)-Dispersion, die
A) 100 Gewichtsteile eines Copolymerisats aus 40 bis 95 Gew.-% Vinylestern von aliphatischen, gesättigten Carbonsäuren und 5 bis 60 Gew.-% Maleinsäureestern und/oder Fumarsäureestern von einwertigen aliphatischen Alkoholen mit einer Kettenlänge von C1-C18 und gegebenenfalls weiteren Comonomeren enthält,
B) 0,1 bis 1,0 Gewichtsteile eines Emulgators,
C) 0,15 bis 0,45 Gewichtsteile eines Celluloseethers, und
D) 1 bis 10 Gewichtsteile, bezogen auf die Masse an gesamten Monomeren, eines Gemisches von Polyvinylalkoholen mit einheitlichem Hydrolysegrad als weitere Stabilisierungsmittel."
XIV. Am 28. Juli 2015 fand die mündliche Verhandlung vor der Kammer statt, während der die Kammer die Prioritätsanmeldung der D1 (DE 10163586.9), einen Registerauszug des Deutschen Patent- und Markenamts (DPMA) zur DE 10163586.9 und eine Kopie des Patentblatts Heft 36 vom 4. September 2003, Seite 16108 ins Verfahren einführte. Die Beschwerdeführerin reichte während der Verhandlung Auszüge eines Rahmenkaufvertrags "Master purchase and sale agreement" ab September 26, 2002 zwischen Clariant International AG und Madionova GmbH ein. Außerdem zog die Beschwerdeführerin die Hilfsanträge 1 bis 3 und 5 bis 9 zurück. Zwei Hilfsanträge 11 und 12 wurden während der mündlichen Verhandlung von der Beschwerdeführerin eingereicht, bevor sie, um einem Klarheitseinwand der Einsprechenden 1 zu begegnen, gegen zwei neue Hilfsanträge 11 und 12 ersetzt wurden. Der Anspruch 1 des zuletzt eingereichten Hilfsantrags 11 lautet wie folgt:
"1. Lebensmittelbeschichtungsmasse bestehend aus einer wässrigen, copolymeren Poly(vinylester)-Dispersion, die aus
A) 100 Gewichtsteilen eines Copolymerisats aus 40 bis 95 Gew.-% Vinylestern von aliphatischen, gesättigten Carbonsäuren und 5 bis 60 Gew.-% Maleinsäureestern und/oder Fumarsäureestern von einwertigen aliphatischen Alkoholen mit einer Kettenlänge von C1-C18 und gegebenenfalls weiteren Comonomeren,
B) 0,1 bis 1,0 Gewichtsteilen eines Emulgators,
C) 0,15 bis 0,45 Gewichtsteilen eines Celluloseethers,
D) 1 bis 10 Gewichtsteilen, bezogen auf die Masse an gesamten Monomeren, eines Gemisches von Polyvinylalkoholen mit einheitlichem Hydrolysegrad als weitere Stabilisierungsmittel, und Wasser besteht."
Des Weiteren enthält der Hilfsantrag 11 abhängige Ansprüche 2 bis 11 des Anspruchs 1, einen Verfahrensanspruch 12 zum Herstellen der Dispersion gemäß Anspruch 1 und Verwendungen einer wässrigen, copolymeren Poly(vinylester)-Dispersion nach Anspruch 1 zum Beschichten von Lebensmitteln, bzw. Hartkäse gemäß Anspruch 13, bzw. 14.
XV. Die für die vorliegende Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdeführerin können wie folgt zusammengefasst werden:
Die Parteienstellung wie die Gültigkeit der Priorität sei in jedem Stadium des Verfahrens zu prüfen. Daher sei der Einwand, dass die Übertragung der Einsprechendenstellung von der Firma Cray Valley SA auf Arkema France nicht gültig sei, ins Verfahren zuzulassen. Das Dokument BB1 zeige, dass Cray Valley SA noch auf dem Gebiet der Lebensmittelbeschichtungen tätig sei. Es sei somit nicht ersichtlich, dass der gesamte Geschäftsbereich der Lebensmittelbeschichtungen der Firma Cray Valley SA auf Arkema France übertragen wurde. Folglich sei die Übertragung der Einsprechendenstellung gemäß Rechtsprechung der Beschwerdekammer nicht gültig.
b) Der Teil des Anspruchs 1 des Hauptantrags, der durch positive Merkmale definiert sei, basiere auf dem ursprünglichen Anspruch 1 kombiniert mit Einschränkungen des Emulgators B), des Stabilisierungsmittels D) und der Hilfsstoffe E), deren Offenbarung in der Offenlegungsschrift in den Abschnitten [0018], [0022], [0036] und [0037] zu finden sei. Es gelte Entsprechendes für den Verwendungsanspruch 1 des 4. Hilfsantrags.
Zur Feststellung, ob das Streitpatent die Priorität der DE 10317489.3 genieße, sei das relevante Datum das Anmeldedatum dieser Prioritätsanmeldung, aber nicht das Anmeldedatum des Streitpatents. Am Anmeldetag der DE 10317489.3 habe die Übertragung der früheren Anmeldung DE 10163586.9 von Clariant GmbH auf Celanese Emulsions GmbH noch nicht stattgefunden. Dies gehe aus dem Register des DPMA hervor, wonach die Übertragung der Anmeldung DE 10163586.9 auf Celanese Emulsions GmbH erst im Juli 2003 und daher nach dem Anmeldetag der Prioritätsanmeldung DE 10317489 stattgefunden habe. Aus dem Grund habe keine Identität der Anmelderin zwischen der DE 10317489.3 und der DE 10163586.9 am Anmeldetag der späteren Anmeldung DE 10317489.3 gegeben.
d) Das gleiche gelte für die europäische Patentanmeldung Nr. 02795269.6 auf der Basis der D1, die erst nach dem Anmeldetag der DE 10317489.3 von Clariant GmbH auf Celanese Emulsions GmbH übertragen wurde. Dies sei mit dem Antrag auf Umschreibung der europäischen Patentanmeldung Nr. 02795269.6 vom 25. Juni 2004 auf Celanese Emulsions GmbH belegt worden, dem eine Übertragungserklärung beigefügt wurde, die erst im Juni 2004 unterschrieben wurde. Am Anmeldetag der Prioritätsanmeldung DE 10317489.3 von Celanese Emulsions GmbH sei daher die D1 noch im Besitz von Clariant GmbH gewesen. Darüber hinaus zeige das Deckblatt des erteilten Patents EP-B-1 458 774 zur europäischen Patentanmeldung Nr. 02795269.6, dass Clariant GmbH (für den Vertragsstaat TR) und Celanese Emulsions GmbH (für die übrigen Vertragsstaaten) gemeinsame Inhaber dieses Patents waren. Eine Identität der Anmelderin zwischen der DE 10317489.3 und der europäischen Patentanmeldung Nr. 02795269.6 habe am Anmeldetag der späteren Anmeldung DE 10317489.3 daher nicht bestanden.
