T 1797/16 30-06-2020
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Vorrichtung zur Reinigung von Wischelementen für einen Tintendruckkopf
Zulassung der Hilfsanträge 1 und 2, eingereicht in der mündlichen Verhandlung (ja)
Änderung veranlasst durch Einspruchsgrund (ja)
Neuheit (Hauptantrag, Hilfsantrag 1: nein)
Änderungen - Erweiterung des Patentanspruchs (Hilfsantrag 2: nein)
Klarheit (Hilfsantrag 2: ja)
Erfinderische Tätigkeit (Hilfsantrag 2: ja)
I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, dass das europäische Patent Nr. 2 130 679 (nachstehend "das Patent") auf der Grundlage des am 15. Februar 2013 eingereichten Anspruchs 1 und der abhängigen Ansprüche 2 bis 8 in der erteilten Fassung den Erfordernissen des Europäischen Patentüberkommens genüge.
II. Der Einspruch war gegen das Streitpatent in vollem Umfang eingelegt worden und mit den Einspruchsgründen nach Artikel 100 a) EPÜ (fehlende Neuheit und mangelnde erfinderische Tätigkeit) begründet worden.
III. Mit der Beschwerdeerwiderung hat die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) drei Hilfsanträge eingereicht.
IV. Mit Schreiben vom 30. Januar 2017 hat die Beschwerdeführerin in Bezug auf die Hilfsanträge angegeben, dass durch die Streichung in Merkmal M1.0 von "an diesem ... gelagerten" ein aliud geschaffen worden sei. Auch hat sie Einwände nach Regel 80 EPÜ gegen die Hilfsanträge erhoben.
V. Am 20. November 2019 wurden die Beteiligten zur mündlichen Verhandlung geladen. In einer Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK) 2007 vom 13. Februar 2020 hat die Kammer ihre vorläufige Meinung dargelegt, dass der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags nicht neu ist, dass die Hilfsanträge nach Regel 80 EPÜ zulässig sind und dass der in den Hilfsanträgen beanspruchte Gegenstand von Anspruch 1 sich gegenüber dem Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags verschoben hat.
VI. Mit Schreiben vom 29. Mai 2020 hat die Beschwerdeführerin (Einsprechende) im Kontext der Hilfsanträge auf den Grundsatz des Verschlechterungsverbots (reformatio in peius) verwiesen.
VII. Am 30. Juni 2020 hat eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer in Abwesenheit der Beschwerdeführerin, die ihren Antrag auf mündliche Verhandlung mit Schreiben vom 5. Juni 2020 zurückgezogen hatte, stattgefunden. Im Laufe der mündlichen Verhandlung hat die Beschwerdegegnerin ihre bisherigen Hilfsanträge zurückgenommen und neue Hilfsanträge 1 bis 3 eingereicht.
VIII. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde (Hauptantrag), hilfsweise die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent in geänderter Fassung auf der Grundlage der in der mündlichen Verhandlung eingereichten Ansprüche der Hilfsanträge 1 bis 3 aufrechtzuerhalten.
IX. Diese Entscheidung nimmt Bezug auf folgende Druckschriften aus dem Einspruchsverfahren:
D1 |DE 197 26 643 C1; |
D2 |US 2005/0007412 A1;|
D4 |US 5 949 448; |
D10|US 5 366 305. |
X. Der unabhängige Anspruch 1 des Hauptantrags hat folgenden Wortlaut (die von der Kammer verwendete Merkmalsgliederung ist in eckigen Klammern angegeben):
"Tintendruckgerät mit einem Chassis und einer an diesem schwenkbar gelagerten Druckkopfaufnahme (12) [M1.0], einer Wartungsstation (3), die Wischelemente (1311) aufweist [M1.1], und einer Tintenaufnahmemittel (4) umfassenden Vorrichtung (14) zur Reinigung der Wischelemente (1311) [M1.2], wobei das Tintenaufnahmemittel (4) am Chassis des Tintendruckgerätes an einer Stelle angeordnet ist, an welcher die mindestens in eine Richtung verfahrbare Wartungsstation (3) vorbeibewegbar ist [M1.3], wobei ferner mittels der Wischelemente (1311) während der Vorbeibewegung Tinte an das Tintenaufnahmemittel (4) abgebbar ist [M1.4], und wobei die Tinte passiv im Inneren des Tintenaufnahmemittels (4) aufnehmbar ist [M1.5]."
XI. Im Vergleich zu Anspruch 1 des Hauptantrags weist Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 folgende Änderung in Merkmal M1.3 auf:
"wobei das Tintenaufnahmemittel (4) am Chassis des Tintendruckgerätes zwischen der Wartungsstation (3) und der Druckkopfaufnahme (12) im hinteren Teil des Tintendruckgerätes an einer Stelle angeordnet ist, an welcher die mindestens in eine Richtung verfahrbare Wartungsstation (3) vorbeibewegbar ist".
XII. In Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 wurden im Vergleich zum Hilfsantrag 1 die Merkmale M1.1 und M1.5 folgendermaßen geändert:
"einer Wartungsstation (3), die eine Reinigungs- und Dichtstation (13) ist und die Wischelemente (1311) aufweist"
"und wobei die Tinte passiv im Inneren des Tintenaufnahmemittels (4) aufnehmbar ist, das eine Schwammbaugruppe (1.4) ist, bestehend aus einem Schwammhalter (14), einem Schwammkörper 142) und einem Halteblech (144), wobei der Schwammkörper die Tinte durch Aufsaugen aufgrund des an sich bekannten Kapillareffektes bindet".
