Therapeutische Impfstoffplattform zur Behandlung mehrerer Krebsarten: Madiha Derouazi und Elodie Belnoue gemeinsam als Finalistinnen für den Europäischen Erfinderpreis 2022 nominiert
- Biotechnologin Madiha Derouazi (Schweiz) und Immunologin Elodie Belnoue (Frankreich) für Preis des Europäischen Patentamts (EPA) nominiert
- Die Entwicklung ihrer therapeutischen Impfstoffplattform zur Bekämpfung verschiedener Krebsarten war von vielen für undurchführbar gehalten worden
- Mit dem System von Derouazi und Belnoue können die Bestandteile eines Impfstoffs so zusammengesetzt werden, dass sie eine starke Immunreaktion gegen die Krankheit hervorrufen
- Das Team entwickelt derzeit therapeutische Impfstoffe gegen metastasierenden Dickdarmkrebs
München, 17. Mai 2022 - Das Europäische Patentamt (EPA) gibt bekannt, dass die Schweizer Biotechnologin Madiha Derouazi und die französische Immunologin Elodie Belnoue für den Europäischen Erfinderpreis 2022 nominiert worden sind. Sie haben eine neue Methode zur Herstellung von Impfstoffen entwickelt, die möglicherweise zur Behandlung von Krebs eingesetzt werden könnten.
Ihre Technologieplattform namens KISIMA (Suaheli für „gut") kann zur Herstellung von Impfstoffen zur Therapie verschiedener Krebsarten verwendet werden. Im Gegensatz zu prophylaktischen Impfstoffen, die Krankheiten vorbeugen, wirken diese therapeutischen Impfstoffe dadurch, dass sie den Körper zu einer starken Immunreaktion auf die Krankheit anregen. Ihre Erfindung könnte eine zusätzliche Möglichkeit der Behandlung von Krebs bedeuten. Weltweit sind Krebserkrankungen für einen von sechs Todesfällen verantwortlich, in Europa ist sogar jeder fünfte Todesfall darauf zurückzuführen.
Forscher, die zuvor versucht haben, therapeutische Krebsimpfstoffe zu entwickeln, konnten entweder keine starke Immunantwort erzeugen, oder die Impfstoffe waren nur bei wenigen Patienten wirksam.
„Derouazi und Belnoue haben Klinikern ein Instrument an die Hand gegeben, welches das Spektrum der Behandlungsmöglichkeiten von Krebs erweitert und viele Leben retten könnte", so EPA-Präsident António Campinos bei der Bekanntgabe der Finalisten des Europäischen Erfinderpreises 2022. „Derzeit gibt es keine vergleichbaren Lösungen auf dem Markt, was den Einfallsreichtum der beiden Wissenschaftlerinnen und ihre Beharrlichkeit noch unterstreicht."
Derouazi und Belnoue wurden gemeinsam als eines von vier Finalisten-Teams in der Kategorie „KMU" nominiert, in der herausragende Erfinder aus kleineren Unternehmen mit weniger als 250 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von unter 50 Mio. Euro ausgezeichnet werden. Die Gewinner der diesjährigen Ausgabe des Europäischen Erfinderpreises des EPA werden am 21. Juni im Rahmen einer virtuellen Preisverleihung bekannt gegeben.
Entwicklung eines Impfstoffs zur Krebsbehandlung
Die Biologin Madiha Derouazi begann mit der Entwicklung therapeutischer Krebsimpfstoffe während ihrer Postdoc-Tätigkeit am französischen Nationalen Zentrum für Wissenschaftliche Forschung (CNRS). Solche Impfstoffe werden zur Behandlung von Patienten eingesetzt, die bereits erkrankt sind. Sie unterstützen ihr Immunsystem bei der Bekämpfung der Krankheit.
