Elvira Fortunato, Rodrigo Martins
Paper-based microchips
Finalisten für den Europäischen Erfinderpreis 2016
Das digitale Zeitalter lässt immer weniger Raum für Papier und Druckerzeugnisse. Von Zeitungen und Büchern bis hin zu Werbeplakaten und Visitenkarten – Silizium ersetzt Zellstoff mit atemberaubender Geschwindigkeit. Und doch hat Papier noch nicht ausgedient. Ein raffinierter, papierbasierter Transistor, der von Elvira Fortunato und ihrem Team entwickelt wurde, soll der digitalen Technologie unzählige neue Anwendungen ermöglichen. Wenngleich die derzeitige Technologie wohl kaum ganz auf den Siliziumchip verzichten wird, könnte der papierbasierte Transistor die ideale Lösung für Anwendungen sein, bei denen der Einsatz von Silizium untragbar teuer und unwirtschaftlich wäre. Dazu gehören beispielsweise die Kennzeichnung mittels Radio Frequency Identification (RFID) im Versand- und Bestandsmanagement oder sich selbst aktualisierende Flugtickets, Visitenkarten und Lebensmitteletiketten.
Elektroingenieure haben bereits erfolgreich Elektronik in Papier integriert. Dem Team aus Lissabon gelang es nun jedoch erstmals, Papier – oder wissenschaftlich ausgedrückt Zellstoff – als funktionalen Bestandteil des Transistors einzusetzen. Diesen Durchbruch erzielten die Wissenschaftler, indem sie Teile des Papiertransistors mit anorganischen Oxiden beschichteten. So entstand die isolierende Komponente, die normalerweise aus Silizium oder anderen anorganischen Materialien hergestellt wird.
Gesellschaftlicher Nutzen
Konventionelle Transistoren bestehen aus Silizium von Halbleiterqualität. Dessen Herstellung ist unwirtschaftlich und hat erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt. Der Herstellungsprozess ist deshalb so unwirtschaftlich, weil bei der Reinigung bis zu 80 % des in der Natur vorkommenden metallurgischen Siliziums verloren gehen. Die hohen Umwelteinflüsse ergeben sich aus der Verwendung von Treibhausgasen wie Schwefelhexafluorid, dem pro Molekül stärksten Treibhausgas. Eine einzige Tonne davon hat die gleichen Auswirkungen wie 25 000 Tonnen CO2.
Ein Umstieg auf papierbasierte Transistoren würde die Umweltbelastung durch Silizium mildern und den europäischen Zellstoffmarkt ankurbeln, der für 30 % der weltweiten Produktion verantwortlich ist. Durch die Erfindung kostengünstiger Papierchips kann auch vermehrt die Kennzeichnung mittels RFID zum Einsatz kommen, beispielsweise auf Lebensmittelverpackungen in Supermarktregalen oder auf Versandcontainern. So wird verhindert, dass verdorbene Lebensmittel in den Handel kommen und Gegenstände beim Versand verloren gehen. Diese Möglichkeiten konnten bisher wegen der hohen Kosten von RFID-Chips auf Siliziumbasis nicht genutzt werden.
Wirtschaftlicher Nutzen
Im Jahr 2008 sicherte sich das portugiesische Augmented-Reality-Unternehmen YDreams den Namen Paper-e® als Warenzeichen für Fortunatos Papiertransistoren in 14 Ländern. YDreams wurde im Jahr 2000 als Spin-off-Unternehmen der Neuen Universität Lissabon gegründet. Das Unternehmen mit Hauptsitz in Lissabon sowie Niederlassungen in Austin, USA, und Rio de Janeiro, Brasilien, beschäftigt weltweit 120 Mitarbeiter. Zurzeit stellt das Unternehmen Prototypen von Produkten mit Papierchip-Technologie her, wie ein Flugticket, das sich selbst aktualisiert. Außerdem bereitet YDreams mit offizieller Förderung den Markteintritt vor: Fortunato erhält für ihre Forschung im Bereich anorganischer Oxide in der Elektronik vom Europäischen Forschungsrat eine Förderung in Höhe von 2,5 Mio. EUR. Eine so hohe Summe hat noch nie zuvor ein portugiesischer Wissenschaftler erhalten.
Der in naher Zukunft vielversprechendste Bereich für zellstoffbasierte Transistoren ist der Markt für intelligente elektronische Verpackungen. Laut einer Studie von IDTechEx wird die weltweite Nachfrage auf diesem Gebiet rasant ansteigen: von 26 Mio. EUR (30 Mio. USD) im Jahr 2012 auf 1,51 Mrd. EUR (1,7 Mrd. USD) im Jahr 2022.
