mRNA-Pionierin Katalin Karikó erhält Europäischen Erfinderpreis 2022 für ihr Lebenswerk
- Europäisches Patentamt (EPA) zeichnet die in Ungarn geborene Biochemikerin Katalin Karikó mit dem Europäischen Erfinderpreis für ihr Lebenswerk aus
- Ihre Forschungsarbeit über modifizierte mRNA ebnete den Weg zu hochwirksamen Impfstoffen gegen COVID-19
- Trotz vieler Hindernisse ließ sich die Forscherin nicht entmutigen und hielt immer an ihrer Idee fest
München, 21. Juni 2022 - Das Europäische Patentamt (EPA) hat heute der ungarisch-amerikanischen Forscherin Katalin Karikó den Europäischen Erfinderpreis 2022 in der Kategorie „Lebenswerk" für ihre bahnbrechenden Arbeiten zur Entwicklung modifizierter Boten-RNA (mRNA) für Impfstoffe und medizinische Therapien verliehen.
Mehr als vier Jahrzehnte lang hat sich Karikó für das therapeutische Potenzial von mRNA eingesetzt und dabei sowohl Skepsis als auch zahllose Herausforderungen überwunden, um deren wirksame Nutzung für den Menschen zu erschließen. Ihre Arbeit ebnete nicht nur den Weg für die erfolgreichsten mRNA-basierten COVID-19-Impfstoffe, sondern öffnet auch die Tür zu neuen Therapien für viele andere Krankheiten und Leiden.
„Dank ihrer Vision, dass mit dem mRNA-Molekül ein signifikanter medizinischer Nutzen erzielt werden könnte, hat Katalin Karikó eine Wirkung erzeugt, die weit über den inzwischen gut dokumentierten medizinischen Erfolg hinausgeht", sagt EPA-Präsident António Campinos. „Ihr Engagement für die Wissenschaft und ihre Beharrlichkeit gepaart mit der innovativen Qualität ihrer Forschung haben der Welt eine bahnbrechende Innovation gebracht, die im Kampf gegen einige der schlimmsten medizinischen Bedrohungen der Menschheit das Potenzial für ganz neue Perspektiven birgt."
Karikó wurde bei der Verleihung des Europäischen Erfinderpreises 2022 geehrt, einer hybriden Veranstaltung, die von einem weltweiten Publikum online verfolgt wurde. Der Preis ist einer der renommiertesten Innovationspreise Europas und wird jährlich an herausragende Erfinder aus Europa und darüber hinaus verliehen, die einen außergewöhnlichen Beitrag zur Gesellschaft, zum technischen Fortschritt und zum Wirtschaftswachstum geleistet haben.
Bescheidene Anfänge
Karikós Forschungslaufbahn ist geprägt von ihrem Engagement, das Potenzial des mRNA-Moleküls medizinisch zu nutzen. Geboren in einer kleinen Stadt im ländlichen Ungarn, führten ihr frühes Interesse an Biologie und ihr Wissensdurst dazu, dass sie die Aufnahmeprüfungen für die Universität Szeged bestand und sich dem hochmodernen Biologischen Forschungszentrum (BRC) der Ungarischen Akademie der Wissenschaften anschloss. 1985 verließ sie zusammen mit ihrem Mann Ungarn und ging in die USA, um eine Stelle an der Temple Universität in Philadelphia anzutreten. Dort versuchte sie drei Jahre lang, doppelsträngige RNA zur Behandlung von HIV-Patienten einzusetzen. Anschließend nahm sie ein weiteres Angebot in Bethesda, Maryland, an, wo sie sich eingehend mit den neuesten Erkenntnissen zu mRNA befasste, einem Molekül, das die Informationen für den Aufbau von Proteinen von der DNA einer Zelle zu ihren Molekülbausteinen transportiert.
Das Potenzial von mRNA erkennen
Seit 1990 wussten Wissenschaftler, dass die Injektion synthetischer mRNA in den Körper die Produktion spezifischer Proteine auf Abruf bewirken kann. Sehr schnell wurde Karikó das Potenzial der mRNA klar:
„Ich stellte mir sofort vor, dass mRNA nützlich sein könnte, und dachte an etwas sehr einfaches, wie die Wundheilung", sagt sie. „Also begann ich, eine andere RNA herzustellen, die für die Produktion eines Proteins sorgt, von dem bereits bekannt war, dass es die Wundheilung beschleunigt und sich später auch ohne eine Vernarbung schließt."