XIII. Die Beschwerdeführerin hat im schriftlichen Verfahren im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:
Hauptantrag
a) Zu dem Bezugsdokument D10
Hinsichtlich der Anordnung und der Bewegung der Druckkopfaufnahme nehme die Druckschrift D4 Bezug auf die Druckschrift D10, deren Inhalt somit in die Offenbarung der Druckschrift D4 eingebunden sei.
b) Zu dem Merkmal M1.0
Der aus der Druckschrift D10 bekannte Druckwagen könne sich um die Achse A drehen. Er weise zwar eine Stützrolle auf, die entlang einer bodenseitigen Stützschiene laufe und so eine Drehung im Gegenuhrzeigersinn verhindere. Allerdings sei der Druckwagen im Uhrzeigersinn schwenkbar gelagert. Eine solche Anordnung sei dem Fachmann geläufig, insbesondere um die beim Wischen der Druckdüsen auftretenden Spannungen zu begrenzen. Außer der Stützschiene im Bezugsdokument D10 enthalte die Druckschrift D4 keinerlei Maßnahme, die eine Drehbewegung der Druckkopfaufnahme verhindern würde. Im Gegenteil, der Fachmann würde beim Lesen der Druckschrift D4 sofort in Erwägung ziehen, die Druckkopfaufnahme zu verschwenken, damit die Tintenpatrone ersetzt und die Druckköpfe gereinigt werden können.
c) Zu den Merkmalen M1.3, M1.4 und M1.5
Figuren 4 und 5 der Druckschrift D4 zeigten eindeutig die Bewegung der Wartungsstation gegenüber dem passiven, an der Abstreifleiste 166 angeordneten Tintenaufnahmemittel 175. Die Wischlippen übertrügen die Tinte an das Tintenaufnahmemittel während der Vorbeibewegung des Schlittens 120. Auch die Ausführungsformen nach den Figuren 6, 7 und 8 zeigten die Merkmale.
Das Tintenaufnahmemittel sei über die Abstreifleiste, die Haube 110 und das Basisteil 102 fest mit dem Chassis verbunden.
Zulassung der Hilfsanträge
Die Änderungen in Merkmal M1.3 würden keine klare Abgrenzung des beanspruchten Gegenstands gegenüber dem vorliegenden Stand der Technik ermöglichen. Sie könnten daher nicht als Versuch gewertet werden, einen Einspruchsgrund zu beheben. Die Hilfsanträge seien nach Regel 80 EPÜ zu beanstanden.
Hilfsantrag 1
Die Änderung in Anspruch 1 in Bezug auf die Anordnung "im hinteren Teil" solle breit ausgelegt werden. In der Darstellung gemäß Figur 1 der Druckschrift D4 umfasse der hintere Bereich des Tintendruckgerätes alle hinter dem Papierausgabefach 32 angeordneten Teile, inklusive der Wartungsstation und des Tintenaufnahmemittels.
Die Auslegung von "zwischen der Wartungsstation (3) und der Druckkopfaufnahme (12)" werde durch Figur 2a der Patentschrift veranschaulicht. Dementsprechend sei das Merkmal so zu verstehen, dass das Tintenaufnahmemittel nur in einer von der Druckkopfaufnahme entfernten Position der Wartungsstation in einer seitlichen Ansichtsebene senkrecht zur Schwenkachse zwischen Wartungsstation und Druckkopfaufnahme angeordnet sei. Solches sei auch in den Figuren 3 bis 5 der Druckschrift D4 offenbart. Einerseits liege die Wartungsstation mit den Wischlippen 128, 130 zwischen dem Tintenaufnahmemittel 172, 175 und dem Auffangbehälter 48, andererseits sei die Druckkopfaufnahme auf der gegenüberliegenden Seite der Tintenaufnahmemittel, nämlich oben rechts in den Figuren 4 und 5, angeordnet.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei daher nicht neu.
Hilfsantrag 2
Sollte sich herausstellen, dass der Fachmann außerstande sei, das Merkmal M1.0 unmittelbar aus der Offenbarung D4 in Verbindung mit der Offenbarung D10 herzuleiten, dann liege ein Verstoß gegen Artikel 123 (2) EPÜ vor.
In Anspruch 1 fehlten strukturelle Merkmale hinsichtlich der Dichtfunktion. Folglich definiere der Begriff "Dichtstation" ein zu erreichendes Ergebnis, das gegen die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ verstoße.
In Bezug auf das geänderte Merkmal M1.5 werde auf Spalte 3, Zeilen 18 bis 21 und auf Figur 3 der Druckschrift D1, wonach die Einzelheiten für den Ersatz von absorbierendem Material in einer Wartungsstation naheliegend seien, verwiesen. Ausgehend von der Druckschrift D4 würde der Fachmann, vor die Aufgabe gestellt, das absorbierende Material einfacher auszutauschen, die technische Lehre der Druckschrift D1 heranziehen, einen in einem Schwammhalter aufgenommenen Schwamm auszutauschen. Außerdem wäre es naheliegend, ein rahmenförmiges Halteblech an der Öffnung des Schwammhalters anzubringen, um den Schwamm in seinem Halter zu befestigen.
XIV. Die Beschwerdegegnerin hat im schriftlichen Verfahren und in der mündlichen Verhandlung im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:
Hauptantrag
a) Zu dem Bezugsdokument D10
Die Druckschrift D10 sei nicht Teil der Offenbarung der Druckschrift D4. Bei der Neuheitsprüfung kombiniere der Fachmann keine Dokumente, sondern er betrachte nur den Inhalt eines einzigen Dokuments.
