T 0815/90 (Hepatitis-A-Virus) 26-02-1993
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Der Großen Beschwerdekammer wird folgende Rechtsfrage vorgelegt:
Kann die in Regel 28 (1) c) EPÜ vorgeschriebene Angabe des Aktenzeichens einer hinterlegten Kultur noch nach Ablauf der Frist gemäß Regel 28 (2) a) EPÜ vorgenommen werden?
Ausreichende Offenbarung
Angaben über die Hinterlegung einer Kultur
Vorlage an die Große Beschwerdekammer
I. Die europäische Patentanmeldung Nr. 85 904 746.6, die am 18. September 1985 unter Inanspruchnahme einer Priorität vom 19. September 1984 eingereicht und unter der Nummer WO-A-86/01826 veröffentlicht worden war, wurde von der Prüfungsabteilung zurückgewiesen. Dem Zurückweisungsbeschluß lagen neun am 10. Februar 1989 eingereichte Ansprüche zugrunde. Die Ansprüche 1 und 7 lauteten wie folgt:
"1. Homogene Zusammensetzung abgeschwächter lebender Hepatitis-A- Viren, die so angepaßt ist, daß sie eine schützende Antikörperreaktion bei höheren Primaten induziert, dadurch gekennzeichnet, daß die Zusammensetzung aus dreifach kloniertem Material des ATCC-Stamms VR2097, VR2098 oder VR2099 besteht
7. Verfahren zur Herstellung einer homogenen Zusammensetzung abgeschwächter lebender Hepatitis-A-Viren, bei dem nichtklonierte Hepatitis-A-Viren mit dem ATCC-Aktenzeichen VR2097, VR2098 oder VR2099 in Reihe verdünnt werden, eine entsprechende Säugetierzellkultur mit jeder Verdünnungsstufe beimpft und kultiviert wird, die klonierten Viruspartikel geerntet werden und dieser Verfahrensschritt mindestens zwei weitere Male wiederholt wird, um auf diese Weise eine Mutterkultur zur Herstellung einer Impfzusammensetzung zu gewinnen"
II. Die Zurückweisung wurde damit begründet, daß die Anmeldung nicht den Erfordernissen des Artikels 123 (2) EPÜ entspreche, da durch die Angabe dreier Klone mit den Hinterlegungsnummern VR2097, VR2098 und VR2099 die ursprüngliche Offenbarung erweitert werde.
Der Vollständigkeit halber und im Hinblick auf eine mögliche Beschwerde des Anmelders stellte die Prüfungsabteilung weiter fest, daß sich auch dann, wenn die Angabe der Aktenzeichen der drei hinterlegten Klone nach Artikel 123 (2) EPÜ formal zulässig gewesen wäre, insofern ein Problem gestellt hätte, als sie nach Regel 28 (2) a) EPÜ nicht fristgerecht vorgenommen worden sei. Die Prüfungsabteilung kenne die Entscheidung J 8/87 (ABl. EPA 1989, 9), die sich mit einem ähnlichen Problem befasse, fühle sich aber im vorliegenden Fall nicht an sie gebunden. Sie neige vielmehr dazu, sich an die Entscheidung einer anderen Prüfungsabteilung (ABl. EPA 1990, 156) anzulehnen, die eine Anmeldung wegen der verspäteten Angabe des Aktenzeichens eines Mikroorganismus zurückgewiesen habe.
III. Der Anmelder legte gegen diese Entscheidung Beschwerde ein, entrichtete die entsprechende Gebühr und reichte auch eine schriftliche Beschwerdebegründung ein.