e) Aus diesem Grund genieße der beanspruchte Gegenstand ohne Disclaimer die Priorität der DE 10317489.3, womit die D1 Stand der Technik gemäß Artikel 54(3) EPÜ sei. Infolgedessen sei die Einfügung der Disclaimer zulässig. Die Ansprüche 1 des Hauptantrags und des Hilfsantrags 4 würden somit die Bedingungen des Artikels 123(2) EPÜ erfüllen.
f) Der Hilfsantrag 10, der auf dem Hilfsantrag 8 basiere, sei eine direkte Erwiderung auf den Bescheid der Kammer, in dem die Gültigkeit der Priorität und folglich der Disclaimer in Frage gestellt wurde. Die Kammer solle daher von ihrem Ermessen gemäß Artikel 13(1) VOBK dahingehend Gebrauch machen, den Hilfsantrag 10 ins Verfahren zuzulassen. Der Gegenstand des Anspruchs 1 erfülle die Bedingungen des Artikels 123(2) EPÜ. Es wurde insbesondere auf Seite 3, dritten Absatz und Seite 4, Zeilen 1-3 der ursprünglichen Offenbarung für die Menge an Komponente C verwiesen, sowie auf Seite 7, Zeilen 6-13 für die Definition der Komponente D). Der Gegenstand des Anspruchs 1 basiere ebenfalls auf Anspruch 1 und Beispiel 2 der ursprünglichen Unterlagen. Der Gegenstand des Anspruchs 1 erfülle somit die Bedingungen des Artikels 123(2) EPÜ. Der Anspruch 1 sei im Hinblick auf Artikel 123(3) EPÜ zulässig, da sein Wortlaut die Verwendung insbesondere von Lebensmittelbeschichtungsmassen, die vom erteilten Anspruch 1 durch den Disclaimer ausgeschlossen seien, nicht zulasse.
Der Hilfsantrag 11 ersetzte einen ebenfalls während der Verhandlung eingereichten Hilfsantrag 11. Der neue Hilfsantrag 11 bilde eine Antwort auf den Einwand unter Artikel 123(3) EPÜ gegen den Hilfsantrag 10 und den Einwand unter Artikel 84 EPÜ gegen den nun zurückgezogenen Hilfsantrag 11. Die Änderungen seien gegenüber dem Hilfsantrag 10 unkompliziert und würden alle Einwände unter Artikel 123(3) und 84 EPÜ beheben. In Bezug auf Artikel 123(2) EPÜ seien die Passagen der ursprünglichen Offenbarung, die für den Anspruch 1 des Hilfsantrags 10 zitiert wurden, ebenfalls zu berücksichtigen. Der Anspruch 1 des Hilfsantrags 11 sei daher im Hinblick auf Artikel 123(2) und (3) EPÜ, sowie Artikel 84 EPÜ zulässig.
XVI. Die Argumente der Beschwerdegegnerinnen, insofern sie für die vorliegende Entscheidung relevant sind, können wie folgt zusammengefasst werden:
a) Der Einwand, dass die Übertragung der Einsprechendenstellung von der Firma Cray Valley SA auf Arkema France nicht gültig sei, wurde erst mit Schreiben vom 3. November 2014 erhoben. Dieser Einwand, der in einem sehr späten Stadium des Verfahrens erhoben wurde, sei daher nicht zuzulassen. Darüber hinaus zeige die Erklärung vom 25. Juli 2011 des stellvertretenden Generaldirektors der Firma Cray Valley SA, dass der Geschäftsbereich Beschichtungsharze der Firma Cray Valley SA am 1. Juli 2011 an Arkema France veräußert wurde. Die Dokumente D31 und D32 würden zeigen, dass dieser Bereich mit dem Produkt CRAYMUL 4371 Lebensmittelbeschichtungsmasse umfasse, welches Produkt jetzt unter dem Namen ENCOR® 4371 im Geschäftsbereich von Arkema France läge. Das Produkt Krasol, das von der Beschwerdeführerin zitiert wurde, gehöre nicht zum Geschäftsbereich ,,Beschichtungsharze", sondern zum Geschäftsbereich ,,Hydrocarbon Specialty Resins" HSC, der nicht veräußert wurde. Dieser Bereich beträfe lediglich niedermolekulare funktionelle Additiven auf der Basis von Diene Polymeren, wie hydroxylierte Polybutadiene -zum Beispiel Krasol- mit Anwendungen für Adhäsive, Kautschuke und Thermoplaste. Der Einwand der Beschwerdeführerin, dass die Übertragung der Einsprechendenstellung nicht gültig sei, sei daher nicht überzeugend.
b) Der Teil des Anspruchs 1 des Hauptantrags, der durch positive Merkmale definiert sei, führe auf Grund der Auswahl der Komponenten B) und E) aus den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen und der mangelnden Offenbarung in diesen für den Wortlaut ,,bestehend aus" zu einer Verletzung des Artikels 123(2) EPÜ. Außerdem seien die zwei Disclaimer, die die Neuheit gegenüber D1 herstellen sollten, zu breit formuliert worden. Die beanspruchte Priorität auf der Basis der DE 10317489.3 sei nicht gültig, da die Anmelderin des Streitpatents am Anmeldetag ebenfalls im Besitz der früheren Anmeldung DE 10163586.9 gewesen sei, die einen solchen Gegenstand offenbare. Die D1 sei daher Stand der Technik gemäß Artikel 54(2) EPÜ und bilde darüber hinaus keine zufällige Offenbarung im Sinne der Entscheidung G 1/03. Die Disclaimer seien daher im Hinblick auf Artikel 123(2) EPÜ nicht zulässig. Das gleiche gelte für den Disclaimer gemäß Hilfsantrag 4.
Die Patentinhaberin habe nicht ihr gesamtes Vorbringen am Anfang des Beschwerdeverfahrens vorgetragen und die Hilfsanträge 10 bis 12 erst in einem sehr späten Verfahrensstadium eingereicht. Diese Anträge würden des Weiteren eine Änderung des Sachverhalts darstellen und seien mit den vorangehenden Anträgen nicht konvergent. Die Definition einer Menge an Celluloseether von 0,15 bis 0,45 Gewichtsteilen in den Hilfsanträgen 10 und 11 verstoße gegen Artikel 123(2) EPÜ, da die ursprüngliche Fassung der Anmeldung die Verwendung der kleinsten möglichen Menge dieser Komponente offenbare. Der Hilfsantrag 10 erlaube außerdem die Verwendung der durch den Disclaimer im erteilten Anspruch 1 ausgeschlossenen Lebensmittelbeschichtungsmassen. Dem Anspruch 1 des Hilfsantrag 11 fehle es an der Neuheit gegenüber D1, da die Definition einer so geringen Menge an Cellulosether kein Unterscheidungsmerkmal bilden könne. Die Hilfsanträge 10 und 11 seien daher weder ins Verfahren zuzulassen noch zulässig.
