T 1425/16 (Optoelektronischer Sensor / Sick) 06-12-2021
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Optoelektronischer Sensor
Spät eingereichtes Dokument - zugelassen (ja)
Neuheit - Hauptantrag (nein), 1. Hilfsantrag (nein)
Erfinderische Tätigkeit - 2. Hilfsantrag (ja)
I. Gegen das europäische Patent EP-B-2 278 361 wurde Einspruch eingelegt. In einer Zwischenentscheidung hat die Einspruchsabteilung ausgesprochen, dass das Patent unter Berücksichtigung der von der Patentinhaberin im Einspruchsverfahren vorgenommenen Änderungen im Rahmen eines Hilfsantrags 2 den Erfordernissen des EPÜ genüge.
II. Gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung haben die Patentinhaberin und die Einsprechende Beschwerde eingelegt.
III. Die Einsprechende beantragt die Aufhebung der Entscheidung und den Widerruf des Patents.
IV. Die Patentinhaberin beantragt die Aufhebung der Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents wie erteilt, d.h. die Zurückweisung des Einspruchs (Hauptantrag), hilfsweise die Aufrechterhaltung des Patents gemäß einem der der Entscheidung zugrundeliegenden Hilfsanträge (Hilfsantrag 1 und Hilfsantrag 2).
V. Beide Parteien hatten zunächst hilfsweise eine mündliche Verhandlung beantragt.
VI. Mit einer Ladung zur mündlichen Verhandlung erging eine Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK 2020. Ausgehend von einer vorläufigen Beurteilung sah die Kammer keine der Beschwerden als erfolgversprechend an. Die Parteien wurden gebeten zu erklären, ob sie ihre Anträge auf mündliche Verhandlung für den Fall weiter aufrechterhalten, dass die Beschwerdekammer nach neuerlicher Prüfung des Sachverhalts bei ihrer vorläufigen Beurteilung bleibt. Falls beide Parteien ihre jeweiligen Anträge auf mündliche Verhandlung unter dieser Bedingung zurücknähmen, würde die Entscheidung schriftlich in diesem Sinne ergehen.
VII. Die für die Entscheidung relevanten Passagen dieser Mitteilung lauten wie folgt:
1. Folgende Dokumente werden in der vorliegenden Mitteilung zitiert:
D7: EP-A-0 081 702
D15: DE-C-196 21 120
Gegebenenfalls werden im weiteren Verfahren auch weitere Dokumente behandelt.
2. Zulassung von Dokument D15
2.1 Die Patentinhaberin diskutiert in der Beschwerdebegründung (siehe Abschnitt 3) das Dokument D15, welches erst zu Beginn der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung von der Einsprechenden vorgelegt wurde. Die Einspruchsabteilung hat das Dokument D15 als prima facie relevant angesehen und berücksichtigt (in das Verfahren zugelassen). Die Patentinhaberin widerspricht der Prima-facie-Relevanz und damit der Ermessensübung durch die Einspruchsabteilung.
2.2 Da Dokument D15 durch die Einspruchsabteilung zugelassen und dadurch in das Einspruchsverfahren eingeführt wurde, sieht die Kammer keine Basis dafür, es im Beschwerdeverfahren nicht zu berücksichtigen (Art. 12 (1)(a) VOBK 2020).
2.3 Das EPÜ kennt grundsätzlich kein Beweisverwertungsverbot im Beschwerdeverfahren im Sinne der Nichtberücksichtigung von Dokumenten, die bereits im erstinstanzlichen Verfahren zugelassen wurden; dies gilt umso mehr, wenn die angefochtene Entscheidung auf sie gestützt war (siehe auch Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 9. Auflage, 2019, Abschnitt V.A.3.5.4; T 1852/11, 1.3, T 1201/14, 2, T 1549/07, 2.1, T 1525/17 4.3; vgl auch T 2026/15 und T 2324/14 sowie Art. 12(6) RPBA 2020, wo eine Nichtberücksichtigung durch die Kammer grundsätzlich nur für Fälle der Nichtzulassung oder Nichtvorlage in erster Instanz vorgesehen ist).
