T 0623/89 (Dentalmassen/ESPE) 12-05-1992
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Verwendung von Kieselsäuregranulaten als Füllstoffe für Dentalmassen
01) Bayer AG, Leverkusen Konzernverwaltung RP Patente Konzern
02) Etablissement Dentaire IVOCLAR
03) Dental-Material GESELLSCHAFT mbH
Änderungen der Patentansprüche (zulässig)
Klarheit des beanspruchten Gegenstandes (ja)
Ausführbarkeit der Erfindung (ja)
Erfinderische Tätigkeit (ja) - nicht naheliegende Lösung
Amendments of Claim (admissible)
Clarity of disclosure (yes)
Carrying out of the invention (yes)
Inventive step (yes) - non-obvious solution
I. Auf die europäische Patentanmeldung 80 902 285.8 wurde das europäische Patent 0 040 232 aufgrund von zwei Ansprüchen erteilt.
II. Gegen die Patenterteilung legten die Beschwerdeführerin und zwei weitere Einsprechende Einspruch ein. Sie bezogen sich während des Einspruchsverfahrens auf eine Reihe von Dokumenten, wovon für diese Entscheidung die folgenden von Bedeutung sind:
(E7) DE-B-2 405 578
(E8) Sonderdruck Nr. 32 der Firma Degussa aus Chemie Ingenieur Technik 48, 11 (1976)
(E10) Gross, Chemie in unserer Zeit, 13. Jahrgang 1979, Nr. 5, S. 142 -146
(E15) DE-B-2 403 211
(E16) Technisches Bulletin Ivoclar/Vivadent Feb. 1980
III. In einer Zwischenentscheidung hat die Einspruchsabteilung festgestellt, daß der Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang aufgrund der in der Mitteilung vom 4. September 1989 angegebenen Unterlagen Einspruchsgründe nach Artikel 100 EPÜ nicht entgegenstünden.
In dieser Entscheidung wird ausgeführt, daß der Gegenstand des geltenden Anspruchs 1 sowohl neu als auch erfinderisch sei. Sie vermag zur Lösung der Aufgabe im erörterten Stand der Technik keinen Anstoß dafür finden, Dentalmassen mit hohem Füllstoffgehalt bei gleichzeitig guter Verarbeitbarkeit und Polierbarkeit bereitzustellen.
Gemäß der Auffassung der Einspruchsabteilung war die geltend beanspruchte Mischung von granulierter und nicht granulierter mikrofeiner Kieselsäure nicht aus dem nächstkommenden Stand der Technik nach (E7), (E8) und (E15) ableitbar. Besonders gegenüber (E10) bestünde ein Vorurteil hohe Anteile pyrogener Kieselsäure gemäß Streitpatent zu verwenden.
IV. Gegen diese Entscheidung hat die Beschwerdeführerin Beschwerde erhoben und eine Begründung hierzu eingereicht. Am 12. Mai 1992 hat eine mündliche Verhandlung stattgefunden.
V. Die Beschwerdeführerin hat im schriftlichen Verfahren und während der mündlichen Verhandlung im wesentlichen folgendes vorgetragen:
Die anspruchsgemäß eingesetzten Kieselsäuregranulate seien ausschließlich durch ihre Korngröße vor und nach der Granulierung charakterisiert. Nach Meinung der Beschwerdeführerin seien die Erfordernisse der Artikel 123, 83 und 84 daher nicht erfüllt.
Gemäß Sp. 4, Z. 55 bis 57 des Streitpatents seien Granulate ohne Bindemittel nur durch Glühen oberhalb 800°C erhältlich. Daher gelte der Temperaturbereich von 600 bis über 1200°C (Anspruch 3) nur für Granulate mit Bindemittel.
Die Beschreibung des Streitpatents enthalte keinen Hinweis wie man die Teilchengröße nach der Verarbeitung gemäß Teil (d) des Anspruchs 1 messen könne (Art. 83 EPÜ).