XVII. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage des Hauptantrags, hilfsweise auf der Grundlage des als Hilfsantrag 4 eingereichten Hilfsantrags, beide Anträge eingereicht mit der Beschwerdebegründung vom 3. April 2013, weiterhin hilfsweise auf der Grundlage des als Hilfsantrag 10 eingereichten Hilfsantrags, eingereicht mit Schreiben vom 2. Juli 2015, weiterhin hilfsweise auf der Grundlage eines der während der mündlichen Verhandlung am 28. Juli 2015 eingereichten Hilfsanträge 11 oder 12. Sie beantragte außerdem, die Angelegenheit zur Prüfung der Einspruchsgründe gemäß Artikel 100 a) und 100 b) EPÜ an die erste Instanz zurückzuverweisen.
XVIII. Die Beschwerdegegnerinnen 1 und 2 beantragten, die Beschwerde zurückzuweisen und die Hilfsanträge 10 bis 12 nicht in das Verfahren zuzulassen und die Angelegenheit zur Prüfung der Einspruchsgründe gemäß Artikel 100 a) und 100 b) EPÜ an die erste Instanz zurückzuverweisen.
XIX. Die Entscheidung der Kammer wurde am Ende der mündlichen Verhandlung verkündet.
Übertragung der Einsprechendenstellung
1. Die ordnungsgemäße Parteistellung einer Einsprechenden ist als allgemeine Verfahrensvoraussetzung von Amts wegen zu prüfen und betrifft die Zulässigkeit der weiteren Verfahrenshandlungen, insbesondere das Recht der Firma Arkema France, in der mündlichen Verhandlung wirksam Anträge als Beschwerdegegnerin zu stellen. Aus diesem Grund wird der Antrag der Beschwerdegegnerin 1/Einsprechenden 1, den Einwand der Beschwerdeführerin als verspätet nicht ins Verfahren zuzulassen, abgelehnt.
2. Mit der Entscheidung G 4/88 der Großen Beschwerdekammer (ABl. EPA 1989, 480) ist anerkannt, dass die Stellung des Einsprechenden als Partei übertragen werden kann, wenn der Einspruch als zum Geschäftsbetrieb des Einsprechenden gehörend zusammen mit jenem Bereich dieses Geschäftsbetriebes an einen Dritten übertragen oder abgetreten wird, auf den sich der Einspruch bezieht. Die Beschwerdegegnerin 1 hat mit Erklärung vom 25. Juli 2011 des stellvertretenden Generaldirektors der Firma Cray Valley SA substantiiert dargelegt, dass der Geschäftsbereich Beschichtungsharze der Firma Cray Valley SA am 1. Juli 2011 an Arkema France veräußert wurde. Die Beschwerdegegnerin 1 hat des Weiteren mit dem Dokument D31 nachgewiesen, welches ein Datum vor der betreffenden Veräußerung trägt, dass dieser Bereich mit dem Produkt CRAYMUL 4371 zumindest "Lebensmittelbeschichtungsmasse" betraf.
3. Die Beschwerdeführerin hat auf der Basis des Dokuments BB1 argumentiert, dass Cray Valley SA noch auf dem Gebiet der Lebensmittelbeschichtungen tätig sei, womit der gesamte Geschäftsbereich der Lebensmittelbeschichtungen nicht übertragen worden sei, woraus folge, gemäß Rechtsprechung der Beschwerdekammer, dass die Übertragung der Einsprechendenstellung nicht gültig sei.
4. Das Dokument BB1, welches von der Beschwerdeführerin zitiert wurde, um ihr Argument zu untermauern, dass nicht der gesamte Geschäftsbereich der Lebensmittelbeschichtungen von Cray Valley übertragen wurde, ist eine Webseite von Cray Valley aus 2014, die die Produkte bd® und Krasol® betrifft. Diese Produkte werden in BB1 bezeichnet als niedermolekulare Homopolymere von Polybutadiene mit Hydroxylendgruppen, die eine hohe reaktive Funktionalität besitzen. Außerdem sind die Produkte bd® und Krasol® unter der Rubrik Beschichtungen zu finden, die sich direkt neben der Angabe Urethanchemie befindet. Der Verweis auf Beschichtungen in Dokument BB1 reicht daher nicht aus, um zu belegen, dass die Produkte bd® und Krasol® als solche beschichtet werden. Aus dem Dokument BB1 kann eher entnommen werden, dass die Produkte bd® und Krasol® als reaktive Hydroxyl-enthaltende Verbindungen zur Herstellung von Beschichtungen auf der Basis von Polyurethanen dienen. Dies steht im Einklang mit den Angaben der Beschwerdegegnerin 1 im Schreiben vom 28. April 2015, wonach das Produkt Krasol® ein Additiv mit niedrigem Molekulargewicht, aber kein Beschichtungsharz darstellt. Des Weiteren kann aus der bloßen Angabe, dass die Produkte bd® und Krasol® eine Richtlinie der Food and Drugs Administration erfüllen, nicht entnommen werden, dass diese Produkte zwangsläufig als Lebensmittelbeschichtungen verwendet werden.
5. Infolge dessen ist die Kammer der Überzeugung, dass die Einsprechendenstellung der Firma Cray Valley SA, die im Interesse des Geschäftsbereichs Lebensmittelbeschichtungen Einspruch erhob, auf die Einsprechende 1 Arkema France zulässigerweise übertragen wurde.
Hauptantrag - Änderungen (Artikel 123(2) EPÜ)
6. Der Gegenstand des Anspruchs 1 wurde gegenüber der ursprünglichen Fassung, sowohl durch die Aufnahme von ,,positiven Merkmalen", als durch zwei Disclaimer geändert. Es ist nicht strittig, dass diese zwei Disclaimer in der ursprünglich eingereichten Fassung der Anmeldung nicht offenbart sind. Somit ist es zu überprüfen, ob diese Disclaimer die in den Entscheidungen der Großen Beschwerdekammer G 1/03 und G 2/03 festgelegten Kriterien für ihre Zulässigkeit erfüllen.