2.4 Die Kammer kann auch keinen Ermessensfehler der Einspruchsabteilung erkennen, der ein Abweichen von diesen Grundsätzen rechtfertigen könnte. Die Einspruchsabteilung beurteilte das Dokument D15 als neuheitsschädlich für den Hauptantrag der Patentinhaberin, also sah die Einspruchsabteilung das D15 als relevant an. Auch war die Relevanz von D15 wohl bereits aus einer Betrachtung der (einzigen) Figur von D15 abzuschätzen, so dass die Einspruchsabteilung das Dokument nicht erst intensiv studieren musste.
3. Hauptantrag der Patentinhaberin
3.1 Der unabhängige Anspruch 1 des Hauptantrags der Patentinhaberin (Patent wie erteilt) lautet in der Merkmalsanalyse der Einspruchsabteilung (Entscheidungsgründe, Seiten 6 bis 7):
a) Optoelektronischer Sensor nach Art eines Lichttasters,
b) mit wenigstens einem Lichtsender (2), dessen Sendelichtweg (7) einen Sendekanal definiert und das Sendelicht auf ein zu detektierendes Objekt fällt,
c) wenigstens einem ersten Lichtempfänger (3), dessen Empfangslichtweg einen ersten Empfangskanal definiert und vom Objekt in den Sendekanal gerichtet zurückreflektiertes Empfangslicht empfängt,
d) wobei Sendekanal und erster Empfangskanal kollinear sind, so dass diesbezüglich Autokollimation vorliegt,
e) und mit einer Auswerteeinheit zum Auswerten des Empfangslichts,
f) wobei ein zweiter Empfangskanal (der Empfangslichtweg, den die unteren Empfangslichtstrahlen 8 zum zweiten Empfänger 4 zurücklegen) mit einem zweiten Lichtempfänger (4) vorgesehen ist,
g) der getrennt von dem Sendekanal (7) ist, so dass das Sendelicht (7) und das mit dem zweiten Empfangskanal erfassbare Empfangslicht.
3.2 Die Patentinhaberin argumentiert, dass die Merkmale a) und c) nicht in Dokument D15 offenbart seien und weist im Wesentlichen darauf hin, dass Dokument D15 eine Lichtschranke offenbare, aber keinen Lichttaster.
3.3 Die Kammer stimmt allerdings der Ansicht der Einsprechenden und der Einspruchsabteilung zu, dass Dokument D15 zumindest mit dem zweiten Empfänger 4 einen nach dem Triangulationsprinzip arbeitenden Sensor offenbart (D15, Figur 1 und Spalte 3, letzter Absatz), wobei solche nach dem Triangulationsprinzip arbeitenden Sensoren auch im Streitpatent (Abschnitt [0003]) als "Lichttaster" bezeichnet werden.
3.4 Auch das Merkmal hinsichtlich des ersten Empfangskanals ist in D15 dadurch gezeigt, dass auf den ersten Empfänger 3 automatisch Licht einfällt, welches von einem Objekt in den Sendekanal gerichtet zurückreflektiert wird.
3.5 Die Kammer verkennt nicht, dass D15 eine Lichtschranke offenbart und keinen "Lichttaster" für den den ersten Empfangskanal ("Glanzkanal"), wie die Patentinhaberin argumentiert. Allerdings sind mögliche Unterscheidungsmerkmale nicht im Anspruch 1 des Hauptantrags definiert. Die optischen Komponenten und ihre Anordnung in D15 und im Anspruch 1 des Hauptantrags sind identisch. Der Unterschied, auf den die Patentinhaberin verweist, scheint nur in der Auswertung der Signale zu liegen, könnte also Teil einer Soft- oder Hardware der Auswerteeinheit sein. Die Auswerteeinheit ist im Anspruch 1 allerdings nur insoweit eingeschränkt, dass sie "zum Auswerten des Empfangslicht dient", was nicht ausreicht, um sie von der Auswerteeinheit der D15 zu unterscheiden.
3.6 Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags ist daher nicht neu gegenüber Dokument D15.
4. Hilfsantrag 1 der Patentinhaberin
4.1 Im Hilfsantrag 1 der Patentinhaberin hat diese das Merkmal a) dahingehend geändert, dass statt eines "Optoelektronischen Sensors nach Art eines Lichttasters" nun direkt ein "Lichttaster" definiert wird. Darüber hinaus wurde die Auswerteeinheit weiter definiert dass diese "zur Detektion glänzender Objekte in dem ersten Empfangskanal" dient und "ausgebildet ist, in dem zweiten Empfangskanal diffus remittierende Objekte zu detektieren".