Die Beschwerdeführerin vertrat im Hinblick auf Sp. 3, Z. 35 bis 40 des Streitpatents die Meinung, daß Granulate nur nach thermischer Behandlung erhältlich seien. Daher sei Anspruch 1 ohne Hinweis auf eine derartige Behandlung unklar im Sinne des Artikels 84 EPÜ.
Außerdem bestritt die Beschwerdeführerin, daß gegen die Verwendung eines hohen Anteils an pyrogener Kieselsäure in Dentalmassen ein Vorurteil bestanden habe. Ihrer Meinung nach komme es bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit nur darauf an, daß die Verwendung von mehr als 50 % Kieselsäure in Dentalwerkstoffen schon aus (E15) bekannt sei. Dieses Dokument lehre darüber hinaus, daß die pyrogene Kieselsäure zu einem Splitterpolymerisat (Granulat) verarbeitet werden könne. Dort finde sich auch der Hinweis, daß man den Anteil an mikrofeinem anorganischen Füllstoff bei Verwendung von einem solchen mit niedriger Oberfläche erhöhen könne. Aus dem Prospekt "Aerosil" von 1978, Seite 68 (E17) sei aber bekannt, daß durch Erhitzen auf 550 bis 800°C eine Erniedrigung der Oberfläche erfolge.
Die Beschwerdeführerin war daher der Meinung, daß die Kombination der Merkmale a) und b) des strittigen Anspruchs 1 für den Fachmann nahegelegen habe. Im übrigen beschreibe (E7) Dentalwerkstoffe, welche als Füllstoff pyrogene Kieselsäure enthielten, wobei ein Teil des Füllstoffes durch ein grobteiliges anorganisches Material ersetzt sein könne, welches eine Teilchengröße von 5 µm nicht überschreiten solle. Die Patentinhaberin habe lediglich dieses Glaspulver gegen granulierte pyrogene Kieselsäure identischer Teilchengröße ausgetauscht.
Schließlich hat die Beschwerdeführerin drei nachveröffentlichte Dokumente eingereicht:
(E18) Rice et al, J. Dent. Res 1984, 1173 - 1175 (E19) Goldmann, Australian Dental J. 28, 156 - 181 (1983)
(E20) Städtler et al., Z. Stomatol, 82, 425 - 430 (1985)
Die drei Artikel zeigten ihrer Meinung nach, daß verschiedene Eigenschaften der patentgemäßen Dentalmasse "Visio-Dispers" nur mäßig im Vergleich mit deren von "Heliosit", einem Produkt der Einsprechenden gemäß (E15), seien.
VI. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) hat diesem Vorbringen widersprochen und dabei u. a. folgendes geltend gemacht:
Die Einwendungen gemäß Artikel 123, 83 und 84 seien unbegründet und daher zurückzuweisen. Die Offenbarung eines Patents sei nicht auf Anspruch 1 beschränkt, sondern die Beschreibung sei hierzu auch heranzuziehen (Art. 69 EPÜ).
Die Beschwerdegegnerin hat ferner argumentiert, die Rezeptur gemäß (E15) (Beispiel 1 bzw. 2) sei zu keiner Zeit industriell nachgearbeitet worden. Selbst am Prioritätstag des angefochtenen Patents wäre es für den Fachmann immer noch ein Problem gewesen Dentalmassen mit einem Füllstoffanteil von über 50 % herzustellen. Die Einsprechende habe solche Werte nur durch die Verwendung von Splitterpolymerisaten erreicht. Jedoch seien diese Splitterpolymerisation mit den erfindungsgemäßen Granulaten in keiner Hinsicht vergleichbar.
Weitere Dokumente wurden eingereicht:
(E17a) Prospekt "Aerosil", 1976, Seiten 10, 18, 51 (E21) Lutz, Schweiz., Mschr. Zahnheilk., 93, Nr. 10 (1983), Seiten 914 -929
(E22) Finger u. Thiemann, Dent. Mater. 1987, 3, 280 -286
(E23) Alexandris u. Nolden, Die Quintessenz, 4/1984, 679 - 685.