IV. Mit Schreiben vom 21. August 1991 reichte der Beschwerdeführer einen Satz neuer Ansprüche 1 bis 7 ein. Die Ansprüche 1 und 6 lauteten wie folgt:
"1. Homogene Zusammensetzung abgeschwächter lebender Hepatitis-A- Viren, die so angepaßt ist, daß sie eine schützende Antikörperreaktion bei höheren Primaten induziert, dadurch gekennzeichnet, daß die Zusammensetzung aus dreifach kloniertem Material des Stamms HM-175 (VR2093) besteht, das Material mindestens aus der Passagestufe 10 bis 30 entnommen wird und die dreifache Klonierung im Wege der Endverdünnung erfolgt
6. Verfahren zur Herstellung einer homogenen Zusammensetzung abgeschwächter lebender Hepatitis-A-Viren, bei dem nichtklonierte Hepatitis-A-Viren des Stamms HM-175 (ATCC-Aktenzeichen VR2093) in Reihe verdünnt werden, eine entsprechende Säugetierzellkultur mit jeder Verdünnungsstufe beimpft und kultiviert wird, die klonierten Viruspartikel geerntet werden und dieser Verfahrensschritt mindestens zwei weitere Male wiederholt wird, um auf diese Weise eine Mutterkultur zur Herstellung einer Impfzusammensetzung zu gewinnen"
Zusätzlich wurde eine eidesstattliche Versicherung im Namen des National Institute of Health (NIH) der Vereinigten Staaten von Amerika vorgelegt.
Der Beschwerdeführer machte im wesentlichen geltend, daß durch die Streichung der Aktenzeichen der drei Klone in dem der Prüfungsabteilung vorgelegten Anspruchssatz die Gründe für die Zurückweisung der Anmeldung entfielen, da die Ansprüche dann nicht mehr gegen Artikel 123 (2) EPÜ verstießen.
Das nun in den Ansprüchen 1 und 6 enthaltene Aktenzeichen sei zwar nicht innerhalb der in Regel 28 (2) a) EPÜ vorgesehenen Frist von 16 Monaten angegeben worden; dies sei aber für eine ausreichende Offenbarung im Sinne des Artikels 83 EPÜ nicht ausschlaggebend, da der betreffende Stamm des Hepatitis-A-Virus der Öffentlichkeit gemäß der Vorschrift der Regel 28 EPÜ zugänglich gewesen sei, wie die als Teil der eidesstattlichen Versicherung vorgelegten Bestimmungen der NIH-Politik belegten.
V. Die Kammer teilte dem Beschwerdeführer in einem Vorbescheid mit, daß ihres Erachtens weder die schriftliche Offenbarung der Anmeldung noch die Bestimmungen der NIH-Politik die geforderte ausreichende Offenbarung gewährleisteten. Daher komme der Frage der verspäteten Angabe des jetzt in den Ansprüchen 1 und 6 enthaltenen Aktenzeichens entscheidende Bedeutung zu. Da die Kammer der früheren Entscheidung J 8/87 der Juristischen Beschwerdekammer (s. Nr. II) nicht folgen wolle, müsse die Frage gemäß Artikel 112 EPÜ der Großen Beschwerdekammer vorgelegt werden.
VI. Der Beschwerdeführer beantragt, daß die Entscheidung der Prüfungsabteilung aufgehoben und entweder auf die Anmeldung ein Patent mit den am 23. August 1991 eingereichten Ansprüchen erteilt oder die Sache zur weiteren Entscheidung an die Prüfungsabteilung zurückverwiesen wird.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. In den Ansprüchen, die der Beschwerde zugrunde liegen, wird nicht mehr auf die Aktenzeichen VR2097, VR2098 und VR2099 verwiesen, die nach Ansicht der Prüfungsabteilung gegen Artikel 123 (2) EPÜ verstießen; damit sind die von der Prüfungsabteilung für die Zurückweisung der Ansprüche vorgebrachten Gründe hinfällig geworden.
Der Vollständigkeit halber hat die Prüfungsabteilung unter Nummer V ihrer Entscheidung ausdrücklich festgestellt, daß sie sich der Entscheidung einer anderen Prüfungsabteilung und nicht der Entscheidung J 8/87 angeschlossen hätte, wenn die Frage des verspätet angegebenen Aktenzeichens der Hinterlegung ausschlaggebend gewesen wäre (s. Nr. II).
Ebendiese Frage stellt sich nun bei den der Beschwerde zugrunde liegenden Ansprüchen, in denen auf ein Aktenzeichen Bezug genommen wird.