Als ihr 1989 eine Stelle an der Universität von Pennsylvania (UPenn) angeboten wurde, richtete sie ihren Forschungsschwerpunkt auf dieses Molekül. Da es sich bei mRNA jedoch um eine instabile Verbindung handelt, war es kompliziert mit diesem Molekül zu arbeiten und die Entwicklungskosten führten dazu, dass sie in den 1990er Jahren die Gunst der wissenschaftlichen Gemeinschaft verlor. Karikó konnte keine Finanzierung mehr für ihre mRNA-Arbeiten erhalten und ihre Position an der Fakultät wurde zurückgestuft. Trotzdem entschied sie sich dazu, als leitende Forscherin an der UPenn zu bleiben - eine Entscheidung, die sich auszahlen sollte: 1997 fand sie in dem neu verpflichteten Immunologen Drew Weissman einen Verbündeten. Gemeinsam arbeiteten sie an einem therapeutischen HIV-Impfstoff auf mRNA-Basis, für den sie ein nukleosidmodifiziertes mRNA-Molekül entwickelt hatten.
Dies markierte den Wendepunkt: Mit weiteren Arbeiten zur Reinigung der mRNA gelang es Karikó und Weissman, ein breites Spektrum von Szenarien zu erschließen, in denen das Molekül für die Behandlung von Krankheiten und für Impfungen eingesetzt werden könnte. Sie meldeten 2005 die bahnbrechenden Patente für ihre Arbeit an, die den Weg zur Kommerzialisierung der modifizierten mRNA durch das von Karikó und Weissman 2006 gegründete Unternehmen RNARx ebneten. Die Universität von Pennsylvania verkaufte die Lizenzen jedoch an ein anderes Unternehmen: „Ohne das Patent waren wir kein richtiges Unternehmen", sagt Karikó. „Aber ich habe zu diesem Zeitpunkt beschlossen, dass ich noch nicht fertig bin."
Der Kampf gegen COVID-19
Den medizinischen Durchbruch erzielte Karikó, als sie 2013 zu BioNTech nach Deutschland wechselte. BioNTech führte zu diesem Zeitpunkt eine klinische Studie mit mRNA durch und das Unternehmen wurde von ihr überzeugt, nukleosidmodifizierte mRNA einzusetzen. Außerdem konnte sie einen Vertrag mit Sanofi abschließen, um die modifizierte mRNA weiterzuentwickeln, so dass diese direkt in Tumore injiziert werden kann, um krebsspezifische Immunreaktionen zu fördern. Parallel arbeitete sie mit Pfizer an einem mRNA-basierten Grippeimpfstoff, als Ende 2019 die ersten Nachrichten über COVID-19 bekannt wurden.
BioNTech wechselte daraufhin umgehend von der Grippe zu COVID-19, indem es den Impfstoff an die genetische Sequenz des neuartigen Coronavirus anpasste - und kam zügig in die Testphase zur Einführung mit Pfizer. Ein anderer, nukleosidmodifizierter mRNA-basierter COVID-19-Impfstoff des US-Unternehmens Moderna, der etwa zur gleichen Zeit zugelassen wurde, basiert ebenfalls auf der Technologie von Karikó and Weissman.
Ein Feld mit wachsendem Potenzial
Über COVID-19 hinaus hat Karikós Forschung den Weg für ein breites Spektrum medizinischer Behandlungen auf der Grundlage modifizierter mRNA geebnet. Es gibt Bestrebungen, therapeutische Impfstoffe für verschiedene Krebsarten sowie Behandlungen für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Stoffwechselstörungen zu entwickeln. Die Wissenschaftlerin selbst hat eine Liste von etwa 30 Therapien auf der Grundlage modifizierter mRNA erstellt, die sie gerne entwickeln würde. Diese Herausforderungen fügen sich ein in eine Karriere, die von Anfang an darauf basierte, ein Ziel beharrlich zu verfolgen und sich von Hindernissen nicht beirren zu lassen. „Man muss lernen, den negativen Stress in positiven Stress umzuwandeln, und das war meine Einstellung", sagt sie. „Es spielte keine Rolle, was die Leute sagten. Wenn es konstruktiv war, habe ich zugehört, den Rest habe ich absolut ignoriert. Mit dieser Einstellung kann man es schaffen."