7. Es besteht ebenfalls Einigkeit, dass zumindest der in den Anspruch 1 eingeführte erste Disclaimer ,,mit der Maßgabe, dass die Lebensmittelbeschichtungsmasse kein Gemisch von mindestens zwei Poly(vinylalkoholen) enthält, das besteht zu mindestens 0,1 Gewichtsteilen aus mindestens einem Poly(vinylalkohol) vom Hydrolysegrad von 85 bis 90 Mol %, sowie mindestens 0,1 Gewichtsteilen aus mindestens einem Poly(vinylalkohol) vom Hydrolysegrad von über 90 Mol %" zur Abgrenzung gegenüber der Druckschrift D1 dienen sollen. Die Beschwerdeführerin/Patentinhaberin hat überzeugend dargestellt, dass der Gegenstand der D1, die zwischen dem Prioritätsdatum (16. April 2003) und dem Anmeldetag (6. April 2004) am 3. Juli 2003 veröffentlicht wurde, die Neuheit des Gegenstandes des positiven Teils des geänderten Anspruchs 1 vorwegnimmt. Es wurde insbesondere auf die Passage auf Seite 9, Zeilen 17-18 und Anspruch 1 hingewiesen, deren neuheitsschädliche Offenbarung für den positiven Teil des Anspruchs 1 den ersten Disclaimer rechtfertigen soll. Die Lebensmittelbeschichtungsmasse gemäß Anspruch 1 der D1 enthält insbesondere 1 bis 12, vorzugsweise 3 bis 8, Gewichtsteile eines Gemisches von mindestens zwei Poly(vinylalkoholen), bestehend zu mindestens 0,1 Gewichtsteilen aus mindestens einem Poly(vinylalkohol) vom Hydrolysegrad von 85 bis 90 Mol-%, sowie mindestens 0,1 Gewichtsteilen aus mindestens einem Poly(vinylalkohol) vom Hydrolysegrad von über 90 Mol-%.
8. Da die D1 ebenfalls Lebensmittelbeschichtungsmassen auf der Basis von wässrigen copolymeren Poly(vinylester)-Dispersionen betrifft und daher keine zufällige Entgegenhaltung im Sinne von G 1/03 und G 2/03 darstellen könnte (siehe Punkt 2.2.2. der Entscheidungsgründe), ist es im vorliegenden Fall unabdingbar zu klären, ob die D1 zum Stand der Technik gemäß Artikel 54(2) oder Artikel 54(3) EPÜ gehört. Nur in letzterem Fall könnten insoweit die nach G 1/03 und G 2/03 an einen Disclaimer zu stellenden Anforderungen erfüllt werden. Es ist daher die Frage zu beantworten, ob das Streitpatent vor Einführung der Disclaimer das beanspruchte Prioritätsrecht auf der Basis der DE 10317489.3 eingereicht am 16. April 2003 genießen kann.
9. Es ist nicht bestritten, dass die Passagen der D1, die Lebensmittelbeschichtungsmassen beschreiben und die für den positiven Teil des geänderten Anspruchs 1 neuheitsschädlich sind, und die diesen ersten Disclaimer rechtfertigen sollen, ebenfalls aus der Prioritätsanmeldung der D1, d.h. die DE 10163586.9, zu entnehmen sind (Anspruch 2 und Seite 8, Zeilen 30-31). Es ist somit festzustellen, dass die durch die positive Formulierung (d. h. ohne Disclaimer) definierte Merkmalkombination des vorliegenden Anspruchs 1 nicht von der Offenbarung der Erfindung gemäß D1 oder deren Prioritätsdokument DE 10163586.9 zu unterscheiden ist.
10. Es wurde von der Beschwerdeführerin ebenfalls nicht bestritten, dass es aber allgemein bekannt ist, dass die Emulsionssparte von Clariant GmbH durch Celanese Emulsions GmbH Ende 2002 übernommen wurde. Es ist nicht strittig, dass Celanese Emulsions GmbH im Rahmen dieser Übernahme Rechtsnachfolgerin von Clariant GmbH für die DE 10163586.9 geworden ist. Die Übertragung der DE 10163586.9 auf Celanese Emulsions GmbH, die ursprünglich im Namen von Clariant GmbH angemeldet wurde, ist im Register vom DPMA mit einem Eintrag vom 1. Juli 2003 dokumentiert, wie der Registerauszug zu Aktenzeichen 10163586.9 und Seite 16108 des Amtsblatts 36/2003 vom DPMA zeigen. Es ist bezüglich der europäischen Patentanmeldung Nr. 02795269.6 zurückgehend auf die internationale Patentanmeldung PCT/EP02/14709 (internationales Aktenzeichen der D1) auch nicht bestritten, dass insofern der Vertragsstaat DE betroffen ist, die Celanese Emulsions GmbH im Rahmen dieser Übernahme Rechtsnachfolgerin von Clariant GmbH geworden ist.
11. Mit der Anmeldung DE 10163586.9, deren Rechtsnachfolgerin die Patentinhaberin des vorliegenden Streitpatents ist und der internationalen Patentanmeldung PCT/EP02/14709, deren Nachfolgerin zumindest für den Vertragstaat DE ebenfalls die Patentinhaberin des Streitpatents ist, werden folglich Lebensmittelbeschichtungsmassen offenbart, die dort als erfindungsgemäß beschrieben werden und vom Gegenstand des geänderten Anspruchs 1 ohne Disclaimer umfasst werden.
12. Gemäß Artikel 87(1) EPÜ steht dem Anmelder bzw. seinem Rechtsnachfolger für die Anmeldung derselben Erfindung zum Europäischen Patent während einer Frist von zwölf Monaten nach der Einreichung der ersten Anmeldung ein Prioritätsrecht zu. Als erste Anmeldung einer Erfindung, die ein Prioritätsrecht begründet, wird auch nach Artikel 87(4) EPÜ eine jüngere Anmeldung angesehen, die denselben Gegenstand betrifft wie eine erste ältere in demselben oder für denselben Staat eingereichte Anmeldung, sofern diese ältere Anmeldung die im Artikel 87(4) EPÜ festgelegten Vorsausetzungen erfüllt. Insbesondere muss diese ältere Anmeldung bis zur Einreichung der jüngeren Anmeldung zurückgenommen, fallen gelassen oder zurückgewiesen worden ist, und zwar bevor sie öffentlich ausgelegt worden ist. Es ist nicht bestritten, dass diese Voraussetzung im Falle der älteren DE 10163586.9 und internationalen Patentanmeldung PCT/EP02/14709 am Anmeldetag der DE 10317489.3 (16. April 2003) nicht erfüllt war.
13. Die Beschwerdeführerin vertrat die Meinung, dass die DE 10317489.3 die erste Anmeldung der Patentinhaberin sei, die den Gegenstand des geänderten Anspruchs 1 ohne Disclaimer, offenbare, da keine Identität der Anmelderinnen zwischen der DE 10317489.3 und der DE 10163586.9, bzw. und der internationalen Patentanmeldung PCT/EP02/14709 am Anmeldetag der DE 10317489.3 gegeben habe. Eine Identität der Anmelderinnen zwischen der DE 10317489.3 und der DE 10163586.9 (bzw. und der europäischen Patentanmeldung Nr. 02795269.6) habe nach Ansicht der Beschwerdeführerin erst nach Anmeldetag der DE 10317489.3 stattgefunden, in dem Celanese Emulsions GmbH am 1. Juli 2003 (bzw. am 21. Juni 2004) anstatt der ursprünglichen Anmelderin Clariant GmbH in das Register des DPMA (bzw. in das Register des EPA) eingetragen wurde.