3. Nach Artikel 83 EPÜ ist die Erfindung so deutlich und vollständig zu offenbaren, daß ein Fachmann sie ausführen kann. Für Fälle, in denen dieses Erfordernis durch eine schriftliche Offenbarung nicht erfüllt werden kann, weil sich die Erfindung auf ein mikrobiologisches Verfahren oder auf ein mit Hilfe dieses Verfahrens gewonnenes Erzeugnis bezieht und hierbei ein Mikroorganismus verwendet wird, der der Öffentlichkeit nicht zugänglich ist, bestimmt Regel 28 (1) EPÜ, daß "die Erfindung nur dann als gemäß Artikel 83 offenbart (gilt), wenn
a) eine Kultur des Mikroorganismus spätestens am Anmeldetag bei einer anerkannten Hinterlegungsstelle hinterlegt worden ist,
b) die Anmeldung in ihrer ursprünglich eingereichten Fassung die dem Anmelder zur Verfügung stehenden maßgeblichen Angaben über die Merkmale des Mikroorganismus enthält und
c) die Hinterlegungsstelle und das Aktenzeichen der Hinterlegung der Kultur in der Anmeldung angegeben sind."
3.1 Ausreichende Offenbarung durch die schriftliche Beschreibung
3.1.1 Der schriftlichen Beschreibung ist über die nun in den Ansprüchen 1 bis 6 beanspruchte Erfindung folgendes zu entnehmen: Ein an die Zellkulturen angepaßtes humanes Hepatitis-A-Virus HM- 175 aus den Passagestufen 10 und 20 in einer primären Nierenzellkultur afrikanischer Grüner Meerkatzen erwies sich bei Schimpansen als abgeschwächt, löste jedoch eine an der Induktion von Hepatitis-A-Antikörpern abzulesende Serokonversion aus, ohne daß biochemisch eine Lebererkrankung nachzuweisen war (S. 2, Zeilen 13 - 18 und Tabelle 1). Die Mutterkulturen des HM-175- Stamms des Hepatitis-A-Virus wurden in den Passagestufen 10, 20 und 30 entnommen und im Wege der Endverdünnung dreifach kloniert (Abb. 2). Zwei Klone aus der Passagestufe 20 wurden im Hinblick auf eine abgeschwächte Wirkung bei Schimpansen getestet. Die beiden getesteten Klone lösten bei den geimpften Schimpansen keine oder nur geringgradige Hepatitis aus. Bei Klon Nr. 1 bildeten drei von sechs, bei Klon Nr. 2 drei von vier geimpften Tieren Antikörper. Wie die Verwendung von dreifach kloniertem Virusmaterial des HM-175-Stamms des Hepatitis-A-Virus zeigt, ist dieses Material als lebendes HAV ein wirksamer Impfstoff für Schimpansen (S. 3, Zeilen 2 - 12).
Der HM-175-Stamm des humanen Hepatitis-A-Virus ist beschrieben in Infection and Immunity, 32 (1), April 1981, Seiten 388 bis 393 (Veröffentlichung 1). Diese Veröffentlichung ist in der vorliegenden Anmeldung als Teil der Beschreibung erwähnt (S. 3, Zeile 35 bis S. 4, Zeile 1).
3.1.2 Drei in der Beschreibung angeführte Beispiele für die Ausführung der Erfindung beziehen sich auf die Klonierung des Virus (Beispiel 1), die Verwendung der Mutterkultur (Beispiel 2) und die Impfung von Tieren (Beispiel 3).
Die Beschreibung enthält keine Merkmale oder Angaben, die Aufschluß darüber geben, wo dieser Stamm des humanen Hepatitis-A- Virus zu finden und/oder wie er herzustellen ist, sondern verweist diesbezüglich auf die Veröffentlichung (1).