b) Zu dem Merkmal M1.0
Das Merkmal M1.0 sei nicht in der Druckschrift D4 offenbart. Eine Schwenkbarkeit der Druckkopfaufnahme sei in dem Dokument nicht erwähnt. Etwas schwenkbares lasse sich um eine Achse drehen und in eine andere Lage oder Position bringen. Die in Figur 1 gezeigte Druckkopfaufnahme 40 sei innerhalb des Druckers so angeordnet, dass sie sich nur linear entlang der Führungsschiene 38 bewegen lasse. Durch die Anordnung der Druckkopfaufnahme 40 in dem Gehäuse 22, 24 sowie durch ihre unmittelbare Nähe zu weiteren Baueinheiten, wie beispielsweise der gezeigten Steuereinheit 36, sei es unmöglich, die Druckkopfaufnahme aus ihrer in Figur 1 gezeigten Position zu schwenken. Auch wenn die Anordnung nach der Druckschrift D4 die Drehung der Druckkopfaufnahme um einen minimalen Winkel, zum Beispiel 1°, ermöglichte, bedeute dies noch nicht, dass das Merkmal M1.0 offenbart sei. Außerdem vertrüge sich ein Antrieb mit Endlosriemen nicht mit größeren Verschwenkwinkeln der Druckkopfaufnahme. Auch in Verbindung mit der Druckschrift D10 offenbare die Druckschrift D4 das Merkmal nicht. Ein Verschwenken der Druckkopfaufnahme sei in der Druckschrift D10 weder beschrieben noch implizit offenbart. Zwar könne ein gewisses Spiel um die Längsachse der Führungsschiene vorliegen, das könne jedoch nicht mit einer Schwenkbarkeit der Druckkopfaufnahme gleichgestellt werden. Aus der Spalte 1, Zeilen 57 bis 59 der Druckschrift D10 erhalte der Leser die eindeutige Lehre, dass eine Drehung der Druckkopfaufnahme um die Führungsschiene R nicht beabsichtigt sei.
c) Zu den Merkmalen M1.3, M1.4 und M1.5
Die mit den Bezugszeichen 45 in Figur 1 und 100 in Figur 2 bezeichnete Wartungsstation gemäß Druckschrift D4 sei nicht verfahrbar bzw. vorbeibewegbar im Sinne von Merkmal M1.3. Das Basisteil 102 und der an diesem mit Hilfe eines Schnappverschlusses verbundene Deckel 110 seien nämlich fest mit dem Chassis verbunden.
Als Tintenaufnahmemittel diene das behälterförmige Basisteil 102, das die herunterfallende Tinte auffange. Die Abstreifleiste 166, dagegen, könne nicht als Tintenaufnahmemittel betrachtet werden. Die an der Unterseite der Abstreifleiste angeordnete Bürste sauge zwar durch die Kapillarwirkung zwischen den Borsten bzw. Fasern Tinte von den Wischelementen ab, gleichzeitig werde die so gebundene Tinte aber wieder aus der Bürste ausgequetscht, sodass sie nach unten in den Sammelbehälter falle und nicht im Inneren der Bürste aufgenommen werde. Wenngleich die optionale Absorptionsschicht 175 Tinte aufnehmen könnte, bestehe kein direkter Kontakt mit den Wischlippen, sodass die Tinte nicht im Sinne von Merkmal M1.4 während der Vorbeibewegung an die Absorptionsschicht abgebbar sei.
Ferner sei die Abstreifleiste 166 selbst dann, wenn man sie als Tintenaufnahmemittel auffasste, nicht am Chassis des Tintendruckgerätes sondern am Deckel der Wartungsstation befestigt.
Zulassung der Hilfsanträge
Das in den mit der Beschwerdeerwiderung eingereichten Hilfsanträgen gestrichene Merkmal "schwenkbar gelagert" werde wieder in den Anspruch 1 aufgenommen, sodass die Verschiebung des Anspruchsgegenstands beseitigt sei und kein Verstoß gegen das Verschlechterungsverbot mehr vorliege. Dies sei eine direkte Reaktion auf den erst mit Schreiben vom 29. Mai 2020 von der Beschwerdeführerin vorgetragenen Einwand.
Hilfsantrag 1
Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 umfasse jetzt die
Merkmale des erteilten Anspruchs 2, wonach die Position des Tintenaufnahmemittels klargestellt werde, was zur kompakten Ausführung des Tintendruckgerätes beitrage. Das Tintenaufnahmemittel gemäß der Druckschrift D4 hingegen liege nicht zwischen der Wartungsstation und der Druckkopfaufnahme, sondern seitlich davor. Obgleich sich die Ebene der Druckkopfaufnahme oberhalb der Bürste befinde, die sich ihrerseits oberhalb der Wischlippe befinde, und die Wartungsstation eine Position aufweise, wo sich das Tintenaufnahmemittel zwischen der Druckkopfaufnahme und der Wartungsstation befinde, sei das beanspruchte Erfordernis der Druckschrift D4 nicht zu entnehmen.
Hilfsantrag 2
Im Gegensatz zur Ausführungsform gemäß Druckschrift D2 solle das in Hilfsantrag 2 beanspruchte Tintendruckgerät jetzt eine Reinigungs- und Dichtfunktion aufweisen. Ferner werde der Aufbau des Tintenaufnahmemittels in Merkmal M1.5 näher erläutert. Dank dieses Aufbaus als Schwammbaugruppe mit einem in einem Schwammhalter gehaltenen Schwammkörper könne dieser auf einfache Weise ausgetauscht werden, wenn seine Aufnahmekapazitäten für Tinte erschöpft seien.
Aus der den nächstkommenden Stand der Technik bildenden Druckschrift D4 gehe weder hervor, dass die Borsten in einer Art Halter aufgenommen sind, der austauschbar sei, noch gebe es eine Veranlassung, den schon vorgesehenen Schwamm zu ersetzen. In der aus der Druckschrift D1 bekannten Lösung werde ein Schwamm an der linken Seite der Druckkopfaufnahme neben den Düsen gehalten und die Wischlippe bewege sich von rechts nach links. Ausgehend von der Druckschrift D4 würde der Fachmann die Druckschrift D1 nicht heranziehen, um die Aufgabe, eine einfach austauschbare Reinigungsanordnung zu finden, die eine kompakte Bauweise ermögliche, zu lösen. Selbst wenn er das täte, wäre der Fachmann veranlasst, den gewissermaßen schon vorhandenen Schwamm 175 neben den Düsen auf der linken Seite der aus der Druckschrift D4 bekannten Druckkopfaufnahme 40 anzuordnen. Das würde aber dazu führen, dass das Tintenaufnahmemittel, wie in der Druckschrift D1, verschwenkbar um eine Achse und nicht am Chassis angeordnet wäre. Der Wortlaut des Merkmals M1.5 "bestehend aus" lasse keine weiteren Elemente zu, d.h. die in der Druckschrift D4 zusammen mit dem Schwamm vorgesehenen Borsten könnten nicht zu der Schwammbaugruppe gehören, müssten demnach bei einer Kombination der Druckschriften D4 und D1 weggelassen werden.
