T 1332/18 (Anschlussmodul für Netzwerk/Yello NetCom Münster) 13-07-2022
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Anschlussmodul für ein Netzwerk, Verfahren zum Vernetzen von Räumen und Containersiedlung mit vernetzten Containern
Yello NetCom GmbH
Münster, Josef
I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das Patent zu widerrufen.
II. Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass der Einspruch zulässig und der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß dem Hauptantrag sowie gemäß dem Hilfsantrag 6 nicht neu sei. Die übrigen Hilfsanträge 1-5, 7 und 8 wurden hingegen nicht in das Verfahren zugelassen.
III. In ihrer Entscheidung führte die Einspruchsabteilung unter anderem die folgenden Dokumente auf:
E1|Nexans: "Nexans holt Gigabit-Ethernet an den Arbeitsplatz", 10. März 2008, XP002595111 |
E5|DAFÜR Gesellschaft für IT Systemtechnik: "ISABEL 1000TP - Einbau Switch für Kabelkanal oder Unterflur", 6. Mai 2008, XP002595110|
IV. Die Beschwerdeführer (Patentinhaber) beantragten die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung (Hauptantrag) oder auf der Grundlage eines der mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hilfsanträge 1-8.
Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.
Mit Schreiben vom 12. Oktober 2020 reichten die Beschwerdeführer weitere Argumente zur Frage der mangelnden Zulässigkeit des Einspruchs sowie hinsichtlich der Patentfähigkeit der bereits eingereichten Anträge ein.
V. In einer Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK teilte die Kammer ihre vorläufige Auffassung mit, dass der Einspruch zulässig und Anspruch 1 in der erteilten Fassung (Hauptantrag) nicht neu gegenüber Dokument E1 sei. Auch sei - sofern überhaupt zulässig - keiner der mit der Beschwerdebegründung eingereichten geänderten Hilfsanträge 1-8 gewährbar.
VI. Mit ihrem Schreiben vom 12. April 2021 reichten die Beschwerdeführer Hilfsanträge 9-11 ein und trugen weitere Argumente vor.
VII. Die Beschwerdegegnerin antwortete darauf mit Schreiben vom 16. November 2021.
VIII. Die mündliche Verhandlung fand am 13. Juli 2022 statt.
Die Beschwerdeführer beantragten, dass der Einspruch für unzulässig zu erklären und die angefochtene Entscheidung aufzuheben sei.
Die Beschwerdegegnerin beantragte die Bestätigung des Widerrufs des Patents.
1. Das Streitpatent betrifft ein Anschlussmodul zum Anschließen eines Clients an ein lokales und/oder globales Netz mit einem aufstellbaren oder aufhängbaren Gehäuse, das als länglicher Kabelkanal ausgebildet ist. Zweck ist das Vernetzen mobiler Räume, beispielsweise Messeständen oder Containersiedlungen.
2. Zulässigkeit des Einspruchs (Regel 76(2)c) EPÜ)
2.1 In der angefochtenen Entscheidung war die Einspruchsabteilung der Auffassung, dass "die 'Pauschal'-Behandlung des Oberbegriffs" akzeptiert werden könne, da "die relevanten Dokumente schon im Sachprüfungsverfahren ausführlich diskutiert wurden". Daher sei der Einspruch zulässig.
2.2 Argumente der Beschwerdeführer
2.2.1 Die Beschwerdeführer brachten vor, dass in der Einspruchsbegründung nicht dargelegt worden sei, wie die zitierten Dokumente die Merkmale des Oberbegriffs des Anspruchs 1 offenbarten. Somit erfülle der Einspruch nicht die in der Rechtssprechung etablierten Kriterien, siehe insbesondere Entscheidung T 0222/85. Gemäß diesen sei das Erfordernis, dass der Einspruchsschriftsatz unter anderem eine Angabe von Fakten, Beweisen und Argumenten zur Stützung eines Einspruchsgrunds enthalten müsse, nur erfüllt, wenn der Einspruchsschriftsatz ausreichend dafür sei, den Fall der Einsprechenden auf einer objektiven Basis korrekt zu verstehen. Dieses Verständnis müsse sich dabei unmittelbar aus dem Vortrag der Argumentation ergeben, ohne dass weitere Nachforschungen und darüber hinaus gehende Überlegungen erforderlich wären.