VII. Im Laufe der mündlichen Verhandlung hat die Beschwerdegegnerin einen geänderten Anspruch 1 mit folgendem Wortlaut eingereicht:
"1. Verwendung von silanisierter Kieselsäure als Füllstoff in polymerisierbaren Dentalmassen auf Basis äthylenisch ungesättigter Monomere ausgewählt aus di- oder polyfunktionellen Derivaten der Acryl-oder Methacrylsäure, wobei
(a) ein aus pyrogener Kieselsäure mit oder ohne Bindemittel hergestelltes anorganisches Granulat mit einer mittleren Korngröße des Granulats von 0,5 bis 50 µm und einer mittleren Primärteilchengröße von 1 bis 100 nm, und ggf. weitere anorganische Bestandteile enthaltend, sowie
(b) eine nicht granulierte, mikrofeine Kieselsäure einer mittleren Teilchengröße von 1 bis 100 nm,
(c) mit Gewichtsanteilen von (a) und (b), bezogen auf die Gesamtmasse, in Höhe von 50 % bis 80 % und von (b) in Höhe von 2 % bis 30 % verwendet werden, und wobei
(d) das Kieselsäuregranulat (a) nach der Verarbeitung mit den Monomeren unzerteilt in der mittleren Korngröße von 0,5 bis 50 µm vorliegt."
VIII. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.
Die Beschwerdegegnerin beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen und das Patent auf Grundlage der in der mündlichen Verhandlung überreichten Ansprüche 1 bis 5 aufrechtzuerhalten.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Gemäß Sp. 4, Z. 55 - 57 des Streitpatents führt längeres Glühen der mikrofeinen Kieselsäuren oberhalb 800°C ohne bindende Zusätze zu brauchbaren Granulaten. Jedoch muß dieser Satz in Verbindung mit den vorhergehenden Ausführungen in Sp. 3, Z. 34 - 40 gelesen werden, wonach Glühen im Temperaturbereich von ca. 600 bis über 1200°C zu Granulaten führt, und zwar ohne daß die Verwendung von Bindemittel dort in irgendeiner Weise erwähnt würde. Es folgt zwangsläufig, daß dieser Temperaturbereich nicht ausschließlich für Granulate mit Bindemittel gilt und somit daß Anspruch 3 eine generelle Gültigkeit hat, die nicht gegen Artikel 123 (2) verstößt.
Im übrigen hat die Kammer keinen Grund die Argumentation der Einspruchsabteilung bezüglich der Erfüllung der Erfordernisse des Artikels 123 EPÜ (Absatz II.1 der angefochtenen Entscheidung) in Frage zu stellen.
3. Gemäß Streitpatent können die Granulate (a) durch Glühen im Temperaturbereich von ca. 600 bis über 1200°C hergestellt werden (Sp. 3, Z. 34 - 40). Vor dieser Erhitzung kann eine pyrogene Kieselsäure einer mittleren Korngröße von 1 bis 100 nm mit einer Wasserglaslösung eingeteigt werden und danach langsam auf über 600°C erhitzt werden (Sp. 3, Z. 48 - 66). Als Alternative können wäßrige Borsäure- oder Alkaliborat-Lösung, wäßrige Aluminatlösung oder alkoholische Aluminiumalkoholat-Lösung als Bindemittel für die pyrogene Kieselsäure verwendet werden. Die Borverbindungen haben überwiegend katalytische Wirkung und werden beim Glühschritt verflüchtigt (Sp. 4, Z. 6 - 11). Die Aluminiumverbindungen dagegen dienen als Bindemittel für die Granulierung, und damit ist kein Glühschritt umfaßt (Sp. 4, Z. 3 - 5). Es kann daher keinen Zweifel daran geben, daß der Glühschritt kein wesentlicher Teil der Herstellung der Granulate ist und daher fakultativ gemäß Anspruch 3 bleiben kann. Der geltende Anspruch 1 erfüllt somit die Anforderungen des Artikels 84 EPÜ.