1. Hauptantrag
1.1 Neuheit
In der angefochtenen Entscheidung hat die Einspruchsabteilung die Neuheit des Gegenstands von Anspruch 1 des der aufrechterhaltenen Fassung entsprechenden Hauptantrags damit begründet, dass das Merkmal M1.0 nicht in der Druckschrift D4 und der darin als Bezugsdokument enthaltenen Druckschrift D10 offenbart sei. Außerdem seien die in den Merkmalen M1.3 und M1.4 beanspruchten Eigenschaften "vorbeibewegbar" bzw. "Vorbeibewegung" der Druckschrift D4 nicht zu entnehmen.
a) Bezugsdokument D10
Bei der Prüfung der Neuheit ist der Vergleich des beanspruchten Gegenstands grundsätzlich jeweils nur mit einem einzigen Stück des Stands der Technik als Ganzes vorzunehmen. Nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern kann bei richtiger Auslegung einer ersten Entgegenhaltung, die eine ausdrückliche und spezifische Bezugnahme auf eine zweite Entgegenhaltung enthält, die Offenbarung dieses zweiten Dokuments ganz oder teilweise als Bestandteil der Offenbarung des Hauptdokuments angesehen werden (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 9. Auflage 2019, I.C.5.1).
Im vorliegenden Fall beschreibt das Hauptdokument D4 ein Tintendruckgerät mit einer Druckkopfaufnahme und einer Wartungsstation. Bezüglich der Lagerung der Druckkopfaufnahme (des sogenannten "carriage support system") wird in der Spalte 4, Zeilen 48 bis 54 ausdrücklich auf die Druckschrift D10 verwiesen. Die Kammer kommt daher zum Schluss, dass die im Bezugsdokument D10 beschriebene Druckwagenlagerung durch diesen ausdrücklichen Hinweis in die Offenbarung der Druckschrift D4 einbezogen worden ist.
b) Merkmal M1.0
Das Merkmal M1.0 verlangt, dass das Tintendruckgerät eine am Chassis schwenkbar gelagerte Druckkopfaufnahme aufweist. Dazu reicht es, wenn die Druckkopfaufnahme in einem bestimmten Winkelbereich gegenüber dem Chassis drehbar bewegt werden kann. Entscheidend ist dabei nicht, ob eine Drehung der Druckkopfaufnahme in dem Tintendruckgerät beabsichtigt ist, sondern ob sie durch den Aufbau des Geräts ermöglicht wird.
In Figur 1 der Druckschrift D4 ist eine an beiden Enden mit dem Chassis 22 verbundene Querschiene 38 im Inneren eines herkömmlichen Tintendruckgerätes dargestellt, entlang der ein Tintendruckwagen bzw. eine Druckkopfaufnahme 40 mit zwei Tintenpatronen 50, 52 und zwei Druckköpfen 54, 56 axial geführt ist (Spalte 4, Zeilen 48 bis 51). Die Besonderheiten des Wagensystems sind in der Druckschrift D4 nicht erwähnt, sie werden aber in der als Bestandteil deren Offenbarung angesehenen Druckschrift D10 näher beschrieben. Die in den Figuren 1 und 3 dieser Druckschrift D10 dargestellte Druckkopfaufnahme 10 weist Gleitlager 12, 14 auf, die eine Führungsschiene R mit kreisförmigem Querschnitt umgreifen. Laut Spalte 1, Zeilen 16 bis 32 vermeiden die im Vergleich zu einer herkömmlichen, in Figur 2 gezeigten Lagerung abgeflachten Kontaktoberflächen 12c und 12d unerwünschte Vorwärts- oder Rückwärtsbewegungen der Druckkopfaufnahme ("undesirable and uncontrollable fore and aft movement of the carriage"). Eine Kippbewegung der Druckkopfaufnahme um die Schiene ist aber technisch gesehen durchaus möglich. Daraus schließt die Kammer, dass sowohl die Druckkopfaufnahme 10 nach der Druckschrift D10 als die Druckkopfaufnahme 40 nach der Druckschrift D4 am Chassis schwenkbar gelagert sind.
Das Argument der Beschwerdegegnerin, dass die in Spalte 1, Zeilen 57 bis 59 der Druckschrift D10 erwähnte Stützrolle das Merkmal M1.0 ausschließe, ist nicht überzeugend. Die Kammer teilt hingegen die Auffassung der Beschwerdeführerin, dass diese Stützrolle gerade ein starkes Indiz dafür ist, dass die Druckkopfaufnahme 10 schwenkbar um die Achse A der Führungsschiene R angeordnet ist, denn die vordere in Figur 1 gezeigte Abstützung dient als Reaktion gegen das durch die Tintenpatronen hervorgerufene Drehmoment um die Achse (Spalte 1, Zeilen 57 and 58: "the carriage is supported against rotation around the rail"). Ausweislich der Darstellungen in Figur 1 beider Druckschriften D4 und D10 wird eine Schwenkbewegung in entgegengesetzter Richtung außer durch das umgebende Gehäuse in keinerlei Weise verhindert. Daraus folgt unmittelbar, dass nicht nur die Druckkopfaufnahme 10 nach der Druckschrift D10 sondern auch die Druckkopfaufnahme 40 nach der Druckschrift D4, wenn auch nur um einen beschränkten Winkel, nach oben verschwenkt werden kann.