Papierbasierte Einweg-Mikroelektronik hat aber auch das Potenzial, auf dem lukrativen weltweiten Markt für Transistoren einen neuen Bereich zu eröffnen. Im Jahr 2014 schätzte Research and Markets den Wert des gemeinsamen Marktes von Bipolartransistoren mit isolierter Gate-Elektrode (insulated-gate bipolar transistor, IGBT) und Metall-Oxid-Halbleiter-Feldeffekttransistoren (metal-oxide-semiconductor field-effect transistor, MOSFET) auf 4,21 Mrd. EUR (4,785 Mrd. USD). Bei einer jährlichen Wachstumsrate von 11,7 % wird der Markt voraussichtlich auf mehr als 10,56 Mrd. EUR (12 Mrd. USD) im Jahr 2021 anwachsen.
Funktionsweise
Bei einem herkömmlichen Transistor erfüllt das Silizium zwei Funktionen: Zum einen wirkt es, dotiert mit kleinen Mengen anderer Chemikalien, als Halbleiter, der den Elektronenfluss leitet. Zum anderen dient es, vor allem, wenn es zur Gewinnung von Siliziumdioxid erhitzt wird, als Dielektrikum oder Isolator und kann dazu genutzt werden, Strom zu speichern oder einen Stromfluss zu stoppen. Zur Herstellung eines vollwertigen Transistors sind beide Komponenten nötig. Halbleiter auf Papierbasis herzustellen, schien vor Fortunatos Erfindung unmöglich.
Durch die Erfindung wird das Problem gelöst, indem Papierbogen mit Halbleitern aus Zink-, Gallium und Indiumoxiden beschichtet werden. Diese werden dann durch eine Schicht aus Aluminium verbunden. Aufgrund der Beschichtung ist das Papier nicht nur das Trägermaterial (Substrat) des Transistors, sondern auch die dielektrische Schicht, also die isolierende Komponente. Der so entstandene "Papier-Transistor" ist nicht nur kostengünstig und energiesparend, sondern auch vollständig recycelbar. Zur Herstellung wird deutlich weniger Energie verbraucht, denn die Materialien können bei Raumtemperatur verarbeitet werden, während die Herstellung von Silizium normalerweise mehrere Hundert Grad erfordert.
Die Erfinderin
Elvira Fortunato war als Kind ein Fan der Science-Fiction-Geschichten von Jules Verne. Sie erforschte die Welt der Mikroelektronik bereits während ihres Studiums der Materialwissenschaften und Physik an der Neuen Universität Lissabon (UNL), wo sie 1987 ihren Abschluss machte. 1998 wurde sie die Leiterin des Materialforschungszentrums CENIMAT an der UNL und konzentrierte sich dort auf die Anwendungen anorganischer Oxide in der Elektronik. Inzwischen zählt sie zu den wichtigsten Wegbereitern auf diesem Gebiet.
Im Laufe ihrer mehr als 30-jährigen Karriere im Bereich Mikroelektronik hat Fortunato an 7 erteilten und 50 angemeldeten Patenten gearbeitet. Sie hat während der vergangenen zehn Jahre über 500 Forschungsberichte veröffentlicht und wirkt als Vermittlerin zwischen Forschung und Industrie.
Zurzeit leitet sie das Institut für Nanomaterialien, Nanofabrikation und Nanomodellierung am CENIMAT. Fortunato hat mehrere Auszeichnungen erhalten, darunter den IDTechEx Printed Electronics Academic R&D Award in den USA (2009) und den European Women's Innovation Prize in Finnland (2011). 2010 erhielt sie vom portugiesischen Staatspräsidenten den Titel "Großoffizier des Ordens des Infanten Dom Henrique".
Currently the director of the Institute of Nanomaterials, Nanofabrication and Nanomodeling at CENIMAT, Fortunato has been recognised with distinctions including the IDTechEx Printed Electronics Academic R&D award in the US (2009), and the European Women's Innovation Prize in Finland (2011). In 2010, she was honoured with the grade of Grand Officer of the Order of Prince Henry the Navigator by the President of the Republic of Portugal.
Wussten Sie das?
Papier ist nicht nur das Material für Banknoten, sondern stellt auch einen extrem lukrativen Markt dar: 2014 hatte die weltweite Papier-, Kunststoff-, Gummi-, Holz- und Textilindustrie einen Wert von 4,95 Mrd. EUR (5,45 Mrd. USD), was einem beachtlichen Marktanteil von 7,2 % der Weltwirtschaft des Jahres entspricht.
Neben der Verwendung als bedrucktes Material wird Papier gerade für Anwendungen wie "Biokunststoffe" entdeckt. Diese organischen Polymere sind komplett natürliche, vollständig kompostierbare Bausteine für eine neue Generation von Verbraucherprodukten, wie Lautsprechern oder Gitarren. Unter dem Markennamen ARBOFORM® erhielt bereits 2010 ein Biokunststoff den Europäischen Erfinderpreis. Hier liegt die Frage nahe: Wird Papier auch beim Europäischen Erfinderpreis 2016 eine Rolle spielen?
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