14. Gemäß Artikel 87(1) EPÜ steht der Anmelderin der DE 10163586.9 oder ihrer Rechtsnachfolgerin das Prioritätsrecht zu. Maßgebend für die Frage, ob und wann Identität der Anmelderinnen zwischen der DE 10317489 und der DE 10163586.9 (bzw. und internationalen Patentanmeldung PCT/EP02/14709) vorgelegen hat, ist insoweit der Zeitpunkt der Übertragung des materiellen Rechts an diesen jeweiligen Anmeldungen und nicht die Eintragungen in das Register des DPMA bzw. EPA für die europäische Patentanmeldung Nr. 02795269.6 zurückgehend auf die internationalen Patentanmeldung PCT/EP02/14709. Solche Eintragungen sind nicht rechtsbegründend oder rechtvernichtend (konstitutiv), sondern rechtsbekundend (deklaratorisch). Das Entstehen, Fortbestehend und Erlöschen richtet sich nach materiellem Recht, nicht nach der Registereintragung oder ihrem Unterbleiben (Schulte, Patentgesetz, 8. Auflage, § 30, Rdn 17). Die Eintragung einer Übertragung hat keine konstitutive Wirkung für den eigentlichen Rechtsübergang (Singer-Stauder, Europäisches Patentübereinkommen, 6. Auflage, Art 71, Rdn 12). Die Eintragungen der Übertragungen der DE 10163586.9 und der europäischen Patentanmeldung Nr. 02795269.6 von Clariant GmbH auf Celanese Emulsions GmbH jeweils in das Register des DPMA vom 1. Juli 2003 und in das Register des EPA vom 21. Juni 2004 kommt nur eine Legitimationswirkung für das Verfahren vor dem EPA bzw. vor dem DPMA zu (Singer-Stauder, aaO, Art 71, Rdn 12 und Schulte, aaO, § 30, Rdn 19).
15. Folglich, stellt der Eintrag vom 1. Juli 2003 in das Register des DPMA entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin keinen Beweis dar, dass die Übertragung der Patentanmeldung DE 10163586.9 (materiell-rechtlich) erst am 1. Juli 2003, d.h. nach Anmeldetag der Prioritätsanmeldung des Streitpatents (16. April 2003) stattgefunden hat. Das gleiche gilt für den Eintrag vom 21. Juni 2004 in das Register des EPA, der als solcher keinen Beleg darstellt, dass der eigentliche Rechtsübergang der internationalen Patentanmeldung PCT/EP02/14709 auf Celanese Emulsions GmbH nach dem Anmeldetag der Prioritätsanmeldung des Streitpatents stattgefunden hat. Dass der Celanese Emulsions GmbH im Rahmen der Übernahme der Emulsionssparte von Clariant GmbH das Recht zugestanden hätte, die Übertragung der betreffenden Patente und Patentanmeldungen durch die jeweiligen Patentämter zu einem undefinierten späteren Zeitpunkt registrieren zu lassen, hat daher keinen Einfluss auf die Gültigkeit der beanspruchten Priorität.
16. Betreffend den Zeitpunkt der Rechtsübertragung der DE 10163586.9 und der internationalen Patentanmeldung PCT/EP02/14709 muss davon ausgegangen werden, wie es gängige Praxis bei Geschäftsübernahmen von Technologiesparten ist, dass die Marken und Patentanmeldungen, die für den Bereich der veräußerten Technologie vorliegen, ebenfalls an den Käufer zugleich mitveräußert werden. Ein Beleg, dass die unbestrittene Veräußerung der für diesen Fall relevanten Anmeldungen DE 10163586.9 und PCT/EP02/14709 auf Celanese Emulsions GmbH (siehe oben) zumindest nach dem Anmeldetag der Prioritätsanmeldung DE 10317489.3, d.h. nach dem 16. April 2003, lag, wurde nicht erbracht. Ein solcher Beleg ist jedenfalls aus den Auszügen des von der Beschwerdeführerin vorgelegten Rahmenkaufvertrags "Master purchase and sale agreement" ab 26. September 2002 zwischen Clariant International AG und Madionova GmbH nicht zu entnehmen, der den Erwerb von Rechten am geistigen Eigentum, inklusive Patente und Patentanmeldungen bestätigt. Ein Grund für eine verspätete Veräußerung der DE 10163586.9 oder der PCT/EP02/14709 wurde ebenfalls nicht genannt und ist der Kammer nicht ersichtlich.
17. Weitere Indizien für eine Rechtsübertragung der DE 10163586.9 auf die Anmelderin der DE 10317489 vor dem Anmeldetag der späteren Anmeldung können darin gesehen werden, dass einen Verweis auf ,,die nicht vorveröffentlichen deutschen Patentanmeldung Nr. 101 63 586.9" und ihren Inhalt auf Seite 4, Zeilen 10-12 der DE 10317489 zu finden ist, und dass eine weitgehende Übereinstimmung der Textstellen für die Beschreibung der Komponenten A), B) und der optionalen Additiven festzustellen ist.
18. Aus dem allgemeinen Grundsatz, dass jeder Verfahrensbeteiligte jeweils für die von ihm behaupteten Tatsachen auf die er sich stützt, beweispflichtig ist, oblag es daher der Patentinhaberin glaubhaft zu machen, dass die Rechtsübertragung der Anmeldung DE 10163586.9 und der internationalen Patentanmeldung PCT/EP02/14709 im Hinblick auf den oben dargestellten Sachverhalt wider Erwarten zumindest erst nach dem Anmeldetag der Prioritätsanmeldung DE 10317489.3 an die Celanese Emulsions GmbH stattgefunden hat. Da die Patentinhaberin ihrer Beweispflicht nicht nachgekommen ist, ist folglich von einer Identität der Anmelderin bzw. Rechtsnachfolgerin, d.h. Celanese Emulsions GmbH, zwischen der D1, ihrer Prioritätsanmeldung DE 10163586.9 und der Prioritätsanmeldung des Streitpatents (DE 10317489.3), bereits am Anmeldetag der Prioritätsanmeldung DE 10317489 des Streitpatents auszugehen. Dies gilt daher ebenfalls zum späteren Zeitpunkt des Anmeldetags für das Streitpatent. Infolge dessen kommt es im vorliegenden Fall nicht darauf an, ob das relevante Datum für die Beurteilung, ob das Streitpatent die Priorität der DE 10317489.3 genießt, das Anmeldedatum dieser Prioritätsanmeldung, wie von der Beschwerdeführerin geltend gemacht wurde, oder das Anmeldedatum des Streitpatents zugrunde zu legen ist.