2.2.2 Demgegenüber hätte das Dokument E1 tatsächlich eine detaillierte Diskussion bereits seitens der Beschwerdegegnerin im Einspruch und eine Interpretation in Bezug auf die Merkmale der geltenden Anspruchsformulierung erfordert. Auch offenbare Dokument E1 verschiedene nicht miteinander in Verbindung stehende Ausführungsbeispiele. Im Übrigen hätte Dokument E1 im Prüfungsverfahren als nächstliegender Stand der Technik einer Erteilung nicht im Wege gestanden. Daher hätte die Einsprechende detaillierter erläutern müssen, weshalb man nun im Einspruchsverfahren zu einem anderen Ergebnis kommen müsse.
2.2.3 Somit seien die Einspruchsgründe nicht hinreichend substantiiert worden und der Einspruch daher nicht zulässig.
2.3 Argumente der Beschwerdegegnerin
2.3.1 Die Beschwerdegegnerin entgegnete, dass in der Einspruchsbegründung eine Bezeichnung der Tatsachen, Beweismittel und Argumente enthalten sei. Insbesondere sei das Dokument E1 (als Dokument D2) bereits während der Sachprüfung in hohem Maße diskutiert worden ("largely discussed with the Examining Division") und habe auch als Grundlage für die Formulierung der zweiteiligen Form des Anspruchs 1 gedient. Im Zuge dessen hätten die nunmehrigen Beschwerdeführer zugestanden, dass der Oberbegriff des Anspruchs 1 aus dem Dokument E1 bekannt sei. Da die Einspruchsbegründung sich auf diese übereinstimmende Feststellung der Prüfungsabteilung und der Beschwerdeführer stütze, erfülle diese die in der Rechtssprechung aufgestellten Kriterien.
2.3.2 Die Beschwerdegegnerin betonte, dass gemäß der Entscheidungen T 0222/85 und T 0002/89 die Patentinhaber und die Einspruchsabteilung durch die Einspruchsbegründung in die Lage versetzt werden sollten, die erhobenen Einwände ohne unzumutbaren Aufwand zu verstehen. Dabei sei gemäß den Entscheidungen T 0199/92 und T 0934/99 ein gewisses Maß an Interpretation zumutbar. Die Begründung müsse dabei gemäß den Entscheidungen T 0204/91 und T 1069/96 den Fall nicht "komplett" vortragen, der Einwand müsse lediglich klar erkennbar sein.
2.3.3 Da alle diese Kriterien erfüllt seien, sei der Einspruch zulässig.
2.4 Einspruchsgrund der mangelnden Neuheit
2.4.1 Die Kammer stellt zunächst fest, dass die Einspruchsbegründung zum Einspruchsgrund der mangelnden Neuheit hinsichtlich des Oberbegriffs des Anspruchs 1 folgendes darlegt:
"During the examination procedure of the opposed patent, the patent owners recognized in their letter dated July 8, 2013 that all the features of the preamble of claim 1 are known from E1.
Indeed, it is clear that E1 discloses an elongate cable duct with a connection module (switch) installed therein, having transfer interfaces for connecting clients to a local network as well as data inputs and outputs (see especially pages 1-7 of E1)."
Die Kammer stellt weiter fest, dass das darin genannte Schreiben vom 8. Juli 2013 hinsichtlich des Oberbegriffs des Anspruchs 1 lediglich Folgendes enthält:
"Der Oberbegriff des neuen Anspruch 1 [...] kann als aus dem Dokument D2 bekannt angesehen werden."
Weitere Angaben zur Offenbarung der Merkmale des Oberbegriffs finden sich nicht in diesem Schreiben.