Derouazi arbeitete an Trägersystemen für Antigene (Substanzen, die im Körper eine Immunreaktion auslösen). Dabei zog sie in Betracht, dass Krebsantigene verwendet werden könnten, um das Immunsystem zur Krebsbekämpfung anzuregen - vorausgesetzt, diese ließen sich wirksam in die Zellen einbringen. Zur gleichen Zeit arbeitete ein Bekannter an einem System zum Transport von Proteinen in Zellen. Derouazi erkannte, dass ein ähnlicher Ansatz zum Transport proteinbasierter Krebsimpfstoffe verwendet werden könnte. Die Idee therapeutischer Impfstoffe zur Behandlung von Krebs wurde jedoch von vielen Forschern für undurchführbar gehalten: „Niemand hat geglaubt, dass man das Immunsystem so modulieren könnte, dass es gezielt gegen Krebs vorgeht - nicht einmal Onkologen", sagt Derouazi.
Nach ihrem Wechsel an die Universität Genf begann Derouazi an einem Verfahren zu arbeiten, mit dem drei wesentliche Impfstoff-Komponenten zu einem einzigen Molekül zusammengefügt werden können: ein Peptid (Teil eines Proteins), das in Zellen eindringen kann, um Antigene zu liefern; ein Frachtmolekül mit Antigenen, die auf die zu behandelnde Krebsart zugeschnitten sind, und ein weiteres Peptidmolekül zur Verstärkung der Immunantwort. Im Jahr 2012 meldete die Wissenschaftlerin ein Patent an und gründete das Spin-Out-Unternehmen AMAL Therapeutics, um die Plattform für die Impfstoffherstellung aufzubauen und zur Marktreife zu bringen. Elodie Belnoue, die Derouazi an der Universität Genf kennengelernt hatte, war ihre erste Mitarbeiterin.
Die Arbeit der Wissenschaftlerinnen wurde von der Zielsetzung geleitet, eine bessere Methode zur Behandlung von Krebs zu entwickeln. „Vor zehn Jahren basierte die Behandlung von Krebs auf Chemotherapien, mit oft schlechten Prognosen und sehr geringen Behandlungsmöglichkeiten", so Derouazi. „Wir haben nach Alternativen gesucht. Ein therapeutischer Impfstoff zur Modulation des Immunsystems hätte sicherlich nicht die gleichen negativen Auswirkungen auf die Lebensqualität der Patienten wie eine Chemotherapie."
Im Juli 2019 wurde AMAL Therapeutics vom Pharmaunternehmen Boehringer Ingelheim für 425 Mio. Euro übernommen, was in dem Jahr der größte Verkauf eines Biotech-Unternehmens in Europa war. Laut Derouazi war die Sicherung eines Patents von zentraler Bedeutung, um den Wert des Unternehmens als Biotech-Start-up zu behaupten: „Ohne Patent hat man keine Chance, denn man hat kein Produkt, man hat keine Erfindung, die man hochhalten und vorzeigen kann."
Das Team konzentriert sich derzeit auf die Verwendung der Plattform, um Impfstoffe zur Behandlung von Darmkrebs herzustellen. Der betreffende Impfstoff befindet sich in einem frühen Stadium der Erprobung am Menschen, wobei er sowohl allein als auch in Kombination mit immunstärkenden Medikamenten, sogenannten Checkpoint-Inhibitoren, an Patienten getestet wird.
Die mit KISIMA hergestellten Krebsimpfstoffe sollen bestehende Behandlungsmethoden wie Chirurgie, Chemotherapie und Strahlentherapie ergänzen und nicht ersetzen. Insgesamt wird erwartet, dass der globale Markt für Krebsimmuntherapien von 2021 bis 2026 um 12,6 % wachsen und 253 Mrd. Euro erreichen wird.