3.1.3 Die Offenbarung dieser Veröffentlichung kann aufgrund der Verweisung als Teil der schriftlichen Offenbarung der vorliegenden Patentanmeldung angesehen werden (vgl. T 6/84, ABl. EPA, 1985, 238). In ihr sind humane Hepatitis-A-Viren beschrieben, die in primären Nierenzellkulturen afrikanischer Grüner Meerkatzen vermehrt wurden. Dabei wurden drei HAV-Stämme verwendet: MS-1, SD-11 und HM-175. Da sich bei dem HM-175-Stamm die intensivste Immunfluoreszenz ergab, war dieser Stamm einer Reihe von Passagen in einer Zellkultur unterzogen worden. Der Stamm war ursprünglich von einem Patienten bei einem Ausbruch der Krankheit in Australien isoliert worden (s. S. 388, rechte Spalte unter "Material und Methoden", Zeilen 6 und 7). Man ging davon aus, daß er sich als Antigenquelle für serologische Tests und möglicherweise für einen Impfstoff eignen würde. In dem wissenschaftlichen Artikel, in dem die besonderen Stämme MS-1, SD- 11 und HM-175 miteinander verglichen wurden, gelangten die Verfasser zu dem Schluß, daß die Ergebnisse auf eine von Stamm zu Stamm unterschiedliche In-vitro-Wachstumsfähigkeit hindeuteten. Der HM-175-Stamm produzierte unabhängig davon, ob er direkt oder nach Passage in Krallenaffen isoliert wurde, stets mehr virales Antigen als der MS-1- oder der SD-11-Stamm (s. S. 391, rechte Spalte "Diskussion", Absatz 2).
3.1.4 Dies bedeutet, daß der HM-175-Stamm nicht willkürlich ausgewählt wurde, sondern daß seine Verwendung für die Erfindung entscheidend ist; daher benötigt der Fachmann für die Nacharbeitung der in den Ansprüchen 1 bis 6 beanspruchten Erfindung das seinerzeit bei einem Hepatitisausbruch in Australien isolierte biologische Material.
Aus diesem Sachverhalt zieht die Kammer den Schluß, daß sich die Erfindung anhand der schriftlichen Angaben nicht nacharbeiten läßt.
3.2 Öffentliche Zugänglichkeit des biologischen Materials
3.2.1 Die Kammer hat geprüft, ob die Erfindung möglicherweise als ausreichend offenbart angesehen werden könnte, weil die Verfasser der Veröffentlichung 1 den HM-175-Stamm vielleicht in ihrem Labor kultiviert und aufbewahrt haben und möglicherweise unwiderruflich dazu verpflichtet waren, ihn an alle Interessenten abzugeben, so daß er tatsächlich zugänglich war. Dann könnte davon ausgegangen werden, daß der HM-175-Stamm der Öffentlichkeit in Analogie zu Regel 28 (1) EPÜ zugänglich gemacht worden ist.
3.2.2 Der Beschwerdeführer hat in diesem Sinne argumentiert und zur Stützung seiner Beschwerde eine eidesstattliche Versicherung von Herrn Adler, dem Direktor des amerikanischen Amts für Technologietransfer, eingereicht, der bestätigte, daß die Verfasser des wissenschaftlichen Artikels (Veröffentlichung 1) die in der vorliegenden Anmeldung genannten Erfinder seien. Sie seien überdies beim National Institute of Health (NIH) beschäftigt (das wiederum eine Behörde des Anmelders, der Vereinigten Staaten von Amerika, sei) und unterlägen der Politik, die das NIH für die Weitergabe und öffentliche Zugänglichmachung von neu entwickeltem biologischem Material festgelegt habe.
Herr Adler versicherte weiter, daß das NIH den freien wechselseitigen Austausch von biologischem Material mit Forschern und der breiten Öffentlichkeit unterstütze und fördere. Diese Politik sei schriftlich im "NIH Guide for Grants and Contracts" (NIH-Leitfaden für Zuschüsse und Aufträge) umrissen und mindestens seit dem 30. März 1984 in Kraft, habe also schon vor dem Anmeldetag der Prioritätsunterlage der vorliegenden Anmeldung gegolten. Die beim NIH beschäftigten Forscher seien mit der schriftlich verankerten Politik vertraut und gäben routinemäßig biologisches Material wie etwa Viren an andere ab. Natürlich müsse bei einer solchen Politik auf Patentrechte Rücksicht genommen werden. Daher würden erstmals hergestellte biologische Materialien in der Regel nicht vor der Veröffentlichung der entsprechenden Forschungsergebnisse zugänglich gemacht. Sobald diese Vorbedingung erfüllt sei, würden aber auf Antrag Proben an Forscher und die breite Öffentlichkeit abgegeben.