19. Nach dem Vorstehenden ist daher festzustellen, dass die Prioritätsanmeldung des Streitpatents (DE 10317489.3) hinsichtlich des bereits in D1 (PCT/EP02/14709) (die durch die Bennennung sämtlicher EPÜ-Staaten DE benennt) und deren Prioritätsanmeldung (DE 10163586.9) offenbarten Gegenstands, nämlich des Gegenstands, den es mit dem ersten Disclaimer auszuschließen gilt, nicht die erste Anmeldung gemäß Artikel 87(1) EPÜ im Sinne von Artikel 87(4) EPÜ darstellt. Eine Teilpriorität für diesen bereits in der D1 und in der Prioritätsanmeldung der D1 als erfindungsgemäß offenbarten Gegenstand kann daher nicht erkannt werden.
20. Aus diesem Grund gehört der in D1 offenbarte Gegenstand, den es mit dem ersten Disclaimer auszuschließen gilt, zum Stand der Technik gemäß Artikel 54(2) EPÜ. Da diese neuheitsschädliche Offenbarung gemäß Artikel 54(2) EPÜ ebenfalls Lebensmittelbeschichtungsmassen betrifft, kann sie keine zufällige Vorwegnahme im Sinne der Entscheidungen G 1/03 und G 2/03 darstellen. Infolge dessen ist der erste Disclaimer des Anspruchs 1 auf der Basis dieser neuheitsschädlichen Offenbarung aus der D1 nach den Entscheidungen G 1/03 und G 2/03 (supra) nicht zulässig und verstößt gegen Artikel 123(2) EPÜ.
21. Der Anspruch 1 des Hauptantrags ist daher nicht gewährbar.
22. Infolgedessen kann dahin gestellt bleiben, ob der Gegenstand, der mit den positiven Merkmalen im Anspruch 1 definiert wurde, über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht, oder, ob der zweite Disclaimer gültig ist.
Hilfsantrag 1 (gekennzeichnet als "Hilfsantrag 4")
Änderungen (Artikel 123(2) EPÜ)
23. Der im Anspruch 1 dieses Hilfsantrags definierte Gegenstand unterscheidet sich von dem des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag dadurch, dass (i) die Komponente D) (Polyvinylalkohol) zwingend in einer Menge von 1 bis 10 Gew.%, bezogen auf die Masse der Gesamtmonomeren, vorhanden ist, (ii) der Anspruch auf die Verwendung der wässrigen copolymeren Poly(vinylester)-Dispersionen zum Beschichten von Lebensmitteln gerichtet ist und (iii) als einziger Disclaimer der erste Disclaimer gemäß Hauptantrag definiert wird.
24. Wie für den Hauptantrag soll der gleiche Disclaimer zur Abgrenzung gegenüber der Druckschrift D1 dienen, weil deren Inhalt, insbesondere die im obigen Punkt 6 zitierten Passagen, d.h. die Seite 9, Zeilen 17-18 und Anspruch 1, für den positiven Teil des Anspruchs 1 eine neuheitsschädliche Offenbarung darstellt. Es ist nicht strittig, dass diese Passagen ebenfalls aus der Prioritätsanmeldung der D1, d.h. die DE 10163586.9, (insbesondere Anspruch 2 und Seite 8, Zeilen 30-31) zu entnehmen sind.
25. Folglich umfasst der Gegenstand, der im positiven Teil des geänderten Anspruchs 1 vom "Hilfsantrag 4" definiert wird, Verwendungen, die in der D1 und deren Prioritätsanmeldung DE 10163586.9 offenbart werden. Es folgt daher analog zur für den Hauptantrag angewandten Begründung, dass keine Priorität hinsichtlich des bereits in D1 und in der Prioritätsanmeldung der D1 offenbarten Gegenstands anerkannt werden kann. Dieser Gegenstand gehört folglich zum Stand der Technik gemäß Artikel 54(2) EPÜ und stellt des Weiteren keine zufällige Vorwegnahme im Sinne der Entscheidungen G 1/03 und G 2/03 dar (siehe Punkt 8 oben). Der vorliegende Disclaimer, der dazu dient, die Neuheit gegenüber diesem Gegenstand wiederherzustellen, ist somit unter Berücksichtigung der in den Entscheidungen G 1/03 und G 2/03 aufgestellten Kriterien nicht zulässig und verstößt gegen Artikel 123(2) EPÜ. Der Hilfsantrag 1 (gekennzeichnet als "Hilfsantrag 4") ist daher ebenfalls nicht gewährbar.
Hilfsantrag 2 (gekennzeichnet als "Hilfsantrag 10")
Zulässigkeit
26. Dieser Hilfsantrag wurde mit Schreiben vom 2. Juli 2015 eingereicht, d.h. nach Erhalt der Ladung mit Anberaumung der mündlichen Verhandlung, so dass seine Zulassung dem Ermessen der Kammer gemäß Artikel 13(1) VOBK sowie den Voraussetzungen nach Artikel 13(3) VOBK unterworfen ist.
27. Wie von der Beschwerdeführerin während der mündlichen Verhandlung geltend gemacht, kann der neue Anspruchssatz des Hilfsantrags 10 als eine direkte Antwort auf die erst im Bescheid der Kammer aufgestellte Frage, ob die Druckschrift D1, soweit der gemeinsame Gegenstand zwischen Streitpatent und der DE 10163586 betroffen ist, als Stand der Technik gemäß Artikel 54(2) EPÜ betrachtet werden kann, womit die Gültigkeit des Disclaimers nicht gegeben wäre. Die im Anspruch 1 des "Hilfsantrags 10" ausgewählte Formulierung stellt einen legitimen Versuch der Patentinhaberin dar, sowohl die Gültigkeit eines Prioritätsrechts auf der Basis der DE 10317489.3 wieder herzustellen, als auch den Disclaimer aus dem erteilten Anspruch 1 zu beseitigen in einem Versuch, die Einwände unter Artikel 123(2) und (3) EPÜ auszuräumen.
28. Dem Argument der Beschwerdegegnerinnen, dass der "Hilfsantrag 10" mit den vorangingen Anträgen nicht konvergiere und somit als unzulässig zu betrachten sei, vermag die Kammer nicht zu folgen. Geänderte Ansprüche werden als konvergierend oder aber divergierend gegenüber dem vorher beanspruchten Gegenstand betrachtet, wenn der beanspruchte Gegenstand in eine Richtung bzw. in Richtung eines Erfindungsgedankens zunehmend einschränkend weiterentwickelt wird oder etwa durch Aufnahme jeweils verschiedener Merkmale unterschiedliche Weiterentwicklungen verfolgt werden (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 7. Auflage, 2013, IV.E.4.4). Somit soll keine unübersichtliche und unzumutbare Verfahrenssituation entstehen, in der es den anderen Parteien als auch der Beschwerdekammer obliegt, aus einer Vielzahl von unterschiedlichen Verteidigungsstrategien, diejenige zu "wählen", die letztendlich Bestand haben könnte (siehe T 1685/07, Punkt 6.5 der Entscheidungsgründe). Die Nichtzulassung von solchen divergierenden Anspruchsätzen dient dazu, dass eine konsistente Verteidigungslinie hinsichtlich des Erfindungsgedankens, der dem Streitpatent zugrunde liegt, verfolgt wird.