4.2 Die Kammer stimmt allerdings auch diesbezüglich der Einsprechenden und der Einspruchsabteilung zu, dass die vorgenommenen Einschränkungen nicht ausreichen, um den Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 1 von der Offenbarung des Dokuments D15 abzugrenzen. Wie oben ausgeführt, offenbart Dokument D15 eine Entfernungsmessung nach dem Triangulationsprinzip, also einen "Lichttaster". Auch die Auswerteeinheit ist in D15 so ausgebildet, dass sowohl glänzende Objekte im ersten Empfangskanal (D15, Spalte 5, Zeilen 35 bis 55), als auch diffus remittierende Objekte im zweiten Empfangskanal (D15, Spalte 7, Zeilen 17 bis 20) detektiert werden.
5. Hilfsantrag 2 der Patentinhaberin
5.1 Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 der Patentinhaberin nimmt zusätzlich zu den Änderungen des Hilfsantrags 1 die Merkmale der ursprünglichen erteilten Unteransprüche 2 und 4 auf, die von der Einspruchsabteilung als Merkmale h) und i) bezeichnet wurden:
h) mittels einer Sendeoptik das Sendelicht auf einen Detektionsbereich fokussierbar ist und das diffus remittierte Licht mittels einer Empfangsoptik in den zweiten Empfangskanal einkoppelbar ist,
i) Sendeoptik und Empfangsoptik in einem Optikkopf angeordnet sind, der über Lichtleiter mit einem Sensorgehäuse verbunden ist.
5.2 Dabei ist unstreitig, dass Merkmal i) nicht in D15 offenbart ist.
5.3 Ausgehend von D15 löst das zusätzliche Merkmal i) die objektive technische Aufgabe - wie von der Einspruchsabteilung formuliert und von beiden Parteien akzeptiert - den Einbau für schwer zugängliche Bereiche zu erleichtern (Zwischenentscheidung, Seite 10, Absatz 7, vergleiche auch Streitpatent, Absatz [0036]).
5.4 Wie von der Einspruchsabteilung und der Patentinhaberin argumentiert, gibt es für die Fachperson aus dem Dokument D15 wohl keinen Anlass, nach einer Lösung für schwer zugängliche Bereiche zu suchen, da die in D15 angegebenen Anwendungen im Personenschutz (D15, Spalte 1, Zeilen 60 bis 61) beispielsweise beim Einschalten einer Maschine (D15, Spalte 6, Zeilen 10 bis 15) keinen Hinweis auf solche schwer zugänglichen Bereiche geben.
5.5 Es scheint zwar unstreitig, dass das Dokument D7 das Merkmal i) offenbart (siehe zum Beispiel Figur 1, optical head 32). Die Kammer hat allerdings Zweifel daran, dass die Fachperson die Lehre des Dokuments D7 zur Lösung der objektiven technischen Aufgabe heranziehen würde.
5.5.1 Beispielsweise weist der aus D7 bekannte Sensor, der den Optikkopf verwendet, einige Unterschiede zum aus D15 bekannten Sensor auf, die eine sofortige Übertragung der Lehre aus D7 auf den aus D15 bekannten Sensor schwierig gestalten. Wie beispielsweise auch die Einspruchsabteilung bereits festgestellt hat (Entscheidungsgründe, Seite 11, erster vollständiger Absatz, letzter Satz), ist in D7 nicht offenbart, einen Sendelichtkanal kollinear mit einem ersten Empfangslichtkanal über eine Lichtleitfaser auszubilden, sondern D7 zeigt nur ein Lichtleitfaserbündel 5 ausschließlich für die Senderichtung und ein Lichtleitfaserbündel 9 für die Empfangsrichtung (D7, Figur 1, Beschreibung Seite 6, Zeilen 13 bis 23).