4. Es stellt sich die Frage, ob das Streitpatent die in Rede stehende Erfindung so deutlich und vollständig offenbart, daß ein Fachmann sie ausführen kann (Art. 83 EPÜ).
4.1. Die Kammer kann der Auffassung der Beschwerdegegnerin hinsichtlich der Ausführbarkeit der Messung der Korngröße gemäß Merkmal (d) des Anspruchs 1 des Streitpatents beitreten, da die Frage, ob die erfindungsgemäße Lehre ausführbar ist, nicht allein vom Inhalt der Patentanspruch her beurteilt werden darf (vgl. T 14/83, ABl. EPA 1984, 105). Den Erfordernissen der Artikel 83 und 100 b) EPÜ ist Genüge getan, wenn das europäische Patent die Erfindung so deutlich und vollständig offenbart, daß ein Fachmann sie ausführen kann; dieser verfügt aber über allgemeines Fachwissen mit Hilfe dessen er etwaige fehlende Angaben in der Patentschrift ergänzen kann. Gemäß den nicht widerlegten und somit glaubhaften Ausführungen der Beschwerdegegnerin in der mündlichen Verhandlung, ist der Fachmann im vorliegenden Fall in der Lage, nach Auflösung des organischen Teils der Dentalmasse die mittlere Korngröße des Kieselsäuregranulats (a) ohne Schwierigkeiten zu bestimmen. Da außerdem die Beschwerdeführerin nach eigener Aussage zu keiner Zeit versucht hat die Lehre des Streitpatents nachzuarbeiten, hat die Kammer keinen Grund an der Ausführbarkeit der Lehre des Streitpatents zu zweifeln. Der Anspruch 1 erfüllt somit die Anforderungen von Artikel 83 EPÜ.
5. Der Gegenstand des Streitpatents betrifft die Verwendung von Kieselsäure als Füllstoffe für Dentalmassen.
5.1. Dokument (E15), welches ebenfalls Dentalmassen mit Kieselsäure Füllung betrifft, kann als nächstliegender Stand der Technik angesehen werden. Obwohl die dort aufgeführten Beispiele auch die Verwendung von >50 % mikrofeinen Füllstoffen in gegenüber dem Streitpatent ähnlichen Bindemitteln erwähnen, ist im Hinblick auf den in der mündlichen Verhandlung diskutierten Sachverhalt davon auszugehen, daß die technische Anwendung von (E15) den Zusatz von Kieselsäure als Splitterpolymerisat umfaßt (vgl. Streitpatent, Sp. 2, Z. 1 - 9; (E15), Sp. 6, Z. 6 - 15). Bei der Herstellung von Splitterpolymerisat wird eine besonders homogene Verteilung des mikrofeinen Füllstoffs im Polymer dadurch erreicht, daß man aus monomerem Methylmethacrylat und dem mikrofeinen Füllstoff einen Teig herstellt, den man unter Druck und Temperatur zu einem Block polymerisiert, welcher dann zu dem gewünschten Produkt zerkleinert wird.
5.2. Gegenüber Dokument (E15) besteht die technische Aufgabe daher darin, eine Alternative für die Einbringung von großen Mengen von Kieselsäure in Dentalmassen zu entwickeln.
5.3. Diese Aufgabe wird gemäß Streitpatent im wesentlichen dadurch gelöst, daß eine Mischung von (a) Kieselsäuregranulaten und (b) nicht granulierter mikrofeiner Kieselsäure gemäß Anspruch 1 als Füllstoff verwendet wird. Aufgrund der Angaben in der Beschreibung ist es glaubhaft, daß durch diese Maßnahme die genannte Aufgabe tatsächlich gelöst wird.
6. Die Neuheit der beanspruchten Verwendung wurde von der Beschwerdeführerin nicht bestritten. Da auch die Kammer diesbezüglich keinen Einwand erkennen kann, erübrigen sich weitere Ausführungen hierzu.