3.2.3 Nach Auffassung der Kammer läßt sich aus dieser Erklärung aber gerade ableiten, daß das in der Veröffentlichung 1 genannte biologische Material der Öffentlichkeit - entgegen der Vorschrift des Artikels 83 in Verbindung mit Regel 28 EPÜ - nicht zugänglich war, da, wie die vorliegende Anmeldung belegt, auf Patentrechte Rücksicht genommen werden mußte. In dem Dokument "NIH policy relating to reporting and distribution of unique biological materials produced with NIH funding" (NIH-Politik bezüglich Meldung und Weitergabe von mit finanziellen Mitteln des NIH erstmals hergestellten biologischen Materialien) werden die Forscher unter Buchstabe B "NIH policy on reporting of newly developed materials" (NIH-Politik bezüglich der Meldung von neu entwickelten Materialien) nochmals darauf hingewiesen, daß erstmals hergestellte oder neue biologische Materialien und die Erzeugnisse daraus als Erfindungen angesehen werden und daher unter die verschiedenen Patentgesetze und patentrechtlichen Vorschriften fallen. Deshalb verlangt das NIH, daß sich die Empfänger von Zuschüssen oder die Auftragnehmer an die in den betreffenden Zuschußvereinbarungen oder Verträgen enthaltenen Bestimmungen über die Meldung von Erfindungen an das NIH halten.
3.2.4 Weiter untermauert wird diese Sichtweise der Kammer durch die gleichermaßen wichtige Überlegung, daß das NIH in keiner Weise verpflichtet ist, dafür zu sorgen, daß das im vorliegenden Fall für die Ausführung der Erfindung notwendige biologische Material tatsächlich kultiviert und am Leben erhalten wird.
3.2.5 Schließlich gilt es auch zu bedenken, daß die NIH-Politik bezüglich der Abgabe der im Rahmen der NIH-Forschungsprogramme entwickelten biologischen Materialien jederzeit geändert und dann die Abgabe von neu entwickeltem Material beliebig eingeschränkt werden könnte.
4. Zugänglichkeit durch Hinterlegung bei einer anerkannten Hinterlegungsstelle
4.1 Damit stellt sich die Lage wie in Regel 28 (1) EPÜ beschrieben dar: Die Erfindung bezieht sich auf ein mikrobiologisches Verfahren oder auf ein mit Hilfe dieses Verfahrens gewonnenes Erzeugnis, wobei ein Mikroorganismus verwendet wird, der der Öffentlichkeit nicht zugänglich ist und in der europäischen Patentanmeldung nicht so beschrieben werden kann, daß ein Fachmann die Erfindung danach ausführen kann. In einem solchen Fall gilt die Erfindung nach Regel 28 (1) EPÜ nur dann als gemäß Artikel 83 EPÜ offenbart, wenn die in Regel 28 (1) a) bis c) EPÜ festgelegten Bedingungen erfüllt sind.
4.2 In der Anmeldung wird darauf hingewiesen (S. 1, Zeilen 33 - 36 bis S. 2, Zeilen 1 - 4), daß der HM-175-Stamm des Hepatitis-A- Virus im Rahmen von Patentverfahren vor der Einreichung der vorliegenden Anmeldung bei der American Type Culture Collection (ATCC) hinterlegt worden ist, so daß eine dauerhafte Hinterlegung und die öffentliche Zugänglichkeit bei Erteilung des Patents gesichert waren. Das Erfordernis der Regel 28 (1) a) EPÜ ist somit erfüllt. Die Kammer ist ferner auch überzeugt, daß die Anmeldung in der eingereichten Fassung die dem Anmelder zur Verfügung stehenden Angaben über die Merkmale des Mikroorganismus enthält, wie es Regel 28 (1) b) EPÜ vorschreibt. Das Aktenzeichen, das die Hinterlegungsstelle jeder einzelnen Hinterlegung zuteilt, ist in der Anmeldung aber nicht angegeben.