29.Eine solche Situation liegt hier nicht vor, weder vor der Einspruchsabteilung, die eine Entscheidung nur über die formelle Zulässigkeit der geänderten Ansprüche, die in Antwort auf den Einspruchsgrund unter Artikel 100(c) EPÜ, vorgelegt wurden, getroffen hat, noch vor der Beschwerdekammer insofern die vorliegenden Anträge betroffen sind, da lediglich die formelle Zulässigkeit dieser Anträge überprüft wurde. Die Frage, ob die Reihenfolge der Anträge zu einer engeren Definition des beanspruchten Gegenstands führt, ist alleine nicht entscheidend. Es ist vielmehr im Hinblick auf den vorhandenen Sachverhalt, zum Beispiel in Bezug auf die Notwendigkeit, unterschiedliche Erfindungsgedanken zu bewerten, entscheidend, ob eine unzumutbare Verfahrenssituation für die anderen Parteien und die Beschwerdekammer entstehen würde. Das ist hier nicht der Fall.
30. Aus diesen Gründen hat die Kammer ihr Ermessen gemäß Artikel 13(1) VOBK ausgeübt und den Hilfsantrag 2 (gekennzeichnet als "Hilfsantrag 10") zugelassen.
Änderungen (Artikel 123(3) EPÜ)
31. Der "Hilfsantrag 10" definiert, dass die Lebensmittelbeschichtungsmassen 1 bis 10 Gewichtsteile, bezogen auf die Masse an gesamten Monomeren, eines Gemischs von Polyvinylalkoholen mit einheitlichem Hydrolysegrad enthalten. Dies kann zum Beispiel eine Mischung von zwei Polyvinylalkoholen mit unterschiedlichen Molekulargewichten und einheitlichem Hydrolysegrad sein. Durch den Ausdruck ,,enthaltend" können aber die Lebensmittelbeschichtungsmassen gemäß Anspruch 1 des "Hilfsantrags 10" weitere Komponenten als die darin aufgelisteten Komponenten A) bis D), und somit einen weiteren Polyvinylalkohol mit einem anderen Hydrolysegrad enthalten.
32. Der Anspruch 1 des erteilten Patents schließt aber mit dem ersten Disclaimer die Verwendung eines Gemisches von mindestens zwei Poly(vinylalkoholen), das besteht aus mindestens 0,1 Gewichtsteilen aus mindestens einem Poly(vinylalkohol) vom Hydrolysegrad von 85 bis 90 Mol %, sowie mindestens 0,1 Gewichtsteilen aus mindestens einem Poly(vinylalkohol) vom Hydrolysegrad von über 90 Mol %, aus. Das gleiche gilt für alle anderen Ansprüche des erteilten Patents, die sich auf Anspruch 1 zurückbeziehen. Auf Grund des mehrfach verwendeten Ausdrucks ,,mindestens" schließt der erste Disclaimer des erteilten Anspruchs 1 die Verwendung zum Beispiel einer Mischung von zwei Polyvinylalkoholen mit unterschiedlichen Molekulargewichten und einheitlichem Hydrolysegrad und einem zusätzlichen Polyvinylalkohol mit einem anderen Hydrolysegrad aus. Da der Anspruch 1 vom Hilfsantrag 10 die Verwendung einer solchen Mischung zulässt, wie im Punkt 31 gezeigt wird, wurde der durch das erteilte Patent verliehene Schutz durch den geänderten Anspruch 1 ausgeweitet. Daher ist der geänderte Anspruch 1 im Hinblick auf Artikel 123(3) EPÜ unzulässig, womit der Hilfsantrag 2 (gekennzeichnet als "Hilfsantrag 10") nicht gewährbar ist.
Hilfsantrag 3 (gekennzeichnet als "Hilfsantrag 11")
Zulässigkeit
33. Dieser Hilfsantrag, der am Ende der mündlichen Verhandlung vor der Kammer eingereicht wurde, ersetzte einen anderen "Hilfsantrag 11", der ebenfalls in der Verhandlung eingereicht wurde. Es ist zunächst festzustellen, dass sich der vorliegende "Hilfsantrag 11" von dem "Hilfsantrag 10" lediglich durch die Definition, dass die Lebensmittelbeschichtungsmasse aus den vier Komponenten A bis D und Wasser besteht, unterscheidet. Die Hinzufügung des Merkmals Wasser kann nicht als überraschend angesehen werden, da in allen vorrangigen Anträgen definiert wurde, dass die Lebensmittelbeschichtungsmasse eine wässrige Dispersion enthielt und diese Hinzufügung eine direkte und entsprechende Reaktion auf den Klarheitseinwand der Beschwerdegegnerin / Einsprechenden 1 gegen den vorherigen und zurückgezogenen "Hilfsantrag 11" darstellt, wonach die wässrige Dispersion nicht aus Komponenten A) bis D) bestehen könne, sondern Wasser ebenfalls enthalten müsse.
34. Wie in den folgenden Punkten dargestellt wird, wurde für die Kammer sofort und ohne großen Aufwand ebenfalls ersichtlich, dass die Änderungen den aufgeworfenen Fragen unter Artikel 123(2) und (3) EPÜ bezüglich der Anwendung eines unzulässigen Disclaimers im erteilten Anspruch 1 und seiner Streichung, sowie gleichzeitig dem Neuheitseinwand im Hinblick auf D1, der für den im erteilten Anspruch 1 enthaltenen Disclaimer ursächlich war, erfolgreich Rechnung trugen. Auch wenn die Beschwerdeführerin sämtliche Änderungen hätte früher durchführen können, wurde nicht vorgetragen, dass diese Änderungen Fragen bezüglich der in der angefochtenen Entscheidung und im Beschwerdeverfahren erhobenen Einwände gegen den Hauptanspruch 1 aufwerfen, deren Behandlung den Beschwerdegegnerinnen nicht zuzumuten wäre.
35. Aus den oben angegebenen Gründen wurde daher der geänderte "Hilfsantrag 11" von der Kammer in Ausübung ihres Ermessens gemäß Artikel 13(1) und (3) VOBK in das Verfahren zugelassen.