2.4.2 Zitierte Entscheidungen
In T 0222/85 (ABl EPA 1988, 128) wurde entschieden, dass eine Einspruchsbegründung präzise und knapp abzufassen sei sowie die Einspruchsabteilung und die Patentinhaberin "objektiv" in die Lage zu versetzen habe, die Einwände der Einsprechenden zu verstehen.
In T 0002/89 (ABl EPA 1991, 51) wurden die vorgenannten Kriterien bestätigt.
In T 0199/92 wurde auch entschieden, dass die Patentinhaberin ohne unzumutbaren Aufwand in der Lage sein müsse, die gegen das Patent vorgebrachten Einwände zu verstehen. Insbesondere dürfe die Patentinhaberin nicht mit einem "Puzzle" konfrontiert werden.
In T 0934/99 wurde für die Zulässigkeit eines Einspruchs das Kriterium angewandt, dass die Einspruchsbegründung die Einwände so zu präsentieren habe, dass der Fachmann in die Lage versetzt werde zu erkennen, ob selbige korrekt (überzeugend) seien oder nicht ("specific enough for allowing a person skilled in the art to form a reasoned opinion of whether the line of reasoning on which the opponent apparently relies is (logically) correct ('convincing') or not (i.e. wrong)").
In T 0204/91 fasste die Kammer die in der Rechtssprechung etablierten Anforderungen an die Zulässigkeit eines Einspruchs zusammen. Grundsätzlich müsse die Patentinhaberin aus der Einspruchsbegründung heraus in der Lage sein, auf den Einspruch antworten zu können ("the notice of opposition must at least indicate clearly to the proprietor the case he has to answer"). Dazu gehöre es, dass die Einwände gegen das Patent nicht nur angedeutet und erst später konkretisiert würden ("more than a mere hint at ... the likely support for each such possible attack").
In T 1069/96 wies die Kammer darauf hin, dass als Mindestanforderung die in der Einspruchsfrist vorgebrachten Tatsachen und Beweismittel so klar und umfangreich sein müssten, dass sie es der Patentinhaberin und der Einspruchsabteilung ermöglichten, ohne eigene Ermittlungen die Einspruchsgründe bezüglich ihrer Stichhaltigkeit (Begründetheit) zu untersuchen.
2.4.3 Aus diesen Entscheidung fasst die Kammer die etablierten Anforderungen an einen zulässigen Einspruch wie folgt zusammen:
Die Begründungen der Einwände gegen das Patent müssen ohne eigene Ermittlungen objektiv nachvollziehbar sein. Sie müssen die Patentinhaberin in die Lage versetzen, darauf mit Argumenten und Änderungen der Ansprüche reagieren zu können.
Ein Einspruch kann somit nur dann als zulässig angesehen werden, wenn beide Kriterien für zumindest einen Einspruchsgrund erfüllt sind.
2.4.4 Den Argumenten der Beschwerdeführer folgend stellt die Kammer fest, dass in der Einspruchsbegründung von der Einsprechenden lediglich auf den Schriftsatz der Beschwerdeführer (damaligen Anmelder) vom 8. Juli 2013 verwiesen wurde. Dieser enthält aber nicht mehr als die Aussage, dass die Merkmale des Oberbegriffs aus dem Dokument E1 (im Prüfungsverfahren als D2 bezeichnet) bekannt seien. Wie seinerzeit die Anspruchsmerkmale den Offenbarungen dieses Dokuments zugeordnet wurden, geht aus dem zitierten Schriftsatz jedoch nicht hervor. Aufgrund des pauschalen Verweises auf Dokument E1 kann nicht objektiv festgestellt werden, auf welches der verschiedene Ausführungsbeispiele sich die Einspruchsbegründung bezieht. Es ist somit nicht nachvollziehbar, ob Dokument E1 die Anspruchsmerkmale auch in der beanspruchten Kombination offenbart, mithin also der Einwand der mangelnden Neuheit gerechtfertigt ist. Die Kammer verweist in diesem Zusammenhang auf die Tabelle in Abschnitt 16.1 der angefochtenen Entscheidung, in welcher bezüglich der Merkmale des Oberbegriffs (F1 bis F7) ganz unterschiedliche Stellen des Dokuments E1 zitiert werden.