An dieser Schlussfolgerung ändert nach Auffassung der Kammer nichts, dass die in der Druckschrift D4 offenbarte Druckkopfaufnahme, wie in Spalte 4, Zeilen 57 bis 61 beschrieben, über einen Endlosriemen angetrieben wird. Der Endlosriemen eines Tintendruckgerätes ist in der Regel ein flexibles Antriebselement, das nicht geeignet wäre, eine Druckkopfaufnahme in einer festen Winkelstellung gegenüber der Führungsschiene zu verriegeln. Die in dieser Hinsicht geäußerten Zweifel der Beschwerdegegnerin sind somit nicht überzeugend.
c) Merkmale M1.3, M1.4 und M1.5
Die Kammer ist der Auffassung, dass der Schlitten 120 als Wartungsstation im Sinne von Anspruch 1 zu verstehen ist. In der Beschreibung der Druckschrift D4 wird zwar die komplette, in Figur 2 dargestellte Einheit 100 als Wartungsstationssystem ("service station system") bezeichnet. Die Beschwerdegegnerin hat allerdings keine stichhaltigen Gründe vorgebracht, weshalb das bewegende Teil 120 dieser Einheit mit den Wischelementen 128, 130, 132, 134 und den Dichtkappen 154, 156 nicht als Wartungsstation betrachtet werden kann. Angetrieben von einem Motor 105 und von Zahnrädern 106, 108, 114, 118 ist die Wartungsstation gemäß Merkmal M1.3 in eine Längsrichtung 122 verfahrbar (siehe Figur 2 und Spalte 5, Zeile 66 bis Spalte 6, Zeile 22).
Zum Reinigen der am Schlitten 120 befestigten Wischelemente sind, wie die Figuren 4 bis 7 der Druckschrift D4 zeigen, mehrere Borsten 172 bzw. Fasern 182 über eine absorbierende Schicht 175 an einer Abstreifleiste 166 aufgehängt. Beim Kontakt mit den sich vorbeibewegenden Wischlippen werden flüssige Tintenrückstände durch den Kapillareffekt zwischen die Borsten aufgesaugt und von der absorbierenden Schicht 175 passiv aufgenommen (siehe Spalte 10, Zeilen 38 bis 44). Das vorveröffentlichte Tintendruckgerät weist daher ein Tintenaufnahmemittel 175 auf, an das mittels der Wischelemente während der Vorbeibewegung Tinte abgebbar ist, wobei die Tinte passiv im Inneren des Tintenaufnahmemittels aufnehmbar ist (Merkmale M1.4 und M1.5).
In diesem Zusammenhang argumentierte die Beschwerdegegnerin, dass die Tinte wieder ausgequetscht werde, sodass sie nicht im Inneren der Bürste aufgenommen werde. Das Argument kann die Kammer nur teilweise überzeugen. Es stimmt, dass ein Teil der von den Borsten aufgesaugten Tinte, wie aus Spalte 10, Zeilen 34 bis 37 hervorgeht, durch den von den Wischlippen aufgebauten Druck wieder ausgestoßen wird. Andererseits besteht die Funktion der Absorptionsschicht 175 gerade darin, zumindest einen Teil der von den Borsten aufgesaugten Tinte aufzunehmen (siehe auch Pfeil 174 in Figur 6 und Spalte 11, Zeilen 55 bis 60). Außerdem bringt die Darstellung in den Figuren 4 und 5 zum Ausdruck, dass die Absorptionsschicht während der Vorbeibewegung in Kontakt mit den Wischlippen kommt, sodass ein Teil der im oberen Teil der Wischlippe befindlichen Tinte 164 direkt und ohne die zeitliche Verzögerung des Kapillartransports an die Absorptionsschicht abgegeben wird.
Bezüglich der in Merkmal M1.3 festgelegten Anordnung des Tintenaufnahmemittels schließt sich die Kammer der Auffassung der Beschwerdeführerin an, dass auch eine indirekte Verbindung zwischen der Absorptionsschicht und dem Chassis bedeutet, dass erstere am Chassis des Tintendruckgerätes befestigt ist. Diese Auffassung wird mit der Erkenntnis untermauert, dass auch das Tintenaufnahmemittel in der Ausführungsform gemäß Figur 5 der Patentschrift indirekt mit der Seitenwand 101 des Chassis verbunden ist.
1.2 Ergebnis
Aus vorstehenden Gründen kommt die Kammer zum Schluss, dass der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags durch die Druckschrift D4 neuheitsschädlich vorweggenommen ist (Artikel 54 (1) und (2) EPÜ).
Dem Hauptantrag kann somit nicht stattgegeben werden. Die angefochtene Entscheidung ist aufzuheben.
2. Zulassung der Hilfsanträge 1 und 2
2.1 Die vorliegenden Hilfsanträge 1 und 2 wurden im Laufe der mündlichen Verhandlung vom 30. Juni 2020 eingereicht. Da die Ladung zur mündlichen Verhandlung am 20. November 2019 und damit vor dem Inkrafttreten der revidierten Fassung der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK 2020) am 1. Januar 2020 zugestellt wurde, war gemäß Artikel 25 (1) und (3) VOBK 2020 für Fragen der Änderung des Beschwerdevorbringens eines Beteiligten nicht Artikel 13 (2) VOBK 2020, sondern Artikel 13 VOBK 2007 anzuwenden.
2.2 Die Bestimmungen von Artikel 13 (1) VOBK 2007 sehen vor, dass Änderungen des Vorbringens eines Beteiligten nach Einreichung seiner Beschwerdebegründung oder Erwiderung nur dann im Verfahren Berücksichtigung finden, wenn sie von der Kammer in Ausübung ihres pflichtgemäßen Ermessens zugelassen werden. Bei der Ausübung des Ermessens werden insbesondere die Komplexität des neuen Vorbringens, der Stand des Verfahrens und die gebotene Verfahrensökonomie berücksichtigt. Artikel 13 (3) VOBK 2007 ergänzt, dass Änderungen des Vorbringens nach Anberaumung der mündlichen Verhandlung nicht zugelassen werden, wenn sie Fragen aufwerfen, deren Behandlung der Kammer oder den anderen Beteiligten ohne Verlegung der mündlichen Verhandlung nicht zuzumuten ist.