5.5.2 Als entscheidendes Argument für ein Nicht-Naheliegen der Kombination von D7 und D15 sieht die Kammer allerdings an, dass die Fachperson aus D15 als wesentlich erkennt, dass über den zweiten Empfangskanal Distanzinformationen erhalten werden sollen (D15, Spalte 2, Zeilen 12 bis 14, Zeilen 33 bis 51). Es ist nicht ohne Weiteres aus D7 ersichtlich, wie diese Distanzinformation durch die Verwendung des dort offenbarten Optikkopfes ermittelt werden kann. T 2201/10 hat dazu zutreffend ausgeführt: "Schon die Feststellung, dass sich eine Erfindung, so wie sie in den Ansprüchen gekennzeichnet ist, im Kern von der Offenbarung eines Stands der Technik in Anbetracht des dort verfolgten Ziels entfernt, reicht für die Schlussfolgerung aus, dass die beanspruchte Erfindung gegenüber der Lehre dieses Stands der Technik erfinderisch ist." (so zitiert in Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 9. Auflage, 2019, Abschnitt I.D.6)
6. Schlussfolgerung
6.1 Ausgehend von der vorläufigen Beurteilung der Kammer scheint keine der Beschwerden erfolgversprechend zu sein.
VIII. Darauf nahmen beide Parteien ihre Anträge auf mündliche Verhandlung unter der Bedingung zurück, dass die Kammer bei ihrer vorläufigen Beurteilung bleibt.
IX. Die Kammer sagte die mündliche Verhandlung ab.
X. Der unabhängige Anspruch 1 des Hauptantrags der Patentinhaberin lautet (Patent wie erteilt):
Optoelektronischer Sensor nach Art eines Lichttasters, mit wenigstens einem Lichtsender (12, 14, 16), dessen Sendelichtweg (30) einen Sendekanal definiert und das Sendelicht auf ein zu detektierendes Objekt (36) fällt, wenigstens einem ersten Lichtempfänger (42), dessen Empfangslichtweg (38) einen ersten Empfangskanal definiert und der vom Objekt (36) in den Sendekanal gerichtet zurückreflektiertes Empfangslicht (38) empfängt, wobei Sendekanal und erster Empfangskanal kollinear sind, so dass diesbezüglich Autokollimation vorliegt,
und mit einer Auswerteeinheit (39) zum Auswerten des Empfangslichts (38, 47),
dadurch gekennzeichnet, dass
ein zweiter Empfangskanal mit einem zweiten Lichtempfänger (44) vorgesehen ist,
der getrennt von dem Sendekanal ist, so dass das Sendelicht (30) und das mit dem zweiten Empfangskanal erfassbare, durch diffuse Remission des Sendelichts am Objekt (36) erzeugte Empfangslicht (47) eine Triangulationsanordnung bilden.
XI. Anspruch 1 wurde gemäß Hilfsantrag 1 dahingehend geändert, dass statt eines Optoelektronischen Sensors nach Art eines Lichttasters nun direkt ein Lichttaster definiert wird. Darüber hinaus wurde die Auswerteeinheit weiter definiert, dass diese zur Detektion glänzender Objekte in dem ersten Empfangskanal dient und ausgebildet ist, in dem zweiten Empfangskanal diffus remittierende Objekte zu detektieren.
XII. Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 nimmt zusätzlich zu den Änderungen des Hilfsantrags 1 die Merkmale der Unteransprüche 2 und 4 des Patents auf:
und wobei mittels einer Sendeoptik (32) das Sendelicht auf einen Detektionsbereich (34) fokussierbar ist und das diffus remittierte Licht mittels einer Empfangsoptik (46) in den zweiten Empfangskanal einkoppelbar ist und wobei die
Sendeoptik (132) und Empfangsoptik (146) in einem Optikkopf (160) angeordnet sind, der über Lichtleiter (162, 164) mit einem Sensorgehäuse (150) verbunden ist.
1. In den Abschnitten 1. bis 6. der oben genannten Mitteilung legte die Kammer dar, warum nach ihrer vorläufigen Beurteilung beide Beschwerden zurückgewiesen werden sollten.
2. Diese vorläufige Beurteilung wurde von den Parteien nicht in Frage gestellt.
3. Die Kammer sieht nach nochmaliger Überprüfung ebenfalls keine Veranlassung, in der Sache von ihrer vorläufigen Beurteilung abzuweichen.
4. Die Beschwerden sind aus den in der Mitteilung gegebenen Gründen zurückzuweisen.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerden werden zurückgewiesen.