7. Es bleibt zu beurteilen, ob angesichts der gestellten Aufgabe die beanspruchte Lösung auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.
7.1. Der Gegenstand gemäß Anspruch 1 des Streitpatents unterscheidet sich vom Stand der Technik nach (E15) dadurch, daß gemäß Streitpatent das direkte Einbringen von mehr als 50 % der erfindungsgemäßen Mischung vorgenommen wird. Wie aus der Beschreibung des Streitpatents (Sp. 3, Z. 5 bis 15, erteilte Fassung) eindeutig ersichtlich ist, führt die Verwendung von derart großen Mengen an Füllstoff im vorliegenden Fall zu brauchbaren Dentalmassen, die geringe Schrumpfung, gute Polierbarkeit und hohe Abrasionsbeständigkeit zeigen. Aus Dokument (E10), S. 146 vorletzter Absatz geht aber klar hervor, daß kurz vor dem Prioritätstag des Streitpatents das Problem der Aufnahme von großen Mengen von Kieselsäure wegen dessen Verdickungseffekts noch weiterhin existierte. Selbst vier Jahre nach dem Prioritätstag hat Lutz, in Dokument (E21) auf dieses bekannte Problem hingewiesen (siehe S. 917, linke Spalte). Dies zeigt, daß der Fachwelt bekannt war, daß pyrogenes SiO2 einen ausgesprochenen Verdickungseffekt hat und deswegen Zusammensetzungen von SiO2 und Harzsystemen schwierig bzw. nicht zu verarbeiten waren.
7.2. Die Beschwerdeführerin hat insbesondere in der mündlichen Verhandlung argumentiert, daß die Lösung des zugrundeliegenden technischen Problems schon vor dem Prioritätstag des Streitpatents aus Dokument (E15) bekannt war. Jedoch ist die Kammer aufgrund des oben genannten zusätzlichen Beweismaterials überzeugt, daß die Aufnahme von großen Mengen an Kieselsäure in dem Handelsprodukt "Heliosit" gemäß (E15) auf der Anwendung der sogenannten Splitterpolymerisationstechnik beruht (siehe Punkt 5.1 oben). In der mündlichen Verhandlung wurde diesem Standpunkt nicht widersprochen. Dies wird ebenfalls von dem hohen Inhalt organischer Füllstoffe (29,2 %), der in Tabelle 3 von Dokument (E19) für "Heliosit" aufgezeichnet ist, untermautert. Gemäß Entscheidung T 26/85, ABl. EPA 1990, 22, Gründe Punkt 8, kann der Stand der Technik nur dann als der Öffentlichkeit zugänglich gemacht gelten, wenn die Information so vollständig ist, daß der Fachmann die technische Lehre, die Gegenstand der Offenbarung ist, unter Zuhilfenahme des von ihm zu erwartenden allgemeinen Fachwissens ausführen kann. Die Kammer ist daher der Meinung, daß der Teil der Offenbarung von (E15), der die Aufnahme von Mengen über 50 % SiO2 betrifft, in Abwesenheit von Informationen, wie man das aufgrund von Dokument (E10) und (E21) eindeutig belegte Vorurteil der Fachwelt ohne Anwendung der Splitterpolymerisationstechnik überwinden kann, außer Betracht bleiben muß. Mit anderen Worten, der Fachmann erhält aus diesem Dokument keine Information, wie er das zugrundeliegende Problem ohne Anwendung von Splitterpolymerisaten lösen könnte.
7.3. Die Beschwerdeführerin hat auch argumentiert, daß Dokument (E7) die Verwendung von Mischungen von mikrofeiner Kieselsäure und grobgemahltem Glaspulver als Füllstoffe für Dentalmassen betrifft und es naheliegend war, das grobteilige Glas mit den Kieselsäuregranulaten gemäß Anspruch 1 des Streitpatents zu ersetzen.