2.3 Die in Artikel 13 (1) VOBK 2007 beispielhaft aufgezählten Kriterien für die Ermessensausübung stellen allerdings keine abschließenden Voraussetzungen dar, die kumulativ erfüllt sein müssen. Andere Überlegungen und etablierte, für die Frage der Zulässigkeit relevante Kriterien können berücksichtigt werden, wie unter anderem der Grund für die Änderungen sowie deren Umfang. Die Kammern lassen im Allgemeinen Änderungen zu, wenn sie in Erwiderung auf Einwände oder Beweismittel eingereicht werden, die nicht Teil der angefochtenen Entscheidung sind, sondern erstmals im Beschwerdeverfahren vorgebracht wurden (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 9. Auflage 2019, V.A.4.12 und V.A.4.13).
2.4 Offen bleiben kann in diesem Fall im Übrigen die Frage, ob zusätzlich Artikel 13 (1) VOBK 2020 Anwendung findet und die dort angegebenen Kriterien zusätzlich zu den Kriterien, die bei der Ermessensausübung nach Artikel 13 VOBK 2007 berücksichtigt werden können, heranzuziehen sind (siehe T 584/17, Punkte 1.2.7 bis 1.2.11 der Entscheidungsgründe, und T 989/15, Punkt 16 der Entscheidungsgründe), da die in Artikel 13 (1) VOBK 2020 angegebenen Kriterien vorliegend ebenfalls erfüllt sind (siehe hierzu die Punkte 2.6 und 2.7 unten).
2.5 Im vorliegenden Fall wurde der Anspruch 1 der vorliegenden Hilfsanträge 1 bzw. 2 gegenüber den mit der Beschwerdeerwiderung eingereichten und in der mündlichen Verhandlung zurückgenommenen Hilfsanträgen 2 und 3 folgendermaßen geändert:
"Tintendruckgerät mit einem Chassis und einer an diesem schwenkbar gelagerten Druckkopfaufnahme (12)[deleted: , die zwischen zwei Seitenwänden des Chassis schwenkbar angeordnet ist], ...".
2.6 Die Kammer ist der Auffassung, dass diese Änderungen als eine in sachlicher und zeitlicher Hinsicht angemessene Reaktion auf den von der Beschwerdeführerin erstmals in ihrem Schreiben vom 29. Mai 2020 vorgebrachten Hinweis auf einen Verstoß gegen das Verschlechterungsverbot (reformatio in peius) im Sinne der Entscheidungen G 9/92 und G 4/93 (ABl. EPA 1994, 875) zu werten sind. Nach diesen Entscheidungen der Großen Beschwerdekammer ist der Patentinhaber, wenn er keine Beschwerde gegen eine Zwischenentscheidung über die Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang erhoben hat, als Verfahrensbeteiligter nach Artikel 107 Satz 2 EPÜ primär darauf beschränkt, das Patent in dieser Fassung zu verteidigen.
Die Beschwerdeführerin hatte zwar bereits im Schreiben vom 30. Januar 2017 in Antwort auf die Beschwerdeerwiderung angegeben, dass durch die Streichung von "an diesem schwenkbar gelagerten" in Merkmal M1.0 ein aliud geschaffen worden sei. Daran war aber seitens der Beschwerdeführerin kein konkreter Einwand geknüpft worden.
2.7 Für die Kammer ist auch sofort und ohne größeren Ermittlungsaufwand ersichtlich, dass die Änderungen den aufgeworfenen Fragen erfolgreich Rechnung tragen, ohne ihrerseits neue Fragen aufzuwerfen (siehe ibid., V.A.4.5.1.b). Durch die Hinzufügung von "an diesem schwenkbar gelagerten" und die Streichung von "die zwischen zwei Seitenwänden des Chassis schwenkbar angeordnet ist" hat die nicht beschwerdeführende Patentinhaberin für das besagte Merkmal die Formulierung der aufrechterhaltenen Fassung aufgegriffen und damit die behauptete Verschiebung des Schutzbereichs beseitigt. Die Zulassung der Hilfsanträge 1 und 2 kann daher die allein beschwerdeführende Einsprechende nicht schlechter stellen, als wenn sie keine Beschwerde eingelegt hätte.
2.8 Da sich die Hilfsanträge 1 und 2 von den mit der Beschwerdeerwiderung eingereichten Hilfsanträgen 2 bzw. 3 nur durch die genannten Änderungen unterscheiden, ist deren Behandlung der Kammer ohne weiteres zuzumuten.
Auch hat die Beschwerdeführerin durchaus mit Änderungen der Ansprüche in der mündlichen Verhandlung, an welcher sie nicht teilnahm, rechnen müssen. Dies trifft insbesondere deshalb zu, weil die Beschwerdegegnerin damit auf Einwände reagiert hat, die die Beschwerdeführerin erstmals kurz vor der mündlichen Verhandlung erhoben hatte. Die Abwesenheit der ordnungsgemäß geladenen Beschwerdeführerin ist zwar ein Faktor, der berücksichtigt werden soll, allerdings für sich genommen nicht als Grund dafür dienen kann, die neuen Anträge der Beschwerdegegnerin nicht zum Verfahren zuzulassen und darüber nicht zu entscheiden (ibid., V.A.4.5.3.b).
In diesem Zusammenhang stellt die Kammer auch fest, dass die Anwendung des Artikels 15 (3) VOBK 2020, wonach die Kammer nicht verpflichtet ist, einen Verfahrensschritt einschließlich ihrer Entscheidung aufzuschieben, nur weil ein ordnungsgemäß geladener Beteiligter in der mündlichen Verhandlung nicht anwesend ist, unter den vorliegenden Umständen nicht den Grundsatz des rechtlichen Gehörs nach Artikel 113 (1) EPÜ verletzt. Die in den Hilfsanträgen 1 und 2 enthaltenen Änderungen greifen die Formulierung der aufrechterhaltenen Fassung des Patents auf und ändern nichts an den in der angefochtenen Entscheidung und in der Beschwerdeerwiderung vorgebrachten Hauptdiskussionspunkten, nämlich fehlende Neuheit und mangelnde erfinderische Tätigkeit.