Vor diesem Hintergrund hat die Kammer geprüft, ob durch Verweis auf die "Hausbezeichnung" HM-175 des hinterlegten Stamms eine ausreichende Offenbarung gewährleistet gewesen wäre.
4.3 Der Beschwerdeführer reichte am 20. Februar 1987 Belege für die Hinterlegung des HM-175-Stamms des Hepatitis-A-Virus ein. Gemäß einer Empfangsbestätigung vom 5. Dezember 1985 wurden drei Unterstämme des HM-175-Stamms des Hepatitis-A-Virus, nämlich die Klone 5, 6 und 7, unter den ATCC-Aktenzeichen VR2097, VR2098 und VR2099 hinterlegt. Nach einer weiteren Empfangsbestätigung vom 16. August 1984, die am 23. August 1991 eingereicht wurde, waren vorher bereits fünf andere Hepatitis-A-Virusstämme mit der "Hausbezeichnung" HM-175, nämlich die Klone 1 bis 4 sowie ein nichtklonierter Stamm, hinterlegt worden, die die ATCC- Aktenzeichen VR2089 bis VR2093 erhalten hatten.
4.4 Hätte nun ein Fachmann bei der als Hinterlegungsstelle fungierenden American Type Culture Collection einen Hepatitis-A- Virusstamm "HM-175" angefordert, weil er der Beschreibung der ursprünglich eingereichten Anmeldung diese Möglichkeit entnommen hätte, so wäre die Hinterlegungsstelle nicht in der Lage gewesen, zwischen den insgesamt acht hinterlegten Hepatitis-A-Virusstämmen mit der Bezeichnung HM-175 zu unterscheiden, wenn nur diese "Hausbezeichnung" angegeben worden wäre.
4.5 Wie eine Beschwerdekammer bereits in einer früheren Entscheidung (T 418/89, ABl. EPA 1993, 20) zur ausreichenden Offenbarung von Erfindungen festgestellt hat, die sich auf hinterlegtes biologisches Material beziehen, setzt das Erfordernis der ausreichenden Offenbarung im Sinne des Artikels 83 EPÜ nicht nur voraus, daß eine Erfindung überhaupt ausgeführt werden kann, sondern auch, daß dies ohne unzumutbaren Aufwand möglich ist. Dies ist im vorliegenden Fall nicht gegeben. Nach Ansicht der Kammer stellt es einen unzumutbaren Aufwand dar, wenn ein Dritter bei der Hinterlegungsstelle sämtliche Hepatitis-A-Virusstämme mit der "Hausbezeichnung" HM-175 anfordern und dann selbst herausfinden muß, welcher wohl der für die Ausführung der Erfindung benötigte ist.
4.6 Für eine ausreichende Offenbarung ist somit ausschlaggebend, daß die Öffentlichkeit über die Hinterlegungsnummer des nichtklonierten HM-175-Stamms aus der Passagestufe 20, d. h. das ATCC-Aktenzeichen VR2093, informiert war.
4.6.1 Nach Regel 28 (1) c) EPÜ sind in der Anmeldung die Hinterlegungsstelle und das Aktenzeichen der Hinterlegung anzugeben. Auf Seite 1, Zeile 35 ist auch wirklich die Hinterlegungsstelle - die American Type Culture Collection - genannt, so daß die erste Bedingung der Regel 28 (1) c) EPÜ erfüllt ist. Das Aktenzeichen fehlte jedoch in der eingereichten Fassung der Anmeldung.
4.6.2 Nach Regel 28 (2) EPÜ können die in Regel 28 (1) c) genannten Angaben innerhalb von 16 Monaten nach dem Anmeldetag oder, wenn eine Priorität in Anspruch genommen worden ist, nach dem Prioritätstag nachgereicht werden. Wie den vorstehenden Ausführungen zu entnehmen ist, wurde die in Regel 28 (1) c) EPÜ vorgeschriebene Angabe des Aktenzeichens im vorliegenden Fall erst fast sieben Jahre nach dem Prioritätstag der Patentanmeldung, nämlich am 23. August 1991 im Beschwerdeverfahren, vorgenommen.