2.4.5 Von den Argumenten der Beschwerdegegnerin ist die Kammer hingegen nicht überzeugt. Einerseits wurde das Dokument E1 (seinerzeit Dokument D2) während des Prüfungsverfahrens nicht wirklich diskutiert. Vielmehr erfolgte die Sachprüfung auf Grundlage eines anderen Dokuments (D1, nunmehr E5). Dokument E1 wurde lediglich erwähnt. Insbesondere findet sich in den Bescheiden der Prüfungsabteilung keine Merkmalsanalyse gegenüber diesem Dokument. Daher verfängt dieses Argument nicht.
Andererseits spiegelt die zweiteilige Formulierung des Anspruchs 1 gemäß Regel 43(1) EPÜ lediglich die Auffassung der Beschwerdeführer (damals Anmelder) zum Zeitpunkt der Abfassung wider. Es handelt sich bei der zweiteiligen Anspruchsform insbesondere nicht um das unwiderrufliche Eingeständnis, dass die Merkmale des Oberbegriffs aus einem bestimmten zitierten Stand der Technik bekannt sind. Daher überzeugt auch das diesbezügliche Argument nicht.
2.4.6 Infolgedessen kommt die Kammer zu dem Schluss, dass der Einspruchsgrund der mangelnden Neuheit unzureichend substantiiert ist.
2.5 Einspruchsgrund der mangelnden erfinderischen Tätigkeit
2.5.1 Auch bezüglich des Dokuments E5, das als nächstliegender Stand der Technik dem Einwand unter Artikel 56 EPÜ zugrunde lag, wurde in der Einspruchsbegründung darauf verwiesen, dass im Prüfungsverfahren anerkannt worden sei, dass alle Merkmale des Oberbegriffs von Anspruch 1 aus dem Dokument E5 bekannt seien. Entsprechend bezog sich der von den Beschwerdeführern erhobene Vorwurf der ungenügenden Substantiierung auch auf den auf Dokument E5 gestützten Einwand. Die Diskussion brauchte dann im Einspruchsverfahren nicht weiter geführt zu werden, da der auf Dokument E1 gestützte Einwand als hinreichend substantiiert erkannt wurde und zum Widerruf des Patents führte.
2.5.2 In der angefochtenen Entscheidung und in der Beschwerdebegründung wurde der auf Dokument E5 gestützte Einwand nicht erwähnt. In ihrer Beschwerdeerwiderung (Seite 2, Mitte) erwähnte die Beschwerdegegnerin das Dokument E5, verwies aber lediglich pauschal auf die Einspruchsbegründung und auf das Prüfungsverfahren.
2.5.3 Aus Artikel 12(3) VOBK ergibt sich für die Beschwerdegegnerin jedoch die Verpflichtung darzulegen, warum nach ihrer Auffassung die Beschwerde nicht begründet sei und insbesondere warum die angefochtene Entscheidung trotz der Argumente der Beschwerdeführer aufrechterhalten werden solle. Die vorgetragenen pauschalen Verweise können für die Kammer keine Grundlage darstellen, die Position der Beschwerdeführer zu entkräften, nach der der Einspruch unter Regel 76(1) und (2)c) EPÜ unzulässig sei.
2.5.4 Aufgrund der vorstehenden Erwägungen geht die Kammer davon aus, dass auch der Einspruchsgrund der mangelnden erfinderischen Tätigkeit unzureichend substantiiert ist.
2.6 Die Kammer kommt daher zu dem Schluss, dass die Einspruchsbegründung die Erfordernisse der Regel 76(1) und (2) c) EPÜ nicht erfüllt, da die beiden geltend gemachten Einspruchsgründe nicht hinreichend substantiiert sind.
3. Der Einspruch ist daher nicht zulässig.
4. Die Beschwerde ist somit begründet.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Der Einspruch ist nicht zulässig.
2. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.