2.9 Außerdem kann sich die Kammer dem Einwand der Beschwerdeführerin, dass die Änderung "im hinteren Teil" in Merkmal M1.3 keine deutliche Abgrenzung vom Stand der Technik darstelle und die Hilfsanträge folglich unter Regel 80 EPÜ nicht zuzulassen seien, nicht anschließen.
In Übereinstimmung mit T 750/11 (Punkt 2.3.2 der Entscheidungsgründe) ist die Kammer der Auffassung, dass eine Änderung nach Regel 80 EPÜ dann formal zulässig ist, wenn sie als ernsthafter Versuch zu werten ist, einem Einspruchsgrund zu begegnen. Ob die einschränkende Änderung tatsächlich einen geltend gemachten Einspruchsgrund behebt, ist eine Frage, die erst bei der materiellrechtlichen Prüfung zu klären ist.
Die im unabhängigen Anspruch 1 beider Hilfsanträge 1 und 2 im Vergleich zur aufrechterhaltenen Fassung vorgenommenen Änderungen (siehe Punkt XI. bzw. Punkt XII.) schränken sowohl durch die Angabe der relativen Position des Tintenaufnahmemittels als auch durch die Hinzufügung der Schwammbaugruppe den Schutzgegenstand ein.
Deshalb sind die Änderungen durch einen Einspruchsgrund nach Artikel 100 EPÜ veranlasst und somit unter Regel 80 EPÜ nicht zu beanstanden.
2.10 Vor diesem Hintergrund sieht die Kammer keinen Grund, die neuen Anträge nicht im Beschwerdeverfahren zu berücksichtigen. Sie übt deshalb ihr Ermessen dahingehend aus, die Hilfsanträge 1 und 2 zuzulassen (Artikel 13 (1) und (3) VOBK 2007).
3. Hilfsantrag 1
3.1 Bei der Beurteilung der Neuheit ist zwischen den Beteiligten streitig, ob das geänderte Merkmal M1.3 (siehe Punkt XI.) aus der Druckschrift D4 bekannt ist.
a) "zwischen der Wartungsstation (3) und der Druckkopfaufnahme (12)"
Für die Frage, wie das aus der Druckschrift D4 bekannte Tintenaufnahmemittel 175 im Vergleich zu der Druckkopfaufnahme 40 und der Wartungsstation 120 positioniert ist, spielt der Bewegungsablauf der Wartungsstation eine entscheidende Rolle. Die in Figur 3 der Druckschrift D4 abgebildete Vorderansicht zeigt, dass die Wischelemente 125, 126 hinter dem im vorderen Wartungsbereich angeordneten Tintenaufnahmemittel 175 über die jeweiligen Druckköpfen 54, 56 gleiten. Nachdem die Wartungsstation sich weiter vorwärts bewegt hat, streifen die Wischelemente in dem in Figur 4 veranschaulichten Reinigungsvorgang unten an dem Tintenaufnahmemittel 175 vorbei und erreichen dabei eine Position, in der sie, ähnlich wie die Wischelemente in Figur 2b des Streitpatents, im Vergleich zu der Druckkopfaufnahme auf der gegenüberliegenden Seite des Tintenaufnahmemittels liegen.
Daraus schließt die Kammer, dass auch das herkömmliche Tintendruckgerät ein Tintenaufnahmemittel aufweist, das zwischen der Wartungsstation und der Druckkopfaufnahme liegt.
b) "im hinteren Teil des Tintendruckgerätes"
Im vorliegenden Fall hält es die Kammer für zweckmäßig, den Wortlaut "im hinteren Teil" breit auszulegen. Mangels detaillierter Angaben, die eine deutliche Trennung zwischen dem vorderem und dem hinterem Teil des Tintendruckgerätes ermöglichen, schließt sich die Kammer der Auffassung der Beschwerdeführerin an, dass alle hinter dem Papierausgabefach 32 des in der Druckschrift D4 abgebildeten Druckgeräts befindlichen Teile, inklusive der Wartungsstation und des Tintenaufnahmemittels, im hinteren Teil angeordnet sind.
3.2 Ergebnis
Folglich ist auch der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 nicht neu (Artikel 54 (1) und (2) EPÜ).
4. Hilfsantrag 2
4.1 Änderungen
Die Beschwerdeführerin hat bereits mit der Beschwerdebegründung einen Einwand der unzulässigen Erweiterung in Bezug auf das Merkmal M1.0 vorgebracht für den Fall, dass die Kammer den Fachmann außerstande erachte, das Merkmal M1.0 unmittelbar aus der Offenbarung D4 in Verbindung mit der Offenbarung D10 herzuleiten.
Da die Kammer in Punkt 1.1 zum Schluss gekommen ist, dass die Druckschrift D4 in Verbindung mit der darin zitierten Druckschrift D10 das Merkmal M1.0 offenbart, besteht keine Notwendigkeit, auf diesen Einwand näher einzugehen.
Die Änderungen in den Merkmalen M1.3 und M1.5 sind wortwörtlich den ursprünglich eingereichten Ansprüchen 2 und 3 entnommen.
Daher ist festzustellen, dass der Gegenstand der Ansprüche gemäß Hilfsantrag 2 nicht über den Inhalt der Anmeldung in ihrer ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht (Artikel 123 (2) EPÜ).
4.2 Klarheit
Die Beschwerdeführerin hat geltend gemacht, dass
der Begriff "Dichtstation" mangels weiterer struktureller Merkmale einem zu erreichenden Ergebnis gleichkomme, was gegen die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ verstoße.