Hinweis für die Redaktionen
Über die Erfinderin
Katalin Karikó wurde 1955 in Ungarn geboren. Sie erwarb 1978 einen Abschluss in Biologie an der Universität Szeged und promovierte 1982 in Biochemie an derselben Universität. Nach ihrer Tätigkeit als Postdoktorandin am Biologischen Forschungszentrum in Szeged zog sie 1985 in die USA und arbeitete zunächst an der Temple Universität in Philadelphia und dann an der Uniformed Services University of the Health Science in Maryland. Im Jahr 1989 nahm sie eine Stelle an der School of Medicine der Universität von Pennsylvania an, um über mRNA zu forschen. Auf der Grundlage dieser Arbeit gründete Karikó 2006 gemeinsam mit Drew Weissman das Unternehmen RNARx. Im Jahr 2013 zog sie nach Deutschland, um eine Stelle bei der BioNTech AG anzutreten, wo sie derzeit Senior Vice President ist. Zu ihren bisherigen Auszeichnungen gehören der Breakthrough Prize in Life Sciences, der Time Hero of the Year 2021, der Lasker Award, der Princess of Asturias Award und der Japan Prize, die sie alle mit Weissman gemeinsam erhielt, sowie der Vilcek Prize for Excellence in Biotechnology 2022.
Karikó wird in den europäischen Patenten EP2578685B1 (2019 erteilt), EP3287525B1 (2019 erteilt), EP3112467B1 (2018 erteilt) and EP2510099B1 (2017 erteilt) als Erfinderin genannt
Über den Europäischen Erfinderpreis
Der Europäische Erfinderpreis ist einer der renommiertesten Innovationspreise in Europa. Er wurde 2006 vom EPA ins Leben gerufen und ehrt Einzelpersonen und Teams, die Lösungen für einige der größten Herausforderungen unserer Zeit gefunden haben. Die Finalisten und Gewinner werden von einer unabhängigen Jury ausgewählt, die sich aus früheren Finalisten des Preises zusammensetzt. Gemeinsam prüfen sie die Vorschläge hinsichtlich ihres Beitrags zum technischen Fortschritt, zur sozialen und nachhaltigen Entwicklung und zum wirtschaftlichen Wohlstand. Das EPA verleiht den Preis in fünf Kategorien (Industrie, Forschung, KMU, Nicht-EPO-Staaten und Lebenswerk). Der Gewinner des Publikumspreises wird von der Öffentlichkeit aus den 13 Finalisten über ein Online-Voting auf der Webseite es EPA ermittelt.
In diesem Jahr wird das EPA zum ersten Mal auch den Young Inventors prize vergeben. Der neue Preis für junge Menschen unter 30 ist mit einer Geldprämie für die drei Finalisten dotiert, um sie weiter zu ermutigen, kreative Lösungen für drängende Herausforderungen der nachhaltigen Entwicklung zu finden.
Über das EPA
Mit 6 400 Mitarbeitern ist das Europäische Patentamt (EPA) eine der größten Behörden in Europa. Das EPA, das seinen Hauptsitz in München sowie Niederlassungen in Berlin, Brüssel, Den Haag und Wien hat, wurde mit dem Ziel gegründet, die Zusammenarbeit zwischen den Staaten Europas auf dem Gebiet des Patentwesens zu stärken. Dank des zentralisierten Verfahrens vor dem EPA können Erfinder hochwertigen Patentschutz in bis zu 44 Staaten erlangen, die zusammen einen Markt von rund 700 Millionen Menschen umfassen. Außerdem ist das EPA weltweit führend in den Bereichen Patentinformation und Patentrecherche.
Pressekontakte Europäisches Patentamt
Luis Berenguer Giménez
Hauptdirektor Kommunikation, Sprecher
Pressestelle des
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