Hinweis für die Redaktionen
Informationen zu den Erfinderinnen
Nach ihrem Biologie-Studium an der Universität Genf erwarb Madiha Derouazi im Jahr 2000 einen Master of Science in Biotechnologie an der Technischen Universität Berlin. 2005 promovierte sie in Biotechnologie an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne. Darauf folgte die Postdoc-Phase am CNRS in Frankreich. Währen dieser Zeit fiel die Entscheidung, die weitere Forschungsarbeit auf Krebs zu konzentrieren. Als Derouazi 2009 ein unabhängiges Krebsimpfstoffprojekt am Universitätsspital Genf leitete, wurde sie von der dortigen Laborleitung darauf aufmerksam gemacht, dass sie ihre interessante Arbeit patentieren sollte. Dies führte zur Gründung von AMAL Therapeutics, wo Derouazi weiterhin CEO ist.
Elodie Belnoue schloss 1996 ihr Studium der Biochemie an der Universität Paris XI mit einem Bachelor of Science ab. Darauf folgte ein Master of Science in Immunologie an der Universität Paris V, wo sie 2002 auch in Immunologie promovierte. Nach ihrem Studium arbeitete Belnoue in der immunologischen Abteilung des Pariser Cochin-Instituts an der Evaluierung von Immuntherapien für Lebertumore. 2003 zog sie nach Genf, um als Postdoktorandin im Zentrum für Neonatale Vakzinologie und Immunologie zu arbeiten. Seit 2014 ist Belnoue als leitende Wissenschaftlerin bei AMAL Therapeutics tätig und koordiniert die Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten.
Derouazi und Belnoue werden in den europäischen Patenten EP3270957B1 (erteilt 2020), EP3270955B1 (erteilt 2020) und EP2895499B1 (erteilt 2019) als Erfinder genannt.
Über den Europäischen Erfinderpreis
Der Europäische Erfinderpreis ist einer der renommiertesten Innovationspreise in Europa. Er wurde 2006 vom EPA ins Leben gerufen und ehrt Einzelpersonen und Teams, die Lösungen für einige der größten Herausforderungen unserer Zeit gefunden haben. Die Finalisten und Gewinner werden von einer unabhängigen Jury ausgewählt, die sich aus früheren Finalisten des Preises zusammensetzt. Gemeinsam prüfen sie die Vorschläge hinsichtlich ihres Beitrags zum technischen Fortschritt, zur sozialen und nachhaltigen Entwicklung und zum wirtschaftlichen Wohlstand. Das EPA verleiht den Preis in vier Kategorien (Industrie, Forschung, KMU und Nicht-EPO-Staaten) und wird darüber hinaus am 21. Juni im Rahmen einer virtuellen Zeremonie einen Preis für das Lebenswerk ausloben. Der Gewinner des Publikumspreises wird von der Öffentlichkeit aus den 13 Finalisten über ein Online-Voting auf der Webseite es EPA ermittelt. Die Stimmenabgabe ist bis zum 21. Juni 2022 möglich. Lesen Sie mehr über die Teilnahmebedingungen und Auswahlkriterien für den Europäischen Erfinderpreis.
In diesem Jahr wird das EPA zum ersten Mal auch den Young Inventors prize vergeben. Der neue Preis für junge Menschen unter 30 ist mit einer Geldprämie für die drei Finalisten dotiert, um sie weiter zu ermutigen, kreative Lösungen für drängende Herausforderungen der nachhaltigen Entwicklung zu finden.
Über das EPA
Mit 6 400 Mitarbeitern ist das Europäische Patentamt (EPA) eine der größten Behörden in Europa. Das EPA, das seinen Hauptsitz in München sowie Niederlassungen in Berlin, Brüssel, Den Haag und Wien hat, wurde mit dem Ziel gegründet, die Zusammenarbeit zwischen den Staaten Europas auf dem Gebiet des Patentwesens zu stärken. Dank des zentralisierten Verfahrens vor dem EPA können Erfinder hochwertigen Patentschutz in bis zu 44 Staaten erlangen, die zusammen einen Markt von rund 700 Millionen Menschen umfassen. Außerdem ist das EPA weltweit führend in den Bereichen Patentinformation und Patentrecherche.
Pressekontakte Europäisches Patentamt
Luis Berenguer Giménez
Hauptdirektor Kommunikation, Sprecher
Pressestelle des Europäischen Patentamts
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