36. Änderungen (Artikel 123(2) und (3) EPÜ)
Aus dem Anspruch 1 und den Beispielen 1 und 2 der ursprünglichen Anmeldungsunterlagen geht implizit hervor, dass die Lebensmittelbeschichtungsmasse aus Komponenten A), B), D), Wasser und Komponente C) bestehen kann. Die hinzugefügte Präzisierung, dass die Komponente D) ein Gemisch von Polyvinylalkoholen mit einheitlichem Hydrolysegrad ist und dessen Menge von 1 bis 10 Gewichtsteilen bezogen auf die Masse an gesamten Monomeren beträgt, ist als bevorzugte Ausführungsform für die Komponente D) auf Seite 7, Zeilen 6-8 und 11-13 der ursprünglichen Fassung offenbart. Dass es sich bei der vorliegenden Komponente D) um das bevorzugte weitere Stabilisierungsmittel handelt, wird durch die Beispiele 1 und 2 bestätigt. Auf der ursprünglichen Seite 4, Zeilen 1-2 und in dem ursprünglichen Anspruch 1 ist offenbart, dass kleine Mengen Celluloseether bis 0,45 Gewichtsteilen verwendet werden können, wie es im Beispiel 2 mit 0,25 Gewichtsteilen gezeigt wird. Weitere kleinere Mengen wie 0,15 Gewichtsteile werden auf Seite 4, Zeile 2 offenbart. Obwohl gemäß Seite 4, Zeile 3 der ursprünglichen Unterlagen ganz bevorzugt kein Celluloseether verwendet wird, und die 0,15 Gewichtsteile als bevorzugte Obergrenze für die Menge an Celluloseether beschrieben werden, ist dennoch implizit, dass jede Menge an Celluloseether zwischen 0 und 0,45 Gewichtsteilen, inklusive eine Menge zwischen 0,15 und 0,45 Gewichtsteilen verwendet werden kann. Somit ist festzustellen, dass der Fachmann durch den geänderten Anspruch 1 keine neue technische Information gegenüber der ursprünglichen Anmeldung erhält. Der Gegenstand des geänderten Anspruchs 1, der sich an das Beispiel 2 der ursprünglichen Unterlagen anlehnt, ist unter Berücksichtigung der oben zitierten Textstellen aus der ursprünglich eingereichten Fassung der Anmeldung unmittelbar und eindeutig zu entnehmen. Der Gegenstand des Anspruchs 1 erfüllt somit die Bedingungen des Artikels 123(2) EPÜ.
37. Gegenüber der erteilten Fassung des Anspruchs 1 unterscheidet sich die Definition des Anspruchs 1 gemäß "Hilfsantrag 11" dadurch, (i) dass die Lebensmittelbeschichtungsmasse aus Komponente A), B), C), D) und Wasser besteht, (ii) dass die Natur der Komponente D) präzisiert wurde und nicht mehr optional ist, und (iii) dass die Komponente C) ebenfalls nicht mehr optional ist, sondern in einer Mindestmenge von 0,15 Gewichtsteilen verwendet wird. Weiterhin wurde der Disclaimer gestrichen.
38. Die Änderung, dass die Lebensmittelbeschichtungsmasse aus Komponenten A), B), C), D) und Wasser besteht, die Spezifikation, dass nun Komponenten C) und D) zwingend zu verwenden sind, und darüber hinaus, die Präzisierung, dass die Komponente D) nun ein Gemisch von Polyvinylalkoholen mit einheitlichem Hydrolysegrad ist, bewirken, dass die Definition der Lebensmittelbeschichtungsmasse gemäß Anspruch 1 gegenüber der des erteilten Anspruchs 1 eingeschränkt wird. Insbesondere führen diese Änderungen dazu, dass die Lebensmittelbeschichtungsmassen kein Gemisch von Polyvinylalkoholen mit unterschiedlichen Hydrolysegraden enthalten können, womit der im erteilten Anspruch 1 erhaltene Disclaimer überflüssig geworden ist. Die in den Anspruch 1 enthaltenden Änderungen erfüllen somit die Erfordernisse des Artikels 123(3) EPÜ.
Neuheit gegeben gegenüber D1
39. Die Lebensmittelbeschichtungsmassen gemäß der Lehre der D1 können einen Celluloseether als optionales weiteres Stabilisierungsmittel enthalten (Seite 10, Zeile 5-9), dessen Menge aber nicht beschrieben wird. Darüber hinaus müssen die Lebensmittelbeschichtungsmassen gemäß der Lehre der D1 ein Gemisch von Polyvinylalkoholen mit unterschiedlichen Hydrolysegraden enthalten, womit sie den Gegenstand des vorliegenden Anspruchs 1 nicht vorwegnehmen können. Weitere Dispersionen, die aber der Lehre der D1 nicht entsprechen und ein Gemisch von Polyvinylalkoholen mit einheitlichem Hydrolysegrad enthalten, sind mit den Vergleichsbeispielen 2 und 4 der D1 beschrieben, die zur Einführung des zweiten Disclaimers im Hauptantrag des angefochtenen Entscheidung führten. Es wird aber nicht offenbart, dass diese Dispersionen einen Celluloseether enthalten, geschweige denn, in einer Menge von 0,15 bis 0,45 Gewichtsteilen. Ungeachtet der Frage, ob die DE 10317489.3 generell die Verwendung von 1 bis 10 Gewichtsteilen, bezogen auf die Masse an gesamten Monomeren, eines Gemischs von Polyvinylalkoholen mit einheitlichem Hydrolysegrad offenbart, und somit der Frage ob, der Gegenstand des Anspruchs 1 die Priorität der DE 10317489.3 genießt, ist infolgedessen festzustellen, dass die D1 keine Dispersionen gemäß dem vorliegenden Anspruch 1 offenbart. Der Gegenstand des Anspruchs 1 erfüllt daher die Bedingungen des Artikels 54 EPÜ.
40. Zurückverweisung (Artikel 111(1) EPÜ)
Da das Streitpatent von der Einspruchsabteilung wegen Verstoßes des Anspruchs 1 gegen Artikel 123(2) und (3) EPÜ widerrufen worden ist, die Kammer indessen die formale Zulässigkeit des Anspruchs 1 festgestellt hat, war die angefochtene Entscheidung aufzuheben. Gleichwohl hat die Kammer nur über die Neuheit des Hauptanspruchs 1 gegenüber D1 entschieden und keine Entscheidung in der ganzen Angelegenheit getroffen, da die Einspruchsabteilung zu weiteren Fragen noch keine beschwerdefähige Entscheidung getroffen hat. Hierzu steht eine abschließende Prüfung der ersten Instanz noch aus. Unter diesen Umständen verweist die Kammer in Ausübung ihrer Befugnisse gemäß Artikel 111(1) EPÜ die Angelegenheit zur weiteren Entscheidung an die erste Instanz zurück. Sollte die erste Instanz zum Schluss kommen, dass der Gegenstand des Hauptanspruchs 1 gewährbar ist, wäre die Beschreibung und, wenn erforderlich, die anderen Ansprüche, zum Beispiel die Ansprüche 9, 11 und 12, an den neuen Hauptanspruch 1 anzupassen.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz zur weiteren Entscheidung auf der Grundlage des in der mündlichen Verhandlung vom 28. Juli 2015 eingereichten Hilfsantrag, der als "Hilfsantrag 11" gekennzeichnet ist, zurückverwiesen.