Der Klarheitseinwand betrifft ein Merkmal, das bereits in den erteilten Ansprüchen vorhanden war. Die Änderungen in Merkmal M1.1 stammen nämlich zusammen mit denjenigen in Merkmal M1.5 (siehe Punkt XII.) aus Anspruch 3 in der erteilten Fassung. In Anwendung der Entscheidung G 3/14 der Großen Beschwerdekammer (ABl. EPA 2015, A102) ist die Kammer nicht befugt, einen solchen Klarheitseinwand zu untersuchen.
4.3 Erfinderische Tätigkeit
Die Beteiligten sind sich einig, dass die Druckschrift D4 den nächstkommenden Stand der Technik bildet.
Die Kammer teilt diese Auffassung und stellt fest, dass die daraus bekannte Wartungsstation 120 nicht nur eine Reinigungsstation sondern auch eine Dichtstation in Form der am Schlitten vorgesehenen Dichtkappen 154, 156 aufweist.
Damit unterscheidet sich der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 vom bekannten Tintendruckgerät nach der Druckschrift D4, unter Berücksichtigung des Verweises auf den Inhalt des Bezugsdokuments D10, dadurch, dass das Tintenaufnahmemittel eine Schwammbaugruppe ist, bestehend aus einem Schwammhalter, einem Schwammkörper und einem Halteblech, wobei der Schwammkörper die Tinte durch Aufsaugen aufgrund des an sich bekannten Kapillareffektes bindet.
Sowohl die Beschwerdeführerin als die Beschwerdegegnerin formulieren die objektive technische Aufgabe dahingehend, dass das Tintenaufnahmemittel einfach austauschbar sein solle. Die Kammer sieht keinen Grund hiervon abzuweichen, zumal die Beschreibung der Schwammbaugruppe in Absatz [0009] des Patents ausdrücklich darauf hinweist, "dass das Schwammelement leicht wechselbar ist".
Die Beteiligten vertreten jedoch unterschiedliche Meinung hinsichtlich des Naheliegens des beanspruchten Gegenstands. Die Beschwerdeführerin verweist auf die Druckschrift D1, insbesondere Spalte 3, Zeilen 18 bis 21 und Figur 3, wonach Einzelheiten über die austauschbare Anordnung eines Schwammkörpers aus dem Stand der Technik bekannt seien. Aus Sicht der Beschwerdegegnerin jedoch würde der Fachmann ausgehend von der Druckschrift D4 die Druckschrift D1 nicht heranziehen.
Die Kammer stimmt der Beschwerdeführerin zu, dass die Problematik des einfachen Austausches von Tintenaufnahmemitteln in der Druckschrift D1 angesprochen wird (siehe dazu Spalte 2, Zeilen 27 bis 30 und Spalte 4, Zeilen 40 bis 42). Allerdings befasst sich diese Druckschrift mit Tintendruckgeräten, deren Aufbau und Funktion sich deutlich von denjenigen des in der Druckschrift D4 offenbarten Geräts unterscheidet. Eine entweder als Schwamm oder als Vlies ausgebildete saugfähige Füllung 222 ist ausweislich Figur 2 und Spalte 3, Zeilen 28 bis 31 in einem Hohlraum im axial ortsfest gelagerten Tintendruckkopf 2 eingebaut und dient der Reinigung einer einzigen Wischlippe 33, die in einer Querrichtung entlang der sonst ortsfest angeordneten Wartungsstation 3 verstellt wird.
Alleine schon aufgrund dieser erheblichen technischen Unterschiede bestehen ernsthafte Bedenken, ob der Fachmann beim Versuch, die objektive technische Aufgabe zu lösen, überhaupt einen Anlass gehabt hätte, ausgehend von dem nächstkommenden Stand der Technik die technische Lehre der Druckschrift D1 heranzuziehen.
Außerdem teilt die Kammer die Auffassung der Beschwerdegegnerin, dass die Kerngedanke der Druckschrift D4, anhand einer durch Borsten oder ineinander verschlungene Fasern gebildeten Faserstruktur ("fiber cleaning system") die Tintenreste von den Wischelementen zu reinigen, nur schwer mit der Lösung nach der Druckschrift D1 vereinbar ist. Lediglich eine rückschauende Betrachtungsweise, die unzulässigerweise von der Kenntnis der Erfindung Gebrauch macht, würde dazu führen, dass sich der Fachmann von der eigentlichen Lehre der Druckschrift D4 abwendet und das aus der Druckschrift D4 bekannte Tintendruckgerät dahingehend abwandelt, dass das absorbierende Material 175 und die Borsten 172 durch eine Schwammbaugruppe gemäß Merkmal M1.5 ersetzt werden.
Schließlich hat die Beschwerdeführerin nicht überzeugend dargelegt, aus welchem Grund es für den Fachmann bei der Zusammenschau der Druckschriften D4 und D1 auf der Hand läge, zum einfachen Austausch des Tintenaufnahmemittels zusätzlich ein Halteblech vorzusehen. Die Kammer kann zwar nachvollziehen, dass ein aus Blech hergestellter Halterahmen zum Zeitpunkt der Erfindung zum allgemeinen Wissensstand des Fachmanns gehörte. Es wurde jedoch nicht glaubhaft argumentiert, weshalb der Fachmann genau dieses Fachwissen zur Lösung der objektiven technischen Aufgabe zum Einsatz bringen würde.
4.4 Ergebnis
Der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 beruht im Hinblick auf die vorgelegten Beweismittel auf einer erfinderischen Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ).
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz zurückverwiesen mit der Anordnung, das Patent in geändertem Umfang in folgender Fassung aufrechtzuerhalten:
- Patentansprüche 1 bis 6, eingereicht in der mündlichen Verhandlung als Hilfsantrag 2;
- Beschreibung, Seiten 2 bis 4, eingereicht in der mündlichen Verhandlung; und
- Figuren 1 bis 5 der Patentschrift.