4.6.3 In der Sache J 8/87 (s. Nr. II) hat die Juristische Beschwerdekammer wie folgt entschieden: Da der Anmelder die Angaben über die Hinterlegung einer Kultur (R. 28 (1) c) EPÜ) innerhalb von 16 Monaten nach dem Prioritätstag jederzeit nachreichen könne, liege erst nach Ablauf dieser Frist ein Mangel vor, zu dessen Berichtigung er aufgefordert werden müsse. Die Kammer sah Parallelen zu dem Fall, in dem die beglaubigte Abschrift der Prioritätsunterlagen nicht innerhalb der in Regel 38 (3) EPÜ vorgeschriebenen Frist von 16 Monaten eingereicht worden war und die Juristische Beschwerdekammer befunden hatte, daß dem Anmelder Gelegenheit gegeben werden müsse, diesen Mangel innerhalb einer weiteren Frist zu beseitigen. Sie meinte, die beiden Fälle seien ähnlich gelagert, weil hier wie dort der Mangel erst bei Ablauf der Frist vorlag. Die Kammer war deshalb der Auffassung, daß in beiden Fällen ähnlich entschieden werden sollte.
Diese Kammer ist nicht geneigt, sich der rechtlichen Konstruktion dieser Entscheidung anzuschließen.
4.6.4 Regel 28 schreibt gemäß ihrer Stellung im Kontext des EPÜ bestimmte Bedingungen vor, die im Falle lebenden Materials zur Gewährleistung einer ausreichenden Offenbarung erfüllt sein müssen, und ist daher dem Prinzip des Europäischen Patentübereinkommens nachgeordnet, wonach eine Erfindung so beschrieben werden muß, daß sie von einem Fachmann ausgeführt werden kann. Ein Offenbarungsmangel der ursprünglich eingereichten Anmeldung kann nicht mehr behoben werden; die einzige Ausnahme hiervon bildet die in Regel 28 (2) a) EPÜ vorgesehene Frist von 16 Monaten. Die Kammer teilt deshalb die in der angefochtenen Entscheidung vertretene Rechtsauffassung und stimmt insbesondere den detaillierten Ausführungen über den Zweck der Regel 28 und vor allem auch der Regel 28 (2) c) EPÜ (s. Entscheidung der Prüfungsabteilung, Nrn. 7 - 9, wie unter Nr. II angesprochen) zu, in denen auf die Dokumentation zur Entstehungsgeschichte der Regel 28 (2) EPÜ Bezug genommen wird. Dieser ist zu entnehmen, daß die in Regel 28 (2) a) EPÜ enthaltene Frist von 16 Monaten eingeführt wurde, um sicherzustellen, daß die Angaben über die Hinterlegung stets vor der Veröffentlichung der Patentanmeldung, d. h. vor der Unterrichtung der Öffentlichkeit, eingereicht werden. Wenn der Fachmann zur Ausführung einer Erfindung gemäß Artikel 83 EPÜ lebendes Material benötigt, das bei einer anerkannten Hinterlegungsstelle hinterlegt und nur durch das Aktenzeichen der Hinterlegung zu identifizieren ist, dann ist dies eine Vorbedingung für die ausreichende Offenbarung einer Patentanmeldung, die bereits am Anmeldetag erfüllt sein muß, und nicht nur ein bloßes Formerfordernis.
4.6.5 Infolgedessen beabsichtigt die Kammer nicht, der Entscheidung J 8/87 der Juristischen Beschwerdekammer (s. Nr. II) zu folgen.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Der Großen Beschwerdekammer wird folgende Rechtsfrage zur Entscheidung vorgelegt:
"Kann die in Regel 28 (1) c) EPÜ vorgeschriebene Angabe des Aktenzeichens einer hinterlegten Kultur noch nach Ablauf der Frist gemäß Regel 28 (2) a) EPÜ vorgenommen werden?"