Die Kammer kann dieser Argumentation nicht folgen. Glaspulver ist nicht nur in keiner Weise mit den Granulaten gemäß Streitpatent vergleichbar, sondern gemäß (E7) kann das Glas einen Höchstgehalt von 25 % des Gewichts der Füllstoffe betragen. Dagegen müssen gemäß Anspruch 1 des Streitpatents die Kieselsäuregranulate mindestens 40 % des Gewichts der Füllstoffe betragen. Somit enthält diese Entgegenhaltung ebenfalls keinen Hinweis für die Lösung der oben genannen Aufgabe.
7.4. Es wurde weiter argumentiert, daß wie schon in Dokument (E15), Sp. 3, Z. 40 - 45 gezeigt das wesentliche Merkmal zur Definition der Füllstoffe im Bindemittel die BET- Oberfläche sei und daß für gute Dispersion eine spezifische Oberfläche unter 200 m2/g, vorzugsweise zwischen 30 und 80 m2/g erwünscht sei. Auch sei aus Dokument (E17), Abbildung 70, bekannt, daß durch Erhitzen auf 550 - 1100°C ein Rückgang der BET-Oberfläche eintrete. Nach Auffassung der Kammer trifft diese Argumentation völlig ins Leere, da der Vergleichsversuch 1 des Streitpatents eindeutig belegt, daß die Dispersion der Füllstoffe bzw. die Verarbeitbarkeit des Füllmaterials nicht nur von der spezifischen Oberfläche der verwendeten Kieselsäure abhängt. Wenn man, wie dort gezeigt, eine pyrogene Kieselsäure mit einer BET-Oberfläche von 50 m2/g und einer Mittelteilchengröße von 40 nm ("Aerosil 0X50 gemäß (E17)) in ein Acrylatbindemittel einführt, ist keine im Sinne des Streitpatents verwendbare Dentalmasse erhältlich. Das heißt, daß eine Kombination der Lehren von (E15) und (E17) den Fachmann nicht zu der nun beanspruchten Lösung der Aufgabe hat führen können.
7.5. Aus alledem folgt, daß der Fachmann nicht vorhersehen konnte, daß die Verwendung einer Mischung von Kieselsäuregranulaten und feinverteilter Kieselsäure das Problem der Einbringung (Dispersion) von großen Mengen an Füllstoff in Dentalmassen lösen könnte. Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruht somit auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Das gleiche gilt für die davon abhängigen Unteransprüche 2 bis 5, die weitere Ausgestaltungen des Gegenstandes von Anspruch 1 betreffen.
7.6. Die widersprüchlichen Testergebnisse der Entgegenhaltungen (E18) bis (E20) der Beschwerdeführerin im Vergleich zu denen der Dokumente (E21), (E22) und (E23) der Beschwerdegegnerin können bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit außer Betracht bleiben, da die damit zusammenhängenden Vorbringen der Parteien das dem alten deutschen Patentgesetz entspringende Erfordernis des technischen Fortschritts betreffen, welches jedoch kein Kriterium für Patentierbarkeit im Rahmen des EPÜ ist. Obwohl technische Überlegenheit auf erfinderische Tätigkeit schließen lassen könnte, wenn sie sich speziell auf die Lösung der sich aus dem nächstliegenden Stand der Technik ergebenden Aufgabe bezieht, können derartige Betrachtungen kein Ersatz sein für die weiter oben vorgenommene Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit gegenüber dem nächstliegenden Stand der Technik (vgl. z. B. T 164/83, ABl. EPA 1987, 149, Gründe Punkt 8; T 61/86 vom 2. Dezember 1988, Gründe Punkt 5.4; T 261/87 vom 16. Dezember 1988, Gründe Punkt 8.3).
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
3. Die Sache wird an die Einspruchsabteilung mit der Auflage zurückverwiesen, das Patent mit den in der mündlichen Verhandlung überreichten Patentansprüchen 1 bis 5 und einer noch anzupassenden Beschreibung aufrechtzuerhalten.